Читать книгу Lustbewusst - Simone Hotz - Страница 7
ОглавлениеES GEHT ZUR SACHE
SCHAM AM START
Bevor wir tiefer in die Thematik »eindringen« – es also richtig zur Sache geht –, möchte ich mich einem wichtigen, weil nicht zu unterschätzendenden und allseits bekannten Phänomen widmen. #die_scham_am_start Das Wort Schamhaftigkeit ist heute nicht mehr gebräuchlich. Natürlich schämen wir uns alle hin und wieder und benennen das dann womöglich auch so. Auf jeden Fall fühlen wir es! Doch Scham muss differenziert werden. Es ist klar, dass sie manchmal – nicht immer – durchaus angebracht ist. #werte Aber Worte wie, des deutschen Dichters Wolfram von Eschenbach, empfinden wir zu Recht als schwülstig und sehr mittelalterlich. Scham hat heute nichts zwingend Tugendhaftes mehr, was zu Zeiten des lieben Wolfram definitiv so war. Vor allem in Sachen weiblicher Sexualität. Schamhaftigkeit und Keuschheit (sexuelle Enthaltsamkeit) galten für die Frau als wichtige moralische Verhaltensregeln: Scham hindert Schande, besagt ein weiteres altes deutsches Sprichwort. Eine schamlose oder nennen wir sie geschickter schambefreite Frau taugte nichts, und eine ansatzweise freie selbstbestimmte sexuelle Aktivität der Frau war undenkbar, mehr oder weniger übrigens bis in die frauenbewegten 1968er Jahre. #tomatenwurf Und obwohl jene edle Tugend der Schamhaftigkeit viele Jahrhunderte zurückliegt, obwohl viele Frauen mit oder ohne Tomaten einiges bewegt haben, schämen wir uns. Die Männer auch, doch um die geht es gerade nicht. Mann, Frau, Mensch – Scham ist heute ausgesprochen individuell und gleichzeitig (!) kollektiv. Scham ist, anders ausgedrückt, ein individueller Wert, den es gleichfalls zu respektieren gilt.
»Genau wie wir nicht überall nackt sein wollen, wollen wir nicht überall mit Sex zu tun haben. Dass es Schamgefühle gibt, ist menschlich. Was genau wir aber als Intimität oder Tabu empfinden, ist verschieden: Ob wir uns schämen, weil uns jemand in die Augen sieht oder weil man unseren Bauchnabel sehen kann oder weil wir zwei Hunde ficken sehen, hängt davon ab, wo und wie wir leben. Zu viel Offenheit ist Belästigung. Wir wollen nicht von allen alles hören, und wer allzu offen ist, scheint kein Geheimnis mehr zu haben.«1
Unsere Scham ist natürlich, das beschreibt auch Margarete Stokowski in ihrem Buch Untenrum frei. Untenrum frei, darum geht es in Sachen Scham aber auch. Es geht darum, dass man untenrum frei oder besser gesagt freier sein kann, wenn man es möchte. Dass ein Mehr an Freiheit auch ein Mehr an Verantwortung bedeutet, ist klar. Ich will es an dieser Stelle aber sicherheitshalber noch einmal »von Fuchs zu Hase« erwähnen … #mein_name_ist_hase_ich_weiß_von_nichts! Und es geht darum, dass man sich für seine eigene Freiheit nicht zu schämen braucht, auch nicht als Frau. Dies sollte eigentlich gesetz(t) sein.
Scham ist also mehr oder weniger ein Produkt von Gesellschaft, sprich Erziehung und Sozialisation. Auch von Zeitgeist, siehe Wolfram. #keusch Ich möchte niemanden nötigen, in der Frauendusche des Schwimmbads seinen Badeanzug beim Duschen auszuziehen, wenn frau es nicht möchte und es vorzieht, den Badeanzug untenrum einzuschäumen. Aber umgekehrt möchte ich, dass es ebenso möglich ist, unterm Rock keinen Slip zu tragen, OHNE dabei per se als Schlampe oder gefährlich zu gelten. #vulva_dentata Und ich möchte, dass beide Damen, die mit Badeanzug und die ohne Slip, verstehen, dass die Dinge mit Größerem zusammenhängen.
