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Kapitel 3

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Das Leben ist so kompliziert. An manchen Tagen wünschte ich, ich wäre nur eine Katze. Ein Panther. Oder so. In der Sonne liegen, fressen, entspannen, durch den Tag dösen. Schmetterlinge jagen, mich an den Beinen von irgendeinem Fremden reiben, dann weiter schlafen.

Stattdessen gehe ich auf und ab und versuche, Herr meiner Gedanken zu werden. Ich bin allein im Haus und froh darüber. Ich will nicht, dass mich die anderen in diesem Zustand der totalen Verwirrung sehen. Sonst bin ich immer so beherrscht, nach außen hin kühl, aber jetzt …weiß ich gerade nicht, ob ich mit Dingen um mich werfen, jemanden umbringen oder Berge von Eiscreme essen soll. Am besten alles gleichzeitig. Jemandem das Eis an den Kopf werden, ihn so umbringen und es dann essen.

Ich werde noch verrückt. Bestes Zeichen – Eis als Mordwerkzeug verwenden. Da käme nicht mal ein blutiger Anfänger drauf, totaler Scheiß. Mit mir stimmt was ganz und gar nicht. Ich muss wieder in die Spur kommen, weg von diese ganzen wirren Gedanken und Gefühlen. Ich renne ins Büro und nehme die erste beste Akte vom Stapel. Ich muss jemanden umbringen.

Es handelt sich um einen einfachen Auftragsmord, ein Geschäftsmann, der sich mit den falschen Leuten eingelassen hat. Die zahlen gut, hört sich einfach an. Sie würden einen Giftmord bevorzugen, sind aber mit allem einverstanden, was nicht zu viel Schweinerei verursacht. Kein Problem. Ich öffne das Schränkchen hinter dem geschmacklosen Portrait einer schottischen Hochlandkuh (war schon im Haus, als ich’s gekauft habe) und nehme einige Messer und Pfeile heraus. Ich habe immer einige Giftpfeile dabei, die in meine Kleidung eingenäht sind, aber es ist immer gut, eher zu viele als zu wenige dabei zu haben. Man weiß nie, was man da draußen antrifft.

Ausgestattet mit einer größeren Zahl Messern, als die meisten Leute in ihrer Küche haben, gehe ich aus dem Haus und gleich hoch auf die Dächer. Es ist spät am Nachmittag und nicht der perfekte Tag für einen Anschlag, aber ich will nicht länger warten. Ich brauche den Adrenalinschub, das Gefühl absoluter Kontrolle und Körperbeherrschung, mit der ich von einem Dach zum nächsten springe und auf Giebeln balanciere, als hätte ich festen Boden unter den Füßen.

Die frische Luft beruhigt mich weiter. Es riecht nach Regen. Besser, ich bringe das schnell hinter mich und bin wieder zu Hause, bevor die Dächer zu nass und damit unsicher werden. Selbst mir sind Grenzen gesetzt. Um mich auf nassen Schindeln gut fortbewegen zu können, müsste ich wieder Panthergestalt annehmen, und das geht nicht am helllichten Tag. Die Leute mögen ja noch akzeptieren, dass ein Mensch über die Dächer rennt, aber ein Panther … das nähme wohl ein schlimmes Ende.

Meine Zielperson lebt in einiger Entfernung vom M.I.A.U. Hauptquartier und bis ich dort bin, fühle ich mich wieder viel besser. Dies hier ist Routine, etwas Vertrautes. Ich weiß, was ich in dieser Situation tun muss. Jetzt muss ich nur noch die Umgebung auf Verdächtiges absuchen, nachsehen, ob noch jemand im Haus ist und dann zuschlagen. Ganz einfach. Ich lecke meine Lippen, als der Panther in mir sich bemerkbar macht. Vielleicht werde ich doch etwas gewalttätiger vorgehen als geplant.

Ich kauere mich auf dem Dach gegenüber dem Haus der Zielperson nieder und konzentriere mich auf alle Sinneseindrücke. Es ist nur eine Person im Haus, mit hoher Wahrscheinlichkeit die Zielperson. Und auch wenn es jemand anderes sein sollte – ich bin in der Art von Stimmung, die mich keine Überlebenden zurücklassen lässt. Töten ist eine gute Art sich abzulenken. Nachdem ich sicher bin, dass alles ist, wie es sein soll, trete ich zurück, um mehr Raum zu haben. Ich atme tief ein, nehme Anlauf und springe vom Dach – direkt auf das andere Haus auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Trotz aller schlimmen Erfahrungen, die mich mein Wandler-Dasein hat machen lassen, würde ich nicht anders sein wollen. Und wenn ich wählen müsste, würde ich lieber ein Panther als ein Mensch sein.

