Читать книгу Ardeen – Band 10 | Teil 1 - Sigrid Kraft - Страница 6
In den Wegen
ОглавлениеAuch wenn Eryn in den nächsten Tagen noch vieles in seinem neuen Heim zu tun hatte, ging ihm der Gedanke an die Wege nicht mehr aus dem Kopf. Es reizte ihn herauszufinden, wie nahe er an die Barriere zwischen den zwei Welten tatsächlich herankommen konnte. Aber nicht nur die Arbeit hielt ihn davon ab, sondern auch eine gewisse Angst davor, dass Ador ihn eventuell aufspüren könnte.
Bisher bin ich nur für kurze Zeit auf Reisen gegangen, aber wenn ich experimentiere, dann würde ich mich über längere Zeit dort aufhalten müssen und vielleicht kann Ador meine Spuren finden. Verdammt, ich wüsste zu gerne, wozu er wirklich in der Lage ist. Gibt es überhaupt Spuren in den Wegen? Und wenn dem so wäre, wie schwierig ist es, diesen zu folgen? Es gibt Muster, so viel ist klar, aber bisher konnte ich keine magischen Fußabdrücke anderer Wesen entdecken. Wenn man durch denselben Tunnel treibt, dann kann man andere Personen wahrnehmen. Das weiß ich schon seit Aspentor. Aber Ador kann gar nicht denselben Weg wie ich nehmen, denn dazu müsste er erst einmal wissen, wo ich mich aufhalte. Außerdem laufe ich nicht durch vorgegebene Tore, sondern erschaffe meine eigenen.
Und je länger Eryn darüber nachdachte, desto überzeugter wurde er, dass derartige Experimente gar nicht so gefährlich waren, wie er zunächst geglaubt hatte. Nach einer Weile stand sein Entschluss fest: Er würde es wagen.
Doch die Vorsicht darf dabei nicht außer Acht gelassen werden. Ich werde mir einen verlassenen Strand suchen. Dort, wo die Flut über den Sand spült und alle Spuren verwischt.
Sein Weg führte ihn nach Süden an eine felsige Küste, wo sich weit und breit kein menschliches Wesen aufhielt. Nur ein paar Möwen hatten in den zerklüfteten Felswänden ihre Nester gebaut und flogen auf der Suche nach Beute in Richtung Meer hinaus. Sie kreisten am Himmel und stießen ihre hässlichen Schreie aus. Eryn stand auf felsigem Untergrund und keine drei Schritte von ihm entfernt klatschten die Wellen gegen den Stein. Wenn eine größere Welle heranrollte, kam das Wasser bereits bis zur Hälfte des Plateaus, bevor es sich wieder zurückzog. Durch eine dunklere Färbung grenzte sich die überspülte Fläche deutlich von dem noch trockenen Bereich ab. Eryn ging nach vorne, bis er auf feuchtem Grund stand, dann öffnete er ein Tor.
Die folgenden Stunden verbrachte er mit unzähligen Versuchen und gewann erste Erkenntnisse.
Zurück auf seiner Insel machte er Aufzeichnungen und entwickelte Theorien. So vergingen die nächsten Tage und die anfänglichen Erfolge verschafften ihm ein Hochgefühl. Vor allem in jenem Moment, als es ihm gelang, die Haut der Wege so dünn über sich zu ziehen, dass er das Schreien der Möwen von draußen hören konnte. Zwar nur sehr gedämpft, doch es waren eindeutig Laute aus der realen Welt. Auch seine Sicht nach draußen war nun so scharf, als würde er durch eine klare Glasscheibe blicken. Sein Ehrgeiz beflügelte ihn dazu, eine weitere Theorie zu testen. Er versuchte, anstelle der dünnen Haut, die Magie in eine netzartige Struktur umzuwandeln. Doch dieses Netz war so empfindlich, dass es schon bei der leichtesten Bewegung auseinanderriss. Schließlich gab er diese Versuche mit einem Schulterzucken auf.
Die dünne Haut ist gut genug und ich bin in ihrer Handhabung so sicher, dass einem weiteren Besuch in Naganor nichts mehr im Wege steht.
