Читать книгу Gefangen - Sira Rabe - Страница 8

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Kapitel 4

Im Laufe der kommenden Wochen legte sich Delias schlechtes Gewissen. Je mehr Zeit verfloss, desto unwirklicher erschien ihr das Erlebte. Es war eher wie die Erinnerung an einen Spielfilm, von dem man emotional sehr beeindruckt wurde. Dennoch, rückblickend erhielt das nächtliche Erlebnis eine ganz andere Bewertung als in den Stunden danach. Denn jeder Tag verlief gleich. Aufstehen, in die Bank fahren, Börsenmeldungen beurteilen und die Kunden entsprechend bei ihrer Geldanlage beraten. Einkaufen gehen, nach Hause kommen, kochen und ein bisschen Haushalt erledigen, fernsehen, schlafen. Tag für Tag das Gleiche. Selbst die Wochenenden waren ohne Abwechslung. Ausschlafen, lange frühstücken, gelegentlich Freunde treffen, die aber immer weniger wurden, seit sie sich von Martin getrennt hatte.

Endlich war in ihrem ansonsten gleichförmigen Leben einmal etwas Besonderes passiert. Etwas Aufregendes. Etwas – weniger Anständiges? Das war es! Delia war ihren Eltern stets eine Bilderbuchtochter gewesen, die selbst dann, als die anderen in der Pubertät durchdrehten, gelassen und artig blieb. Niemand, abgesehen von Sabrina, erfuhr oder spürte etwas von ihren seelischen und körperlichen Sehnsüchten.

Nach der Schule hatte Delia sofort eine Banklehre angefangen, mit Bravour bestanden, sich durch Fortbildungen hochgearbeitet. Sie war fleißig und ehrgeizig, aber ohne Ellenbogentaktik oder Intrigen, immer beliebt, umgänglich – eben anständig.

Eigentlich fehlte ihr nur noch der passende Ehemann, möglichst gut aussehend und ohne Bierbauch, etwas besser verdienend, dazu ein Haus mit Garten und mindestens zwei Kinder. Dazu vielleicht noch Hund und Katze. Dann wäre alles perfekt. Das perfekte kleinbürgerliche Familienbilderbuchleben?

Nein, perfekt, aber kotzlangweilig! Delia schüttelte unzufrieden den Kopf. Früher erschien ihr das alles völlig normal und erstrebenswert. Aber seit Martin ihre kleine heile Welt ins Wanken gebracht hatte, war sie sich gar nicht mehr so sicher, ob sie sich so eine Zukunft überhaupt wünschte.

Vielleicht sollte sie es sich doch noch einmal überlegen und sich erneut auf ein kleines Abenteuer einlassen? Schließlich war ja nichts passiert. Nicht wirklich. Max hatte gesagt, sie bräuchte auch künftig nicht mehr zu tun als bei ihrem Debüt. Nur als attraktiver Lückenbüßer den Platz auf dem Podest einnehmen, damit die anderen Damen nicht dafür herhalten mussten, sondern Zeit für ihre Freier hatten. Also – was war schon dabei, ob sie von Männern begrapscht wurde, die geil waren und bereit, für alles zu bezahlen. Andererseits – wenn sie daran dachte, wie einer ihr in den Slip gegriffen hatte, überfiel sie beinahe Übelkeit.

Grübelnd drehte Delia die Visitenkarte in der Hand. In ihrem Geldbeutel war fast Ebbe. Wieder. Sie fing an, sich selbst die Vorteile aufzuzählen. Einer war besonders ausschlaggebend: es würde schnell verdientes Geld sein. Sie atmete tief durch. Wenn sie mit dem Erlebten nach dem ersten Mal klargekommen war, wieso sollte es ihr dann beim zweiten Mal schwerer fallen?

Morgen Abend wäre günstig. Sabrina war wieder mal unterwegs nach Hongkong. Sie wäre ohnehin alleine, würde niemanden treffen. Noch immer unschlüssig nahm sie das Telefon in die Hand und wählte. Als sich am anderen Ende eine Frauenstimme meldete, legte sie erschrocken wieder auf. Fremde Männer. Entsetzlich. Will ich nun oder will ich nicht? Verdammt – ich habe mich doch schon entschieden! Warum bin ich nur so feige?

