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Vorwort

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»Please, Mister, promise not to forget us.«

Die nordugandischen Flüchtlingslager glichen kleinen Städten, in ihnen lebten 10 000, manchmal 20 000 Menschen. Dicht an dicht standen die strohgedeckten Rundhütten, nicht wie in den zurückgelassenen Dörfern, wo viel mehr Platz zwischen den wenigen Unterkünften gewesen war und die Wege und der festgestampfte, mitunter marmorglatte Lehmboden in den Hütten blank gefegt gewesen waren, wo die Menschen ihre Felder bestellt hatten und die Beziehungen zwischen den Familien gewachsen waren. In den Lagern war das nicht mehr möglich. Den Männern war ihre traditionelle Rolle als Oberhaupt, Beschützer und Ernährer ihrer Familien abhandengekommen, viele von ihnen kauerten im Dunkel ihrer Hütten, fühlten sich nutzlos, überflüssig, gaben sich dem Suff hin und ließen ihre aus Resignation geborene Wut an den Frauen aus, die versuchten, das Leben in Gang zu halten. Es herrschte eine qualvolle Enge, zu viele Menschen waren auf viel zu wenig Raum untergebracht, allesamt Opfer des Bürgerkriegs, der Chance auf ein friedliches Leben in Selbstbestimmung und Freiheit beraubt, so wie Sönke C. Weiss es in diesem Buch einprägsam beschreibt und in eine Welt mitnimmt, die den wenigsten von uns bekannt ist. Gott sei Dank. Norduganda zu Beginn des neuen Jahrtausends ähnelte einer Hölle auf Erden.

»Please, Mister, promise not to forget us.«

Das habe ich nicht getan.

Oft unterhielt ich mich mit meinem Freund Manfred Hell über das, was ich in Uganda gesehen hatte. Er hörte mir zu, beharrlich, aufmerksam, ich nahm ein Interesse wahr, das weit über höfliche Neugier hinausging, ich merkte es an den Fragen, die er stellte, und daran, dass er sein Erschrecken, seine Bestürzung über das Geschilderte zuließ und nicht sofort wieder überdeckte mit leicht Dahingesagtem, was einem Rückzug ins Unverfängliche gleichgekommen wäre. Ich schlug ihm vor, mich bei meiner nächsten Afrikareise zu begleiten. Gemeinsam mit Sönke C. Weiss, von dem ich viel über diesen Teil Afrikas gelernt habe, reisten wir 2007 nach Norduganda, wo wir Flüchtlingslager besichtigten und mit ehemaligen Kindersoldaten sprachen. Unter anderem auch mit Hope, der Heldin dieses Buches. Für mich war das die Erneuerung früherer Erlebnisse, noch immer erschütternd, noch immer unbegreiflich, aber nicht mehr mein ganzes Denken und Fühlen so in Frage stellend wie beim ersten Mal, als ich, angesprun­-gen von Hilflosigkeit und Trauer, viele Augenblicke lang den Boden unter den Füßen verloren hatte: Wir gründeten das Rebound-Projekt, ein umfassendes Resozialisierungsprojekt zur Verbesserung der Lebensbedingungen von Kindern und Jugendlichen, die vom Krieg betroffen sind. Mein Song »Noh Gulu« war mein erster Versuch, der Ermahnung des kleinen Mädchens aus Norduganda gerecht zu werden.

»Please, Mister, promise not to forget us.«

Die BAP-Fans reagierten großartig, über 60 000 Mal luden sie den Song auf ihre Festplatten runter und ließen sich da­- für nicht lumpen. Sie stellten uns mit ihren Spenden so viel Geld zur Verfügung, dass wir zusammen mit den bereits vorhandenen Mitteln über ein ansehnliches Grundkapital für unser Rebound-Projekt verfügten und in das Stadium konkreter Planungen einsteigen konnten. Mittlerweile gibt es in Nord­uganda drei Rebound-Berufsschulen. Da im benachbarten Ost-Kongo nach wie vor große Not herrscht, haben wir ein zweites Rebound-Projekt in der Beni-Region ins Leben gerufen. Bei unserer Arbeit legen wir großen Wert auf die Kooperation mit staatlichen Einrichtungen vor Ort. Auch wenn der Weg beschwerlich ist, es tut sich was.

Umso mehr überrascht es mich immer wieder, dass mir in schöner Regelmäßigkeit in Interviews die Frage gestellt wird, ob man mit Musik denn wirklich etwas bewirken könne. Eigentlich verstehe ich die Frage nicht. Jeder, der das Wirken von Leuten wie Bob Geldorf oder auch Bono und Sting öffentlich belächelt und in den Schmutz zieht, kann heute mit allgemeinem Applaus rechnen. Wenn man nur Münzen hochwirft und darauf wartet, dass weder Zahl noch Krone kommen, kann man nichts falsch machen. Die Arme vor der Brust zu verschränken und sich in Zynismus zu flüchten, weil man nicht in der Lage oder zu feige ist, selbst aktiv zu werden, ist nicht nur der bequemere, sondern auch die angesehenere Variante. Der Vorwurf des »Gutmenschentums« funktioniert verlässlich als Totschlagargument. Er diffamiert den Engagierten und lässt gleichzeitig in einer perversen Verkehrung das eigene Nichtstun als das moralisch richtigere Verhalten leuchten.

»Please, Mister, promise not to forget us.«

Wer Afrika und ihre Menschen ebenfalls nie vergessen hat, ist der ehemalige Bundespräsident Horst Köhler. Ich hatte ihm immer wieder von meinen Erlebnissen in Gulu berichtet und ihm den ersten Teil von Hopes Biografie gegeben. Offensichtlich war ich damit an die richtige Adresse geraten. Köhler plante einen Staatsbesuch in Uganda, und obwohl Präsident Yoweri Museveni alles andere als begeistert davon war und sogar behauptete, man könne den Bundespräsidenten nicht standesgemäß nach Gulu einfliegen, ließ sich Köhler nicht davon abbringen, die Stadt selbst in Augenschein zu nehmen. Museveni hätte ihm lieber den halbwegs intakten Süden des Landes vorgeführt, aber gegen Köhlers Beharrlichkeit kam er nicht an, in einem persönlichen Telefonat gab er schließlich zähneknirschend sein Okay. Mit einer eigens vom Horn von Afrika nach Entebbe beorderten Transall-Maschine der Bundeswehr kamen wir im Februar 2008 in Gulu an, Köhler nahm seine Ohrenschützer ab und verließ das Flugzeug, ich fing den Blick des Bundespräsidenten auf und konnte ihn lesen, er sagte: Na also, geht doch. Köhler unterhielt sich lange mit Hope, Presse und andere Delegationsmitglieder waren nicht zugelassen, denn es ging dem Bundespräsidenten nicht um schöne Bilder, sondern darum, zuzuhören, sich auf Hope einzulassen und so vielleicht in einen Dialog zu kommen, über alles Trennende hinweg. Auch davon ist in diesem Buch die Rede.

Und davon, dass zwischen dem Start und dem Ziel immer ein Moment liegt, der das Vergangene abschließt und der Beginn von etwas Neuem ist.

Wolfgang Niedecken, Juni 2012

Hope.

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