Читать книгу Gefangen - Sira Rabe - Страница 6

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Kapitel 2

Die pastellgelb gestrichene Fassade wies erstaunlich dezent darauf hin, dass sich dahinter auf fünf Stockwerken ein Edelbordell befand. Ganz offensichtlich wussten die Männer, die sich in dieser Szene bewegten, auch so Bescheid. Ein beleuchtetes Schild direkt über dem Eingang, eine Leuchtreklame hoch oben am Haus, die auf eine Internetadresse hinwies, das war alles. Delia hatte etwas Spektakuläreres, Auffälligeres erwartet. Rote Gardinen oder leuchtende Herzen in den Fenstern, Lichterketten, flackernde Leuchtreklame überall.

Max schien ihre Gedanken zu erraten. Er zwinkerte ihr zu. «Sieht gar nicht nach dem aus, was es ist – nicht wahr?»

Delia nickte und schluckte trocken. Er schob den schweren roten Vorhang hinter der Eingangstür auf die Seite und ließ Delia an sich vorbeigehen. Das Foyer war die eigentliche Überraschung. Delia wusste nicht, was genau sie erwartet hatte, auf jeden Fall nicht den Eindruck eines mittelgroßen, exklusiven Hotels. Nur die Beleuchtung, die wesentlich schummriger ausfiel als in Hotels üblich und den Raum in eine warme angenehme Atmosphäre tauchte, ließ erahnen, dass es sich um etwas anderes handeln musste. Und die Wände, die in einem kräftigen Bordeauxrot gestrichen waren.

Dezente Instrumentalmusik berieselte den Raum. Direkt gegenüber dem Eingang gab es eine Empfangstheke, hinter der eine etwas füllige, aber durchaus attraktive Brünette ihnen freundlich zunickte.

«Hallo Emily», sagte Max zu ihr. «Ich habe Ersatz mitgebracht. Das ist Delia.»

«Hi», sagte Emily und nickte Delia freundlich zu.

«Für Delia werden auf keinen Fall Buchungen entgegengenommen. Bitte alle Kunden an eine andere Dame vermitteln. Delia wird nur auf dem Podest einspringen.»

Emily zeigte keine Gesichtsregung. «Schön», erwiderte sie trocken. «Dann ist es wenigstens nicht leer.» Das war ihr einziger Kommentar.

Beidseits der Theke führten Flure nach hinten, dann links eine Treppe nach unten, rechts eine nach oben. Koos nickte im Vorbeigehen einigen Kunden zu und ihrer Begleitung, allesamt leicht bekleidete Damen, die an der Bar saßen oder in einer der kleinen gemütlichen Sitzgruppen, die im Raum verteilt waren. Delia bewunderte im Stillen die seidigen Stoffe, mit Goldfäden durchwirkt, hauchzart und fast transparent. Die Frauen erschienen ihr viel schöner und wohl proportionierter, als sie sich selbst einschätzte. Ihnen stand diese hauchdünne Kleidung, die ihnen etwas Feenhaftes verlieh und ihre Reize noch besser zur Geltung brachte, als wenn sie völlig nackt gewesen wären.

Delia hatte Angst, dass ihr vor Scham die Röte ins Gesicht steigen würde. Als Martin eines Tages vorgeschlagen hatte, gemeinsam in die Sauna zu gehen, hatte sie verlegen abgelehnt, und nun? Sie musste übergeschnappt sein, dass sie sich darauf einlassen wollte. In wenigen Minuten würde sie kaum mehr auf der Haut tragen als die anderen Frauen dieses Etablissements.

Koos ging flott voraus, einen Gang entlang, der über eine Leiste knapp unter der Decke indirekt beleuchtet war. Delia blieb kaum Zeit, sich umzuschauen und alles bewusst in sich aufzunehmen.

In dem hell ausgeleuchteten Raum, den sie betraten, waren rundum Spiegel angebracht, davor jeweils eine Ablage mit einem Durcheinander von Schminkutensilien und ein Stuhl. Die beiden Frauen, die dabei waren, sich gegenseitig die Haare zu frisieren, schauten auf. Eine Dritte wurde von einem Mann bedient, offenbar einem professionellen Friseur, der ihre Haare zu einer kunstvollen Hochfrisur hochsteckte.