Sie drückte die Wahlwiederholung und diesmal verlangte sie mit sicherer Stimme, Max Koos zu sprechen.

Max hatte nicht mehr damit gerechnet, dass Delia sich jemals wieder melden würde. Ein Lächeln umspielte seine Lippen. Wenn es ihm gelang, sie für jeden Freitag und eventuell sogar Samstag zu engagieren, hätte er einen attraktiven Blickfang gewonnen. Mona würde ihr ein bisschen Stil beibringen müssen. Wie man sich weniger verkrampft bewegte und entgegenkommender auf die Männer einging. Er war überzeugt davon, dass Delia ein Naturtalent war und bald perfekt agieren würde. Und wer weiß, eines Tages würde sie vielleicht doch schwach werden. Sie war ein wenig einsam und es gab eine Menge interessanter Männer in seinem Etablissement, darunter sicherlich einige, die ihr gefallen könnten.

Der Abend verlief vergleichsweise gut. Max hatte auf Anraten seiner Frau Mona Delia einen Saft mit ein paar Beruhigungstropfen gegeben, den er ihr zur Begrüßung reichte. Eine Zeit lang wirkten die Tropfen und gaben ihr die nötige Gelassenheit, die Bemerkungen und das Anfassen der Männer leichter hinzunehmen.

Aber als die Wirkung nachließ, begann sie sich zu fragen, warum sie sich erneut darauf eingelassen hatte. Ansonsten geschah jedoch nichts Außergewöhnliches. Einige stiegen zu ihr aufs Podest, streichelten ihre Brüste, einer hob sogar ihren Schleier und rang ihren Lippen einen Kuss ab. Doch anders als beim ersten Mal fasste ihr keiner in den Schritt und plötzlich war die Zeit vorbei. Sie atmete erleichtert auf.

Diesmal gelang es Max nach kurzer Argumentation, Delia zu einer Zusage für den nächsten Freitag zu bewegen. So wie er sie einschätzte, würde sie es möglicherweise bereuen, sobald sie zu Hause war, aus Ehrgefühl aber nicht anrufen, um ihre Zusage zu widerrufen. Er lächelte wissend. Manchmal war es eben hinderlich, anständig zu sein und sich an Versprechen zu halten. In diesem Fall ein Nachteil für Delia, aber zum Vorteil für ihn.

Ehe Delia sich versah, verbrachte sie jede Freitagnacht in Max Koos’ Edelbordell. Zwar war sie die Stunden davor immer noch nervös, aber sie redete sich selbst ein, dass es ein harmloser und gut bezahlter Job war.

Von zehn Uhr abends bis vier Uhr früh war sie der Blickfang. Nur für Samstag war sie nicht zu erwärmen, weil es einige Fernsehshows gab, die sie ungern versäumte.

Manchmal kam Delia schon früher, und wenn die anderen Frauen nichts zu tun hatten, ergaben sich Gespräche, in denen Delia deren Lebensgeschichte erfuhr, wie sie zur Arbeit im Bordell gekommen waren, und sie wurde sich bewusst, wie gut es ihr in ihrem Bürojob und ihrem vermeintlich langweiligen Alltag ging.

Der Ablauf im Haus war vollkommen durchorganisiert. Jede hatte ihre speziellen Techniken und ihre Stammkunden, die schon Wochen im Voraus ihre Termine festlegten. Außer Getränken war es auch möglich, kleine Snacks und Leckereien zu bestellen, denn zum festen Personal gehörte unter anderem ein Koch, und weil das Gebäude ursprünglich ein Hotel war, existierte auch noch die gut ausgestattete Küche, als Koos es bei einer Zwangsversteigerung erwarb.

Jede Woche gab es einen neuen Speiseplan. Die Frauen legten fest, was sie essen wollten. Aber es wurde nicht nur gekocht, auf bestimmte Diäten oder Gewohnheiten Rücksicht genommen, sondern auch frische Salate und Obst eingekauft. Delia war überrascht, wie gut die Versorgung war. Für ihre Pausen wählte sie hauptsächlich leichte Speisen, um nicht zu ermüden oder den Bauch wie eine kleine Kugel vor sich herzuschieben. Außerdem war sie nach wie vor viel zu aufgeregt, um ein richtiges Essen hinunterzubringen.

