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Die Rückkehr

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Lilly war schlecht. Je näher sie New York kamen, desto unbehaglicher fühlte sie sich.

- Das war eine dumme Idee -

… blaffte das kleine Engelchen auf ihrer Schulter und Lilly schmunzelte.

Tatsächlich, ihre inneren Stimmen waren ortsgebunden. Sie tauchten immer nur dann auf, wenn ihr Leben irgendwie in Verbindung zu dieser Stadt stand. Die ganze Zeit in New Haven waren sie stumm geblieben. Doch nun, wo sie nur noch wenige Blocks von der Location entfernt waren, in der Henrietta ihre Gala veranstaltete, waren sie mit einem Mal wieder da und versuchten in seltsamer Verbundenheit Lilly davon zu überzeugen, dass es besser war umzukehren.

Henrietta war tatsächlich auf ihre Idee, die Gala einmal nicht in einem Ballsaal zu veranstalten, angesprungen und hatte sich eine beschauliche Galerie gesucht, in deren Ambiente sie die Leute nicht mit einem schwerfälligen, völlig überteuerten sieben Gänge Menü erschlug, sondern mit Häppchen und Buffet empfing. Zwar war Abendgarderobe Pflicht doch wirkte das ganze wesentlich weniger steif und versnobt als all die Empfänge, auf denen Lilly bisher gewesen war.

Fast ehrfürchtig saß Lilly im Wagen, als Zane am Roten Teppich hielt. Sie war unglaublich nervös. Ihr Herz raste wie wild und der kleine Krümel machte es sich auf ihrem Ischias bequem.

- Na toll - …

… jammerte der kleine Teufel auf den Krückstock gestützt. Und Lilly war seiner Meinung.

Was sie jetzt überhaupt nicht gebrauchen konnte waren Rückenschmerzen. Deshalb klopfte sie leicht auf ihren Bauch und versuchte dem kleinen Menschlein gut zuzureden: „Hör mal kleiner Mann. Ich hab dich wirklich sehr lieb, aber bitte such dir eine andere Schlafposition.”

Lilly wusste, dass die ziemlich einseitige Kommunikation zwischen ihr und ihrem Baby manches Mal von Erfolg gekrönt war, aber nicht an diesem Abend. Der Kleine dachte überhaupt nicht daran seine Position zu ändern, egal wie sehr Lilly gegen ihren Bauch drückte oder darauf klopfte. Also stieg sie mühsam aus dem Wagen und war dabei wirklich froh, dass ihr aufmerksamer Begleiter offenbar bemerkte, dass sie sich vor Schmerzen kaum rühren konnte und ihr nicht nur der Höflichkeit halber die Hand reichte.

Sofort begannen die Fotoapparate zu klicken. In diesem ganzen durcheinander an Stimmen und Menschen um sie herum, hörte sie immer wieder die Anweisungen der Fotografen: “Hier Miss Cole” oder ” Drehen sie sich zur Seite” und so weiter.

Lilly bereute das erste Mal an diesem Abend das sie es gewesen war, die darauf bestand, allein zur Gala zu fahren. An der Seite eines starken Mannes war das ganze Gepose viel einfacher.

Vor allem an Ethans Seite.

Für ihn war das die einfachste Übung der Welt und Lilly beneidete ihn mehr denn je um seine natürliche Souveränität, während sie lächelnd den Anweisungen nachkam und sich von den sensationsgeilen Fotografen von allen Seiten ablichten ließ. Jeglicher Bitte um ein Statement jedoch entgegnete sie mit einem Lächeln und ging weiter. Lilly war nicht zur Gala gekommen um irgendetwas zu kommentieren oder klar zu stellen. Sollte sich doch jeder denken was er wollte, geschrieben wurde ohnehin was die breite Öffentlichkeit interessierte und dass sie dabei nicht immer gut wegkam, wusste sie längst.

„Da bist du ja endlich”, Frank wartete schon eine ganze Weile, „du bist spät.” „Entschuldige, aber der Verkehr ist schrecklich gewesen.” „Du hättest eben gestern Abend mit mir fahren sollen.” „Lass bitte gut sein Frank”, Lilly spürte ihren Rücken nur zu deutlich, als Frank seinen Arm um Ihre Hüfte legte und sie sanft vorwärts schob. Am liebsten hätte sie ihn von sich gestoßen, doch ihr blieb gar nicht die Zeit, als sie Henrietta auf sich zu stürmen sah: „Kindchen.”

Freudestrahlend packte sie Lilly an den Händen, sah mit einem überraschten Leuchten in den Augen an ihr hinab und zog sie einen kurzen Augenblick fest an sich, um sie dann wieder fassungslos von oben bis unten zu mustern.

Lilly kam sich schon fast vor wie auf einem Viehmarkt, als Henrietta endlich die Sprache wiederfand: „Herr je … jetzt versteh ich so einiges. Du bist ja schwanger.” „Ja”, mehr brachte Lilly als Antwort nicht heraus, denn sofort stürzte Henrietta sich auf Frank: „Ich gratuliere dir mein Junge. Aber warum habt ihr das denn verheimlicht und wann werdet ihr heiraten? Ich will alles wissen.” „Brems dich”, obwohl Lilly eigentlich mit einer solchen Reaktion hätte rechnen müssen, reagierte sie ziemlich genervt auf Henriettas Euphorie.

Sie sah sie einen Augenblick verwirrt an: „Was? Ihr wollt nicht heiraten?” „Wir leben nicht im Mittelalter. Man muss nicht mehr verheiratet sein um ein Baby zu bekommen.” „Oh, stimmt da irgendetwas nicht zwischen euch?” Henrietta wurde hellhörig und Lilly war froh, dass nun Frank in die Presche sprang: „Es ist alles in Ordnung. Wir sind uns nur noch nicht einig wann wir heiraten wollen.”

Lilly sah Frank böse von der Seite an, doch Henrietta war mit der Antwort zufrieden: „Ach so. Ich hatte schon befürchtet es stimmt nicht mehr zwischen euch Beiden.” „Alles in Ordnung”, Lilly sah im Augenwinkel, wie Zoe an ihr vorbeiging. Sofort wurde ihr warm ums Herz. Hatte Henrietta also ein Einsehen gehabt und Zoe nicht rausgeschmissen.

„Entschuldigt mich bitte”, ohne auf eine Antwort zu warten, lief Lilly Zoe nach und hielt sie am Arm fest, als sie trotz rufen nicht stehen blieb. Zoe sah Lilly jedoch nicht an, ging einfach stur weiter: „Was willst du?” „Mich entschuldigen Zoe”, Lilly war seltsam nervös. Sie war sich so sicher gewesen, dass sie und Zoe sich aussprechen könnten, dass ihre Freundschaft stark genug war, doch nun Zoes Ablehnung so deutlich zu spüren, brach ihr fast das Herz: „Bitte Zoe, bleib doch stehen.” „Ich will nicht mit dir reden Lilly.” „Aber es tut mir wirklich leid. Ich war damals völlig überfordert von der Situation. Bitte verzeih”, Lilly blieb stehen. Ihr Rücken schmerzte genau wie ihre Füße. Sie hatte einfach nicht die Kraft Zoe weiter nach zu laufen. Sie glaubte schon ihre Freundin wirklich endgültig verloren zu haben, als Zoe sich langsam zu ihr umdrehte. Dicke Tränen rannen ihre Wangen hinab, die sie verlegen wegzuwischen versuchte. Lilly brach beinahe das Herz: „Oh Zoe … bitte nicht weinen. Es tut mir leid. Ich war so eine doofe Kuh.” „Nein. Du hattest mit allem Recht. Er hat mich nur verarscht”, schluchzend versuchte Zoe sich die Tränen von den Wangen zu wischen. Sie war am Boden zerstört und Lilly tat ihr verzweifelter Anblick bis in die Seele weh: „Oh Süße.”

Ohne auch nur im Entferntesten darüber nachzudenken wie gut sich Makeup Flecken auf ihrem elfenbeinfarbenen Kleid machen würden, zog Lilly Zoe in ihre Arme, hielt sie so fest sie konnte und so gut es ihr dicker Bauch zu ließ.

„Du hast mir gefehlt”, Lilly war selbst den Tränen nahe, schaffte es kaum noch sie zurück zu halten. Es tat so unglaublich gut ihre Freundin wieder zu haben. So viele Gedanken hatte sie sich in den vergangenen Monaten darüber gemacht wie und ob ihre Freundschaft, die ihr immer so wichtig gewesen war, zu retten sein würde. So viele Worte hatte sie sich für diesen Moment zurechtgelegt und nun reichte eine innige Umarmung aus. Natürlich war damit noch lange nicht besprochen was geschehen war. Aber es bewies ihr, dass ihre Freundschaft stark genug war.

„Es tut mir leid Lilly”, langsam löste Zoe sich aus Lillys Armen, „ich war so dumm.” „Nein, du warst einfach nur verliebt.” „Du hast mir auch gefehlt. Und wie ich sehe hab ich ganz schön was verpasst”, mit einem gequälten Lächeln um die Lippen, sah Zoe an Lilly hinab. Lilly zuckte mit den Schultern: „Ein bisschen was.” „Du bist wirklich schwanger”, ungläubig legte Zoe ihre Hand auf Lillys Bauch als wolle sie sich vergewissern, dass das unter ihrem Kleid keine Attrappe war.

Lilly lachte amüsiert: „Ja, im sechsten Monat inzwischen.” „Ich fass das echt nicht. Warum?” „Oh Zoe”, Lilly zog Zoe ein wenig zur Seite. Es war nicht nötig das jeder mithören konnte was sie mit ihrer Freundin zu besprechen hatte: „Du weißt doch wie das funktioniert.” „Doofe Kuh. Natürlich weiß ich das. Aber du bist doch gar nicht mehr mit Frank zusammen. Oder seh ich da was falsch?” „Das siehst du richtig”, Lilly sprach flüsternd weiter, „ich weiß nicht ob er der Vater ist.” „Was?” schockiert schlug Zoe sich selbst auf die Wange, „das ist jetzt nicht dein Ernst.” „Doch.” „Wer kommt denn noch in Frage?” „Das erzähl ich dir bestimmt nicht hier. Wir haben viel zu besprechen.” „Ja aber vor allem muss ich mich bei dir bedanken.” „Wofür?” „Henrietta hat mir erzählt, dass du sie eindringlich gebeten hast, mich nicht raus zu schmeißen.” „Ich hab sie nur gebeten. Aber letztlich war es ihre Entscheidung. Ich freu mich schon darauf deine Kleider zu sehen.” „Dein Brautkleid ist dabei.” „Wie bitte?” „Ja, es läuft außer Konkurrenz und ist absolut unverkäuflich. Ich hatte es eigentlich für deine Hochzeit mit Ethan entworfen, aber … naja.” „Du hast mir ein Brautkleid entworfen?” „Ja. Ich hoffe es gefällt dir. Ich muss mich jetzt dringend um die Models kümmern.” „Aber natürlich. Los geh. Wir sehen uns später”, Lilly entließ Zoe glücklich lächelnd. Schon allein dafür, dass sie zumindest den ersten Schritt getan hatten um sich zu versöhnen, war der Abend es wert gewesen. Ganz egal wie sehr ihr der Rücken weh tat, Zoe war das alles wert.

„Hier”, Frank reichte Lilly eine Champagner Flöte, weswegen sie ihn verwirrt ansah.

Hatte er da irgendetwas nicht ganz mitgekriegt?

„Schau mich nicht so sauer an. Ist nur Wasser mit Apfelsaft drin.” „Ich dachte schon”, erwiderte sie und nippte an ihrem Glas. Es war tatsächlich nur Saft drin, stellte sie erleichtert fest, gerade als ihr Blick auf ihn fiel.

Am anderen Ende der Galerie stand Ethan. Nur kurz erhaschte sie seinen Blick durch die Menschenmenge hindurch. Nur einen winzigen Moment trafen sich ihre Blicke, doch das reichte aus um ihren Puls schlagartig in die Höhe zu treiben.

Braun gebrannt, mit Vollbart und viel zu langen Haaren stand er da und sah so unglaublich aus wir immer. Lillys Herz hämmerte wie wild in ihrer Brust und auch das Baby bewegte sich plötzlich. Fast so als wolle es seine Mutter fragen, warum sie denn plötzlich so nervös wurde.

„Er ist allein hier”, Frank riss Lilly aus ihren Gedanken. Sie war völlig darin versunken gewesen: „Hm? Was sagst du?” „Ich sagte er ist allein hier. Corinne und Amanda boykottieren die Veranstaltung ganz offensichtlich.” „Wenn sie meinen. Ich finde, es ist eine sehr gelungene Party.” „Ja ich auch. Aber am besten gefällt mir, dass du wirklich gekommen bist.” „Hatte ich doch gesagt.” „Naja, so richtig dran geglaubt hab ich nicht. Du siehst in dem Kleid übrigens umwerfend schwanger aus.” „Was ist das denn jetzt für ein Kompliment?” „Wirklich. Du bist mit Abstand die schönste Schwangere, die ich je gesehen habe.” „Ich danke dir”, verlegen nippte Lilly erneut an ihrem Glas. Frank flirtete auf Teufel komm raus mit ihr und ihr war das durchaus ein wenig unangenehm. Weil sie sich in anderen Dingen so sicher war.

Frank war nicht der Vater, das spürte sie ganz deutlich. Nein, es gab keinen Beweis dafür, aber ihr Herz wusste es und genau deswegen konnte sie nicht wieder mit ihm zusammen sein. Ganz egal ob ihr Verstand eine andere Sprache sprach. Lilly würde ihm dieses Mal nicht nachgeben. Nicht solange ihr Herz der Meinung war, dass es eine winzig kleine Chance auf eine Zukunft mit Ethan gab. Selbst wenn diese Chance mikrobisch klein war und sie vielleicht den Rest ihres Lebens damit verbrachte, auf ihn zu warten.

„Möchtest du etwas essen?” Frank war offensichtlich sehr um Lillys leibliches Wohl besorgt, während ihre Augen in der Menge nach dem Mann suchten, der sie immer wieder von sich stieß. Sie musste mit ihm reden. All die Monate war das nicht wichtig gewesen, weil sie ihn, so gut es nur ging, aus ihren Gedanken verbannte. Aber nun war er ganz in ihrer Nähe und Lilly fühlte seine Anwesenheit mehr als sie ertragen konnte. Ganz egal was jemals geschah, sie gehörten zusammen. Es musste einfach einen Weg geben. Er musste das endlich begreifen.

Was war Ethan nur für ein Idiot?

„Ja gern”, Lilly musste Frank irgendwie loswerden. Und sie wusste, dass er ihr als Gentleman etwas zu essen besorgen würde. Tatsächlich ging er lächelnd davon.

Lillys schlechtes Gewissen meldete sich lautstark zu Wort und sie stritt nicht einmal ab das es recht hatte. Aber das spielte keine Rolle. Sie musste mit Ethan reden. Also stellte sie ihr Glas zur Seite und ging langsam durch die Menge. Ihre Augen suchten die ganze Galerie ab, doch fanden ihn nicht.

Wo war er denn so plötzlich hin?

Ein Mann wie Ethan Blake konnte sich doch nicht in Luft auflösen.

Dennoch war er verschwunden.

