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2. Der Garrán Dubh

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Über den Druiden und den Wald Garrán Dubh erzählte man sich allerhand seltsamer Dinge. Einige Leute, die den Druiden angeblich gesehen hatten, beschrieben ihn als alt und grauhaarig, während andere ihn als eher jung und anmutig charakterisierten. Die Anzahl der Augen des Druiden reichte von eins bis drei. Seine Größe erschien − von menschengroß bis etwa Baumhöhe − in den Erzählungen ebenfalls recht variabel. Auch über den Wald kursierten die dunkelsten Legenden. In einer hatte der Druide den Wald mit all seinen schrecklichen Kreaturen selber geschaffen, um ungebetene Besucher in den Wahnsinn zu treiben. In einer anderen Fassung hatten die Tuatha de Danaan den Wald erschaffen und den Druiden für eine unaussprechliche Missetat dorthin verbannt. Einige Menschen hatten in dem Wald angeblich große behaarte Tiere mit langen Zähnen und riesigen Klauen gesehen. Andere glaubten, dass dort Einhörner lebten und berichteten von der farbenfrohen Vogelwelt. Manchmal waren die Vögel grün. Manchmal waren sie blau. Oft waren sie gold und noch öfter waren sie all das zusammen. Es sollte dort auch Giftpilze geben und verführerisch aussehende, aber blind machende Blumen sowie Bäume, die sich bewegen konnten und mit ihren knochigen Wurzeln Menschen fingen und dann verschlangen. Allerdings waren die menschenfressenden Bäume in den Geschichten etwas unpopulär, da sie selbst auf leichtgläubiges Volk zu unglaubwürdig wirkten. Kurzum die Berühmtheit des Druiden und des Waldes Garrán Dubh gedieh durch die Kreativität der Menschen und dadurch, dass eigentlich niemand irgendetwas wusste.

Als Finn, Ríoghnach, Oisín, Diarmuid und Cáilte am Mittag des dritten Tages ihres Marsches am Rande des Garrán Dubh ankamen, stellten sie − für intelligente Menschen vielleicht nicht überraschend − fest, dass der Garrán Dubh nicht wirklich anders aussah als andere Wälder auch. Aber das konnte natürlich auch Tarnung sein und der nächste menschfressende Baum wartete schon auf ein unvorsichtiges Mittagessen. Während die Fünf vor dem Garrán Dubh standen, gaben sie ein seltsames Bild ab: Finn in der traditionellen Kleidung eines Mitglieds der Fianna, dunkler Inar und Truis, Ríoghnach in ihrem extravaganten blauen Léine, Diarmuid und Cáilte trugen immer noch ihre kunstvoll gearbeiteten Brats und Oisín etwas, was kaum den Namen Kleidung verdient hatte. Einem eventuellen Betrachter war sofort klar, das diese Fünf eigentlich nicht zusammen gehörten. Der Fianna-Anführer, die Firbolg-Prinzessin, die beiden Männer der Oberschicht und der rätselhafte Einzelgänger. Was war es, dass sie verband?

Finn und die anderen betrachteten den Wald genauer. Das einzige, was an dem Garrán Dubh auf den ersten Blick merkwürdig erschien, war dass er sich auf einer Erhebung befand, um die rundherum nichts wuchs. Es sah so aus, als ob jemand den Wald absichtlich in dieser Form dorthin gepflanzt hatte. Er wirkte wie ein Fremdkörper in der umliegenden Landschaft und diese beunruhigende Widernatürlichkeit hatte eine bedrohliche Wirkung auf jeden, der den Wald erblickte.

„Das ist er also. Garrán Dubh“, stellte Finn nüchtern fest.

„Hatte ich mir spektakulärer vorgestellt“, meinte Oisín gleichgültig.

„Ja, ich auch“, bestätigte Cáilte, der sich von dem Wald unbeeindruckt zeigen wollte, da sein Ziehbruder das schon vor ihm getan hatte.

„Was meinst du, Diarmuid?“ fragte Finn.

„Ich weiß nicht. Man kann noch nicht viel erkennen. Es sieht sehr dunkel in dem Wald aus“, antwortete dieser zögernd.

Die einzige, die sich nicht äußerte und auch nicht gefragt wurde, war Ríoghnach. Allgemein legten die Männer der Gaeil nicht besonders viel Wert auf das Urteil ihrer Frauen. Allerdings war Ríoghnach eine Firbolg. Aber im Moment gab sich Ríoghnach mit der Rolle der schwachen Frau zufrieden, da sie tatsächliche große Angst hatte, durch diesen Wald zu gehen.

