Читать книгу Selbstbewusst ist das neue Sexy - Sophia Faßnacht - Страница 7
ОглавлениеDu bist das schönste Geschenk
Das schönste und größte Geschenk, das du dieser Welt machen kannst, ist, du selbst zu sein. Selbstbewusst zu sein. Nichts ist kraftvoller, nichts befreiender, als dir deiner selbst bewusst zu werden. Ein Gespür dafür zu bekommen, wer du bist, wer du vielleicht werden möchtest – im Rahmen deiner dir gegebenen Möglichkeiten. Frei zu entscheiden, ob du mit dem Du, das du gerade in diesem Moment im Spiegel siehst, dem Ich, das du in deiner Innenwelt spüren kannst, vollkommen zufrieden bist, es annehmen kannst, so, wie es sich im Moment zeigt. Du selbst zu sein, ganz gleich, ob du vielleicht spürst, dass du etwas ändern möchtest. Zu wissen, dass da Potenzial ist auf deinem Weg zu einem selbstbewussteren Menschen. Ein Potenzial, das du noch nicht ausgeschöpft hast, das aber darauf wartet, entdeckt zu werden. Das auf dich wartet.
Der Weg zu einem gesunden, selbstbewussten Leben führt über die Annahme dessen, was du gerade bist – egal, wo du momentan in deinem Leben stehst. Ob du beruflich erfolgreich bist oder dich in vielen Bereichen ungesehen fühlst, ob dich andere Menschen viele Male verletzt haben oder ob du mit Komplimenten überschüttet wirst, ob du in einer Liebesbeziehung bist oder Dauersingle – und auch, ob du eine »Size Zero«, mollig oder dick bist.
Egal, was sich dir gerade in deinem Leben zeigt, was andere über dich denken und sagen mögen: Du für dich kannst die Entscheidung treffen, dass das, was dich ausmacht, was dir Wert verleiht, unabhängig von all den äußeren Faktoren ist, die man dir vielleicht als »lebensnotwendig« verkauft hat. Von denen du vielleicht dachtest, sie würden dich glücklich machen, wenn du sie nur endlich besitzen würdest.
Was wirklich wichtig ist, ist dein eigenes Gefühl von Wert und von Liebe zu dir selbst. Dieses Ja zu dir selbst zu stärken, davon handelt dieses Buch. Es handelt davon, ein »Ja« zu dir und deiner Einzigartigkeit auszusprechen – ein »Ja« zu deinem Körper, ein »Ja« zu deinem Wert, der durch nichts auf dieser Welt infrage gestellt werden sollte.
So, einmal tief durchatmen. Natürlich ist hier ein mentaler Fallstrick versteckt. Denn dieses »Du-selbst-Sein« ist gar nicht so leicht, wie es sich anhört. Weil das, was wir über uns denken und empfinden, was uns von außen gespiegelt wird, oft nicht besonders liebevoll ist. Weil man uns immer wieder erzählt hat, dass mit uns etwas nicht stimmt. Weil wir irgendwann angefangen haben, es auch zu glauben. Weil ganze Industrien darauf aufgebaut sind, uns zu erzählen, dass wir nur schöner, schlanker oder erfolgreicher sein müssten, um endlich erfüllte und zufriedene Menschen zu werden. Weil die Zeitschrift, die neben uns liegt, uns vielleicht weismachen will, dass wir eben nicht wir selbst sein sollen, sondern möglichst etwas verändern müssen, damit wir endlich, endlich glücklich und zufrieden sind.
Und selbst dieses Glücklichsein wird uns als Konzept aufgedrängt. Denn leider wird der »Body-Positivity-Trend« auch oft so verstanden: Wenn wir mit dem Körper, den Voraussetzungen, die wir eben mitbringen, nicht über alle Maßen zufrieden sind und etwas verändern wollen, stimmt auch schon wieder etwas nicht mit uns.
»Sei gefälligst zufrieden mit dir und in ständiger Zen-Haltung«, wird uns suggeriert. Aber wie soll das gehen – bei all dem Druck? Egal, was wir zu sein versuchen, irgendetwas hängt dauernd schief, irgendetwas ziept immer.
Tief in unserem Inneren haben wir Menschen – und zwar alle – zwei grundlegende Bedürfnisse: Wir wollen wir selbst sein, also autonom sein. Und: Wir wollen Teil des Ganzen, der Gemeinschaft sein, uns also verbinden. Diese beiden Bedürfnisse können zu einem großen inneren Konflikt führen. Besonders dann, wenn uns die Gemeinschaft sagt, dass wir so, wie wir sind, nicht richtig sind. Und das kann so weit gehen, dass wir glauben, mit uns sei etwas grundlegend falsch. Der Druck, anders sein zu müssen, scheint mittlerweile unser ständiger Begleiter zu sein.
Vergiss die Sache mit dem Glück vielleicht einfach mal für einen Moment. Vielleicht hast du die Worte »Du selbst sein in einer Welt, die dir ständig vermittelt, ein anderer sein zu müssen, ist ein revolutionärer Akt« schon einmal irgendwo gelesen. Und ja – du selbst zu sein in einer Welt, die dir weismachen will, dass mit dir etwas nicht stimmt, ist wahrlich ein revolutionärer Akt.
Und Revolutionen – so wissen wir aus der Zeitgeschichte – sind nicht leicht umzusetzen, und sie sind auch oft mit Anstrengung verbunden.
Nimm den Druck raus! Hier will dir keiner erzählen, dass du von heute auf morgen dein allerbester Freund sein musst. Jede Revolution verläuft anders. Dein Weg zur Freiheit ist so individuell wie du selbst. Aber – und da sind wir wieder bei der Gemeinschaft – wir können die Revolution auch zusammen gestalten.
Konkret heißt das erst mal: Sei unglücklich, wenn du gerade unglücklich bist. Sei ängstlich, wenn du gerade ängstlich bist. Sei alles, was du gerade fühlst. Auch wenn sich das erst einmal seltsam anhören mag. Aber du selbst zu sein heißt wirklich, du zu sein, mit allem, was da gerade da ist. Auch wenn du im Moment fürchterlich unzufrieden bist, auch wenn die Gefühle, die du mit dir herumträgst, ganz schwer zu ertragen sind. Auch wenn du deinem Hüftspeck gerade nichts Positives abgewinnen kannst: Der erste Schritt zu einem selbstbewussteren Leben ist, dir selbst zu zeigen, dass du dich mit allem, was dich ausmacht, was du bist, auch mit all deinen Anstrengungen siehst, erkennst – und anerkennst.
»BODY-POSITIVE«
zu sein ist schon fast wieder zu einem Privileg geworden. »Jetzt sei doch mal zufrieden mit deinem Körper und dir selbst.« Mit Betonung auf
JETZT.
Nun – und da wollen wir ganz ehrlich sein – ist es leicht zu sagen, man sei »body-positive«, wenn das Äußere einem medialen oder gesellschaftlichen Idealbild ohnehin schon sehr nahe kommt. Etwas breitere Hüften zu haben wäre für viele Menschen, die deutlich sichtbare »Einschränkungen« hinnehmen müssen, mit Sicherheit ein geringes Übel. Das soll nicht heißen, dass ein negatives Selbstbild eines Menschen als unwichtig abgetan werden sollte, à la: »Es gibt Menschen, denen geht es deutlich schlechter als dir.« Es ist nur wichtig, den Body-Positivity-Trend differenziert zu betrachten. Es ist wichtig, zu verdeutlichen: »Body-Positive« zu sein ist für jeden etwas anderes – und es ist schwer und mitunter eine lebenslange Herausforderung, sich immer wieder dafür zu entscheiden, mit sich im Reinen zu sein, gerade dann, wenn man häufig mit Ablehnung von außen konfrontiert ist. Es ist für manche Menschen schlichtweg nicht leicht, sich selbst anzunehmen, wenn sie stark übergewichtig sind und ständig angestarrt werden. Es ist auch nicht leicht, sich anzunehmen, wenn man nach einer Krebserkrankung eine Brust amputiert bekommen hat. Und es nicht leicht zu ertragen, aufgrund seiner Hautfarbe in seinem Alltagsleben diskriminiert zu werden.
Die Body-Positivity-Bewegung muss und sollte nicht zu einem seichten Trend werden. Sie sollte jeden Menschen einschließen – und darf niemand ausschließen. Jeder Mensch hat das Recht, gleich – und das heißt gleich gut – behandelt zu werden, unabhängig von seiner äußeren Erscheinungsform. Dazu gehört auch zu erwähnen, dass der Umkehrschluss, dicke Frauen zu glorifizieren und dünne Frauen gleichzeitig als »Klappergestell« zu degradieren, höchstens frauenfeindlich ist – und sicher nicht dem Ziel der Body-AktivistInnen dient. Body-Positivity sollte immer antidiskriminierend sein.
