Читать книгу Die Felle des Trappers - Sophie Wörrishöffer - Страница 4

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Zu Beginn des vorigen Jahrhunderts lagerte an einem Frühlingstage auf der Prärie hinter der letzten europäischen Ansiedelung am oberen Missouri eine buntzusammengewürfelte Gesellschaft von Männern, denen man das Leben in den Wildnissen des Westens auf den ersten Blick ansah. Zum grössten Teil waren sie Amerikaner, hatten aber auch einige Deutsche in ihrer Mitte, und etwas abseits an einem Baume lehnte sogar ein Indianer in der malerischen, überaus sauberen und sorgfältig gearbeiteten Tracht der Schwarzfüsse. Seine Gestalt war hoch und geschmeidig, sein Auge glänzend wie das des Adlers, die Gesichtszüge offen und gewinnend. Der „Gelbe Wolf“ trug auf dem Kopf eine Art Mütze oder Barett von Hermelinfellen mit zwei aufrechtstehenden Büffelhörnern (ein Abzeichen besonderer Tapferkeit) und am Körper eine Tunika aus zwei Hirschhäuten. An allen Nähten glänzte der Ausputz von den Stacheln des Stachelschweines und lang herabfallendem verschiedenfarbigem Haar, ein Siegeszeichen seines Besitzers, der es erschlagenen Feinden geraubt hatte, um damit seine Gewänder von den Squaws (Frauen) verzieren zu lassen. Die Skalplocken dieser Opfer schmückten in stattlicher Anzahl die Nähte an den ebenfalls aus Hirschleder verfertigten Beinkleidern des Häuptlings; seine Schuhe endlich waren die bekannten schwarzen Mokassins, und vom Gürtel herab, halb versteckt, hing der „Medizinbeutel“.

Der Gelbe Wolf trug Schild und Köcher, Pfeil, Bogen und Lanze wie alle Indianer dieser Gegenden.

„Da wären wir denn sämtlich beisammen, nicht wahr?“ fragte einer der Männer, eine hagere, sehnige Gestalt mit nicht mehr ganz europäischem Kleiderschnitt und von einer so dunkeln Hautfarbe, dass man über seine Abstammung im ersten Augenblick zweifelhaft sein konnte. „Travers, Pitt, Duncan, Everett, die beiden Deutschen, der Wolf und ich selbst.“

„Etwas scheint noch zu fehlen,“ bemerkte ein anderer. „So eine Art von Pferdeknecht, ein Diener.“

Der erste Sprecher lachte in sich hinein. „Da draussen,“ sagte er, mit der Spitze seiner kurzen Pfeife auf die fernen bläulichen Umrisse der Berge deutend, „da draussen gibt es keine Herren und keine Knechte, Mister Everett. Vorwärts, Wolf!“

Der Schwarzfuss rief mit leisem, lockendem Laut sein schönes Pferd, das sogleich zu ihm kam und den Kopf an die Schulter des Gebieters schmiegte. Während die Reiter aufsassen, näherte sich dem jungen Amerikaner, den der Trapper als Mister Everett angeredet hatte, von der Seite her ein etwa fünfzehnjähriger Knabe in ärmlichem Anzuge mit einem guten offenen Gesicht, dessen blaue Augen und blondes Haar den Sohn deutscher Eltern verrieten. „Herr,“ sagte er halblaut, „auf ein Wort.“

Der junge Kaufmann wandte den Kopf. „Nun, Bursche,“ versetzte er, „was gibt’s?“

„Einen Pferdeknecht, Herr — — nehmt mich mit, es soll Euch niemals gereuen.“

Der Neuyorker lächelte. „Du?“ sagte er. „Natürlich ein Ausreisser, ein Tunichtgut, dem die Schule nicht schmeckt, he?“

„O nein, Herr,“ war die freimütige Antwort, „ein Mensch, der trotz seiner grossen Jugend schon darauf bedacht sein muss, möglichst viel Geld zu verdienen.“

Der Amerikaner lachte.

Der Trapper hatte sich den Knaben schärfer angesehen. „Komm her, du,“ rief er jetzt, „bist du nicht der Sohn des Deutschen von der kleinen Farm da unten am Fluss?“

Das hübsche Gesicht des Knaben wurde blass. „Mein Vater wurde vor acht Tagen begraben. Ich selbst heisse Hugo Werner.“

„Aha,“ rief eine andere Stimme, „der ist’s also. Euter Leute Kind, Mister Everett. Der Vater kam vor langen Jahren hierher und gründete in dieser Gegend die erste Niederlassung, kämpfte mit wilden Tieren und wilden Menschen, steckte alle seine Kraft und all sein bisschen Kapital in das Unternehmen, dann, als er endlich die Früchte dieser ausdauernden Anstrengungen zu geniessen hoffte, verkaufte plötzlich die Regierung den ganzen Grund und Boden hier herum einem schlauen Spekulanten, der sich die Sache längst schon berechnet und Wohl erwogen hatte; Werner musste, da er nur ein Squatter, aber kein Eigentümer war, seine Farm verlassen — er legte sich hin und starb, das ist die Geschichte.“

Der Trapper nickte vor sich hin, alle übrigen hatten wie er lautlos den Bericht des Amerikaners mit angehört, nur der Gelbe Wolf bekümmerte sich anscheinend um nichts.