Mittlerweile war es später Nachmittag und Eryn hoffte, Gannok draußen beim Spielen mit den anderen Kindern anzutreffen. So war seine erste Anlaufstelle der Hof. Aber weil es in Naganor regnete, befand sich niemand draußen. Darum trieb er weiter, bis er den Flur vor dem Zimmer der Kinder erreicht hatte, und dort fand er sie. Gannok stand mit ausgebreiteten Armen im Gang und versuchte die anderen Kinder am Vorbeikommen zu hindern. Es gelang ihm, Danian zu packen, während Asran und Carmina laut schreiend vorbeirannten. Da Danian gefangen worden war, war er als Nächster an der Reihe, nun die anderen aufzuhalten. Eryn zog sich ganz an das Ende des Flures zurück. Hier konnte er den Kindern bei ihrem Spiel ein wenig zusehen und natürlich wollte er sie auch hören. Mit der nötigen Vorsicht näherte er sich immer weiter der Barriere und dehnte sie dann vorsichtig aus. Dann kam der Moment, da er die spielenden Kinder hören konnte. Das war gar nicht so schwierig, denn sie schrien noch um einiges lauter als die kreischende Möwenschar.
„Bäh, kriegst mich nicht!“, spottete Asran und Danian forderte ihn heraus:
„Blödmann, Blödmann! Komm doch!“
„Ich renn jetzt los!“, zog Gannok die Aufmerksamkeit auf sich und machte dann einen Rückzieher: „Haha, oder doch nicht.“ Während Carmina die Gelegenheit nutzte und ihrerseits losspurtete.
Keine besonders intellektuelle Unterhaltung, urteilte Eryn nüchtern. Aber was konnte man von Kindern schon anderes erwarten. Allerdings freute er sich, dass alle zusammen so viel Spaß hatten.
Nun rannten auch Asran und Gannok los, und weil sie beide im letzten Moment an derselben Seite vorbeihuschen wollten, stießen sie zusammen und fielen hin. Danian nutzte seine Chance und warf sich noch oben drauf. „Hab euch! Alle beide! Ich bin der Sieger!“
Doch die zwei größeren Jungs schenkten ihm keine Beachtung, sondern beschimpften sich gegenseitig, während sie sich wieder aufrappelten. Danian jedoch gab nicht nach und schrie nun aus vollem Halse:
„Ich bin der Sieger und jetzt darf ich sagen, was gespielt wird! Wer zuerst unten bei der Tür ist, hat gewonnen!“ Dann rannte er auch schon los und die anderen setzten ihm nach.
Eryn wollte ihnen folgen, da passierte es. Die Haut zerriss und er stand plötzlich leibhaftig im Flur. Scheiße! Dabei waren die Kinder noch sein geringstes Problem, denn die rannten gerade um die Ecke herum, ohne dass sie einen Blick zurückwarfen.
Aber nach seinem ersten Fehler, machte Eryn gleich einen zweiten. Instinktiv riss er nämlich seine Schilde hoch. Ich Idiot, wenn der Alarm vorhin noch nicht ausgelöst worden ist, dann ist er jetzt mit Sicherheit losgegangen. Irgendwie erwartete er, gleich Prinz Raidens Stimme zu vernehmen. Doch bis der Herr von Naganor persönlich hier herüberkam, würde es ein paar Minuten dauern, und darum beschloss Eryn, erst einmal zu scannen, bevor er sich anschließend durch ein Tor in Sicherheit bringen würde. Der Sicherheitszauber offenbarte sich seinem magischen Auge. In stetig ungestörtem Fluss strömte er dahin und das war verwunderlich.
Nanu, der Alarm scheint gar nicht ausgelöst worden zu sein. Dann entdeckte er den kleinen Teil des Musters, welches seine Aura in den Sicherheitszauber mit einbezog und musste erleichtert lachen.
Bei den Göttern, er hat den Schutzzauber gar nicht modifiziert und somit habe ich zumindest hier immer noch uneingeschränkten Zugang, ohne dass der Alarm gleich losgeht. Heute sind Seiner Hoheit Vergesslichkeit und seine überaus große Schlampigkeit einmal meine Verbündeten.
„Wer als Erster oben ist!“, hörte man die Kinder von unten schreien und damit war es für Eryn höchste Zeit sich zurückzuziehen. Das tat er zunächst ganz unmagisch und verschwand durch die nächste Tür hinein in eine kleine Abstellkammer. Die war mit allerlei Putzsachen vollgeräumt und ein muffiger Geruch nach feuchten Lappen schlug ihm entgegen. Als er die Tür hinter sich zuzog, ließ nur noch ein dünner Spalt unter der Tür einen schmalen Streifen Tageslicht herein. Eryn blieb stehen, nur um nicht versehentlich über etwas zu stolpern.
