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Kapitel 1

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„Warum glaubst du mir nicht?“ Tina sah ihren Ehemann mit feuchten Augen an. Ihre schönen, weichen Lippen bebten.

Tränen rannen aus ihren himmelblauen Augen. Verzweiflung und Hilflosigkeit spiegelten sich in diesen Seelentropfen wider. Die Eifersuchtsszene, die Rocco ihr gerade machte, war nicht die Erste in der einjährigen Ehe.

„Ich kenne doch meinen Freund Sandro“, schrie Rocco seine sehr viel jüngere Frau unbeherrscht an. „Er konnte noch keiner Frau widerstehen. Aber dass er es nun auf meine abgesehen hat …“

Rocco schüttelte mit angewiderter Mine den Kopf. Seine schwarzen Augen sprühten Funken. Die Farbe in seinem Gesicht hatte ein ungesundes, dunkles Rot angenommen.

„Bitte Rocco“, sagte Tina mit der weichen Stimme, die ihr Mann so sehr liebte, „beruhige dich. Es war nicht so wie du denkst. Sandro hat mich nur aufgefangen, weil ich gestolpert bin.“

„Ich bin zwar fast dreißig Jahre älter als du, aber das heißt noch lange nicht, dass ich schon blind bin“, fuhr Rocco voller Wut fort. „Sandro hat dich leidenschaftlich in die Arme gerissen und du hast es geschehen lassen. Ich habe doch genau gesehen, wie du dich an ihn geschmiegt hast.“ Rocco ballte seine Hände zu Fäusten, bis die Knöchel weiß hervortraten.

„Das stimmt doch gar nicht!“, rief Tina in einem gequälten Ton. „Das hast du dir nur eingebildet, weil du eifersüchtig bist.“ Sie schnappte nach Luft. „Du glaubst, jeder Mann will etwas von mir. Ich habe dich noch nie betrogen! Warum vertraust du mir nicht endlich?“

Tina konnte die Tränen nun nicht mehr länger zurück halten, sie kullerten ihr über beide Wangen und tropften auf das Oberteil ihres Kleides.

„Aber jetzt betrügst du mich und zwar mit Sandro, meinem besten Freund“, beharrte Rocco mit stechendem Blick und fuhr mit verbitterter Mine, aber etwas ruhiger fort: „Du hast dich verändert, Tina. Als ich dich vor eineinhalb Jahren kennen gelernt habe, warst du ein Engel. Ein blonder, anschmiegsamer Engel, der keinem Menschen etwas Böses hätte antun können. Und jetzt …“ Seine dunkle, stets etwas rau klingende Stimme, gewann wieder an Kraft. „… und jetzt hintergehst du mich schändlich. Du hattest es von Anfang an nur auf mein Geld abgesehen. Aber glaube mir, ich werde mein Testament ändern. Du wirst nicht die Alleinerbin sein. Ich werde …“

„Mir ist dein Geld völlig gleichgültig“, unterbrach Tina mit kreischender Stimme ihren Mann - zum ersten Mal in ihrer Ehe -, denn sie fühlte sich am Ende ihrer Kraft. „Wenn sich einer von uns verändert hat, dann bist du es und nicht ich. Wenn ich vor einem Jahr gewusst hätte, wie du mir mit deiner unbegründeten Eifersucht das Leben schwer machst, hätte ich dich nie geheiratet! Dann …“

„… dann hättest du dir Sandro genommen, nicht wahr?“ fiel Rocco ihr nicht minder laut ins Wort. „Er ist ja auch jünger als ich und dabei genauso reich. Aber du kannst ihn haben. Morgen werde ich zum Anwalt gehen und die Scheidung beantragen.“

Tina starrte ihren Mann einen Moment lang fassungslos an. Seine Ungerechtigkeit verschlug ihr die Sprache. „Einverstanden,“ sagte sie mit ruhiger, eisiger Stimme. „Das ist vielleicht gar keine schlechte Idee.“

Rocco holte tief Luft und begann seine Frau aufs übelste zu beschimpfen. Eine unendliche Kaskade von Beleidigungen prasselte auf sie nieder.

Tina wollte sich gerade wieder umdrehen und die Bibliothek verlassen, in der die schreckliche Szene statt fand, als Rocco jäh verstummte. Seine rechte Hand fasste ans Herz und er begann zu torkeln.

„Rocco!“, rief Tina besorgt und machte einen Schritt auf ihn zu. Sein Gesicht wurde aschfahl, seine Lippen färbten sich bläulich. Mit der linken Hand versuchte er, sich an dem antiken Schreibtisch, der vor dem geöffneten Fenster stand, festzuhalten. Doch seine Kraft verließ ihn. Wie ein Klappmesser kippte er nach vorne und blieb zusammengekrümmt auf dem kalten Marmorboden liegen.

Tina ging rasch auf ihren Mann zu und kniete sich neben ihn.

„Rocco?“, sprach sie ihn mit verzweifelt klingender Stimme an. „Rocco?“

Der Angesprochene öffnete die Augen. Nur Hass war in ihnen zu erkennen. „Falls ich jetzt sterben sollte, hast du mich auf dem Gewissen“, stieß er heiser hervor. „Ich verfluche dich, und ich schwöre dir, dass du nach meinen Tod keinem anderen Mann mehr gehören wirst. Ich werde dich zu mir holen!“

In einer anderen Situation hätten solche Worte Tina einen Schauer über den Rücken gejagt. Doch in diesem Moment nahm sie sie gar nicht richtig wahr. Viel zu groß war die Angst, ihr Mann könnte in ihren Armen sterben. „Bleib ganz ruhig liegen.“ Sie beugte sich über ihn und nahm sein Gesicht liebevoll in beide Hände. „Es wird alles gut, Liebling. Ich rufe jetzt den Arzt. Er wird in ein paar Minuten hier sein.“

Tina stand auf und lief mit zitternden Knien zum Telefon in die Eingangshalle Nur wenige Augenblicke dauerte das Gespräch. Als sie in die Bibliothek zurückkam, sah sie ihren Mann auf dem Rücken liegen. Seine schwarzen Augen starrten mit leerem Blick an die Decke!

Rocco war tot!

Roccos Geist

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