Читать книгу Kratz - Skye MacKinnon, Annette Kurz - Страница 12
Kapitel 4
ОглавлениеDie Nacht bricht schnell herein und taucht die Stadt in unterschiedliche Blautöne. Es ist Freitagabend, entsprechend voll sind die Straßen mit Menschen, die Stress und Mühen der Arbeitswoche hinter sich lassen wollen. Ich kann überall um mich herum den Alkohol riechen, noch frisch, aber bald schal werdend. In ein oder zwei Stunden werden die ersten Betrunkenen die Straßen entlang torkeln, nicht sicher, ob sie nach Hause gehen sollten oder in den nächsten Pub, ein letztes Bier trinken.
Lennox und ich sind auf dem Weg an den Stadtrand, denn wir hoffen, dass das Objekt seiner Begierde sich nicht im Stadtzentrum aufhält, wo ihn jeder sehen könnte. Ich bezweifle, dass er sich heute voll unter Kontrolle haben wird, wenn er erst einmal in seine Wolfshaut geschlüpft ist. Ist schon ein bisschen furchteinflößend, zumal ich ja auch zum Panther werden muss, um ihn notfalls in Schach zu halten. Man könnte ja vielleicht noch eine Erklärung dafür finden, warum ein Wolf durch die Stadt läuft, aber eine riesige schwarze Katze … dafür eher nicht. Das würde Panik auslösen, und die von der Meute würden Wind davon bekommen. Ich will nicht, dass sie sich an meine Existenz erinnern.
„Fertig?“, frage ich Lennox, auch wenn ich weiß, dass er es nicht ist. Ich kann seinen Herzschlag hören, der viel schneller ist als er sein sollte. Er hat Angst, viel mehr, als ich je an ihm gesehen habe.
Er zuckt mit den Schultern. „Lass uns das jetzt durchziehen. Besser, ich weiß, woran ich bin, als mein Leben lang diesen inneren Drang bekämpfen. Aber versprich mir, dass du mich wegziehst, wenn die Auserwählte so gar nicht zu mir passt?“
Ich lege die Hand auf mein Herz und wackele mit den Fingern „Wandler-Ehrenwort“.
Er kichert und erinnert sich sicher an die Zeit, als wir diesen Schwur erfunden haben.
„Gut. Du bist größer als ich und wirst mich aufhalten können. Nimm’s nicht persönlich, wenn ich zurückschlage“. Er grinst schief „Mein Wolf spielt gerne“.
„Genau wie ich. Und keine Sorge, mir ist nach einem Kämpfchen zumute, spätestens seit du mich vorhin beim Schneiden unterbrochen hast.“
Er atmet tief ein, sein Herzschlag rast. Ich kann kaum glauben, dass wir das jetzt wirklich tun. Irgendwie konnte ich mir nie vorstellen, dass einer von uns je einen Partner haben würde. Gelegentlich einen Bettgenossen, das schon, aber nichts Festes. Das soll sich nun ändern und löst bei mir Gefühle aus, die ich schwer benennen kann. Trauer? Eifersucht? Sehnsucht? Ich schiebe das alles zur Seite. Muss mich konzentrieren. Lennox braucht mich jetzt. Er schaut mir in die Augen. Mir gefällt nicht, was ich da sehe. Er hat Angst, und das mag ich nicht. Er zeigt nie Angst oder überhaupt ein Gefühl. Besonders keines, das als Schwäche ausgelegt werden könnte.
„Verwandle dich“, sage ich ihm und schlüpfe selbst in meine Katzengestalt, schnurre sobald ich auf allen vieren dastehe. Ich strecke meinen Rücken und fahre ein paarmal die Krallen aus und ein. Tut so gut. Und jetzt ein kleines Schläfchen…
Lennox heult. Sein wunderschöner weißer Wolf liegt zuckend auf dem Boden. Ich springe an seine Seite, stoße ihn mit dem Kopf sanft in die Seite. Ich wünschte, ich könnte mit ihm sprechen, aber wir gehören verschiedenen Arten an, auch wenn wir beide tierische Gestalten annehmen können. Ich kann nur versuchen, seine Körpersprache zu lesen.
Er ist offensichtlich erregt und hat Schmerzen, rollt sich im Gras hin und her und stößt kurze, bellende Laute aus. Ich hatte eigentlich erwartet, dass er losrennen würde, zu seiner Auserwählten. Dieses Verhalten macht mir Angst.
„Was kann ich tun?“, frage ich in Panik, auch wenn ich weiß, dass er mich nicht verstehen kann.