Dieses Buch will also keinen Druck erzeugen in einer Welt, in der wir ohnehin ständig dem Druck nach Perfektion ausgesetzt sind. Nein, du MUSST dich nicht sofort lieben, du MUSST nicht auf der Stelle vollkommen zufrieden mit dir und deinem Körper sein, du MUSST nicht so tun, als könnten dir Verletzungen und Mobbing nichts anhaben. Genau das ist der Punkt: Du musst gar nichts. Das Einzige, was du vielleicht tun musst, ist, erst einmal nichts zu tun – du darfst einfach nur du selbst sein. Der Schritt zu größerer Selbstakzeptanz ist zunächst also viel mehr eine Entscheidung als die Suche nach einem augenblicklichen Ergebnis. Eine Entscheidung, so bewusst und liebevoll mit dir umzugehen, wie es eben in diesem Moment für dich möglich ist. Und auch ein klitzekleiner Schritt in Richtung dieser Entscheidung ist ein wichtiger Schritt.
In dieser ersten, bewussten Entscheidung, dich so weit, wie du gerade kannst, anzunehmen, liegt der erste Schritt zu einem neuen Selbst(-Bewusstsein). Auch mit einem kleinen Schritt wird ein Weg zu einem selbstbewussteren und letztlich selbstbestimmteren Leben geebnet werden. Du kannst lernen, dich wertzuschätzen, und du kannst sofort damit beginnen – mit all deinen sogenannten Makeln, mit deinen Sorgen und auch deinen Wünschen nach Veränderung. Mit deinem Gefühl, nicht dazuzugehören. Deiner Unsicherheit, weil du vielleicht einem bestimmten, von der Gesellschaft vorgegebenem Körperideal nicht entsprichst. Mit deinem Gefühl, anders – und somit »falsch« – zu sein.
Der Weg zu einem selbstbewussteren Leben führt zuallererst zum Verständnis darüber, wo du gerade stehst. Vielleicht gibt es schon vieles, was du an dir magst, und das ist wunderbar. Vielleicht kannst du dich einfach noch nicht gern haben, vielleicht sitzen deine Verletzungen sehr tief. Aber der erste Schritt, zu dem dich dieses Buch ermutigen will, ist, dass du eine Vision von einem zukünftigen Selbst haben darfst, dass du ein Gefühl davon zulässt, dass es wertvoll ist. Und dass du für diesen Wert nichts, wirklich nichts tun musst. Weil du mit all dem, was du bist, in all deiner Einzigartigkeit wertvoll bist. Und du nichts tun musst, um diesen Wert zu erlangen, weil dein größtes Geschenk an diese Welt ist, du selbst zu sein. Der Weg zu einem selbstbewussteren Leben beginnt genau jetzt in diesem Moment.
Schön, schöner, am schönsten – oder welchen Einfluss Schönheitsideale auf unser Selbstbewusstsein nehmen
Der Po ist zu flach, das Gesicht zu faltig, die Nase zu groß, die Beine zu kurz, die Haare zu dünn, die Brüste zu klein, die Arme zu behaart, die Lippen zu schmal, die Oberschenkel zu unförmig, die Schwangerschaftsstreifen zu auffällig, der Bauch zu schwabbelig, die Fingernägel zu brüchig, die Augenbrauen nicht buschig genug, und die Augen, die sitzen irgendwie auch zu nah beieinander.
Kommt dir eine dieser Aussagen bekannt vor? Diese Liste der »körperlichen Unzufriedenheiten« könnte man bis ins Unendliche weiterführen. Wir alle standen schon einige bis unzählige Male vor dem Spiegel und haben uns für unsere angeblichen Makel kritisiert. Wir alle haben Gespräche mit Freundinnen geführt, in der sie uns von einer für sie schrecklich auffälligen Un-Perfektion in einer Art und Weise erzählten, als seien sie das Monster von Loch Ness höchstpersönlich. Und wir, die wir unsere Freundin lieben und bisher nicht für ein schreckliches Unterwasserungeheuer gehalten haben, sitzen da vielleicht und versichern ihr: »Nein, wirklich. Du hast keine riesigen Monsterzähne. Und dein Hals ist auch nicht zu lang. Ich finde dich eigentlich ganz schön. Ziemlich schön sogar.«
Ja, wir kennen das: Während der Blick auf die Menschen, die uns etwas bedeuten, oftmals ein sehr liebevoller ist, der wirklich ganz und gar keine Hässlichkeit erkennen kann, gehen wir mit uns selbst so hart ins Gericht, als säßen wir wegen eines schweren Vergehens auf der Anklagebank, wegen des »Verstoßes gegen das Schönheitsidealgesetz«. Geforderte Strafe: »Schämen solltest du dich.« Nun, das mag überspitzt klingen, aber wenn man sich die harten, »schönen« Fakten ansieht, sind es gerade Frauen, das sogenannte schöne Geschlecht, die mit ihrem Körper hadern, beim Blick in den Spiegel Makel erkennen und glauben, sie müssten etwas an ihrem Äußeren verändern, müssten einem bestimmten Ideal entsprechen, um sich und der Welt da draußen besser zu gefallen.
Dass Frauen mit ihrem Äußeren unzufrieden sind, ist nicht mehr die Ausnahme, sondern zum absoluten Standard geworden. Viele Frauen stehen mit ihrem Aussehen auf Kriegsfuß oder fühlen sich – an den heutigen Schönheitsidealen gemessen –, gelinde gesagt, einfach noch nicht »schön genug«. Umfragewerte rund um das Thema Schönheit sprechen für sich:
Gerade einmal zehn Prozent der deutschen Frauen würden sich selbst als schön bezeichnen. Ganze 72 Prozent wären gern schlanker, so eine Umfrage der Marplan Forschungsgesellschaft mit über 10.000 Befragten. Und auch vor Kindern macht der Schönheits- und Schlankheitswahn nicht halt. Jedes zweite deutsche elfjährige Mädchen gibt an, sich zu dick zu fühlen. Laut einer Umfrage des Robert Koch-Instituts liegt bei etwa einem Fünftel aller Elf- bis 17-Jährigen der Verdacht auf eine Essstörung vor. Jedes dritte Mädchen zwischen 14 und 17 Jahren zeigt Auffälligkeiten im Essverhalten, bei Jungen sind es 13,5 Prozent. Die verspürte Last, dem Ideal einer perfekten Schönheit entsprechen zu müssen, sehen viele Frauen von den Medien ausgelöst: 46 Prozent fühlen sich von den Bildern der Models, die sie Tag für Tag auf großen Werbeplakaten, im Internet oder im Fernsehen sehen, immens unter Druck gesetzt.
Wer schön ist, so scheint die Schlussfolgerung, der lebt auch ein einfacheres, ein glücklicheres Leben. Die Heil bringende Antwort auf ein Gefühl der Minderwertigkeit liefert für viele eine Industrie, die jährlich Milliarden mit dem Konzept »Schönheit« umsetzt: Wer sich heute dafür entscheidet, mit Produkten und Dienstleistungen rund um das Thema Geld zu verdienen, lebt in wahrhaft guten Zeiten. Denn die Schönheitsindustrie boomt wie noch nie zuvor. 53 Milliarden Dollar werden weltweit jährlich für sogenannte Cover-up-Kosmetik, also Produkte rund um Augen, Gesicht, Lippen und Nägel, ausgegeben. Allein die Deutschen zahlten im Jahr 2016 rund 1,84 Milliarden Euro für »dekorative Kosmetik«. Das macht eine monatliche Pro-Kopf-Ausgabe von etwa 110 Euro. Nun bitte nicht falsch verstehen: Hier soll nicht bewertet werden, dass sich Frauen gern hübsch machen, sich um sich sorgen und sich Gutes tun wollen. Das tun wir alle gern, ob es nun mit dekorativer Kosmetik oder anderen Pflegemaßnahmen stattfindet. Aber der Unterschied zwischen der Motivation »Ich unterstreiche meine Schönheit«, die davon ausgeht, dass wir alle etwas Schönes und Einzigartiges besitzen, und »Ich bin nur schön, wenn ich mich (über-)schminke«, liegt klar auf der Hand.
