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Was bisher geschah

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Am frühen Morgen des 12. Dezember 1996 weiß Hope noch nicht, dass sich ihr Leben in nur 17 Stunden für immer verändern wird.

Das Mädchen geht an diesem Tag zum Markt im nord­ugandischen Ayam, um dort Tomaten zu verkaufen. Die Zwölfjährige träumt von einem weißen Kleid, das sie sich am liebsten schon zu Weihnachten leisten möchte, um schön auszusehen im Kirchenchor, in dem Hope jeden Sonntag singt. Doch niemand kauft ihr Gemüse.

Enttäuscht kehrt sie nach Hause zurück und beginnt, auf dem Platz zwischen den Hütten ihrer Eltern ein Feuer zu machen. Zum Abendessen gibt es Maniokbrei. Wie immer. Hopes Familie ist sehr arm.

Wegen des Krieges und weil immer mehr Kinder von der Widerstandsarmee des Herrn unter der Leitung von Joseph Kony entführt werden, sind Hopes Eltern beunruhigt. Sie fürchten um Hopes Sicherheit und die ihres älteren Bruders James.

Hopes Großvater sagt: »Die Regierung in Kampala hat kein Interesse an uns. Wir sind Acholi. Wir sind die Feinde des Südens. Dieser Krieg ist unser Problem. Sagt unser Präsident. Das muss man sich vorstellen. Freiheit haben wir erst, wenn wir unser Land als einen Staat sehen und uns nicht mehr als Angehörige von Stämmen bezeichnen.«

Es muss so gegen 22 Uhr gewesen sein, daran kann sich Hope viele Jahre später noch genau erinnern, als schwere Stiefel gegen die Tür ihrer Hütte treten.

Gemeinsam mit 35 anderen Kindern werden Hope und James von den Rebellen entführt, wie auch ihr Vater. Hopes Großvater wird erschossen, die Vorräte der Familie geplündert. 14 Tage Fußmarsch in den Südsudan folgen.

Von hier aus operiert die Widerstandsarmee des Herrn. Hier gewährt Khartums Regierung den Rebellen Asyl. Nicht aus Sympathie für Joseph Kony und seine Bewegung, sondern schlicht aus Eigennutz. Die Rebellen legen Landminen und töten die einheimische Bevölkerung, sie heizen den Konflikt zwischen Nord- und Südsudan weiter an. Dafür bekommen sie Waffen und Lebensmittel, und Khartum kann die Ölvorkommen im Süden ausbeuten. Käme es zum Frieden, müsste Präsident Umar al-Baschir den Gewinn teilen.

Auf dem Weg in den Südsudan sterben viele der Kinder an Erschöpfung und Durst. Das ist so gewollt. Die Widerstands­armee des Herrn will nur die stärksten Jungen und Mädchen mit ins Ausbildungscamp Lubanga Tek nehmen.

Auf dem Weg wird Hope gezwungen, ihren geliebten Vater halb totzuschlagen. Die Rebellen wollen sicherstellen, dass es für Hope aus Furcht vor Strafe keinen Weg zurück in ihre Dorfgemeinschaft und Familie gibt. Sie gehört nun ihnen. Bis zum heutigen Tag macht sich Hope deshalb Vorwürfe, fragt sich, ob Gott ihr jemals verzeihen wird. Hope ist eine Christin, die ihren Glauben lebt. Weil er ihr Kraft gibt. Ein Rückzugsort ist. Oft ihr einziger.

Kurz nach Weihnachten erreicht die Gruppe ihr Ziel. Viel Schlimmeres steht Hope erst noch bevor. Das Hauptquartier der Widerstandsarmee des Herrn ist ungefähr so groß wie 20 Fußballfelder. Es besteht aus einem Exerzierplatz, den Hütten der Generäle sowie denen von Kony mitsamt seinen gut einhundert Frauen. Gegenüber dem Exerzierplatz liegt die Zeltstadt. Hier wohnen die Kindersoldaten. Es sind etwa 3000 Jungen und Mädchen. Hope beobachtet, wie die Kinder exerzieren, ihre Gewehre putzen, im Laufschritt aus dem Lager verschwinden. Andere Kinder kommen aus dem Busch zurück. Sie sehen erschöpft aus und tragen Säcke auf ihren Schultern, die sie auf einem ihrer Raubzüge erbeutet haben. Was Hope sofort auffällt, ist die Stille, die im Lager herrscht. Keines der Kinder spricht. Ab und zu hört Hope einen Schrei oder einen Befehl, mehr nicht.

»Sei ruhig, mach, was man dir befiehlt, nur dann überlebst du«, lautet die erste Lektion, die Hope von Salome, einer erfahrenen Kindersoldatin und wenige Jahre älter als Hope, gelehrt wird. Salome wird Hopes Mentorin.