„Ich denke, Mister Everett, wir können den Jungen brauchen,“ sagte jetzt der Trapper. „Wird doch zugrunde gerichtet an Leib und Seele, wenn er ohne väterlichen Schutz in die grossen Städte kommt und dort für sich selber einstehen soll. Was willst du denn verdienen, Bursche, he?“

Hugo sah auf. „Zwölf Dollar monatlich, Sir,“ antwortete er.

„Du tust es auch für acht, Schelm, nicht wahr?“

„Nein, Sir — keinen Cent weniger als zwölf, ich kann es nicht und ich finde auch den Preis nicht zu teuer.“

„Komm näher, Junge!“

Der Trapper legte ihm, als Hugo bescheiden herantrat, die Hand auf den Kopf und sprach im Flüsterton einige Worte, dann, als der Knabe errötend bejahte, nickte er wieder zufrieden vor sich hin. „Ich gebe meinen Anteil zu den zwölf Dollar.“

„Ich auch!“ rief Everett. „Junge, dafür musst du meine Stiefel schmieren und den Spiegel halten, wenn ich mich rasiere.“

Ein schallendes Gelächter klang durch die Frühlingsluft dahin, selbst über das kupferfarbene Antlitz des Wilden glitt ein Schimmer von Heiterkeit. In zwei Stunden sollte Hugo Werner mit seinem Felleisen unten am Blockhause sein, wo der Händler wohnte, bei dem man für derartige Unternehmungen den Reisebedarf einkaufte.

„Aber du packst mir nicht zu viel hinein, Junge!“ rief Jonathan. „Ein Hemd und eine Decke, hörst du, Nadel und Zwirn, Messer, Gabel, Löffel und einen Blechteller.“

Hugo versprach alles, was man von ihm verlangte, dann lief er, während die Reisegesellschaft zum Fluss hinabritt, quer durch die Felder bis an ein kleines, zu einer stattlichen Farm gehörendes Nebengebäude, wo ihm eine schwarzgekleidete Frau mit blassem, traurigem Gesicht freundlich entgegenkam. „Wo warst du denn, Hugo?“ fragte sie.

Er zog sie in das Zimmer des Erdgeschosses, wo ein kleines achtjähriges Mädchen mit einer kopflosen Puppe spielte.

„Hugo,“ rief das Kind, „komm her, Miss Flora hat ihren Kopf verloren! — o bitte, Hugo, du musst uns einen neuen machen.“

Der Knabe hörte sie nicht, er umfasste seine Mutter und küsste zärtlich ihr eingefallenes Gesicht. „Du sollst jetzt nicht mehr weinen, Mama,“ sagte er und verschluckte mutig die eigenen Tränen. „Es gehen Pelzhändler in das Indianergebiet, Mama, sieben Männer mit wenigstens zwanzig Pferden, die begleite ich und verdiene zwölf Dollar im Monat. Du kannst Lenchen in Kost und Pflege geben, wie du es wünschtest und kannst als Krankenwärterin für dich sorgen, bis ich dich, liebe Mutter, zu ernähren vermag.“

Die Frau war vor Schreck auf einen Stuhl gesunken. „Hugo, du willst in die Rocky Mountains gehen — du?“

Der Knabe nickte. „Es muss sein, Mutter,“ versetzte er, „das Schicksal des Trappers ist auch kein so schlimmes, dass du deswegen zu weinen brauchst. Noch gestern rangst du die Hände und batest Gott um einen Ausweg, jetzt ist er gefunden, die zwölf Dollars sind da, also fasse Mut, Mütterchen, du hättest nur hören sollen, wie gut alle diese Leute von meinem Vater sprachen!“

Frau Werner liess bitterlich weinend den Kopf in die Hände sinken. „Als wir vor zwanzig Jahren hierher kamen, dein Vater und ich, da war dieser Platz ein wüster Busch! — er hat ihn in fruchttragenden Acker verwandelt, er hat mit seinen fleissigen Händen jeden Fussbreit Landes umgegraben, er hat die Bäume gepflanzt und den Fluss abgedämmt — und als das Werk vollendet war, da kam ein Fremder, ein ganz Fremder, und nannte sich den Eigentümer der Farm. Grosser Gott, wie schrecklich ist das alles!“

Hugo streichelte ihr graues Haar. „Gewiss, Mutter, gewiss ist es schrecklich, um so mehr aber musst du wünschen, von hier fortzukommen. Heute morgen sagtest du: Hätte ich nur die zwölf Dollar, um das Kind unterzubringen! — nun, jetzt sind sie gefunden.“

„Aber dafür soll ich dich fortziehen lassen!“

„Freilich — und sogar auf der Stelle, Mutter. Gib mir das alte Felleisen des Vaters und lass mich deinen Nähkasten ein wenig plündern,— so!“

Er hatte alles Nötige zusammengerafft und küsste jetzt das Kind, dessen rosiges Gesichtchen sich bei den Tränen der Mutter leise zu verziehen anfing. Ihn drängte es, fortzukommen. — Es musste geschieden sein, also so schnell wie irgend möglich.

