Читать книгу Zwischen Wüste und Meer - Simone Wiechern - Страница 5

Aus der Traum

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»Am Ende gilt doch nur, was wir getan und gelebt-und nicht, was wir ersehnt haben.«

- Arthur Schnitzler -

Das Haus meiner Bekannten war um einiges kleiner als unser Haus am Strand und ich hatte große Probleme, all unser Hab und Gut dort unterzubringen. Ich erinnerte mich, welch befreiendes Gefühl es gewesen war, als ich noch alles, was ich besaß, auf mein Kamel packen konnte. Aber nun hatte ich Kinder und die brauchten Bücher, Spielzeug und jede Menge anderer Sachen. Fließend Wasser wie in meinem Haus gab es auch keines. Ich merkte von Tag zu Tag mehr, dass ich einen großen Rückschritt gemacht hatte, was meine Wut über meinen Mann nochmals verstärkte. Der einzige Vorteil war, dass ich etwas relaxter mit meinen Kindern war. Denn dieses Anwesen hatte eine hohe und alles einfassende Mauer. Ich musste nicht ständig aufpassen, dass einer meiner Söhne allein ans Meer ging.

Einmal war ich im alten Haus beinahe vor Angst wahnsinnig geworden. Ich hatte mich mit Soliman ins Zimmer gelegt, um ihn zu stillen. Ghanem hatte im Vorhof mit Salama gespielt, der jedoch nach kurzer Zeit zu uns kam und sich neben uns legte. Es war ein sehr heißer Tag und Salama schlief schneller ein als Soliman. Als der Kleinste endlich ebenfalls tief und fest eingeschlummert war, schaute ich nach Ghanem, der mir verdächtig ruhig war. Doch Ghanem war verschwunden. Ich rief nach ihm und suchte ihn überall. Für einen Moment dachte ich, er würde sich einen Scherz mit mir erlauben und sich irgendwo verstecken. Ich rief laut, dass dies kein Spaß mehr sei und er herauskommen solle. Er kam nicht. In der Küche stand die Tür nach draußen einen Spalt offen und ich bekam Panik, dass er sich allein herausgeschlichen hatte. Ich suchte den Strand ab. Aber auch da war er nicht. Gerade kam ein mir bekanntes Beduinenmädchen vorbei. Ich fragte sie, ob sie Ghanem gesehen hätte. Sie verneinte. Ich bat sie, kurz hineinzugehen und auf meine Kinder zu schauen, was sie hilfsbereit und zu meiner Freude sofort tat. Ich lief in den kleinen Supermarkt auf der Straße, aber auch dort hatte man meinen Sohn nicht gesehen. Langsam stieg Panik in mir auf. Ich hatte unglaubliche Angst, dass er ins Meer gegangen war und suchte verzweifelt weiter. Ich fragte alle in meiner näheren Umgebung, aber niemand hatte ihn gesehen. Ich war jetzt schon eine halbe Stunde unterwegs und mittlerweile waren wir ein kleiner Suchtrupp geworden, aber wirklich niemand hatte ihn zu Gesicht bekommen an diesem Tag. Keine Spur von ihm weit und breit. Ich lief wieder runter in mein Haus, um nach meinen anderen Kindern zu sehen. Schon als ich durch die Tür trat, fiel mir der große Teppich auf, der immer zusammengerollt an der Hausmauer lag und nur ausgebreitet wurde, wenn viele Gäste kamen. Er war außergewöhnlich dick. Ich schaute ihn genauer an und entdeckte meinen Sohn Ghanem im Inneren. Seelenruhig schlief er voll und ganz in den Teppich eingerollt. Ich brach weinend zusammen. Unendliche Freude trieb mir Tränen der Erleichterung in die Augen.

›Unfassbar, auf was für Ideen, diese kleinen Racker kommen‹, resümierte der Verstand das Geschehene.

