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Prolog

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Rückblick: London – Herbst 1987

Dass sie nie eigene Kinder bekommen würde, hatte sie vor Jahren fast in den Tod getrieben. Harrys Verständnis und Zuneigung bewahrten sie damals vor dem Sprung in die Tiefe. Und nun zahlte sich seine Geduld aus. Selbst wenn die Umstände mehr als ungewöhnlich schienen, hielt sie jetzt ein Kind in den Armen. Seine Frau starrte wie gebannt auf das kleine Gesicht mit den großen, grünen Augen.

Harry stutze: Müsste die Iris nicht blau sein? Er schüttelte den Kopf und berührte die Stirn des Babys. Noch immer hatte sich nichts an seinem fiebrigen Zustand geändert.

»Was tun wir hier eigentlich, Harry?«

»Das Richtige! Und nun steig bitte ein, Ann«, antwortete er und öffnete die Wagentür.

»Aber es weiß niemand, dass sie noch lebt und wir...«, versuchte sie kleinlaut zu protestieren. Harrys strenger Blick ließ sie verstummen.

»Wir haben uns dafür entschieden. Das war die Bedingung, Anny. Also lass uns jetzt endlich fahren«, sagte er eindringlich und strich dabei mit einer Hand über ihre Wange.

»Ich weiß.«

Das kleine Bündel eng an sich gepresst, sank Marie Ann schweigend auf den Beifahrersitz und schloss die Tür. Harry schüttelte den Kopf, stieß einen Seufzer aus und öffnete sie wieder.

»Das Baby...Anny, das Baby!« Er deutete auf den Kindersitz hinter ihr. Sie küsste das Kleine sanft auf die Stirn und warf ihrem Mann einen gespielt vorwurfsvollen Blick zu: »Sie heißt Juliette, Harry! Kein Vater nennt seine Tochter: Das Baby.«

Als sie ihm das Kind in die Arme legte, lächelte sie bereits wieder.

Während Harry den Nachwuchs gewissenhaft im Kindersitz auf der Rückbank unterzubringen versuchte, sah Marie Ann ihm leicht amüsiert zu.

Die beiden Haken muss man zusammenhalten und dann erst in den Verschluss schieben. Na, ich sag lieber nichts...

Er würde sich niemals Hilfe suchend an sie wenden. Außerdem hielt sie sich eher zurück, wenn es um Reparaturen, Parkplatzsuche oder derlei Dinge ging. Für Belehrungen oder gut gemeinte Ratschläge hatte Harry nichts übrig. Er nahm die Sache lieber selbst in die Hand, auch wenn er damit länger brauchte als nötig. Am Ende fand er für alles immer eine gute und aus seiner Sicht viel bessere Lösung.

Selbst ist der Mann! Schmunzelnd drehte sie den Kopf nach vorn. Als ihr Blick dabei auf die Nebelbank am Flussufer fiel, zuckte sie erschrocken zusammen: »Harry, sieh mal, da steht jemand auf der Brücke und blickt direkt in unsere Richtung.«

Doch er schien ihr gar nicht zu zuhören. Stattdessen versuchte er weiterhin verzweifelt den Gurt an der Babyschale zu befestigen: »Verdammt, ich bekomme das hier nicht zu. Ann, hilf mir!«, fluchte er, schaute gereizt auf und blickte sich um: »Da ist niemand.«

»Klar, sieh doch hin...«, protestierte sie, aber ihr blieben die Worte im Hals stecken. Die Gestalt auf der Brücke war verschwunden und der dichte Nebel kroch langsam die Böschung zur Straße hinauf.

»Ich will hier weg«, flüsterte sie und rieb dabei die schwitzigen, kalten Handflächen aneinander. In diesem Moment schnappte der Gurtverschluss endlich zu. Harry eilte um den Wagen und stieg ein. Seine Hand zitterte, als er den Schlüssel ins Zündschloss steckte: »Herrgott Ann, halt die Finger still, du machst mich nervös.« Niemals hätte er seiner Frau gestanden, dass auch ihm die ganze Situation ziemlich zusetzte. Schließlich mussten sie ihr bisheriges Leben hinter sich lassen, um für dieses Kind neu anzufangen. Und das alles weit weg auf einer Insel, die für sie zuvor nicht einmal als Urlaubsziel in Frage gekommen wäre. Aber Harry liebte seine Frau und wenn es nur diesen einen Weg gab, dann würden sie ihn gemeinsam gehen.

***

Blutlegende

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