Читать книгу Der letzte Monarch - Simone Lilly - Страница 4

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Gelangweilt trommelte er auf die Lehne seines Stuhls. Sein Vater amüsierte sich, trank ausgiebig Wein, klopfte dem Diener, welcher sich gar nicht erst vom Tisch wegzubewegen brauchte, so oft konnte er ihm das Glas erneut füllen, immer wieder auf die Schulter. So als wäre es sein bester Freund. Louis fand nichts lustig. Nicht solange Marléne nicht bei ihm war, sie war blaß gewesen, befremdend. Ihm schauderte und er richtete sich rasch vollständig nach oben, straffte seinen Rücken und trank nun selbst einen kleinen Schluck. Der Wein brannte ihm in der Kehle, rann nur zähflüssig an ihr hinunter. Sie wollte nicht, dass er sie begleitete, was war mit ihr los? Nachdenklich begutachtete er ein seltsames Pärchen, das gerade dabei war die geräumige Tanzfläche zu erobern. Die Frau war klein und dick, in ihrem roséfarbenen Kleid ähnelte sie einer übergroßen Hochzeitstorte, anstatt einer Gräfin. Sie reichte ihrem Begleiter – vermutlich ihr Ehemann – kaum an die Brust, hatte hochtupierte Haare, die mehr an einen Pudel erinnerten. Ihr Gatte hingegen hatte eine lange Statur, eine lange Nase, ein langes Gesicht. Louis schmunzelte, alles an ihm war lang. Das Lachen wurde breiter. Vielleicht nicht unbedingt alles.

Gelangweilt schielte er auf die Uhr. Es war nicht sonderlich spät, die Festlichkeiten hatten erst begonnen, doch er sorgte sich um seine Frau. Sie war schon viel zu lange fort – für seinen Geschmack.

Ratlos stand er auf, rückte sich seinen Umhang zurecht, denn er hatte sich wahllos zwischen seinen Beinen verhäddert und begab sich nach draußen vor die Türen des Saales. Seltsamerweise schien ihn keiner dabei zu beobachten, jeder war mit sich beschäftig. Aber es war ihm recht, so konnte er einfach fernbleiben so lange er wollte.

Mit sich und seinen Gedanken beschäftigt, trugen ihn seine Füße wie von selbst hinaus in den Schlossgarten, instintiv wusste sein Geist, dass er seine Frau wenn nur hier an diesem Ort finden würde. Sie liebte den Garten, womöglich auch dadurch, da er sie an ihre Kindheit erinnerte, an ihre weiten Felder und Wiesen zuhause, in ihrem Dorf. Schon als er den ersten Fuß auf den rutschigen Kies setzte, umhüllte ihn ein eisiger Wind. So kräftig, dass er sich über die Schultern rieb. Die Nacht war klar, man konnte hoch oben am Himmel jeden einzelnen Stern erkennen, es war eine romantische Atmosphäre, sollte man jedoch nicht zuvor erfrieren.

Von nicht weit hörte er matte Stimmen. Sofort erkannte er sie. Es waren Marléne und Bellé. Was sie redeten konnte er nicht genau vernehmen, aber vermuten.

Königreich, Erbe, Louis. Angestrengt bedeckte er sein linkes Ohr und lauchte mit dem anderen, beugte sich so weit es ging in ihre Richtung, sein Oberkörper hing unförmig über seine Beine.

Pflicht, Liebe. Er stockte. Sie sprachen über Liebe? Ungeachtet der Tatsache, dass Bellé und seine Frau ungestört bleiben wollten, machte er sich schnurstracks auf den Weg zu ihnen. An dunkel schimmernden Grasflächen vorbei, querfeldein durch ein Blumenbeet, bis er den Brunnen erreichte. Ein Ast knackste unter seinen Füßen, was Bellé und Marléne erschrocken aufhorchen ließ. Aus den Augenwinkeln konnte er sehen, wie Bellés Hand eilig von der Marlénes abließ. Da es aber dunkel war verwarf er den Gedanken und die aufkeimende Eifersucht schnell wieder. Vielleicht hatte er es nicht genau gesehen, außerdem würde Bellé so etwas niemals tun. Er kannte ihn und er vertraute Marléne.

„Eure Majestät.“, gespielt dramatisch sprang Bellé auf seine alten Füße und machte den Platz neben Marléne für Louis frei.

Dankbar setzte er sich, ohne aber ein Wort zu sagen. Stattdessen nahm er selbst Marlénes Hand und legte sie auf seine Brust. „Was fehlt dir?“, sorgenvoll versuchte er aus ihrem Gesicht, aus ihrem Blick irgendeinen Hinweis auf eine mögliche Krankheit abzulesen. Erkennen konnte man aber nichts. Außer, dass sie noch blaßer als zuvor gewesen war, das mochte aber an der Kälte liegen.