Die fünf Reisenden gingen weiter auf den Wald zu. Sie mussten nun doch zugeben, dass an diesem Wald irgendetwas nicht stimmte. Er war zweifellos dichter gewachsen und dunkler als andere Wälder. Aber das war nicht das einzig Auffällige an ihm. Von dem Wald ging eine eigenartige Beklemmung aus. Ein innerer Instinkt rief den Reisenden zu, den Wald nicht zu betreten. Ohne offensichtlichen Grund, hatte das Unbehagen ausnahmslos jeden der Reisenden ergriffen. Alle fünf spürten, wie ihre Herzen schneller schlugen. Ein Kribbeln breite sich in ihrem Inneren aus.

Nur ein einziger schmaler Pfad führte in der Mitte durch den Garrán Dubh. Blätter, Äste und Gestrüpp versperrten jede andere Möglichkeit in den Wald einzudringen. Finn verspürte die Beklemmung ebenso wie seine Freunde, doch da er wusste, dass sie von ihm erwarteten, die Führung zu übernehmen, straffte er die Schultern und betrat den Wald. Ein Schaudern erfasste Finn, als er in die schattige Dämmerung trat, aber er konnte es sich nicht leisten vor den anderen seine Angst zu zeigen. Diarmuid, Cáilte und Oisín waren mit Sicherheit davon überzeugt, dass ein Mitglied der Fianna niemals Angst hatte. Aber da irrten sie sich gewaltig. Als die Fianna damals zur Verteidigung Érius nach An Trá Bhán gerufen wurden, hatten auch die mutigsten Kämpfer der Fianna – Finn selbst eingeschlossen – Angst gehabt. Und wie hätte es auch anders sein können? Ihre Gegner waren damals zahlenmäßig weit überlegen gewesen.

„Finn, bist du sicher, dass das der richtige Weg ist?“, fragte Oisín zweifelnd.

„Siehst du hier noch einen anderen?“, entgegnete Finn.

Oisín, Diarmuid und Cáilte folgten Finn scheinbar unerschrocken.

„Ríoghnach?“, rief Finn auffordernd.

Nun trat auch Ríoghnach in den Wald. Am liebsten hätte sie sich an Finn geklammert oder zumindest seine Hand genommen. Doch sie wusste genau, dass die anderen, die es ohnehin für keine gute Idee gehalten hatten, eine Frau mitzunehmen, das als Schwäche auslegt hätten. Und das war etwas, was Ríoghnach eigentlich nicht wollte: Schwäche zeigen.

„Irgendetwas ist hier merkwürdig“, gab Oisín zu.

„Glaubst du, dass der Druide einer der Tuatha de Danaan ist?“, fragte Diarmuid, der versuchte gelassen zu klingen.

„Ich weiß nicht. Jedenfalls hat Oisín Recht, irgendetwas hier ist seltsam,“ entgegnete Finn, während er versuchte, in den umliegenden Schatten irgendetwas zu erkennen.

„Seit der Schlacht von An Trá Bhán hat niemand jemals mehr einen der Tuatha de Danaan gesehen. Und das ist jetzt 25 Zyklen her“, bemerkte Oisín.

„26 um genau zu sein“, korrigierte Finn.

„Du bist damals dabei gewesen, nicht wahr?“, fragte Cáilte, in dessen Stimme eine gewisse Bewunderung mitklang.

„Ja, aber ich habe kaum noch Erinnerungen an diese Zeit. Ich weiß nur, dass es schrecklich war und dass viele mutige Männer ihr Leben in dieser Schlacht ließen.“

Finn versuchte seinen drei jungen Begleitern, die Illusionen zu nehmen. Er wusste, dass sie mutige Kämpfer waren und dass sie so manchen Zweikampf bestritten hatten, aber in einer Schlacht waren sie nie gewesen.

„Aber letzten Endes hat unsere Seite bei der Schlacht von An Trá Bhán den Sieg davon getragen“, erinnerte Diarmuid ermutigend.