Das Dach ist in erbärmlichem Zustand, und ich muss aufpassen, dass die Schindeln mir nicht unter den Füßen wegrutschen. Also lieber wieder runter auf festen Boden. Ich will doch meine Zielperson nicht durch merkwürdige Geräusche an der Decke aufmerksam machen. Mit einem Salto rückwärts katapultiere ich mich vom Dach und lande auf allen vieren in einem kleinen Garten. Gänseblümchen wachsen im Gras, ihr Duft kitzelt meine Nase. Ich lächle. Auch das werden die meisten Menschen nie erfahren – wie herrlich Gänseblümchen duften.

Geräusche an der anderen Seite des Hauses geben mir die Sicherheit, mich aufzurichten und das Schloss an der rückseitigen Tür zu knacken. Das alte, rostige Schloss leistet nicht viel Widerstand. Die Tür öffnet sich mit einem leichten Quietschen, das selbst ich nicht verhindern kann. Nun gut. Wenn der Mann das hört, müsste ich ihm halt direkt entgegentreten. Wäre mir eigentlich lieber. Ein kleiner Kampf, ein bisschen Hilfe-Geschrei, dann ein zielsicherer Tritt gegen den Hals. Oder ein Messer zwischen die Rippen. Ich lache in mich hinein, als mir klar wird, wie blutgierig ich bin. Diese ganze Ermittlerei hat wohl diesen Blutdurst hervorgerufen.

„Hallo?“, ruft eine tiefe Stimme. Also hat er doch die Tür gehört. Hurra. Das ist doch viel spannender, als mich von hinten anzuschleichen und ihm mit einer schnellen, langweiligen Handbewegung die Kehle durchzuschneiden. Ich eile der Stimme entgegen. Er ist in der Küche und hält ein großes Brotmesser in der Hand. Noch mehr Spaß. Er macht dies zu einer Herausforderung.

Ich grinse raubtierhaft und ziehe zwei Dolche aus meinem Gürtel, werfe sie langsam von einer Hand in die andere. Er reißt die Augen auf.

„Bist du hier um mich zu töten?“ fragt er und hält das Messer fester. Die Fingerknöchel treten weiß hervor, ich kann den Schweiß riechen, der sich auf seiner Haut bildet. Armselig.

„Bitte nicht“, fleht er, taumelt nach hinten, aber die Tischplatte verhindert, dass er weiter zurückweichen kann. Er versucht ein paar hilflose Stöße mit dem Messer, zeigt aber nur, dass er noch nie im Leben ein Messer zu diesem Zweck in der Hand hatte. Das ist zu einfach. Ich hatte gehofft, er wüsste wenigstens mit dem Messer umzugehen.

Ich stürze vorwärts, berühre seine Wange mit dem Dolch und weiche dabei mit Leichtigkeit seinem Messer aus. Ich springe zurück und gebe ihm Zeit zu erkennen, dass ich ihn schon hätte töten können, es aber nicht getan habe. Er fasst sich an die Backe, seine Finger färben sich rot von Blut.

„Bitte“, wimmert er noch einmal mit zittriger Stimme.

Ich greife wieder an und verpasse diesmal der anderen Wange einen Schnitt. Er schreit auf vor Angst und Schmerz. Das macht Spaß. Mit der Beute spielen. Immer wieder treffe ich ihn, bis sein Körper übersät ist mit blutenden Schnitten. Nicht genug, um ihn zu töten, aber genug, mir Vergnügen zu bereiten.

Jemand kommt zur Hintertür herein. Ich sauge die Luft prüfend ein, ohne meinem Opfer anzudeuten, dass er vielleicht doch Glück hat. Ich grinse, als ich einen vertrauten Geruch wahrnehme. Und ziehe dann die Stirn in Falten. Was macht Lennox ausgerechnet hier?

„Bist du noch nicht fertig?“, fragt er, als er die Küche betritt. „Ich konnte die Schreie schon kilometerweit hören.“

Ich zucke mit den Schultern. „Gibt noch ein paar Stellen, die ich nicht erwischt habe. Was willst du hier?“

Der Mann glotzt Lennox an und gibt die Hoffnung auf Rettung wohl auf.