Mittlerweile kannte sie auch die Räumlichkeiten besser. Eigentlich war sie gar nicht scharf darauf gewesen, die Zimmer zu sehen. Eine natürliche Scheu hatte anfangs über ihre Neugierde gesiegt. Aber es hatte sich ergeben, als sie auf dem Weg zur Toilette war und die Türen von zwei unbelegten Zimmern offen standen.

Bei dem Umbau vom Hotel zum Edelbordell hatte man die Zimmeraufteilung beibehalten, ebenso die eingebauten Badezimmer. Lediglich das Inventar war ausgetauscht und die Wände waren gestrichen worden. Delia musste zugeben, dass sie sich in einigen dieser Zimmer als Gast wohlgefühlt hätte.

Zur unteren Etage fand sie dagegen keinen Zugang. Weder interessierten sie die Räumlichkeiten, von deren spezieller Ausstattung sie dann und wann etwas aufschnappte, was ihr die Haare aufstellte, noch lernte sie die Frauen, die ihrer Aufgabe als Dominas nachgingen, näher kennen. Sie kamen nur selten nach oben und unterhielten sich kaum mit den anderen Frauen.

Allmählich gehörte dieser Freitagabendjob zu Delias Leben wie alles andere. Max hatte sich an ihre Abmachung gehalten und wimmelte die Anträge der Männer ab, die sie buchen wollten.

Seltsamerweise kommentierte Sabrina nicht die Veränderung, die mit ihrer Freundin vor sich ging. Zum einen lag es wohl daran, dass sie kaum Zeit hatte und viel zu sehr mit ihrem neuen Freund, einem Chefsteward, beschäftigt war und meistens diejenige war, die plapperte, wenn sich die Freundinnen doch einmal trafen. Zum anderen hätte sie Delia in Verlegenheit gebracht und vielleicht diese Entwicklung, die sie mit einer gewissen Distanz beobachtete, gestört. Diese ungewohnte Ungezwungenheit, Lockerheit, das Vermögen, auch über Dinge zu lachen, die Delia früher eher peinlich erschienen waren – all das gefiel Sabrina. Sie machte sich keine Gedanken darüber, wohin das noch führen sollte …

Es geschah bei Delias drittem Einsatz. Sie hatte gerade ihre erste Pause hinter sich gebracht und wieder ihre Position eingenommen, als das untrügliche Gefühl beobachtet zu werden sie veranlasste, sich umzuschauen. Natürlich wurde sie sowieso die ganze Zeit betrachtet, deswegen stand sie schließlich auf dem Podest. Sie war der Blickfang. Aber es war anders. Als würde jemand ihren Namen rufen, ohne dass dies wirklich passierte. Nur in ihrem Kopf existierte diese Verbindung zwischen ihr und dieser Person. Ein nervöses Kribbeln, wie von tausenden Ameisen verursacht, setzte auf ihrer Kopfhaut ein, lief ihren Nacken herunter, überflutete ihren ganzen Körper und entlockte ihr beinahe ein sehnsüchtiges Aufstöhnen, ein kribbelndes Gefühl der Lust. War sie denn völlig verrückt geworden, oder lag es nur daran, dass ihr einziger männlicher Freund ein Vibrator war und sie endlich einmal wieder einen richtigen Mann spüren wollte – aber keinen von diesen, auf die zu Hause wahrscheinlich eine ahnungslose Ehefrau wartete!

Dann entdeckte sie ihn. Er war gerade eingetreten und stand im Schatten einer der Säulen, die das Vordach der Bar trugen und diese optisch von der Halle trennten. Mit einem Schlag war sie hellwach. Sie richtete sich ein wenig mehr auf, streckte unbewusst ihre halbnackten Brüste heraus, umklammerte fester die Stangen, an die sie angekettet war.

