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Ich heiße Jeff

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Ich heiße Jeff. Ich heiße wirklich so. Meine Mutter stammt aus Landshut, Niederbayern. Ich heiße trotzdem Jeff. Jeffrey Williams. Ike Bell, so heißt der, der meiner Haut ihre schöne Farbe gab. Mein Vater ist US-Soldat und war in Landshut stationiert. Mehr weiß ich nicht von ihm. Meine Mutter ist blond, sehr blond und sehr blauäugig. Sie arbeitete in der Kantine der US Army. Ein Püppchen, auf das die halbe Einheit scharf war. Sie genoss es und gebar fünf Kinder. Von vier Vätern. Mit einem war sie sogar verheiratet, deshalb heiße ich Williams.

Alle ihre Männer waren schlecht, sagt meine Mutter. Vor allem waren sie nicht da. Und meine Mutter auch nicht. Das Einzige, an das ich mich sehr gut erinnere, ist dieses Zimmer mit dem Doppelbett und der verschlossenen Türe: Larry, Peggy und Ricky, meine älteren Geschwister, meine kleine Schwester Felicia und ich verbrachten Stunden und Tage dort. 'Allein' wäre das falsche Wort. Wir waren ja zu fünft.

Als ich drei war, stellt das Landshuter Jugendamt durch einen glücklichen Umstand fest, dass wir alle ein bisschen unterernährt waren. Ich bekam ein eigenes Bett, in dem katholischen Kinderheim, in dem uns die Behörden unterbrachten. Meine Wohngruppe bestand aus zwölf Buben, meinen beiden älteren Brüdern und mir, betreut von einer Nonne und einer Erzieherin aus dieser Welt. Wir frühstückten zusammen, gingen zusammen in die Schule, sangen gemeinsam im Kirchenchor, machten zusammen Hausaufgaben und spielten zusammen Fußball. Alles war geordnet und hatte seine Regeln. Und es gab regelmäßig Essen, so viel ich wollte. Ich fühlte mich wohl im Heim.

Wenn wir im Garten Fußball spielten, sahen wir unsere Schwestern, Peggy und Feli, und die anderen Mädchen. Eine gefiel mir besonders. Irgendetwas an ihr zog mich an, ich wollte in ihre Nähe und eines Tages ergab sich die Gelegenheit. Sie stand am Zaun und lächelte wieder herüber. Bevor ich noch überhaupt einen Plan fassen konnte, was ich tun könnte, bekam ich von hinten eine auf den Latz.

"Wo schaust denn du hin?", fuhr mich die Nonne an, die uns beaufsichtigte.

"Da hinten auf den Kirschbaum. Weil der so tolle Kirschen hat."

Früchte waren erlaubt, Mädchen nicht. Die Schwestern hatten ein strenges Auge auf uns und jeglichen Kontakt mit dem anderen Geschlecht extrem unterbunden. Kein Blick, kein Wort war erlaubt. Natürlich reizte uns genau das. Die einzige Gelegenheit, wenigstens einen Blick über die Schwelle zu werfen, gab es in der Kirche. Streng katholisch getrennt saßen unsere Heimmädchen auf der anderen Seite des Mittelgangs. Schon beim Reingehen hatten die Köpfe aller Jungs einen Drall in ihre Richtung.

Wie es sich für eine gute katholische Erziehung gehört, ministrierte meine ganze Wohngruppe. Gott sei Dank endete meine Kirchenkarriere schon früh, und zwar genau in dem Moment, als der von mir bis in die Waagrechte geschwenkte Weihrauchkessel am Knie des Pfarrers aufbrach. Weil der Pfarrer dabei nicht abfackelte, konnte er meinem Dienst in der Kirche umgehend ein Ende setzen.

"Es wäre wohl besser, wenn du das Haus Gottes verlässt, mein Freund", sagte er. Es war mir recht. Mein Leben war gut, wie es war, zumindest glaubte ich das. Wozu erst durch das Fegefeuer und auf etwas Besseres hoffen?

Es kam noch besser, völlig ohne Hölle. Aus welchem der Jungs denn noch etwas werden könnte, fragte Carl-Gustav eines Tages den Heimleiter. Carl-Gustav war ein angesehener Geschäftsmann in Landshut. Rotarier, mit viel Geld und sozialem Gewissen. Ich weiß nicht genau, wie der Heimleiter auf mich gekommen war. Mit zehn bekam ich also wohlhabende Pateneltern und verbrachte die Wochenenden fortan mit Inge und Carl-Gustav in einer bayerischen Landhausvilla, zwischen Hirschgeweihen und Heimatfilmen. Ich, Jeff aus dem Kinderheim. Kaiserin Sissi wurde zu meiner Welt. Ich kann heute noch den Franz.

Wie üblich sicherte ich meinen Teller mit dem ganzen linken Arm, als ich meine ersten Spaghetti in der Villa bekam. Ich beugte mich tief über die Schüssel und schaufelte im Rundschlag hinein, damit mir niemand etwas wegnehmen konnte. Aber keiner wollte an meine Spaghetti. Meine Pateneltern sahen mich an, als sei ich von einem anderen Stern. Ich aß langsamer und als ich als letzter die Gabel auf den Tisch legte, wollte gar keiner, dass ich abspülte. Ich war wirklich in einer anderen Welt gelandet.

Meine Pateneltern zeigten mir, wie man Spaghetti richtig isst und vieles andere mehr. Wir machten Ausflüge. Ärzte und Rechtsanwälte, Landshuts Großbürger, gingen bei uns aus und ein. Ich sah, wie man sich in diesen Kreisen bewegt. Wie man sitzt, spricht und wo das Besteck liegt. Zurück im Kinderheim aß ich meine Spaghetti fortan so vorbildlich, wie es sich gehörte. Danach war ich der, der als letzter hungrig in den leeren Topf schaute und ihn abspülte. Es blieb mir nichts anderes übrig, als den Rundschlag anzuwenden, um wieder im Rennen zu sein. Ich lernte, dass es zwei Welten gab und ich lernte, mich anzupassen. Ich hatte alles. Ich war glücklich. Doch irgendetwas, ich wusste nicht was, fehlte mir.

Meine Mam besuchte uns ein einziges Mal im Heim. Vielleicht war sie auch öfter da, ich erinnere mich nicht. Nur dieses eine Mal blieb in meinem Gedächtnis. Meine Mutter ging gerade die Treppen hinunter, mit meiner kleinen Schwester an der Hand, als ich sie sah. Ich rief nach ihr. Sie drehte sich um und freute sich, mich zu sehen. Sie tat so. Die Wohngruppe meiner Schwester lag ein Stockwerk über uns und sie war auf dem Weg nach unten an meiner Etage schon vorbei gegangen. Ohne stehen zu bleiben. Ohne nach mir zu sehen. Sie wollte gar nicht zu mir. Ich habe meine Mutter nie vermisst, und in dem Moment wusste ich, dass ich auch keinen Grund dazu hatte.

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JEFF... ich heiße Jeff!

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