Читать книгу Tamy - Simone Kosog - Страница 6
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Es war März 2015, ich gab mir noch diese eine letzte Pariser Fashion Week. Wenn es dann nicht klappen würde, wäre es das gewesen mit dem Modeln, dann würde ich eben etwas anderes machen. Ich war schon dabei, Pläne zu schmieden.
Es lief nichts! Kein Anruf, kein Casting bis kurz vor den Shows, als sich plötzlich meine Agentur meldete. «Wo bist du gerade? Du musst sofort kommen!» – Okay!
In der Agentur wurde ich ins Besprechungszimmer gebeten, einen kleinen Raum mit rundem Tisch, so ziemlich der einzige Platz, an dem man ungestört und ohne Zuhörer sprechen kann. Normalerweise werden hier Treffen mit Kunden abgehalten oder es finden die Teamsitzungen der Booker statt. Als Model betritt man den Raum eher selten. Beim letzten Mal, als ich hier gewesen war, hatten sie mir gesagt, dass mein bisheriger Booker soeben fristlos entlassen worden war. So viel war schief gelaufen in diesem Jahr. Ich fragte mich, was jetzt kommen würde, als die Bookerin schon mit der Nachricht rausplatzte: «Louis Vuitton will dich sehen!»
Louis Vuitton, das war High Class, die Krönung der Branche! Nie im Leben hätte ich gedacht, dass sie dort auch nur das geringste Interesse an mir haben könnten. In der Agentur waren alle aus dem Häuschen, sie coachten mich: «Geh früh ins Bett, sei du selbst, zieh dich an wie immer, Skinny Jeans, du weisst schon, glaub an dich.» All diese Sätze.
Am nächsten Tag betrat ich das Headquarter von Louis Vuitton in der Rue du Pont Neuf, ein sechs oder sieben Stockwerke hohes, von aussen nicht sehr prunkvolles Haus, an dem man leicht vorbeigehen könnte. Sobald man allerdings die Tür öffnet, ist man mitten drin im Louis-Vuitton-Luxus.
Ich fuhr mit dem Aufzug in den zweiten Stock, stellte mich vor und musste erst einmal warten. Ein paar andere Kandidatinnen sassen auch schon da. Alle anderen um mich herum waren beschäftigt. Die Models, die schon gebucht waren, probierten Kleider an, Mitarbeiter liefen gestresst hin und her, weil die Show in einer Woche beginnen würde und noch nichts fertig war. Irgendwann kam eine Frau auf mich zu und erklärte, was zu tun sei: «Hinter diesem Vorhang ist ein langer Raum mit einem Tisch am Ende, an dem ein paar Leute sitzen. Du läufst vor, wieder zurück und noch einmal vor.» Sie wiederholte das bestimmt 15 Mal – Yes, I got the message… Aber gut: Die Mädchen kamen von überall her und einer 16-jährigen Russin, die schlecht Englisch spricht, musste man das vielleicht so oft sagen. Mich machte es eher nervös. Ich wartete, die Frau schaute durch den Vorhang. «Noch nicht…» Sie schaute immer wieder. Dann plötzlich: «Now, now, now!» Ich war dran, ging hinein, machte meinen Job, die Designer wechselten ein paar freundliche Worte mit mir, aber das heisst nichts: Bis heute gelingt es mir nicht, einzuschätzen, ob sie wirklich Interesse an mir haben und ob ein Casting erfolgreich war. Anfangs dachte ich, das geht nur mir so, aber inzwischen weiss ich, dass die anderen Models nach Castings genauso schwimmen.
Und dann war ich auch schon wieder draussen.
Zurück in der Agentur wollten sie alles ganz genau wissen: «Wer war dabei?» Ich hatte keine Ahnung. «Wie sahen sie aus? Beschreib mal.» – «So ein kleiner Mann zum Beispiel mit auffallend blauen Augen.» Sie lachten – das war der Designer Nicolas Ghesquière. Ich erfuhr, dass ausserdem der Art Director, die Stylistin und die Schmuckdesignerin mit am Tisch gesessen hatten. Wir sprachen noch eine Weile weiter, bis sie mir schliesslich sagten: «Du bist gebucht!» Und nicht nur das: Louis Vuitton wollte mich exklusiv. Ich würde bei den Shows ausschliesslich für sie arbeiten!
Ich stand nur noch da und mir liefen die Tränen herunter. Ich war so kurz davor gewesen, aufzuhören – und jetzt Louis Vuitton!
Tatsächlich buchten sie mich dann nicht nur für diese, sondern für die nächsten sechs Shows und plötzlich kamen auch wieder andere Aufträge. Zum ersten Mal wurde ich für die Vogue gebucht und sogar für die italienische, in der Branche das wichtigste Blatt überhaupt. Es lief!