Der Mann nahm seinen regennassen Hut herunter, strich mit einer lässigen Bewegung über die Krempe, schüttelte die Tropfen ab. Er fuhr sich mit den Fingern durch das kurz geschnittene Haar, das vom Hut ein wenig verdrückt war. Unter dem geöffneten Mantel wurde ein eleganter anthrazitgrauer Geschäftsanzug sichtbar, wie maßgeschneidert. Von der dezent gemusterten Krawatte über das seidig glänzende Hemd bis zu den Designerschuhen passte alles zusammen. Er war etwa eins fünfundachtzig groß, mit einem durchtrainierten, schlanken Körper, alles in allem gut aussehend, ein Bild von einem Traummann – wie aus einem Modemagazin. Nur ein wenig älter, reifer als die Models, die Delia von Abbildungen kannte, vielleicht Ende dreißig bis Anfang vierzig. Ein Mann im besten Alter, der die unbedarften Verrücktheiten der Jugend abgelegt und seinen beruflichen Weg gefunden hat.

Schlanke, lange Finger, gepflegte Hände. Am Ringfinger der linken Hand funkelte ein roter Stein auf einem schmalen Platinring. Taxierend schaute er in die Runde, verschaffte sich einen Gesamtüberblick.

Dann fixierte sein Blick Delia. Es war ihr, als würde sie durchbohrt werden. Selbstbewusstsein, Stolz und ein Hauch von Arroganz lagen in seiner Haltung. In einem anderen Leben wäre er ihr vermutlich als tapferer Ritter begegnet, der jedes Turnier gewann und dem die Edelfrauen seufzend zu Füßen sanken.

Delia wagte kaum zu atmen, als er langsam näher kam. Er umrundete ihr Podest und ihr Kopf drehte sich, folgte ihm automatisch. Dann blieb er genau vor ihr stehen. Delia starrte in ein Gesicht von atemberaubender Vollkommenheit. Die Gesichtszüge wie gemeißelt, scharf geschnitten, ein beinahe als klassisch zu bezeichnendes Profil. Sorgfältig rasierte, leicht gebräunte Haut.

Das alles nahm sie nur für Sekundenbruchteile wahr, denn als sie schließlich in seine Augen sah, die sie scheinbar ohne jeglichen Lidschlag unentwegt fixierten, war sie wie paralysiert und konnte den Blick nicht mehr abwenden. Stahlgrau und geheimnisvoll, in einem Kranz ungewöhnlich dichter, langer Wimpern hervorgehoben, lagen seine Augen unter schön geformten, schmalen, fast schwarzen Brauen.

Die folgenden Sekunden vergingen wie eine Filmsequenz in Zeitlupe. Der Mann musterte sie von oben bis unten, streckte die Hand nach ihr aus. Aber er sprach kein Wort, er lächelte nicht mit seinen wohl geformten Lippen, er berührte auch nicht ihren Körper. Seine Hand schien über ihre Brüste, ihre Rundungen, ihre Taille hinwegzuschweben. Als taste er sie mit einem Sensor ab. Dennoch meinte Delia, seine Fingerspitzen zu fühlen, als strahlten sie eine Art knisternder Elektrizität aus.

In Delias Ohren setzte ein Rauschen ein. Ihr Gegenüber sagte etwas zu ihr, sein Mund bewegte sich, aber sie verstand kein Wort. Bewegten sich seine Lippen lautlos oder sprach er wirklich? Sie hätte gerne gewusst, ob seine Stimme so klang, wie sie sich diese vorstellte. Fest, markant, sonor. Erneut sagte er etwas. Das Rauschen in Delia Ohren nahm zu. Sie schüttelte instinktiv den Kopf, schluckte voller Panik.

Er drehte sich ab. Sie nahm verschwommen wahr, wie er aufrecht, seinen Mantel über den Arm gelegt, auf Max zuging, der eben aus seinem Büro ins Foyer getreten war. Delia erschien der Gang des Fremden verzögert. Überdeutlich registrierte sie jedes Detail seiner Bewegung. Wie er sein Bein anhob, das Knie abwinkelte, den Fuß gerade aufsetzte, als erfolge jeder Schritt bewusst. Nichts blieb dem Zufall überlassen. Er war die verkörperte Kontrolle und sie meinte beinahe, sie müsse ihm folgen, jede Bewegung nachahmen.

Die beiden Männer sahen nun zu ihr herüber. Max antwortete irgendetwas auf eine Frage. Delia erkannte es an seinem Blick, seiner Gestik. Der Fremde zuckte in leichtem Bedauern mit den Schultern. Dann verschwand er in dem Gang, an dessen Ende eine Treppe nach unten führte.