Wer noch mehr für die Schönheit tun will, der greift immer häufiger zu drastischeren Maßnahmen: Operative Eingriffe und die plastische Chirurgie sind mittlerweile kein Tabu mehr, sondern gesellschaftsfähig geworden: Rund 23 Millionen chirurgische und nicht chirurgische Eingriffe werden jährlich durchgeführt. Meist sind es auch hier Frauen, nämlich 80 Prozent, die sich für die Schönheit das Fett absaugen, die Augenfalten mit Botox unterspritzen oder die Brüste vergrößern lassen. Zwar ist auch beim männlichen Geschlecht eine steigende Bereitschaft zu Schönheitseingriffen zu verzeichnen, aber mit 17,5 Prozent ist der Anteil der Männer, die sich dafür entscheiden, dennoch merklich geringer. Schönheit ist also ein Riesenthema. Das heutige Ideal von Frauen sieht in den meisten Köpfen so aus, wie es uns durch die Bilder der Models auf den Plakaten eingeimpft wird: schlank, hellhäutig, aber gebräunt, lange Haare, große Augen, kleine Nase, volle Lippen, hohe Wangenknochen, blitzweiße Zähne, unbehaart, mit runden, stehenden Brüsten und einem möglichst knackigen Po.
Was wir beim Anblick dieser »Überwesen« aus den Werbeplakaten und Modezeitschriften vergessen, ist, dass selbst Models im Normalfall nicht so aussehen, wie sie auf diesen Bildern wirken. Was noch nicht dem Idealbild entspricht, wird per Photoshop und Co. ideal gemacht. Was in unseren Köpfen geschieht, ist das, was man eine »mediale Gewöhnung« nennt. Bilder, die wir unablässig sehen, führen zu einem Gewöhnungseffekt. Obwohl also der Körper eines Models für eine Frau mit einer durchschnittlichen Statur, wenn überhaupt, oft nur mit größter Anstrengung und Entbehrungen erreicht werden kann, weil er im Schnitt 20 Prozent dünner ist als der von Frauen mit Normalgewicht – und weil der Körper blutjunger Models oft wenig mit den Maßen einer erwachsenen Frau zu tun hat –, beginnen wir zu glauben, dass das Extrem normativ ist. Also das zeigt, was wir gesellschaftlich als Norm betrachten. Die Maße 90–60–90, die man über viele Jahre so gern als Körperideal bezeichnet hat, sind für erwachsene Frauenkörper tatsächlich eine extreme Seltenheit. Denn während bei der Brust der reale Umfang einer erwachsenen Frau tatsächlich 90 Zentimetern entsprechen könnte, spiegeln die Maße 60 und 90 bei Taillen- und Hüftumfang eher den Durchschnittswert eines jugendlichen Mädchens wider.
Was haben diese unrealistischen Ideale mit unserem Selbstwert gemacht, und wie weitreichend sind die Folgen? Auch hier sind die Ergebnisse alarmierend und zeigen, wie dringend ein Umdenken nötig ist.
Der »Dove Beauty Confidence Report« aus dem Jahre 2016 zeigt, dass der Selbstwert von Frauen weltweit stetig abnimmt. 86 Prozent der Frauen in Deutschland gaben an, aufgrund eines negativen Selbstbildes bereits soziale Aktivitäten gemieden und sich freiwillig isoliert zu haben. Bei 91 Prozent der Frauen hat ihr negatives Körperbild dazu geführt, dass sie bereits auf Nahrung verzichtet oder ihre Gesundheit durch andere Maßnahmen gefährdet haben. Dass ein negatives Selbstbild über die Körperwahrnehmung hinaus tief ins Seelenleben eingreift, zeigt die Aussage, dass sechs von zehn Frauen den Druck verspüren, keine Schwäche zeigen zu dürfen. »Immer perfekt sein zu müssen«, das ist es, was viele von uns tagtäglich spüren. Nun wissen die meisten Frauen (72 Prozent) laut dieser Studie aber auch, dass die Ideale, die von den Medien kommuniziert werden, unrealistisch sind, und wünschen sich eine Veränderung, um den Druck nach Schönheit aufzulockern. Die Body-Positivity-Bewegung ist hierbei ein wichtiger Schlüsselfaktor. Denn der Ruf nach einer Welt, in der sich Frauen sich selbst und ihrem Körper liebevoll zuwenden können, ohne in eine Schablone gezwängt zu werden, wird immer lauter. Wer sich über viele Jahre an hohen Maßstäben orientieren musste, beginnt nun, sich immer mehr dem Druck von aufoktroyierten Idealen zu widersetzen. Obwohl die sozialen Medien natürlich auch ein Ort sind, in denen das Ideal vom perfekten Körper propagiert wird, hat sich durch die Demokratisierung der Mode- und Medienwelt durch die Digitalisierung auch eine neue Diversität herausgebildet.
Viele Menschen beginnen, sich gegen ein vordiktiertes Ideal zu wehren. Sie wollen sie selbst sein dürfen. Die Individualisierung kommt also langsam auch bei unseren Körperidealen an. Wir selbst werden Herr oder Herrin unseres Wertes – und lassen keine Industrie, keine Medien und keine anderen Menschen darüber bestimmen. Die Botschaft der Body-Positivity-Bewegung ist:
DU BIST SCHÖN,
weil du wertvoll bist. Und nicht wertvoll, weil du schön bist.
Bin ich schön?
Kommt ganz darauf an, in welcher Epoche du fragst. Vielleicht muss man ein wenig in die Vergangenheit reisen, um sich dem Begriff Schönheit von einem erfrischenden Standpunkt aus zu nähern und sie ein wenig von der starken Fokussierung auf ein heutiges Ideal zu lösen. Denn die Schönheit »von heute« ist nicht unbedingt die Schönheit »von früher«.
Wenden wir uns, bevor wir uns später wieder mit den heutigen Schönheitsidealen und der Body-Positivity-Bewegung beschäftigen, zuerst der Vergangenheit zu und tauchen ein wenig in die Geschichte der Schönheit ein. Die Suche danach, Schönheit zu begreifen, ist wohl so alt wie die Existenz des Menschen selbst. »Schön ist eigentlich alles, was man mit Liebe betrachtet«, sagte der Dichter Christian Morgenstern, was sich sehr idealistisch und romantisiert anhören mag. Doch wenn man sich bei der Frage danach, was die ideale Schönheit eigentlich ist, auf Spurensuche begibt, zeigt sich in der Zeitgeschichte ein Bild der Diversität. Schönheit hat eben tausend Gesichter …
DIE ÄGYPTER
Im alten Ägypten, in einer Zeit vor mehr als 5000 Jahren, herrschten ironischerweise ähnliche Schönheitsideale wie heute. Man könnte sagen, die alten Ägypter waren, was Schönheitspflege anbelangt, ziemliche »Pros«. Schlank, haarlos und möglichst top-gestylt galt im alten Ägypten als absolut »en vogue«. Wie sich auf zahlreichen Gemälden oder Reliefs zeigt, wurden die Frauen meist mit langen Haaren, feinen Gesichtszügen, großen, ausdrucksstarken Augen, schmalen Hand- und Fußgelenken und feinen Fingern abgebildet. Im Gegensatz zu alten indischen oder asiatischen Abbildungen von Frauenkörpern wurden in Ägypten keine üppigen Brüste und breiten Hüften gezeigt, die körperlichen Merkmale zeichneten sich ab, waren aber dennoch eher subtil und grazil. Geradezu besessen ging man im ägyptischen Reich mit der Körperpflege um: Schonungslos wurde auch das noch so kleinste Haar von Mann und Frau abrasiert und gezupft, der enthaarte Körper anschließend gebadet. Seife war damals noch nicht bekannt, deshalb mussten sich die Ägypter mit ziemlich hartem, aber dennoch höchst wirksamem Zeug wie Natron, Asche und Soda im Nil baden. Übrigens: Die Männer im alten Ägypten würde man heute wahrscheinlich als »metrosexuell« bezeichnen: Ein gut geschminktes Gesicht war für beide Geschlechter ein Ausdruck von hohem sozialem Rang, und ein gut ausgestatteter Kulturbeutel gehörte in den Schrank eines jeden ägyptischen Mannes – und war ganz und gar kein Zeichen von Unmännlichkeit.
DIE GRIECHEN
Nicht für alle Kulturen war Schönheit allein mit dem Körper verbunden. Die alten Griechen zum Beispiel verstanden unter dem Begriff Schönheit eher ein universelles Gesamtkonzept. Das Wort Kosmetik leitet sich vom altgriechischen Wort »kosmos« ab, was, je nach Kontext, Welt, Weltall, Schönheit, Schmuck und Glanz, aber auch Ordnung bedeuten kann. Alles, was existiert, also alle Abbilder des Kosmos, der universalen Ordnung, gehörten für die alten Griechen zum Bereich des Schönen. Die Schönheit war fast immer mit anderen Eigenschaften als mit der reinen Ästhetik assoziiert. Auf die Frage, nach welchem Kriterium Schönheit zu bewerten sei, sagte das Orakel von Delphi der Legende nach: »Das Richtigste ist das Schönste.« Denn die Schönheit war bei den alten Griechen nicht nur mit sinnlich wahrnehmbaren Reizen verknüpft, sondern vor allem auch mit dem sogenannten Auge des Geistes zu erfassen, das die Seele und die charakterlichen Merkmale eines Menschen mit einschließt. Die körperliche Schönheit hatte bei den alten Griechen kein Alleinstellungsmerkmal, keinen höheren Stellenwert als die Schönheit, die durch die Künste, wie Malerei oder Musik, oder durch die Schönheit der Natur zum Ausdruck kommt.