Frau Werner rang immer noch die Hände. Ihren Knaben, den letzten von fünf, wie sollte sie es ertragen?“

„Bleib,“ murmelte sie, „bleib, ich will mich als Magd verdingen, ich will dem neuen Herrn dienen wie eine Sklavin.“

Hugo schüttelte den Kopf. „Du sollst nicht geduldet sein auf dem Boden, den des Vaters Hände urbar machten, dein Sohn kann es nicht ertragen. Und jetzt gib mir einen Kuss, ich muss fort!“

Die arme Frau schlang weinend ihre Arme um den Hals ihres Sohnes. „Mein edelherziger Junge! — Lenchen, bitte Gott, dass er unseren Hugo beschützen möge.“

Der Knabe ergriff das Felleisen, in dem einst der Vater seine geringe Habe über den Ozean gebracht hatte und legte es auf seine Schultern. „Leb wohl, Mutter,“ sagte er energisch und doch mit gewaltsam durchbrechender Wehmut, „wir sehen uns ja bald wieder. Vor Beginn des Winters bin ich zurück. Auf Wiedersehen, Lenchen!“

Er riss sich gewaltsam los und eilte davon, quer durch den Gemüsegarten der Farm bis an den Waldrand, wo unter einer mächtigen Eiche ein Hügel und ein kleines schwarzes Kreuz das letzte Bett eines Heimgegangenen bezeichneten. Aber nicht nur eines! — Vier Söhne hatte Frau Werner hier dem Schosse der Mutter Erde übergeben müssen und ganz kürzlich auch ihren Mann.

Hugo blieb an dem Grabe stehen und sah langsam von einer Stelle zur anderen. Das hübsche, solid gebaute Wohnhaus, die weiten Felder, der Garten, die Scheunen, alles des toten Mannes Werk, der Ertrag von zwanzig Jahren treuer Arbeit — und nun verloren!

Ob es dem fremden glattzüngigen Manne Segen bringen würde, so über die Verzweiflung seines Nächsten hinweg ein Geschäft zu machen? — Er war Spekulant, hatte die Farm mit ungeheurem Gewinn schon wieder verkauft und die Gegend verlassen. Gottes Wege sind so in Dunkel gehüllt, dass das Auge des Menschen die tiefe Finsternis oft nicht zu durchdringen vermag.

Hugos Hand glitt langsam herab von dem Kreuze aus seines Vaters Grab. Er hatte den neuen Eigentümer, einen Deutschen, gebeten, die Stelle zu schonen, und der versprach es auch, er erlaubte sogar der Witwe, noch eine Zeitlang das Zimmer im Nebengebäude zu bewohnen und sich täglich das Essen aus der Küche zu holen, aber das konnte ja auf die Dauer so nicht bleiben, der Knabe sah Wohl die heimlichen Tränen der Mutter, er hatte sie erst an diesem Morgen sagen hören: „Wenn ich doch für dich ein Unterkommen und monatlich zwölf Dollar hätte, um Lenchen in Kost und Pflege zu geben!“ — das trieb ihn hinaus, der Gesellschaft der Pelzhändler zu.

Es war eine stattliche Karawane, die mit Reitern und Packpferden an den Ufern des gelben Missouri über die endlosen Prärien dahinzog. In jenen Tagen kannte man keine Dampfschiffe und Eisenbahnen, der „Westen“ mit seinen unerschlossenen Schöpfungsgeheimnissen war erst von wenigen kühnen Reisenden durchstreift worden, es gab noch keine bequemen Transportmittel, sondern wer die Indianer sehen und mit ihnen handeln oder gegen einen Stamm den Schutz des anderen in Anspruch nehmen wollte, der musste sich zu Pferde den fünfhundert deutsche Meilen lang ausgedehnten Wildnissen der Prärien und Wälder, auf seine und seiner Genossen Körperkraft bauend, ohne Schirmherrn oder irgendwelches Geleit anvertrauen. Er suchte also zuerst die Bekanntschaft weisser Felljäger, welche ihrerseits mit den Indianerhäuptlingen auf befreundetem Fusse standen und so eine Art von Sicherung gegen die Überfälle anderer Stämme bildeten, nebenbei aber auch die Wildnis in ihren geheimsten Schlupfwinkeln kannten.

Auch die diesmalige Gesellschaft hatte es so gemacht, und indem sie den Trapper Jonathan für sich zu gewinnen wusste, gewiss keinen schlechten Führer erhalten. Mit ihm kam der Gelbe Wolf, sein Jagdgenosse und unzertrennlicher Gefährte, an die Grenze der Prärien, um dort die Weissen in Empfang zu nehmen, alle Vorräte waren eingekauft, die Packpferde beladen, und fort ging es in den frühlingsgrünen Wald, in die offene Prärie und das Tal der Missouriquellen.

Voran ritten der Trapper und der Häuptling, dessen sonderbarer Kopfputz, die verkleinerten und glattpolierten Büffelhörner, seltsam bei jedem Schritt des Pferdes schwankte. „Der Gelbe Wolf hat nachgedacht,“ sagte er langsam in tiefen melodischen Tönen, „und der Grosse Geist hat ihm geantwortet. Es ist nicht gut, den weissen Mann hineinzuführen in das Land der roten Krieger, er wird seine Büffel ausrotten und seine Wigwams vom Boden vertilgen.“

Der Trapper schüttelte den Kopf. „Du und ich, wir können es nicht hindern, Wolf. Wir müssen nehmen, was uns der Grosse Geist schickt.“

Der Gelbe Wolf machte eine so ungestüme Bewegung, dass sich sein Pferd plötzlich bäumte und die beiden Büffelhörner auf seinem Kopfe zu sinken und zu nicken begannen. „Auf!“ sagte er, „die Squaws haben das Lager abgebrochen, wir dürfen keine Zeit verlieren.“