Dass es ihnen bewusst ist. Es geht mir in diesem Buch, wenn ich von Scham im wolframschen Sinne spreche, nicht um die Abschaffung von Intimität, von individuellen Werten oder Geheimnissen. Sie sind wunderbar und essenziell, gerade im Sexuellen! #ganz_ohne_slip Ich will auch die individuellen Schamgefühle nicht per se als schlecht deklarieren. Sie sind viel mehr wertvoll, interessant und menschlich. Es geht mir dennoch gleichzeitig um Befreiung: um einen möglichst individuellen Freiraum – auch im Sexuellen –, und vor allem um ein Bewusstsein darüber, dass man womöglich unfreier ist als gedacht. Jetzt wirst du vielleicht, fast affekthaft, denken: Wieso? Wir sind doch frei! Jede kann heute schließlich ganz frei von Scham herumvögeln, wenn sie Bock drauf hat! #tinder_wisch_und_ weg Ich denke zur Freiheit: Jein. Zum Vögeln: Ja. Doch, mal abgesehen davon, dass viele Menschen aus dieser Freiheit des Herumvögelns, meiner Meinung nach, eine bewusstlose Challenge oder Jagd machen (#sportlich), sind wir dennoch nicht frei! Und auch nicht zwingend frei von Scham. Und hier meine ich jetzt jene Scham, die uns einengt, die uns davon abhält, uns selbst zu finden und vor allem unser Selbst zu zeigen: unsere ganz persönlichen sexuellen Bedürfnisse, sprich das, was wir brauchen, mögen, lieben, ersehnen. Viele vögeln umher, weil sie der Meinung sind: Hey! Das kann frau heute ganz selbstbestimmt, sie ist schließlich emanzipiert … Und sie denken und handeln so, weil sie kein Bewusstsein besitzen, was sie tief im Innern wirklich wollen und brauchen. #(ver)bindung? #lustleben? #ficken? Sie spüren ihre pulsierenden Adern nicht; haben sich nie darauf besonnen. Begreifen nicht, dass es womöglich um mehr geht.
Verena Bogner, eine junge Bloggerin, erzählt im Internet aus ihrem Leben und schreibt: »Wir sollten aufhören, uns voreinander für unseren Körper zu schämen.« Auch Verena schreibt von bestimmten Regionen am Körper der Frau.
»Ich glaube, dass man schon als kleines Mädchen gewissermaßen eingetrichtert bekommt, dass man bestimmte Körperteile lieber so gut wie möglich unter Verschluss halten sollte – vor egal wem. (…) Frauen, die gerne mal breitbeinig sitzen oder aufreizend angezogen sind, ganz offen mit ihrer Weiblichkeit und ihrer Sexualität umgehen und nicht so tun, als wäre der weibliche Körper ein mystischer Tempel, der zu allen Tagesund Nachtzeiten nach Rosen duftet und dessen Anblick nur für wenige vorbehalten ist, werden oft verurteilt. In den Augen vieler Menschen gelten sie noch immer als Schlampen oder zumindest als verzweifelt.«2
Frauen schämen sich für ihre sichtbaren Geschlechtsteile. Das tun sie natürlich nicht nur, weil diese so heißen wie sie heißen, Schamhaar hin, Schamlippe her, oder weil Wolfram uns ins Ohr flüstert »schäm dich!«, sondern auch, weil uns Scham aktiv eingepflanzt, gelehrt und vorgelebt wird. Von Kindheit an. Ich bin wie ein Schwamm, der alles aufsaugt, was an Flüssigkeit um ihn herumsifft. So sind alle Menschen! Wir sitzen nicht trocken, abgeschirmt hinter Glaskugeln, und Mama und Papa filtern uns die Welt. Oder träufeln uns hin, was wir dann aufsaugen »dürfen«, was uns als Schwämmchen nicht überfordert. Das ist einerseits gut, wer will schon elterliche Flüssigkeitszensur? Schon gar nicht in der Pubertät oder darüber hinaus! Aber manchmal wäre so ein Schutz, im Sinne von Dosierung, auch gut. Doch so läuft Sozialisation nicht. Denn das ausgewählte Hinträufeln bereitet nicht auf die große weite Welt und das Leben vor. Scham ist etwas Stilles, auch Sozialisation ist still – und gleichzeitig gellend laut und geballt. Man redet nicht, wenn man sich schämt, oder darüber, dass man sich schämt. Man tut es halt nur. Das erfahren, sehen, »riechen« bereits Kinder, und machen es nach.
Wir sind umgeben von Idealen. Ideale, die uns ständig und vehement vermittelt werden – auch medial. Und als ob die Welt nicht kompliziert und anstrengend genug wäre, springen wir drauf, auf diesen Zug, und fahren mit.