Der Ort ist ideal. Im Gang draußen könnte doch mal jemand ein magisches Auge öffnen und nach verdächtigen Spuren suchen. Aber hier drinnen sucht sicherlich keiner nach den Überresten eines Tores, zumindest nicht Prinz Raiden. Was würde der auch mit Putzutensilien anfangen wollen, hähä. Dieser Platz gehört mit Sicherheit zu den Orten, die er üblicherweise meidet.
Dann kehrte Eryn auf seine Insel zurück.
Dass meine magische Aura noch mit dem Sicherheitszauber verwoben ist, macht alles erheblich einfacher. Denn nun weiß ich ziemlich genau, welche Zauber ich weben kann, ohne dass es von irgendjemandem bemerkt wird.
Fortan machte er täglich einen Abstecher nach Naganor, um Gannok heimlich zu beobachten. Doch von der Idee, den Jungen zu sich auf die Insel zu holen, nahm er Abstand.
Hier wäre er ganz alleine. Nun nicht gänzlich alleine, denn ich wäre ja bei ihm. Aber er hätte keine anderen Kinder zum Spielen. Später, wenn er älter ist, kann ich ihn immer noch herholen. Dann wird er das auch besser verstehen. Es ist nicht so, dass ich ihn im Stich lasse – ich raube ihm nur nicht seine glückliche Kindheit.
Gerade in diesem Moment wurde ihm sein ganzes Elend bewusst. Die nächsten Jahre über war er dazu verdammt, sein Leben in Heimlichkeit und Einsamkeit zu verbringen.
Solange ich Ador nicht die Stirn bieten kann, muss ich mich verstecken.
Die Vorstellung war frustrierend, denn nicht einmal Prinz Raiden konnte Ador das Wasser reichen. Aber dann schüttelte Eryn das Gefühl des Selbstmitleids ab und riss sich zusammen.
Ich bin ein Magier und ich werde meine Zeit damit verbringen, ein noch besserer Magier zu werden. Ach was sage ich, ein verdammt guter Magier will ich werden. Es gibt so vieles, was ich erforschen kann. Zunächst werde ich weiter die Wege studieren. Das kann schließlich nicht jeder, denn die Ader Gold ist selten.
Eryn werkelte in seinem Garten, was im Konkreten bedeutete, dass er das Wachstum der Pflanzen beschleunigte. Neben zahlreichen Kräutern und Gemüsesorten, hatte Eryn den Ehrgeiz, eine Obstplantage anzulegen. Er hatte sich bereits ein paar ausgewachsene Bäume durch die Wege herbeigeholt, doch einige Setzlinge hatte er auch direkt aus der reifen Frucht gezogen. Diese bedachte er nun täglich mit einer guten Portion Magie und die Bäume entwickelten sich rasant.
Sie sehen gut aus, urteilte er zufrieden und lächelte dann, als er an jenen kläglichen Versuch während seiner Prüfung zur vierten Stufe zurückdenken musste.
Bisher ist noch keiner meiner Schützlinge eingegangen. Langsam habe ich den Dreh raus. Vielleicht ist an mir doch ein Grüner verloren gegangen. Doch auch Gahaeris steht auf der Liste der Türme, denen ich mich nicht mehr freiwillig nähern werde.
Ein neues Blatt begann sich gelb zu färben und sofort drosselte Eryn die Magie. Das ist genug für heute. Zeit wieder nach oben zu gehen und mich den Studien zu widmen. Er schwebte die Felswand empor und suchte seinen bevorzugten Arbeitsplatz auf. Dort machte er es sich in einem Sessel gemütlich und nahm die Aufzeichnungen vom Vortag zur Hand. Er hatte inzwischen eine beachtliche Zahl an Feldversuchen durchgeführt, doch nun steckte er an einer Stelle fest und kam absolut nicht weiter.
Zu gerne würde ich hierzu in der Literatur nachlesen. Spontan fielen ihm ein paar Standardwerke ein, die Aufschluss geben könnten. Solche Werke befanden sich aber nur in den großen Bibliotheken der Magier – gut geschützt und nur für einen ziemlich eingeschränkten Personenkreis zugänglich.
Ich sollte meine eigene Bibliothek aufbauen, dachte Eryn aus einer Laune heraus. Dabei hatte er noch keinen Plan, wie er diesen hehren Wunsch in die Tat umsetzen sollte.
Vielleicht besorge ich mir Bücher aus Naganor. Doch dort kannten ihn zu viele Leute. Außerdem war es eine Sache, sich im Nebengebäude bei den Kindern aufzuhalten und eine ganz andere, den Hauptturm aufzusuchen, um dort in Meister Raidens ureigenem Arbeitszimmer herumzuschnüffeln.
