Читать книгу Der letzte Monarch - Simone Lilly - Страница 2

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 2.

Staunend stand er in der Tür. Bewegte sich kaum, lediglich um ein zwei mal hin und herzu wippen, sich seinen Festumhang zurechtzurücken, oder um sich verlegen über den Kopf und die kleine goldenen Krone mit ihren wenigen Zacken zu fahren. „Die siehst bezaubernd aus.“, sagte er schließlich, als Louis es njicht mehr anders aushalten konnte, eilte auf sie zu, nahm ihre Hand und gab ihr einen langen Handkuss, länger als es sich eigentlich schickte. Schwer und innig lagen seine Lippen auf ihrem Handrücken, sodass Marléne ins Schwitzen geriet. Was wenn er mehr wollte? Sie noch einmal berühren wollte, bevor sie den Festsaal betraten? Jetzt, da sie sich zurechtgemacht hatte, wollte sie nicht ihre mühevoll angezogenen Kleider ausziehen, sie sich dann schlampiger überwerfen und lächerlich aussehen. Sobald er wollte, wäre es um sie geschehen, denn widerstehen konnte sie seinem Drängen kaum. Allein schon beim bloßen Gedanken daran musste sie tief durchatmen. Ein Blick auf seinen nackten Körper genügten, um sie gefügig zu machen, das wusste sie, das wusste er.

„Gehen wir runter?“, fragte sie vorsictig, enzog ihre Hand seinem Grif und rieb sie sich kurz trocken. „Bevor wir die Gesellschaft noch warten lassen.“

„Besonders Graf von Bellé.“

Sie kicherten. Ja der Graf von Bellé. Der gute Mann mittleren Alters war seit fast einer Woche bei ihnen zu Gast, lebte bei ihnen als wäre er selbst ein Mitglied der königlichen Familie. Vielleicht war er es auch, man wusste es nicht genau. Louis Vater schätzte ihn sehr und hegte zu ihm eine tiefe Freundschaft, welche nicht einmal Louis durchschauen konnte. Soweit er wusste hatte der Graf seine Frau und seine Kinder früh verloren, auch seine finanzielle Lage war nicht mehr die allerbeste. Doch der König half ihm gerne, er mochte ihn. Louis selbst war mit ihm aufgewachsen. Während der langen Sommermonate residierte der Graf wie selbstverständlich bei ihnen im Schloss, von ihm hatten Louis und sein älterer Bruder die wildesten Geschichten gehört, Ablenkung bekommen. Sie hatten sich gefreut, sobald es hieß: „Der Grad von Bellé kommt wieder zu uns.“, hatten sie vergnügt in die Hände geklatscht und sich bis zu seiner Ankunft auf nichts konzentrieren können. Umso stolzer war er nun, ihm seine Frau vorzustellen. Zur Hochzeit hatte der einsame Mann nicht kommen können, denn er hatte sich das Bein verletzt.

Selbst Marléne mochte ihn, er erinnerte sie entfernt an ihren Vater, war freundlich, hatte Humor, etwas was in diesem Haus selten war, fast schon geächtet wurde. Gemeinsam betraten sie den großen Festsaal. Wie schon viele Feste zuvor wurde sie von den goldenen Wänden, gemalten Decken und abertausenden von funkelnden Kronleuchtern geblendet. Früher hatte sie noch ungläubig darüber gestaunt, nun aber begann sie sich nach und nach an diesen Anblick zu gewöhnen.

Routiniert straffte sie ihre Schultern und ließ sich von ihrem Mann hinüber zur großen Festtafel führen, galant und vor einem seiner zahlreichen Diener, welche ehrfürchtig am Rande des Raumes warteten, griff er nach ihrem schweren Stuhl und zog ihn hinter dem Tisch hervor. „Setz dich doch.“, sagte er leise und wartete, bis Marléne es geschafft hatte, ihr aufgepludertes Kleid eng an sich zu halten, es zu ordnen und unter den niedrigen Tisch zu zwängen.