Ich sagte schnell allen anderen Bescheid, dass ich ihn gefunden hatte. Keiner konnte verstehen, wie er sich in der Mittagshitze in diesen in der Sonne liegenden Teppich hatte einrollen können. Kopfschüttelnd lachten und scherzten alle über meinen Sohn.

Ich verkaufte nach wie vor Kuchen und Brot an die Touristen. Die Arbeit füllte mich aber nicht aus wie zuvor. Vieles machte mir nicht mehr allzu große Freude und ich spürte immer stärker, dass mich der Verlust unserer heilen Familie immens stark getroffen hatte. Zudem hatte ich Haus und Hof verloren und stürzte in eine leichte Depression. Wieder Miete zu zahlen war eine monatliche Belastung, die ich lange nicht mehr gehabt hatte.

In Assala, ziemlich weit hinten im Dorf, fühlte ich mich zudem nicht wirklich wohl. Ghanem konnte nicht mehr allein zu seinen Freunden oder der Familie gehen und wenn wir nun ans Meer wollten, musste man einen richtigen Ausflug planen. Meine Freunde bekam ich immer seltener zu Gesicht, da meine Wohnstätte im Dorf nicht annähernd so anziehend war wie unsere Arischa, der selbst gebaute riesige Sonnenschirm aus Palmzweigen, direkt am Strand.

Allein Sahi kam regelmäßig. Es war sehr vertraut mit ihm und eines Tages sagte er mir, dass er die perfekte Lösung für mein Problem mit den Kindern hätte: Ich solle ihn heiraten.

Ich war nicht verwundert über seinen Vorschlag, denn Sahi liebte mich schon, seit ich ihn kannte. Damals war er mir zu jung und unzuverlässig gewesen, um seinem Begehren nachzugeben. Ich hatte ihn zwar immer sehr lieb gehabt, aber nie wirklich geliebt. Seinerzeit entschied ich mich, trotz Sahis deutlicher Annäherungsversuche für Samir, der mich vom ersten Moment an verzaubert hatte. Samir war, genau wie ich, sehr aktiv gewesen und hatte große Ziele im Leben gehabt.

Sahi erklärte, dass ich mir meiner Kinder sicher sein könnte, wenn ich unter dem Schutz seiner Familie stehen würde. Sowohl Sahis als auch Samirs großer Bruder waren hoch angesehene Mitglieder von ein und demselben Stamm, aber von verschiedenen Familienclans. Beide hatten darin eine Vorstandsfunktion inne und würden alles daran setzen, keinen Streit zwischen den Familien aufkommen zu lassen. Nach einer Heirat würde Sahis Sippe seiner Aussage nach dafür sorgen, dass Samir nichts tun würde, das die Parteien in Zwietracht bringen könnte.

Ich sagte Sahi, dass ich darüber nachdenken würde.

Als ich abends im Bett lag und mir über Sahis Angebot Gedanken machte, wurde dieser, zuerst als absurde Idee angesehene Vorschlag von ihm, immer denkbarer. Da ich zudem die Rückendeckung von Samirs Eltern hatte, war dies durchaus ein Plan, der klappen könnte. Ich wusste zudem, dass die beiden großen Brüder befreundet waren.

Ich hatte Sahi wirklich gern und mochte es sehr, wenn er um mich herum war. Ich liebte ihn zwar nicht, aber er war schon immer mehr als ein guter Freund gewesen. Ich hatte ihm von Anfang an alles anvertrauen können. Außerdem mochte ich auch seine Familie sehr gern.

Meine Liebe gehörte nach wie vor Samir, aber dem Samir, der keine Drogen nahm und der nicht all die Dinge getan hatte, die mich zum Auszug aus unserem Haus und zu der Entscheidung, mich von ihm scheiden zu lassen, veranlasst hatte. Den Samir gab es aber nicht mehr. Und den Samir würde es auch nie wieder geben. Selbst wenn mein Mann doch unerwarteterweise je den Drogenkonsum unterlassen könnte, wäre er nicht mehr der Mann, der er einst gewesen war. Es war einfach zu viel kaputt gegangen in den letzten Jahren. Ich hatte jegliches Vertrauen in ihn verloren.