Das findet er mit Sicherheit raus und die Bibliothek in der Garnison kommt auch nicht infrage. Da wird sogar Buch darüber geführt, wer rein und raus geht und wer was mitnimmt. Die anderen Türme sind sicherlich auch extrem gut abgesichert. Und wenn ich Vedi aufsuche?
Aber Vedis Palast befand sich in der Nähe von Elverin und Vedi hatte auch Kontakt zu Meister Ador.
Er muss mich noch nicht einmal mit Absicht verraten. Es genügt schon, wenn er sich verplappert oder, nicht auszudenken, wenn Ador ihn zwingt, Informationen über mich preiszugeben.
Verdammt, es muss doch auch noch irgendwo anders Bücher geben.
Diese Orte gab es tatsächlich und sie wurden Buchläden genannt. Dort verkauften zumeist unmagische Händler Bücher über alles Mögliche und es gab sie in jeder größeren Stadt.
Ja, auch die Unmagischen lesen, allerdings seltener Bücher über höhere Magie.
Trotzdem hoffte Eryn so zumindest ein paar Standardwerke der Magie erwerben zu können und das auf ganz legale Art und Weise.
Kurz darauf stand er auf dem Marktplatz einer großen Stadt im Süden des Kontinents. An seinem Gürtel hing ein Beutel mit all seinem Merett-Geld – ungefähr 100 Goldstücke. Wie ein gewöhnlicher Passant schlenderte er über den Markt und blieb dann vor einem der Stände stehen, wo es köstlich nach gebratenem Fleisch duftete. Dort kaufte er sich einen mittelgroßen Fleischspieß und fragte auch noch gleich nach dem nächsten Buchladen. Bereitwillig gab man ihm Auskunft und er fand das Geschäft auf Anhieb.
Drinnen roch es ein wenig muffig und Regale, vollgestopft mit Büchern, reichten bis unter die Decke. Dadurch wirkte der Raum noch ein wenig kleiner, als er ohnehin schon war. Eryn war der einzige Kunde und sofort kam ein kahlköpfiger, schmächtiger Mann auf ihn zu.
„Kann ich Ihnen helfen?“
„Nun, ich suche Bücher über Magie und fantastische Geschichten. Haben Sie etwas in diese Richtung?“
„Nicht allzu viel.“ Der Mann deutete auf einen Regalabschnitt und meinte:
„Hier steht alles, was ich zurzeit habe. Suchen Sie etwas Bestimmtes?“
„Nein, eigentlich nicht, ich möchte mich nur etwas umsehen“, meinte Eryn und der Verkäufer zog sich wieder an das kleine Schreibpult im hinteren Teil des Geschäftes zurück, während Eryn sich daran machte, die Buchrücken zu studieren.
‚Der Kreis der Magie‘, also das sollte ich inzwischen wirklich beherrschen. ‚Geschichten über Nurin‘ – auch nicht gerade die Lektüre, die ich suche. Der nächste Einband war nicht beschriftet und so zog Eryn das Buch heraus, um zu sehen, worum es sich dabei handelte.
‚Zucht und Ausbildung edler Pferde‘, das hat definitiv nichts mit Magie zu tun und steht hier offensichtlich falsch. Das Buch wanderte wieder zurück an seinen Platz. Eryn arbeitete sich von einem Titel zum nächsten, doch noch hatte er nichts von Interesse gefunden. Dann fiel sein Blick auf den Text eines Einbandes, der ihn neugierig machte.
‚Die Zerstörung des Nimrods und was wirklich passierte‘, von Mikuss Mahak. Aha, mal sehen, was dieser Mikuss zu berichten weiß.
Schon auf der ersten Seite prahlte der Autor damit, Informationen aus erster Hand zu haben, und Eryn musste schmunzeln. Doch als er die Einleitung las, kam es noch besser:
‚Damit ein derart großes Wunder geschehen konnte, mussten drei unglaublich seltene Wesen aufeinandertreffen. Eine gelbe Riesenkröte, ein rosa Einhorn und die silberne Eule der Erleuchtung.‘ Aha? Also meines Wissens waren an dieser Aktion nur Menschen und Drachen beteiligt. Oder sind diese Bezeichnungen als Decknamen zu verstehen? Dann bin ich sicherlich die silberne Eule und die anderen können sich die Riesenkröte und das Einhorn teilen. Wenn man die Aktion im Ganzen betrachtet, waren da ohnehin mehr als drei Wesen beteiligt. Lieber Mikuss, lass dir gesagt sein, dein Werk ist kompletter Schund.