Traurig stand Lilly mitten in der Galerie, als Henrietta die große Versteigerung ausrief. Eigentlich interessierte Lilly das in diesem Augenblick überhaupt nicht, doch davonlaufen und Ethan suchen konnte sie auch nicht mehr, als Henrietta ihr in ihrer Ansprache für die Zusammenarbeit dankte und sich die ganze Galerie suchend nach ihr umdrehte.

Lilly war verwirrt und peinlich berührt, als die Gäste ihr applaudierten.

Was hatte sie denn schon getan?

Nichts, außer bei einem Mittagessen mit Henrietta neue Ideen zu diskutieren.

Weshalb dankte Henrietta ihr?

Lilly konnte die Antwort in ihren Augen sehen. Sie wusste das sie Ethan nachlaufen wollte. Die elegante Dame in ihrer traumhaften, grünen Robe hatte sie längst durchschaut und nutzte die Gelegenheit um sie zurück zu halten. Und es funktionierte. Nun, wo ihr applaudiert wurde, konnte Lilly nicht mehr suchend umherlaufen.

„Er ist weg”, Henrietta trat an Lilly heran nachdem Zoe die kleine Bühne betrat und den Verlauf der Versteigerung übernahm.

„Ich weiß nicht was du meinst”, Lilly tat unwissend, lauschte angestrengt Zoes Worten obwohl es ihr ganz schrecklich in den Beinen juckte. So gern wäre sie Ethan nachgegangen, doch wo hätte sie ihn suchen sollen?

„Das weißt du sehr gut. Lass Ethan gehen. Er ist verheiratet”, Henriettas Stimme klang ermahnend, streng und fast ein klein wenig bedrohlich. Dabei sah sie interessiert zur Bühne hinauf, als würde sie sich mit Lilly über das New Yorker Wetter unterhalten.

„Das weiß ich. Aber darf ich deshalb nicht mehr mit ihm sprechen”, Lilly versuchte sich zu verteidigen, aber wieder ermahnte Henriette sie: „Du solltest die Dinge ruhen lassen. Frank verehrt dich. Halt dich an ihn.” „Du bist dir bewusst, dass dich das überhaupt nichts angeht”, Lilly war nicht bereit sich ins Gewissen reden zu lassen. Egal wir charmant Henrietta das auch versuchte.

„Aber natürlich bin ich das. Trotzdem ist Frank ein guter Mann. Er wird sich um dich kümmern, auch wenn er nicht der Vater sein sollte”, Henrietta beobachtete weiterhin aufmerksam die Versteigerung, bemerkte aber dennoch, wie Lilly nervös schluckte: „Wie kommst du darauf?” „Ich bin eine alte Frau, Schätzchen. Aber wenn er der Vater wäre, hättet ihr längst geheiratet. So gut kenne ich Frank inzwischen. Er wird sich nie aus der Verantwortung stehlen.” „Ich will keinen Mann, der nur zu seiner Verantwortung steht.” „Aber er verehrt dich.” „Ich weiß. Aber ich kann nicht mit einem Mann ein Kind großziehen, den ich nicht liebe. Also lass das Thema jetzt bitte ruhen.” „Ich kann verstehen, dass du an Ethan hängst, aber er muss für dich Vergangenheit sein. Er hat sich für Corinne entschieden. Die Gesellschaft wird dir nicht verzeihen, wenn du dich zwischen die beiden drängst.” „Sei still”, Lilly fauchte Henrietta böse an gerade, als sie im Augenwinkel sah, dass Frank mit einem Teller voller Häppchen an sie herantrat: „Da bist du ja Liebling.” „Danke dir”, entgegnete Lilly lächelnd als sie den Teller entgegennahm. Sofort steckte sie sich eines der Häppchen in den Mund.

Ja sie hatte wirklich Hunger, aber das war eigentlich nicht das was ihr in diesem Augenblick wirklich wichtig war. Sie wollte mit Ethan reden, aber vor allem sich hinsetzen. Ihr Rücken brachte sie langsam um. Es fiel ihr unglaublich schwer aufrecht zu stehen vor Schmerz. Vielleicht sollte sie einfach verschwinden und sich im Stadthaus hinlegen. Doch, bevor Zoes wundervolle Kreationen nicht versteigert waren, konnte sie auf keinen Fall die Galerie verlassen, dafür hatte Henrietta mit ihrer Rede gesorgt. Zumal sie neugierig auf das Brautkleid war, das Zoe für sie geschneidert hatte.

Warum hatte sie ihr davon nur nie erzählt?

Ihre Verlobung lag schon so unendlich lange zurück. Lilly dachte mit Wehmut an die Zeit als sie Ethans Ring am Finger trug, während auf der Bühne das erste Kleid, eine bezaubernde, blassgelbe high and low Robe eine überglückliche Besitzerin fand.

Zoe war wirklich eine begabte Designerin und das schienen auch die anwesenden Gäste so zu sehen. Die Preise, die für die Kleider geboten wurden stiegen in schier unvorstellbare Höhen. Was natürlich vor allem Henrietta erfreute. Aber auch Lilly war zufrieden. Bestätigte es doch das immense Vertrauen das sie immer in Zoe gelegt hatte. Ganz sicher würde sie nun ihren Weg gehen und auch für Lilly wurde es langsam Zeit. Sie fühlte sich schrecklich. Vom Rücken bis hinab zu den Füßen tat ihr alles weh und sie trauerte der verpassten Gelegenheit nach mit Ethan zu reden.

Warum nur war er so plötzlich verschwunden?

Gerade, als Lilly Frank bitten wollte sie zum Wagen zu begleiten nahm die Versteigerung ein Ende und Zoe kündigte in ihrer unnachahmlichen Art, mit der sie schon seit einer Stunde durch den Abend führte, eine kleine Überraschung an und Lilly wusste natürlich wovon sie sprach. Neugierig, wie alle anderen Gäste auch, blickte sie auf die Bühne hinauf und begann mit einem Schlag zu weinen. Das blonde Model, das die Bühne betrat trug ein traumhaftes, cremefarbenes Brautkleid aus feinstem, besticktem Seiden-Gazar. Bittere Tränen rannen ihre Wangen hinab. Im Stile einer Märchenprinzessin schwebte das Model über den Catwalk. In diesem wundervollen Kleid hätte sie also Ethan heiraten sollen!

Für Lilly war diese Vorstellung mehr als sie ertragen konnte. Zu tief saß der Schmerz Ethan verloren zu haben.

Warum nur kamen all die Erinnerungen, die sie quälten, wieder, sobald sie einen Fuß auf New Yorker Boden setzte?

Monate lang war sie sich in New Haven selbst genug gewesen. Hatte sie all den Schmerz von sich geschoben, sich nur noch auf sich und ihr Baby konzentriert. Doch nun war alles wieder da und sie fühlte sich wie erschlagen. Wie unter der Last ihrer Verzweiflung begraben. Ethan zuzusehen wie er eine Andere heiratete war zu viel für sie gewesen. Aus Wut und Verzweiflung verschwieg sie ihm sein Baby. Sie wollte ihm weh tun, doch letzten Endes strafte sie sich damit nur selbst, weil sie seine Entscheidung stillschweigend akzeptierte ohne zu kämpfen.

Wann hatte sie sich nur damit abgefunden, abgeschoben worden zu sein?

Warum nahm sie seine Entscheidung hin ohne um ihre Familie zu kämpfen?

Lilly hatte keine Ahnung, aber sie wusste, dass sie raus musste. Sie brauchte frische Luft, weil sie sich fühlte als würde sie ersticken.

Ohne darauf zu achten Wen sie anrempelte, lief Lilly davon, noch bevor Frank reagieren konnte. Sie fühlte sich erschlagen, erdrückt, bestohlen. Ja, das war es was sie fühlte. Sie fühlte sich als hätte Ethan ihr alles genommen was ihr jemals wichtig gewesen war.

Lilly brauchte nicht lange zu warten bis Zane den Wagen vorfuhr. Sie ließ ihm nicht einmal Zeit ihr die Tür zu öffnen. Sie sprang förmlich in den Wagen und wies Zane an los zu fahren, gerade als Frank aus der Galerie gelaufen kam. Verwirrt blieb er zurück, sah der Limousine nach, während Lilly im Inneren des Wagens zusammenbrach. Bitterlich weinend saß sie auf dem Rücksitz. Lillys innerer Friede war zerbrochen und dafür reichte ein winziger Blick in die Augen des Mannes, der ihr wichtiger war als ihr eigenes Leben.

„Kann ich etwas für sie tun Ma'am?” Besorgt sah Zane in den Rückspiegel. Lilly antwortete ihm nicht.

Was hätte sie auch sagen sollen?

Dass er ihr ihren Mann zurückbringen sollte?

Auch ihr treuer Bodyguard vermochte dies nicht für sie zu tun.

„Bringen sie mich in ein Hotel”, Lilly sah sich nicht im Stande nach New Haven zurück zu fahren. Sie war viel zu aufgewühlt, ihr ganzer Körper schmerzte. Lilly suchte nur noch einen Ort, an dem sie sich verstecken konnte und war Zane dankbar dafür, dass er ihrem Wunsch entsprechend, nach einem Zimmer zu suchen begann. Sie wollte nicht ins Stadthaus, denn dort hätte sie sich in ihrem Zustand, mitten in der Nacht mit Mrs. Archer auseinandersetzen müssen und dazu sah sie sich nicht im Stande.

Zane brachte Lilly mitten in der Nacht ins Hyatt Hotel. Er konnte nicht wissen welche Erinnerungen Lilly mit diesem Hotel verband und sie zwang sich darüber hinweg zu sehen, als er sie an der Rezeption anmeldete und sie schließlich bis in ihre Suite begleitete: „Kann ich noch etwas für sie tun Ma'am?” „Ich danke ihnen Zane.” „Gerne Ma'am. Ich bin die ganze Nacht erreichbar, wenn sie etwas brauchen.” „Danke”, Lilly war so froh Zane zu haben. Es war fast so, als verstünde sie das erste Mal, warum Carter für Ethan so wichtig war? Zane war ihr Carter und dafür war sie mehr als nur dankbar.

Zane stellte den kleinen Notfall-Koffer ab und verließ die Suite. Lilly fühlte sich schrecklich einsam, als die Tür hinter ihm ins Schloss fiel. Ihr war so bitter kalt. Sie kannte diese Kälte, die tief aus ihrem Innern kam. Eine Kälte, die sie in den vergangenen Monaten nie verspürte, weil sich ihr Herz, obwohl es ihn niemals aufgeben würde, von Ethan befreit hatte.

Doch nun, war alles wieder da … und ein einziger Blick reichte dafür aus. Ein Blick, der ihr die Einsamkeit bewusstmachte, die Ethan ihr aufzwang, die er ihr abverlangte, weil er selbst mit ihrer Liebe nicht zurechtkam. Weil er es nicht ertragen konnte sie zu lieben.

Vollidiot …

Lilly hätte heulen können, doch was hätte das schon genutzt?

Auch ihre einsam vergossenen Tränen, hätten ihn ihr nicht zurückgebracht. Ethan war irgendwo, wo immer er auch mit seiner Corinne lebte und zwang sie aufs Neue, allein zu sein.

Warum nur war er so plötzlich verschwunden?

Warum war er nicht wenigstens Manns genug gewesen um ein paar Worte mit ihr zu wechseln?

Lilly wusste keine Antwort auf diese Frage, aber sie wusste, dass sie ihn wohl niemals verstehen würde, als sie sich in das riesige King-Size Bett kuschelte und in der Hoffnung die Augen schloss über Nacht einfach vergessen zu können.

Lilly war gefühlt gerade erst eingeschlafen, als ihr Handy auf dem Nachttisch vibrierte und sie aus dem Schlaf riss. Sie brauchte einen Augenblick um zu begreifen, dass dieses seltsame Geräusch von ihrem Handy kam dessen Display den Raum erleuchtete. Die Nummer auf dem Bildschirm zeigte keinen dazugehörigen Namen an, also drückte sie den Anruf genervt weg.

Hatte sich wohl jemand verwählt, oder erlaubte sich einen schlechten Scherz. Ganz egal, morgens um halb fünf verspürte Lilly nur Lust sich umzudrehen und weiter zu schlafen. Deshalb dachte sie gerade darüber nach, das Handy einfach ganz auszuschalten, als es wieder zu vibrieren begann. Dabei erschrak sie, im Halbschlaf, so sehr, dass sie es sogar beinahe fallen gelassen hätte. Auf jeden Fall war sie nun hell wach und wurde langsam sauer: „Wer auch immer es witzig findet um diese Uhrzeit Telefonstreiche zu spielen, sollte den Scheiß lassen, sonst werde ich ungemütlich.” „Miss Cole”, Lilly wusste das sie die Stimme am anderen Ende der Leitung kannte, dennoch war ihr verschlafenes Gehirn absolut nicht in der Lage, aus diesem Klang ein Gesicht zu formen: „Was? Wer ist da?” „Michael.” „Michael wer?” „Ethans Anwalt, sein Freund”, antwortete er und plötzlich setzte Lillys Herz einige Schläge aus: „Wissen sie eigentlich wie viel Uhr es ist?” „Es tut mir wirklich leid sie behelligen zu müssen, aber bitte sagen sie mir, dass sie in New York sind.” „Bin ich, aber sagen sie mir, was sie das um diese Uhrzeit angeht?” „Sie müssen herkommen.” „Wohin? Können sie mal Klartext reden?” „Ethan dreht durch. Sie müssen sich darum kümmern”, mit einem Schlag stand ihr Herz nicht mehr nur einfach still, es versagte völlig: „Was ist passiert?” „Er hat sich in einem Hotelzimmer eingeschlossen.” „Wo ist er?” „Im Hyatt Hotel. Er lässt mich nicht mehr rein.” „Zimmernummer?” „King Suite.” „Okay”, Lilly zögerte keine Sekunde. Ethan brauchte ihre Hilfe. Was spielte es da für eine Rolle, dass sie selbst sich fühlte, als wäre gerade eine Dampfwalze über sie hinweg gerollt, weil die Sorge um den Mann, den sie nach wie vor mehr liebte, als sie ertragen konnte, sie zu erdrücken drohte. Ihr Herz raste als sie ins Badezimmer lief um sich anzuziehen. In ihrem Verstand hallte unaufhörlich die Gewissheit wider, dass es Ethan schlecht ging. Allein der Gedanke daran bereitete ihr selbst körperliche Schmerzen, als sie ohne Schuhe zum Fahrstuhl lief.

War es Zufall, dass sie und Ethan im selben Hotel abgestiegen waren? Warum war Ethan überhaupt in einem Hotelzimmer? Weshalb war er nicht nach Hause gefahren, nachdem er die Gala verließ? Ganz sicher hatte Corinne ihm einen Palast eingerichtet, in dem sie gemeinsam lebten.

Schon im Flur sah Lilly Michael stehen. Er ging nervös auf und ab, sah hilflos auf seine Rolex, als könne er keine Sekunde des Wartens mehr ertragen. Dennoch wirkte er sehr überrascht, als er Lilly barfuß über den Flur laufen sah: „Miss Cole. Wo kommen sie denn so schnell her? Wir haben doch gerade erst telefoniert.” „Ich hab zwei Stockwerke weiter unten geschlafen als sie mich angerufen haben. Wo ist er?” „In der Suite. Ich habe nach jemandem geschickt, der diese Tür öffnet.” „Was ist passiert?” „Keine Ahnung. Corinne hat mich vor einer Stunde völlig aufgelöst angerufen, weil Ethan nicht nach Hause gekommen ist. Ich hab dann sein Handy geortet und ihn hier gefunden. Er ist sturzbesoffen. Die halbe Suite hat er zertrümmert.” „Oh Gott”, Lilly war schockiert, „haben sie mit ihm geredet?” „Ich hab’s versucht, aber ich komm nicht an ihn rann. Er faselt nur ständig irgendetwas von einem Baby und wenn ich sie mir so ansehe weiß ich jetzt auch warum. Sie sind schwanger.” „Glauben sie mir, das weiß ich selbst”, Lilly war genervt davon das jeder ihr erzählte, dass sie ein Baby bekam. Das wusste sie selbst. Viel wichtiger war doch, dass es Ethan offensichtlich schlecht ging … ihretwegen.