Damit zufrieden den ersten Schritt hinter sich gebracht zu haben, legte sie ihre Hände flach auf die Tafel, auf den kleinen goldenen Löffel der links und rechts neben ihrem Teller liegendem Besteck. Wie sie sie zu gebrauchen hatte wusste sie schon längst, schon kurz nach ihrer Hochzeit hatte siek eine Angst mehr vor dem Abendmahl. Weder vor einem gemeinsamen Essen im Kreise der Familie, noch vor einem an öffentlichen Anlässen, wie dieses eines war.

Noch hatte niemand angefangen zu tanzen. Alle Grafen, Herzoge und deren Frauen saßen vor, neben und ihnen schräg gegenüber, sie aßen, tranken und unterhielten sich untereinander. Marléne kam sich beinahe ausgeschlossen vor, keiner von ihnen wollte mit ihnen sprechen, sie blieben unter sich. Warfen abwechselnd heimliche Blicke zu ihr und Louis, musterten den König bewundernd und abschätzend, widmeten sich dann aber wieder dem Essen und der leisen Musik.

Wie in einem Käfig, als wäre ich eine Attraktion. Missmutig hob sie die Gabel und rammte sie tief in ihr zartes Fleisch. Die Stücke waren so klein geschnitten worden, dass Marléne sie nicht einmal mehr zu kauen brauchte, sie rutschten ihr ohne Probleme ihren Rachen hinunter.

Eine Berührung streifte ihr Bein, unmerklich zuckte sie zusammen und versuchte unbeobachtet zu Louis zu sehen. Aufmunternd legte er ihr jeden Abend seine Hand auf den Oberschenkel, strich an ihm entlang, symbolisierte ihr, dass er ihr beistand, dass er sie liebte. Belustigt griff sie zu einem, mit Wein gefülltem Glas und hob es an ihren Mund. Manchmal warnte er sie auch nur auf eine behutsame Art und Weise davor, was er an diesem Abend noch alles mit ihr vorhatte, was er sich wünschte. Etwas, das sie ihn niemals abschlagen würde.

Lautes Gemurmel war zu hören, doch wurde bei ihnen nichts gesprochen. Zwei Stühle weiter stocherte Graf Bellé ebenfalls in seinem Mahl herum, trank dazu erstaunlich viel Wein und wischte sich nach nahezu jedem Schluck mit einem weißen Tuch den Mund. Bald war es nass und vom Wein rot verfärbt.

Zuerst blickte sie durch die Menge, langweilte sich nicht, sondern fixierte für wenige Sekunden jedes einzelne Gesicht, welches sie erblickte. Dann aber wusste sie nicht mehr was sie tun konnte. Das Essen schmeckte gut, dennoch hatte sie keinen Hunger. Schlimmer noch, sie fühlte sich nicht wohl, ihr wurde übel. Das Unwohlsein wurde stärker, je länger sie den vor sich im Glas ruhenden Wein betrachtete. Angewidert kräuselte sie ihre rot bemalten Lippen.

„Ist dir nicht wohl?“, Louis Finger bohrten sich besorgt in den Stoff ihres Kleides, als er sich, um sie besser zu verstehen, näher zu ihr beugte. Seine durchdringenden Augen ließen nicht von ihr ab, huschten fragend über ihr Gesicht.

Rasch ließ sie ihre Hand von ihrem Mund auf ihren Schoß sinken, legte sie auf die seine und strich beschwichtigend an ihr entlang. „Nein nein, mir geht es gut. Ich … brauche nur etwas frische Luft.“, noch ehe sie zuende gesprochen hatte, schob sie seine Hand von ihrem Bein und winkte einem der Dienern, ihr zu helfen aufzustehen. Diesmal hatte Louis keine Zeit zu reagieren, der junge Mann war schneller, griff nach ihrem Stuhl und reichte ihr gleichzeitig die Hand. Als Marléne sich erhob, machte auch ihr Mann Anstallten ihr zu folgen. „Nein, bitte, wenn wir beide gehen entstehen bloß neue Gerüchte. Ich komme gleich wieder.“

Besorgt fiel er wieder auf seinen Stuhl zurück, stützte den Kopf auf seinen Ellbogen und blickte ihr lange nach, genauso wie es beinahe alle anderen der Gäste taten.

