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Der Frühling in den Ebenen ist keine schüchterne Jungfrau, er ist üppig und hat nicht lange Dauer. Die Straßen, die vor wenigen Tagen schlammig gewesen waren, lagen jetzt unter feinem Staub, und die Pfützen an ihrem Rande hatten sich in längliche Stückchen schwarzer glatter Erde verwandelt, die aussahen wie gesprungenes Lackleder.

Carola keuchte, während sie zur Sitzung des Thanatopsis-Programmausschusses schlich, der über das Thema für den nächsten Herbst und Winter Beschluß fassen sollte.

Die Frau Vorsitzende (Ella Stowbody in einer austernfarbenen Bluse) fragte, ob es neue Fragen gebe.

Carola erhob sich. Sie schlug vor, der Thanatopsis solle den Stadtarmen helfen. Sie war überaus korrekt und modern. Sie wolle, sagte sie, keine Liebeswerke für die Armen, sondern Möglichkeiten zur Selbsthilfe, ein Stellenvermittlungsbüro, Anleitung zur Kinderpflege und zu besserem Kochen, vielleicht einen Gemeindefond für Heimstättenbau. »Was halten Sie von meinen Plänen, Frau Warren?« schloß sie.

Wohl überlegt, wie jemand, der durch Heirat mit der Kirche verwandt ist, gab Frau Warren ihren Urteilsspruch ab:

»Ich bin überzeugt, daß wir alle von Herzen mit Frau Kennicott in dem Gefühl übereinstimmen, daß es, wo immer man wirklicher Armut begegnet, nicht nur noblesse oblige, sondern auch eine Freude ist, den mit Glücksgütern weniger Gesegneten gegenüber unsere Pflicht zu erfüllen. Aber ich muß sagen, es scheint mir, wir sollten nicht das Wesentliche daran aus dem Auge verlieren, indem wir es nicht für Liebeswerke halten. Ja, das ist doch die Hauptzierde des wahren Christen und der Kirche! Die Bibel hat das ausdrücklich zu unserer Führung ausgesprochen. ›Glaube, Hoffnung und Liebe‹ sagt sie, und: ›Arme habt ihr allezeit bei euch‹, was beweist, daß niemals etwas an den sogenannten wissenschaftlichen Plänen zur Zerstörung der Liebeswerke sein kann, niemals! Und ist es nicht auch besser so? Es wäre mir fürchterlich, mir eine Welt vorzustellen, in der wir nicht die Freuden des Gebens genießen könnten. Übrigens, wenn diese dummen Leute wissen, daß es Liebeswerke sind, und nicht etwas, worauf sie ein Recht haben, sind sie viel dankbarer.«

»Übrigens«, begehrte Fräulein Ella Stowbody auf, »hat man Sie zum Narren gehalten. Es gibt gar keine wirklichen Armen hier. Nehmen Sie zum Beispiel die Frau Steinhof, von der Sie sprechen: ich laß immer bei ihr waschen, wenn's unserem Dienstmädchen zuviel ist. Im letzten Jahr hab' ich ihr mindestens zehn Dollar zu verdienen gegeben! Ich bin überzeugt, Papa würde sich nie mit einem städtischen Heimstättenfond einverstanden erklären. Papa sagt, diese Leute sind Schwindler. Besonders alle diese Pächter, die immer erzählen, daß es ihnen so schwer wird, Saatgut und Maschinen zu bekommen. Papa sagt, sie wollen ganz einfach ihre Schulden nicht zahlen. Papa sagt, es ist ihm freilich ekelhaft, Hypotheken für verfallen zu erklären, aber es ist die einzige Möglichkeit, um den Leuten Respekt vor dem Gesetz beizubringen.«

»Und denken Sie doch auch an alle Kleider, die wir den Leuten geben«, sagte Frau Jackson Elder.

Carola war wieder nicht zufrieden. »O ja. Die Kleider. Davon wollte ich ohnedies sprechen. Glauben Sie nicht, wenn wir den Armen Kleider geben, wenn wir ihnen alte Kleider geben, daß wir sie zuerst flicken und so gut wie möglich herrichten sollten? Wäre es nicht nett, wenn wir vor der nächsten Weihnachtsverteilung, die der Thanatopsis macht, zusammenkommen und Kleider nähen und Hüte putzen würden, und sie –«

»Himmel noch einmal, die Weiber haben doch mehr Zeit als wir! Sie sollten gottsfroh und dankbar sein, daß sie überhaupt was kriegen, ganz egal in was für einem Zustand es ist. Ich wenigstens werd' mich nicht hersetzen und für die faule Frau Vopni nähen, wo ich so viel zu tun hab'!«

Sie starrten Carola an. Sie aber mußte daran denken, daß diese Frau Vopni, deren Mann von einem Zug überfahren worden war, zehn Kinder hatte.