Der Portier kam und öffnete sie Tür. Es war dunkel. Lilly trat vorsichtig ein, stolperte über irgendetwas, das am Boden lag, noch bevor der Portier das Licht anmachen konnte. Fassungslos fluchte Lilly vor sich hin, als das Licht plötzlich den Raum erhellte und das ganze Chaos preisgab. Tatsächlich hatte Ethan beinahe die komplette Einrichtung zerlegt. Überall lagen zerstörte oder umgekippte Möbelstücke und die Federn zerrissener Kissen herum. Lilly kämpfte gegen die verzweifelten Tränen an, die sich ihren Weg zu bahnen suchten, während Michael schockiert die Hände über dem Kopf zusammenschlug und der Portier beinahe in Ohnmacht fiel, ehe er zu zetern begann.

Lilly wusste mit einem Mal instinktiv was sie tun musste und so drehte sie sich zu Michael um und sagte: „Bitte gehen sie.” „Oh nein”, in Michael erwachte der Instinkt eines Beschützers, „ich hab sie angerufen, weil sie der einzige Mensch sind, von dem er sich etwas sagen lässt. Dennoch kenne ich ihn gut genug um zu wissen, dass er in der Verfassung, in der er so etwas tut … “, Michael wies auf das Chaos, das in der ganzen Suite herrschte um klar zu stellen, was er meinte, „ … absolut unberechenbar ist. Deshalb werde ich nicht verantworten sie mit ihm allein zu lassen. Nicht in ihrem Zustand.” „Ich weiß was ich tue“, Lilly bemühte sich darum selbstsicher zu wirken, „gehen sie.” „Aber Miss Cole.” „Nein, keine Diskussion … gehen sie.” „Sind sie wirklich sicher?” „Ja, absolut”, beharrlich trat Lilly Michael entgegen. Sie war fest entschlossen für Ethan da zu sein. Ganz egal was geschah. Sorgen bereitete ihr nur, dass sich das Baby nicht mehr regte. Normalerweise begann es in ihrem Bauch zu turnen, wenn sie sich zu sehr aufregte, doch, obwohl ihr Puls so hoch war, dass sie das Pochen ihres Herzens spüren konnte, bewegte sich der Kleine nicht. Es schien fast so, als würde er die Ängste seiner Mutter spüren.

„Ich bin vor der Tür. Schreien sie, wenn er sie angreift”, nur widerwillig trat Michael den Rückzug an. Nur zu gut kannte er seinen alten Freund, wusste er, wozu er in der Lage war, wenn er die Kontrolle verlor und dass genau dies geschehen war, machte das Chaos um sie herum nur zu deutlich. Auch Lilly kannte Ethan allzu gut und doch stand sie voller Stolz und Zuversicht da und darauf wartete, dass sich die Tür hinter Michael schloss.

Dabei zitterte sie am ganzen Körper wie Espenlaub. Wenn Ethan die Kontrolle über sich selbst verlor, war er unberechenbar. Das hatte sie selbst nicht nur einmal am eigenen Leib erfahren müssen. Die Erinnerung daran, wie er sie damals im Flugzeug beinahe erstickte, ließ ihren Hals förmlich austrocknen. Es machte ihr Angst, wieder in eine solche Situation zu geraten, trotzdem musste sie nach ihm sehen, sich um ihn kümmern. Also zwang sie sich selbst, zitternd vor Angst, einen Fuß vor den andern zu setzen.

Das Chaos in der Suite war schrecklich. Solch zerstörerische Wut, hatte sie von ihm noch nie erlebt. Überall lag zerbrochenes Glas und zerstörte Möbel aber von Ethan keine Spur. Erst als sie mit zitternden Schritten das Schlafzimmer betrat, entdeckte sie ihn vor dem Bett auf dem Boden kauernd. Er trug immer noch den Smoking vom Abend. Doch das gute Kleidungsstück war völlig ruiniert. Um ihn herum leere Flaschen und ein zerbrochenes Glas. Aus einer Wunde an seiner Hand tropfte Blut auf den Teppichboden.

Lilly schauderte beim Anblick des Mannes, den sie so sehr liebte. Er war nur noch eine leere Hülle. Nichts sagend, regelrecht geistesabwesend, starrte er an die gegenüberliegende Wand, schien gar nicht zu begreifen, dass er nicht mehr allein war.

Lilly glaubte zu ersticken. So schrecklich neben der Spur hatte sie ihn noch nie erlebt und sie kannte wirklich sehr viele Facetten seines Wesens. Aber offenbar gab es immer noch welche, die sie überraschten. Trotzdem musste sie sich nun zusammenreißen.

„Ethan …”, langsam trat sie an ihn heran, ging neben ihm in die Hocke, obwohl die Angst vor einem neuerlichen Wutausbruch, sie lähmte, „lass mich dir helfen.”

Mit zitternden Händen wollte sie sich seine Wunde ansehen, doch plötzlich sprang er wie ein erschreckter Vogel auf. Lilly war so überrascht, dass sie für eine Sekunde das Gleichgewicht verlor und rückwärts auf den Po plumpste. Saß Ethan gerade noch apathisch am Boden, lief er nun herum wie ein gehetztes Tier.

Lilly wusste, dass sie irgendwie zu ihm durchdringen musste. Dass sie diesen schockierten Zustand, in dem er herumlief, als hätte er den Verstand verloren, durchbrechen musste.

Aber was sollte sie tun?

Lilly wusste aus persönlicher Erfahrung wozu er im Stande war, wenn er die Kontrolle über sich selbst verlor. Trotzdem, und obwohl sie wirklich Angst hatte, mehr um das Baby, als um sich selbst, musste sie irgendetwas tun. Sie musste einfach dafür sorgen, dass er wieder zu sich kam, dass er begriff, was er da angerichtet hatte. Denn, so wie die Suite aussah, konnte das nicht mehr nur blanke Wut gewesen sein, die ihn hatte so ausrasten lassen. Das war das Ergebnis des totalen Verlusts von Kontrolle und Verstand. Niemals hätte sie geglaubt das er zu so etwas fähig war. Aber er hatte sie diesbezüglich schon des Öfteren eines Besseren belehrt.

„Ethan, beruhige dich. Lass mich deine Hand sehen”, voller Fürsorge sah sie zu ihm auf.

„Geh weg”, Ethan war sichtlich angeschlagen. Er war derart betrunken, dass er sich kaum auf den Beinen halten konnte. Trotzdem war er wohl nicht in der Lage einfach stehen zu bleiben. Dabei schwankte er bedenklich, torkelte und fiel schließlich rückwärts über einen umgekippten Sessel.

Lilly fühlte sich so hilflos. Sie wollte ihm helfen aber was sollte sie nur tun? Offenbar ertrug er ihre Anwesenheit nicht. Trotzdem gab sie nicht nach: „Ethan bitte, sieh mich an.” „Verschwinde”, Ethan versuchte sich auf zu rappeln, fiel wieder, stieß sich den Kopf, schien das aber gar nicht zu bemerken, als er einen Augenblick auf dem Rücken zappelte wie ein hilfloser Käfer. Das Ganze hatte durchaus etwas von einer Slapstick-Einlage, wäre es nicht so traurig gewesen.

„Ich werde ganz sicher nicht gehen”, entschlossen griff sie ihm unter den Arm, versuchte ihn auf die Beine zu ziehen. Doch Ethan stieß sie zurück: „Fass mich nicht an.” „Ich werde nicht gehen bevor du mich nicht ansiehst. Lass mich dir helfen.” „Du kannst mir nicht mehr helfen. Du … das …”, verzweifelt zeigte Ethan auf Lillys Bauch und mit einem mal begriff sie, was der Grund dafür war das er derart die Kontrolle verlor.

Sie war der Grund …

Ethan ertrug ihren schwangeren Anblick nicht.

„Du bist meine Frau, das ist mein Körper”, Ethan faselte kaum verständlich, „er hat mir alles genommen.” „Ethan”, Lilly trat vorsichtig näher, „er hat dir nichts weggenommen. Ich weiß nicht wer der Vater ist.” „Was”, entsetzt sprang Ethan auf die Beine. Wieder taumelte er, schwankte, schaffte es aber gerade noch so sich auf den Beinen zu halten …

Herr Gott wie viel hatte er nur getrunken?

„Was soll das heißen?” Ethan griff voller Wut nach einer Lampe und schmiss sie gegen die Wand.

Lilly schreckte eingeschüchtert zusammen.

Das war keine Wut, die in seinen Augen glänzte, sondern bittere Verzweiflung. Ethan kam mit ihrer Schwangerschaft nicht zurecht.

„Bitte beruhige dich”, Lilly versuchte beruhigend auf ihn einzuwirken, obwohl ihr das Herz bis zum Hals pochte, „es ist kurz vor Weihnachten passiert.” „Was?” Lilly konnte sehen wie es in seinem betrunkenen Gehirn anfing zu rattern. Ganz offensichtlich begann er zu rechnen: „Aber dann … wir haben … das war in Montana.” „Ja auch du könntest der Vater sein”, Lilly sah, wie Ethan förmlich in sich zusammenbrach. Bittere Tränen glitzerten in seinen Augen.

Es brach ihr das Herz ihn so hilflos zu sehen. Ethan kam mit ihren Informationen nicht zurecht. Er kämpfte mit sich, mit ihren Worten, damit die Frau die er so sehr begehrte in diesem Zustand zu sehen und zu wissen das vielleicht sein Kind für ihn unerreichbar war.

Lilly verspürte schreckliche, intensive Angst als Ethan mit langsamen Schritten auf sie zu kam, weil sie seinen Gemütszustand einfach nicht einschätzen konnte. Seine Augen, in denen Tränen glitzerten, wirkten hilflos, doch sein ganzer Körper war so angespannt das sie befürchtete, er würde auf sie los gehen. Trotzdem bewegte sie sich keinen Millimeter. Wie angewurzelt stand sie da, versuchte ihren eigenen Herzschlag zu beruhigen, weil der kleine Krümel in ihrem Bauch plötzlich zu turnen begann. Offensichtlich gefiel ihm der nervös, verängstigte Zustand seiner Mutter überhaupt nicht. Die ganze Zeit war er ruhig gewesen, doch nun schien er für den Freischwimmer zu üben.

„Ich bin der Vater”, plötzlich begannen Ethans Augen zu leuchten, dicke Tränen rannen seine Wangen hinab. Er sah aus, als bräuchte er ihre Zustimmung und Lilly war nur allzu bereit ihm diese zu gewähren: „Mein Herz ist sich dessen sicher. Ich liebe dich.” „Warum hast du es mir nicht gesagt?” „Wir sollten in deinem Zustand nicht darüber reden. Geh duschen, leg dich hin und schlaf dich aus. Ich werde hierbleiben und versuchen es dir zu erklären.” „Nein Alyssa … jetzt.” „Nein”, Lilly blieb beharrlich, „du bist betrunken und was du hier angerichtet hast, machst mir Angst”, Ethan wich zurück, sah sich um und als würde ihm erst jetzt bewusstwerden, was er getan hatte, schlug er fassungslos die Hände vor dem Gesicht zusammen. Er zitterte und Lilly spürte instinktiv, dass er nun ihre Führung brauchte: „Geh duschen Ethan … bitte.”

Ihre Stimme klang sanft und liebevoll. Einen Augenblick sah er sie fast dankbar an, dann wandte er sich ab und torkelte ohne weiter zu zögern in Richtung Bad davon.

Lilly atmete durch, als die Tür hinter ihm ins Schloss fiel. Es war, als fiele eine tonnenschwere Last von ihr ab.

Was war nur mit diesem Mann los?

Auf welchem schmalen Grat wandelte er, wenn er derart die Fassung verlor?

Lilly wusste es nicht. Aber sie spürte das sie ihm helfen musste seine gewohnte Souveränität wieder zurück zu erlangen. Ethan war ein Mann, der funktionieren musste, weil er nur so sein Leben und sein Imperium führen konnte. Aber was sie in diesem Zimmer sah, hatte mit funktionieren nichts mehr zu tun.

Lilly hatte keine Ahnung wo sie anfangen sollte das Chaos zu ordnen. Was Ethan da angestellt hatte, war eine Katastrophe ersten Grades. Blinde Wut hatte sich in diesem Zimmer entladen. Blinde Wut, die von dem bitteren Kampf zeugte, den Ethan tagtäglich, jede Sekunde seines Daseins mit sich selbst ausfocht. Ein Kampf, den er immer wieder verlor und dieses Mal war sie allein schuld daran.

Lilly war sich bewusst gewesen, dass sie Ethan weh tat, wenn sie ihm sein Baby verschwieg, aber bislang redete sie sich ein, dass er diesen Schmerz verdient hatte. Doch niemals, nicht, obwohl sie ihn nach all den Kämpfen, die sie gemeinsam ausgetragen hatten wirklich zu kennen glaubte, hätte sie mit einer solch blinden Wut gerechnet. Diese Wut, die seine Seele beherrschte spiegelte sich in all dem Chaos wieder, das er angerichtet hatte und Lilly war einen Augenblick auf seltsame Weise dankbar dafür, dass Ethan nicht nach Hause gefahren war. Sie wollte sich gar nicht vorstellen, was geschehen wäre, wäre Corinne ihm in diesem Verzweifelten Zustand in die Quere gekommen.

Auch wenn Lilly sie absolut nicht leiden konnte, wünschte sie ihr keinen wütenden Ethan …, weil sie ihn kannte. Weil sie wusste, wozu er fähig war, wenn er die Kontrolle verlor. Es war wirklich, auch bei all dem Chaos, das er angerichtet hatte, besser, er tobte sich an der Einrichtung einer Hotel Suite aus. All das waren nur Gegenstände, die man für Geld reparieren oder ersetzen konnte.

Lilly atmete einen Augenblick durch, während sie aus dem Schlafzimmer seltsame Geräusche hörte. Eine Sekunde wollte sie nachsehen, ob sich Ethan vielleicht weh getan hatte, doch dann entschloss sie sich dazu es nicht zu tun. Er war ein großer Mann, ganz sicher war er selbst in seinem Zustand im Stande zu duschen ohne sich dabei ernsthaft zu verletzen. Außerdem ertrug sie in diesen frühen Morgenstunden wirklich alles, … aber keinen nackten Ethan.

Lilly spürte die sanften, zaghaften Tritte ihres kleinen Jungen. Fast schien es ihr, als wolle er sie fragen was für ein durchgeknallter Freak sein Vater war. Ja, manchmal war er das, aber der kleine Kerl, der in ihrem kugelrunden Bauch heranwuchs würde eines Tages spüren wie wundervoll dieser durchgeknallte Kerl eben auch sein konnte und Lilly freute sich darauf Ethan mit seinem Sohn zu erleben. Auch wenn die ganze Situation nun noch zerfahrener war als zuvor, war es ein wundervoller Gedanke die beiden miteinander spielen und herumtollen zu sehen. Egal, wie aussichtslos diese Vorstellung auch war.