Er heult erneut, dann stellt er sich auf, nur lang genug, um einen Schritt zurück zu machen, weg von meiner Berührung. Ich fühle mich zurückgestoßen. Er will meine Hilfe nicht. Warum lässt er mich nicht teilhaben an seinem Schmerz, geteilt soll der doch nur halb so groß sein. Er leidet, und ich kann nichts tun.
Ich schnurre, um ihm meine guten Absichten zu zeigen, als ich mich ihm wieder nähere, aber ohne ihn zu berühren. Vielleicht war ihm diese Berührung unangenehm. Vielleicht lässt der Wolf im Moment nur eine Berührung durch seine neue Gefährtin zu.
Plötzlich nimmt er wieder seine menschliche Gestalt an, aber statt seine normalen Kleider zu tragen ist er nackt. Er liegt zusammengekrümmt am Boden, die Beine vor die Brust gezogen.
Ich weiß nicht, was ich tun soll. Er sieht so verwundbar aus, so schrecklich verwundbar, und das gefällt mir überhaupt nicht. Er ist ein stolzer Mann und ein noch stolzerer Wolf.
Statt auch wieder in die menschliche Haut zu schlüpfen, lege ich mich neben ihn, nah genug, dass er mich berühren kann, wenn er möchte, aber weit genug weg, um ihn nicht einzuengen. Ich will, dass er weiß, ich bin da für ihn, ich werde ihn nicht verlassen, egal, was passiert ist.
Vielleicht hat er ja gar keine Partnerin? Vielleicht ist was schiefgegangen?
Ich beginne zu schnurren. Mich beruhigt das auch immer, wenn eine Katze es tut, also könnte es auch ihn beruhigen. Ich lausche seinem Herzschlag, schnell und flach. Er atmet zu schnell.
Wir bleiben lange so liegen. Er zu einer Kugel zusammengerollt, nackt, leidend. Ich als Katze, schnurrend, auch leidend.
„Wir müssen reden“, flüstert er. „Kannst du wieder menschlich werden?“
Na endlich, ich dachte schon, er würde das gar nicht mehr sagen. Ich springe auf und nehme in einer einzigen fließenden Bewegung meine menschliche Gestalt an, kaum dass ich mich vollständig aufgerichtet habe. Wie immer, trage ich dieselbe Kleidung, die ich vor der Wandlung anhatte, was seine Nacktheit nur noch betont. Ich habe noch nie gehört, das so was passieren kann. Auch als Gestaltwandler sorgt die in uns wohnende Magie dafür, dass wir normalerweise unsere Kleidung anbehalten.
„Was ist los?“, frage ich sanft, zu meiner größten Überraschung. Sanftheit ist nicht so mein Ding.
Er setzt sich auf, in seiner ganzen Nacktheit. Ich versuche darüber hinwegzusehen, wie perfekt sein Körperbau ist. Wie seine Muskeln über dem Brustkorb zu harten Bogen gespannt sind, wie eine dünne Linie dunkler Haare von seinem Bauchnabel hinunter läuft zu…
Er ist hart. Groß. Sehr hart.
Oh je.
Er kreuzt die Beine und legt die Hände in den Schoß und bedeckt damit fast seine Erektion. Er fühlt sich sichtlich unwohl, also ziehe ich meine Jacke aus und gebe sie ihm. Ohne mir in die Augen zu schauen, nimmt er sie und legt sie wie eine Decke in seinen Schoß. Nachdem er sich so etwas bedeckt hat, senkt sich sein Pulsschlag etwas, obwohl er noch immer nervös ist.
„Was ist denn?“, wiederhole ich. „Sprich mit mir.“
„Ich kann dagegen ankämpfen“, murmelt er. „Ich muss meinem Wolf nicht nachgeben.“
„Also hast du herausgefunden, wer deine Gefährtin sein soll?“, frage ich aufgeregt. „War mir nicht sicher, ob das geklappt hat.“
Er lacht heiser. „Hab ich. Er hat’s mir sofort gezeigt. Ich weiß nur nicht, was ich daraus machen soll. Oder wie ich’s dir sagen soll.“
„Einfach raus damit. Das ist oft am einfachsten“, sage ich so dahin und versuche, die wachsenden Anspannung in meinem Innern zu verbergen.
Schließlich schaut er zu mir auf, unsere Augen begegnen sich. Seine sind voller Gefühle und unausgesprochener Gedanken. Er versucht es mir durch diesen Blick schon mitzuteilen, aber ich verstehe ihn nicht.
„Er hat mir meine Auserwählte gezeigt. Sie steht da vor mir.“
Mein Herz macht einen Satz.