«Hallo Max», sagten sie alle fast synchron und schauten Delia neugierig an.

«Hallo zusammen», erwiderte er. «Julio, ich brauche deine Hilfe. Das ist Delia.» Dann erklärte er mit wenigen Worten, dass Delia im Foyer einspringen würde und dass sie entsprechend hergerichtet werden müsste, sobald er Zeit für sie hätte. Julio nickte und zeigte dabei eine makellose Reihe strahlend weißer Zähne.

Max Koos nahm einen Morgenmantel von einem Bügel an der Wand und reichte ihn Delia. «Hier, zieh dich aus und das hier über, bis Mona kommt und dir deine Kleidung bringt.»

Zögernd fragte sie leise: «Alles?»

Koos nickte. Er erwiderte ebenso leise: «Mach dir nicht so viele Gedanken. Die Zeit ist schneller herum, als du dir vorstellen kannst, und es wird bestimmt ganz harmlos!»

Delias Lächeln wirkte gequält. Sie sah ihm hinterher, als er den Raum verließ. Dann streifte ihr Blick die anderen, die sie aber bereits nicht mehr beachteten, sondern sich wieder geschäftig ihren Tätigkeiten zugewandt hatten und dabei ungezwungen plauderten.

Während Delia sich auszog und in den Morgenmantel hüllte, verließen die beiden Frauen den Raum. Julio legte gerade noch den letzten Schliff an die Frisur der dritten Frau, dann war auch diese fertig und ging hinaus. Andere Frauen kamen herein und nahmen vor einem der Frisiertische Platz. Sie nickten Delia nur zu und unterhielten sich leise miteinander. Offensichtlich waren neue Gesichter in diesem Haus nichts allzu Besonderes.

Die folgenden fünfzehn Minuten vergingen mit Schminken und Frisieren. Julios ganze Aufmerksamkeit galt Delia und er verstand sein Handwerk. Er arbeitete konzentriert und schnell. Er bat sie, den Morgenmantel auszuziehen, und für einen Augenblick genierte sie sich. Dann überwand sie ihre Scham. Bald würde sie noch viel mehr betrachtet werden, von Männern, die ihren Körper sicherlich mit mehr Begierde mustern würden als der Friseur.

Julio musterte sie verstohlen im Spiegelbild, während er ihr erläuterte, was er vorhatte. Sie würde eine Bereicherung darstellen, hatte eine natürliche Schönheit, nichts Aufgesetztes, nichts Künstliches an sich. Er trug auf ihr Gesicht, Hals, Dekolleté und Arme eine Lotion auf, die feinen Goldstaub enthielt und einen zarten Glanz auf Delias Haut zauberte.

Ihre Haare hatte er toupiert und nach oben frisiert, was Delias Gesicht noch mehr streckte und schlanker machte, als es ohnedies war. Ihre Wangenknochen waren durch Rouge betont, die Augen stärker geschminkt, als Delias es selbst gemacht hätte, mit blaugrünem Lidschatten und einem kräftigen Kajalstrich, mit einer Betonung nach außen, was ihren grünen Augen einen katzenartigen Ausdruck verlieh.

Er erklärte, dass bei der am Podest eher grellen Beleuchtung ein kräftigeres Make-up von Vorteil wäre.

Julios zwangloses Plaudern wirkte auf Delia beruhigend. Dies änderte sich schlagartig, als eine attraktive Mittvierzigerin eintrat, in einen eleganten Hosenanzug gekleidet, mit einem Bündel durchsichtiger Stoffe über dem Arm, und sich als Mona, Max’ Frau vorstellte. Sie sei gekommen, um Delia einzukleiden und auf ihre Arbeit vorzubereiten. Sie breitete die Stoffe über einem Stuhl aus.

Für einen Augenblick erschrak Delia und spielte mit dem Gedanken, das Ganze abzublasen und zu gehen, als sie sah, was sie tragen würde. Es ist nicht mehr als eine durchsichtige Gardine, dachte sie schaudernd. Wenn nur nicht das verfluchte Geld gewesen wäre, das sie dringend gebrauchen konnte – und der Reiz des Unbekannten.