In ihrer Pause fragte Delia, wer der Mann gewesen sei.

«Einer unserer besten Stammkunden», antwortete Max. «Er ist sonst immer samstags gekommen. Er hat nach dir gefragt und ich habe ihm erklärt, dass du nicht zu haben bist.»

Vermutlich war es besser so. Denn Delia war in diesen Dingen immer noch unerfahren, hatte keine Ahnung, worauf es ankam. Vermutlich würde dieser Kunde, über den Max nur wenig wusste – andere waren da weitaus gesprächiger – es weniger übel nehmen, auf Delia verzichten zu müssen , als wenn sie zustimmte und sich ungeschickt oder spröde anstellte.

Aber verdammt, der Kerl hätte gut bezahlt, mehr als üblich! Dabei war er den Frauen unheimlich, keine riss sich darum, die Stunden mit ihm zu verbringen. Und diejenigen, die es taten, erzählten nur wenig davon. Sie hatten wohl ihre Gründe.

Einmal hatte Max ihm eine professionelle Sklavin besorgt, eine von einem seiner Konkurrenten, denn eigentlich arbeiteten bei ihm nur normale Huren. Gewiss, er hatte auch zwei Dominas im Haus, die es den Männern anständig besorgten, die das wollten. Aber keine Sklavinnen. Dafür hatte er sich nie interessiert.

Aber dieser verdammte Kerl hatte es sogleich bemerkt. Er wollte keine, die schon zur Sklavin erzogen war, und hatte angedroht, künftig woanders hinzugehen. Er wollte sie sich selbst zur Sklavin erziehen, ihre Unerfahrenheit auf diesem Gebiet ausnutzen, sie mit Dingen überraschen, die ihr Körper noch nicht erlebt hatte. Die meisten Frauen, die für Max arbeiteten, waren davon alles andere als begeistert. Sie waren es nicht gewohnt, viel Zeit in einen einzigen Mann zu investieren und sich ihm vertrauensvoll hinzugeben. Er war ihnen unheimlich in seinen fast romantischen Forderungen, die sich plötzlich in ein grausames Gegenteil wandelten, wenn das Treffen nicht verlief, wie er sich das vorstellte.

Max war schon drauf und dran gewesen, den Mann hinauszuwerfen und ihm Hausverbot zu erteilen, obwohl es im Grunde genommen unangenehmere Kunden gab. Aber Geld stinkt nicht. Und dieser zahlte gut für seine Sonderwünsche. Nur wurde es immer schwieriger, eine Frau zu finden, die ihn wenigstens halbwegs zufriedenstellte – und die überhaupt bereit war, zu ihm zu gehen. Denn natürlich tauschten seine Damen besondere Erfahrungen untereinander aus, warnten sich vor Kunden, die ihnen nicht ganz geheuer erschienen.

Delia war inzwischen gut im Verdrängen. Sobald sie zu Hause angekommen war, nahm sie eine heiße Dusche und versuchte nicht mehr an die Nacht zu denken. Der Blick des Mannes ging ihr allerdings nicht so schnell aus dem Kopf. Er war irgendwie anders. Ach was!, schalt sie sich. Er ist auch nur einer, der bezahlt!

Als sie am darauffolgenden Freitag ihren Platz auf dem Podest eingenommen hatte, erwartete sie trotzdem, ihn wiederzusehen. Warum nur? Ich will doch gar nichts von ihm! Doch wie ein Teufelchen bohrte ihr zweites Ich nach. Warum bist du dann so scharf darauf, ihn noch mal zu sehen? Delia hatte darauf keine plausible Antwort. Er ist attraktiv, wimmerte sie in sich hinein.

Sie glaubte schon, er käme an diesem Abend nicht. Ein paar Gäste, die laut lachend mit den Frauen an der Bar scherzten, hatten sie abgelenkt. Da stand er plötzlich vor ihr.

Wie eine Woche zuvor bot er ein perfektes Erscheinungsbild, Anzug und Krawatte waren aus gutem Stoff. Keine unnötigen Accessoires. Nur eine Uhr und der Ring an der linken Hand.