„Ja, so ist es gewesen und ich bin zuversichtlich, dass wir das auch diesmal schaffen“, sagte Finn. In Wahrheit hatte er Zweifel, dass es wirklich so sein würde. Finn machte sich um seine jungen Gefolgsleute Sorgen. Sie waren zu enthusiastisch und schienen nicht zu verstehen, dass sie möglicherweise nicht erfolgreich sein würden. Sie kannten die Geschichten der Fianna und glaubten, dass sich alles so abspielen würde wie in diesen Erzählungen. Doch das Leben war keine Heldensage. Das Leben war hart und selten bekam man das, was man sich erhoffte. Finn fühlte sich für die anderen verantwortlich. Cáilte und Diarmuid waren immerhin die Söhne von Ronan und Conn, die selbst bei der Schlacht von Gabhra noch zu ihm gestanden hatten. Und was Oisín anging: Oisín erinnerte ihn an sich selbst, als er jung gewesen war.

Die Reisenden folgten dem Pfad tiefer in den Wald. Hoch über ihnen formten die Baumkronen ein dichtes Dach, durch das nur wenig Sonnenlicht drang. Sie konnten kaum sehen, wohin sie gingen. Das Ziel des Weges, sollte es eines geben, lag in Dunkelheit. Das Licht, das den Eingang markierte, wurde mit jedem Schritt kleiner und kleiner, bis es schließlich ganz verschwand. Nun lag vor und hinter ihnen nichts als dämmriges Zwielicht. Neben der Tatsache, dass der Wald erstaunlich dicht gewachsen war, erschien hier noch etwas merkwürdig: Im Garrán Dubh herrschte absolute Stille. Kein Tierlaut war zu hören, kein Blätterrascheln, gar nichts. Es war als hätte die Natur den Atem angehalten und traute sich nicht einen Laut von sich zu geben. Das einzige, was diese Stille störte, waren die Schritte der Reisenden. Das abgestorbene Laub knisterte unter ihren Füßen. Das war alles. Die Reisenden verloren kein einziges Wort. So als ob auch sie das, was auch immer hier schlief, nicht aufwecken wollten.

Die Stille zerrte an ihren angespannten Nerven und rief ein dumpfes Gefühl von Taubheit hervor. Die drückende Beklemmung steigerte sich ins Unermessliche, bis sich schließlich die aufkommende Panik kaum noch unterdrücken ließ. Die Reisenden fühlten einen Hauch von Kälte. Bewegte sich in den Schatten der Bäume etwas? Oisín hätte schwören können, dass er für den Bruchteil eines Augenblick etwas durch die Bäume hatte huschen sehen. Er hatte ein ganz leises, tiefes Geräusch in den Ohren. Aber Oisín war nicht der einzige, der sich beobachtet fühlte. Diarmuid, der als letzter hinter den anderen herging, hatte sich ein paar mal nach hinten umgedreht. Er hatte das sichere Gefühl, verfolgt zu werden. Doch es war niemand da. Ríoghnach glaubte einmal, jemand würde sie festhalten, doch als sich umdrehte, war niemand da. Cáilte folgt ihr in etwa drei Metern Entfernung. Zu weit weg um sich einen bösen Spaß erlaubt zu haben. Finn hatte ein ungutes Gefühl in der Magengegend. Er spürte ein leichtes Vibrieren. Allen war klar, dass ihre Angst keine rationale Ursache hatte, trotzdem ließ sie sich einfach nicht abstellen.

Nach einem endlos erscheinenden Marsch erkannten die Reisenden in der Ferne ein Licht. Der schmale Weg führte genau darauf zu. Als sie sich dem Licht näherten, teilte es sich und wurde zu zwei hellen Punkten. Die Lichter schienen über dem Boden zu schweben. Nein, sie waren auf zwei Stäben, die aus dem Boden ragten, aufgespießt: Zwei Fackeln! Zwischen den beiden Fackeln bewegte sich etwas: Eine dunkle Gestalt - hoffentlich ein Mensch. Hinter den Fackeln erhob sich eine glatte ebene Fläche in die Höhe.

„Sieht so aus, als hätten wir unser Ziel erreicht“, sagte Finn leise zu den anderen. Er gab ihnen zu verstehen, dass sie stehen bleiben und in Deckung gehen sollten. Ríoghnach fing beim Anblick der dunklen Gestalt an zu zittern. Die anderen wirkten zumindest nach außen hin unerschrocken und umfassten die Griffe ihrer Schwerter fest. Finn ging ein paar Schritte auf die Gestalt zu.

„Seid gegrüßt. Mein Name ist …“, begann er und wurde von der Gestalt barsch unterbrochen.

„Ihr dürft nicht passieren!“

Die Stimme der Gestalt klang furchteinflößend. Ihr Gesicht war nicht zu erkennen, da sie eine Kapuze trug, die tief über ihr Gesicht gezogen war.

