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Aikarupata und der Flötenspieler

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Einst gab es einen Berg. Der Fels war ein Gigant und wer seinen Kopf in den Nacken legte, konnte dessen Spitze nur erahnen. Auf seinem starken Leib wohnten unzählige Wesen. Hohe Bäume reckten ihre Arme gen Vater Himmel, Blumen schmückten die steilen Hänge, Quellen entsprangen aus dem Berginnern. Viele Geschichten wurden hier geboren. Adler zogen ihre Kreise unter dem Himmelsdach und dank den vielen Nagetieren mussten sie hier nie hungern. Der Berg war ein Zuhause für alle, ein Ort der Ruhe und Selbstfindung. Selbst bei den Menschen genoss der Steinriese ein großes Ansehen. Von weit her pilgerten sie zum Berg. Die Menschen erhofften sich Heilung ebenso wie Weisheit von den alten Steinen. Aikarupata4 - der wachende Weise, so wurde der Fels genannt.

Die Geschichten erzählen, dass der Steinriese der erste Fels auf Mutter Erde überhaupt gewesen sei. Ein Stein wächst nur sehr langsam. Sah man sich nun Aikarupatas Größe an, musste er wirklich alt sein. Aikarupata stammte aus einer Zeit, in welcher die Erde nur von den vier Elementen - Feuer, Wasser, Erde und Luft - belebt gewesen war. Der wachende Weise war dabei, wie die ersten Pflanzen ihre Wurzeln schlugen, um an seinen kleineren Hängen hoch zu wachsen. Er war hier, als die Tiere geboren wurden. Als die ersten Menschen kamen, war Aikarupata an Jahren gesehen schon ein Greis. Ihr seht also, Aikarupatas Wissen ist so alt wie die Welt. Die Menschen sahen in ihm den lebendigen Beweis für die Verbundenheit von Vergangenheit und Gegenwart. Aikarupatas graue Brocken berichteten von den Tagen, die einst waren. Sie sangen Lieder von Taten der ehemaligen Bewohner. Ehre deine Vorfahren, das verkörperte der Berg für die Menschen.

Viele erwünschten sich das Privileg, auf Aikarupata leben zu dürfen, doch der Weise hatte seine eigenen Gesetze. So mochte er die Tiere lieber als die Menschen und erlaubte ersteren auf ihm zu hausen. Den Menschen jedoch verwehrte er den Zutritt auf seinen Boden. Sie durften in seiner Nähe ihre Lager aufstellen, um ihre Lieder zu singen, denn ihre Musik hörte er gerne. Nur ganz wenigen Menschen gab Aikarupata jemals Ratschläge, denn sie waren ihm seit jeher suspekt gewesen. Er konnte nicht erkennen, wozu sie gut sein sollten. Jedes Lebewesen auf Mutter Erde hatte seinen Zweck, aber was wollte er mit diesen merkwürdigen Geschöpfen anfangen?

Aikarupata waren die Gesetze des Lebens heilig. Er lebte und wuchs mit Mutter Erde, ein endloser Zyklus aus Leben und Tod. Nichts währte ewig, nicht alles musste man immer verstehen. Dies war etwas, was ihn bei den Menschen verunsicherte. Sie mussten ihren Kindern erst beibringen, wie man mit dem Leben respektvoll umzugehen hatte. Die Tiere aber lebten Instinktiv so, wie es ihrer Natur entsprach.

Es kam der Tag, da spürte der Weise, dass nun seine Zeit gekommen war. Sein Herz war zum ersten Mal von einer ungewohnten Müdigkeit befallen. Aikarupata hatte dies bei seinen Bewohnern schon oft beobachtet. Er wusste, dass alles vergänglich war. Seine Tage waren gezählt und er war bereit, nach Hause zu gehen, die körperlichen Grenzen hinter sich zu lassen. Aikarupata hatte keine Angst vor dem "danach", denn er wusste, der Große Geist würde ihn tragen. Seine Sorge galt einzig seinen Kindern, welche über diese lange Zeit in seinem Schutz hatten wachsen können. Da der Berg wusste, dass er zu gehen hatte, schickte er all seine Bewohner fort, um diese letzte Zeit in stillem Gebet verbringen zu können.