Die kühle Abendluft ließ Marléne sofort als sie aus dem warmen Schloss getreten war, frösteln. Tapfer biss sie die Zähnezusammen, raufte ihr Kleid enger zusammen und schritt die wenigen Stufen bis sie den Schlossgarten erreichte, hinab. Womöglich war die Kälte genau das Richtige. Vielleicht würden ein paar tiefe Atemzüge, mit denen sie ihre Lunge mit ihr füllte, sie wieder genesen, ihr ihre Übelkeit nehmen. Steif ging sie zu ihrem Lieblingsplatz, dem runden Brunnen in der Mitte des Gartens. Das sanfte Plätschern des Wassers tat ihr gut, es beruhigte sie immer wieder. Müde setzte sie sich auf dessen steinigen Rand und ließ eine Hand frei ins Wasser baumeln. Kühl umfloss es ihre Haut. Es war nicht gerade schlau von ihr gewesen, schon zu Beginn des Festes zu verschwinden. Nach all den Monaten am Hofe wusste sie, was dies bedeutete, wusste, wie die übrigen Adligen nur auf einen Eklat, auf eine Unstimmigkeit im Königshaus, zwischen dem Prinzenpaar warteten, wie hungrige Laubtiere darauf lauerten und sich über nichts mehr freuen konnten, als über neue Gerüchte, erst recht wenn sie sie selbst beobachten konnten. Was würden sie jetzt denken? Etwa dass Marléne keine Lust auf die Etikette in Versailles hatte, dass sie als einfache Bäuerin zu einer Hochzeit gezwungen worden war, und sie Louis letzten Endes gar nicht liebte, ihm immer versuchte auszuweichen? Oder einfach dass sie krank war, dass sie nicht im Saal hatte bleiben können, dass sie bald ableben würde, ohne dem Thronfolger ein Kind geboren zu haben ?

Geknickt zog sie ihre Hand aus dem Wasser und rieb sie sich an ihrem seidenen Kleid trocken. Sie vermisste ihr altes Leben in keinster Weise, auch nicht ihren Vater und ihre Mutter. Diese konnte sie so oft sie es wollte besuchen, sie hatte die beiden unterstützen können, sie mussten nicht mehr allzu hart arbeiten, allein schon deswegen war es das Leben unter all diesen Masken und Puppen wert. Beschämt räusperte sie sich lautstark und fuhr sich durch die immer noch perfekt hochgesteckten Haare, über ihre teuren Broschen und Haarklammern, die schwer in ihrer Frisur verankert waren. Es war gegenüber Louis ungerecht, so etwas zu denken. Angeschlagen blickte sie in Richtung Versailles, so als hätte ihr Mann ihre Gedanken gehört. Er bereitete ihr so gut es ihm möglich war ein gutes Leben, wollte dass sie glücklich war, das war sie auch. Noch. Ernst rollte sie einen lose an ihrem Handgelenk sitzenden Armreif nach oben, bis er sich wie eine zweite Haut über ihren Arm schlängelte. Bis zu dem Zeitpunkt, an welchem der König aufhörte zu atmen, wäre sie glücklich, immer noch frei. Doch von diesem Augenblick an wäre es vorüber, Louis hätte kaum noch Zeit für sie, sie würde viel zu tun haben, würde von allen nur noch mehr beobachtet werden, befragt werden, die Erwartungen stiegen. Ihre Hand wurde eisig, ihre Finger begannen unangenehm zu kribbeln und ihre Nägel bekamen blaue Umrandungen.

„Darf ich mich setzen?“

Beim Klang der Stimme hatte sie gehofft es wäre doch Louis, oder wenigstens Dámien, beides war nicht der Fall. Als sie betrübt den Kopf in dessen Richtung hob, erkannte sie zunächst nur einen dunklen Schatten. „Darf ich?“; fragte die Stimme erneut, streckte die Hand nach ihr aus und deutete auf den freien Platz neben ihr. Sie nickte. Der Mann legt seine Hände sauber auf seine Uniform, hielt sie an seinem Körper und setze sich, erst dann ließ er seine Kleidung los.

„Bellé, was wollen Sie?“, fragte Marléne erschöpft und von ihrer ungewollten Gesellschaft gernervt. Ihr Unmut war von Bellé nicht zu überhören. „Soll ich Sie wieder verlassen?“

Schnel l schüttelte sie den Kopf. „Nein, Sie können bleiben. Wir brauchen beide etwas frische Luft.“

Der Mann lächelte, wobei er viele zuvor ungesehene Falten entblöste. Wie alt war er wirklich?