Am darauffolgenden Tag müssen sich Hope, James und die anderen Neuankömmlinge auf dem Exerzierplatz versammeln und werden dort von Joseph Kony und seinem Stellvertreter Vincent Otti empfangen.

Kony sagt: »Wir töten keine Menschen. Wir töten nur böse Menschen. Ihr habt Glück gehabt. Ihr seid dem Teufel entkommen. Heute beginnt euer neues Leben. Eure Aufgabe wird es sein, den Teufel zu töten. Dafür werde ich euch belohnen. Ihr kommt in den Himmel. Gott hat mich gesandt, um Uganda zu retten. Er hat euch gesandt, um mir dabei zu helfen. Ihr seid meine rechte Hand. Gemeinsam sind wir stark. Aber nur ich allein bin euer Führer. Die Zeit des Lachens ist vorbei.«

Auf Hope wirkt Kony besonnen und gefasst, auch später, wenn er Befehle zum Töten gibt oder selbst tötet.

Unter der Aufsicht von Salome beginnt Hope mit ihrer Ausbildung zur Rebellin. Jeder Morgen beginnt mit einem Dauerlauf, der mindestens 15 Kilometer lang ist. Viele Kinder sind zu schwach, um die Strecke zu schaffen. Sie werden erschossen. Vor Hopes Augen. Für sie wird der Tod zum täglichen Begleiter. Wer sich nicht schnell genug auf die Erde wirft oder einfach nur Pech hat, der stirbt im Kugelhagel, andere Kindersoldaten später im Kampf oder an Malaria, an Schlangen- oder Skorpionbissen. Von jeder neuen Gruppe überlebt meist nur ein Drittel der Kinder, oft sogar weniger. Die Ausbildung dauert zwei Wochen.

Während dieser Zeit lernt Hope, wie man mit einer Ka­laschnikow schießt, wie man einem Menschen die Kehle durchschneidet, wie man einen Hinterhalt plant und ausführt, wie man Landminen so legt, dass möglichst viele Zivilisten getötet und verletzt werden. Die Widerstandsarmee des Herrn ist straff und brutal organisiert, Widersprüche sind lebensgefährlich. Die Seelen der Kinder werden gebrochen. Die Regeln, die Hope lernt, sind eindeutig und einfach: Wer unaufgefordert redet, wird getötet. Wer zu fliehen versucht, wird getötet, Wer Befehle verweigert, wird getötet. Wer im Kampf verwundet wird, bleibt zurück.

Die Widerstandsarmee des Herrn ist eine Guerillaarmee, die den Kindern mit Aberglauben und Hokuspokus die Furcht vor dem Einsatz zu nehmen versucht. So muss sich Hope beispielsweise einen Stein in ihr Hemd einnähen.

»Wenn die Angreifer kommen, wirf ihnen den Stein entgegen. Ein großer Berg wird sich auftun. Er wird dich schützen«, erklärt der Ausbilder.

Hope muss auch immer eine Flasche Wasser bei sich tragen.

Der Ausbilder sagt: »Wenn die Angreifer kommen, schütte das Wasser auf den Boden. Ein großer Fluss wird sich bilden, und die Angreifer werden darin ertrinken.«

Konys Ziel ist es, Uganda eines Tages nach den Zehn Geboten zu regieren, einen Gottesstaat aus der noch jungen und wankelmütigen Demokratie zu machen.

Zum Denken hat Hope keine Zeit. Wenn sie nicht in den Busch zum Kämpfen geschickt wird, dann schläft sie vor lauter Erschöpfung bereits im Stehen ein. Nur ihr starker Überlebenswille lässt sie diese Zeit durchhalten.

Ihr Bruder James findet indes Gefallen am Soldatenleben. Ihm macht das neue Leben sogar Spaß. Für ihn ist es wie ein großes Abenteuer.

Bei einem ihrer gemeinsamen Einsätze verschwindet James spurlos. Er wird nie wiederauftauchen, wofür sich Hope Zeit ihres Lebens die Schuld geben wird, weil sie nicht auf ihren Bruder aufgepasst hat. Salome, die zu ihrer Vertrauten geworden ist, stirbt bei diesem Gefecht. Nun ist Hope ganz auf sich allein gestellt.

Über ein Jahr ist seit der Entführung vergangen. Hope bewährt sich immer wieder im Kampf und hat mittlerweile auch Konys Vertrauen. Er schenkt sie Vincent Otti, der sie die kommenden Monate über immer wieder missbraucht. Hope wird schwanger, merkt dies aber nicht.

Am 26. Februar 1998 überfallen Hope und ein Dutzend Kindersoldaten Lira, ein Dorf in Norduganda. Hope spürt, dass sie nicht mehr im Sudan ist, sondern fast zu Hause. Sie ergreift ihre Chance, und während die anderen Kinder die Hütten plündern, schleicht Hope sich davon, nur, um wenige Augenblicke später in drei Gewehrläufe zu blicken. Man hat sie erwischt.