Die beiden ersten Pferde verfielen in schnellere Gangart, und alle übrigen folgten. Das zerbröckelte malerische Ufer des Missouri mit seinen Hügeln aus Ton und reichlichen Adern von Bergkristall erglänzte im Sonnenlicht gleich den Ruinen einer uralten, den Stürmen der Jahrhunderte erlegenen Stadt; hier wölbten sich hohe Dome mit Riesenpfeilern, dort standen einzelne halbgebrochene Säulen, und weiterhin zeigte sich vielleicht ein Schloss auf einsamer Warte mit Brücken und Schiessscharten, Hallen und Zinnen. — —

Eine Herde schlanker, fleckiger Antilopen brach in grossen Sprüngen hervor aus den für Menschen und Raubtiere unzugänglichen Klüften des Ufers, Bergschafe mit gewundenen Hörnern folgten ihnen nach, und die ganze Gesellschaft setzte flüchtig wie der Wind über zackige Abhänge und ebene weite Flächen dahin.

„Solch ein schöner Braten,“ knurrte Duncan, der nicht zum ersten Male das Indianergebiet bereiste, „aber man kann sie eben nur mit List einfangen.“

Jonathan bestätigt dies. „Ich wette, Mister Everett hat irgendeine buntfarbige Krawatte bei sich,“ sagte er gutmütig scherzend, „dergleichen bindet man an einen Stock und legt sich in den Hinterhalt, die neugierige Antilope kommt dann sogleich herbei, und man braucht nur noch zu bestimmen, ob das Fleisch als Braten oder in der Suppe verzehrt werden soll.

Hier herum müssen wir unser Lager aufschlagen“, setzte er hinzu. „Es gibt heute keinen Mondschein, und wir würden möglicherweise in ein Dorf der Präriehunde hineingeraten.“

Der Gelbe Wolf deutete auf ein vielzackiges Geschiebe von Klüften und Ausläufern, das in einiger Entfernung aus dem Ufer hervorsprang. „Dort!“ versetzte er. „Die Wolken haben dunkle Ränder, es gibt Regen.“

Die Pelzjäger sahen hinüber. „Aber wohnt nicht Kaleb (der graue Bär) in diesen Höhlen?“ fragte Pitt.

„Haben wir nicht sechs gute Kugelbüchsen, die Pfeile des Gelben Wolfes ungerechnet? — Die Sonne sinkt, wir müssen eilen.“

Das Glühen und Leuchten auf den höchsten Spitzen der Hügel am Ufer hatte allmählich einem gleichförmigen Grau Platz gemacht. In einer Viertelstunde musste die Nacht hereingebrochen sein, ausserdem aber fühlten auch alle Reisenden das Mahnen des Hungers, den die frische gesunde Luft jener entlegenen westlichen Gegenden ganz besonders zu schärfen pflegt.

Das zerklüftete bergige Terrain war erreicht, etwas wie ein offenes Tor, von unregelmässig geformten Basaltblöcken getragen, zeigte sich den Reisenden, und zischend und sprudelnd schoss durch seine Spalten ein kleiner klarer Bach, an dessen Ufer die Pferde, nachdem man sie ihrer Bürde entledigt, frei umherlaufend das reichliche Gras abweiden durften. Für die Nacht sollten sie mit Ausnahme des einen, das der Gelbe Wolf ritt, an Lederriemen befestigt werden.

Das Gepäck wurde in die nach hinten gelegene kleinere Höhle geschafft und alle Wände derselben genau untersucht. Ausser einigen harmlosen Schlangen und Fledermäusen fand sich kein Bewohner, nichts schien den Frieden des Ortes zu stören. Hugo musste dem Trapper helfen, trockenes Holz zum Feuer herbeizuschaffen und Wasser aus dem Bache zu schöpfen, dann kamen die Vorräte an das Tageslicht. Everett besah sie von allen Seiten. „Was ist das, Jonathan?“ fragte er etwas misstrauisch den alten Trapper und deutete auf ein schwärzliches, feines Pulver, das sackweise eingekauft worden war.

„Pemmikan!“ entgegnete trocken der Jäger, „geröstetes und zu Pulver zerstossenes Büffelfleisch. Das hier ist Büffelmark, geschmolzen und in Blasen gegossen.“

Everett verzog den Mund. „Ich verzichte!“ versetzte er. „Warum nehmt Ihr denn nicht lieber das Fleisch gesalzen mit?“

„Weil uns die Pökelfässer schwerlich allein nachgelaufen wären.“

Everett seufzte. „Also Pemmikan,“ sagte er, „und —?“

„Kaffee ohne Rahm und Zucker, Schiffsbrot und — was wir etwa schiessen.“

„Oder pflücken mit Eurer Erlaubnis. Ich sah da Beeren.“

„Die sämtlich in drei bis vier Monaten geniessbar werden, ja.“

„O weh! — Euren Pemmikan, der wie Gartenerde aussieht, mag ein anderer essen. Guten Appetit, ich danke.“

Das Wasser brodelte im Topf, und die Düfte der zerstossenen Kaffeebohnen stiegen verlockend empor; Jonathan und Hugo hatten alle Arbeiten allein besorgt, der Häuptling lag auf seiner Büffeldecke, und die anderen unterhielten sich über den geschäftlichen Erfolg der Unternehmung, nur Everett holte Zigarren und seine Laute hervor.