DIE RÖMER
Die Römer waren – sagen wir es mal, wie es ist – ein klein bisschen eklig, wenn es um ihre Schönheitspflege ging. Weil man ja irgendwie immer das will, was man nicht hat, wollten die Männer in Rom um 50 vor Christus also nicht mehr schwarze, sondern blonde Haare haben. Pissgelb, um genauer zu sein. (Man ahnt schon, welchen Bezug das »eklig« haben könnte). Weil die Römer also aussehen wollten wie die Germanen – die das damalige Schönheitsideal verkörperten –, färbten sie sich ihre Haare mit Urin und anderen ätzenden Flüssigkeiten.
Die Frauen in der Antike hatten möglichst schlank und anmutig auszusehen, »weißer als Elfenbein« zu sein, während die Männer gut proportioniert und muskelgestählt daherkommen sollten. Wie die Ägypter standen auch die Menschen in Rom auf enthaarte Körper. Mit einem Brei aus Zucker, Zitrone, Öl und Harz riss man sich die vorhandenen Haare vom Leib. Weil weiß und blond scheinbar wirklich sehr »in« waren (die Römer schienen eine leichte Germanen-Fixierung gehabt zu haben), schmierten sich die Frauen als Make-up eine Art Kreidegemisch ins Gesicht, um ihre Haut möglichst hell aussehen zu lassen. Die dekorative Kosmetik, also Lippenfarbe und Lidstriche, wurde in Rom aus kleinen Pulverfässchen gemeinsam mit Öl und Speichel zu Pasten verrührt. Übrigens: Die Schönheitschirurgie war auch den Römern nicht fremd. So legte sich der ein oder andere bei Entstellungen an Ohren, Lippen oder Nase unters Messer. Allerdings waren diese Eingriffe mit erheblichen Risiken verbunden …
DAS MITTELALTER
Im Mittelalter war der schön, dessen Haut noch nicht von Pestbeulen überzogen war. Nun, ganz so extrem war es vielleicht auch wieder nicht, das Mittelalter reichte ja schließlich vom sechsten bis ins 15. Jahrhundert. »Putzsucht«, also das Bedürfnis, sich schön zu machen, war bei den Rittern, Mägden und Gauklern unter dem christlichen Einfluss allerdings verpönt. Trotzdem hatte man ziemlich genaue Vorstellungen von Schönheit: Der Bauch einer Frau durfte ruhig etwas mehr sein, während große Brüste ein absolutes No-Go waren. Ein großer Vorbau galt im Mittelalter nämlich als Zeichen für einen niedrigen Stand. Die Kleine-Brüste-Obsession ging sogar so weit, dass den Mädchen im mittelalterlichen Spanien ab dem sechsten Lebensjahr die Brüste abgeschnürt wurden. In Sachen »Ekelfaktor« stand man den Römern übrigens in nichts nach: Auch ein Gemisch aus Essig und Taubenmist sollte die weibliche Brust davon abhalten, zu üppig zu werden. Urgh! Allerdings: Hätten die Damen im Mittelalter gewusst, dass sich die Frauen der Zukunft einmal für viel Geld unters Messer legen würden, um genau den gegenteiligen Effekt zu erzielen, hätten sie uns womöglich auch für verrückt erklärt.
RENAISSANCE, BAROCK UND ROKOKO
In der Renaissance zupften sich die Frauen für das aktuelle Schönheitsideal sogar den Haaransatz aus. Ja, richtig gehört: den Haaransatz. Autsch. Denn in der Renaissance galt das »Kindchenschema« als besonders vorteilhaft. Große Augen, kleine Köpfe, hohe Stirn und ähm, ja: ein Doppelkinn. Männer wie auch Frauen ließen sich die Haare lang wachsen und zu goldblonden Engelslöckchen aufdrehen. Die Haut galt schneeweiß als besonders schön, die Augen sollten hingegen dunkelbraun sein. Die Renaissance hat allerdings eines der berühmtesten Werke der Kunstgeschichte hervorgebracht, das auch heute noch als ein Sinnbild für Schönheit gefeiert wird: Sandro Botticellis »Geburt der Venus«. Was im Mittelalter noch »so not« war, wurde im Barock zu »oh, so hot«. Wir alle kennen sie: die Bilder der berühmten Rubensfrauen. Füllige und üppige Frauenkörper, die in ihrer ganzen Pracht gefeiert wurden. Ab Mitte des 17. Jahrhunderts mussten die Frauen ihren Körper allerdings schon wieder in Korsetts zwingen, denn eine »Sanduhr-Figur« war nun angesagt. Dieses Ideal hielt dann zumindest einmal für drei Jahrhunderte – mit Ausnahme eines einzigen Jahrzehnts im 19. Jahrhundert. Die Haut wurde unter einer dicken Schicht weißen Puders versteckt und die Haare von Männern und Frauen in gepuderten und parfümierten Perücken zur Schau gestellt.
DER BIEDERMEIER
Um 1830 begann das Biedermeier-Zeitalter. Und dieses leitete eine neue Ära ein. Denn im Bürgertum wurden Frauen zum alleinigen »schönen Geschlecht«. Während sich Frau in Korsetts zu zwängen hatte und dabei möglichst schmale Ärmchen haben musste, legten Männer Schminke und modische Kleidung ab und liefen von nun an in Anzügen durch die Gegend. Die Botschaft war klar: Männer gehen arbeiten, Frauen sind ein schönes Beiwerk. In den ausladenden Kleidern, die Frauen in dieser Zeit tragen mussten, um als chic zu gelten, war an Arbeit irgendwie auch nicht zu denken.
Die Schönheitsideale der letzten 100 Jahre
Das Gibson Girl (um 1900) war die von Illustrator Charles Gibson erschaffene Traumfrau.
Eine Mischung der »fragilen Lady« (schmale Attribute) und der »voluminösen Frau« (breite Hüften und ein großer Busen).
Um 1920 waren die kerzengeraden Flapper-Kleider der Trend schlechthin. Als das körperliche Idealbild galten schmale Hüften und ein kleiner Busen, alles sollte »petite« aussehen.
Soft Siren: Um 1930 kamen die Kurven zurück, wenn auch sanft. Die Soft Siren war eine Mischung zwischen Gibson Girl und Flapper.
The Star Spangled Girl: In den 1940er-Jahren, also während des Zweiten Weltkriegs, wird der ideale Frauenkörper breiter und kantiger. Die typische Kleidung in dieser Zeit führt zu einer größeren und quadratischeren Silhouette.
Um 1950 stehen alle Zeichen auf Hourglass: schmale Taille, breite Hüften und üppiger Busen. In dieser Zeit wird auch die Barbie-Puppe erfunden, der Playboy gegründet, und Marilyn Monroe wird zum Supersexsymbol. Es ist Nachkriegszeit, und die Menschen streben nach Vergnügen und Wohlstand, um die Schrecken des Krieges zu vergessen.
The Twig: In den 60ern sind Rundungen schon wieder out. Alles soll mädchenhaft und eher androgyn wirken. Der absolute Star dieser Zeit wird das britische Model Twiggy.
In den 70er-Jahren wird zu Diskomusik à la Abba getanzt. Frauen sollen schlank sein, einen flachen Bauch haben, aber bitte nicht zu viel Busen. Die Idealfrau der 70er-Jahre: Farah Fawcett. Unsere Idealfrau heißt hier allerdings Verena. Denn der Hippie-Disco-Look sieht auch an kurvigen Frauen umwerfend aus.
Sie sind groß, sie haben lange Beine, sie zeigen Muskeln: In den 80er-Jahren wird die Supermodel-Ära eingeleitet. Frauen wie Elle Macpherson oder Cindy Crawford werden zu Ikonen.
Der Supermodeltrend hält die 90er-Jahre über an, aber nun hört man Bands wie Nirvana, und der Grunge-Look wird zu einem der großen Trends. Ein blasser Teint und dunkle Augenringe sind plötzlich en vogue. Die Ikone dieser Zeit war übrigens die sehr schlanke Kate Moss. Verena zeigt hier den Heroin Chic in der Curvy-Version. Sieht mega aus, findet ihr nicht?
Vom »ungesunden« Heroin Chic zum braun gebrannten Californian Girl: In den 2000ern trägt man Bauchfrei, und alles ist ein bisschen mehr »girly«. Trainierte Beachgirls wie Britney Spears oder Giselle Bündchen sind die Gesichter der 2000er.