Hope erschießt einen der Jungen und rennt um ihr Leben. Die anderen verfolgen sie, doch Hope ist schneller und schafft es mit letzter Kraft zu einem kleinen Backsteingebäude, in dem Carlos Rodrigues lebt. Der spanische Missionar nimmt Hope auf und bringt sie nach Gulu, wo er sie in einem Rehabilitationszentrum für Kindersoldaten abliefert.

Hope hat eine Schussverletzung. Die diensthabende Krankenschwester kümmert sich um die Wunde und stellt fest, dass Hope ein Kind bekommen wird, sie im dritten Monat schwanger ist. Hope sagt: »Ich kann kein Kind bekommen. Ich bin ein Kind.«

Hope unternimmt einen Selbstmordversuch, wird aber in letzter Sekunde gerettet.

In den kommenden Wochen nimmt Hope an Einzel- und Gruppensitzungen teil, in denen sie von ihren Erlebnissen im Busch berichtet. Sie leidet unter Albträumen, Depressionen und Schlafstörungen, die nie wieder verschwinden. Hope beginnt auch, sich immer wieder zu schlagen, eine Art von Selbstbestrafung für das, was sie verbrochen hat.

»Wir leben alle in der gleichen Welt, in unserer Wirklichkeit. Wir haben schlimme Dinge durchgemacht. Nur wenn wir unsere Erinnerungen und was wir dabei empfinden teilen, kann es uns eines Tages besser gehen«, erklärt der Therapeut den Sinn und Zweck der Gespräche.

Hope gründet eine Theatergruppe. Mit Hilfe eines Bühnenstücks, das Hope geschrieben hat, versuchen die ehemaligen Kindersoldaten, den Menschen ihren Leidensweg dramatisch darzustellen. Das Stück wird von den Menschen wohlwollend entgegengenommen. Hope schöpft neue Kraft und Hoffnung. Sie sieht wieder eine Zukunft für sich und ihr noch ungeborenes Kind.

Schließlich bringt Hope eine Tochter zur Welt und nennt sie Maria. Gemeinsam mit dem Therapeuten fahren Mutter und Tochter zurück in Hopes Dorf, um sich dort ihrer Familie zu stellen. Hope fürchtet sich vor der Begegnung mit ihren Eltern.

Der Therapeut sagt: »Stell dir euer Wiedersehen nicht zu leicht vor. Viel ist passiert. Gib ihnen Zeit. Gib dir Zeit. Wir sind eine Gemeinschaft, in der alle das Recht haben, eine Sache anzunehmen oder abzulehnen.«

Hope entgegnet: »Ich habe ihnen nichts getan. Warum sollten sie Angst vor mir haben?«

Der Therapeut antwortet: »Sie wissen, was andere Kindersoldaten angerichtet haben.«

Die Dorfältesten sind auf Hopes Rückkehr vorbereitet. Frauen klatschen in die Hände und singen ein Lied. Der Dorfprediger geht auf Hope zu und besprengt sie mit Weihwas­­- ser, als Zeichen der Reinigung. Anschließend zertritt Hope ein Ei.

Der Prediger sagt: »Hiermit soll die Vergangenheit endlich Vergangenheit sein und ein neues Leben für dich beginnen.« Hopes Eltern schließen ihre Tochter in die Arme und freuen sich über das neugeborene Baby.

Im Herbst 2000 wird die ehemalige Kindersoldatin und junge Mutter Hope nach Winnipeg in Kanada zu einer UN-Konferenz eingeladen, die sich dem Thema Kindersoldaten widmet. Es ist das erste Mal, dass sie ihre Heimat verlässt, und das erste Mal, dass sie vor einer internationalen Versammlung spricht.

Hope sagt: »Noch heute spüre ich den Schmerz in meiner Seele, wenn ich an die Zeit bei der Widerstandsarmee des Herrn denke. Es fühlt sich wie eine große Wunde an, die nie ganz vernarben wird. Aber ich habe noch Glück. Meine Familie ist für mich da. Andere ehemalige Kindersoldaten haben es schwerer als ich. Sie werden nicht wieder von ihren Familien aufgenommen. Auch ich werde oft von Leuten beschimpft. Geh doch wieder in den Busch mit deinem Kind, sagen sie. Wir ehemaligen Kindersoldaten stehen zwischen den Fronten. Das möchte ich ändern. Deshalb bin ich hier.«

In diesem Moment sehnt sich Hope nach daheim. Wo sie zu Hause wo Hope glücklich ist. Der einzig wahre Platz für sie auf der Welt. Uganda. Heimat. Hopes innerer Frieden. Ihre Welt ...

Hope.

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