Читать книгу Die Felle des Trappers - Sophie Wörrishöffer - Страница 5
2
ОглавлениеAm folgenden Morgen sass die ganze Reisegesellschaft mit Sonnenaufgang im Sattel. Das Bärenfleisch wurde mitgenommen, ebenso das zottige Fell des alten Kaleb; die Sonne schien warm herab auf tausend Knospen und treibende keimende Blätter, auch Hugo fühlte sich heute schon viel freier als gestern, und Everetts Laune war geradezu unübertrefflich. „Die Wildnis lässt sich ganz gut an,“ sagte er, „ich erwachte in dieser Nacht nur zwölfmal und habe kaum ein halbes Schock Käfer und Eidechsen in meinen Kleidern gefunden. Wann werden wir Büffel schiessen, Jonathan?“
„Wenn uns welche begegnen,“ war die trockene Antwort. „Vorerst müssen wir jetzt absteigen und die Pferde am Zügel führen. Es kommt ein Hundedorf.“
Der Gelbe Wolf stand schon auf dem Boden und zog sorgfältig spähend sein Tier hinter sich her, alle übrigen folgten diesem Beispiel, und nun zeigte sich auch die Kolonie jener kleinen Vierfüssler, die in den nordamerikanischen Prärien zu Hunderttausenden leben. In je zwanzig bis dreissig Fuss Entfernung hoben sich vom Grau der Erde kleine Hügel, deren jeder oben auf seiner höchsten Höhe einen Eingang für die bewohnende Familie erkennen liess. Regelmässige Strassen hatte indes dieses seltsame Dorf nicht, so dass die Reisenden ihre Pferde hindurchziehen mussten.
„Wisch-ton-Wisch schläft noch,“ sagte der Gelbe Wolf.
„Seine Frau Base wird ihn schon wecken!“ lachte Duncan. „Ich habe diese vermaledeiten Dörfer häufig genug passiert, um die seltsamen Neigungen des Präriehundes zu kennen. Seht ihr da an jedem Eingang eine kleine Eule sitzen, meine Herren? — Das ist die Schildwache der Familie, zu welcher auch grosse gehörnte Eidechsen und Landschildkröten gehören.“
Aus allen Erdlöchern erhoben sich die Köpfe des amerikanischen Hamsters, eines kleinen hundeähnlichen Tieres, das, braun mit weissem Bauche, die Grösse eines Eichhorns zu haben schien, und das jetzt schweifwedelnd, äusserst wohlgenährt, in aller Gemütlichkeit vor seiner Haustür sass und jenen Laut hervorstiess, der mit der Hundestimme verwandt ist, aber trotzdem entschieden wie „Tschirp! Tschirp!“ klingt. Dieses Gebell verbreitete sich von Hütte zu Hütte; wohin das Auge sah, da wimmelte es von den kleinen zutraulichen Tieren, deren keines die geringste Furcht zu empfinden schien.
Langsam ging es weiter durch die Zwischen den unregelmässig verstreuten Hügeln sich hinziehenden Gassen der Hundestadt, immer begleitet von dem tausendstimmigen „Tschirp! Tschirp!“ des lustigen Völkchens. Plötzlich bäumte eins der Packpferde hoch auf, es schlug wild mit den Hufen und schnob, Everett, der es hielt, hatte genug zu tun, um nicht von dem erschreckten Tiere zu Boden gerissen zu werden.
Der Indianer und der Trapper standen, als sie diesen Laut hörten, wie auf Verabredung plötzlich still.
„Schlange!“ murmelte der Gelbe Wof. „Schlange!“
Er bückte sich und glitt unter und zwischen den Pferden dahin bis an das Tier des jungen Neuyorkers; es Zitterte immer noch am ganzen Körper, seine Mähnen waren gesträubt, seine Augen mit Blut unterlaufen. Everett suchte vergeblich, es zu beruhigen. „Häuptling,“ rief er, „was hat nur der Coriolan plötzlich?“
Eine schnelle Bewegung des Indianers antwortete ihm, blitzschnell, aber dennoch um Sekunden zu spät. Ein erschütternder grässlicher Schrei brach aus der Kehle des Pferdes hervor, es taumelte, wand sich und fiel in Zuckungen zu Boden, während durch die Reihen aller seiner Genossen das Stampfen und Sichsträuben fortlief, während die Präriehunde bellten und der Trapper seinem Genossen einige Worte zurief.