Und genau dieses Vertrauen gab Sahi mir jetzt. Er war da und wollte an meiner Seite sein. Ich hatte ihn lieb und verbrachte gern Zeit mit ihm. Ich wusste, Sahi würde mir nie meine Freiheit nehmen und mir auch keine Eifersuchtsszenen wie Samir machen. Dafür war er einfach nicht der Typ.

Je mehr ich über seinen Vorschlag in den nächsten Tagen nachdachte, desto besser gefiel er mir.

Sahi lud mich einige Male zu seiner Familie zum Essen ein und auch dort fühlte ich mich so gut, wie schon bei den ersten Besuchen. Vor allem die Frauen dort mochte ich sehr gern. Sahi hatte vor einigen Jahren angefangen, sich ein Haus direkt gegenüber dem Anwesen seiner Schwestern zu bauen. Dies zeigte er mir und bot mir an, dort jederzeit einziehen zu können. Es musste noch viel gemacht werden in dem Haus. Bisher war es nur ein solides Fundament mit Mauern, die die einzelnen Zimmer abtrennten. Fenster und ein Dach fehlten noch. Aber es war ein Haus mit Potenzial. Ein Ziegenstall und ein kleiner Garten waren auch vorhanden. Bis zum Meer waren es zwei Minuten.

Sahi zog ein weiteres Ass aus dem Ärmel und ging mit mir in den großen Garten der Familie. Dies war ein riesiges Grundstück direkt am Meer mit unzähligen Dattelpalmen. Ich hatte mich schon damals, als ich noch Touristin war, in dieses Stückchen Paradies verliebt und Sahi bot mir nun an, dass wir dort ein Restaurant errichten könnten.

Es war alles immens verlockend.

›Aber du liebst ihn nicht‹, sprach die Sehnsucht.

›Ich will auch gar nicht mehr zum Vorschein kommen‹, erwiderte die Liebe, ›das ist alles viel zu verletzend für euch alle. Ihr anderen Gefühle habt so gelitten in den letzten Jahren. Ohne meine Fixierung auf einen Mann geht es euch doch viel besser. Ich gebe das ein für alle Mal auf und sehe es als einen Traum, der nur selten im Leben gewährt wird und nun einfach dahin ist. Ich beschränke mich auf die Kinder und das Dasein an sich. Sehe alle die kleinen Schönheiten des Alltags und erfreue mich daran. Mein großer Auftritt war einmal und kommt vielleicht nie wieder.‹

Der Verstand meldete sich ebenfalls zu Wort und alle anderen Gefühle lauschten gebannt seiner Argumentation: ›Ich denke auch, dass dieser Vorschlag eine richtig gute Idee ist. Die Liebe bringt zwar oft wunderschöne, unübertreffliche und bezaubernde Gefühle, aber in unserem Fall während der letzten Jahre mehr Leid als alles andere. Schaut doch, wo diese Liebe sie hingeführt hat. Sie sitzt mit drei kleinen Kindern ohne verfügbaren Vater in einem fremden Land fest, in dem sie keine Arbeitserlaubnis bekommt, wenn sie keine feste Anstellung in Aussicht hat. Nach Deutschland kann sie ohne die nötigen Papiere ihres Mannes auch nicht. Samirs Liebe war längst nicht so allumfassend, wie sie hätte sein sollen. Viel zu viel vom Ego geleitet, anstatt für Frau und Kinder nur das Beste zu wollen. Seine Liebe war von Anfang an zu stark von Macht- und Besitzdenken durchzogen. Zwei Attribute, mit denen wir noch nie wirklich umgehen konnten und die uns einfach viel zu sehr einschränken. Ich denke Sahi wäre genau der Richtige für sie. Er liebt sie von Herzen, das wissen wir alle, und er würde ihr keinen einzigen Wunsch versagen. Auch das wissen wir.‹