„Ein sehr gutes Buch, und man erfährt wirklich viel darüber, wie die Welt vor ein paar Jahren geheilt wurde“, meinte der Verkäufer voller Überzeugung. Der war nun doch wieder aus seiner Ecke hervorgekommen und hatte sich ganz unauffällig neben Eryn gestellt.
„Nun, ich weiß nicht so recht. Riesenkröten und Einhörner, das klingt mir doch reichlich weit hergeholt.“ Eryn klappte das Buch zu und schob es wieder zurück in das Regal. Der schmächtige Verkäufer fürchtete schon seinen einzigen Kunden zu verlieren und redete seine Ware gut:
„Es ist nicht so verwirrend, wie es auf den ersten Blick scheinen mag. Mikuss beruft sich gleich auf mehrere verlässliche Quellen und erklärt schlüssig bis ins kleinste Detail, wie sich alles zugetragen hat.“
Mit Sicherheit hatte unser Mikuss-Lügenfluss verlässliche Quellen. Wenn Ravenor oder ich geredet hätten, dann hätte uns Meister Raiden auf der Stelle den Kopf abgerissen. Die hohen Magier reden sowieso nicht mit Unmagischen und der Forscherdrache hätte Mikuss allenfalls in seinen Zoo gesperrt.
Dieses verheerende Urteil behielt Eryn für sich und meinte höflich:
„Trotzdem ist es nicht das, was ich suche.“
„Dann lassen Sie mich Ihnen helfen. Wonach suchen Sie denn?“
Inzwischen war Eryn zu der Ansicht gelangt, dass ihm der Verkäufer vielleicht doch helfen könnte.
„Es ist so, ich suche ein Geburtstagsgeschenk für meine Tochter“, begann Eryn eine Geschichte zu erfinden. Eine Tochter ist besser als ein Sohn. Weiß doch jeder, dass Jungs freiwillig keine Bücher lesen. Das kommt erst ab einem gewissen Alter. Vorher muss man sie regelrecht dazu zwingen. Außerdem soll der Buchhändler auch nicht denken, es wäre für mich. „Sie hat eine stärkere Begabung in einem der Kreise und ist ganz verrückt nach allem, was mit Magie zu tun hat. Ich meine, richtige Magie. Aber Artefakte sind immer so teuer, und da dachte ich, sie freut sich sicherlich auch über ein Buch zu diesem Thema.“
„Dann lassen Sie sie ausbilden?“
Eryn wehrte ab. „Nein, dafür reicht die Begabung leider nicht aus, aber ich will ihr auch nicht die Illusionen nehmen. Sie ist so begeistert.“
Der Händler nickte verständnisvoll und murmelte: „Wahre Magie. Mal sehen.“ Dann bückte er sich zum Regal hin und durchsuchte sein Sortiment. Schnell hatte er vier Werke herausgesucht, die er Eryn dann stolz präsentierte.
„Hier, sehen Sie. Wie wäre es mit: ‚Lichtzauber als Kunstwerke‘ oder ‚Verschollene magische Schätze‘, dann habe ich noch ‚Gefährliche magische Monster‘, und als Letztes ‚Der Kreis der Magie‘.“
Eryn fand die dargebotene Auswahl nicht gerade überwältigend, doch er wollte dem Laden auch nicht erfolglos den Rücken kehren, darum entschied er sich für die Schätze und die Monster. Der Händler strahlte über das ganze Gesicht und verkündete:
„Das macht zusammen 250 Goldstücke. Soll ich Ihnen die Bücher gleich als Geschenk einpacken?“
Was! „Das ist aber sehr teuer. Da sind ja Artefakte noch günstiger.“
Nun erklärte der Händler Eryn lang und breit, wie immens schwierig es war, an diese besondere Fachliteratur heranzukommen. Fachliteratur, zu der normalerweise nur Magier Zugang hatten. Am Ende erwarb Eryn das Buch über die Schätze für 80 Goldstücke und verließ verärgert das Geschäft.
Ich hätte ihn manipulieren sollen. Aber Eryn wusste auch, dass sich gerade die misstrauischen Händler gegen solche Versuche zu schützen wussten und außerdem galt dergleichen als Diebstahl im weiteren Sinne. Eryn wollte kein Aufsehen erregen und schließlich tröstete er sich damit:
Der Bücherwurm verkauft sicherlich nicht viel und somit war das auch gleich eine gute Tat. Die Götter sehen das mit Wohlwollen. Außerdem sollte ich nicht so kleinlich sein, als Magier kann ich Gold aus der Erde ziehen und selbst Münzen prägen. Tatsächlich hatte Eryn das selbst noch nie ausprobiert, sondern lediglich Prinz Raiden davon reden hören.