Ähnlich wie Max verfügte auch Mona über eine ausgezeichnete Men-schenkenntnis, die man in diesem Metier auch unbedingt brauchte. Sie fand die Beschreibung ihres Mannes bestätigt, der Delia als scheu und unschuldig, gleichzeitig aber sehr fraulich beschrieben hatte. Es stimmte, Delia hatte ein hübsches Gesicht mit einer schlanken Nase und schön geschwungenen Lippen. Ihre grün schimmernden Augen verliehen ihr einen geheimnisvollen Blick. Sie war schlank, hatte wohl geformte Brüste und einen knackigen, runden Po. Um es mit nur einem Wort auszudrücken, sie war: sexy. Julio hatte sich selbst übertroffen und Delias Persönlichkeit vorteilhaft betont.

«Schau jetzt nicht mehr in den Spiegel. Schließ die Augen und lass dich vom Ergebnis überraschen.» Delia schaute Mona verblüfft an, dann befolgte sie ihre Anweisung und schloss die Augen.

Es war ein merkwürdiges Gefühl, sich in die Kleidungsstücke helfen zu lassen, zu spüren, wie Mona und Julio sie fast überall berührten. Der federleichte Stoff umschmeichelte ihre Haut, schmiegte sich wie statisch aufgeladen an sie, hüllte sie kaum ein und gab ihr doch das Gefühl, ein wenig bedeckt zu sein. Sie wurde hin und her gedreht, ihr Arm angehoben, dann der andere, ein Kleidungsstück übergestreift, dann ging es bei den Beinen weiter. Es wurde gezupft, zurechtgerückt, geprüft und endlich, Delia war sich schon recht merkwürdig vorgekommen, wie eine Art lebendige Schaufensterpuppe, war es soweit.

Monas wohl klingende Stimme forderte sie auf, die Lider zu öffnen. Ein wenig benommen blinzelte Delia in den Spiegel und traute ihren Augen kaum. Die Frau, die ihr Spiegelbild sein sollte, war ihr völlig fremd. Sie drehte und wendete sich, um sich von allen Seiten zu betrachten. Doch, sie selbst musste es sein, wenngleich sie eine solche Verwandlung nicht erwartet hatte. Niemand, nicht einmal ihre beste Freundin, würde sie in diesem Aufzug wiedererkennen.

Die hauchdünnen Schleier in Weiß und Lindgrün, die als weit geschnittene Röhren locker ihre Arme und Beine umhüllten, waren so fein und transparent, dass sie meinte, diese müssten jeden Augenblick zerreißen. Verbunden mit dem knappen Spitzenslip, der kaum ihren Venushügel und ihren Po bedeckte, wirkten die Beinlinge wie die sparsame Ausführung einer Pluderhose.

Fremd und ausdrucksvoll blickten Delias Augen zwischen den kräftig getuschten Wimpern über den schmalen Schleier hinweg, der mit Perlenketten in ihren Haaren befestigt war, über Nase und Mund bis zum Kinn herabhing. Ihre dunkelrot geschminkten Lippen zeigten durch ihn hindurch ein erstauntes und sinnliches Lächeln.

Mehrreihige Perlenketten um ihren Hals, um Hand- und Fußgelenke, verstärkten den Eindruck, einer herausgeputzten Sklavin gegenüberzustehen, vielleicht der Lieblingsfrau eines Sultans. Nicht umsonst sollte sie das Motto des Hauses verkörpern und als Sklavin angeboten werden. Die kleinen, an den Ketten befestigten Strasssteine und anderer Tand klimperten bei jeder Bewegung.

Das Einzige, was Delia an ihrer spärlichen Bekleidung störte, war die äußerst knappe Büstenhebe aus derselben lindgrünen Spitze wie der Slip, die ihre Brustwarzen keineswegs bedeckte, sondern eher noch betonte. Irritiert stellte sie fest, dass diese erwartungsvoll hervorstanden.

Mona ließ ihr keine Zeit, länger darüber nachzudenken. Für sie war alles vorläufig normal. Aufmerksam hatte sie Delias Reaktion verfolgt und war zufrieden, dass sie sich ganz offensichtlich selbst gefiel.

Es klopfte, und ohne ein «Herein» abzuwarten trat Max ein. Er gab Delia ein Zeichen, sich vor ihm zu drehen, und sie folgte lächelnd seiner Aufforderung. Er nickte zufrieden.

«Gut schaust du aus! Kommt, lasst uns ins Büro gehen und alles Weitere besprechen.»