Gleich darauf war er neben dem gefallenen Tiere, von dessen rechtem Hinterfuss der Indianer soeben mittels seines Messers den Körper einer Klapperschlange in Stücken lostrennte, worauf er die hornige Schwanzspitze, eben die Klapper, sorgfältig in die Weidtasche schob.
„Euer Pferd hat unglücklicherweise auf eine im Gras versteckt liegende Schlange getreten, Mister Everett,“ sagte der Trapper, „es ist verloren und muss daher sogleich getötet werden. Steigt ab, Herr, — was beschliesst Ihr über das Gepäck, welches der Coriolan trug?“
Der Newyorker schien zum ersten Male betroffen. „Aber ist denn das alles gewiss?“ fragte er unentschlossen, „sollte der Häuptling kein Gegengift kennen?“
„Steigt ab, Herr,“ wiederholte energisch der Trapper, „ich sage Euch, es geht nicht anders.“
Everett sprang aus dem Sattel, seine Reitgerte traf ungestüm den nächsten kleinen Präriehund, der sich schleunigst mit einem Wehegeheul in seine unterirdische Klause zurückzog, dann fuhr er unschlüssig mit der Hand durch das Haar. „Ich kann von diesen Sachen durchaus nichts entbehren,“ sagte er verdrossen, „Taschentücher, Hemden, Westen, Handschuhe und mein Pelz!“
„Schweigt jetzt, Herr, und helft uns.“
Mehrere Männer hatten das Gepäck vom Rücken des sterbenden Tieres abgeschnitten und zogen es aus den Reihen der übrigen hervor. Eine mitleidige Büchsenkugel machte seinen schrecklichen Qualen ein Ende; Jonathan nahm das Geschirr und näherte sich dem ganz verzweifelten Everett. „Lasst den Kram liegen,“ sagte er verächtlich, „für den Wald passt doch das feine Gewebe nicht.“
„So soll ich als Wilder nach Neuyork zurückkehren? Sehr verbunden, Freund Jonathan, aber das wäre doch des Guten zu viel. Heda, ihr übrigen, etwas von meinen Sachen nimmt jeder in Verwahrung, denke ich!“
Er reichte diesem ein Bündel Wäsche, jenem ein Pappkästchen und dem dritten eine Schachtel; trotz aller dieser Bemühungen aber gelang es nicht, die grosse Menge von Gegenständen unterzubringen, und so blieb zwischen den Höhlenreihen der unterirdischen Stadt ein ansehnlicher Stapel feinster Neuyorker Leinenwäsche und ostindischer Tücher im Morgenwinde liegen.
Die Unterhaltung schwieg wieder. Drei Stunden im Sonnenschein über einen unebenen, zu beständigen Kreuz- und Quersprüngen nötigenden Boden zu marschieren und dabei mehrere Pferde hinter sich her zu ziehen, das verdirbt die Laune.
Gegen Mittag wurde Pemmikan und Schiffsbrot gegessen.
„In zwei Stunden müssen wir dein Volk treffen, Sagamore,“ sagte da Jonathan.
Der Häuptling streckte die Hand aus. „Wenn der Sonnenball über den Wipfeln dieser drei Fichten steht, dann sind die Söhne der Schwarzfüsse an den Ufern des fischreichen Sees angelangt,“ versetzte er. „Ihr Weg und unser Weg laufen eine Zeitlang nebeneinander“ der Gelbe Wolf will den Medizinmann fragen, ob dieser Zug von Glück begleitet sein wird.“
„Bah,“ lächelte der Trapper, „das sagst du im Scherz, Sohn meines Bruders. Was könnte erfahrenen Kriegern begegnen?“
Der Indianer schüttelte den Kopf. „Es liegt eine Wolke auf unseren Häuptern, Wi-ju-jon!“ fuhr er leise sprechend fort.