Aber wie sich herausstellte, war diese Art der Bereicherung gar nicht so schwer – wenn man die Schwierigkeit der Zauber betrachtete. Die weitaus größere Arbeit bestand darin, erst einmal ein Goldvorkommen in den Bergen zu entdecken und dann etwas von dem Metall an die Oberfläche zu ziehen. Je tiefer das Gold im Gestein verborgen lag, umso anstrengender wurde das Schürfen und Eryn konnte trotz Aufbietung all seiner Kräfte nur faustgroße Klumpen emporziehen. Allerdings waren zehn solcher Klumpen schon ein Vermögen wert und Eryn kehrte mit seinem Schatz auf die Insel zurück, wo er mit der Münzprägung begann.
Nach getaner Arbeit ruhte sein Blick auf der prall gefüllten Holzkiste. Die Münzen hatten unterschiedliche Prägungen, die er mithilfe eines abgewandelten Kopierzaubers und seines restlichen Münzvorrats bewerkstelligt hatte. Warum habe ich mich früher mit einem kläglichen Gehalt zufriedengegeben, wenn ich hierzu imstande bin?
Die Antwort war einfach. Weil er meine Arbeitskraft so oder so ausgebeutet hätte und das Gehalt war nur dazu da, mich nicht schlechter zu stellen als die andern. Aber wenn er gewusst hätte, dass ich mein eigenes Geld herstellen kann, dann hätte er mein Gehalt umgehend gestrichen und voller Überzeugung behauptet, dass ein wahrer Magier mit Wissen bezahlt wird und ich deswegen aus reiner Dankbarkeit für ihn arbeiten müsse.
Die finanzielle Unabhängigkeit bescherte Eryn ganz legal ein paar weitere Bücher, die allerdings bestenfalls mittleres Magierwissen enthielten. Die Lektüre konnte ihm bei seinen schwierigen Problemen kaum weiterhelfen und er trat mit seinen Forschungen auf der Stelle. Nach mehreren Stunden vergeblichen Brütens sprang Eryn auf und verkündete:
„Mir langt es für heute!“ Sein Weg führte ihn zunächst in die Küche und als er gestärkt zurückkam, griff er nach dem Buch über die Schätze. Das hatte sich als Ansammlung netter kleiner Geschichten herausgestellt, denen Eryn zwar keinen großen Wahrheitsgehalt zubilligte, die sich aber unterhaltsam lesen ließen und somit für etwas Zerstreuung sorgten. Da wurde von einem Füllhorn des fließenden Goldes berichtet, welches in die Hände eines armen, jungen Mannes fiel, der somit unerwartet zu großem Reichtum kam. Natürlich tat er mit dem Gold nur Gutes und die Götter belohnten ihn dafür. Er heiratete eine wunderschöne Prinzessin und wurde König des Landes.
Prinz Raiden musste eine widerliche Zicke heiraten und wollte nie König eines Landes sein. So haben ihn die Götter wohl für seine Missetaten bestraft, weil er den armen Eryn oftmals schlecht behandelt hat. Obwohl Eryn sich vorgenommen hatte, einen Schlussstrich unter sein altes Leben zu ziehen, ließen ihn die Geister der Vergangenheit nicht so schnell los. Vielleicht wäre es deutlich besser gewesen, wenn er sich in der Gesellschaft anderer Menschen befunden hätte. Doch er wagte es nur große, fremde Städte aufzusuchen, wenn er dringend etwas einkaufen musste. Auch suchte er vorsichtshalber dasselbe Geschäft nie zweimal auf.