Doch all das musste warten. Lilly musste Michael Bescheid geben, dass es Ethan gut ging. Also ging sie zur Tür und beobachtete Michael einen Augenblick dabei, wie er flüsternd aber sehr gestenreich mit einer älteren Dame diskutierte. Offenbar war es eine sehr erhitzte Unterhaltung, die sie aber in einem solchen gemäßigten Ton führten, dass Lilly das seltsam befremdlich vorkam.

„Michael”, vorsichtig trat sie an die Beiden heran, „sie können gehen. Es ist alles in Ordnung.” „Nichts ist in Ordnung Miss”, flüsterte die Dame auf deren Namensschild Hotelmanager stand und nur ihr verstimmter Gesichtsausdruck und die Art und Weise, wie sie ihre Worte betonte, gaben Lilly zu verstehen wie wütend sie über die Zerstörung der King Suite war.

Lilly versuchte sie zu beruhigen: „Was da drin geschehen ist tut Mr. Blake wirklich sehr leid. Er hat die Kontrolle verloren und wird selbstverständlich für alle Schäden aufkommen.” „Das habe ich ihr auch schon gesagt”, Michael versuchte Lilly beizustehen. Doch die Hotelmanagerin war damit nicht zufrieden: „Wir kennen Mr. Blake als zuverlässigen, angenehmen Gast, aber auf Grund dieses Vorkommnisses werde ich ihm leider Hausverbot erteilen müssen.” „Tun sie das bitte nicht”, Lilly tat allein die Vorstellung dessen in der Seele weh, von dem Skandal der unweigerlich folgen würde, wenn die ganze Sache an die Öffentlichkeit gelangte, mal ganz abgesehen: „Ich bin mir sicher, dass wird nicht wieder geschehen. Selbstverständlich wird er auch für den gesamten Ausfall der Suite aufkommen.” „Das ist das Mindeste”, die Managerin klang ein wenig versöhnlicher, „ich werde Personal schicken, um die Suite zu reinigen.” „Ich werde mich selbst darum kümmern Ma'am”, Lilly wollte das Ethan sich hinlegte und schlief, doch das war unmöglich, wenn Personal in der Suite herumwirbelte und für Ordnung sorgte.

„Das kann ich ihnen, in ihrem Zustand, nicht zumuten Miss Cole”, nun klang sie gar besorgt, aber Lilly wollte davon nichts hören: „Lassen sie mal meinen Zustand meine Sorge sein. Besorgen sie mir bitte was ich brauche. Außerdem benötige ich einen Erste Hilfe Kasten. Mr. Blake hat sich verletzt.” „Ich werde einen Arzt rufen.” „Das wird nicht nötig sein. Bitte lassen sie die Dinge, die ich brauche, heraufbringen.” „Natürlich Miss Cole”, mit einem leichten Nicken verschwand die Managerin und Lilly bemerkte erst jetzt, dass Michael schmunzelnd neben ihr stand und sie von der Seite beobachtete.

Lilly nervte das: „Was sehen sie mich denn jetzt so an?” „Ich glaub ich versteh gerade das erste Mal, warum mein durchgeknallter Freund so verrückt nach ihnen ist.” „Ach … verstehen sie? Dann können sie mir ja vielleicht erklären, warum er mit Corinne verheiratet ist?” „Ganz einfach … Ethan tickt in manchen Dingen anders als andere.” „Ja, … zum Leidwesen aller. Hören sie Michael, es wäre sehr nett, wenn sie mir Corinne eine Weile vom Hals halten könnten. Ethan und ich haben einiges zu klären, aber dafür muss er erst einmal wieder nüchtern werden.” „Ich kann es versuchen. Aber ich werde einen Seitensprung nicht unterstützen.” „Glauben sie mir“, Lilly sah den Anwalt abschätzig an, „Ethan ist im Augenblick zu vielem im Stande, aber ganz sicher nicht dazu. Er ist derzeit nicht der Mann, den er sonst zur Schau stellt und so soll ihn niemand sehen. Ich werde mich darum kümmern. Sorgen sie dafür, dass niemand erfährt was hier heute Nacht passiert ist.” „Natürlich.” „Danke”, Lilly wandte sich ab und schlich in die Suite zurück.

Es war absolut still, als Lilly die Schlafzimmertür langsam aufschob. Sie musste lächeln als sie Ethan, alle Viere von sich gestreckt, auf dem Bett liegen sah. Er schlief tief und fest und Lilly kam nicht umhin ihn sich an zu sehen. Nur ein verrutschtes, um die schmale Hüfte gebundenes, Handtuch bedeckte seinen traumhaften Körper. Ja, er war wirklich der schönste Mann der Welt, auch wenn ihm der unsägliche, wenn auch gepflegte Vollbart im Gesicht einfach nicht stand. Dreitage-Bart war ja in Ordnung, ließ ihn sogar ziemlich sexy und verwegen aussehen. Aber ein Vollbart? Nein das passte absolut nicht zu ihm. Dieses haarige Gewächs verschandelte nur sein wunderschönes Gesicht.

Lillys Blick glitt über Ethans nackten Oberkörper. Sie konnte sich nicht erinnern, wann sich schon jemals jede einzelne Rippe derart abzeichnete. Schmal war er geworden, was jeden Muskel seines flachen Bauches ganz besonders zur Geltung brachte. Aber da war noch etwas anderes was unter dem Rand des Handtuches hervor blitzte.

Seit wann war Ethan denn tätowiert?

Mit zitterndem Finger, ganz behutsam, schob Lilly das Handtuch etwas bei Seite. Ihr wurde fast schlecht als ihr Verstand begriff, was er da sah. Auf dem Muskel, der auf Hüfthöhe begann und von beiden Seiten in der Form eines V nach unten zur Körpermitte führte befand sich wirklich ein Tattoo. Diesen Muskel, der seinem Körper etwas so unglaublich Erotisches, Verruchtes verlieh, wenn er mit nacktem Oberkörper vor ihr stand und seine Hosen ein wenig zu weit nach unten rutschte, zierte nun in der Verlängerung seines Herzens eine kunstvolle, verschlungene Acht, in deren Bögen ihrer beider Namen standen, seine Haut. Lilly kamen die Tränen als sie behutsam mit dem Finger darüberstrich.

Er liebte sie … zweifelsohne tat er das.

Dieses Tattoo, das Unendlichkeit bedeutete und in dem ihre Namen verewigt waren, bewies dies auf sehr eindeutige Weise. Nicht nur dass es sich an einer sehr intimen Stelle befand, zeigte es gerade dort wo er es sich hatte stechen lassen jeder Frau, dass das Herz dieses Mannes auf ewig einer Anderen gehörte.

Lilly verdrängte ihre Tränen mit einem Schmunzeln. Ganz sicher ärgerte Corinne dieses Tattoo. Hielt es ihr doch ganz deutlich vor Augen, das Ethan sie niemals liebte. Vielleicht gehörte er ihr, weil sie es war, die seinen Ring am Finger trug aber sein Herz gehörte für immer Lilly.

Behutsam küsste Lilly das Tattoo. Niemals wollte sie vergessen, wie wundervoll sich die Haut dieses Mannes anfühlte. Für immer wollte sie sich daran erinnern wie sie diesen Duft liebte, der ihm so eigen war und vielleicht ließ sie ihre Lippen deshalb einen Augenblick zu lange auf seiner Haut verweilen. Denn plötzlich reagierte Ethan. Er brummte schläfrig als er ihr durchs Haar strich.

Es gab einmal eine Zeit in ihrer Beziehung, in der sie verrückt danach war, wenn er sie auf solch zärtliche Weise streichelte, doch nun wich sie erschrocken zurück, um im selben Moment erleichtert festzustellen, dass er immer noch tief schlief und seine Berührung wohl nur ein unbewusster Reflex gewesen war.

Schnell wich Lilly zurück, zog das Bettlaken über seinen entblößten Körper. Die Versuchung, sich für einen Moment zu ihm zu legen und sich fest an ihn zu schmiegen, war einfach zu groß. Sie musste sich zwingen den Raum zu verlassen, obwohl sie hätte nach seiner Wunde sehen sollen. Bei aller Liebe, die sie für einander empfanden war Ethan ein verheirateter Mann und sie war eben nicht seine Frau.

Obwohl Lilly unglaublich müde und erschöpft war, machte sie sich umgehend daran das Chaos in der Suite zu ordnen. Sie stellte die umgeworfenen Möbel wieder auf, soweit ihr das möglich war, kehrte die Scherben zusammen, versuchte die Blutflecken aus den Teppichen zu entfernen. Lilly zwang sich selbst immer weiter zu machen, obwohl sie kaum noch Kraft fand. Die Nacht war kurz und unruhig gewesen und ihr Rücken schmerzte. Ihr ganzer Körper verlangte nach einer Pause, doch dazu war keine Zeit. Lilly musste weitermachen, sich selbst von der Versuchung ablenken sich zu Ethan legen zu wollen. Zusammen zu sein, sich in den Armen zu halten, war einmal etwas so Selbstverständliches gewesen und nun war es aus vielerlei Gründen nur noch falsch und gerade das machte Lilly schrecklich traurig.

Erst am späten Vormittag, als sie Hotelpersonal rief um die gefüllten Mülltüten zu entfernen und sie soweit aufgeräumt hatte wie es ihr möglich war, ließ sie sich auf die Couch fallen. Müde streichelte sie ihren dicken Bauch: „Dein Daddy ist manchmal ein richtiger Idiot. Aber er ist ein so liebevoller Idiot.” Schmunzelnd lehnte Lilly sich zurück. Ein paar Minuten wollte sie sich ausruhen und dann nach Ethan sehen, dessen Hand verarzten. Doch kaum schloss sie die Augen schlief sie auch schon ein.

Als Ethan wach wurde brummte ihm der Schädel wie ein startender Düsenjet. Er brauchte einige Augenblicke um sich zu orientieren, um sich daran zu erinnern was er getan hatte. Und er erinnerte sich auch an Lilly.

Doch, … war sie wirklich da gewesen?

Oder hatte er sich nur eingebildet das sie mit ihrem wundervollen Babybauch vor ihm stand und ihm gestand das er vielleicht der Vater war?

Ethan lag im Bett und erinnerte sich daran wie er Lilly in der Galerie entdeckte. Sie war so wunderschön, doch als er ihren Bauch sah, brach ihm das das Herz. Es fühlte sich an, als würde er bei lebendigem Leib verbrennen. Diese Frau war doch die Mutter seiner Kinder.

Wie nur konnte sie nun das Baby eines anderen bekommen?

Natürlich war dieser Gedanke völlig absurd, schließlich war er es doch gewesen der sie von sich stieß, der es nicht ertragen konnte mit ihr zusammen zu sein.

Was hatte er nur erwartet?

Glaubte er denn wirklich Lilly würde ihm auf ewig nach trauern, wo er es doch gewesen war, der Frank darum bat, sich um sie zu kümmern?

Die Beiden waren bereits lange vor Montana ein Paar gewesen. Doch der Gedanke, dass sie nun sein Baby bekam ließ ihn lebendig ertrinken. Ethan hatte keine Ahnung nach wie vielen qualvollen Toden sich diese Vorstellung anfühlte. Aber er wusste, dass er kurz davor war durchzudrehen.

Deshalb lief er davon, ließ sich von seinem Chauffeur ins Hyatt fahren und stürzte sich in die Erlösung, die Alkohol ihm allzu oft bot. In Alkohol fand er immer und immer wieder diese Erträglichkeit des Vergessens. Doch dieses Mal war es nicht so. Mit jedem Schluck wuchs die Wut. Die Wut auf sich selbst, auf Lilly, auf seine Mutter, die sein Leben von Anfang an sabotierte, die aus ihm einen Mann machte, den er selbst hasste. Nie war er in der Lage gewesen sich aus dieser emotionalen Kälte zu befreien die ihm Zeit seines Lebens beigebracht wurde. Bis Lilly in sein Leben stolperte und ihn mit ihrer bedingungslosen Liebe, mit ihrem unerschütterlichen Glauben an das Gute in ihm aus seinem Cocoon riss. Diese Frau war sein Leben und bekam nun das Kind eines Anderen.

Ethan starb tausende Tode während sich all seine Wut in diesem Hotelzimmer entlud. Völlig sinnlos zerschlug er alles was er in die Finger bekam, bis er, wie ein kleiner Junge, heulend im Schlafzimmer zusammenbrach.

Auf der Suche nach einer Schmerztablette torkelte Ethan durch die Suite. Sein Verstand war völlig benebelt als er Lilly auf der Couch liegen sah. Sein Herz schlug sofort schneller, pumpte das Blut mit einem Mal derart durch seine Adern, dass sein Schädel vor Schmerz zu platzen drohte.

Scheiß Alkohol

Lilly war wunderschön wie sie dalag und schlief. Ihre Hände lagen auf ihrem runden Bauch.

Hatte er jemals eine schönere, schwangere Frau gesehen?

Nein sicher nicht, aber wahrscheinlich dachte das jeder Mann über die Frau, die sein Kind bekam.

Aber war es denn auch sein Baby?

Vorsichtig kniete Ethan neben die Couch, legte zögernd seine Hand auf die süße Kugel, in der das Baby turnte. Für einen kurzen Augenblick konnte er das winzige Würmchen fühlen und was er dabei empfand, war ein absolut unglaubliches Gefühl. Ein Gefühl, das er so nicht kannte, das aber auf direktem Weg sein Herz erfüllte und ihn zum glücklichsten Menschen dieser Welt machte. Niemals hätte er geglaubt, dass ihn die Vorstellung Vater zu werden mit solch starken Gefühlen erfüllen würde. Ethan war in diesem kurzen Moment alles … stark, mutig, stolz … glücklich.

„Ethan”, Lilly schlug zaghaft die Augen auf. Sie spürte seine Hand auf ihrem Bauch und es fühlte sich wundervoll an. Doch sie sah in seinen Augen die ungeklärten Fragen und so richtete sie sich auf, wich vor ihm zurück. Die Situation erforderte größtmöglichen Abstand.

Sie konnte die Verzweiflung in seinen Augen sehen als er fragte: „Bin ich der Vater?” „Ich weiß es nicht. Es könnte sein.” „Ist es Frank?” Ethan glaubte für einen Moment zu sterben, weil ihn die Vorstellung dessen erstickte. Es machte ihn schlicht und ergreifend wahnsinnig vor Eifersucht.

„Vielleicht … ich weiß es wirklich nicht”, erwiderte Lilly hilflos. Wie sollte sie diese Frage beantworten, wo es doch keine Antwort darauf gab? Noch nicht …

„Aber er wusste es die ganze Zeit”, diese Feststellung verletzte Ethan. Er hatte Frank und Lilly zusammen gesehen und die Befürchtung, der Einzige zu sein, der ahnungslos gewesen war, ließ ihn sich fühlen, als würde er innerlich verbluten, weil die Wunde, die er sich selbst zufügte, als er Lilly in Montana endgültig von sich stieß, niemals wieder heilen würde.

Lilly war sich bewusst, dass sie diese Wunde mit einer ehrlichen Antwort immer weiter aufreißen würde: „Ja.”

„Wann wolltest du es mir sagen?” Ethan wich zurück. Er saß auf dem Boden, an die Couch gelehnt, die Lillys gegenüber stand, und sah sie hilflos an. Sein ganzer Körper zitterte in Erwartung der Antwort, die er niemals ertragen konnte.