„Wir müssen mit dem Druiden sprechen“, erklärte Finn.

Ohne ein weiteres Wort zu sagen, zog die dunkle Gestalt ihr Schwert. Ríoghnach schrie leise auf und ein unbekannter Impuls ließ sie nach Oisíns Hand greifen. Dieser schaute sie nur verwundert an, so dass Ríoghnach seine Hand wieder los ließ.

„Ich bin Finn, des Königs Sohn“, erklärte dieser weiter.

„Der König ist tot. Genauso wie sein Sohn. Finn fiel bei der Schlacht von Gabhra“, warf die Gestalt gereizt ein.

Der Unbekannte kam mit drohend erhobenem Schwert auf Finn zu. Er schlug auf ihn ein, noch bevor dieser sein Schwert ziehen konnte. Finn machte einen Schritt zur Seite, zog blitzschnell sein Schwert und ließ den Angreifer ins Leere laufen. Nun standen sich Finn und der Unbekannte gegenüber. Finn betrachtete ihn genau. Zweifellos war er kleiner als er selbst und wahrscheinlich war er auch weniger kräftig. Aber über die Statur des Angreifers konnte sich Finn in der Dunkelheit kein genaues Bild machen.

Finn entschied, dass er den nächsten Schlag ausführen sollte, um dem Ganzen ein schnelles und möglichst unblutiges Ende zu setzen. Den Druiden von Garrán Dubh würde es nur verärgern, wenn er seinen Wächter verletzte oder gar tötete. Doch als Finn seinen ersten Schlag ausführen wollte, parierte der Angreifer blitzschnell und holte sofort zum Gegenschlag aus. Finn wich aus. So einfach, wie er es sich vorgestellt hatte, würde es wohl nicht werden.

Ríoghnach fühlte, wie mit jedem Schlag der Boden unter ihren Füßen bebte und hatte Angst. Sie spürt eine Hand auf ihrer Schulter.

„Er kann nicht verlieren. Er hat doch das Schwert der Tuatha de Danaan, das er bei der Schlacht von An Trá Bhán von ihnen bekommen hat“, hörte Ríoghnach Oisín sagen.

Ja, warum sollte Finn auch etwas zustoßen, dachte Ríoghnach, immerhin er der beste Schwertkämpfer Érius. Es war vollkommen unnötig sich Sorgen zu machen. Diarmuid und Cáilte betrachteten unterdessen den Kampf aus sicherer Distanz, denn nur so war ein Kampf auch faszinierend. Stand man selber einem geschickten und gut bewaffneten Kämpfer gegenüber, war jede Faszination und Glorifizierung dahin. Dann zählte nur noch das Überleben. Aber das war eine Lektion, die Cáilte und Diamiud noch nicht gelernt hatten und so starrten die beiden, wie vom Rausch besessen, auf das schnelle und tödliche Spiel der Klingen.

Finn beschloss den Angreifer, der zweifellos gut war, kommen zu lassen, um ihn besser studieren zu können. Aber auch der Angreifer wartete nun ab. Finn hatte erwartet, dass sich der Unbekannte, der den ersten Schlagabtausch klar gewonnen hatte, sich nun zu einem riskanten Manöver hinreißen lassen würde. Doch dem war nicht so. Der Unbekannte kämpfte nicht nur gut, sondern auch emotionslos. So einen Kämpfer hätte Finn lieber auf seiner Seite gehabt als gegen sich. Schließlich griff Finn wieder an und der Unbekannte parierte wieder so schnell, dass es fast unheimlich war. Finn konnte gerade noch ausweichen. Aber trotz dieser Schnelligkeit musste der Angreifer eine Schwachstelle haben. Jeder Schwertkämpfer hatte eine, dachte Finn. Er musste sie nur finden. Da der Angreifer weiter abwartete, holte Finn erneut zum Angriff aus. Mit einem lauten Scheppern traf Finn mit seinem Schwert auf der Klinge des Unbekannten auf. Dieser musste einen Schritt zur Seite machen, sonst hätte er das Schwert verloren. Endlich hatte Finn den Angreifer in der Defensive. Doch als Finn den nächsten Schlag ausführen wollte, griff dieser ebenfalls an und zwang Finns Schwert nach unten. Um den Schlag abzuwehren ging Finn in die Knie, doch ein zweiter nachgelegter Schlag des Angreifers traf den Griff von Finns Schwert. Er musste es fallen lassen und fiel selbst auf die Knie. Der Unbekannte hielt Finn sein Schwert an die Kehle. Er hatte verloren. Ein tragisches und unspektakuläres Ende eines gezeichneten Helden. Ríoghnach schloss entsetzt ihre Augen. Die anderen waren wie gelähmt. Das war unmöglich! Finn, der beste Schwertkämpfer Érius, besiegt von einem unbekannten Mann irgendwo im Nirgendwo Connachts.