Auf dem kleinen Besprechungstisch standen ein paar Gläser und eine gekühlte Flasche Prosecco bereit. Max schenkte ein und reichte erst Delia, dann Mona ein Glas und stieß mit ihnen an.

«Einen guten Einstand und auf unsere künftige Zusammenarbeit!»

Delia nickte. Sie musste den Schleier heben, um zu trinken, und fand die gesamte Prozedur ein wenig übertrieben, denn sie war fest entschlossen, diese Sache nur ein einziges Mal zu machen, sagte aber nichts dazu. Max jedoch wollte nichts unversucht lassen, Delia den Aufenthalt so angenehm und interessant wie möglich zu gestalten. Wenn sie bei Antritt ihrer Arbeit einen kleinen Schwips hätte, wäre dies sicherlich mehr nützlich als hinderlich.

Der Sekt entspannte Delia tatsächlich bald. Mona und Max erzählten ihr währenddessen ein wenig über die Räumlichkeiten und die Kundschaft ihres Etablissements. Außer dem Empfang befanden sich im Erdgeschoss eine Bar und eine Lounge mit gemütlichen Sitzecken, wo die Kunden sich mit den Damen verabredeten, ersten Kontakt aufnahmen, sich unterhielten und tranken, meistens teuren Champagner. Bei der Lounge befand sich auch eine kleine Bühne, auf der Tänzerinnen kleine Showeinlagen oder Striptease zeigten oder für die Gäste ab und an Karaoke veranstaltet wurde.

Das Podest, auf dem Delia stehen sollte, befand sich dagegen auf der gegenüberliegenden Seite des Foyers im Bereich der Bar. Es maß ungefähr eineinhalb Meter im Durchmesser, war gut dreißig Zentimeter hoch. Offensichtlich war es eine feste Installation, denn zwei Stangen, an denen sich in unterschiedlicher Höhe metallene Ösen befanden, reichten vom Podest bis zur Decke.

Eine Trennwand mit vielen Durchbrüchen grenzte den Barraum vom übrigen Foyer ab. Die Beleuchtung war gedämpfter als im übrigen Raum, nur das Podest war mit mehreren Strahlern in Szene gesetzt. Ansonsten befand sich im Erdgeschoss nur noch der Raum der Security-Leute und Max’ Manager-Büro.

Treppen und ein Aufzug führten zu den anderen Etagen. Die meisten der Zimmer waren an die Prostituierten vermietet. Sie zahlten Max Koos einen festen Tagessatz. Dafür wurden die Zimmer täglich gereinigt, Bettlaken und Handtücher zur Verfügung gestellt. In drei Schichten arbeiteten jeweils ein Koch und ein Hausmeister und sorgten dafür, dass alles am Laufen blieb und die Damen sich wohl fühlten. Den Preis für ihre Dienste handelten sie selbstständig mit dem Kunden aus und rechneten direkt mit ihm ab. Koos verdiente an der Zimmervermietung und am Eintrittspreis, den die Kunden entrichten mussten und in dem lediglich ein Aperitif enthalten war. So verhinderte er ein unnötiges Kommen und Gehen nicht wirklich interessierter oder nicht ausreichend betuchter Männer.

Anfangs hatte Koos viel Geld in die Einrichtung investiert, was sich längst ausgezahlt hatte. Außer den normalen Zimmern, die mit einem großen Bett, Tisch, Stuhl, eventuell einer Kommode oder Deckenspiegeln ausgestattet waren, gab es auch einige exklusivere Räume, die, dem Namen des Edelbordells gerecht werdend, im orientalischen Stil eingerichtet waren. Ein in Zimmermitte stehendes Bett mit Baldachin, bunte Perserteppiche und schwere Vorhänge, Kissen aus orientalischen Stoffen, dazu passende Leuchter in Eisenoptik, vergoldete oder marmorierte Säulen, in großen Ornamenten tapezierte oder mit Illusionsmalerei geschmückte Wände ließen exotische Träume wahr werden. Darüber hinaus befanden sich im Haus noch ein paar Extras wie Whirlpoolzimmer, Massageräume und im Souterrain mehrere Zimmer mit Spezialausstattung, auch ein Dominastudio für Männer mit devoten, masochistischen Wünschen.