Der Pemmikan machte die Runde, ihm folgte eine Pfeife, und nachdem so der indianischen Sitte genügt war, wurde auch die Rothaut gesprächiger.

„Eine singende Medizin,“ sagte er, auf die Laute deutend.

„Das ist recht, Häuptling,“ versetzte Everett, „setze dich hierher zu mir, alter Junge, und lass uns plaudern. Zum Beispiel, was hast du da baumeln? Ein ausgestopftes Murmeltier, so wahr ich ein armer Sünder bin.“

Der Indianer brachte sogleich das geheimnisvolle Etwas hinter seiner Tunika in Sicherheit. „Medizin!“ antwortete er.

„Auch Medizin? — Alle Teufel, was ist denn darin?“

„Höre nicht auf ihn, Sagamore,“ schaltete in der Mundart der Schwarzfüsse plötzlich der Trapper ein, „er ist ein Narr, aber er denkt nicht daran, dich beleidigen zu wollen.“

Der Häuptling mochte indessen an dem hübschen, gutmütigen Gesicht des jungen Neuyorkers Gefallen finden. „Weisser Mann hat auch seine Medizin,“ versetzte er freundlich, während die braunen Finger in der Luft ein Kreuz malten. „Der Gelbe Wolf will es niemals verspotten. — Hugh!“ rief er dann plötzlich, indem er gedankenschnell seine Waffen ergriff, — „der Bär!“

Jonathan schien ebenso rasch das Herannahen des Ungetüms bemerkt zu haben, auch seine Kugelbüchse lag im Anschlag, bevor noch die Weissen daran dachten, sich von ihren Plätzen zu erheben. „Alles still,“ gebot er, „Kaleb wird nicht angegriffen!“

„Das fragt sich, würdiger Altmeister dieser Wildnis,“ flüsterte der unverbesserliche Everett, „mich gelüstet es nach der ersten Skalplocke und nebenbei ganz ausserordentlich nach frischem Fleisch! Aber sage mir doch einer, kann man von Kalebs sterblichem Teil irgendeine Partie braten?“

Diesmal gab Hugo die gewünschte Auskunft. „Prächtig, Herr,“ sagte er, „mein Vater hat früher manchen Bären geschossen.“

„Wo steckt denn die Bestie, Häuptling, ich sehe nichts!“

Der Indianer zeigte auf eine Stelle, wo die Pferde zitternd eng beisammenstanden und hörbar schnauften. Unweit von ihnen sass auf dem Grase ein riesiger grauer Bär, das gefährlichste, unüberwindlichste Raubtier dieser Gegenden; er schien den Augenblick zum Angriff sorgfältig wählen zu wollen, aus dem offenen Nachen floss der Geifer, die Augen glänzten tückisch.

„Jonathan,“ rief Everett, „ist das nun Herr oder Frau Kaleb? Wahrhaftig, ich sehe im Geiste die appetitlichen Scheiben schon braten.“

Der Trapper liess von dem wütenden Bären keinen Blick, auch der Indianer kroch Zoll um Zoll, immer den Pfeil auf der Sehne haltend, näher zu seinem alten Waffengefährten hinüber;die beiden Männer fixierten unausgesetzt das Auge des Raubtiers, sie bewachten jede, auch die leiseste Bewegung desselben, während hinter ihnen die Kugelbüchsen sämtlicher Jäger im Anschlag lagen. Nur Everett konnte es nicht über sich gewinnen, der Klugheit Gehör zu geben.

„Ich schiesse!“ rief er. „Wir können gar nicht fehlen!“

„Lasst das,“ warnte Pitt. „Menschen und Pferde wären in grösster Gefahr. Dies ist der männliche Bär, jedenfalls aber liegt das Weibchen mit den Jungen in irgendeiner Höhle ganz nahebei. Schiesst um des Himmels willen nicht.“

Aber die Warnung kam zu spät. Everetts Kugel zischte durch die Luft, und der getroffene Bär sprang fusshoch über den Boden empor. Aus einer Wunde in der Schulter floss stromweise das Blut, die gewaltigen Pranken schlugen nach allen Seiten, die Pferde flüchteten. Mit einem gewaltigen Satze näherte sich, vor Wut und Schmerz brüllend, das Untier seinen Angreifern.

Ein Hagel von Kugeln empfing es, sein schönes graues Fell wurde durchlöchert, sein Blut floss in Strömen, aber noch war keineswegs die riesige Kraft gebrochen.

„Zurück! Zurück!“ rief der Trapper. „In die innere Höhle!“

Ein Pfeil vom Bogen des Häuptlings traf das Tier ins Auge und blieb schwankend im Kopfe stecken, — halb geblendet übersprang es die Reste des Feuers. — —

Everett allein erwartete festen Fusses sein Kommen, die übrigen hatten sich hinter den Schutzwall der Felsenmauern begeben und schossen von dort aus dem Dunkel hervor.

Everett behielt indessen seine vollste Kaltblütigkeit. Auf einem etwas erhöhten Punkte stehend, liess er den Bären nahe genug herankommen, um mit Sicherheit zielen zu können, dann flog die Kugel aus nächster Nähe in den geöffneten Rachen der Bestie und machte ihr dadurch den Garaus.