Eryn las die nächste Geschichte über einen Magier, der durch die Erschaffung des perfekten Golems berühmt geworden war. Sein wahrer Name war in Vergessenheit geraten und er wurde nur mehr ‚der Mechaniker‘ genannt. Das Buch wusste zu berichten, dass der Mechaniker sich in Wahrheit eine Gefährtin erschaffen wollte. Doch im Prozess des Entstehens kamen ihm immer neue Gedanken, was sein Golem alles können sollte. Putzen und Aufräumen standen an erster Stelle, denn schließlich hatte der Mechaniker für solch langweilige Dinge weder Zeit noch Lust. Darüber hinaus sollte der Golem kochen können und ihm stets Speisen und Getränke aufwarten, wenn es ihn danach verlangte. Natürlich sollte das Wesen auch nach seiner Erschaffung in der Lage sein, etwas dazuzulernen ... allerdings keine schlechten Dinge. Dabei sollte es stets heiter und höflich sein und sich anmutig wie eine Tänzerin bewegen. Der Mechaniker arbeitete viele Jahre an diesem Golem und als er ihn endlich fertiggestellt hatte, musste er erkennen, dass er sich von seinem ursprünglichen Ziel ziemlich entfernt hatte. Denn der Golem war nicht die perfekte Frau geworden, sondern der perfekte Helfer. Deswegen war der Mechaniker jedoch keineswegs traurig, denn er hatte dieses kleine Helferlein bereits sehr in sein Herz geschlossen, und er sagte sich:
„Was brauche ich noch eine Gefährtin, wenn ich doch mein perfektes Helferlein habe?“
Ein intelligenter Golem, also das möchte ich sehen. Oder hat diese Geschichte vielleicht einen moralischen Wert? Den verstehe ich allerdings auch nicht wirklich. Warum kann der Mechaniker nicht ein Helferlein und eine Gefährtin haben?
Das nächste Kapitel handelte von einem verzauberten Schwert. Geschichten über verzauberte Waffen gab es in dem Buch viele und darüber hinaus noch eine Auflistung von verzauberten Gegenständen, die es einst gegeben haben soll. Eryn fand darunter sogar Dobrix’ Schwert und erinnerte sich, wie er mit Ravenor zusammen nach diesem Artefakt gesucht hatte. Der Erfolg ihrer Bemühungen förderte aber letztendlich nur eine total verrostete und lediglich schwach magische Klinge zutage.
Trotzdem war es ein aufregendes Abenteuer – weil schließlich alles gut ausgegangen ist. Solch eine Schatzsuche ist schon spannend, vor allem, wenn man etwas findet. Und Eryn spielte schon mit dem Gedanken, sich auf die Suche nach einem dieser wertvollen Artefakte aus dem Buch zu machen. Es war mehr eine Träumerei als eine feste Absicht, da ihm die Aussichtslosigkeit dieses Unterfangens durchaus bewusst war. Aber noch jemand anderes hatte eine Meinung zu diesem Thema und meldete sich jetzt zu Wort:
„Lächerlich, tausende von fähigen Magiern haben sich schon auf die Suche nach verschollenen Artefakten begeben und keines davon wurde jemals wiedergefunden. Wieso glaubst du, Nurin, dass gerade du derjenige sein wirst, dem die Götter des Schicksals Glück bescheren? Nur unwahrscheinliches Glück alleine kann dich zum Erfolg führen, denn wissenschaftliche Überlegungen werden es mit Sicherheit nicht sein. Pha, Eryn, der Schatzsucher.“
Eryn sah auf und der verhasste Ador stand direkt neben dem offenen Kamin.
„Lange nicht gesehen, Illusionsesel. Hältst du mich wieder einmal für einen Idioten, der nichts kann. Diese Meinung teilst du übrigens auch mit Meister Raiden. Dabei frage ich mich, woher dann das brennende Interesse an meiner Person kommt, und was sind das eigentlich für Leute, die sich gerne mit Idioten umgeben.“ Dieser Ador aus Eryns Unterbewusstsein hatte seinen Schrecken schon lange verloren und bot jetzt zumindest die Möglichkeit für ein Gespräch.
„Und auch da liegst du falsch. Ich umgebe mich mit niemanden, da ich mir selbst genug bin. Außerdem, als Hybrid zählst du nicht zu den Personen, sondern bist lediglich ein Objekt. Ein Objekt der Forschung – und hier gilt es immer noch, meine Theorie zu beweisen“, argumentierte der illusorische Ador leicht verärgert.
„So, so, da wirst du dich wohl auch auf die Hilfe der Glücksgötter verlassen müssen, denn wissenschaftlich lässt sich da nichts beweisen. Dieses Unterfangen ist nämlich noch aussichtsloser als eine Schatzsuche.“ Daraufhin verschwand die Imagination Adors.
Scheint so, als ob ich diese Runde gewonnen habe, folgerte Eryn. Er klappte das Buch zu und machte sich auf den Weg nach unten, denn es war wieder einmal an der Zeit, sich um den Garten zu kümmern.