Sie lächelte, erst jetzt merkte er, dass ihre Lippen seltsam blau schimmerten. „Wollen wir reingehen?“, fragte er deshalb schnell, war schon im Begriff aufzustehen, wurde aber von ihr zurückgehalten.

„Nein, lass uns lieber hier draußen herumspazieren.“

„Wenn du möchtest.“

Sie nickte, woraufhin Bellé sich offiziel ausgeladen fühlte. Höflich klatschte er kurz in die Hände. „Dann werde ich mal wieder hineingehen, etwas essen.“

„Wir sehen uns, Graf“, sagte Louis freundlich, stand auf und hob Marléne zu sich nach oben.

Sie waren schon längst wieder alleine, unter sich, mit nichts anderem um sie herum, außer die stille Natur, den Sternen, konnten sie sich eigentlich alles sagen, doch sie taten es nicht. Schweigend gingen sie den Weg hinunter, zweigten nach rechts auf einen Erdweg ab und folgten ihm. Marléne wollte ihm etwas sagen, mehrmals holte sie Luft, formte Worte, brach dann aber wieder ab. So als wären die Worte für sie gefährlich, unheilbringend. Das waren sie vielleicht auch. „Was ist los?“, fragte er wieder, diesmal um einiges sanfter, versuchte ihr dadurch die Angst zu nehmen. Betont zärtlich stellte er sich ihr gegenüber, hielt sie fest umschlungen und legte ihr seine warme Handfläche auf die Backe. „Sag es mir doch.“

Sie schwieg noch immer.

Energisch rüttelte er kurz an ihr. „Ich bin dein Ehemann. Du kannst mir alles sagen, wie früher.“

„Ich weiß … aber es gibt nichts zu sagen, nichts, was ich dir nicht schon gesagt hatte.“

Es ging also um ihre Kinder, um ihre Erben. „Belastet dich das noch immer?“

Wieder nickte sie.

„Das sollte es aber nicht.“

Sie schwieg.

„Wir haben Zeit.“

Kaltes Schweigen.

Ohne weiter auf sie einzugehen, nahm er ihre Hände, wartete auf eine geeignete Stelle und stieg auf die weit entfernt zu ihnen dröhnende Musik ein. Schwungvoll und leichtfüßig tanzte er um sie herum, drehte sich und nötigte sie einfach dazu, ihm zu folgen. Zuerst schien es als würde sie ihm am liebsten mitten ins Gesicht schlagen dafür, dass er vom Thema ablenkte. Nach und nach aber fasste sie sich, lies sich ablenken. Mitten in der Nacht, an irgendeiner weit entfernten Stelle des Parks lachten und drehten sie sich, schwungvoll trieben sie auseinander, lachend wieder zusammen, drehten sich mal schneller mal langsamer. Wann immer es ihm möglich war erhaschte er einen tiefen Blick in ihre Augen. Die leuchtenden Pupillen waren nur durch das fahle Licht Versailles zu sehen, drehte sie sich in dessen Richtung, strahlten die Augen mehr als jemals zuvor mit den Sternen um die Wette. Heller als der Mond, dachte er sich angetan, zog sie nah an sich heran, legte ihr seine Hand an den Rücken und stimmte einen einfachen Walzer an. Der Durft ihres Pafümes stieg ihm beißend in die Nase, als sie ihren Kopf auf seine Schulter legte, sich eng an ihn schmiegte. Die Kälte war vergessen, schlagartig wurde ihm wohlig warm. Seine Augen wurden wässrig. Was gab es Schöneres auf der Welt, als mit ihr zu tanzen, was hatte es jemals Schöneres gegeben, als diesen Tanz. Ganz alleine, von vollkommener Dunkelheit umgeben. Nur sie, er, der Duft ihrer Haut, ihrer Haare und die leise Musik. Auf einmal wurde er müde, in Trance hörten sie fast auf zu tanzen, wippten lediglich erschöpft hin und her. Langsam gab er ihr einen Kuss auf die Wange, auf ihr Ohr, legte seine Nase an ihr hochgebundenes Haar, sog den Durft tief in sich ein, füllte seine Lungen damit. „Ich liebe dich“, flüsterte er darum bedacht, ihr nicht erregt ins Ohr zu brüllen.

Die Antwort blieb aus, Entäuschung übermannte ihn. Erst recht als Marléne ihren Kopf von seiner Schulter hob und sogar einige Schritte von ihm wich. „Ich möchte mich schlafen legen“, sagte sie kurz und gähnte ausgiebig. Der Anblick brachte ihn zum Schmunzeln. Noch nie hatte er eine so fein gekleidete Dame, geschweige denn eine zukünftige Königin gähnen sehen. Doch vor ihm durfte sie es, vor ihm durfte sie alles.