Nach und nach verließen sie ihn alle. Zuerst flogen die Vögel davon, während Aikarupata ihnen mit leichter Wehmut nachblickte. Dann folgten die Wassertiere den Bächen hinab, verteilten sich in die Seen und Flüsse in seiner Umgebung. Mit ihnen gingen die Vierbeiner und die Insekten. Auch die Bäume und Pflanzen zogen sich langsam bis zu seinen Füßen zurück. Auf einmal versiegte das Wasser. Es fühlte sich seltsam an, so ganz ohne die Geräusche seiner Bewohner. Da aber sah Aikarupata, dass sich alle in seiner Nähe niedergelassen hatten. Sie wollten ihn bei seinem Abschied begleiten. Darüber war der Berg sehr glücklich. Was mehr konnte er sich vom Leben wünschen, als dass seine Freunde ihm bei seiner letzten Reise zur Seite stehen würden.

Sonne und Mond wechselten sich viele Male ab und noch immer ragte Aikarupata hoch in den Himmel hinauf. Nichts als nackter Stein war von ihm übrig geblieben und dennoch nahm der Strom von Bittstellern nicht ab. Menschen kamen in Massen, denn sie konnten sich eine Welt ohne den Steinriesen nicht vorstellen. Jeder von ihnen erhoffte sich eine Antwort vom wachenden Weisen, bevor er sie verlassen würde.

Unter den vielen Bittstellern befand sich auch ein junger Mann. Er kam von weither, um den Berg zu sehen. Aber anders als alle anderen war er nicht hier, um Aikarupata etwas zu fragen, sondern um ihm seinen Respekt zu zollen. Seine Mutter wuchs am Fuß des Berges auf, weshalb sie unzählige Legenden über Aikarupata kannte. Die Geschichten, die seine Mutter ihm erzählt hatte, waren dem jungen Mann heilig. Durch viele schwierige Entscheidungen seines Lebens hatten sie ihn geführt und große Träume in ihm geweckt. Deshalb war er gekommen, um dem Berg seine Dankbarkeit für dessen Vermächtnis auszudrücken. Denn ohne diese Geschichten wäre er heute nicht der, der er ist.

Mit nichts weiter als seiner Kleidung, einem Messer und seiner Flöte war er losgezogen. Während des ganzen Weges hierher hatte er sich den Kopf zerbrochen, wie man sich wohl am besten bei einem Berg wie Aikarupata bedanken konnte.

Als er schließlich zu dessen Füßen stand, war er so ratlos wie zuvor. So setzte er sich erst einmal auf einen Felsen, um sich auszuruhen. Die Luft war trocken. Aikarupata war selbst in der jetzigen Form noch größer und schöner, als seine Mutter ihn beschrieben hatte. Seine Spitze schien beinahe den wolkenfreien Himmel zu kitzeln, als würde er dem Großen Geist noch näher sein wollen. Der junge Mann konnte sich gut vorstellen hier zu leben. Ein endloses Meer aus Gras umschloss den Steinriesen. Wenn der Wind mit den Gräsern spielte, sah es aus, als würde es Wasser gleich am Felsen brechen. Der junge Mann schloss die Augen, um Aikarupatas Gegenwart in sich aufzunehmen. Doch die Entspannung wollte nicht kommen. Ein solch reger Betrieb herrschte rund um den Berg, dass an Ruhe nicht zu denken war. Wenn es ihm schon zu laut war, wie musste sich da erst Aikarupata fühlen? Da griff er in die Tasche und holte seine Flöte hervor. Sein Großvater hatte ihm beigebracht, dass die Flöte dort helfen konnte, wo Worte fehlen. Vielleicht könnte er dem Weisen mit seinem Spiel etwas Beruhigung schenken.

Der junge Mann begann zu spielen und er spielte wie nie zuvor. Er verfiel in eine tiefe Trance, wurde eins mit seiner Flöte. Fühlte, wie das Holz ob den Tönen vibrierte, lebendig wurde. Die Sonne versank am Horizont und bald war der Himmel erhellt vom Licht der Gestirne. Dennoch dachte der junge Mann nicht ans Aufhören. Er legte sein ganzes Herzblut in seinen Atem, vergaß dabei Raum und Zeit. Die ersten Sonnenstrahlen kitzelten bereits wieder sein Gesicht, als der junge Mann endlich aus seinem Spiel erwachte.

Stille hatte sich über den Berg und seine Umgebung gelegt. Sogar der Wind schwieg und dann, ganz leise, war eine tiefe Stimme zu hören.

"Flötenspieler", sagte da Aikarupata.

Groß war das Erstaunen beim jungen Mann, als der wachende Weise ihn ansprach.

"Aikarupata", antwortete er und neigte seinen Kopf respektvoll in dessen Richtung.

"Komm, setz dich eine Weile zu mir", meinte der Berg. Sogleich erschien im Stein ein schmaler Weg, der in die Höhe führte.