Der Gedanke an eine Schatzsuche ließ ihn jedoch nicht mehr los. In seiner Vorstellung reiste er direkt durch die Wege in eine geheime Kammer voller Schätze, aber sein logischer Verstand tadelte ihn sofort für solch unrealistische Träumereien. In der Tat konnte man sich in den Wegen zu genauer bezeichneten Orten treiben lassen. Doch kostbare Schätze waren durch Verschleierung und weitere Schutzzauber gesichert, weswegen man sie auf diese Art und Weise weder aufspüren noch erreichen konnte. Ganz ähnlich wie die gut geschützten Türme der Turmherren. Um zu ihren Kollegen zu reisen, mussten sich selbst die hohen Magier eine entsprechende Genehmigung einholen.
Daraus schloss Eryn: Wenn es so einfach wäre, dann hätten es schon viele andere vor mir versucht. Außerdem, von den Türmen weiß man wenigstens, wo genau sie sich befinden – was man von verborgenen Schätzen nicht sagen kann.
Dieses Problem beschäftigte ihn eine Weile vergeblich. Dann, am Abend, entschied er, die Grübelei für heute sein zu lassen und briet sich ein Huhn über dem Feuer. Von Zeit zu Zeit drehte er den Spieß, damit das Fleisch nicht verbrannte. Dabei sah er dem Spiel der Flammen zu, wie die orangegelben Drachenzungen nach oben schossen und an dem Fleisch leckten. Ein köstlicher Geruch breitete sich im Raum aus, der Eryn das Wasser im Mund zusammenlaufen ließ. Die tänzelnden Flammen waren ähnlich schön wie der Anblick fließender Magie und da hatte Eryn plötzlich eine Eingebung.
„Das ist es!“, rief er laut aus und klatschte in die Hände. Ich darf nicht nach dem Hühnchen suchen, sondern ich muss nach den Flammen suchen. Die Wege sind ein Ort der Muster und auch eine Verschleierung hinterlässt ein magisches Muster. In der realen Welt kann eine gute Verschleierung alles verbergen, sodass auch ein versierter Magier nichts zu finden vermag. Aber wenn ich recht habe, dann verhält sich dies in den Wegen anders. Und sein Gefühl sagte ihm, dass er mit seiner Vermutung richtig lag. Er war so aufgeregt, dass er sofort Gewissheit haben wollte und darüber sogar das köstliche Hühnchen vergaß.
Er eilte nach draußen und reiste zu seinem Tor-Experimentierfeld. Das waren seine selbst auferlegten Sicherheitsvorkehrungen, denn auf der Sichel-Insel wurden keine Torzauber durchgeführt und er reiste dorthin stets nur durch ein Tor im Wasser.
Als er zu später Stunde wieder zurückkehrte, hatte er gleich zwei Erkenntnisse gewonnen: Hühnchen, die zu lange über dem Feuer hängen, verbrennen. Und die Muster der Verschleierung konnte man tatsächlich aufspüren.
Doch von dieser Erkenntnis bis hin zum Erfolg war es noch ein langer Weg. Aber schon am nächsten Tag machte sich Eryn voller Eifer an die Arbeit. Lediglich nach einer Verschleierung zu suchen, funktionierte nicht. Das scheint zu unbestimmt zu sein. Erst als er die Adresse des Ortes mit angab und sich schon nahe am Austrittspunkt befand, konnte er das magische Muster als Lichtpunkte im grauen Nebel entdecken. Aber darin liegt mein Problem. Denn den genauen Ort eines Schatzes kenne ich nicht. Ich brauche mehr Variablen, um letztendlich an die richtige Position zu gelangen. Ich muss mich in die Lage des Versteckers hineinversetzen. Welche Zauber würde ich wirken, um etwas zu verbergen? Und wenn es mir gelingt, eine dieser Hüllen nachzubauen, dann müsste ich den Ort finden. Natürlich ist dabei auch noch eine gehörige Portion Glück vonnöten, da ich auch nicht weiß, wie diese Hülle im Detail aussieht.
Allerdings gab es gewisse Regelmäßigkeiten, wie Magier üblicherweise vorgingen, wenn sie etwas verbergen wollten. Diese Regeln hatte Eryn bei seiner Ausbildung in Naganor frühzeitig gelernt und später auch oftmals selbst angewendet. Natürlich gab es einen gewissen Spielraum, doch die meisten Magier waren Gewohnheitsmenschen mit einem deutlichen Hang zur Faulheit. Kurzum, man erledigte die Aufgabe der Sicherheit mit einem minimalen Aufwand.