Aber Frau Mary Ellen Wilks lächelte. Frau Wilks war die Besitzerin des Kunst- und Buchladens und Lektorin an der kleinen Christian-Science-Kirche. Sie machte alles klar:

»Wenn diese Menschenklasse eine Ahnung von der Science hätte und begriffe, daß wir alle Gottes Kinder sind, und daß uns nichts Schaden tun kann, wären sie nicht in Irrtum und Armut befangen.«

Frau Jackson Elder versicherte: »Außerdem hab' ich den Eindruck, daß der Klub schon ganz genug tut, mit dem Bäumepflanzen und dem Krieg gegen die Fliegen und mit der Verantwortlichkeit für das Wartezimmer – ganz zu schweigen davon, daß wir davon gesprochen haben, den Versuch zu machen, die Eisenbahn dazu zu bringen, daß sie einen Park am Bahnhof anlegt.«

»Das mein' ich auch!« sagte die Frau Vorsitzende. Sie warf einen verlegenen Blick auf Fräulein Sherwin. »Was denken Sie, Vida?«

Vida lächelte allen Ausschußmitgliedern taktvoll zu und verkündete: »Ja, ich glaube nicht, daß wir gerade jetzt mit etwas Neuem anfangen sollten. Aber es ist doch sehr schön gewesen, die lieben, edlen Gedanken Carolas zu hören, nicht wahr! Richtig! Über eine Sache müssen wir sofort zu einem Beschluß kommen. Wir müssen uns zusammentun und gegen jeden Schritt opponieren, den die Minneapolis-Klubs unternehmen, um wieder eine Landesvereinigungs-Präsidentin aus den Zwillingsstädten zu wählen, und diese Frau Edgar Potbury, die sie immer in den Vordergrund schieben, – ich weiß, es gibt Leute, die sie für eine kluge, interessante Sprecherin halten, aber ich halte sie für sehr flach. Was sagen Sie zu meinem Schreiben an den Ojibawashasee-Klub, in dem ich mitgeteilt habe, wenn der Bezirk dort Frau Warrens Kandidatur als Vizepräsidentin unterstützt, setzen wir uns dafür ein, daß ihre Frau Hagelton zur Präsidentin gewählt wird – übrigens wirklich eine liebe, nette und gebildete Frau.«

»Ja! Diese Minneapolis-Leute müssen wirklich mal sehen, wer wir sind!« sagte Ella Stowbody säuerlich. »Und da wir grade schon dabei sind, wir müssen auch dagegen opponieren, daß Frau Potbury die Landesklubs dazu bringen will, offen für die Frauenrechtlerinnen einzutreten. Die Frauen haben in der Politik nichts zu suchen. Sie würden ihre Reize und ihren Zauber ganz verlieren, wenn sie sich in diese schrecklichen Intrigen und diese fürchterlichen politischen Sachen mit allen Skandal- und Klatschgeschichten und so weiter einlassen würden.«

Alle – außer einer – nickten. Man unterbrach die geschäftliche Ausschußsitzung, um Frau Edgar Potburys Gatten, ihr Einkommen, ihr Auto, ihre Wohnung, ihren Redestil, ihren Abendmantel, ihre Frisur und ihren schlechthin verwerflichen Einfluß auf die Landesvereinigung der Frauenklubs zu besprechen.

Bevor der Programmausschuß sich vertagte, verwendete er noch drei Minuten darauf, zu entscheiden, welches der Themen, die von der Zeitschrift »Bildung in tausend Worten« vorgeschlagen wurden – Innendekoration und Porzellan, und Die Bibel als Literatur – für das nächste Jahr geeigneter sei. Es gab einen ärgerlichen Zwischenfall. Frau Kennicott mußte wieder etwas einwenden und sich wichtig machen. Sie fragte: »Glauben Sie nicht, daß wir von der Bibel schon genug in unseren Kirchen und Sonntagsschulen haben?«

Frau Leonard Warren rief, ein wenig unsachlich und sehr unbeherrscht: »Aber da hört sich doch alles auf! Ich hätte es nicht für möglich gehalten, daß unter uns jemand ist, der denkt, wir könnten je genug von der Bibel haben! Ich meine, wenn das Große Alte Buch jetzt schon zweitausend Jahre den Angriffen der Ungläubigen standgehalten hat, ist es wert, daß wir ihm wenigstens etwas Beachtung schenken!«

»Oh, ich wollte nicht sagen –« bat Carola. Darüber, was sie eigentlich wollte, konnte sie kaum besonders klar werden. »Aber ich möchte: statt daß wir uns entweder auf die Bibel oder auf die Anekdoten über die Perücken Bruder Adams beschränken, die der ›Bildung in tausend Worten‹ das Wichtigste an der Innendekoration zu sein scheinen, könnten wir einige von den wirklich interessanten Ideen studieren, die es heute überall gibt – Chemie oder Anthropologie oder Arbeiterfragen – die Sachen, die so viel zu bedeuten haben.«

Alles räusperte sich höflich.

Die Frau Vorsitzende fragte: »Steht noch etwas zur Diskussion? Will jemand etwas zur Annahme des Vorschlags Vida Sherwins sagen – Innendekoration und Porzellan durchzunehmen?«

Der Vorschlag wurde einstimmig angenommen.

»Schachmatt!« murmelte Carola, als sie ihre Hand aufhob.

Hatte sie wirklich geglaubt, sie könnte den Samen des Liberalismus in diese kahle Mauer von Mittelmäßigkeit pflanzen? Wie hatte sie sich zu der Torheit verleiten lassen können, überhaupt etwas in eine Mauer pflanzen zu wollen, die so glatt war, so schön in der Sonne glänzte und die zufriedenen Schläfer hinter ihr so beglückte?

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