„Solche Feste kenne ich mein Leben lang, man wird ihnen langsam überdrüssig.“

Auch sie kicherte. „… Ich denke das bin ich schon.“

Langwierig ruhten seine mausgrauen Augen auf ihrem Gesicht, doch dann schnalzte er laut mit der Zunge. „Nein das glaube ich nicht. Majestät, Sie sind ein solches Leben einfach noch nicht gewohnt, das legt sich. Und Sie werden es schätzen lernen, vertrauen Sie mir.“

Beide schwiegen. Dumpfe Musik der Instrumente hallte zu ihnen, doch sie schaffte es nicht Marléne aufzuheitern. „Wieso sprechen Sie mich und Louis immer noch so förmlich an?“, fragte sie stattdessen, einfach um etwas zu sagen.

Bellé verschränkte die Arme vor der Brust, hustete und spukte ungalang auf den Boden. „Das hat nichts mit unserem Verhältnis zueinander zu tun. Ich kenne Louis von Geburt an. Es ist vielmehr meine Entscheidung, um eine gewisse Distanz zu wahren.“

„Ich verstehe nicht …“

„Er ist der zukünftige König, ich bin ihm nunmal untergeordnet, ganz gleich wie innig und gut wir uns kennen. Sein Vater sprach Louis‘ Mutter zeit seines Lebens mit „Sie“ an.“

„Wirklich?“

Ungläubig nickte er. „Das ist doch nicht verwunderlich? Das ist normal. Tuen Sie und Louis es nicht?“

Sie schüttelte den Kopf. Nein eigentlich taten sie es nicht, hatten es auch noch nie getan. Jetzt war sie sich nur nicht mehr sicher, ob Louis sich nichts aus dieser Floskel machte, oder ob er es sich wünschte, Marléne damit nur nicht bedrängen wollte.

Der Graf wurd ernst. „Fehlt Ihnen wirklich nichts? Sie wirken … seltsam blaß.“

Verlegen fasste sie sich an den Hals, ihre kalte Hand külte sie angenehm. „Mir geht es blendend, dankesehr.“, matt lächelte sie ihm entgegen. „Wie ich schon sagte, ich brauchte einfach nur frisceh Luft.“

„Und wie ich schon sagte, verstehe ich es. Dennoch … es ist etwas anderes, richtig?“, unter seinen wachsamen Augen hatte sie keine Gelegenheit sich mehr herauszureden. „Es ist nur: ich und Louis sind schon viele Monate vermählt.“

Er nickte. Wartete auf eine genaue Erklärung.

Ihr Puls wurde stärker und schneller, hart schlug er gegen ihre Handfläche. „… ich erwarte immer noch kein Kind …“

„Und das bedrückt Sie?“

Unsicher leckte sie sich kurz über die Unterlippe. „Ja, das tut es.“

Der freundliche alte Mann haderte nicht lange mit sich, ergriff ihre Hand und rieb sie aufmunternd zwischen den seinen. Endlich wurde sie gewärmt. „Das braucht es aber nicht. Hören Sie, Louis‘ Vater ist noch König, Louis also noch lange nicht in der Pflicht einen Erben zu zeugen, Sie also nicht einen Erben zu gebären. Sie haben noch viele Monate, wenn nicht sogar Jahre damit Zeit.“

„Glauben Sie?“

„Ich weiß es. Der König ist noch jung, etwas jünger als ich.“, er musste bei seinen eigenen Worten kurz innehalten und nachrechnen, ob das mit dem Alter stimmte. „Aber soll ich Ihnen einen Rat geben?“

Hoffnungsvoll nickte sie.

„Sprechen Sie mit Louis über Ihre Sorgen. Er hat sich in den letzten Jahren geändert, ist verständnisvoller geworden. Sie sollten es ihn wissen lassen.“

„Er weiß es“, sagte sie kleinlaut und lauschte nun doch der weit entfernten Musik.

„Und was war seine Antwort?“

„Die gleiche“, sagte sie kurz angebunden und scharrte mit den Füßen im feuchten Kies. „Und doch beruhigt sie mich nicht.“

Der letzte Monarch

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