„Komm, ich bringe dich nach oben.“

„Bleibst du dann bei mir?“

Eigentlich hatte er schon vorgehabt dem Fest länger beizuwohnen, zumal es auch von seinem Vater erwartet wurde, schließlich war es sein Geburtstag. Wenn er aber die Wahl zwischen Marléne und seinem Vater hatte, musste er sich nicht lange entscheiden. „Natürlich bleibe ich das.“

Gemeinsam wollten sie gehen, doch Marléne blieb plötzlich stehen. Wie angewurzelt hielt sie inne und zog ihn an seiner Hand zurück. „W … was ist?“, fragte er überrascht, doch zu mehr kam er nicht. Seine Frau begann zu trudeln und brach dann ohne ein weiteres Wort in sich zusammen. Reflexartig griff er nach ihr, bekam sie zu fassen und hielt sie panisch fest. „Marléne?!“, ängstlich begann er sie heftig zu schütteln. Ihr Kopf wurde unsanft vor und zurückgeschleudert. Ihre Augenlider zitterten, öffenten sich aber nicht. „Marléne!“, sie reagierte immernoch nicht. Da sie von sämtlichen Wachen und Dienern zu weit entfernt waren, blieb ihm nichts anderes übrig als sie eigenhändig zu tragen, stemmte sie auf seine Hände und hastete zurück zum Schloss. Der Kies knirschte laut unter seinen schweren Schritten, ihr Kleid war so lang, dass er einige Male ungeschicht darüber stolperte, sich gerade noch fangen konnte. Je näher sie dem Schloss kamen, desto ungehaltener wurde er, so lange sie noch atmete war alles in Ordnung, oder? Furchterregt rannte er weiter. Die ersten Soldaten erblickte ihn, sahen, wie er hechelnd die Treppen nach oben erklomm. Unter ihren geschockten Blicken kämpfte er sich durch die Tür. Brüllte ihnen barsch: „Holt den König, den Arzt, einen jeden!“, zu und eilte weiter, den Gang entlang, die Treppen hinauf bis zu ihrem Gemach. Hinter sich vernahm er schon die ausbrechende Hektik, wie viele Schritte auseinanderstoben, die ersten Rufe, welche die neue Nachricht schnell verbreiteten und nach Hilfe suchten. Ihm war es egal, ohne innezuhalten und das obwohl seine Arme begannen taub zu werden, bahnte er sich seinen Weg zu ihr ins Zimmer, legte sie sanft aufs Bett, zückte ein Messer, zögerte nicht lange und öffnete ihr Korsage. Vielleicht brauchte sie nur Luft.

Das Kleid hing in Fetzen an ihr hinunter, es war teuer gewesen, aber es bedeutete ihm nichts im Vergleich zum Leben seiner Frau. „Marléne!“, schrie er heißer, schlug ihr sanft ins Gesicht, wollte sie nicht feste Schlagen, musste es aber. Tränen stiegen ihm in die Augen, als er sich über sie kniete. An ihrem Hangelenk hing ein kleiner Beutel. Er erkannte ihn sofort, haderte nicht lange mit sich, ergriff das Riechsalz und hielt es ihr unter die Nase. Ihre Augen zitterten erneut, ihre Lippen begannen zu beben, doch sie kam immernoch nicht vollständig zu sich. „Was ist nur los?“, ohne auf eine Antwort zu warten, legte er den Kopf in seine Hände. „Was ist los mit dir?“

Aufgebrachte Schritte erklangen vor der Tür, mit lautem Stimmengewirr wurde sie aufgestoßen, der König, der Arzt, sowie Dámien und Claudette stürmten zu ihnen hinein. Sein Vater leicht beschwippst, beugte sich ungalant über seine Schwiegertochter, drohte beinahe den Halt zu verlieren und auf sie zu stürzen. „Was … ist … los?“, lallend stieß er sich von der Bettkante ab, packte den Arzt am Kragen und warf ihn fast boshaft auf Marlénes leblosen Körper zu. „Sieh‘ nach!“

Ratlos und vermutlich auch mehr als nur angetrunken, tappste der Arzt auf seine Frau zu, beugte sich kurz über sie, fasste ihr an die Stirn und befühlte ihr Handgelenk.

Entnervt und von Schweiß durchnässt bat er den herangeeilten Lounos ihm aus seinem Umhang zu helfen, doch noch bevor dieser Hand anlegen konnte, ging ein allgemeines Raunen durch den Raum. Hastig stürmte er wieder nach vorne, überrannte dabei beinahe den Arzt und sank erleichtert auf die weiche Matratze. Marléne hatte die Augen geöffnet.

Der letzte Monarch

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