Читать книгу Der letzte Monarch - Simone Lilly - Страница 1

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 1.

Die Blumen wackelten gefährlich in ihren Händen. Bei jedem erneuten Ruck fielen zarte gelbe Blätter auf die Erde hinab, blieben dort auf dem weichen Gras liegen und waren bald nicht mehr zu sehen. Marléne ärgerte sich darüber, konnte aber nichts sagen. Während sie sich mit einer Hand verzweifelt an Louis klammerte, hatte sie kaum noch Zeit sich auf die Blumen zu konzentrieren. Dabei hatte sie diese so aufwendig gezupft. Extra wegen ihnen war sie früh morgens aufgestanden, mit ihren Hofdamen (welche sie überallhin begleiten mussten) in den Schlossgarten hinunter, hatte sich dort noch im sanften Violett des Morgengrauens niedergelassen und sich die schönsten Tulpen beiseite genommen. „Louis reite langsamer!“, brüllte sie ihrem Mann entgegen, doch er hörte sie kaum. Lachend dachte er erst gar nicht daran das wilde Pferd zu zügeln, gab ihm durch ihren erschrockenen Ruf erst recht die Sporen. Marléne musste schlucken. Nicht nur dass sie selbst kaum Reiten konnte, es war mit ihrem steifen Unterrock und ihrem Kleid aus vielen schweren Lagen Stoff kaum möglich, sich von selbst auf dem Rücken des Tieres zu halten. Hätte Louis nicht einen Arm um ihre Taille geschlungen, wäre sie vermutlich wimmernd auf den Gartenboden gefallen. So aber wurde sie vage gehalten.

Der Frühling war gerade angebrochen. Die Blumen und Sträucher im Schlossgarten herrlicher denn je zuvor. In all ihrer Kraft und Itensität blühten sie gegenseitig um die Wette. Jeden Tag seitdem sie geheiratet hatten, hatten sie und Louis es gepflegt, auszureiten. Zuerst noch zaghaft, besonders zur Winterszeit, doch dann immer schneller und ungestümer. So wie jetzt hatte es nicht lange gedauert und sie hatten die alten Mauern von Versailles hinter sich gelassen und waren wild lachend über das Land galopiert. Das Pferd war tapfer, es schaffte es Louis, in seinem schweren Kleid, seinem Umhang und manchmal sogar mit seiner Krone und Marléne mit ihrem Gewand, einwandfrei zu schultern, sich trotzdem schnell wie der Wind über das Land zu bewegen und jeden noch so schnellen Rappen in den Schatten zu stellen.

Sein Kopf neigte sich an ihr Ohr, obwohl der Wind sie daran hinderte alles andere zu hören, Louis‘ weiche und warme Stimme würde sie niemals überhören. „Hast du Angst?“

Sie schüttelte den Kopf, bereute es zugleich, denn sie konnte ihn auf Grund des starken Gegenwindes kaum in seine ursprüngliche Lage zurückdrehen. Beide lachten herzhaft auf.

„Pass auf die Blumen auf“, herrschte Louis sie freundlich an und gab ihr einen kurzen Kuss auf die Stirn. „Sie werden vom Wind zerstreut.“

Sie verkrampfte ihren Griff um die dünnen Stängel. Er hatte recht, schon bald wären kaum noch Tulpen übrig. Spielerisch genervt warf sie einen erbosten Blick zu ihm hinauf. Warum musste er auch so einen Umweg über das ganze Geländer machen? An diesem Tag hatten sie doch kaum Zeit sich zu vergnügen, wollten doch nur einen kurzen Besuch abstatten, dann wieder gehen und ihre Aufgaben abarbeiten.

„Da sind wir.“, sagte er, sprang noch bevor das Tier vollständig zum Stehen gekommen war ab und half ihr galant abzusteigen. Unter ihren ganzen Kleidern, Unterröcken und Rüschen war der Prinz für einen Moment nicht mehr zu erkennen. Amüsiert hielt sie sich die Hand an den Mund, noch mehr als er sich verzweifelt aus ihrem Kleid herauskämpfen musste.