„Hurra!“ rief Everett, „Frau Kaleb, Sie sind Witwe!“

Der Indianer trat aus der Höhle hervor, sein ernstes Gesicht war von einem Schimmer des Lächelns erhellt.

„Mein weisser Bruder ist ein Tapferer,“ sagte er wohlgefällig.

Auch der Trapper nickte zufrieden. „Es ist um den Mut eine schöne Sache,“ sagte er, „aber man soll nichts übertreiben. Mister Everett hat mit dem, was er tat, das Leben von acht Menschen aufs Spiel gesetzt. Kommt dergleichen nochmals vor, dann müssten wir Mister Everett in der Wildnis allein lassen und uns von ihm trennen. Es ist gegen alle Regeln der Jagd, den grauen Bären anzugreifen.“

„Aber doch nicht, sich sein Fleisch schmecken zu lassen, he? Kommt her, alter Knabe, und weidet kunstgerecht den Fang aus! Das delikate Roastbeef werde ich selbst zubereiten.“

Er holte unbekümmert um die Ermahnungen, welche ihm auch von den übrigen Reisegefährten zuteil wurden, eine Blechpfanne und einige Büchsen mit Gewürz hervor, dann fachte er das Feuer wieder an und legte sinnend den Zeigefinger gegen die Nase. „Haben wir nichts, um das gebratene Fleisch mit einer kleinen angenehmen Beilage zu versehen?“ fragte er. „O du geliebte Kartoffel, ihr frischen bräunlichen Semmeln, euch grüsst wehmütig meine Seele! — Aber halt, da draussen wachsen Stachelbeeren! Komm her, Hugo, wir werden ein Kompott bereiten, du sollst mir sammeln helfen, nimm einen Korb!“

In Everetts unergründlichen Reisetasche fand sich unter zahllosen sonstigen Gegenständen auch eine kleine hübsche Laterne. Jetzt entzündete er das Wachslicht, griff tiefer hinein, um ein Säckchen mit Zucker zutage zu fördern, und wollte sich auf den Weg machen, als ihn der Trapper zurückhielt.

„Lasst wenigstens den Jungen hier! Es ist immer noch möglich, dass die Bärin kommt.“

„Gut!“ nickte Everett, „fleuch, Knabe, ich gehe allein!“

Aber Hugo bat den alten Trapper, die kleine Expedition mitmachen zu dürfen. Das sorglose Wesen des jungen Neuyorkers gefiel ihm sehr, er glaubte auch, dass Everett ohne ihn die Büsche gar nicht finden werde. „Seht nur, Herr,“ setzte er hinzu, „die Pferde weiden ruhig, es ist kein Bär in der Nähe.“

Der Trapper lachte auf seine eigentümliche Weise. Was der Knabe sagte, das wusste er ja selbst ganz genau, aber es freute ihn, den jungen Menschen mit allen diesen Geheimnissen der Natur so vertraut zu finden. „Lauf, Schlingel!“ rief er.

Everett ging in Hugos Gesellschaft bis zu den nächsten Büschen, und während die Männer den Bären zerlegten, hörten sie häufig das muntere Lachen der beiden. Als sie zurückkehrten, begann ein abermaliges Kochen und Braten. Der Indianer trug sorgfältig die Überreste des getöteten Bären in den Bach, um nicht etwa einen nächtlichen Besuch der Wölfe herauszufordern, dann beobachtete er mit einem ziemlich geringschätzigen Lächeln die Vorbereitungen des jungen Neuyorkers zur Bereitung des Stachelbeerkompotts. Etwas duftendes braunes Holz, etwas Schale von einer kleinen gelben Frucht und kleine weisse Steine, wie er glaubte.

Als das Gericht fertig war, bot Everett es den übrigen, ohne jedoch viel Beifall zu finden. Der Indianer wies beinahe schaudernd die Stachelbeeren mit beiden Händen zurück, und der Trapper probierte sie nur aus Höflichkeit. „Das Gemisch behagt Euch? — Guten Appetit! Habt Ihr vielleicht einen Tropfen in Eurer Korbflasche, Duncan?“

Die Nacht war vollends herabgesunken, tiefe Stille herrschte ringsumher; die Wachen wurden unter den Teilnehmern der Reise durch das Los bestimmt. Die erste Wache hatten der Trapper und Hugo.

Sie hüllten sich, so gut es ging, in die mitgenommenen Wolldecken, legten die geladenen Büchsen neben sich und setzten sich an den Ausgang der inneren Höhle. Im Vorderraum brannten grosse Baumäste, welche von Zeit zu Zeit nachgeschoben wurden, die Pferde weideten, und dicht nebeneinander sassen der Knabe und der alte Mann, dessen Haar ergraut war, dessen eigentümliches Äussere die Merkmale der roten und weissen Menschenrassen harmonisch zu vereinigen schien.

Obgleich er eine Kugelbüchse und ein Jagdmesser trug, obgleich die Ausschmückung der Wilden und namentlich der bei keinem Indianer fehlende Medizinbeutel an ihm nicht zu entdecken waren, so hatte er doch seinen ganzen Anzug aus der Haut des schwarzen Hirsches selbst gefertigt und auch die Gewohnheiten des roten Volkes so ziemlich alle angenommen. Mit der selbstgefertigten Pfeife aus Speckstein zwischen den Zähnen sah er vorsichtig auf die Prärie hinaus und kehrte dann, als ihm nichts Verdächtiges auffiel, zu seinem jungen Gefährten zurück.