Im fünften Stock gab es eine Sauna und einen Aufenthaltsraum mit angeschlossener Küche, der nur den Damen zugänglich war. Schade, dachte Delia, dort werde ich mich wohl niemals entspannen.

Die Gnadenfrist war abgelaufen, die Gläser geleert und sie hatten genug geplaudert, um Delia einen Eindruck vom Haus zu vermitteln. Max nickte Mona unmerklich zu. Sie erhob sich und bat Delia freundlich, aufzustehen und ihr zu folgen.

Zwei Stunden lang stand Delia nun schon im Foyer, die Arme locker zur Seite ausgestreckt. Ketten verbanden die weißen Handgelenksfesseln, die Mona ihr angelegt hatte, mit den beiden Stangen. Die meiste Zeit hielt Delia sich an den Stangen fest. Ihre Beine standen leicht gegrätscht und waren an Ösen auf dem Podest angekettet. Um ihren Hals trug sie ein breites Halsband aus transparentem Kunststoff, mit kleinen grünen Steinen verziert, die im Licht der Spots funkelten. Über zwei Ketten war es ebenfalls mit den Stangen verbunden und schränkte ihren Bewegungsspielraum zusätzlich ein.

Am liebsten hätte Delia vor Scham und Entsetzen laut aufgeschrieen, als sie sich bewusst wurde, dass es nun endgültig kein Zurück mehr gab und auf was sie sich eingelassen hatte. Max hatte ihr zur Beruhigung ein weiteres Glas Sekt eingeflößt, und davon war sie noch eine Zeit lang benebelt genug gewesen, um die ersten eindeutigen Blicke der Männer zu ertragen. Mittlerweile war die Wirkung des Alkohols jedoch verflogen.

Immer wieder mal war Max oder Mona vorbeigekommen, hatte ihr Mut machend zugezwinkert oder sie leise gelobt, wie gut sie ihre Rolle verkörpere. Delia empfand den Zuspruch einerseits als wohltuend, andererseits als zynisch. Welche Rolle spielte sie denn überhaupt? Sie konnte den Händen, die sie betatschten, nicht ausweichen, war der Lückenbüßer für die Wartenden oder die, die sich noch nicht für eine der Damen entschieden hatten, einfach nur ein wenig Abwechslung und Zerstreuung suchten.

Es war nur wenig tröstlich, ihre Mimik durch den Schleier notdürftig versteckt zu wissen, sich hinter der trügerischen Anonymität eines Stückchens Stoff wie hinter einer dunklen Sonnenbrille sicherer und unbeobachteter zu fühlen. Insgesamt fiel es ihr schwer, unglaublich schwer, die Situation zu ertragen, und sie verfluchte mehr als einmal den Satan des Geldes, der sie dazu gebracht hatte, sich von Max dazu überreden zu lassen.

Die meisten Männer betrachteten sie mit frivolem Blick und sie hörte, wie einige zur Theke gingen, um sie zu buchen, und mit wenig Verständnis zur Kenntnis nahmen, dass dies nicht möglich sei. Genau dies forderte sie erst recht dazu heraus, sich Delia zu nähern und sie lüstern zu umarmen, ihr einen Kuss aufzuzwingen, ihr auf den Po zu klatschen oder ihre Brustwarzen zu befingern. Es störte sie nicht, dass Delia dies ohne Begeisterung hinnahm, ihnen auszuweichen versuchte und ihre Miene Abscheu ausdrückte. Es war ihnen egal, ob sie die zickige Prüde spielte oder ihre Abwehr echt war. Im Gegenteil, sie lachten laut über die Sklavin, die schon noch lernen würde, welche Bestimmung sie erwartete.

Iwan, der Türsteher, hatte die Anweisung, erst einzugreifen, wenn es zu sexuellen Handlungen käme. Amüsiert beobachtete er Delias Abwehr-reaktionen.

«Hey, gib sie mir mit, diese widerspenstige Sklavin, dann werde ich sie zureiten und ihr zeigen, was ihre Aufgabe ist!», rief einer der Männer ordinär zu Iwan hinüber, ehe er die rot beleuchtete Treppe nach unten verschwand. Iwan grinste breit.