Heute: The Booty Babe ist von den Influencern der heutigen Zeit geprägt. Bei ausladenden Popos, schmalen Taillen und breiten Hüften denkt natürlich jeder sofort an den Kardashian-Clan.
»Bereits während unseres kleinen geschichtlichen Rückblicks haben wir die Schönheitsideale der Zeitgeschichte genauer unter die Lupe genommen. Wow. Mir war vorher gar nicht bewusst, wie sehr sich das Bild der perfekten Frau‹ oder des ›perfekten Mannes‹ immer wieder gewandelt hat. Und es ist spannend zu sehen, was Menschen über die Jahrhunderte alles auf sich genommen haben, um einem aktuellen Ideal zu entsprechen …«
»Schmal, groß, kurvig, kleine Oberweite, blond oder möglichst haarfrei: Es ist ja schon fast zum Schmunzeln. Kaum wurde ein sogenanntes Schönheitsmerkmal als ›das neue Ding‹ präsentiert, hat es sich auch schon wieder geändert. Ich finde das, gerade im Hinblick darauf, dass so viele glauben, sie müssten ein ganz bestimmtes Aussehen besitzen, schon fast wieder befreiend. Denn wenn man sich die Zeitgeschichte ansieht, sieht man auch: Schönheitsideale können sich ganz schön schnell ändern!«
Gibt es die »eine Schönheit« überhaupt?
Als die Journalistin Esther Honig für ihr Projekt »Before & After« im Jahr 2014 ein Foto ihres ungeschminkten Gesichts an 23 Bild-Retoucher aus 23 verschiedenen Ländern verschickte, gab sie nur eine Anweisung: »Macht mich bitte schön.«
Herausgekommen sind – und das ist im Hinblick darauf, dass wir oft meinen, es gäbe ein bestimmtes Ideal von Schönheit, schon interessant – exakt 23 Esther-Versionen. Von der Form ihrer Augen über die Größe ihrer Nase bis hin zu Kopfbedeckungen und der Farbe ihrer Haut: »Esther in Schön« war 23-mal eine andere Esther. Und obwohl die Ergebnisse nicht unbedingt die Schönheitsideale der jeweiligen Länder repräsentierten, zeigten sie doch eines: Das subjektive Schönheitsempfinden der Menschen, die sich ihres Bildes angenommen hatten, wich stärker voneinander ab, als man gemeinhin glauben würde. Es war eben nicht 23-mal ein und dasselbe Gesicht, jenes, von dem wir glauben würden, es entspräche einem vorherrschenden Ideal, sondern das Ergebnis war weitaus mehr von Unterschiedlichkeiten als von Gemeinsamkeiten geprägt. In Hinblick auf die oben genannten »schönen Fakten« ist es also durchaus interessant, genauer zu beleuchten, wie sehr man diesen großen Begriff »Schönheit« eigentlich objektiv bewerten kann.
Eines vorweg: Obwohl die Frage danach, was schön ist, den Menschen durch alle Zeiten hinweg in der Philosophie, in der Kunst und eben auch in der Wissenschaft beschäftigt hat, gibt es darauf auch heute noch keine einheitliche Antwort. Was es schon gibt, sind Versuche. Versuche, sich der Schönheit philosophisch anzunähern, sie in Worten, Musik oder Gemälden festzuhalten oder zu umschreiben, aber auch, sie an wissenschaftlichen Paradigmen zu messen.
Ist Schönheit also doch alles, was man mit Liebe betrachtet? Das mag sich sehr romantisiert und idealistisch anhören, ist aber von einem philosophischen Standpunkt ziemlich folgerichtig. Denn der, der Schönheit aus seinem eigenen Empfinden heraus definieren will, gerät schnell in Erklärungsnot, wenn es darum geht zu erklären, anhand welcher Faktoren er etwas als schön bezeichnet. Wie will man etwas, das so stark von unserem subjektiven Empfinden abhängt, auf ein einfaches Muster herunterbrechen?
Wer die Farbe Rot liebt und sie als schön empfindet, der kann wahrscheinlich nicht aus dem Stegreif erklären, welche Prägung ihn dazu veranlasst hat, eben besonders auf die Farbe Rot zu stehen. Er findet Rot einfach schön und wird wahrscheinlich nicht verstehen können, warum die beste Freundin wiederum behauptet, die neuen roten Schuhe seien, die Farbe betreffend, potthässlich. Über Geschmack lässt sich bekanntlich nicht streiten. Über Schönheit demnach wohl auch nicht.
Trotzdem: Wem die Faktoren ständig von außen vorgegeben werden, so, wie es in der Mode beispielsweise geschieht, der weicht eventuell von seinem persönlichen Verständnis von Schönheit ab. Wenn dir 10, 100 oder 10.000 Leute wiederholt erzählen, dass nicht Rot, sondern Grün die schönste aller Farben sei oder dass Grün viel schöner sei als Rot, dann beginnst du vielleicht zu glauben, mit deinem Farbgeschmack sei irgendetwas nicht in Ordnung. Oder du fängst an – um wieder auf unsere Körperideale zurückzukommen –, eine Körperform, die du eigentlich ganz okay findest, in Zweifel zu ziehen, weil sie von außen als »nicht schön« oder nicht »schön genug« bewertet wird. Selbst wenn man die aktuelle Mode oder die zur Zeit vorherrschenden Ideale als Schönheits-Bewertungskriterien hinzuzieht, wird man schnell feststellen, dass sie – weil sie eben nur aktuell sind – nicht als ein für alle Zeiten geltendes Ideal zu verstehen sind. Ideale sind immer an Zeiten gebunden, und die Zeit unterliegt immer dem Wandel und ist eben nicht konstant.
Was wir in der Modeindustrie oder den Medien heute als in bzw. schön empfinden, ist morgen vielleicht schon wieder weg vom Fenster oder wurde durch ein neues Ideal ersetzt.
Aber kann man abseits der subjektiven Empfindung von Schönheit nicht doch irgendwie feststellen, welche schöne Esther die schönste der schönen Esthers ist?
Die Naturwissenschaft versucht, das Thema Schönheit greifbarer zu machen, indem sie sie auf bestimmte äußere Merkmale und Formen reduziert. Hierzu gab und gibt es immer wieder Versuchsreihen. Und die Ergebnisse sind – so wie die Schönheit wohl auch – unterschiedlich.
Ein Team aus Wissenschaftlern aus Kanada will zum Beispiel festgestellt haben, dass es so etwas wie die »goldenen Zahlen« der Schönheit gibt. Für diese Studie wurde Teilnehmern mehrmals ein und dasselbe Frauengesicht vorgelegt, und die Abstände zwischen Mund, den Augen und den Ohren wurden jeweils modifiziert. Alle Teilnehmer – Achtung, hier wird es mathematisch – werteten das Gesicht, bei dem der Abstand zwischen Augen und Mund genau 36 Prozent der Gesichtslänge ausmachte und in der Waagrechten zwischen den Augen genau 46 Prozent der Gesichtsbreite lagen, als besonders schön. Der ein oder andere mag jetzt nervös zum Lineal greifen, um seine Gesichtsabstände zu messen, darf das Ganze aber getrost wieder vergessen.
Die Tatsache, dass das Gesicht einer »Bilderbuchschönheit« wie Angelina Jolie weder senkrecht noch waagrecht die Abstände 36/46 besitzt, zeigt, wie relativ auch diese Ergebnisse in Bezug auf die eine, auf die wahre Schönheit sind. Angelina Jolie zumindest wird wohl kaum in Tränen ausbrechen, weil ihr Gesicht, rein wissenschaftlich betrachtet, wenig mit den goldenen Zahlen der Schönheit zu tun hat.
Diese Ergebnisse besagen, dass die Schönheit, die wir messen können, meistens einem Durchschnittswert entspricht. Häufig wurde festgestellt, dass das Durchschnittliche als schön bewertet wurde. Eine Erklärung hierfür ist, dass das Gehirn die vielen wahrgenommenen Gesichter filtert und sozusagen einen »Durchschnittswert« errechnet. Schön ist, wenn man sich die Computer-Dummies der schönsten Gesichter aus Testreihen einmal ansieht, meist ein absolutes »Normalo-Gesicht«.
Weitere Forschungsergebnisse wiederum sagen, dass Gesichter auch nicht allzu symmetrisch sein sollten und dass leichte Abweichungen – das, was uns einzigartig macht – als besonders interessant und somit auch schön wahrgenommen werden.