Kleiner Exkurs zur optischen Gewöhnung
Es gibt wissenschaftliche Erkenntnisse dazu, dass Menschen sich sexuell an optische Reize gewöhnen. Das wird heute auch im Zusammenhang mit Pornografie diskutiert. Man spricht von einem Effekt der Habitualisierung, wenn sich individuelle Erregungsmuster durch Bilder verändern. Durch Gesehenes. Wenn Personen theoretisch nur noch auf Frauen sexuell reagieren, die aussehen wie Porno-Bunnys und sich so verhalten. Ich denke, auch mit der Intimrasur verhält es sich so. Geschlechtsübergreifend. Also nicht zwingend als erregender Stimulus, aber auch. Wir gewöhnen uns an Dinge, Sprache wie Bilder, »nehmen sie mit«, und sie machen etwas mit uns. Wir finden glattrasiert schöner, womöglich begehrenswerter. Auch wir Frauen. Und alle, die in den 1990er Jahren oder danach Teenager waren. Nicht weil es wirklich schöner ist. Sondern weil wir hören und sehen, dass es schöner ist. #mutti_rasiert_jetzt_auch So bearbeiten wir unter anderem unseren Venushügel Tag für Tag (und das ist, um es mal vorsichtig auszudrücken, in der Praxis schon Arbeit, Stress, nervig, zuweilen pickelig, stoppelig, einschneidend – ätzend!). Doch es scheint unsere »heilige Pflicht«3 zu sein. Eine Frau muss tun, was eine Frau tun muss! Wir machen sie weg, die Haare, für die es sich – unfrisiert – seit den 1990er Jahren scheinbar »ungepflegt« zu schämen gilt; und nicht nur untenrum. #achseln #beine #unterarme? Das ist wie gesagt ein Generationending: Natürlich ist es deiner und meiner Oma nicht wirklich unangenehm, dass sie alles stehen lassen können. Omi hat quasi die Absolution zum Wildwuchs (noch!?). Das hängt aber einzig und allein daran, dass Alter und Sexualität für das Gros der Gesellschaft vermeintlich nichts miteinander zu tun haben, weil das Altern ausgeblendet und förmlich verdrängt wird. Alle wollen jugendlich bleiben, weil das in vielerlei Hinsicht schöner ist. Und jugendlich ist eben glatt. #kind Wenn man so will, wird der gealterte Körper als unschön tabuisiert, genauso wie der Sex im Alter. Wie auch immer: Nackt und glatt ist geil und in! Wir gestalten unseren Intimbereich, der einst noch als Privatsphäre galt, denn er war frei von Regeln und Gestaltungsimperativen. Wir werten ihn auf, machen ihn schöner; mittlerweile übrigens nicht nur wir Frauen. Und weil sie – die Vulva – unser nacktes Geschlechtsteil nun sichtbar ist, gibt es auch hier moderne, unbegrenzte Möglichkeiten! Plötzlich bestimmen neue (auch medial vermittelte) ästhetische und ökonomische Ideen, wie etwas auszusehen hat. »Erst seit sich die Intimrasur flächendeckend durchgesetzt hat, gibt es überhaupt Schamlippenoperationen.«4 Die Schamlippenkorrektur, auch Labioplastik genannt, ist im Ranking der Schönheits-OPs kein Schlusslicht.
»Immer mehr Frauen in Deutschland bezahlen Tausende Euro dafür, dass ihnen ein paar Zentimeter überschüssige Haut entfernt werden, die im Alltag nicht sichtbar sind. Sie nehmen dafür eine Woche strikte Bettruhe, Schmerzen und Risiken einer Operation in Kauf. Sie tun dies auch, weil über das weibliche Untenrum in der Öffentlichkeit mehr geschwiegen als gesprochen wird. Weil die Vulva in der Gesellschaft zugleich tabuisiert wird und doch ästhetischen Idealvorstellungen unterliegt.«5 #schnittbrötchen
Wieso »korrigieren« wir nicht die Gesellschaft? Sondern beschneiden uns lieber selbst? #schnipp_schnapp_scham_ab #gewöhnung_hin_ oder_her!
Es ist wichtig, die Scham in den Blick zu nehmen, wenn man ein Buch über weibliche Sexualität schreibt. Sie mischt mit oder hängt mit dran an der weiblichen Lust, wie am Wort Scham-Lippe. Apropos! Ich finde, es gibt viel bessere Worte für unsere Lippen … Und eigentlich finde ich auch, eine allzu schambetonte Benennungskultur im Zusammenhang mit einer Sache, bei der es mitunter ganz schön ums Nicht-Schämen geht (#losgelassene_lust #sau_raus!) gehört verboten:
Art. 1 [GG]
(1) 1 Die Würde des Menschen ist unantastbar. 2 Sie zu achten und zu schützen – auch indem weibliche Schamlippen nicht mehr so heißen dürfen, sondern besser Vulvalippen, Charmelippen, Venuslippen, Stolzlippen, Lotuslippen, Herzblätter, Lustlippen, Lustblätter, Engelsflügel bzw. Teufelslippen (Letzteres weil so abgöttisch heiß) – ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.
Sprache prägt Verhalten. Sie macht etwas mit uns. Wenn man so will, erinnert Sprache uns auch daran, dass wir uns schämen müssen oder uns ganz und gar nicht schämen müssen. #teufelslippen Selbst wenn wir die Scham im Wort Schamlippe oder Schamhaar nicht (mehr) bewusst aufnehmen beziehungsweise denken, schwingt die Bedeutung dennoch mit. Sie dringt in uns ein. #unterbewusst #schwamm