Und dann tue ich das Dümmste, was man sich vorstellen kann. Ich lache los. Hysterisches Lachen blubbert aus meinem Hals, und ich presse mir die Hände vor den Mund, um diese verräterischen Laute zurückzuhalten. Hilft nichts. Ich lache und lache, bis ich vollkommen außer Atem bin.
Er verzieht das Gesicht zur Grimasse. „Diese Antwort hatte ich nicht erwartet.“
Ich versuche mich zu beherrschen, wirklich, aber das Lachen hört einfach nicht auf.
Er steht auf, ohne mich weiter anzusehen und wandelt sich. Sein weißer Wolf leuchtet in der Dunkelheit, ein wunderschöner Anblick, der immer mehr schwindet, als er vor mir davonrennt, so schnell er kann.
Hätte er ein Messer nach mir geworfen, hätte mich das nicht so sehr getroffen.
Ich stehe auf, etwas wacklig auf den Beinen. Ich sollte hierbleiben, ihn gehen lassen. Aber ich ducke mich, wandle mich und renne ihm nach.
Am Anfang folge ich noch seinem Geruch, aber nach einer Weile ist mir klar, wohin er geht. Das ist nicht überraschend. Dort ist er immer hingegangen, als wir noch Kinder waren. In sein Versteck, seinen Zufluchtsort. Erst nach Jahren hat er mich dorthin mitgenommen. Und mir war auch als Kind schon klar, wie bedeutsam diese Geste war. Er war vor mir zur Meute gekommen, und bis wir Freunde wurden, war er auf sich allein gestellt. Ich war ein Außenseiter, weil ich einer anderen Spezies angehörte, er war einer, weil er das selbst so wollte.
Obwohl ich so schnell laufe, wie ich kann, dauert es doch zehn Minuten, bis ich aus der Stadt raus bin und die kleine steinerne Brücke über den Fluss vor mir sehe. Sie ist sehr alt und an manchen Stellen brüchig, hat aber so viel überstanden, dass sie wohl nie ganz zusammenbrechen wird.
Ich prüfe schnuppernd die Luft, als ich näher komme. Er ist da.
Was soll ich nur sagen? Es gibt dafür keine Worte. Keine Erklärungen, keine Begriffe für die Gefühle, die in mir toben. Ich bin total verwirrt, und er sicher auch. Keiner von uns hat das erwartet.
Er ist mein Freund, nicht mein Geliebter. Und bestimmt nicht mein Lebensgefährte. Klar, ich kenne ihn besser als mich selber und ja, er sieht großartig aus und ja, er wäre ein besserer Partner als alle Männer, mit denen ich zu tun hatte. Aber… er ist Lennox. Mein Kumpel Lennox. Wenn wir jetzt die Grenze der reinen Freundschaft überschreiten, können wir nicht mehr zurück. Ich hab ihn doch gerade erst wiedergefunden. Ich will ihn nicht wegen so was Dummem wie Liebe verlieren. Wart mal, habe ich gerade „Liebe“ gedacht? Also, wie in Verliebt-Sein? Ich muss total von der Rolle sein. Ich hab mich noch nie verliebt. Ich bin Killer von Beruf, unfähig zu lieben. Sonst könnte ich diesen Job nicht machen.
Ich beginne zu schnurren, damit er weiß, dass ich da bin. Wahrscheinlich weiß er das sowieso schon, aber er soll die Wahl haben, falls er allein sein will. Ich weiß aber nicht, ob ich tatsächlich weggehen würde, wenn er das wollte. Wir müssen diese Sache klären.
Wie erwartet liegt er in der Kuhle unter der Brücke. Kaum zu glauben, dass unsere alte Matratze noch da ist. Sie ist fleckig und schmutzverkrustet, aber unsere Duftspuren sind noch da. Hier haben wir viel Zeit verbracht. Wir sahen immer zu, dass wir unsere Aufgaben schnell erfüllten, damit wir hier abhängen konnten, ohne dass unsere Herren uns vermissten. Hier unter der Brücke habe ich einige der glücklichsten Augenblicke meiner Kindheit verbracht. Wir haben das zu unserem Ort gemacht, die Brückenwände ein bisschen verziert, die Kuhle weiter ausgegraben, als wir größer wurden.
Und jetzt liegt Lennox da auf der alten Matratze, als Mensch, nackt, verletzlich.