„An dem Tag, an dem ich bei meiner Ärztin war, habe ich erfahren das du verlobt bist. Was hätte ich tun sollen?” Lilly zuckte verlegen mit den Schultern.

Nein, … damals hatte sie keine andere Wahl, weil es sie zu tiefst verletzte, von dieser Verlobung zu hören.

„Bist du deswegen weggegangen?” Ethan zog seine Beine an seinen Körper heran, legten seine Arme auf seine Knie und starrte auf die Wunde an seiner Hand. Er konnte Lilly nicht ansehen als sie antwortete: „Ich musste über viele Dinge nachdenken.” „Du hättest es mir sagen müssen.” „Was dann Ethan? Hättest du die Hochzeit platzen lassen?” „Nein … ich weiß nicht. Das spielt keine Rolle. Wenn ich als Vater in Frage komme, wäre es nur fair gewesen.” „Oh Ethan, unsere Beziehung hatte noch nie etwas mit Fairness zu tun. Oder glaubst du für mich war es fair, dass du mich einfach von dir gestoßen hast? Das du nicht mit mir zusammen sein willst, weil dich deine Dämonen quälen? Glaub mir, ich kann ein Lied darüber singen wie es sich anfühlt unfair behandelt zu werden. Du solltest aufhören mir Vorwürfe zu machen.” „Ich mache dir keine Vorwürfe. Ich versteh es nur nicht.” „Du hast mir weh getan Ethan. So viele Male und doch liebe ich dich mehr als ich je begreifen werde. Ja, ich wollte dir weh tun. Ich wollte dich bestrafen. Aber ich wollte nicht, dass du durchdrehst und eine ganze Suite zertrümmerst.” „Dich gestern Abend zu sehen, hat weh getan. Verdammt weh sogar.” „Jetzt weißt du es, aber es ändert nichts. Ich werde dieses Baby zur Welt bringen und erst dann werden wir alle wissen wer der Vater ist. Was danach geschieht ist ganz einfach. Ist es Frank, werde ich ihn heiraten.” „Und wenn ich es bin?” „Dann werde ich das Baby allein großziehen.” „Warum?” „Weil du verheiratet bist. Weil du ihr Treue geschworen hast. Ich habe mir ein Leben ohne dich eingerichtet, auch wenn es mir noch so schwergefallen ist. Das Baby ist mein Baby. Es braucht keinen Vater, der nicht mutig genug ist, sich seinen Gefühlen zu stellen“, Lilly wollte hart und bestimmend klingen. Auf keinen Fall sollte Ethan glauben, dass sie sich von ihm ein schlechtes Gewissen einreden ließ. Er war es, der ein Leben ohne sie wollte, also sollte er auch damit zurechtkommen, dass sie ihre Konsequenzen zog.

Ethan blickte traurig zu Boden: „Das darfst du mir nicht vorwerfen.” „Warum nicht Ethan? Ich habe damals eine Therapie gemacht, um mit meinen Ängsten fertig zu werden und du solltest das auch tun. Stell dich endlich deiner Vergangenheit. Ich wünsche dir wirklich das du dann mit Corinne glücklich sein kannst.” „Du wirst mir mein Kind nicht wegnehmen”, Ethan reagierte aufgebracht. Die innere Unruhe, die in ihm tobte, machte ihn verrückt.

Aber Lilly war das egal: „Warum nicht? Du hast jedes Recht an mir oder an dem Baby verwirkt, als du ihr den Ring an den Finger gesteckt hast. Du hast dich ganz bewusst entschieden, dem Willen der Frau zu folgen, die dir das Leben von Anfang an schwergemacht hat. Also werd glücklich damit. Ich bin nur hier, weil Michael sich Sorgen um dich gemacht hat.” „Ich werde um das Baby kämpfen.” „Nein das wirst du nicht”, mit nur wenigen Worten schürte Ethan Lillys größte Furcht.

Ihr schlimmster Alptraum war es jemals gegen den Mann um ihr Kind kämpfen zu müssen, den sie so sehr liebte, dass sie es kaum ertrug ohne ihn zu leben und doch schien er nun Realität zu werden. Trotzdem wollte sie sich nicht kampflos ergeben: „Du wirst nicht gegen mich ankämpfen, weil du mich liebst.” „Ja das tue ich und du liebst mich. Deshalb wirst du mir mein Kind nicht wegnehmen.” „Meinst du?” „Ja.” „Dann sag mir wie das funktionieren soll. Wie sollen wir unser Kind großziehen, wenn wir an unserer Liebe für einander zu Grunde gehen? Wir Beide können ohne einander nur existieren, wenn wir uns nicht über den Weg laufen. Außer du änderst endlich deine Meinung und gibst uns eine faire Chance.” „Nein, ich bin nicht gut genug für dich.” „Okay wenn du dieser festen Überzeugung bist, dann heißt das für mich im Umkehrschluss, dass ich mein Kind vor dir und vor deiner Frau beschützen muss und genau das werde ich tun”, festentschlossen ihren Weg zu gehen erhob Lilly sich von der Couch: „Ich werde nicht zulassen, dass mein Kind in die Fänge deiner Familie gerät. Ganz egal was ich tun muss um es zu beschützen, ich werde es bis zu meinem letzten Atemzug tun. Aber wenn du endlich eine Therapie machst, deine Vergangenheit aufarbeitest, bereit bist, dich scheiden zu lassen um uns Beiden eine Chance zu geben, werden das Baby und ich da sein und auf dich warten.”

Ohne weiter zu zögern ging Lilly zur Tür. Ihr Herz raste und sie wusste, dass sie in seine Arme fallen und ihn anflehen würde bei ihr zu bleiben, wenn er sie nun aufhielte, doch Ethan tat nichts.

Er ließ sie gehen … wie schon so oft.

Lilly stand vor der Tür, in Mitte des Flurs und heulte bitterlich. Niemals würde sie diesen Mann verstehen. Niemals konnte sie begreifen warum sein Hass auf sich selbst so groß war, dass er ihn daran hinderte mit beiden Händen nach dem Glück zu greifen, dass direkt vor seiner Nase lag. Lilly hatte so sehr darauf gehofft ihm die Pistole auf die Brust setzen zu können. Sie war sich trotz allem sicher gewesen, dass er zu ihr zurückkehren würde, wenn er sie mit Babybauch sah.

Doch genau das Gegenteil war geschehen. Ethan steckte in seiner krankhaften Vorstellung von sich selbst fest und Lilly konnte ihm nicht helfen. Aber irgendwann konnte das sein Baby. Er würde es lieben, bedingungslos. Da war Lilly sich ganz sicher als sie mit zitternden Händen nach ihrem iPhone griff und es einschaltete.

Sofort fing es an zu piepen. Unzählige Anrufe waren in Abwesenheit eingegangen. Frank, Zoe sogar Henrietta hatten versucht sie zu erreichen und Lilly wusste, dass sie sich bei ihnen melden musste, weil sie sich Sorgen machten. Doch zu allererst rief sie Zane an. Lilly wollte so schnell wie möglich abreisen, zurück nach New Haven, sich in ihrem Cocoon aus Watte verstecken bis die Welt um sie herum eine andere war. Bis Ethan endlich akzeptierte das sie für einander geschaffen waren und die Krönung ihrer Liebe dieses Baby war, das sie bald zur Welt bringen würde. Ja, wenn Ethan der Vater war, würde sie, wenn nötig, ewig auf ihn warten ohne darüber nachzudenken oder auch nur eine Sekunde zu bereuen.

„Haben sie gestern Abend mit Carter gesprochen?” Lilly saß auf dem Rücksitz der Mercedes Limousine, während Zane den schweren Wagen durch den Verkehr steuerte. Schon seit Stunden fragte sie sich, warum Carter nicht eingegriffen hatte, bevor Ethan die Suite zerstörte. Er war doch immer da gewesen, um Ethan vor allem vor sich selbst zu beschützen.

„Carter Ma'am?” Zane blickte verwirrt in den Rückspiegel.

„Ja haben sie mit ihm gesprochen?” „Nein Ma'am, Carter arbeitet schon seit Monaten nicht mehr für Mr. Blake.” „Was?” Fassungslos sprang Lilly von ihrem Sitz. Wofür Zane sie in seiner unnachahmlichen Art sofort zurecht wies: „Setzen sie sich sofort wieder hin und schnallen sie sich auf der Stelle an.”

Seine Tonlage ähnelte in solchen Augenblicken sehr Carters.

„Warum hat Ethan Carter rausgeschmissen”, Lilly fürchtete sie sei wieder einmal schuld daran, weil sie in Montana irgendetwas falsch gemacht hatte. Natürlich war das so gewesen, aber Lilly zweifelte doch daran, dass Carter das Ethan erzählt hatte.

„Es war Carter der gekündigt hat Ma'am”, antwortete Zane ruhig und auf den Verkehr konzentriert.

„Wie bitte?” Nun war Lilly völlig verwirrt.

24 Jahre war Carter Ethans loyaler Begleiter gewesen und nun schmiss er einfach hin?

Das konnte nicht wahr sein: „Wissen sie was passiert ist?” „Nein Ma'am. Aber wenn sie möchten werde ich versuchen Carter zu finden.” „Danke Zane das wäre sehr nett”, nachdenklich lehnte Lilly sich zurück, zog den Sicherheitsgurt heraus und klickte ihn ein.

Was war nur mit Ethan los, dass er sogar Carter aus seinem Leben verbannte?

Er war immer sein Begleiter gewesen. Hatte dafür gesorgt, das Ethan keinen Unsinn anstellte. Er hätte ihn in der vergangenen Nacht ganz sicher eingebremst. Mit Carter an seiner Seite müsste Ethan jetzt nicht mit einem lebenslangen Hausverbot im Hyatt Hotel rechnen. Lilly war zum Heulen als sie wieder einmal über ihren Bauch strich: „Was tut dein Daddy nur?”

„Wir sind da Ma'am”, vorsichtig weckte Zane Lilly auf, die irgendwann auf der Fahrt einfach eingeschlafen war. Sie sah ihn etwas verwirrt an, brauchte einen Augenblick um sich zu orientieren, als sie Frank und Zoe auf der Treppe zu ihrem kleinen Ferienhaus sitzen sah.

Das hatte ihr gerade noch gefehlt. Eigentlich wollte Lilly sich in die Badewanne legen und ihrem Rücken etwas Ruhe gönnen, aber offensichtlich war es mit der Ruhe nun vorerst vorbei. Hätte sie den Beiden doch nur zurückgerufen. Am Telefon hätte sie sie sich vielleicht vom Hals halten können, doch nun war es dafür schon zu spät.

Warum konnten sie sie denn nicht einfach in Ruhe lassen?

Zoe stürzte sich auf den Wagen, in dem ihre Freundin saß, noch bevor diese aussteigen konnte: „Hast du eigentlich eine Ahnung was wir uns deinetwegen für Sorgen gemacht haben?” „Es tut mir leid. Ihr hättet aber nicht extra herkommen brauchen.” „Machst du Witze? Ich hatte Angst dir sei etwas passiert.” „Zoe bitte, ich hab jetzt wirklich keine Lust mit dir darüber zu diskutieren. Frank hätte auch einfach bei Zane anrufen können. Er hat seine Nummer.” „Du bist so plötzlich verschwunden”, Zoe hatte Lilly völlig überstürzt aus der Galerie laufen sehen, während das Model auf der Bühne ihr wunderschönes Brautkleid präsentierte.

„Ich hätte nicht nach New York fahren dürfen”, Lilly mühte sich die wenigen Stufen zur Haustür hinauf. In manchen Momenten fing die Schwangerschaft an beschwerlich zu werden und dabei war sie doch gerade erst im sechsten Monat.

„Es tut mir leid”, Frank nahm ihr den Schlüssel aus der Hand, „wenn ich gewusst hätte, dass es für dich so schrecklich ist, hätte ich dich nicht dazu überredet.” „Lass gut sein Frank. Es ist wie es ist. Ich bin einfach furchtbar müde.” „Komm”, ohne zu zögern hob Frank Lilly hoch und trug sie ins Haus. Sie war viel zu müde um sich dagegen zu wehren, als er sie bis in ihr Schlafzimmer trug und behutsam auf das Bett legte.

Zoe ging ihnen nach. Auch sie sah wirklich sehr besorgt aus: „Was ist denn los mit dir? Gestern Abend warst du doch noch so fit.” „Es war eine sehr anstrengende Nacht.” „Wo warst du”, Frank klang eher besorgt als vorwurfsvoll. Trotzdem war sie sich sicher, dass sie ihm die ganze Wahrheit nicht sagen konnte: „Ich war im Hyatt Hotel.” „Bei ihm”, plötzlich wich Frank zurück. Blankes Entsetzen stand plötzlich in seinen Augen geschrieben.

Woher wusste er, das Ethan auch dort gewesen war?

„Bei wem?” Lilly tat als hätte sie nicht verstanden was er andeutete. Aber Frank wurde deutlicher: „Willst du mich für dumm verkaufen? Du warst bei Ethan. Ich weiß das er dort abgestiegen ist.” „Woher?” „Das geht dich nichts an.” „So? das geht mich also nichts an“, Lillys Augen funkelten böse. Sie war nicht bereit sich bevormunden oder gar niedermachen zu lassen: „Geh Frank. Ich hab genug davon, dass du in mein ruhiges Leben platzt und mich zu bevormunden versuchst. Ich hab euch nicht darum gebeten herzukommen oder euch zu sorgen. Sag mir sofort, woher du weißt, das Ethan im Hyatt übernachtet hat.” „Weil er gesehen wurde”, Frank war bitter enttäuscht und das ließ er Lilly spüren. In seinen Augen lag all die Verachtung, die er Ethan entgegenbrachte.

Doch auch davon ließ Lilly sich nicht einschüchtern: „Von wem?” „Was spielt das für eine Rolle?” „Eine Große. Also, von wem?” „Von einem Paparazzo.” „Spionierst du ihm etwa nach?” „Nein, aber wenn einem Infos angeboten werden, muss man darüber nachdenken ob sie wichtig sind.” „Du wartest also darauf ihm etwas anhängen zu können”, Lilly wurde wütend. Ihr gefiel das Spiel nicht, das Frank begonnen hatte: „Dein Spion hätte ein wenig besser aufpassen sollen, dann hätte er mich nicht verpasst und du hättest dich nicht nach New Haven bemühen müssen.” „Hör auf mich jetzt anzuzicken. Warst du bei ihm? Hast du ihn an dich rangelassen?” „Jetzt gehst du definitiv zu weit”, Lilly sprang wütend auf, blaffte Frank an, während Zoe danebenstand und offensichtlich nicht wusste, was sie mit dem Streit anfangen sollte. Aber sie sah, dass Lilly leichenblass wurde. Ganz im Gegensatz zu Frank, dessen Wut ihn in diesem Augenblick wohl blind machte: „Was hast du bei ihm gemacht?” „Nichts verdammt. Du hast mich doch nach New York geschleppt. Dir muss klar gewesen sein, das Ethan auf das Baby reagieren würde. Und dir ist auch klar gewesen, dass er deswegen ausflippt.” „Hat er dir etwas getan?” „Das hat dich nicht zu interessieren. Ich hätte nie geglaubt, dass ausgerechnet du derart berechnend bist. Ich dachte wir seien Freunde.” „Du willst das Lilly. Ich will etwas ganz anderes, aber das scheint dich ja überhaupt nicht zu interessieren. Du siehst nur ihn. Warum verdammt? Warum bist du so blind wie Emma es war”, nun schrie Frank und er schrie definitiv in das falsche Horn. Denn Lilly verlor allein bei dem Namen endgültig die Fassung: „Ich bin nicht Emma. Und ich bin verdammt noch mal nicht blind. Verschwinde … raus aus meinem Haus.”