Cindy Crawfords Gesicht ist leicht asymmetrisch, ihr Muttermal und ihre Gesichtszüge faszinieren Menschen und haben sie zu einem der Supermodels der vergangenen 30 Jahre gemacht. Im körperlichen Bereich wird Schönheit also oft mit Proportionen und Symmetrien gleichgesetzt. So gelten angeblich Frauenkörper, die einen Taillen-Hüft-Quotienten von 0,7 haben, also eine schmale Taille und ein breiteres Becken, als besonders anziehend auf Männer – ungeachtet ihrer Körperfülle und ungeachtet der Herkunft der Männer. Dies deutet für Forscher auf eine Präferenz hin, die genetisch vorgegeben ist und dem Erhalt unserer Spezies dienen soll. Also: Breites Becken ist gleich Gebärfreudigkeit. Dass das rein biologisch natürlich Quatsch ist und auch Frauen mit schmalen Hüften Kinder bekommen, ist allseits bekannt.
Eine Testreihe mit eineiigen Zwillingen hat ergeben, dass Schönheit im Auge des Betrachters liegt. In einer Studie der Harvard University wurden 534 eineiige australische Zwillingspaare gleichen Geschlechts gebeten, ihnen gezeigte Gesichter mit Werten von 1 bis 7 einzustufen. Es stellte sich heraus, dass die Übereinstimmung viel geringer war als gedacht. Unser individuelles Empfinden von Schönheit ist demnach viel häufiger von unseren biografischen Einflüssen bestimmt als von unseren Genen. Zwar konnten die Wissenschaftler eine für sich stehende Präferenz beobachten, die zu Symmetrie und weichen Gesichtszügen neigt, wen wir aber dann im Einzelnen als attraktiver wahrnehmen, hängt ganz vom Individuum ab. Auch hier gibt es die Annahme, dass wir die Gesichter, deren Züge unseren ähnlich sind, als besonders attraktiv wahrnehmen. Es kann also sein, dass das schönste Supermodel vor uns sitzt, wir uns aber ganz und gar nicht in es verlieben könnten.
EXKURS
Andere Länder, andere Traumpopos
Wenn man einmal um den Globus reist und sich die Schönheitsideale in den jeweiligen Ländern ansieht, dann wird einem noch einmal bewusst, dass das »Schönsein« keiner einheitlichen Norm folgt. In vielen Teilen Afrikas gelten üppigere Rundungen als schön und schon seit vielen Jahrhunderten als Symbol für Reichtum, Kraft und Fruchtbarkeit. In manchen Ländern Afrikas, zum Beispiel in Mauretanien, gilt Fettleibigkeit als Ideal, und schon kleine Mädchen werden gemästet, um möglichst dick zu werden. (Wir heißen diese Praxis natürlich nicht gut, denn das extreme »Mästen« von Menschen kann man als Folter bezeichnen.) In den USA legen sich im Durchschnitt viel mehr Frauen unters Messer als hier, während in Europa im Vergleich zwar Schlankheit, aber immer noch eher »Natürlichkeit« angesagt ist. In Südamerika dominieren Kurven die Ideale. Im Iran müssen die Frauen einen Großteil ihres Körpers verhüllen und haben vielleicht deshalb so eine Obsession mit ihrem Gesicht. Wer im Iran was auf sich hält, sagt man, der hat sich die Nase richten lassen. Auch in Südkorea lassen sich überdurchschnittlich viele Frauen operieren, um einem Ideal zu entsprechen, das sich sehr stark nach Puppe anhört: große, runde Augen, schmales Gesicht, sehr helle Haut, kleiner Po, große Brüste. Jede zweite Frau soll in Südkorea schon einmal beim Beauty-Doc gewesen sein. Und noch eine andere Industrie setzt weltweit Milliarden von Dollars um: Bleichmittel für die Haut. Whitening-Cremes sind besonders in Ländern beliebt, in denen die Bewohner eben keine helle Haut haben. Und viele bekannte Beauty-Konzerne betreiben besonders in Asien und Afrika eigene Produktlinien. Was man da so erhält? Gesichts-Whitener, Genital-Whitener sogar Babyöl mit Bleichmittel. In Indien sind Bleichcremes möglicherweise deshalb so beliebt, weil die hohen Kasten immer hellhäutig sein sollten. Der Adel ist bleich. Aber sowohl in Indien als auch in vielen anderen Ländern, in denen man kaum ein Produkt ohne Bleichanteil findet, kann man erkennen, dass es tendenziell ein weißes europäisches Schönheitsideal ist, das auch hier (leider) viel zu lange propagiert wurde.
Perfektsein ist kein Garant für Liebe
Perfektsein ist kein Garant für Liebe. Der Mensch ist ein komplexes Wesen, und so scheint auch unser Empfinden von Schönheit nicht unbedingt damit zusammenzuhängen, mit wem wir unser Leben verbringen möchten. So kann es sein, dass uns ein bestimmtes Gesicht an etwas erinnert, was einmal Wohlbefinden in uns ausgelöst hat. Aus der Hirnforschung weiß man, dass das Gehirn Schönheit in zwei Schritten wahrnimmt:
1 In der ersten Stufe sehen wir ein Objekt oder einen Menschen, und unser Gehirn stuft automatisch ein, ob wir es oder ihn als ästhetisch empfinden oder nicht. Und diese Kategorisierung läuft komplett unterbewusst ab. Wir selbst haben nicht den blassesten Schimmer, warum wir ein Wohlgefühl empfinden.
2 In der zweiten Stufe schaltet sich das Bewusstsein ein, und der Aha-Effekt tritt ein: »Wow, das gefällt mir. Das finde ich schön.« Erst dann beginnt unser Gehirn mit der Analyse, warum wir das Gesehene positiv finden.
Gäbe es nur eine Schönheit, gäbe es wohl keine 23 Esthers. Und gäbe es nur eine Schönheit, gäbe es wohl kaum unzählige Präferenzen, was Menschen als wohltuend, als schön empfinden. Dass zum Beispiel nur schlanke Frauen von Männern bevorzugt werden, ist, wenn man sich ansieht, wie viele Männer ganz gezielt nach fülligeren Frau suchen – und ja, hier darf man auch mal Pornos erwähnen –, eben auch ein Trugschluss, der durch ein Schönheitsideal vorgegeben wird, das wir als »normativ«, also gesellschaftlich geachtet, wahrnehmen, aber nichts mit den persönlichen Präferenzen (siehe »Studie Zwillinge«) zu tun haben muss.
Auch in der Natur zeigt sich, dass das Empfinden von Schönheit etwas mit Einzigartigkeit zu tun hat. Keine Schneeflocke ist gleich, sie unterscheiden sich alle in Form und Größe. Vielleicht können wir uns unsere Schönheit auch so vorstellen: Unsere Form ist der erste Eindruck, der von außen je nach Präferenz unterschiedlich wahrgenommen wird. Aber das, was wir sind, ist eben so viel mehr und ergibt sich erst im Gesamtbild. Keiner ist wie der andere. Und unsere Schönheit kann sich eben erst in unserem ganzen Wesen entfalten.
Unser Selbstbewusstsein beginnt mit unserem Körper
Ein positives Selbstbild zu besitzen bedeutet, überwiegend gut über sich selbst zu denken und sich somit auch überwiegend gut mit sich selbst zu fühlen. Und wer sich gut mit sich selbst fühlt – und das kann sich auf die unterschiedlichsten Arten zeigen –, der besitzt auch Selbstvertrauen und ein Gefühl von Selbstwert. Was ist es, dieses Vertrauen in sich selbst? Es ist das Wissen, dass da etwas in uns ist, das uns nicht im Stich lässt, das uns durch alle Höhen und Tiefen des Lebens begleitet. Das Wissen, dass wir uns auf uns selbst verlassen können, dass es da einen Teil in uns gibt, der uns immer wieder auffängt und uns liebevoll an dem Punkt abholt, an dem wir gerade stehen.
Es ist das Wissen, dass wir wertvolle Wesen sind. Unabhängig von unserer Kleidergröße und unabhängig davon, wie wir von außen bewertet werden. Es ist ein Gefühl, dass wir es verdient haben, liebenswert zu sein – etwas, das uns in Fleisch und Blut übergegangen ist.
Mit diesem Wissen können uns die Meinungen der anderen vielleicht immer noch verletzen, wir können manches davon vielleicht auch annehmen und reflektieren, aber das Negative, was andere über uns sagen und denken, wirkt sich auf unser Seelenleben höchstens noch wie ein etwas zu kalter Windzug und nicht mehr wie ein alles durcheinanderwirbelnder Tornado aus. Das Gefühl von Selbstwert wirkt wie ein Schutzanzug, der nicht zulässt, dass man uns in unseren Grundfesten erschüttern kann.