Der Trapper schien plötzlich ernst zu werden. „Was meinst du, Sagamore?“ forschte er. „Es ist unmöglich, dass dir hier die Spur eines der Krähen oder Assiniboins begegnet wäre!“
Der Gelbe Wolf schüttelte seinen ausdrucksvollen Kopf. „Die Krähen und Assiniboins mögen kommen,“ versetzte er, „ein Tapferer ist bereit, ihre Skalplocken an seinen Gürtel zu hängen, er nennt sie die Söhne von Hündinnen und will sie erschlagen wie diese! — Wi-ju-jon, es sind nicht solche Feinde, die in Fleisch und Blut vor ihm stehen, es sind nicht Menschen, die der Sohn deines Bruders fürchtet.“
Eine Zeitlang gingen die beiden an der Spitze des Zuges wortlos nebeneinander dahin.
„Will Wi-ju-jon die Wolke sehen, welche mit uns gen Westen zieht?“ fragte der Häuptling plötzlich.
„Sprich, Sohn der Fliegenden Pfeilspitze,“ entgegnete Jonathan. „Der, dem deine Worte gelten, ist ein Mann.“
„So schau her!“
Und der Gelbe Wolf zeigte dem Alten in seiner hohlen Hand, sorglich versteckt von den Falten der Tunika, jenes kleine ausgestopfte Vögelchen, an das sich für den Besitzer so teure Erinnerungen knüpften, — Jonathans Medizinbeutel, den er immer an einer getrockneten Hirschsehne um den Hals zu tragen pflegte. „Das fand ich im Gras neben dem Leichnam des erschossenen Pferdes,“ raunte er. „Der Gelbe Wolf warnt Wi-ju-jon!“
Das Herz des Trappers schlug schneller. Er wollte den Zufall für nichtsbedeutend, für gleichgültig halten, aber die indianische Erziehung, welche er genossen, machte sich doch in diesem Augenblick sehr stark geltend, er verbarg hastig das Vögelchen in der Jagdtasche. „Haben es die Bleichgesichter bemerkt?“ fragte er gepresst.
„Der Gelbe Wolf ist kein Weib, dass er hingehen und schwatzen sollte. Aber er warnt dich, Wi-ju-jon! Du hast Unglück auf diesem Wege.“
Der Trapper raffte sich auf, gewaltsam, wie es schien. Die indianische Furcht vor übernatürlichen Dingen rang sichtlich in seiner Seele mit dem Urteil des klaren Verstandes, das in der bei einer stärkeren körperlichen Anstrengung gerissenen Sehne und dem Herabfallen des Medizinbeutels nur ein ganz gewöhnliches Ereignis erblicken konnte, keinesfalls aber eine schlimme Vorbedeutung. „Was der Grosse Geist sendet, das müssen wir ruhig ertragen, Sagamore,“ versetzte er endlich. „Ich gehe mit den Weissen! Du wirst nicht verlangen, Sagamore, dass sich der Bruder deines Vaters wie ein Weib verkriecht, wenn die Gefahr im Anzuge ist.“
„Hugh!“ rief der Indianer. „Die Familie der Fliegenden Pfeilspitze ist eine Familie von Häuptlingen. Keiner ihrer Angehörigen hat jemals sein Wort gebrochen. Aber Wi-ju-jon braucht nicht selbst zu gehen, der Gelbe Wolf wird die Weissen zu den Wasserfällen des Missouri führen und ihnen die Verstecke des Trappers zeigen. Seine jungen Krieger sollen ihn begleiten.“
Der Jäger drückte heimlich voll Rührung die Hand des Häuptlings. „Wir gehen miteinander, Sagamore,“ versetzte er dann.
„Ich höre das Stampfen der Pferde,“ rief der Indianer.