Noch nie war Lilly auf Frank so wütend gewesen wie in diesem Augenblick. Ihr Herz raste, ihr Puls schoss in Sekundenbruchteilen in die Höhe und ließ ihr schwarz vor Augen werden.

Zoe schaffte es nicht Lilly aufzufangen, als sie ohnmächtig in sich zusammensackte. Während Frank fassungslos daneben stand und einige Augenblicke überhaupt nicht reagierte, griff Zane, der das Geschrei gehört hatte, sofort nach dem Telefon und rief Lillys Ärztin an.

Verängstigt klopfte Zoe ihrer Freundin auf die Wange, versuchte sie aufzuwecken und tatsächlich schlug Lilly die Augen auf. Verwirrt sah sie sich um, wehrte sich nicht, als Zane sie hochhob, auf das Bett legte und ihr sofort eine zusammen gerollte Decke unter die Beine schob. Im Gegensatz zu Zoe und Frank wusste er sofort was zu tun war, schließlich war es nicht das erste Mal, das Lilly ohnmächtig zusammenbrach.

Zuviel hatte sie in den ersten Monaten an körperlicher Substanz verloren um nun noch davon zehren zu können. Er wusste zwar nicht, was geschehen war, dennoch sah er seiner Chefin an, dass sie sich offensichtlich überanstrengt hatte. Etwas, was die Besucher wohl nicht sehen wollten: „Gehen sie … alle Beide.”

Lilly erschrak, weil sie Zane noch nie hatte so laut und bestimmend werden hören, doch sein energischer Ton zeigte Wirkung. Zoe und Frank verschwanden ohne zu zögern.

„Ruhen sie sich aus Ma'am. Dr. Sanders wird bald hier sein.” „Danke Zane.” „Kann ich noch etwas für sie tun?” „Ich hab schrecklichen Durst.” „Natürlich”, ohne noch einen Augenblick zu zögern, verließ Zane das Zimmer und kam nur wenige Minuten später mit einem Glas und einer Wasserkaraffe zurück. Voller Fürsorge half er Lilly, sich aufzusetzen, damit sie einen Schluck trinken konnte. Lilly sah ihn müde an: „Danke.” „Ich lasse sie jetzt allein Ma'am. Wenn sie etwas brauchen rufen sie mich.” „Natürlich”, Lilly fand es irgendwie süß, wie besorgt Zane doch war. Er war wirklich ihr Carter und Lilly war Gott dankbar dafür, dass dieser treue, fürsorgliche Mann an ihrer Seite stand.

Wieder einmal ermahnte Dr. Sanders Lilly sich zu schonen. Die 60-jährige war sehr besorgt über den Gesundheitszustand ihrer jungen Patientin. Lilly hatte zu Beginn der Schwangerschaft, in der Zeit, in der sie kaum etwas Essbares bei sich behalten konnte, zu viel an Gewicht verloren und so fehlte ihr nun gerade in Stresssituationen, wenn sie zu wenig trank oder aß, die körperliche Substanz. Das kleine Krümelchen nahm sich was es brauchte und Lilly selbst kam so immer wieder zu kurz.

„Sie müssen sich wirklich schonen Miss Cole”, Dr. Sanders packte ihren Koffer zusammen und setzte sich noch einmal auf die Bettkante: „Kommen sie bitte unbedingt morgen in meiner Praxis vorbei. Dann werde ich ihnen eine Elektrolyt Infusion legen. Sie müssen wieder auf die Beine kommen.” „Es geht mir gut. Ich bin einfach nur unglaublich müde.” „Wir päppeln sie schon wieder auf. Bis morgen.” „Okay”, erwiderte Lilly zustimmend. Sie war nicht in der Lage zu widersprechen, als sich die Ärztin verabschiedete.

Lilly war einfach nur müde und wollte nichts anderes als schlafen, doch kaum war Dr. Sanders gegangen, schlich Frank ins Schlafzimmer. Es war bereits dunkel und im Zimmer leuchtete nur eine kleine Nachttischlampe, als Frank sich an ihr Bett setzte: „Es tut mir leid.” „Mir auch”, Lilly war sich bewusst, dass sie Frank durch ihr Verhalten immer wieder weh tat: „Ethan ging es nicht gut. Er hat meine Hilfe gebraucht. Es ist für ihn ein Schock gewesen.” „Ich versteh das. Mir ging es ähnlich. Aber ich versteh nicht warum du dich von ihm immer wieder einwickeln lässt. Ethan ist verheiratet.” „Glaubst du wirklich ich hätte das nicht längst begriffen? Aber Ethan kann genauso der Vater sein wie du und es auf diese Weise zu erfahren, hat ihn aus der Bahn geworfen.” „Ich habe dich oft genug gebeten es ihm zu sagen.” „Ich weiß. Aber es gibt Momente, in denen ich einfach nicht weiß wie ich mit all dem zurechtkommen soll. Du weißt, dass ich ihn immer lieben werde. Es ist sehr schwer für mich zu akzeptieren, dass er mich nicht in seinem Leben haben will. Dennoch muss ich es. Du bist ein guter Kerl Frank, aber ich habe dir nie Hoffnung gemacht.” „Nein, du bist geradezu erschreckend ehrlich was das angeht.” „Es tut mir wirklich leid. Ich wäre dir gern eine bessere Partnerin, aber solange Ethan auch nur irgendwie dazwischen steht kann ich das nicht.” „Ich will dich wirklich nicht unter Druck setzen Liebling, aber es muss eine Möglichkeit geben die Vaterschaft schon vor der Geburt zu klären. Ich halt das echt nicht mehr aus.” „Willst du das wirklich unbedingt?” „Ja und ich bin sicher, das Ethan das auch will. Wir brauchen Klarheit.” „Ich weiß. Aber ich werde das Risiko nicht eingehen. Wir haben schon einmal darüber gesprochen.” „Ich weiß. Ich wollte es dennoch noch einmal angesprochen haben. Geht's dir besser?” „Ich bin müde Frank.” „Dann ruh dich aus. Darf ich dich trotzdem noch etwas fragen?” „Du gibst ja eh keine Ruhe, wenn ich Nein sage”, Lilly lehnte sich erschöpft zurück.

Sie wusste nur zu gut, wie beharrlich Frank sein konnte und so wartete sie auf die unausweichliche Frage: „Was ist letzte Nacht zwischen dir und Ethan passiert?” „Absolut nichts. Ich hab friedlich geschlafen bis Michael mich angerufen hat. Er hat sich Sorgen gemacht und mich gebeten nach Ethan zu sehen. Er war sturzbesoffen. Ich hab ihn duschen geschickt und hab seine Sauerei aufgeräumt. Das war alles.” „Warum liebst du ihn so sehr?” „Keine Ahnung. Warum bist du immer noch bei mir, obwohl ich ihn liebe?” „Keine Ahnung”, Frank lachte. Der melancholische Unterton in seiner Stimme bescherte Lilly eine Gänsehaut. Dieser Mann war wirklich zu gut für sie. Seit Monaten hielt sie ihn an der langen Leine. Er war ihre Reserve für den, in ihren Augen, unwahrscheinlichen Fall, dass Ethan doch nicht der Vater war. Denn nur dann würde sie ihn heiraten, mit ihm ihr Leben teilen. Aber Lilly hatte keine Ahnung ob sie damit jemals glücklich sein konnte.

Frank jedoch war glücklich. Er wollte sie und das Baby. Er schien mit aller Macht daran glauben zu wollen, dass sie eine gemeinsame Zukunft hatten. Dass die Zeit sie zu einer richtigen Familie machen würde. Aber Lilly zweifelte immer mehr daran.

„Ruh dich aus. Zoe wird hierbleiben”, Frank zog Lilly die Decke bis zum Kinn und lächelte liebevoll.

Sie versuchte sein Lächeln zu erwidern, doch sie konnte es nicht. Dennoch strich er ihr liebevoll über die Wange: „Ich fahr nach New York zurück. Zoe wird sich um die kümmern.” „Nimm sie mit. Ich möchte einfach allein sein.” „Bist du sicher? Ich denke ihr Beide habt einiges zu besprechen.” „Ich weiß, aber nicht jetzt”, Lilly drehte sich zur Seite und vergrub sich unter der Decke.

Das Gespräch war beendet. Lilly wollte nur noch schlafen. Was hätte es denn auch genutzt zum hundertsten Mal mit Frank über das Baby oder gar Ethan zu diskutieren? Das war ein ewiges Thema, das mit Sicherheit erst beendet sein würde, wenn die Vaterschaftsfrage eindeutig geklärt war, aber bis dahin war noch Zeit und Lilly wollte nicht immer wieder von vorne anfangen. Natürlich war sie sich bewusst, was Frank für sie empfand und sie fühlte sich deswegen durchaus geehrt, dennoch schloss ihr Herz ihn als Vater kategorisch aus.

So sehr hätte sie sich gewünscht, dass die Dinge anders wären, dass sie Frank wirklich lieben konnte, wie sie Ethan liebte, doch dem war nun Mal nicht so und Frank würde das irgendwann schon verstehen … hoffte sie zumindest.

Als Lilly früh morgens in die Küche kam war glücklicherweise wieder alles beim Alten. Sie war allein. Niemand außer Zane, der draußen im Garten den Rasen mähte, war da. Zoe war also wirklich mit Frank nach New York zurückgefahren und Lilly war ihre vertraute Einsamkeit geblieben. Nichts war nach diesem Wochenende tröstlicher als diese stille Normalität. Die tägliche Routine war zurück und so ging sie zum Kühlschrank und richtete das Frühstück. Es war schön auf der Terrasse zu sitzen und Zane dabei zuzusehen wie er sich um das Grundstück kümmerte. Schon seit Monaten tat er das und Lilly fragte sich ob er die Pflege des Rasens und der unzähligen Pflanzen und Sträucher unter Umständen als eine Art Beschäftigungstherapie ansah.

Für ihn musste der Job, eine Schwangere zu beschützen, schrecklich langweilig sein. Schließlich war er doch ein ausgebildeter Bodyguard und ganz sicher war auch er ein ehemaliger Seal oder Ranger oder Marine, wie all die Männer, die für Ethans Sicherheitsteam arbeiteten. Ein Mann also, der es gewohnt war, andere Dinge zu tun, als im Haus seiner Schutzperson den Rasen zu trimmen.

Lilly lag im Liegestuhl auf der Veranda und schlürfte ihren Orangensaft. Dabei dachte sie über Franks Bitte nach. Natürlich war ihr der Gedanke, schon vor der Geburt einen Vaterschaftstest zu machen, längst gekommen, doch dabei konnte das Baby verletzt oder eine Frühgeburt ausgelöst werden und dieses Risiko ging sie ganz sicher nicht ein. Allerdings gab es auch eine ganz neue, risikofreie Option, von der sie im Internet gelesen hatte und Lilly beschloss mit Dr. Sanders darüber zu sprechen, wenn sie in die Praxis fuhr um sich wieder einmal aufpäppeln zu lassen.

„Guten Morgen Ma'am. Ich habe sie hoffentlich nicht geweckt”, Zane schob den Rasenmäher mit einem freundlichen Lächeln um die Lippen in den Geräteschuppen. Ein Merkmal, und es war vielleicht das einzige, was ihn deutlich von Carter unterschied, war, dass Zane eigentlich immer lächelte. Dieser verbissen stoische Gesichtsausdruck den Carter sein Eigen nannte und der ihn genauso streng wirken ließ wie Ethan, war Zane völlig fremd. Seine fast schon spitzbübische Art, sein charmantes Lächeln, ließ ihn überhaupt nicht streng wirken und Lilly mochte ihn gerade deswegen, denn sie fühlte sich dabei nicht eingeschüchtert. Natürlich konnte Zane auch anders. Wenn er seinen Willen durchsetzen wollte, sah er nicht minder ernst aus als Carter oder gar Ethan. Aber er konnte eben auch liebevoll lächeln und aus ganzem Herzen mit ihr über einen guten Witz lachen. Dieser Mann gab ihr, was sie von einem Bodyguard brauchte … Normalität.

„Guten Morgen Zane, nein ich war schon wach”, Lilly lehnte sich entspannt zurück.

Ja, das war ihr Leben. Hier in New Haven war alles so einfach.

„Ich werde mich frisch machen, dann können wir nach Portland aufbrechen Ma'am.” „Nein, bringen sie mich heute bitte zuerst zu Dr. Sanders. Nach Portland fahren wir heute Nachmittag. Ich habe meiner Mutter viel zu erzählen.” „Sehr wohl Ma'am. Dürfte ich die Dusche in der Garage benutzen?” „Nein, gehen sie nach oben ins Bad. Ich werde sie nicht stören.” „Sind sie sicher Ma'am?” „Ja … los”, Lilly entließ Zane mit einem dicken Schmunzeln um die Lippen.

Die Dusche in der Garage war wirklich nichts Besonderes. Eigentlich nicht mehr als ein aufgehängter Gartenschlauch, aus dem nur kaltes Wasser kam und obwohl Lilly sich sicher war, dass Zane das nicht störte, weil er es als Ex-Soldat sicher gewohnt war, kalt zu duschen, empfand sie es dennoch nicht für angebracht. Zane war ihre gute Seele. Er war der Mann der sich seit Monaten rührend um sie kümmerte, obwohl vieles was er tat seiner eigentlichen Stellenbeschreibung widersprach. Doch er schien es gern zu tun und Lilly war froh darüber, dass er ihr alles abnahm.

Ja, sie lebte wirklich ein privilegiertes Leben. Welche Frau konnte schon einen Mann wir Zane, 1,85m groß, Schultern wie ein Kleiderschrank und Augen, so grün wie ein tiefer Bergsee, ihren Babysitter nennen? Und letztlich war er doch genau das. Er war ihr Babysitter während sie sich alle Zeit der Welt nahm um Ordnung und Ruhe in ihr Leben zu bringen.

Doch seit dem letzten Wochenende war sie sich bewusst, dass sie, obwohl sie glaubte ihr Ziel längst erreicht zu haben, weiter davon entfernt war, als je zuvor. Ihre Gefühle für Ethan waren immer noch dieselben. Er übte immer noch die gleiche elektrisierende Wirkung auf sie aus. Seine Aura vermochte sie immer noch zu ersticken und daran würde sich wirklich niemals etwas ändern. Ethan war und blieb die Liebe ihres Lebens und Lilly wünschte sich nichts mehr als das sie für Frank ähnlich empfinden könnte. Denn dann hätte ihr die Vorstellung, ihn zu heiraten, wenn das Baby wirklich von ihm war, nicht solche Angst gemacht.

Doch gerade diesen Gedanken verdrängte sie ganz bewusst. Seit Monaten war sich ihr Herz sicher das Ethan der Vater war, ohne auch nur über die Option Frank nachzudenken. Aber gerade die Angst vor dieser Option machte ihr begreiflich, wie Frank sich dabei fühlte. Gerade weil er wirklich alles tat um Lilly zu unterstützen, musste ihn der Gedanke, dass er eine Frau liebte, die das Baby eines Anderen bekam, verrückt machen. Also musste nun endlich eine Entscheidung her. Sie alle, Frank, Ethan aber vor allem sie selbst, brauchten Gewissheit.