„Du bist ein guter, bescheidener Junge,“ sagte er, „nicht wahr, es ist doch für deine Mutter, dass du dich so den Gefahren der Prärie aussetzest? Erzähle mir einmal deine Geschichte, mein Sohn, — vielleicht kann ich dir früher oder später nützlich werden.“

Und der Knabe, froh, sich gegen jemand aussprechen zu können, sagte ihm, dass er fest entschlossen sei, männlich auszuharren, ja vielleicht gar selbst Trapper zu werden, wenn ihm diese Beschäftigung früher als irgendeine andere erlauben würde, seiner verwitweten Mutter die Sorgen zu erleichtern, — aber der alte Jonathan schüttelte dazu den Kopf. „Ein Leben ohne Heimat, ohne Familie,“ sagte er mit einem halben Seufzer, „ein verlorenes Leben, mein Junge. Wir Weissen können doch niemals ganz wie die Rothäute fühlen.“

„Aber Ihr seid doch auch ein Weisser und — ein Trapper!“

„Freilich! — nur hat mich mein Geschick in diese Verhältnisse gewaltsam hineingeworfen, ich konnte nicht anders, denn meine Wiege stand in einem indianischen Wigwam, oder besser, hing auf dem Rücken einer barmherzigen indianischen Squaw. Du sollst hören, wie es mir erging, Junge, damit du siehst, dass auch andere Leute ihre Bürden zu tragen hatten! — Vor fünfundfünfzig Jahren stand da, wo heute die Strassen einer Stadt sich dehnen, meines Vaters Blockhütte, ich selbst lag neugeboren, kaum einige Tage zählend, in der Wiege, als in einer Nacht die Krähenindianer kamen und alles mordeten, was auf der Farm lebte, alles stahlen, was sie brauchen konnten, selbst mich, da sie annahmen, dass ihnen ein weisses Kind Glück bringen würde! Der Häuptling hat mich in seine Büffelhaut gehüllt und in die Hütte seiner Squaw gebracht, wo ich eine Zeitlang blieb, bis mein Schicksal abermals eine unerwartete Wendung nahm. Die Schwarzfüsse, mit den Krähen im beständigen Kriege, schickten, während sich die Männer des Stammes im Felde befanden, heimlich Kundschafter, welche den kleinen Sohn des Krähenhäuptlings stehlen sollten, um ihn nachher gegen ein hohes Lösegeld von Pferden und Pelzen wieder zurückzugeben. Die Abgesandten wussten nichts von dem weissen Knaben, der ahnungslos in seiner Wiege schlief. Im Dunkel der Nacht ergriffen sie ihn und brachten ihn den Schwarzfüssen, fest überzeugt, das Häuptlingskind geraubt zu haben. Taubenauge, die Grossmutter des Gelben Wolfes, legte mich mit ihren eigenen Kleinen an die ernährende Brust, ich zog mit dem Stamme viele Jahre lang durch die Prärien hinter den Spuren des Büffels nach Westen, ich war in allen meinen Gewohnheiten, meinen Anschauungen der Sohn des roten Volkes geworden, ehe ich überhaupt wusste, dass es auf Erden weisse und farbige Menschen gibt. Erst später, nachdem um mein Kinn der Flaum zu sprossen begann, erfuhr ich das, was ich dir jetzt erzähle, mehr aber auch nicht, denn die Familie, bei welcher ich lebte, wusste selbst nichts anderes als nur dies. — Wer mein Vater gewesen, wie er hiess und aus welchem Lande er stammte, das wusste niemand.“

Hugo hatte mit grosser Teilnahme die Erzählung des alten Trappers angehört.

„Ihr lebt also noch in den Indianerdörfern?“ fragte er blitzenden Auges. „O ich möchte ein solches sehen.“

Der Trapper lächelte. „Morgen abend rasten wir im Lager der Schwarzfüsse, mein Sohn. Der Stamm verlässt seinen bisherigen Wohnort und zieht gegen Westen, der Spur des Büffels nach, wir werden ihm auf unserm Wege begegnen und die Squaws ihre Zelte wieder aufrichten sehen, bevor uns die Reise weiter hinausführt zu den Verstecken der Trapper.“

„Und die liegen noch in weiter Ferne?“ fragte mit unwillkürlichem Herzklopfen der Knabe.

„Fünfhundert Meilen tiefer in das Land hinein, Kind.“

„Ach — da werden wir schwerlich zu Beginn des Herbstes wieder zu Hause sein können.“

„Doch, mein Sohn, wenn alles gut geht, liefere ich dich um diese Zeit deiner Mutter wieder ab — und was sich so an verschiedenen kleinen Pelzvorräten findet, die ich ausser der Hauptniederlage noch hier und da in den Felsschluchten versteckt habe, nun, das soll ihr gehören, damit die arme Frau ruhiger dem Winter entgegensieht. Ich will dir sagen, weshalb heute bei der Abreise meine Stimme für dich ins Gewicht fiel! — Hiess nicht der Mann, welcher deinen Vater vertrieb, Stuart Collins?“

„Ja!“ antwortete überrascht der Knabe, „weshalb fragt Ihr?“

Der alte Trapper nickte. „Ich gehöre zu den Bleichgesichtern und ich füge keinem von ihnen ein Leid zu, mein Sohn, — nur einen unter allen nehme ich aus, diesen Stuart Collins.“

Hugo wagte nicht, dem Grunde dieses leidenschaftlichen Hasses nachzuforschen. „Ich danke Euch, Mister Jonathan,“ sagte er herzlich.