Delia wurde beinahe übel, wenn sie daran dachte, dass sie sich in einem Bordell befand und sie die einzige Frau war, die hier nicht gevögelt wurde. Wäre es denkbar, dass man sie verschwinden ließ und dazu zwang? Niemand wusste, wo sie diese Nacht verbrachte. Offensichtlich wirkte sie sexy auf die Männer. Sie wusste, dass sie eine gute Figur hatte und schöne Brüste, aber so unverfroren wie hier war sie noch nie angestarrt worden. Natürlich lief sie sonst auch nicht halbnackt durch die Stadt, aber trotzdem –!

«Hallo! Schau nicht so ernst! Ich glaube, du brauchst eine Pause!» Max befreite sie von den Fesseln und nahm sie mit in sein Büro. Ein weiteres Glas Sekt und ein wenig Unterhaltung würden Delia entspannen.

Er betrachtete sie, wie sie mit damenhaft übereinander geschlagenen Beinen im Sessel saß, aufrecht, ohne sich anzulehnen. Der weich fließende Stoff, der in hauchzarter Transparenz ihre Figur umschmeichelte, machte aus ihr die personifizierte Verführung. Für einen Moment spielte er mit dem Gedanken, sie betrunken zu machen und Iwan zu überlassen. Er war darin geübt, unerfahrene, aber letztlich doch willige Frauen in beliebte Techniken einzuweisen, und hatte früher als Zuhälter gearbeitet. Dann verwarf Max die Idee wieder. Es wäre falsch. Er wollte nichts Illegales tun.

Allmählich wirkten Sekt und Müdigkeit. Delia blieb selten so lange auf. Inzwischen war es zwei Uhr nachts, wie ihr die gegenüber an der Wand aufgestellte antike Pendeluhr verriet. Sie gähnte verhalten.

Max brachte sie zurück und kettete sie wieder an. Er lobte sie noch einmal, dann ließ er sie alleine.

Im Moment war es ein wenig ruhiger geworden. Alle Männer waren untergekommen und die Bar leer. Delia war froh, dass ihr Körper mal eine Zeit lang keinen weiteren Angriffen ausgesetzt war. Gewiss, es war nichts Schlimmes passiert, darauf hatte ja auch Iwan zu achten, obwohl sie bezweifelte, dass er diese Aufgabe besonders ernst nahm. Einige Männer hatten sie betatscht, ihre Brustwarzen befummelt und ihr auf den Hintern geklatscht. Sie hatten versucht, sie mit ordinären Wortspielereien geil zu machen. Delia mochte diese Sorte von Wörtern nicht, aber sie konnte darüber hinweghören.

Ein paar der Männer waren jedoch abstoßend gewesen. Sie sahen reich aus, sehr reich. Delia konnte das Geld buchstäblich riechen, so sehr stanken sie nach Geld. Aber vor allem auch nach Geilheit, nach niedriger Geilheit, einer sogar nach Schweiß. Sie hatte den Ekel heruntergeschluckt und verkrampft gelächelt.

Mit müden Augen sah sie sich um. Die Einrichtung war geschmackvoller und luxuriöser, als sie erwartet hatte. Die aufgestellten Bronzefiguren, die Helden und Göttinnen der Antike darstellten, und die an den Wänden hängenden Gemälde mit Motiven des Impressionismus zeugten von Stil und guter Auswahl.

In der Sitzgruppe in Delias Nähe lümmelte jetzt ein Gast mit einer recht jungen Frau. Für ihn viel zu jung. Seine Kleidung, Uhr und zwei Ringe bezeugten einen gewissen Wohlstand. Ab und an lachte die Frau ein wenig zu schrill und künstlich zu dem auf, was er ihr angeregt erzählte. Seine Hand war unter ihren Rock geschoben, und sie bewegte sich rhythmisch vor und zurück, als ob sie auf seinen Fingern reiten würde. Delia nahm nur Fetzen davon wahr. Erneut gähnte sie, drehte ihren Kopf, um sich mehr umzusehen. Aber mehr war im Augenblick nicht los. Ihr Kopf zuckte hoch. So musste es sein, wenn man durch Übermüdung während einer Autofahrt in den Sekundenschlaf verfiel! Sie riss die Augen auf, aber kurz darauf verschleierte sich erneut ihr Blick und sie dämmerte weg. Ein Regal voller Spielsachen für Erwachsene erschien vor ihren Augen, ihre Hand griff danach, aber immer, wenn sie eine der bunten Packungen aus dem Fach nehmen und näher betrachten wollte, langte ihre Hand daneben …

«Ist alles in Ordnung mit dir?»