Dankend nahm sie seine Hand, schritt andächtig an die gewaltige Weide heran. Der Schatten ihrer großen Zweige ließ alles unter ihrem Wipfel und um ihn herum sich kühl im Wind wiegen. Leise ging sie in die Knie, ihr Kleid berührte die schmutzige Erde, doch es war ihr egal. Sie hatte es nicht selbst zu reinigen, auch wenn es ihr gemein erschien, ihr konnte es nicht ausmachen.

Louis‘ Hand löste sich aus ihrer Umklammerung und er legte sie sanft auf ihre Schulter. Wie immer wenn sie an diesem Ort war, überkam sie ein seltsames Gefühl, ein Gefühl der Geborgenheit, der Macht und das Wissen nicht alleine zu sein.

Auch Louis wirkte bedrückt, auf eine andere Art und Weiße.

„Mein Vater wollte immer einen Sohn haben. Natürlich brauchte er einene Erben. Er hat meine Mutter nie geliebt, und doch musste er mit ihr auskommen. Einmal hat er mir anvertraut, er habe vorgehabt, hätte meine Mutter eine Tochter zur Welt gebracht, sich von ihr zu trennen. „Wenn es nicht im Leben geht, dann im Tode“, hatte er mir gesagt und mir damit gestanden er hätte sie sogar getötet, nur um sich von ihr lossagen zu können. Als meine Mutter zum Glück meinen Bruder bekam, war es meinem Vater immer noch nicht genug. „Er war zerbrechlich, es bestand die Gefahr, er würde das Kindesalter nicht überleben. Als nun du Jahre später geboren wurdest, warst du noch schmächter als dein Bruder, doch ich beschloss es war genug. Ein Segen war es für mich, als deine Mutter an Fieber erkrankte. Den Tod, Louis, das kannst du mir glauben, habe ich ihr nie gewünscht, doch ich wollte auch meinen Frieden, und den ihren. Sie wusste ich liebte sie nicht, sie liebte mich genausowenig. Auf ihrem Sterbebett wirktel sie glücklich, auch wenn du es mir womöglich niemals glauben wirst. Aber sie war es und ich war es auch.“

Man kann sich nicht aussuchen als was man geboren wird, man kann auch nicht bestimmen, zu was man erkoren wird, aber man kann das Beste daraus machen.“ , hatte er ihr gesagt, ihre Hand genommen und sie zärtlich geküsst. „Du bist das Beste, das ich aus meinem Leben machen konnte.“

Die Worte berührten ihr Herz, tiefer als jede andere Berühung, als jede anderen Worte. An diesem Tag war seine Mutter gestorben, vor vielen Jahren. Eine Selbstverständlichkeit, dass Marléne ihr ihre Achtung erwies. Ihr dankte. Ob die Worte des alten Königs stimmten wusste sie nicht, das konnte keiner sagen.

„Du hättest seine Augen sehen sollen, sie waren leer, voller Trauer. Ich habe nie viel auf Papan gehalten, aber er hat die Wahrheit gesagt, sowahr ich hier stehe.“

Wenn Louis es so empfand glaubte sie ihm. Schließlich war nur er bei ihm gewesen, nur er konnte sich dazu äußern.

Regungslos kniete sie vor den Grabsteinen. Sie wirkten so einsam, so verlassen. Nur zu zweit, in der Ewigkeit. Niemand, der sie um sie kümmerte. Die einzigen Blumen, die die Gräber zierten waren die Marlénes. Traurig. Kalter Wind kam auf.

„Lass uns reingehen.“, riet ihr Louis sanft, drückte sie nach oben und schloss seinen Arm um sie. „Es wird kühl, heute abend ist das Fest meines Vaters.“

Sie nickte und ließ sich von ihm zurück zum Schloss führen. In einer Hand hielt er sie, in der anderen die Zügel des Pferdes umklammert. Die Hufen klapperten gleichmäßig über den Kies. Der König wurde 48. Grund zum Feiern.