„Du warst nicht zu Hause, also bin ich deiner Spur gefolgt. Wir müssen reden.“

Ich seufze. „Ich habe dir schon gesagt, dass ich nicht wieder Detektiv spielen will. Und ich werde mich auch nicht gegen die Meute stellen.“

„Das ist es nicht. Es ist was Persönliches.“

Das bringt mich dazu, mich zu ihm umzudrehen. „Persönlich?“

Lennox ist niemand, der je über seine Gefühle spricht. Ich kenne ihn gut genug um sein Mienenspiel zu lesen, zu erkennen, wenn ihn etwas beunruhigt, aber die meisten anderen könnten das nicht.

Mein Opfer macht einen verzweifelten Fluchtversuch, aber ich werfe ein Messer nach ihm, ohne genau hinzusehen. Dem gurgelnden Laut nach zu urteilen, hat es sein Ziel nicht verfehlt. Er sackt auf dem Boden zusammen.

„Du hast mich bei der Arbeit gestört“, beschwere ich mich bei Lennox.

Er kichert. „Das sah mehr nach Spaß als nach Arbeit aus. Hat dir nie jemand gesagt, dass man mit Essen nicht spielt?“

Ich grinse ihn an. „Wahrscheinlich hast du das ein paar Mal erwähnt, als wir noch Kinder waren. Hast es dann aber selber getan.“ Ich öffne den Kühlschrank und nehme eine Flasche Orangensaft raus. Töten macht mich immer durstig. Ich finde im Kühlfach auch noch Eiscreme, die Lennox mir sofort abnimmt. Ich sitze auf der Kochinsel und nippe an dem Saft.

„Was ist denn so wichtig, dass du mich stören musstest?“, frage ich und bin gespannt. Es muss schon einen guten Grund geben. Killer mischen sich nie in die Arbeit von Kollegen ein, es sei denn, es ist wirklich wichtig. Das ist eine Art ungeschriebenes Gesetz.

„Wir müssen reden.“

Ich stöhne. „Wir reden doch gerade.“

Er zeigt mit dem Kopf in Richtung Leiche. „Das willst du hier in seiner Gegenwart tun?“

„Ist ja nicht so, dass er die Geheimnisse ausplaudern würde, die du mir vielleicht anvertraust.“

Lennox gluckst. „Das stimmt schon“. Er seufzt. „Ich hab Probleme mit meinem inneren Wolf.“

Ich bin es gewöhnt, dass Lennox über seine andere Gestalt spricht, als sei sie wirklich ein anderes Wesen als seine menschliche. Er hat mir ihr offenbar ein anderes Verhältnis als ich mit meinem inneren Panther. Wir sind eins, ich werde nur ein bisschen wilder, wenn ich mich verwandle. Bei ihm ist das eher wie zwei eigenständige Persönlichkeiten, die im selben Körper wohnen. Manchmal finde ich das ein bisschen unheimlich, aber mittlerweile habe ich mich daran gewöhnt.

„Was für Probleme? Spuck’s schon aus.“

Lennox wendet den Blick ab. Ist ihm das peinlich? Das wäre was Neues.

„Er…er..“

Ich knurre ihn an.

„Er hat sich für jemanden entschieden.“ Er sagt das so schnell, dass ich es fast nicht verstehe. Mein Herz schlägt schneller, als ich die Tragweite des Gesagten erfasse. Lennox hat mir das vor langer Zeit schon erklärt. Wolfs-Wandler bleiben ihrem Partner ein Leben lang treu, und es ist nicht der menschliche Teil, der darüber entscheidet, wer dieser Partner ist. Lennox könnte zwar versuchen, dem inneren Wolf zu widerstehen und eine Partnerschaft mit jemand anderem einzugehen, aber der Wolf würde nie aufhören, sich nach dem von ihm gewünschten Gefährten zu sehnen. Manche Wandler werden verrückt, wenn sie sich ihrem Wolf widersetzen.

„Ich weiß nicht, was ich tun soll“, gibt Lennox ruhig zu. „Ich bin nicht bereit. Ich will mich nicht auf jemanden festlegen, den ich vielleicht noch nicht einmal kenne. Aber die Sehnsucht ist stark. Sie füllt meine Gedanken bei Tag und in der Nacht, es wird immer schwerer, ihr nicht nachzugeben. Ich weiß nicht, wie lange ich noch widerstehen kann.“

„Wer ist es denn?“, frage ich und habe fast Angst vor der Antwort. Über den Grund dafür will ich noch nicht einmal nachdenken.