Geschlagene 7 Minuten nachdem er ins Bad verschwunden war, betrat Zane geschniegelt und gebügelt die Küche und wäre sein blondes Haar nicht noch feucht gewesen, hätte Lilly sich ernsthaft gefragt ob er überhaupt geduscht hatte. Diese Soldaten waren eben ein Menschenschlag für sich und so verschwand sie mit einem dicken Grinsen im Gesicht die Treppe hinauf um selbst unter die Dusche zu springen. Allerdings brauchte sie schon 7 Minuten bis ihr das Wasser überhaupt warm genug war.

Dr. Sanders legte Lilly, sofort nachdem sie in der Praxis eingetroffen war, an eine Elektrolyt Infusion. Lilly kannte diese Prozedur, schließlich war es nicht das erste Mal und Dr. Sanders ließ sich auch nicht davon abbringen, obwohl Lilly beteuerte, dass sie sich bereits besser fühlte.

Nach der Infusion ließ Lilly sich schließlich lang und breit über die Möglichkeiten und Risiken eines vorzeitigen Vaterschaftstests aufklären und tatsächlich gab es neuerdings eine recht zuverlässige Methode die DNA des Babys über das Blut der Mutter zu extrahieren und Lilly wusste sofort, dass sie das tun musste. Die Frage war nur, welchen der in Frage kommenden Väter sie um den Vergleichstest bitten sollte.

Doch das war eine Frage, mit der sie sich allein auseinandersetzen musste, als sie mit Dr. Sanders einen Termin vereinbarte.

Der Nachmittag in Portland verlief relativ ruhig. So wie eben jeder Besuch bei ihrer Mutter, wenn Lilly ihr pausenlos irgendwelche Dinge erzählte ohne das Sharon wirklich darauf reagierte.

In der Welt ihrer Mutter gab es gute und schlechte Tage. Es gab Tage an denen Sharon sich durchaus an den Unterhaltungen beteiligte. Tage die Lilly Mut machten. Doch es gab eben auch diese Tage, an denen sie nur in ihrem Stuhl saß und durch ihre Tochter hindurchsah und genau so ein Tag war dieser Nachmittag, als Lilly ihr von dem Wochenende in New York erzählte. Aber das war egal, weil Lilly die Hoffnung nicht aufgeben wollte ihre Mutter irgendwann zurück zu bekommen, sie irgendwann mit nach Hause nehmen zu können.

Ethan stand im Badezimmer und rasierte den unsäglichen Vollbart ab. Vor einer Stunde war er nach Hause gekommen und hatte eine heulende Ehefrau vorgefunden. Sein brummender Schädel war an diesem Abend alles, aber nicht in der Lage sich mit Corinne auseinander zu setzen, die zeternd und heulend eine Erklärung verlangte.

Was hätte er ihr auch sagen sollen?

Das er Lilly mehr denn je liebte?

Das sie vielleicht mit seinem Baby schwanger war?

Wozu hätte er darüber sprechen sollen?

Sicher wusste Corinne längst von Lillys Zustand, hatte sich die New Yorker Presse doch wie Aasgeier auf dieses gefundene Fressen gestürzt ohne die Hintergründe zu kennen. Und Ethan gefiel es nicht wie wieder einmal über Lilly hergezogen, sie sogar als Schlampe abgestempelt wurde.

Aber was hätte er dagegen schon tun können?

Klarstellen, dass er vielleicht der Vater war und damit öffentlich machen, dass seine Ehe nicht die Tinte unter den Papieren wert war, mit der sie besiegelt wurde? Nein, Ethan hatte sich für ein Leben mit Corinne entschieden, weil sie ihm nichts bedeutete. Weil es so viel einfacher war mit ihr zusammen zu sein. Doch die Vorstellung das Lilly sein Baby bekam, ließ ihn nicht mehr los. Den ganzen Nachmittag hatte es ihn verfolgt.

Aber was sollte er tun?

Der Schnitt an seiner rechten Hand schmerzte. Ethan hatte keine Ahnung wann er sich den eingehandelt hatte. Das meiste von der letzten Nacht hatte er vergessen. Doch diese Wunde erinnerte ihn auf schmerzliche Weise daran, dass er noch immer lebte. Das sein Herz nach wie vor unaufhörlich Blut durch seine Adern pumpte. Doch es erinnerte ihn auch daran, dass er aus freien Stücken alles aufgegeben hatte, was ihm jemals wichtig gewesen war. Und nicht nur Lilly litt unter dieser Situation. Ein Grund, warum er damals, in Montana, die Beherrschung verlor und sich nahm, wonach sein Herz sich sehnte.

Wenn es so etwas wie Bestimmung gab, dann war die Seine ganz eindeutig Lilly. Er war dazu bestimmt sie zu lieben. Aber, so schön dieser Gedanke auch war, so unerträglich war er für ihn gewesen und genau deshalb hätte er niemals die Beherrschung verlieren dürfen. Dann wäre sie nun vielleicht nicht von ihm schwanger. Ein Umstand, der alles noch viel unerträglicher machte, als es ohnehin schon war.

Dabei gefiel ihm die Vorstellung bald ein Vater zu sein. Es gab eine Zeit in seinem Leben, damals als er Lilly den Ring seiner Großmutter an den Finger steckte, da wünschte er sich nichts sehnlicher als seine Kinder in ihr heranwachsen zu sehen. Aber ihre Worte waren eindeutig gewesen. Wenn er nicht in der Lage war seine Vergangenheit endlich zu bewältigen, dann verlor er sehr viel mehr als nur die Frau, die er liebte.

Ethan brauchte einen freien Kopf. Er fühlte sich von seinem eigenen Leben, von den Entscheidungen, die er Tag täglich traf, zerrissen. Nichts schien ihm mehr richtig zu sein.

Mit pochendem Herzen dachte er daran, was er damals, in der Zeit als Lilly bei ihm lebte, in solchen Momenten tat. Er hätte sich in ihr verloren und Lilly gab ihm durch ihre bedingungslose Hingabe alles was er brauchte um die Dinge wieder klar zu sehen. Doch Lilly war unendlich weit weg. Auf einem Planeten irgendwo am anderen Ende der Galaxie hätte sie ihm nicht ferner sein können. Er musste herausfinden wo sie war. Er musste die Dinge klären, wenn seine unerbittlichen Kopfschmerzen ihn wieder klare Gedanken fassen ließen.

Als Ethan nach einer halben Ewigkeit aus dem Badezimmer kam, saß Corinne auf seinem Bett. Immer noch rannen ihr dicke Tränen die Wangen hinab. Sie suchte seine Aufmerksamkeit, vielleicht auch sein Mitleid, doch nicht einmal das war er in der Lage ihr zu geben. Ethan wollte sie nicht in seinem Bett haben. Er wollte nicht neben ihr schlafen. Die einzige Frau, bei der er das jemals konnte war Lilly und daran änderten auch Corinnes Krokodils Tränen nichts: „Ich bin müde Corinne. Bitte geh.” „Sag mir doch endlich wo du die ganze Nacht warst. Etwa bei ihr?” „Nein, … geh.” „Du hast mir Treue geschworen.” „Ich weiß”, Ethan sah Corinne gleichgültig an.

Ein Blick, der ihr das Blut in den Adern gefrieren ließ: „Warum bist du immer so?” „Wie bin ich denn, Liebling?” Ethan betonte den Kosenamen, den er ihr eigentlich nur vor seiner Mutter auferlegte, derart herablassend, das Corinne wieder die Tränen kamen: „So gemein.” „Hör auf. Ich hab jetzt wirklich keine Lust auf Grundsatzdiskussionen. Geh …” „Kannst du denn nicht wenigstens einmal die Nacht in einem Bett mit mir verbringen? Würde dich das umbringen?” „Ich hab das von Anfang an klargestellt. Also verlass mein Schlafzimmer, sonst gehe ich.” „Du Ekel”, heulend schleuderte Corinne Ethan ein Kissen entgegen und sprang im selben Moment auf.

Ohne zu reagieren oder überhaupt darüber nachzudenken, das Kissen eventuell zu fangen sah er ihr zu, wie sie davonlief. Es kümmerte ihn nicht das seine Frau seine Nähe suchte. Es spielte einfach keine Rolle. Corinne war nur seine Frau, weil er einen Ausweg brauchte, weil er einen Weg suchte um Lilly vergessen zu können, weil seine Mutter ihm, nach der geplatzten Verlobung, die Ohren voll jammerte.

Warum … verdammt … ließ er sich nur immer wieder von Amanda einlullen?

Weshalb suchte er nur nach der Zuneigung dieser Frau, die sich seine Mutter nannte?

Natürlich war Corinne die perfekte Frau für ihn. Sie wusste sich auf dem Parkett der New Yorker High Society zu bewegen. Mit ihr, an seiner Seite machte er immer eine gute Figur, aber sie war eben nicht Lilly.

Mit Lilly war die Luft, die er zum atmen brauchte, reiner, die Sonne strahlte heller, sein Herz schlug gleichmäßiger. Sie machte ihn glücklich. Doch er selbst hatte all das mit Füßen getreten, weil er einfach nicht damit zurechtkam, Lilly zu lieben.

Aber war es denn wirklich schon zu spät?

„Du musst um ihn kämpfen”, in ihren Gedanken versunken saß Lilly neben ihrer Mutter auf dem Balkon ihres Zimmers und erschrak beinahe, als Sharon das erste Mal an diesem Nachmittag Worte fand, um mit ihr zu sprechen.

„Das ist alles nicht so einfach Mom”, Lilly lehnte sehnsüchtig den Kopf an die Schulter ihrer Mutter: „Ethan hat zu viele falsche Entscheidungen getroffen.” „Vielleicht … aber du wirst es den Rest deiner Tage bereuen, wenn du ihn gehen lässt.” „Was soll ich denn tun? Er ist verheiratet und vielleicht ist er nicht einmal der Vater.” „Diese Frage hat dir dein Herz doch längst beantwortet.” „Oh Mom”, Lilly sah Sharon traurig an, „ich wünsche mir das so sehr.” „Dann musst du kämpfen. Wenn du ihn so liebst muss er ein guter Mensch sein.” „Er ist ein Idiot”, Lilly lachte und rang damit das erste Mal seit sie Montana verlassen hatten sogar ihrer Mutter ein Lächeln ab.

Die Stimmung zwischen Beiden war plötzlich so seltsam. So seltsam vertraut wie noch nie in ihrem Leben und Lilly wurde wieder einmal in ihrem Glauben an all das Gute bestärkt. Ein Glaube, der sie eine Frage stellen ließ, die sie bereits seit vielen Jahren quälte: „Mom … wer ist mein Vater?”

Sharon schloss die Augen. Lilly konnte sehen, wie sie mit den Tränen kämpfte und bereute sofort, die Frage aller Fragen, gestellt zu haben. Aber seit sie selbst ein Baby erwartete, war es ihr wichtiger denn je zu wissen wer ihr eigener Vater war.

Sharon rang mit sich. Zu schwer lastete die Vergangenheit auf ihrer Seele, als dass es ihr leicht gefallen wäre zu sprechen: „Du kennst deinen Vater, mein kleiner Engel.” „Wie sollte ich das? Du hast mir nie erzählt wer er ist.” „Erinnerst du dich an Lewis?” „Ja”, Lilly wurde mulmig ums Herz. Lewis war der Mann gewesen, mit dem ihre Mutter nach ihrer verkorksten ersten Ehe eine Weile zusammen gewesen war. Bruchstückhaft erinnerte sie sich daran, dass sie ihn immer angehimmelt hatte, weil er so groß und stark gewesen war. Weil er sie auf Händen trug bis er eines Morgens einfach nicht mehr da war.

„Lewis ist dein Vater. Er ist mein Ethan”, stumme Tränen rannen Sharons Wangen hinab.

Lilly brauchte einen Augenblick um die Worte ihrer Mutter zu verstehen, ehe es ihr wie Schuppen von den Augen fiel. Sie hatte also ihre große Liebe aufgegeben und hoffte nun, dass ihre Tochter nicht denselben Fehler machte: „Ich habe ihn sehr geliebt, aber die Army hat ihn zerstört. Ich weiß nicht viel von den Dingen die er als Soldat getan hat, weil er nie darüber reden wollte. Aber ich weiß das er nach diesem Einsatz damals nicht mehr der Mann gewesen ist, den ich geliebt habe. Deshalb habe ich ihn verlassen, als du 6 Monate alt gewesen bist. Lewis hat nie versucht mich zurück zu holen. Bis wir uns Jahre später durch Zufall wieder getroffen haben und es war alles wieder so wie zuvor. All die Gefühle waren wieder da, aber eben auch das was er nicht verarbeiten konnte. Wir waren nie in der Lage um unsere Liebe zu kämpfen. Aber du musst das tun. Kämpf um Ethan, wenn du ihn so sehr liebst.” „Warum hast du mir nie erzählt das er mein Vater ist?” „Ich weiß nicht. Ich hab geglaubt wir Beide seien in Montana zu Hause und die Vergangenheit war einfach nicht mehr wichtig. Es tut mir so leid, dass ich dir das alles angetan habe.” „Nein Mom … nicht. Du konntest nichts dafür, das weiß ich jetzt. Wir Beide müssen das vergessen. Wir haben alle Zeit der Welt um uns ein neues Leben aufzubauen.” „Und wie stellst du dir das vor?” Sharon sah Lilly hilflos an. In ihren Augen war kein Funke Hoffnung zu sehen, aber dafür eine geistige Klarheit, die Lilly schon so viele Jahre an ihrer Mutter vermisste.

Deshalb lächelte Lilly aufmunternd: „Du brauchst dir über die Zukunft keine Gedanken zu machen. Ich habe ein Stadthaus in New York, mehr Geld als wir brauchen und einen guten Job. Du brauchst dir nie mehr Sorgen zu machen.” „Aber ich will dir nicht zur Last fallen.” „Das tust du nicht Mom. Wir Beide und der kleine Zwerg hier”, Lilly strich sich glücklich über den Bauch, „sind eine Familie und ich werde alles dafür tun, dass wir die Vergangenheit vergessen. Jetzt hör auf dir Gedanken zu machen. Werd wieder gesund und dann sehen wir wie es weitergeht. Ich hab genug Geld um dir all deine Wünsche zu erfüllen. Du brauchst dir wirklich nie wieder Sorgen zu machen”, Lilly schlang ihre Arme fest um den Hals ihrer Mutter, zog sie aufmunternd an sich. Schon viel zu lang hatten sie nicht mehr so offen mit einander gesprochen und Lilly spürte wie gut ihr das tat. Es war, trotz allem, richtig gewesen Sharon aus Montana zu holen. Dort wäre sie zu Grunde gegangen, dessen war Lilly sich längst sicher. Doch nun hatten sie endlich eine Chance eine richtige Familie zu werden.

„Ma'am”, Zane wartete wie immer vor der Klinik darauf, dass Lilly bereit war nach Hause zu fahren, als sie aus der Tür trat.

Doch sein Gesichtsausdruck verriet ihr, das irgendetwas nicht so war, wie es sein sollte: „Was ist los?” „Alles in Ordnung Ma'am, steigen sie ein”, es war die Art wie er sie am Ellbogen griff, die deutlich machte, dass eben nicht alles in Ordnung war, als er sie zum Wagen schob.

