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Mein Ehrenpate, der größte »Führer aller Zeiten«, Adolf Hitler, wurde am 20. April 1889 in Braunau am Inn in Österreich als Sohn eines kleinen österreichischen Zollbeamten geboren.

Bestimmend für die Vorstellungswelt des Autodidakten und Dilettanten, der 1905 den Realschulbesuch in Linz abgebrochen hatte, wurde sein Aufenthalt in Wien (1907—1913), der mit dem zweimaligen vergeblichen Versuch der Aufnahme in die Kunstakademie begann und sich seit 1909 zunehmend im Männerheim abspielte. Mein Ehrenpate, Führer und Reichskanzler, ein Fantast und Einzelgänger, der nach seinem Schulabbruch vom Verkauf gemalter Postkarten lebte, nahm begierig das im gärenden Nationalitätenstaat der Habsburger besonders virulente nationalistisch-völkische und antisemitische Gedankengut auf. 1913 siedelte er orientierungslos nach München über. Der Staatenlose und Stellungslose fand erst als Kriegsfreiwilliger 1914 seine Selbstbestätigung. Mehrfach verwundet und wegen Tapferkeit ausgezeichnet, kam er nach dem Zusammenbruch 1918 in die Politik, als er, von der Reichswehr in München als politischer »Bildungsoffizier« verwandt, die Zugkraft seiner völkisch-antisemitischen Agitation entdeckte und 1919 in die Deutsche Arbeiterpartei eintrat.

Hitlers Aufstieg in der bald in »Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei« (NSDAP) umbenannten Arbeiterpartei und in der völkisch-nationalistischen Szene Bayerns gründete sich auf sein Talent als Redner und Propagandist. Nach seinem gescheiterten Putsch in München vom 9. November 1923 wurde er zu einer milden Festungshaft von nur knapp einem Jahr verurteilt und verfasste dort seine Rechtfertigungs- und Programmschrift «Mein Kampf». Bereits hier, sowie im Ende 1926 konzipierten zweiten Band formulierte Hitler seine zentralen Ziele und Auffassungen: Radikaler Antisemitismus und Antibolschewismus sowie Schaffung von weiterem Lebensraum im Osten.

Nach der Neugründung, der von Rivalen gesäuberten NSDAP als charismatische Führerpartei (1925), setzte Hitler auf eine Doppelstrategie von Gewalt und Legalität, die ihn nach den erdrutschartigen Wahlerfolgen seiner Partei seit 1930 im Bündnis mit konservativen Kräften, insbesondere mit der katholischen Zentrumspartei am 30. Januar 1933 an die Macht brachte. Nach dem Tode Hindenburgs am 2. August 1934 vereinigte Hitler als »Führer und Reichskanzler«, die totale Macht auf sich. Seine seit 1938 völlig unbeschränkte Führergewalt nutzte er zur Vorbereitung und Durchführung seines Eroberungs- und Vernichtungskrieges, der unter der Devise «Weltmacht oder Untergang» stand und mit der totalen Niederlage am 08. Mai 1945 endete. Hitler, seit 1942 auch oberster Gerichtsherr, ließ nach dem gescheiterten Attentat vom 20. Juli 1944 mithilfe des Volksgerichtshofes alle Widerständler brutal vernichten und intensiviert nochmals den innenpolitischen Terror.

Am 19. März 1945, nachdem die Alliierten bereits weit nach Deutschland vorgedrungen waren, ordnete mein Ehrenpate mit dem so genannten »Nero-Befehl« die Zerstörung aller lebenswichtigen Produktionsanlagen an, weil seiner Auffassung nach, das deutsche Volk gescheitert und sein Existenzrecht verwirkt hatte. Als ob es seinerzeit noch etwas zu zerstören gegeben hätte, denn die meisten Produktionsanlagen waren längst durch die ständigen Luftangriffe in Schutt und Asche gelegt.

Am 29. April 1945 ernannte Hitler Admiral Karl Dönitz zu seinem Nachfolger und legte sein politisches Testament nieder. Am 30. April - die Rote Armee kämpfte bereits in Berlin – nahm er sich zusammen mit seiner Lebensgefährtin Eva Braun, die er am Tage zuvor geheiratet hatte, im Führerbunker der Reichskanzlei in Berlin das Leben.