Langsam erhob sich der junge Mann. Vom langen Sitzen schmerzten seine Glieder und er fühlte sich noch leicht benommen. Doch es war unhöflich, einen Weisen lange warten zu lassen. Also hob der junge Mann seine Ledertasche auf, um sich schweigend auf den Weg nach oben zu machen. Lange folgte er dem Pfad, immer höher und höher, Biegung um Biegung. Die Sonne brannte heiß auf den nackten Felsen hinab, der Wind stand beharrlich still. Nach einer Weile zitterte der junge Mann vor Anstrengung am ganzen Leib. Aber aufgeben lag nicht in seiner Natur und so setzte er einen Fuß vor den anderen, bis er schließlich auf dem Gipfel ankam.

Ein einzelner Fels wuchs aus der Mitte und erschöpft setzte sich der junge Mann darauf. Die Luft hier oben war wundervoll erfrischend. Er fühlte sich dem Himmel näher als je zuvor. Verträumt ließ er seinen Blick über den Horizont schweifen, während sich sein erschöpfter Körper wieder erholte. Die ganze Zeit über war sich der Flötenspieler der großen Ehre bewusst, welche ihm hier zuteilwurde. Noch nie zuvor hatte er gehört, dass der Berg einem Menschen Zutritt auf seinen Leib gewährt hatte.

"Erzähl mir von deinem Leben, Menschenmann", erklang Aikarupatas körperlose Stimme von neuem.

Nur zu gerne kam der junge Mann der Aufforderung des Weisen nach. So begann er mit seiner Geschichte, als er ein kleiner Junge gewesen war. Er berichtete dem Berg von den Erzählungen, die seine Mutter ihm weitergegeben hatte. Wie sie damit die langen Winterabende ausgefüllt hatte. Oder wie ihn seine Mutter während der großen Sommergewitter mit Legenden über den Weisen hatte beruhigen können. "Hoksila"5, pflegte sie dann zu sagen, "hab keine Angst. Aikarupata ist stark und weise. Er wird den Himmel für uns halten, damit die Donnerwesen nicht auf den Boden fallen können."

Der Flötenspieler nahm Aikarupata mit auf seine Reisen vom Kind zum Mann. Mit leuchtenden Augen sprach er über seine erste Hanblechia6, seine Visionssuche, über die Traditionen seines Volkes und die Liebe zu seiner Familie. Er erklärte dem Berg, wie wichtig es für die Menschen war, das Leben mit Respekt zu behandeln, aber wie schwierig es manchmal sein konnte, gegen die eigenen Schatten ankämpfen zu müssen. Er schwärmte vom klaren Sternenhimmel genauso wie von den hellen Sonnenstrahlen.

Schweigend hörte Aikarupata zu. So hatte noch kein Mensch zu ihm gesprochen. Alle waren sie immer mit Fragen gekommen, in der Erwartung auf eine Antwort. Hier jedoch saß ein Mann, noch so jung an Jahren, der seinen Platz in der Welt kannte. Auch dank der Geschichten um ihn, den wachenden Weisen. Aikarupata war zutiefst beeindruckt. Gleichwohl, dass die Rasse der Menschen zu den jüngsten auf Mutter Erde zählte, begannen sie ihn trotz ihrer Absonderlichkeiten auf einmal zu faszinieren.

Er erkannte, dass der Mensch liebevoll und zerstörerisch zugleich sein konnte. Auf der anderen Seite konnte er auch gütig sein, seinen Respekt dem Leben gegenüber zeigen. Da erkannte Aikarupata das sensible Gleichgewicht zwischen den Menschen und Mutter Erde. Er wusste, dass die Menschen gekommen waren, um über die gütige Mutter zu wachen. Nun erkannte er einen Grund für die Existenz dieser Zweibeiner. Sie würden an seiner statt für das Land sorgen, es in Ehren halten und von ihm leben. Es sollte eine Verbindung werden, die alle Generationen mit einschließen wird. Aber waren sie dieser Aufgabe auch würdig?

Als der junge Mann mit seiner Erzählung am Ende angelangt war, stand die Mondfrau bereits wieder rund und voll am Himmel. Berg und Mensch betrachteten eine Weile den klaren Nachthimmel.

"Sag mir, Flötenspieler", fragte da Aikarupata in die Stille hinein, "was bedeutet dir diese Flöte in deiner Hand? Euch beide verbindet eine tiefe Harmonie, die ich gerne verstehen würde."

Der junge Mann fühlte sich geehrt, dass der Weise etwas von ihm lernen wollte. Deshalb überlegte er sich seine nächsten Worte genau, damit der Berg seine Sichtweise erfassen konnte.