Lilly begriff schnell das offenbar Ärger im Anmarsch war: „Erzählen sie mir keinen Mist.” „Steigen Sie umgehend ein”, Zane klang strenger als er je zuvor geklungen hatte und allein das ließ ein mulmiges Gefühl in ihr aufkeimen, weil sie ihn so nicht kannte.

War ihr Zusammenleben bislang eher ein freundschaftliches Miteinander gewesen, nahm es nun mit einem Schlag die typischen ”ich bin der Bodyguard und sie gehorchen mir” Züge an und das gefiel Lilly überhaupt nicht. Zerstörte genau das doch die beschauliche Ruhe, um die sie sich in den vergangenen Monaten so sehr bemühte.

Was blieb Lilly denn anderes übrig als zu gehorchen und ihre Schrittfrequenz so zu erhöhen das sie mit Zane mithalten konnte?

Doch kaum war sie eingestiegen, blaffte sie Zane bitterböse an, noch bevor er den Wagen starten konnte: „Was ist hier los?” „Sie sollten sich nicht aufregen.” „Wie könnte ich das nicht, wenn sie sich plötzlich so seltsam verhalten?” „Ich werde ihnen alles erklären, wenn wir im Haus sind Ma'am.” „Nein verdammt”, nun brachen bei Lilly alle Dämme. Sie hasste es, wenn sie von ihren Bodyguards aus irgendwelchen unerfindlichen Gründen im Dunkeln stehen gelassen wurde. Auch wenn Zane offenbar versuchte, sie nicht zu beunruhigen, war es doch gerade dieses Verhalten, das sie spüren ließ, dass etwas nicht in Ordnung war.

„Sie dürfen sich nicht aufregen Ma'am”, Zane versuchte erneut beruhigend auf Lilly einzuwirken, doch sie akzeptierte seine gutgemeinten Worte nicht: „Dann sagen sie mir was los ist.” „Es ist im Moment eine reine Vorsichtsmaßnahme Ma'am.” „Wovor?” „Es gibt Anzeichen dafür, dass sie beobachtet werden.” „Wie bitte? Seit wann? Wer?” „Wir können das im Moment noch nicht genau sagen.” „Was heißt hier wir?” „Robert, Mr. Blakes Sicherheitschef und ich. Es gibt Anzeichen, aber derzeit keine Beweise.” „Und wie sehen die Anzeichen aus? Heute Morgen war doch noch alles in Ordnung.” „Ich denke, dass uns jemand folgt seit wir am Samstag in New York angekommen sind.” „Was?” „Wie gesagt, derzeit ist es nur ein Verdacht”, erwiderte Zane und damit war die Angelegenheit für ihn vorerst einmal beendet.

Lilly stöhnte genervt. Dabei war sie sich nicht einmal sicher ob sie sich nun mehr darüber ärgerte, dass Zane sie mit seinen spärlichen Infos am ausgestreckten Arm verhungern ließ oder ob sie sich darüber aufregen sollte, dass ihr Versteck entdeckt worden war. Angst jedoch verspürte sie nicht. Zanes Anwesenheit, seine selbstsichere Präsenz, vermittelte ihr Sicherheit und wenn sie ihm gehorchte, so ungern sie das auch tat, würde er dafür sorgen, dass ihr nichts geschah.

Als Zane den SUV in der Auffahrt parkte, fuhr er näher an das Haus heran als sonst und Lilly wusste was das zu bedeuten hatte. Sie musste so schnell wie möglich hinein und so wartete sie, bis er die Tür aufgeschlossen hatte und zum Wagen zurück kam um sie hinein zu geleiten. In den vergangenen Monaten war das nie der Fall gewesen. Er hatte sie immer allein gehen lassen, er war immer mehr Chauffeur als Bodyguard gewesen. Aber damit war es nun offenbar vorbei. Er schien sich wirklich Sorgen zu machen. Zumindest machte er nicht den gewohnt entspannten Eindruck. Deshalb stellte Lilly im Flur ihre Tasche auf die kleine Kommode an der Wand, pfefferte eigentlich wie immer ihre Schuhe bei Seite und stemmte genervt die Hände in die Hüften: „Jetzt will ich wissen was hier los ist.” „Ich hatte schon gestern Nachmittag, als wir angekommen sind, den Verdacht, das wir beobachtet werden und seit heute Mittag weiß ich es sicher.” „Wer? Harvey?” „Nein ich denke eher es ist ein Paparazzo. Mir ist vor der Klinik ein Mann mit Kamera aufgefallen.” „Und wie hat dieser Typ mich gefunden?” „Er wird wahrscheinlich Mr. Burton gefolgt sein. Ich habe auf der Fahrt von New York hier her niemanden bemerkt. Sie wissen das ich deswegen sehr vorsichtig bin.” „Ja, das weiß ich. Und wie geht das jetzt weiter? Muss ich mich im Haus verstecken.” „Vorerst ja. Ich muss die Lage erst abklären.” „Na, dann tun sie was sie nicht lassen können. Ich lege mich erst mal in die Wanne. Würden sie uns etwas zu essen bestellen? Ich hab heute keine Lust mehr was zu kochen.” „Okay”, erwiderte Zane und sah zu, wie Lilly nach oben verschwand.

Lilly lag eine kleine Ewigkeit in der Wanne und versuchte ihre Gedanken zu sortieren. Dabei kam sie endgültig zu dem Schluss, dass es ein Fehler gewesen war nach New York zu fahren. Es war ein Fehler, weil sie Ethan damit völlig aus der Bahn warf, es war ein Fehler, weil sie sich damit angreifbar machte. Jeder hatte ihre süße Babykugel gesehen. Jede wusste nun Bescheid und die Presse drosch wieder einmal auf sie ein. Dabei fragte sich Lilly nicht einmal mehr was sie tun konnte um das zu ändern.

Was spielte es denn auch für eine Rolle wofür sie in gewissen Kreisen gehalten wurde?

Gar keine …

Aber all diese Dinge, die über sie geschrieben wurden, lasen auch Menschen, die ihr wichtig waren. Ihre Mutter zum Beispiel, aber auch Ethan und das er, wenn es um sie ging, zu unkontrollierten Emotionen neigte, hatte er oft genug bewiesen. Sie konnte in diesem Moment eigentlich nur darauf hoffen, dass er sich im Zaum hielt und die ganze Sache nicht noch schlimmer machte, als sie es ohnehin schon war.

Für Lilly war viel wichtiger, dass sie nach all der Zeit endlich einen Draht zu ihrer Mutter gefunden hatte, dass sie nach fast 24 Jahren endlich wusste, wer ihr leiblicher Vater war. Gerade in ihrer Situation war das wichtiger denn je und so beschloss sie Lewis zu suchen.

Als Lilly nach einer gefühlten Ewigkeit, gebadet und in einen flauschigen Jogginganzug gehüllt in die Küche kam, war Zane nicht mehr allein. Bei ihm stand ein großer, dunkelhäutiger Mann, den sie bereits kannte. Es war der Bodyguard, der sie und Ethan damals zu dem Geschäftsessen mit Corinne gefahren hatte.

„Miss Cole”, Zane bemerkte Lilly sofort, als sie mit einem etwas mulmigen Gefühl in der Magengegend, an die beiden Männer herantrat.

„Darf ich ihnen Mike vorstellen? Mr. Blake besteht darauf, dass sie nachts nicht mehr allein gelassen werden”, Zane versuchte irgendwie zu umschreiben was vor sich ging, weil er wohl fürchtete Lilly würde sich gegen die getroffenen Maßnahmen zur Wehr setzen, doch sie dachte, trotz dem Ärger der langsam in ihr aufkochte, gar nicht daran: „Okay.”

Freundlich lächelnd gab sie Mike, den sie eigentlich als Michael kannte, die Hand. Es war also tatsächlich Ethan der seit Monaten für ihre Sicherheit sorgte.

Aber … dann wusste er doch die ganze Zeit, wo sie sich aufhielt und wenn dem wirklich so war, war doch auch ihre Schwangerschaft keine Überraschung für ihn gewesen.

Was, … wenn er schon seit Monaten Bescheid wusste und die ganze Sache mit der Suite ein abgekartetes Spiel gewesen war?

Lilly verdrängte diesen Gedanken, denn über dessen Konsequenz wollte sie einfach nicht nachdenken.

„Kann ich sie einen Moment allein sprechen”, mit demselben freundlichen Lächeln um die Lippen, mit dem sie Mike begrüßte, sah sie Zane an. Er nickte, ging mit langsamen Schritten voraus ins Wohnzimmer wo Mike sie nicht hören konnte: „Sind sie nicht einverstanden Ma'am?” Er kannte Lilly inzwischen gut genug um sie zu durchschauen.

„Sie arbeiten nach wie vor für Ethan Blake”, Lilly zitterte innerlich, als sie eine Antwort einforderte, die sie eigentlich nicht hören wollte.

„Ja Ma'am, ich dachte eigentlich sie wüssten das”, Zane sah Lilly unschuldig an.

„Ich hätte es mir denken können”, enttäuscht von sich selbst und ihrer eigenen Gutgläubigkeit wandte sie sich hilflos von Zane ab.

„Ma'am … alles in Ordnung. Sie sind plötzlich so blass?” „Er weiß alles … hab ich recht?” Lilly konnte sich nur zu gut an damals erinnern als sie herausfand, dass Daniel ihr monatelang heimlich gefolgt war. Er hatte Ethan täglich über absolut jeden ihrer Schritte informiert und wenn auch Zane dies tat, wusste Ethan wirklich schon seit einer Ewigkeit, dass sie schwanger war.

Warum also das Theater mit der zertrümmerten Hotelsuite?

„Ich versteh nicht ganz”, Zane sah wirklich aus, als wüsste er nicht was Lilly meinte, doch sie blaffte ihn ungehalten an: „Ethan, er weiß alles. Sie haben ihn doch sicher die ganze Zeit über alles informiert, was ich getan habe. Wie lange haben sie an ihren täglichen Berichten gesessen? Eine Stunde? 5 Minuten?” „Beruhigen sie sich bitte Miss Cole. Ich habe niemandem Bericht erstattet. Heute Nachmittag habe ich das erste Mal, seit wir hier sind, wieder mit Mr. Blake telefoniert. Wir hatten keinen Kontakt.” „Erzählen sie mir doch nichts. Ethan ist ein Kontrollfreak.” „Ich schwöre bei allem was mir Heilig ist. Ich habe niemandem Bericht erstattet. Mr. Blake hat mir einen Freibrief erteilt, als er mich zu ihrem Schutz abgestellt hat”, Zane sah fast hilflos aus. Er schien zu spüren, dass Lilly ihm nicht glauben wollte.

„Bitte glauben sie mir Ma'am“, Zane sah Lilly eindringlich an: „Es hat zu keiner Zeit Kontakt zwischen mir und Mr. Blake gegeben. Er weiß nicht, wo sie sich aufhalten.” „Das kann ich nicht glauben. Ethan ist der größte Stalker der Welt. Er erteilt keine Freibriefe, wenn er seine Leute losschickt.” „Ich weiß. Aber in ihrem Fall hat er das getan, weil er wusste, dass sie nichts mehr brauchen als ihre Freiheit. Bitte beruhigen sie sich jetzt und lassen sie uns zu Abend essen. Ich hab ihnen Spaghetti gekocht”, Zane sah Lilly wie ein fürsorglicher Vater an.

„Sie haben das Abendessen gekocht? Für mich?” „Ja”, nun wirkte er fast gekränkt, „glauben sie etwa ich kann das nicht?” „Nein … doch, ich bin etwas überrascht.” „Ich bin durchaus in der Lage Spaghetti zu kochen Ma'am und jetzt setzen sie sich endlich hin und essen”, ohne eine weitere Gemütsregung zuzulassen, wandte Zane sich ab und marschierte in die Küche zurück. Lilly folgte ihm kopfschüttelnd.

Was sollte sie von den Dingen halten, die sie gerade erfahren hatte?

Sie hatte keine Ahnung. Entweder bedeutete sie Ethan nicht mehr genug um gestalked zu werden, was ihr an sich in den letzten Monaten sehr angenehm gewesen war, aber sie nach den neuesten Erkenntnissen doch traurig stimmte, weil es bedeutete das es zwischen ihnen wirklich vorbei war. Oder aber, und dieser Gedanke gefiel ihr bedeutend besser, liebte er sie so sehr, dass er sie frei ließ. Lilly hatte längst verstanden das sie Zane brauchte, da Harvey nach wie vor eine Bedrohung für sie darstellte, aber letztlich war sie trotzdem frei zu tun was sie tun wollte und das Ethan Zane zwar bezahlte ihn aber keiner Kontrolle unterzog war der wohl größte Beweis seiner Liebe, den er erbringen konnte. Schließlich war Ethan die Kontrolle über sie, über das was sie tat immer immens wichtig gewesen, weil er genau das brauchte um funktionieren zu können. Sicher gab es auf der ganzen Welt keinen größeren Kontrollfreak als Ethan Elias Blake. Denn nur durch Kontrolle funktionierte sein Imperium. Und damals war Lilly unterm Strich, so pragmatisch sich das auch anhörte, ein Teil dieses Universums gewesen.

Nach dem Abendessen, nachdem Zane sich verabschiedete und Mike Posten bezogen hatte, setzte Lilly sich in ihr Arbeitszimmer um Frank anzurufen.

Es war kein langes Gespräch. Lilly erzählte ihm, dass es eine Möglichkeit gäbe die Vaterschaft risikolos festzustellen und bat ihn darum, ihr eine DNA Probe zu überlassen. Natürlich sicherte Frank ihr ohne zu zögern sein Kommen zu dem, von Lilly vereinbarten Termin, zu. Dabei hörte er sich aber nicht an, als würde er sich besonders darüber freuen, dass sie nun doch beschlossen hatte die Vaterschaft schon vor der Geburt feststellen zu lassen. Frank wirkte eher ein wenig traurig darüber. Und Lilly glaubte auch zu wissen, warum das so war. Vielleicht hatte er tatsächlich die Hoffnung darauf der Vater zu sein, aufgegeben. Oder aber es war etwas geschehen, was ihn seine Gefühle für sie überdenken ließ. So oder so … spätestens, wenn er zum Termin erschien würde sie herausfinden, was mit ihm los war.

Nachdenklich saß Lilly an ihrem Schreibtisch, streichelte ihren Bauch und dachte an die Worte ihrer Mutter. Natürlich war sie bereit um Ethan zu kämpfen.

Aber war sie auch bereit diesen Kampf unter Umständen erneut zu verlieren?

War sie in der Lage einen neuerlichen Rückschlag zu verkraften?

War es vernünftiger zu warten, bis es ein eindeutiges Ergebnis gab?

Sollte sie ihn vielleicht über den Vaterschaftstest informieren?

Tausend Fragen schossen ihr durch den Kopf. Tausend Fragen, auf die es keine eindeutigen Antworten gab.

Der kleine Engel in ihrem Kopf schrie die ganze Zeit …

- Frank ist der bessere Mann für dich - …

… während der kleine Teufel ihn verfluchte.

Wie immer war er der Meinung mit der Aussicht auf eine Niederlage zu kämpfen sei besser als den sicheren Weg zu gehen und nie etwas zu riskieren. Und Lilly wusste, dass er Recht hatte. Aber dies war der letzte Kampf, den sie um ihre große Liebe ausfocht.

Kapitel 3


Black Heart

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