„Louis!“, Dámiens Rufe waren kaum zu überhören, ebenso wenig seine schweren Schritte zu ihnen. Louis erstarrte. Lächelnd drückte sie ihn von sich fort und zwinkerte ihm zu. „Geh‘, wir sehen uns heute abend, ich habe sowieso noch zu lernen.“

Mit einem verliebten Kuss verabschiedete er sich von ihr. „Bis bald“, hauchte er ihr noch entgegen, eilte dann auf seinen Freund zu.

Seufzend erklomm sie die vielen Stufen bis zu ihrem Gemach. Lernen, dieses Wort verfolgte sie seit ihrer Hochzeit. Jetzt verstand sie, warum es bürgerlichen untersagt war Adlige zu heiraten. Bestimmt nicht nur aus Stammesgründen, sondern auch aus Selbstschutz. Welche Möglichkeiten hatte jemand, der nicht mit dem ganzen Hofprotokoll und allem drum und dran aufgewachsen war, in dem Dschungel aus Höflichkeiten und Manieren zu überleben? Keine. Das musste jetzt auch Marléne erleben.

Jeden Tag lernen, Tanzen üben. Sie musste lernen wichtige Persönlichkeiten zu begrüßen, wem durfte sie die Hand zum Kuss reichen, wem musste sie sie versagen, vor wem sollte sie knicksen, vor wem nicht. Wie aß man richtig, wie hießen alle Ordensträger, wie war die Geschichte des königlichen Hauses. Wer waren Louis Vorfahren, was ereignete sich vor ihrer Zeit. Nicht erst an die Sprachen zu denken, die sie erlernen musste. So lächerlich es klang, sie musste lernen ordentliches Französisch zu sprechen, musste Spanisch, Englisch und Deutsch können. Es war ihr zu viel. Wer konnte das alles meistern? Geknickt verschwand sie in ihrem Schlafgemach und setzet sich dort an ihren Frisiertisch. Louis, er konnte es. Auch er hatte es gelernt.

Müde öffnete sie das Buch, welches sie gerade studieren musste. Es war von einem Mönch verfasst worden. Es war nicht die Bibel, es handelte von Louis‘ Ururgroßvater. Dessen Namen hatte sie sich nicht merken können, doch sie wettete, dass er ebenfalls „Louis“, geheißen hatte. So wie fast jeder hier, jeder, der den Thron bestieg, oder der dazu auserkoren werden konnte, jemals auf dem prächtigen Stuhl zu sitzen.

Ihr Rücken schmerzte, rasch legte sie ihre warme Hand auf ihre Hüfte. Es waren nicht nur ihre Knochen, ihr wurde auch eines schmerzlich bewusst, auch sie hatte ihre Söhne nach Louis zu benennen. An Töchter wagte sie nicht einmal zu denken. Das durfte sie auch nicht. Louis wäre nicht wütend auf sie, würde sie Mädchen gebären, das wusste sie, doch gegen seine Enttäuschung keinen Erben zu haben, konnte sie trotzdem nichts tun.

„Wir können uns Zeit lassen, damit Kinder zu bekommen.“, hatte er sie schon in ihrer Hochzeitsnacht überzeugen wollen. Allein schon beim Gedanken an diese Stunden, bekam sie eine warme Gänsehaut. Es war eine so wundervolle Nacht gewesen. Er war einfühlsam gewesen, geduldig. Insgeheim hatte Marléne immernoch die Befürchtung gehabt, er würde sich in ihrer Ehe ändern, doch bis jetzt hatte er dies nicht getan, worüber sie sehr froh war. „Mein Vater lebt noch, wie es aussieht noch viele Jahre. Er ist König. Wir können entspannt leben, du kannst alles lernen, wir bekommen ein paar Kinder, wenn mein Vater stirbt, besteige ich den Thron, wir haben Kinder und führen ein glückliches Leben.“

Wieder seuftze sie, wenn es doch nur so wäre. Genug, sagte sie sich selbst, legte das Buch auf ihren Schoß und öffnete es an der von ihr eingemerkten Stelle. Sie musste lernen, hatte die wenigen Stunden bis zum großen Geburtstagsfest zu nutzen. So schwer es ihr fiel.

Der letzte Monarch

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