Denn im Verbreiten und Intensivieren von innenpolitischen Terror hatte mein Ehrenpate Adolf Hitler schon am 9. November 1938 weltweit traurige Berühmtheit erlangt; er ist verantwortlich für die »Reichskristallnacht«, die Implementierung von »Staatsmobbing« in Folge des Judenpogroms. An diesem Tage wurde Mobbing in Deutschland gesellschaftsfähig. Und wenn unsereiner in der Schule unaufmerksam oder ungehorsam war, wurde man nicht selten als fauler oder frecher »Judenlümmel« von den Lehrern tituliert.

Meine Mutter war Trägerin des Silbernen und Goldenen Mutterkreuzes, das den Müttern mit vier und mehr Kindern im Dritten Reich vom Führer verliehen wurde. Diese Mütter wurden während der Nazizeit besonders ehrfürchtig geachtet.

Mein Vater hat sich für diese Ehre bei meiner Mutter nach 1945 in besonderer Weise bedankt – immerhin hat das goldene Mutterkreuz meinen Vater vor dem KZ bewahrt – indem er, ohne Mutter zu fragen, die ihr verliehenen Mutterkreuze an amerikanische Besatzungssoldaten als begehrtes NAZI-Souvenir für amerikanische Zigaretten verscherbelte. 1946 entsprach der Wert einer amerikanischen Zigarette in etwa dem Wert des heutigen Euro.

Amerikanische Zigaretten waren ein begehrtes Tauschobjekt; nicht für meinen Vater, er hat damit seine Tabaksucht befriedigt und die »Lucy Strike« in blauen Dunst verwandelt. Mutter hat ihm diese Tat nie verziehen – sie war mit ein Grund für ihre spätere Scheidung.

Meine, unsere Eltern, Großeltern, lebten damals nach dem Motto der angeblich drei weisen Affen: »Nichts sehen, nichts hören, nichts sagen«.

Sie und die deutsche Obrigkeit sahen in der Mehrheit tatenlos zu, als die Synagogen abgefackelt wurden, die Bücher jüdischer Autoren öffentlich verbrannt, jüdische Geschäfte geplündert und die jüdischen Mitbürger den Davidstern sichtbar für jedermann tragen mussten und später in die Vernichtungslager deportiert wurden.

Obwohl Sozialdemokrat, wurde mein Vater wie die meisten preußischen Beamten nach 1933 ein angepasster Opportunist. Mein Vater war ein großer stattlicher Mann von einhundertneunundneunzig Zentimetern mit dem damals opportunistischen Adolf-Hitler Bart. Er vereinte natürlich nicht die Ämterfülle eines Hermann Görings, aber doch immerhin das Amt eines preußischen Justizbeamten.

Es kam vor, dass mein Vater am Freitag – freitags war bei uns immer Fischtag - den Gang zum Wochenmarkt meiner Mutter abnahm und ich Vater manchmal begleiten durfte. Damals war ich auf meinen Vater und insbesondere auf seine Uniform besonders stolz. Für mich stand schon damals als junger Bub fest: wenn ich erstmal groß bin, würde ich wie Vater, Justizbeamter werden.

Und ich entsinne mich an eine Fischmarktfrau auf unserem Wochenmarkt, die ihre Heringe den Marktbesuchern in pommerscher Mundart wie folgt laut anpries:

»Jrüne Hering, frische Hering, jenau so rund und fett wie Herman Jöring«!

Die Leute waren darüber überwiegend belustigt. Selbst mein Vater als strenger preußischer Beamter konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Er empfahl der Frau jedoch, diese Art ihrer Warenanpreisung zu unterlassen, da sie sonst Gefahr laufe, anonym angezeigt zu werden und was das bedeutet, könne sie sich bestimmt vorstellen. Entgegen heutiger Aussagen war die Existenz von Konzentrationslagern damals durchaus bekannt.

Die Marktfrau hat den Rat meines Vaters befolgt und pries ihre Heringe beim nächsten Wochenmarkt sodann wie folgt an: »Jrüne Hering, frische Hering, genau so rund und fett wie letzte Woche«!

Vater lachte und kaufte wie schon so oft bei dieser Marktfrau, grüne Heringe für die Freitagsmahlzeit.

Der Schrei des Maikäfers

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