„Eins muss man dir lassen, du hast Mut. Aber wird das reichen um deine Aufgabe zu erfüllen, Finn, Sohn von Cumhal?“, sagte die Gestalt, zog ihr Schwert langsam wieder zurück und trat einen Schritt beiseite, um Finn die Möglichkeit zu geben, aufzustehen.

„Es muss reichen, denn mehr besitze ich nicht“, sagte Finn ehrlich. Er überlegte, wann er das letzte Mal einen Schwertkampf verloren hatte und erinnerte sich an einen Kampf mit Goll, Sohn von Morna. Wie alt war er damals gewesen? 17 Zyklen vielleicht. Es war eine halbe Ewigkeit her. Er wurde damals noch ausgebildet und Goll richtete ihn übel zu. Schlimmer als die Wunden war damals die Demütigung gewesen. Finn hatte sich gegen den fünf Zyklen älteren Goll Chancen ausgerechnet. Jung und töricht wie er damals war, hatte er Goll vollkommen unterschätzt. Und jetzt wurde er langsam alt. Gegen Oisín hatte er bereits nicht besonders gut ausgesehen und jetzt diese bittere Niederlage gegen einen völlig Unbekannten. Finn fühlte sich schrecklich.

Ríoghnach öffnete ihre Augen wieder. Tränen der Erleichterung liefen ihr über die Wangen. Ríoghnach spürte Oisíns Hand nicht mehr auf ihrer Schulter. Als sie sich zu ihm umblickte, stellte sie fest, dass er ein ganzes Stück von ihr entfernt stand. Ríoghnach war sich plötzlich nicht mehr sicher, ob Oisín wirklich seine Hand auf ihrer Schulter gehabt und ob er die beruhigenden Worte tatsächlich gesprochen hatte oder hatte sie sich diese Berührung nur eingebildet – sich gar gewünscht?

Die Gestalt nahm ihre Kapuze ab und die Reisenden erkannten erstaunt, dass es sich bei der furchteinflößenden Person in Wirklichkeit um eine schöne junge Frau mit langen schwarzen Haaren handelte, soweit man das in dem Halbdunkeln beurteilen konnte.

„Ich bin Laoise“, sagte die Frau, deren Stimme nun nichts Furcherregendes mehr an sich hatte, auch wenn immer noch etwas Gebieterisches in ihr mitklang „Es tut mir Leid, wenn mein Empfang nicht herzlich war, aber ich musste feststellen, ob du der bist, für den du dich ausgibst. Du bist also der legendäre Finn. Der beste Schwertkämpfer Érius. Niemand kämpft wie du“, erklärte Laoise, die damit mehr Fragen aufwarf, als dass sie Antworten gab. Die Reisenden schauten Laoise verwirrt an.

„Trotzdem konntet Ihr mich schlagen“, wandte Finn beschämt ein.

„Sagen wir, meine Mittel waren nicht vollkommen fair. Manchmal sehe ich Dinge, bevor sie passieren. Ich habe gesehen, was du als nächstes tun wirst und da bin ich dir zuvor gekommen. Es war mehr oder weniger reines Glück“, sagte Laoise.

„Ihr könnt in die Zukunft sehen?“, fragte Finn interessiert und fand seine Niederlage nun etwas weniger schmählich.

„Ja, manchmal.“

Obwohl Finn sich von der Niederlage gedemütigt fühlte, verspürte er dennoch keine Wut auf Laoise. Im Gegenteil, sie übte eine geheimnisvolle Faszination auf ihn aus und er fühlte sich irgendwie zu ihr hingezogen. Finn schaute sie so eindringlich an, dass Ríoghnach es nicht verborgen blieb. Laoise blickte Finn an und ließ dann ihre Augen über seine Gefolgsleute wandern. Ihr Blick fiel schließlich auf Oisín. In dem Moment, als sich ihre Augen trafen, konnte Laoise bis auf den Grund seines Wesens blicken und verstehen, was Oisín selbst verborgen blieb. Oisín spürte das und es gefiel ihm nicht. Es versetzte ihm einen unsichtbaren Schlag und er hatte das Gefühl, er müsste daran ersticken.