"Wir wissen", begann er mit fester Stimme, "dass alles seinen Platz hat. Der Große Geist ist überall zu Hause. Die Erde hält uns so sicher wie eine Mutter ihr Kind. Alles ist voneinander abhängig, ist miteinander verwandt - Mitakuye Oyasin7. Die Flöte nennen wir Siyotanka8, denn sie war ein Geschenk vom Großen Geist an unsere Leute. Wir kennen viele Legenden dazu, eine will ich dir erzählen: Es gab einst einen verliebten jungen Mann. Er war so verliebt in eine junge Frau gewesen, dass ihm bei ihrem Anblick jedes Mal die Worte fehlten. Der Große Geist hatte ihn gesehen und Mitgefühl mit ihm empfunden. Damit der junge Mann trotzdem zu seiner Angebeteten sprechen konnte, hatte er einen Specht auf den Ast eines großen Baumes gesandt. Darunter hatte der junge Mann gesessen. Als nun der Wind durch den hohlen Ast wehte, entstand ein seltsames Geräusch. Der junge Mann hatte nie zuvor einen lieblicheren Klang gehört. Bald hatte er den hohlen Ast mit dem Specht entdeckt. Gleich darauf hatte der Specht begonnen, Löcher aus dem hohlen Ast zu picken. Mit jedem neuen Loch waren weitere Töne entstanden, obwohl der Wind stets gleich stark geblasen hatte. So also war der Mann auf den Baum geklettert, um den Ast vorsichtig abzubrechen. Ehe der Specht davongeflogen war, lehrte er den Mann, wie er die Flöte zu spielen hatte. Der Mann hatte sich beim Großen Geist für das Geschenk bedankt ebenso wie beim Specht, welcher die Löcher mit großem Geschick gepickt hatte. Als er nun wieder ins Lager zurückgekommen war, spielte er auf der Flöte für seine Angebetete. Er spielte von ganzem Herzen, so dass sie sich ebenfalls in ihn verliebte und ihn zum Mann nahm."

"Flötenspieler", meinte Aikarupata daraufhin, "nun wird mir einiges klar. Oft schon konnte ich beobachteten, wie Männer für eine Frau auf der Flöte gespielt haben."

Da musste der junge Mann lächeln. "Ja, unsere Frauen haben die Macht, Leben zu schenken, und so haben unsere Flöten die Macht, genau dies zu bezwecken, indem sie uns Männern helfen, eine Frau zu gewinnen. Denn die Stärke eines Mannes liegt nicht immer in seinen Worten. Oft verfallen wir sogar in betretenes Schweigen, wenn wir uns verlieben. Deshalb fertigen wir uns eine Flöte nur für unsere Angebetete und spielen für sie. Die Klänge einer Flöte können nicht lügen und unsere Frauen sind klug. Sie erkennen es gleich, wenn jemand sie nur aus Selbstsucht will. Bist du aber reinen Herzens, so kannst du mit deinem Spiel ihr Herz berühren und dann wird sie sich zu dir setzen."

Aikarupata schwieg und dachte nach. Wie seltsam, aber auch tiefgründig diese Menschen doch waren. Wäre er nicht so stur gewesen, er hätte sie gerne besser kennengelernt.

"Weißt du, für mich", meinte der Flötenspieler auf einmal, "repräsentiert die Flöte den mystischen Atem, der ein- und ausströmt. Dieser Atem ist wie der Fluss des Lebens, das Eintauchen der Seele in die Materie. So haben es mich meine Großeltern gelehrt und ich habe es nie angezweifelt. Wirklich verstanden jedoch habe ich es erst, als ich selbst spielte."

Der Weise dachte nach. Während er dies tat, konnte der Flötenspieler fühlen, wie die Achtung des Berges vor den Menschen um ein Vielfaches gewachsen war. Doch eine Sache wollte Aikarupata noch wissen. "Sag mir, Flötenspieler, was erwartest du von deinem Leben?"

Die Frage des Berges verblüffte und freute den jungen Mann gleichermaßen. "Eine liebe Frau, Freunde, genügend zu essen und viele Kinder, die mich zum Lachen bringen."

Aikarupata lachte leise. "Das sind bescheidene Wünsche, mein Freund."

Der junge Mann musste ebenfalls lachen. "Das mag sein. Wenn ich jedoch daran denke, dass jeder Tag, an dem ich lebe, ein Geschenk ist, was mehr kann ich mir da wünschen? Außer dass ich dieses Glück vielleicht eines Tages an meine Kinder weitergeben kann."