„Ich weiß es nicht. Ich muss die Wolfsgestalt annehmen, um das herauszufinden, will das aber nicht. Was, wenn das eine fürchterliche Person ist? Was, wenn sie Mitglied der Meute ist? Oder jemand, der doppelt so alt ist wie ich? Es soll sogar vorgekommen sein, dass ausgewachsene Wölfe sich ein Kind ausgesucht haben und dann zehn Jahr warten mussten, bis sie tatsächlich zusammen sein konnten.“

„Was soll ich für dich tun?“ Es gibt schließlich einen Grund, warum er damit zu mir gekommen ist. Und ehrlich gesagt fühle ich mich auch ein bisschen geschmeichelt, dass er mir immer noch so weit vertraut, nach all den Jahren. Als ob wir nie getrennt gewesen wären.

„Ich möchte, dass du dabei bist, wenn ich mich verwandle. Folge mir, damit du siehst, wen sich der Wolf auserkoren hat. Wenn du denkst, dass es jemand ist, der mir nicht guttun würde, musst du mich wegziehen, mich stoppen. Es gibt Geschichten von Wölfen, die richtig ausrasten und liebestoll werden, wenn sie zum ersten Mal ihrem Partner begegnen. Ich will nicht, dass mir das passiert. Du musst dafür sorgen, dass ich bei Verstand bleibe.“

Ich nicke. „Ich werde mein Bestes tun, muss dich aber warnen. Ich könnte jemanden für ungeeignet halten, den du selber aber liebst.“

Er erschauert. „Ich glaube nicht, dass ich jemanden lieben könnte. Hab zu viel zu tun, um mich zu verlieben. Bin zu schwer geschädigt.“ Den letzten Satz flüstert er. Ich möchte ihn beinahe in den Arm nehmen, ihn an mich drücken, ihm sagen, mir geht es genauso, aber Gefühlsduselei geht bei mir nun mal nicht.

„Wann willst du das machen?“, frage ich.

„Heute Abend, nach Einbruch der Dunkelheit. Ich will dieses Gefühl so bald wie möglich loswerden.“

„Aber was, wenn sie dein Seelenverwandter ist? Wenn es Liebe auf den ersten Blick ist? Wäre das nicht was anderes?“

Er schüttelt den Kopf. „Ich will da nicht mal drüber nachdenken. Schon allein bei dem Gedanken fühle ich mich total hilflos, und das hasse ich. Auch, wie mein Wolf die Kontrolle übernimmt und ich nichts dagegen unternehmen kann. Es sollte doch meine freie Entscheidung sein, in wen ich mich verliebe, oder? Diese Wahl sollte mir niemand abnehmen, nicht einmal mein Wolf.“

„Das stimmt. Bin ich froh, dass das für Katzen nicht so ist. Aber kannst du dir vorstellen, dass eine Katze ein Leben lang nur einen Partner hätte?“ Ich kichere. „Keine Chance.“

Ein leichter Schatten legt sich über sein Gesicht, ist aber verschwunden, bevor ich näher darüber nachdenken kann.

„Glaubst du, dass du je irgendwo sesshaft wirst?“

Ich zucke mit den Schultern. „Vielleicht. Hab noch nicht drüber nachgedacht. Ich kann mir kaum vorstellen, einen Mann zu haben und mit ihm in einem Haus zu wohnen und so ein banales Leben zu führen.“

„Wer sagt denn, dass es banal sein muss?“

Ich lache. „Ich bezweifle, dass ich einen Killer finden würde oder jemanden, der in unserem Bereich arbeitet. Schau uns doch mal an. Jemand wie wir wird nicht sesshaft. Wir verlieben uns nicht. Mir ist noch nie ein verliebtes Mörderpärchen untergekommen, und das wird wohl auch nie geschehen.“

Lennox lächelt, aber es scheint ein bisschen gequält. „Du hast recht. Wir sind nicht für die Liebe gemacht. Leider denkt mein Wolf anders darüber. Aber vielleicht entscheidet er sich heute Nacht anders. Vielleicht denkt er nochmal darüber nach, wenn ihm klar wird, was für eine schreckliche Frau er gewählt hat. Vielleicht kommt er wieder zu sich.“

Ich nehme noch einen Schluck Orangensaft und verzichte diesmal darauf, mit der Wahrheit herauszuplatzen. Ich weiß, dass er sich Illusionen macht, will aber nicht, dass er unglücklich ist.

Was immer auch passiert, ich werde ihm beistehen. Er ist mein ältester Freund, und ich bin recht froh, ihn wiederzuhaben.

Kratz

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