„Ich werde Euch zu dem Druiden bringen. Aber Ihr solltet Euch nicht allzu viel davon versprechen. Meistens ist er betrunken und wenn er es nicht ist, ist er noch weniger erträglich“, sagte Laoise, während ihre Augen immer noch auf Oisín gerichtet waren. Laoises zwingendem Blick konnte er sich nicht entziehen und erst als sie ihre Augen wieder abwandte, gelang es ihm wieder frei zu atmen. Laoise nahm eine der Fackel aus dem Boden. Als sie sich umdrehte und auf die dunkle Wand hinter sich zuschritt, erkannten die Reisenden im Licht ihrer Fackel, dass es sich bei dem Hindernis um eine mannshohe, dichtgewachsene Hecke handelte, deren Dornen abweisend nach außen ragten. Kein Tor, kein Durchlass gab einen Blick auf das Dahinterliegende frei. Laoise schien sie geradewegs in eine Sackgasse zu führen.

„Devite!“, sagte Laoise und die Pflanzen teilten sich wie von Geisterhand. Hinter der Hecke befand sich ein helles warmes Licht, in das Laoise ohne Zögern eintrat und verschwand. Die fünf Reisenden stiegen ihr vorsichtig und benommen hinterher. Zuerst konnten Finn und die anderen fast nichts erkennen, geblendet nach der stundenlangen Dämmerung des Waldes. Mühsam gegen das plötzliche Tageslicht anblinzelnd, begriffen die Reisenden, dass Laoise sie auf eine Lichtung inmitten des Garrán Dubh geführt hatte. Nach dem Stand der Sonne zu urteilen, waren nur wenige Stunden vergangen, obwohl der Marsch durch den Wald den Reisenden endlos vorgekommen war. In der Mitte der freien Fläche befand sich ein einfaches kleines Haus, das durch keine Mauer oder Wall geschützt war. Rings um die Reisenden herum befand sich der Garrán Dubh. Kreisrund schien der Ausschnitt zu sein, in dem sie sich befanden.

„Ihr arbeitet also für den Druiden?“, fragte Finn unbeeindruckt von der lebendigen Mauer und dem grellen Licht, das zwar natürlichen Ursprungs, aber nichtsdestotrotz schmerzhaft für die Augen war. Finn war der Überzeugung, dass hier alles beeindruckender erscheinen sollte, als es eigentlich war – mit Ausnahme von Laoise natürlich.

„In gewisser Weise ja. Ich bin seine Tochter“, entgegnete Laoise.

Bei den Reisenden herrschte allgemeine Verwirrung – gerade als sie gedacht hatten, sie könnte nun nichts mehr schocken. Sie befiel Angst beim Gedanken daran, dass Laoise möglicherweise eine der Tuatha de Danaan sein könnte. Den Frauen der Tuatha de Danaan wurde eine hohe Verführungsgabe nachgesagt. So manch ein Sterblicher hatte sich in eine der Tuatha de Danaan Frauen verliebt und war damit in sein Verderben gelaufen. Ríoghnach beäugte Laoise argwöhnisch.

„Ich wusste nicht, dass Druiden Kinder haben“, sagte sie misstrauisch.

„Für gewöhnlich haben sie das auch nicht. Mein Vater ist eben eine Ausnahme. Er lebt schon seit Jahren in diesem Wald. Er schert sich nicht, was um ihn herum geschieht. Es ist ihm egal, dass Connacht vor die Hunde geht und ganz Ériu dazu. Er hat aufgegeben daran zu glauben, dass er etwas ändern könnte“, sagte Laoise, während sie auf das Haus in der Mitte des Feldes zuging.

Beim Näherkommen erkannten die Reisenden, dass das Haus nicht gerade einladend aussah. An den Wänden fehlten einige Bretter und das Dach war ebenfalls beschädigt. Im Inneren des Hauses war es dunkel. Die Reisenden wussten nicht so recht, was sie davon zu halten hatten. Sie waren sich zwar nicht sicher, was sie erwartet hatten, aber sicherlich kein altes verkommenes Haus. Nach der wundersamen Hecke und dem plötzlich hell scheinenden Sonnenlicht hatten die Reisenden schon etwas mehr erwartet. Nun, dies minderte wenigstens die Befürchtung, dass Laoise eine der Tuatha de Danaan war. Welche Tuatha de Danaan Frau hätte sich dazu herabgelassen in einem schäbigen alten Haus zu wohnen?