›Ja, genau!‹, bestärkte sie der Freiheitsdrang. ›Sahi ist wohl einer der wenigen muslimischen Männer, der uns genügend Freiraum einräumen könnte, damit wir uns hier richtig wohlfühlen können.‹

Der Pragmatismus ergänzte: ›Zumindest würde Sahis Familie gut auf sie aufpassen. Sie hätte wieder ein Haus und auch die Möglichkeit, zu arbeiten.‹

›Ich glaube es kaum‹, sagte der Verstand, ›sollte ich tatsächlich das erste Mal in unserem Dasein als Gewinner über die Liebe und die Sehnsucht aus dieser Diskussion hervorgehen?‹

›Von mir aus‹, erwiderte die Liebe, ›ich gebe auf.‹

Die Sehnsucht wollte zu sprechen ansetzen, aber sie war mit all den anderen Gefühlen tief genug verbunden um zu spüren, dass sie mit ihrem Bestreben nach der großen Liebe allein auf weiter Flur stand. Niemand glaubte mehr an die Erfüllung ihrer Wünsche und hätte sich mit ihr auf eine Seite gestellt.

Sahi kam unterdessen fast täglich bei mir vorbei und ich genoss es sehr, Zeit mit ihm zu verbringen. Ich lernte ihn immer besser kennen, da mein Arabisch mittlerweile richtig gut war. Wir sprachen über alle Themen, die uns auf dem Herzen lagen.

Ein paar Monate später fragte ich Sahi in einem ernsten Gespräch, ob er wirklich mit voller Überzeugung hinter seinem Vorschlag, mich heiraten zu wollen, stand. Zudem wollte ich wissen, ob er mir versprechen könnte, meine Kinder zu achten. Als er beides bejahte, lachte ich ihn an, nahm ihn in den Arm und wir küssten uns. Es war nicht dieses feurige Prickeln, das ich damals bei Samir verspürt hatte, aber doch wunderschön und bewegte mich mehr als erwartet. Ich hatte ihn schon immer sehr lieb gehabt und hoffte, ihn eines Tages richtig tief lieben zu können.

Dann tat ich jedoch etwas, das wieder einmal zeigte, wie wichtig es ist, dass man sich wirklich mit allen Traditionen eines Landes vertraut machen sollte, bevor man handelt. Denn einige Tage später ging ich zu Samirs großem Bruder und sagte ihm, ich würde mich von Samir scheiden lassen, da ich Sahi heiraten wolle.

Als ich Sahi abends freudig darüber berichtete, veränderte sich sein sonst so gelassener Gesichtsausdruck schlagartig. Stammelnd fragte er mich, ob ich von allen guten Geistern verlassen wäre. Ich wäre immer noch Samirs Frau und bevor ich nicht geschieden wäre, hätte niemand von Samirs Familie von unseren Plänen erfahren dürfen. Jetzt würde sein Clan vielleicht denken, wir wären Ehebrecher. Das waren wir streng genommen schon bei diesem einen Kuss. Samirs Familie hatte damit das Recht, Wiedergutmachung zu verlangen.

Das war tatsächlich ein grober Fehler gewesen.

Schon zwei Tage später kam einer von Samirs Brüdern und fragte mich über meine Beziehung zu Sahi sehr detailliert aus. Ich spürte deutlich, sehr unüberlegt und vorschnell gehandelt zu haben.

Sahi sagte mir am nächsten Tag, dass wir uns bis zu meiner Scheidung jetzt nur noch in der Öffentlichkeit treffen könnten und ungemein vorsichtig sein müssten. Nach beduinischem Recht hätte Samirs Familie uns beide bei einem nachgewiesenen Ehebruch sogar töten dürfen. Solche Methoden waren zwar inzwischen nicht mehr üblich, doch nach dem Brauch der Wüstenbewohner völlig legitim und von allen Seiten respektiert. Meist kam es in solchen Fällen aber eher zu einem Abkommen der beiden betroffenen Familien und wurde mit Geld bereinigt. Diese Summen waren zum Teil so hoch, dass den Familien schwere Jahre bevorstanden und sie ihren Stolz im Stamm verminderten.