Der Trapper unterdrückte einen Seufzer. „Sprechen wir von angenehmeren Dingen,“ versetzte er, „so alte Erinnerungen machen traurig. Morgen sollst du den Umzug einer ganzen Dorfbewohnerschaft in der Prärie mit ansehen.“

Hugo freute sich sehr. „Eins könntet Ihr mir erzählen, Mister Jonathan,“ sagte er nach einer Pause, „ich hätte es schon so lange gern gewusst. Was ist das mit dem Medizinbeutel der Indianer?“

„Das will ich dir sagen, Kind, und wäre es nur, damit du nie einen Indianer danach fragst oder gar einen dieser Medizinbeutel an dich zu bringen suchst. Der rote Mann verachtet die Neugier.“

Er verschob das seltsam geformte, halb wie eine Tunika, halb wie ein gewöhnlicher Rock zugeschnittene Gewand aus Hirschleder und nahm unter den Falten desselben ein kleines ausgestopftes, wohlerhaltenes Vögelchen von buntem vielfarbigem Gefieder hervor. „Sieh,“ sagte er, „das ist meine Medizin!“

Hugo sah von dem kleinen hübschen Vogel in das Gesicht des Trappers und von diesem wieder zurück zu ersterem. „Auch Ihr?“ rief er voll Erstaunen, „auch Ihr?“

„Ja, Kind, auch ich. Jeder Indianer, sobald er erwachsen wird, macht sich seine Medizin; es wäre unmöglich als einer der Ihrigen unter ihnen zu leben ohne diesen Akt, der die Kindheit abschliesst, dem jungen Burschen einen Namen gibt und ihm das Recht verleiht, an den Beschäftigungen der Männer teilzunehmen. Ich habe das kleine Ding da vor vielen, vielen Jahren gläubigen Herzens angefertigt und gedacht, dass in jener Stunde der Grosse Geist mit mir gesprochen, — weshalb sollte ich es setzt wegwerfen?

Wenn der indianische Knabe fünfzehn Jahre zählt,“ fuhr er fort, „dann begibt er sich ohne alle Begleitung hinaus in den Wald oder die Prärie, fastet drei Tage und drei Nächte, öffnet auch während dieser Zeit die Lippen zu keinem Laut und setzt sich, wenn der vierte Tag anbricht, mit dem Rücken gegen einen Baum, um auszuspähen. Das erste Tier, welches er sieht, ist sein ‚Natohwa‘ oder Geheimnis, von den meisten einfach ‚Medizin‘ genannt, er hält es für seinen besonderen Schutzgeist und kehrt nun nicht eher in das Dorf zurück, bis er ein solches erlegt hat, worauf unter vieler Feierlichkeit die Haut des betreffenden Geschöpfes zubereitet und aus ihr der mit Gras und Moos gefüllte Beutel hergestellt wird.“

„Und Ihr habt auch so hungernd und stumm drei Tage und drei Nächte allein im Walde gelegen?“

„Ja, Kind! — und mein junges Herz war voll von heiliger Begeisterung, voll von den Schauern der Ehrfurcht.“

Er schwieg, und auch Hugo stützte, ohne zu sprechen, den Kopf in die Hand.

Jonathan stopfte neuen Tabak in die Pfeife. „Was ich dir hier erzählt habe, das bleibt unter uns, Junge,“ sagte er.

„Schau!“ unterbrach er sich plötzlich, „da sind Antilopen.“

Die schlanken, neugierigen Tiere kamen in der tiefen Stille der Nacht ganz nahe heran zum Feuer und drängten sich neugierig bis in den hellbeleuchteten Umkreis desselben. Hugo sah die schönen Köpfe mit ihren oft beschriebenen Wunderaugen, die anmutigen Bewegungen aus nächster Nähe.

„Jetzt pass auf,“ raunte der Trapper. „Sie verschwinden wie in den Boden hinein.“

Er klatschte plötzlich in die Hände, und gleich einem Schwarm aufgescheuchter Tauben flohen die scheuen Tiere nach allen Richtungen; nur Sekunden währte es, dann war der Platz leer.

In der inneren Höhle regte sich’s, der Gelbe Wolf sah hinaus auf die Prärie. „Hugh!“ stiess er leise, kaum hörbar, hervor.

Der Trapper wandte den Kopf. „Nichts, Sagamore!“ flüsterte er lächelnd.

Und dann legte er Hugos Decke näher zum Feuer. „Schlaf, Kind, ich kann mit meinen alten Augen für uns alle wachen.“

Der Knabe nahm seinen Platz wieder ein, er wollte den Schlummer abschütteln, eine Zeitlang kämpfte er auch tapfer gegen die stärkere Macht, aber dann zerflossen langsam die Gedanken in unbestimmte Bilder, und nach dem Tage voll Aufregung und Herzensweh fielen die Wimpern schwer herab. Er schlief fest.

Der Trapper warf noch eine zweite Decke über den Körper seines Schützlings, und dann sah er wieder, die Pfeife zwischen den Zähnen, stumm hinaus in die nächtliche Prärie.

Die Felle des Trappers

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