„Enttäuscht? Leider können wir mit einem Tuatha de Danaan Schloss in den Wolken nicht dienen. Könnte damit zusammen hängen, dass wir auch nur normal sterbliche Wesen sind wie ihr. Oder zumindest wie die meisten von euch“, sagte Laoise, als hätte sie die Gedanken der Reisenden gelesen.

„Und die Hecke?“, fragte Diarmuid unvorsichtiger Weise.

„Die Hecke? Die hält die Nachbarn fern. Das ist ein ganz einfacher Trick. Selbst du könnest das lernen“, erklärte Laoise.

Sie standen vor der Tür des Hauses.

„Vielleicht ist es besser, wenn ich zuerst mit ihm rede. Er ist ein wenig misstrauisch Fremden gegenüber“, meinte Laoise. Sie verschwand in dem Haus und ließ die anderen wartend zurück.

„Mir gefällt die Sache nicht“, sagte Oisín beunruhigt, sobald Laoise außer Sichtweite war.

„Ja, woher sollen wir wissen, ob wir ihr trauen können. Das könnte genauso gut eine Falle sein“, meinte Cáilte, seinem Ziehbruder beipflichtend.

„Wir haben nicht viel zu verlieren. Wir werden hier einfach etwas warten“, sagte Finn, der als Einziger durch den Gedanken, Laoise könnte eine der Tuatha de Danaan sein, nicht verschreckt worden war – und das aus mehr als nur einem Grund.

Nach einer Weile trat Laoise zusammen mit dem Druiden aus dem Haus. Der Druide schien sehr alt und von einem harten Leben gezeichnet zu sein. Er trug einen alten verschlissenen Inar und musste sich auf einen Stock stützen. Er sah so aus, als hätte er mindestens hundert Zyklen gesehen. Wenn man Laoise und den Druiden zusammen betrachtete, so wäre man kaum auf die Idee gekommen, dass der alte Mann der Vater dieser wunderschönen Frau war. Überhaupt schien Laoise nicht so ganz hierher zu passen. Ihre Anmut gepaart mit einem Stolz der schon fast an Arroganz grenzte, ließen eher vermuten, dass sie an einen Königshof gehörte und nicht in ein verdrecktes Haus im Wald, auch wenn das Haus eine recht beeindruckende Hecke besaß.

„Auf dem Grund des Meeres gibt es etwas, dass Euch helfen kann. Loinnir Síorai, das ewige Licht. Es wird Euch den Weg weisen. Mehr kann ich Euch nicht sagen. Findet das Licht und es wird Euch den Weg weisen“, krächzte der Druide, der mit diesen Worten wieder in seinem vergammelten Haus verschwand. Alles geschah blitzschnell. Seine Betrachter wunderten sich fast, ob er jemals da gewesen war, oder ob sie sich das gerade eben nur eingebildet hatten.

„War das alles? Was sollen wir denn mit diesem Licht anfangen?“, fragte Oisín verwirrt.

„Sagt nicht, dass ich Euch nicht gewarnt habe“, erinnerte Laoise die Reisenden an ihre Worte.

„Das Licht auf dem Grunde des Meeres. Was soll das überhaupt bedeuten?“, wunderte sich Cáilte.

„Ich weiß, was es bedeutet. Der Herrscher des Königreichs Tír fa Tonn besitzt solch ein Licht“, sagte Finn und blickte Laoise wieder an.

„Schade nur, dass Ihr nicht ins Königreich Tír fa Tonn zurückkehren könnt. Der König würde Euch sicherlich lebendig verbrennen lassen für das, was ihr ihm angetan habt“, sagte Laoise, ihre Fähigkeiten zur Schau stellend.

„Woher weißt du das?“, fragte Ríoghnach überrascht.

„Ich weiß es eben. Ich bin die Tochter eines Druiden. Und du Ríoghnach, Prinzessin des Königreiches Tír fa Tonn, bist auch kein ganz normal sterbliches Wesen“, entgegnete Laoise gelassen.