Was hatte ich bloß getan?

Sahi bekam großen Ärger mit seinen Brüdern. Sie wussten von uns, aber dachten, wir würden unsere Pläne bis zu meiner Scheidung von Samir geheim halten. Alle spotteten über die Dummheit seiner europäischen Auserwählten und fragten ihn mehrmals, ob er sich das mit der Hochzeit auch reiflich überlegt hätte.

Doch Sahi stand zu mir wie ein Fels in der Brandung und half mir, genügend Geld aufzubringen, um mich ein letztes Mal auf den weiten Weg nach Wadi Natrun aufzumachen.

Mir graute davor, meinem Mann, der dort in Haft saß, zusätzlichen Schmerz zu bereiten. Aber es ging nicht anders. Ich wollte wieder leben, wieder lachen, wieder eine Zukunft haben und vor allem endlich wieder glücklich sein.

Nicht zuletzt hoffte ich, vielleicht doch diese heile Familie zu finden, nach der ich immer suchte. Diesen starken Verbund, den ich damals in Sahis Familie bewundert hatte, als ich noch Touristin war.

Ich machte mir auf der zehn Stunden andauernden Fahrt sehr viele Gedanken, wie mein Mann es wohl aufnehmen würde, dass ich mich scheiden lassen wollte. Ich hoffte sehr auf sein Verständnis und seine Zustimmung.

Nach ägyptischem Recht konnte auch ich die Scheidung einreichen, aber einfacher war es, wenn Samir mich verstoßen würde. Ich hoffte, dies könne er schriftlich festlegen.

Die Fahrt zog sich endlos durch die mir heute trostlos erscheinende Wüste. Ihre Schönheit konnte ich durch meine angespannte Gemütsverfassung nicht richtig wahrnehmen. Auch als wir den Suezkanal durchquert hatten und ins Delta fuhren, blieben die grünen Landstriche, die in diesem fruchtbaren Gebiet üppig erblühten, von mir unbeachtet. Ich war in dem mir bevorstehenden Ereignis vollkommen gefangen und konnte an nichts anderes denken.

Als wir im Gefängnis eintrafen und ich mich zusammen mit Mohammed, meinem Fahrer und Vertrauten, erkundigte, verbot man mir, einen Stift mit hineinzunehmen. Ebenso war es nicht erlaubt, dass Samir Schriftstücke, in welcher Form auch immer, unterzeichnete.

Ich beriet mich mit Mohammed und wir kamen auf die Idee, hier jemanden als zweiten Zeugen zu suchen, wenn Samir der Scheidung, wie gehofft, zustimmen sollte.

Wie damals, als ich Samir das erste Mal besucht hatte, mussten wir in einem verdreckten Vorhof des Gefängnisses stundenlang ausharren. Endlich wurde der Name meines Mannes aufgerufen. Wir betraten das trostlose Gebäude. Wenigstens wurde ich diesmal nicht von einer übergriffig

en Ägypterin mehr als unangenehm angefasst. Beim Durchsuchen am Eingang zu den Gefangenen hatte sie mir sehr unsanft und mehrfach über meine Brüste gestrichen. Samir saß mit etwa zwanzig anderen Gefangenen am Boden auf einer Decke und wartete auf seinen Besuch. Er bemerkte bereits bei der Begrüßung, dass etwas anders war und sein Gesichtsausdruck wechselte von freudig auf fragend.