Ich gehe langsam auf ihn zu und erwarte fast, dass er wieder wegläuft. Oder mir sagt, ich soll abhauen. Was ich voll verstehen würde. Wie blöd von mir, einfach so zu lachen. Das hat ihn sicher sehr verletzt. Ich wünschte, das könnte ich zurücknehmen. Ich schnurre immer weiter, während ich mich an seine Seite lege, mein Fell berührt seine nackte Haut. Ich schmiege mich an ihn, bleibe aber in meiner tierischen Haut. So müssen wir nicht miteinander reden. Keine Worte aussprechen, die verletzen könnten. Nur Zusammensein. Ein Zeichen, wie viel mir an ihm gelegen ist. Wie sehr ich ihn mag.
Nach einer Weile legt er seine Arme um mich, seine Finger spielen in meinem dicken Fell. Er legt seinen Kopf auf meinen Rücken, und ich merke, wie er ruhiger atmet. Sein menschlicher Herzschlag passt sich meinem an, bis wir in Gefühl und Rhythmus eins sind.
Jetzt wünschte ich fast, ich könnte mit ihm sprechen, aber ich will diesen Moment der Nähe nicht durch eine Wandlung unterbrechen. Also schnurre ich sanft weiter und genieße seine Berührungen.
So bleiben wir lange liegen. Seine halb-tierische Natur hält ihn warm, wie auch meine Nähe. Es stört mich nicht mehr, dass er nackt ist.
„Danke, dass du hergekommen bist“, flüstert er plötzlich und schreckt mich damit auf. Ich höre auf zu schnurren und lausche, ob da noch was kommt, aber er schweigt. Ich strecke eine Pfote aus, passe gut auf, dass die Krallen eingezogen bleiben, und lege sie ihm um den Rücken. Ich setze nicht mein volles Gewicht ein, will ihn ja nicht verletzen. Er ist im Moment nicht gerade in einem stabilen Zustand, weder körperlich noch emotional.
„Ich kann ihn immer noch spüren“, murmelt er nach einer Weile. „Den Drang. Obwohl du jetzt neben mir liegst, will mein Wolf dir noch näher kommen. Er will, dass du dich wandelst, damit wir uns paaren können.“
In meiner menschlichen Gestalt würde ich jetzt rot werden. Nicht wegen des Gedankens an Sex. Das ist was Natürliches, das muss einem nicht peinlich sein. Nein, das Wort „paaren“ hört sich so nach Nähe an. Nicht bumsen. Ein Paar werden. Sich in Liebe vereinen. Der Horror für mich!
„Ich will nicht, dass sich jetzt alles ändert, aber ich weiß nicht, ob ich diesen Drang für immer unterdrücken kann. Vielleicht sollte ich die Stadt lieber verlassen. Es müsste leichter sein, wenn wir weit entfernt voneinander wohnen.“
Ich nehme menschliche Gestalt an, bevor ich es verhindern kann. Ich habe das noch nie auf dem Boden liegend getan, aber ich habe kaum noch Kontrolle über meinen Körper. Der Gedanke, dass er weggehen könnte…
„Du bist nackt“, flüstert er und kann nur mühsam ein kaum hörbares Kichern unterdrücken.
„Bin ich“, bestätige ich. Das ist mir zum ersten Mal passiert, und ich hoffe, das wird nicht zur Gewohnheit. Wäre nicht sehr förderlich. Dann würde ich als „der nackte Killer“ bekannt.
„Ist das für dich OK?“, flüstert er und schaut mir in die Augen.
Merkwürdigerweise ist es das. Aller Zweifel ist verschwunden. Es fühlt sich gut und richtig an, seine nackte Haut auf meiner, sein Atem mit meinem in Einklang.
Ich schmiege mich noch dichter an ihn, bis unsere Lippen sich nah genug sind für eine Berührung. Nur eine winzige Bewegung, aber wer wird sie wagen? Tun wir das Richtige? Noch vor wenigen Augenblicken hat Lennox davon gesprochen, dem Sog der Paarungsbereitschaft widerstehen zu wollen, und jetzt liegen wir hier, ineinander verwoben, nackt, mit immer schneller schlagenden Herzen. Ich meine die Verbundenheit auch zu spüren. Noch schwach, aber wachsend. Vielleicht sagt mir mein eigenes Herz aber auch nur, was ich vorher schon hätte wissen müssen.
„Es gibt danach keinen Weg zurück“, flüstert Lennox, sein Atem heiß an meinen Lippen.
„Ich weiß“, antworte ich mit brüchiger Stimme. „Bist du sicher, dass dies nicht nur dein Wolf will? Wenn wir damit weitermachen, muss ich alles von dir haben. Euch beide.“