Wer sich als einen Menschen mit einem geringen Selbstwertgefühl wahrnimmt, dem sei gesagt: Keiner von uns wird als sein eigener größter Kritiker geboren. Und keiner wird als der größte Kritiker seines eigenen Körpers geboren. Im Gegenteil. Unseren Körper kritisch zu betrachten, eine Stimme in uns zu hören, die uns sagt, dass etwas mit ihm nicht stimmt, ist nichts, was uns mit in die Wiege gelegt wurde. Im Gegenteil. Wir werden geboren, und unser Körper ist unser wichtigstes Lerninstrument. Damit wir uns überhaupt entwickeln können, damit wir herausfinden können, wer wir sind, was wir schon oder noch nicht können und welche Möglichkeiten uns noch offenstehen, ist unser Körper ein unabdingbarer Begleiter.
Unser Körper ist also seit Beginn unseres Lebens von immenser Bedeutung. Deswegen käme es einem Kleinkind wohl kaum in den Sinn, ihn von sich aus als etwas »Schlechtes« wahrzunehmen. Uns selbst abzulehnen ist also etwas, was wir erlernt haben. Und das ist erst einmal eine gute Nachricht. Denn was wir erlernt haben, können wir auch wieder »verlernen«. Wir können das, was wir über uns und unseren Körper denken, was wir vielleicht schon viele Jahre mit uns herumtragen, verändern. Wir können Selbstakzeptanz wieder erlernen, wir können uns sozusagen »rück-erinnern«, dass uns unser Körper seit Beginn unseres Lebens ein wunderbarer Begleiter war – und es bis heute immer noch ist. Um aber zu verstehen, wie viel unser Körper mit der Entwicklung unseres Selbstbildes und letztlich unseres Selbstwertgefühls zu tun hat, lohnt es sich, einen Blick auf diese Entwicklung zu werfen.
Du bist perfekt zur Welt gekommen
Wenn du verstehst, wann sich dein (negatives) Selbstbild zu entwickeln begonnen hat – und wie es dazu kam –, kannst du genau an diesen Punkten ansetzen. Du kannst dir wieder selbst ein Freund werden, der dich in deiner Unterschiedlichkeit stärkt, dir Gutes zukommen lässt und dich so akzeptiert, wie du bist.
Stellen wir uns folgendes Bild vor: ein Krankenhauszimmer, ein Baby ist gerade zur Welt gekommen. Seine Mutter hält es überglücklich im Arm und kann ihre überschäumenden Gefühle kaum in Worte fassen. Alles an ihrem Kind ist perfekt. Einfach, weil es jetzt da ist. Es gibt nichts, aber auch gar nichts, was sie an ihm ändern wollen würde. Wir alle sind uns einig: Dieses Bild ist ein schönes Bild. Dieses Baby, egal, wo auf dieser Welt es geboren wurde, hat es verdient, geliebt, gepflegt, umsorgt und beschützt zu werden. Und wir sind uns ebenfalls einig, dass es dieses Baby verdient hat, genauso geliebt, gepflegt, umsorgt und beschützt zu werden wie jedes andere Baby auch. Keiner würde sich (hoffentlich) hinstellen und diesem unschuldigen Wesen aus irgendeinem Grund etwas von seinem Wert absprechen. Und wir würden den Teufel tun, uns neben diese Mutter zu stellen und zu sagen: »Dein Baby mag ja ganz nett sein, es ist aber leider hässlicher als das aus dem Nachbarzimmer. Also, mal ehrlich, das Nachbarzimmer-Baby ist ’ne echte Schönheit und hat etwas mehr Aufmerksamkeit und Liebe verdient als deines.«
Wie kämen wir dazu, so etwas Verletzendes zu sagen? Wir sind doch nicht menschenverachtend. Und doch vergessen wir oft, dass wir alle einmal dieses Baby waren. Dass wir alle mit dem Wert, den dieses Baby besitzt, auf die Welt gekommen sind. Und dass sich an diesem Wert bis heute nichts geändert hat. Was sich verändert hat, ist das Bild, das wir von uns haben. Wir haben unseren Wert von anderen Dingen abhängig gemacht. Unser Gefühl von Selbstwert wurde irgendwann getrübt.
Es gibt Forschungen, die besagen, dass gerade im Bewusstsein über den eigenen Körper die Wurzel für ein gut entwickeltes Selbstwertgefühl sitzt. Natürlich gibt es im Lauf unseres Heranwachsens zahlreiche Erfahrungen sowie familiäre, kulturelle und gesellschaftliche Einflüsse und Konditionierungen, die unser Selbstbild prägen. Doch unsere Entwicklung beginnt mit unserem Körper. Wenn wir uns vor Augen führen, wie natürlich kleine Kinder mit sich und ihrem Körper umgehen, kommt uns kaum in den Sinn, dass sie sich für sich oder ihr Äußeres schämen sollten. Das tun sie im Normalfall auch nicht. Babys fragen sich nicht, ob mit ihnen etwas nicht stimmt. Sie sind das Zentrum ihres eigenen Universums, und sie haben kein Problem damit, nach den Dingen zu verlangen, die sie brauchen, um sich wohlzufühlen. Und: Sie erfahren sich gerade in den ersten Lebensjahren vor allem über ihren Körper. Sowohl positive als auch negative Körpererfahrungen haben bereits bei Säuglingen einen Einfluss auf die Entwicklung ihres Selbstbildes. Kleine Kinder greifen, sie erspüren, sie robben und rollen durch die Gegend, sie erfühlen Kälte oder Wärme, sie spielen im Schlamm und genießen es, ihre Sinne auszutesten. Sie fühlen anhand von Körperreaktionen, wann sie kuscheln wollen und wann es ihnen lieber ist, auf Distanz zu gehen. Sie untersuchen ihre Hände und Füße und den Rest ihres Körpers mit größter Unbedarftheit. Einem Kleinkind käme es nach dem Erkunden seiner Beine wohl kaum in den Sinn, zu seiner Mutter zu rennen und zu sagen: »Mama, meine Oberschenkel sind zu dick.« Dieser innere Kritiker ist in der Regel nicht existent. Noch nicht.
Dein Selbstbild formt sich in den ersten Lebensjahren
Die ersten Jahre sind eine sensible Zeit. Denn ein Kind ist in dieser Lebensphase sehr empfänglich für alles, was es von außen gespiegelt bekommt, und bezieht viele der Reaktionen seines Umfelds auf sich. Kinder nehmen die Meinungen der anderen oft an, sie beziehen Bemerkungen und Kommentare auf sich. Das erste Selbstbild ist also im Grunde genommen auch ein Fremdbild.
Auch wie wir unseren Körper wahrnehmen und bewerten, wird in dieser Zeit stark von unserer Umwelt mit geprägt. Werden dem Kind in seiner Entwicklung Impulse geboten, sich und seinen Körper auszuprobieren, wird es diese nur allzu gern annehmen. Wird ihm liebevoll geholfen und somit Sicherheit gegeben, wenn es diese für das Erfahren seiner Grenzen benötigt, wird sich das Kind an immer neue Herausforderungen wagen. Es entwickelt – von außen angeleitet – durch seine körperlichen Erfahrungen ein Vertrauen in sich selbst.
Ein kleines Mädchen, das seiner Mutter – von sich selbst beeindruckt – zeigt, dass es jetzt schon auf einem Bein stehen kann, wird sich ermutigt fühlen, wenn seine Mutter auf die Eigenmotivation mit einem »Wow, toll, dass du das geschafft hast« reagiert. Motivation führt dazu, dass Kinder zum Beispiel einen Bewegungsablauf schneller erlernen. Jeder, der schon mal ein kleines Kind beim Üben einer Bewegung beobachtet hat, kennt das: Immer wieder und mit großem Einsatz werden Bewegungsabfolgen trainiert. Sie wollen etwas unbedingt schaffen, und auch der tausendste Versuch kann sie nicht davon abhalten, es noch einmal zu probieren. Kinder »dressieren« sich sozusagen von ganz allein – und zwar nur für sich selbst. So wollen sie zum Beispiel bei einem bestimmten Spiel mitspielen können, also fühlen sie sich motiviert, körperlich zu erlernen, was es zu diesem Spiel bedarf – und lernen durch diese Motivation noch schneller. Kinder haben einen natürlichen Drang, sich auszuprobieren. Ihre Belohnung liegt in der körperlichen Anstrengung und in den daraus resultierenden Lernerfolgen.