"Kinder", sagte der Berg leise. "Sag mir, Flötenspieler, wenn du gehen musst, wer sorgt dann für deine Kinder?"

"Meine Leute", antwortete der junge Mann ohne Zögern. "Kinder sind unsere Zukunft und von ihnen kann man eine Menge lernen. Ihr Lachen und ihre Neugierde erinnern uns daran, dass wir im Vergleich zum Großen Geist alle Kinder sind." Der junge Mann hob die Flöte vor sein Gesicht, betrachtete sie fasziniert. "Ich glaube, deshalb hat der Große Geist uns die Flöte zum Geschenk gemacht."

Nachdem der junge Mann gesprochen hatte, seufzte Aikarupata erleichtert. Er hatte beschlossen, den Menschen ein großes Geschenk zu machen, denn nun hatte er Gewissheit und konnte in Ruhe gehen, ohne sich um seine vielen Kinder sorgen zu müssen. Von jetzt an würden die Menschen aufpassen. Sie waren, trotz ihrer Absonderlichkeiten, gute Wesen. Und vielleicht war gerade dies ihre größte Stärke, dass sie ihre Einheit mit dem Universum erst selbst erkennen mussten. Denn den Frieden im Herzen, das wusste Aikarupata, konnte man sich nur selbst geben. Müdigkeit und Erschöpfung ließen den Berg leise grollen, und es schien, als würde er sich behaglich einkuscheln, um zu schlafen.

Der junge Mann wusste, dass Aikarupatas Zeit nun gekommen war. Er war erfüllt von tiefer Dankbarkeit, dass er diese letzten, kurzen Augenblicke im langen Leben des Weisen miterleben durfte.

"Flötenspieler", murmelte da der Berg, "würdest du noch einmal etwas für mich spielen?"

Abermals hob der junge Mann seine Flöte an die Lippen, begann zu spielen. Er wurde ein Teil des Liedes, flog mit den Tönen durch die Luft. Der junge Mann dachte an seine Familie, die Geschichten über Aikarupata und die geführten Gespräche mit dem wachenden Weisen. In seinem Herzen fühlte er eine tiefe Zufriedenheit und diese Gefühle ließ er in seine Flöte fließen. Der Wind trug seine Klänge weit davon, hoch gen Himmel zu den Geflügelten, tief hinab zur Erde, wo sie sich um die Lager der Menschen und Vierbeiner schlängelten. Von all dem merkte der Flötenspieler nicht viel. Unter sich konnte er den Berg grollen hören. Der Herzschlag wurde leiser, der Berg kleiner. Er fühlte diesen erzittern, aber niemals unterbrach er sein Spiel, denn er wusste, Aikarupata würde nicht zulassen, dass ihm etwas geschah.

Und so schied Aikarupata, der wachende Weise, dahin. Als seine körperliche Hülle langsam in sich zusammenfiel, teilte sich seine Seele in sieben kleine Steine auf und Aikarupata hörte auf zu sein, wer er war. Er wurde "neu" geboren und die sieben Steine ließen sich in den sieben sakralen Plätzen der He Sapa9 nieder. Jeder dieser Plätze enthält einen Teil der Weisheit Aikarupatas. Sie sind sein Erbe, sein Geschenk an die Menschen, ebenso wie Orte, an denen Gebete erhört werden. Sie sind älter als alt20 und um sein zu können, wofür sie geschaffen wurden, brauchen sie Schutz. Und diese ehrenvolle Aufgabe hat Aikarupata an die Menschen dort übertragen.

Die Legenden erzählen, dass Aikarupata sich in Wirklichkeit sogar in acht Steine geteilt hat. Der achte Stein war ein kümmerliches, winziges Stück, unschön anzusehen, doch in ihm wohnte eine Kraft, die unvergleichbar war. Dieser achte Stein war das Herz Aikarupatas gewesen. Aus ihm ist der Berg emporgewachsen über viele Jahrtausende hinweg. Und dieses kleine Steinchen landete im Herzen des Flötenspielers, von wo aus es in den Herzen seiner Kinder und deren Kinder weiterwuchs bis zum heutigen Tage. So wurde aus dem jungen Mann ein weiser Mann, der später sogar den Namen "Freund der Steine" tragen sollte. Der Flötenspieler wurde ein großzügiger Mensch, der alles teilte, was er besaß. Dennoch mangelte es ihm nie an etwas, denn in seinem Herzen wohnte ein Teil des Lebens. Genau wie in den Herzen aller Wesen.

Himmel küsst Erde

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