Er musterte Delia mit einem scheinbar emotionslosen Blick, aber einem leicht spöttischen Zug in den Mundwinkeln. Überlegenheit und Selbstbewusstsein in vollendeter Harmonie. Ein Gewinner. Einer, der immer bekam, was er wollte.

Was für ein arroganter Schnösel, dachte Delia bei sich. Wieso war ihr das nicht gleich aufgefallen? Doch obwohl sie genau diesen Typ Männer verabscheute – die sich offensichtlich für bedeutender, klüger und unersetzlicher als den Rest der Menschheit hielten und insbesondere den Frauen überlegen fühlten – musste sie bei diesem zugeben, dass er irgendetwas an sich hatte, was sie besonders anmachte. Mühsam unterdrückte sie ein Stöhnen. Sein Blick entfachte ein Feuer zwischen ihren Schenkeln, das sie sich nicht gestatten wollte. Was geschah mit ihr? Unbeweglich starrte er sie an und sie war ihrerseits nicht in der Lage, ihren Blick von ihm abzuwenden. Ihre Lippen begannen zu zittern.

Dann wurde Delia plötzlich von einem anderen Mann abgelenkt, der auf einmal in ihrem Blickfeld erschien, auf das Podest hochstieg und sie ungeniert begrapschte. «Nein», hauchte sie abwehrend. Glücklicherweise dauerte dieser Überfall aber nur kurz, da seine nächtliche Gefährtin ihn abholte.

Delia schaute sich nervös um, aber er war fort. Natürlich hatte er alles beobachtet. Delia fühlte sich peinlich berührt. Was sollte er nur von ihr denken?

Sie erschrak. Bin ich verrückt? Er ist ein Mann wie alle hier. Es ist völlig gleichgültig, was er von mir denkt. Er will doch auch nur Sex gegen Bezahlung. Verwirrt gestand sie sich ein, dass es ihr plötzlich wieder etwas ausmachte, zur Schau gestellt zu sein. Dabei hatte sie geglaubt, sie wäre über dieses Stadium hinweg.

Sie sah Max auf sich zukommen, der sie loskettete.

«Aber meine nächste Pause steht doch noch gar nicht an, oder?», fragte sie verdutzt.

«Macht nichts, ich muss mit dir reden.»

Die Unterhaltung verlief ergebnislos. Max versuchte Delia davon zu überzeugen, dass ER sie haben wollte und dafür besonders gut bezahlen würde. Aber als Max sah, dass Delia sofort blass wurde und energisch ablehnte, verwarf er den Gedanken. Sie war noch nicht so weit, und vielleicht würde sie es niemals sein. Aber er würde nicht müde werden, sie erneut zu fragen, so wie ihr Interessent wohl nicht überdrüssig werden würde, seinen Wunsch jedes Mal aufs Neue zu äußern.

Delia wäre möglicherweise genau das, was der Fremde suchte. Eine unschuldige, eher schüchterne Frau, die noch nie ihren Körper verkauft hatte, die nicht wusste, was für Spielarten manche Leute bevorzugten. Eine, die sich vor lauter Angst vielleicht sofort und aufrichtig unterwerfen würde. Vielleicht war es das, was der Mann tatsächlich suchte. Aber dann war er hier eigentlich am falschen Ort.

Mochte sein, dass er, Max, ein Charakterschwein war. Sonst hätte er Delia, dieses unverdorbene Wesen, nicht überredet, in seinem Foyer als lebende Puppe zu stehen. Aber so verroht war er nicht, dass er sie in einem nicht kalkulierbaren Risiko diesem Kerl buchstäblich zum Fraß vorwarf und ihren Seelenfrieden ruinierte.

Oder doch? Kurz überlegte er, ob er sie zwingen sollte. Aber solche Aktionen waren nicht sein Stil. Genau deswegen hatte er nie Fuß im gewöhnlichen Zuhältergeschäft gefasst, sondern mit Monas Hilfe das Edelbordell eröffnet und ein paar Leute fürs so genannte Grobe eingestellt. Sie waren ein erfolgreiches Team, auch ohne zimperliche Frauen wie Delia, und ihre Finanzen waren längst saniert.

Gefangen

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