Was passiert nun aber, wenn dem Kind von außen, zum Beispiel durch immer wiederkehrende negative, abwertende oder Angst machende Kommentare, gespiegelt wird, dass daran, was es ganz natürlich versucht zu sein, nämlich ein sich durch neue Erfahrungen begreifender heranwachsender Mensch, irgendetwas falsch ist? Richtig, es wird wahrscheinlich verunsichert und immer gehemmter werden. Das soll natürlich nicht bedeuten, dass bestimmte Kommentare nicht gut gemeint sind, und es bedeutet auch nicht, dass man ein Kind nicht auf Schwierigkeiten aufmerksam machen sollte, wenn man bemerkt, dass es sich bei diesem Ausprobieren in Gefahr begeben könnte. Aber zwischen »Lass das. Du fällst gleich hin und wirst dir wehtun« und »Oh, hier wird es jetzt aber rutschig, da muss du gut aufpassen beim Rennen« liegt ein Unterschied. Der erste Kommentar basiert auf Angst, beschwört etwas herauf und lässt das Kind glauben, dass seine Möglichkeiten eingeschränkt sind. Der zweite Kommentar ist ein Helfer, ein wachsamer Unterstützer, der dem Kind zutraut, sich trotz der Schwierigkeiten an seine Grenzen heranzutasten. Es mag wie ein lapidares Beispiel klingen, aber hier kommt bereits der innere Kritiker mit verunsichernden Aussagen ins Spiel.
»Ich darf mich nicht trauen, denn ich werde hinfallen. Ich werde mir wehtun. Also sollte ich es lassen«, könnten mögliche Glaubenssätze sein, die ein Kind daraufhin entwickelt. Es wird im Vertrauen in sich selbst verunsichert. Wenn das Kind seine körperlichen Möglichkeiten hingegen testen kann, kann es sehr wohl sein, dass es hinfällt und ausrutscht. Es wird sich vielleicht auch wehtun und eine Schramme am Knie erleiden, aber es hat zum einen im besten Fall einen verlässlichen Helfer an seiner Seite, der es tröstet, verarztet und ihm Aufmerksamkeit schenkt, zum anderen hat es eine der wichtigsten Lebens- und Lernerfahrung gemacht: »Ich kann mich ausprobieren, und dabei falle ich vielleicht hin, und das tut weh. Aber ich kann auch wieder aufstehen. Ich kann es noch einmal versuchen.« Unser Körper ist also unser erster Lehrmeister.
Manchmal – und das lässt sich nicht vermeiden – werden Kinder von anderen Kindern oder von Erwachsenen mit Bewertungen konfrontiert, die ihre körperliche Erscheinungsform und ihre körperliche Leistung betreffen: »Die Laura ist zu dick, die wird nicht in unser Team gewählt. Der Ben kann den Ball nicht richtig fangen. Mann, die Clara ist immer viel zu langsam.« Jeder von uns hatte schon einmal einen Lehrer, der uns mit Härte und Unverständnis begegnet ist, anstatt uns das Gefühl zu geben, dass wir alles im Bereich des Möglichen erreichen können.
Diese kritischen Stimmen und die Botschaft, die sich daraus ergibt, können irgendwann zu unserem eigenen Kritiker werden. Man weiß aus der Entwicklungspsychologie, dass wiederkehrende bremsende, aber auch verletzende Kommentare dazu führen können, dass Kinder Ängste entwickeln und sich im Verlauf dieser Ängstlichkeit neuen Erfahrungen und Anforderungen in Bezug auf ihre (körperliche) Leistung verschließen und ihnen letztlich aus dem Weg zu gehen versuchen. Wird dem nicht gegengesteuert, wird das Kind jetzt nicht liebevoll an die Hand genommen, wird ihm jetzt nicht gezeigt, dass es sich weiterhin ausprobieren darf, ohne sich mit bestimmten Leistungsansprüchen zu überfordern, kann es bereits hier dazu kommen, dass es seinen Körper mit einem negativen Bild von sich selbst in Verbindung bringt …
Wir sind keine Ballettmädchen!
Eine unserer ersten Erfahrungen mit »Body-Shaming« hatten wir beide tatsächlich im Ballett. Das Ballett ist ja so ein Klassiker unter den Kleinmädchenträumen. Zumindest in unserer Kindheit war es noch so, dass Mädchen ganz klassisch in den Ballettunterricht wollten, Jungs hingegen zu Hobbys wie Fußballspielen oder Judo tendierten. Eigentlich soll das Erlernen eines Tanzes für ein Kind ja Spaß machen. Nun ist gerade das Ballett aber natürlich auch eine Tanzart, bei der es viel um körperliche Leistung geht – und um Schönheit, um Perfektion. Nicht nur im Tanz selbst, sondern auch in Form eines schlanken, grazilen Körpers. Wer diesem »Perfektionsanspruch« nicht gerecht wird, kann schnell das Gefühl bekommen, nicht dazuzugehören …
»Bei mir war es so, dass ich tatsächlich gar nicht von außen kritisiert wurde, sondern mich im Vergleich mit den anderen Kindern in der Ballettklasse immer zu dick gefühlt habe. Ich war zu diesem Zeitpunkt eigentlich ein normalgewichtiges Kind, ein wenig pummelig vielleicht. Ich kam mir neben den anderen wie ein Trampeltier vor. Ich dachte immer: ›Ich bekomme das einfach nicht so grazil wie die anderen hin.‹ Da habe ich mich das erste Mal in meinem Körper nicht wohlgefühlt, obwohl ich ja wirklich noch ein kleines Kind war. Der Druck, die Bewegungen genauso fein ausgeführt hinzubekommen wie die anderen, genauso groß oder schlank und gazellenhaft wie die anderen zu wirken, es aber einfach nicht zu sein, hat mir das Gefühl gegeben, falsch zu sein, so, wie ich war. Klar, wir orientieren uns als Kinder sehr stark an unserer Umgebung. Auf einmal war Leistung gefordert, auf einmal wurde das Augenmerk auf ›Schönheit‹ gelegt. Ich habe das Ballett dann aufgegeben, weil mir der Druck den Spaß an der Sache genommen hat.«
»Ich wollte unbedingt ins Ballett. Die rosa Tütüs und weißen Strumpfhosen sahen ja auch toll aus. Meine ersten Stunden verliefen eigentlich auch ganz gut. Bis dann eines Tages der Spagat auf dem Lehrplan stand. Egal, wie sehr ich mich bemühte: Ich konnte es einfach nicht. Ich war einfach nicht so gelenkig wie die anderen Mädchen. Ich war zwar schlank, aber immer sehr groß und hatte immer einen kräftigen Körperbau. Die Ballettlehrerin hat mich dann dazu gedrängt, einen Spagat zu machen, und ich habe fürchterlich geweint. Ich konnte es eben nicht. Ich weiß noch, dass sie sauer wurde und irgendetwas gesagt hat, das mir ein wirklich schlechtes Gefühl gegeben hat. Nach dieser Stunde ist die Ballettlehrerin zu meiner Mutter gegangen und hat ihr ans Herz gelegt, dass sie mich aus dem Ballettunterricht nehmen soll – ich sei der berühmte Elefant im Porzellanladen. Meine Mutter war traurig über die Umgangsweise der Lehrerin, ich habe geweint und fühlte mich wirklich schrecklich. Der Rosa-Mädchentraum von Ballett war für mich ab diesem Zeitpunkt geplatzt.«
Aus der heutigen erwachsenen Perspektive stellt sich das Ganze natürlich abgemildert dar. Nicht jedes Mädchen ist ein Ballettmädchen, sondern es findet sein Glück beim Reiten oder Boxen. Und manch ein Junge tanzt vielleicht lieber Ballett, als auf dem Fußballplatz zu stehen. Wir konnten andere Bereiche finden, in denen wir uns ausprobieren und Erfolge erzielen konnten – so, wie Verena es zum Beispiel später in der Leichtathletik getan hat.
Trotzdem: Vielleicht machen gerade deshalb viele Mädchen schlechte Erfahrungen im Ballett, weil hier eben auf zwei Bereiche geachtet wird, mit denen wir in unserer Gesellschaft auch später immer wieder konfrontiert werden: Leistungsdenken auf der einen und Schönheit auf der anderen Seite. Eine Balletttänzerin muss sehr schlank sein, zumindest kennt man das so. Sie muss viel Schweiß und eiserne Disziplin aufbringen, viele Tränen vergießen, bis sich alles zu dem perfekten Bild vereint, das wir später auf der Theaterbühne sehen. Es ist ein immenser Druck, mit dem sich ein Balletttänzer während der gesamten Karriere konfrontiert sieht.
Wir sind keine Balletttänzerinnen geworden – und das ist okay so. Obwohl das Ballett ein Mikrokosmos für sich ist, sind die Gefühle, die diese Erfahrungen in uns ausgelöst haben, trotzdem wichtig, denn sie verdeutlichen etwas, über das wir gern sprechen möchten: Das Gefühl, nicht okay zu sein, so, wie man ist. Der Druck, den wir uns selbst machen und der von unserem Umfeld auf uns einwirkt. Und: Wie man sich von diesen Gefühl allmählich lösen kann und es durch ein gesundes, liebevolles Verhältnis zu sich selbst ersetzt. #selbstbewusstistdasneuesexy