Finn schien von Laoise Kenntnissen über ihn und Ríoghnach nicht überrascht zu sein. Auch fühlte er sich von Laoise nicht bedroht. Er sah sie einfach nur schweigend an. Die anderen waren jedoch von den neuen Informationen mehr als geschockt – sie hatten Angst. Konnte Laoise ihre Gedanken lesen? Ihre innersten Geheimnisse und Ängste erkennen? Sie waren nicht darauf gefasst gewesen, dass ihre Fähigkeiten so weit reichten. Laoise kannte Ríoghnachs Namen und ihre Herkunft. Was konnte sie noch alles sehen? Einige der Gaeil hatten auch hellseherische Fähigkeiten. Aber noch nie hatten Oisín, Cáilte oder Diarmuid diese Fähigkeit bei einer Person so ausgeprägt erlebt. Und dies führte die drei wieder zu der beunruhigenden Frage: War Laoise eine der Tuatha de Danaan? Dies war eine Frage, die vor allem Oisín beunruhigte, warum wusste er selber nicht, aber er war sich sicher, dass manche Dinge besser verborgen blieben – vor allem vor Laoise.

„Dann werde ich ins Königreich Tír fa Tonn gehen“, sagte er schließlich.

„Das ist ein mutiger Vorschlag“, meinte Finn anerkennend.

„Davon rate ich ab. Lasst mich mit Euch kommen und ich werde mit dem Herrscher des Königreichs Tír fa Tonn verhandeln“, schlug Laoise vor.

„Warum sollte er mit einer Frau verhandeln?“, fragte Oisín herablassend.

„Warum sollte er mit dir verhandeln?“, konterte Laoise mindestens ebenso herablassend.

Die goldenen Fibeln, die Laoises dunklen Inar vorne zusammenhielten, blitzten in der Sonne und ließen den bodenständigen Oisín unbeeindruckt. Zwischen Oisín und Laoise herrschte von sofort eine gewisse Abneigung, von der lange niemand der anderen wissen sollte, wo sie herrührte. Zwischen den beiden schien etwas aufeinander zu treffen, das einfach nicht zusammen gehörte. Wie Feuer und Wasser. Beide fühlten sich von dem jeweils anderen bedroht. Oisín spürte, dass Laoise Antworten auf sein Geheimnis kannte, von dem er selber noch nicht einmal vermuten konnte, worin es überhaupt bestand. Das machte ihm Angst. Laoise auf der anderen Seite fühlte, dass Oisín noch zu einem Problem für sie werden würde. Denn ihn konnte sie nicht täuschen. Er erkannte, was sie eigentlich war.

„So kommen wir nicht weiter. Ich halte es für einen guten Vorschlag, Laoise mit dem Herrscher des Königreich Tír fa Tonn reden zu lassen. Ihre besonderen Fähigkeiten können uns bestimmt nützlich sein. Laoise, du bist in unserem Bunde willkommen“, verkündete Finn.

Ríoghnach warf Finn einen Blick zu, der ihm sagte, dass sie damit in keiner Weise einverstanden war. Auch die anderen, allen voran Oisín, waren von Finns Entscheidung nicht begeistert, sie wagten es aber nicht ihren Führer zu kritisieren.

„Danke. Auch ich bin ein Kind dieses Königreiches und werde mein möglichstes tun, um es wieder zu dem zu machen, was es einmal war“, sagte Laoise, der die Abneigung der anderen natürlich nicht entgangen war.

„Um zum Königreich Tír fa Tonn zu kommen, müssen wir zur nördlichen Küste Érius gelangen. Das heißt, wir müssen das Königreich Ulaidh komplett durchqueren“, erklärte Finn, der eine Karte von Ériu aus seiner Gürteltasche hervorholte.

„Zuerst werden wir aber zurück nach Cruachan Aí gehen, um uns mit Zelten und Vorräten zu versorgen. Ich habe das Gefühl, dass das noch eine lange Reise werden wird.“

„Worauf warten wir dann noch? Gehen wir“, sagte Diarmuid entschlossen.

Ohne ihrem Vater Lebewohl zu sagen, zog Laoise mit den Reisenden los. Oisín und Cáilte blieben ein wenig zurück, um ihrem Ärger Luft zu machen.

„Wenn es nach mir ginge, dann wäre sie nicht willkommen“, brach es aus Oisín heraus.

„Das sehe ich auch so. Frauen bringen Unglück. Eine war eigentlich schon zu viel und jetzt haben wir noch eine. Ich weiß nicht, wo uns das hinführen soll“, sagte Cáilte verärgert.

„Denkst du, dass sie eine der Tuatha de Danaan ist?“, fragte Oisín nachdenklich.

„Dafür ist sie doch gar nicht hübsch genug“, entgegnete Cáilte herablassend.

„Ich weiß nicht. Finn hat sie jedenfalls in ihren Bann gezogen“, stellte Oisín richtigerweise fest.

Der Fianna Zyklus: Der Stein von Temair

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