Ich war bis zum Zerreißen angespannt und sehr nervös, dazu emotional so befangen, dass ich kaum ein Wort sprechen konnte. Samir befragte mich nach seinen Söhnen und seiner Familie und ich sagte, dass es allen gut ginge und sie wohlauf wären. Dann hielt ich es nicht mehr aus, denn die Besuchszeit war auf eine halbe Stunde beschränkt und ich hatte viel zu besprechen. Mit großer Trauer im Herzen erzählte ich ihm all das, was mir auf der Seele lag:

»Samir, es tut mir unendlich leid, aber ich kann nicht mehr deine Frau sein. Mousa ist tot und als ich seine Frau, seine Schwester und seine Mutter um ihn weinen sah, wusste ich, ich will und kann das nicht mehr mitansehen. Ich will nicht weiterhin unterstützen, was du getan hast. Ich bin jetzt schon so lange unglücklich, deine Kinder haben so oft mit einer traurigen und verzweifelten Mutter leben müssen. Ich kann das einfach nicht mehr.«

Unerwarteterweise nahm Samir meine Hand und tröstete mich:

»Ich kann dich verstehen, ja Ruhi.«

›Ja Ruhi? Meine Seele? Warum, um alles in der Welt, muss er jetzt dieses Wort wählen?‹, entrüstete sich der Verstand.

›Merkt er denn nicht, wie sehr er ihr Herz schon gebrochen hat? Ist es nötig noch einen obendrauf zu setzen?‹, fragte auch das Mitgefühl.

»Keine Berührungen!«, warf der Polizist, der uns erblickt hatte, kalt und rigoros dazwischen.

Meine Kehle war wie zugeschnürt. Ich merkte wie sich mehr und mehr Tränen in meinen Augen sammelten. So sehr ich auch versuchte sie zurückzuhalten, es entstand immer mehr Druck, der sie von tief unten nach oben drängte.

Ich sah den Schmerz in Samirs Augen und mein eigener brach letztlich alle Dämme und die angesammelten Tränen stürzten wie ein lautloser Bach meine Wangen hinab.

Samir wischte mir einige aus dem Gesicht und sofort wurden wir wieder von dem Beamten ermahnt. Ich dachte, ich müsste hier und jetzt sterben, aber es war nur der Traum der starb. Der Traum mit Samir eine glückliche, heile Familie zu haben. Ich lebte noch und Samir lebte auch. Unsere Ehe lag jedoch in einem großen Scherbenhaufen vor uns. Samir willigte ein, mich von ihm zu scheiden. Er fragte, während ich zu Mohammed ging und ihn zu uns holte, einen Mithäftling, ob er kurz der unschönen Zeremonie als Zeuge beiwohnen könnte. Als beide neben uns standen, sprach Samir dreimal die nötigen Worte aus: »Inti talak, inti talak, inti talak!« Du bist geschieden!

Die beiden Zeugen zogen sich wieder zurück und ich befand mich wie in einer Art Trancezustand, unfähig, zu denken. Samir bat mich, mich gut um unsere Kinder zu kümmern und ich versprach es ihm. Die halbe Stunde Besuchszeit war viel zu schnell um und noch benommen stieg ich in den Minibus, der uns nach weiteren zehn Stunden Fahrt zurück nach Dahab bringen sollte. Samir hatte mir sehr deutlich zu verstehen gegeben, dass er sich seiner Schuld voll bewusst war. Er hatte es mir sehr einfach gemacht und unheimlich viel Verständnis gezeigt. Ich war ihm sehr dankbar dafür, wusste jedoch nicht, wie ich das Gefühlschaos in mir bändigen sollte. Die Fahrt über weinte ich die meiste Zeit und Mohammed, der mich gut kannte, sagte mir immer wieder, dass ich die richtige Entscheidung getroffen hatte. Das gab mir zwar etwas Kraft, konnte den Schmerz jedoch nicht lindern. Ich hatte mit der Scheidung meinen Traum endgültig begraben und das war die schlimmste Beerdigung, die ich bis dahin erlebt hatte.

Zwischen Wüste und Meer

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