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AUS DEM ALLTAG EINER STREICHQUARTETTAGENTIN

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Bremen im April:

Ich bin mit meiner Mitarbeiterin aus Hamburg zum Konzert gekommen. Vor dem Konzertsaal treffen wir auf den Bratschisten des Quartetts, er geht den Bürgersteig auf und ab, hart und schnell, raucht eine Zigarette nach der anderen. Wir begrüßen uns herzlich, dann schießt es aus ihm heraus: dies sei leider das letzte Mal, dass wir uns sehen, nach diesem Konzert verließe er das Quartett, der Rest der Tournee sei hiermit abgesagt. Ich nicke, ohne diese Nachricht zu kommentieren, frage ihn, wie es seiner Familie geht. Nach einer kurzen Zeit entschuldigt er sich, er müsse noch üben, er geht durch den Bühneneingang, wir durch den Publikumseingang. Meine Mitarbeiterin sieht mich entgeistert an, ob ich vielleicht nicht verstanden hätte, was er gerade gesagt habe, es sei doch eine Katastrophe, wieso ich denn so ruhig bliebe. Nach dem sehr schönen Konzert gehen wir mit allen vier Musikern ins Restaurant, es wird ein lustiger Abend, spät in der Nacht fahren wir nach Hause und das gesamte Quartett am nächsten Morgen weiter nach Düsseldorf, zum nächsten Auftritt.

Paris im Februar:

Kurz nach 17.00 Uhr ruft eine Veranstalterin an, völlig aufgelöst. Sie fürchtet um ihr Konzert. Sie sei gerade in der Probe gewesen, das Quartett habe unaufhörlich (sie verstand kein Wort, weil sie deren Sprache nicht kannte) gestritten, bis die Cellistin unter Tränen die Bühne verlassen habe. Was sie jetzt tun solle. Ich riet ihr, sich von der Probe fernzuhalten, einen Kaffee trinken zu gehen und sich keine Sorgen zu machen. Ich hörte nichts weiter. Einige Tage später bekam ich einen Brief mit einer guten Rezension des Konzerts.

Bad Kissingen im Juni:

Nach einem Festivalkonzert erscheint eine Kritik mit, kurz zusammengefasst, folgendem Inhalt: die vier Herren hätten trotz düsterster Miene wunderbar gespielt. Nur schade, dass man das Vergnügen nicht mehr haben werde, da bekannt geworden sei, dass das Quartett sich nach dieser Tournee auflösen werde. Nach einer längeren Odyssee durch alle Instanzen der Zeitung finden wir den Journalisten und fragen ihn, woher er diese – falsche – Nachricht bekommen habe. Der Journalist wehrt sich: es sei doch bekannt, dass die vier Herren untereinander heillos zerstritten seien und außer auf der Bühne nichts mehr miteinander zu tun haben wollten. Woher er auch noch dies erfahren haben will? Ein Mitarbeiter des Festivals habe ihm berichtet, dass er von der Agentur sehr strenge Auflagen für die Buchung des Hotels bekommen hätte. Die vier Zimmer müssten möglichst weit voneinander entfernt, weder unmittelbar nebeneinander noch direkt übereinander liegen. Daraus könne man nur solche Schlüsse ziehen.

Bonn im Januar:

Kurz vor einem Konzert sitzen drei Herren des Quartetts in der Garderobe und zupfen witzelnd an ihren Instrumenten, der vierte fehlt. Ich weiß, dass der vierte getrennt anreisen und in einem anderen Hotel wohnen sollte. Ich frage etwas nervös, ob sie etwas von ihm gehört hätten, ob ich mich erkundigen soll, es ist immerhin schon Viertel vor acht. Leicht amüsiert antworten sie mir, der Kollege hätte in über dreißig Jahren noch kein Konzert ausgelassen. Beschämt, aber nicht wirklich beruhigt verlasse ich das Künstlerzimmer und setze mich auf meinen Platz im Zuschauerraum, warte gespannt auf den Anfang des Konzerts, bereit für die Katastrophe. Um punkt acht Uhr gehen zum Zeichen des Konzertbeginns die Lichter aus, die Bühne wird hell, alle vier betreten das Podium.

Berlin im November:

Ich begrüße das Quartett vor seinem Konzert in der Berliner Philharmonie. Wir hatten verabredet, dass wir uns anschließend zusammensetzen, um über die weiteren Pläne für das nächste Jahr zu sprechen. Die Musiker sehen mitgenommen aus, die Stimmung ist bleischwer, aber ich traue mich nicht zu fragen, was los ist. Das Konzert ist merkwürdig, die Gefühle scheinen auf der Haut zu liegen. Nach dem Konzert warte ich auf sie, noch werden sie von begeisterten Zuschauern, alten Freunden und ehemaligen Studenten umringt. Ich habe das Gefühl, dass ich besser gehen sollte. Ich frage, ob es vielleicht nicht passend sei, biete an, zu einem anderen Konzert der Tournee wiederzukommen. Sie wissen es noch nicht, wir müssten erst alle zum Hotel fahren, der Kollege müsse zuhause anrufen. Noch immer verstehe ich nichts, nur dass es ernst ist. Im Hotel angekommen, verschwindet der Betroffene im Aufzug, die anderen setzen sich in die Hotelhalle, es kommt kein Gespräch auf, banges Warten. Als er zurückkommt, stehen sie auf, schauen ihn an und sie fallen sich in die Arme mit Tränen in den Augen. Ich komme mir so indiskret vor, es ist alles so intim, ich möchte verschwinden. Bald haben sie sich wieder gefangen und erklären mir, dass die Frau des Kollegen heute die Ergebnisse einer gefürchteten Untersuchung erwartet habe und es sei alles gut. Der Abend gerät besonders fröhlich.

München im Mai:

Es ist das Ende einer Tournee, die dramatisch angefangen hatte. Kurz vor Probenbeginn stellte sich heraus, dass eines der Mitglieder schwer erkrankt war und sich sofort einer Behandlung unterziehen musste. Es war sein großer Wunsch, dass die Tournee nicht abgesagt wird, sondern einer seiner ehemaligen Studenten ihn vertritt. An diesem Abend sitzen wir, der Cellist und ich, nach dem Konzert zusammen und blicken auf diese für alle – emotional und arbeitsmäßig – sehr anstrengende Zeit zurück. Der Cellist erzählt, wie er und seine beiden anderen Quartettkollegen sich nach einem der ersten Konzerte noch auf ein Bier im Hotel trafen, erschöpft, aber froh darüber, ein doch sehr erfolgreiches Konzert gespielt zu haben, traurig und besorgt um den Erkrankten, sich fast entschuldigend, dass sie dennoch gespielt haben, und sich beichteten: »Wir spielen aber doch so gerne Quartett.«

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