Der Traum riss ab und der Schall von Max’ Stimme dröhnte überlaut in ihrem Ohr.

«Ja, ich – ich denke schon», stammelte Delia mühsam. «Mein Kreislauf macht ein bisschen Probleme. Für einen Augenblick hatte ich das Gefühl, mir wird gleich schwarz vor den Augen.»

Max nickte. «Dachte ich mir schon. Du siehst kalkweiß aus. Komm mit und trink einen Kaffee.» Er machte sie los und fasste sie sicherheitshalber unter den Arm, bis sie in seinem Büro angelangt waren. Dann reichte er ihr eine Tasse heißen Kaffee aus seiner Thermoskanne.

«Danke, das tut gut.»

«Willst du aufhören?»

«Nein, nein, es geht schon. Die letzten zwei Stunden halte ich auch noch durch.»

«Okay.» Max setzte sich ihr gegenüber und zündete sich eine Zigarette an. Er blies den Rauch zur Decke, schaute Delia überlegend an.

«Ist was?»

«Wie man es nimmt. Ich weiß, du hast noch nie als Hure gearbeitet und willst es auch nicht versuchen. Verstehe ich. Wenn man einen ordentlichen bürgerlichen Beruf hat …» Er beugte sich vor und lehnte sich mit den Unterarmen auf dem Tisch auf.

«Aber?», fragte Delia. «Du willst doch auf irgendetwas hinaus. Spuck’s aus!»

Er grinste.

«Ich hätte nicht gedacht, dass du so direkt zur Sache kommst. Nun – heute Abend haben schon ein paar Stammkunden nach dir gefragt.»

«Nein!» Delias Widerspruch kam prompt und klang sehr entschieden. In ihren Augen spiegelte sich Entsetzen.

Max bohrte nicht weiter nach. «Schade. Nimm es mir nicht übel. Aber ich wollte dich wenigstens noch mal fragen.»

Es hatte keinen Sinn, wenn sie nicht wollte. Es war wohl besser, es nicht zu erzwingen.

Als Delia ihren Kaffee ausgetrunken hatte, brachte er sie ins Foyer zurück. Inzwischen war wieder mehr los. Einige Kunden suchten Unterhaltung. Ihre Stammhuren waren noch nicht frei. Sie lebten ihre Langeweile und ihren Übermut an Delia aus. Begrapschten ihre Titten, kitzelten sie, bis sie fast atemlos war, drangen ungeniert mit den Fingern in ihren Slip ein und rieben ihre Klitoris. Vergeblich war ihr abwehrendes «Nein, nein, bitte nicht!». Die Männer lachten nur und stachelten sich gegenseitig an. «Ja, zeig’s ihr!»

Delias Müdigkeit war völlig verflogen. Sie wand sich, zerrte hilflos an ihren Fesseln und hätte am liebsten geweint, wenn es nicht so überaus peinlich gewesen wäre. Verzweifelt biss sie sich auf die Unterlippe, um sich nicht weiterhin mit ihrem Gejammer zum Gespött zu machen. Die Minuten schienen nicht zu vergehen. Wo war nur Iwan? Warum half ihr denn keiner? Sie starrte an die Decke, an den Männern vorbei, die sich fürstlich zu amüsieren schienen, ihre nassen Küsse auf ihrem Hals und Dekolleté hinterließen. Die Berührungen ihrer Hände brannten wie Feuer auf Delias Haut. Sie verspürte ein dringendes Verlangen, sich zu waschen. Dann endlich, nach einer halben Ewigkeit, schritt endlich Iwan ein und bat die Männer von ihr abzulassen.

Sie war todmüde und erschöpft, als sie ihren Job erfüllt hatte und Max ihr das Geld aushändigte. Er gab ihr eine Visitenkarte und sagte, sie könne jederzeit wieder für ihn arbeiten, auch öfter, gerne auch an den Samstagen. Aber sie schüttelte den Kopf und meinte, eine Nacht würde ihr reichen. Sie könne sich eine Wiederholung im Augenblick nicht vorstellen.

Gefangen

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