„Unser Volk!“ setzte nach einem sekundenlangen Horchen der alte Trapper hinzu. „Sie sind es, Sagamore!“
„Hugo!“ rief er dann dem Knaben zu, „jetzt pass aus, wir kommen in das Lager der Schwarzfüsse.“
Der Knabe hob sich im Sattel, so gut es Everetts Pelzrock erlaubte, und sah vor Verlangen bebend in die angedeutete Richtung hinaus. Wieviel war ihm nicht auf der Farm von den gefürchteten Wilden erzählt worden, wie lange und wie sehnlich hatte er nicht gewünscht, einmal von Angesicht zu Angesicht die Rothäute kennenzulernen, mit denen sein verstorbener Vater vor Jahren so harte und blutige Kämpfe bestanden! — Jetzt nahten sie, das Bellen ihrer zahllosen Hunde klang schon herüber, und bald zeigten sich auch in den Gebüschen zur rechten und linken Seite des Weges die funkelnden Augen versteckter Krieger, später sogar ganzer Scharen derselben, aber die Weissen bemerkten es nicht, und weder der Häuptling noch der Trapper nahmen von ihnen die mindeste Notiz. Es wäre nach ihren Begriffen höchst unpassend gewesen, sich auf offener Heerstrasse zu begrüssen.
Und jetzt zog es über die grüne sonnenglänzende Prärie heran mit mehr als tausend Pferden und wenigstens ebensovielen, ja geradezu unzählbaren Hunden. Zu beiden Seiten eines seltsam malerischen, aus Frauen und Kindern bestehenden kleinen Heeres schwärmten auf flinken, durchaus vortrefflich dressierten Pferden etwa sechshundert Indianer, alle mit Büchsen oder Pfeilen und Bogen bewaffnet, alle in Hirschleder gekleidet, mit einer grösseren oder geringeren Anzahl von Skalplocken an der überreich verzierten Kleidung. Sie bildeten die Schutzwache der Frauen und Kinder, welche sämtlich zu Fuss gingen, nur begleitet von jenen Hundescharen, die hier auf das sinnreichste zum Nutzen der Haushaltung verwendet wurden. Jede einzelne Squaw mit ihrem faltigen Rock aus Hirsch- oder Antilopenfell, ihren Perlen und Schnüren, ihren sonderbaren Gesichtsmalereien, führte am Zügel ein Pferd, auf dessen Rücken die Zeltstangen, durch Querhölzer verbunden, das Gerät der Hütte und ihre Fellbedachung trugen. Oben auf diesem schwankenden Bau sassen die Alten und Schwachen, sowie diejenigen Kinder, welche zum Gehen noch zu klein waren, so dass bei einzelnen besonders zahlreichen Familien das Pferd drei bis vier Personen neben der ganzen beweglichen Habe seines Eigentümers zu tragen hatte. Neben dem Pferde gingen die grösseren stärkeren Hunde.
Die Weissen mit ihren Begleitern hielten auf dem Wege, den der indianische Stamm verfolgen musste, aber vergebens erwartete Hugo, dass das braune Völkchen irgendein Erkennungszeichen oder die Freude des Wiedersehens an den Tag legen werde; auf beiden Seiten blieb man anscheinend so gleichgültig, wie die fremdesten Menschen einander begegnen, es streckte sich keine Hand dem Bruder entgegen, es zeigte sich keine Spur von Freude, selbst die Kinder schienen von dieser in Fleisch und Blut übergegangenen Sitte ihres Volkes schon aller natürlichen Fröhlichkeit beraubt, auch sie liessen die Herankommenden vollständig unbeachtet, — nur ein einziger Hund, ein grosses, schönes, wolfsartiges Tier, machte von der allgemeinen Regel eine Ausnahme, indem er dem alten Trapper entgegen und an dem Pferde desselben emporsprang.
„Treu!“ sagte leise, ihm den Kopf streicheind, der Trapper, „Treu, mein alter Geselle, freust du dich? — Aber still jetzt, still!“
Und der Hund gehorchte augenblicklich. Neben dem Pferde gehend, begnügte er sich, seinen Herrn fortwährend anzusehen und leise mit dem buschigen Schweif zu wedeln. Die Weissen ritten jetzt in einer Linie mit den roten Kriegern und den zu Fuss gehenden Squaws, in geringer Entfernung zeigte sich die blaue Fläche des Sees, an dessen Ufern gerastet werden sollte.
„Ein seltsamer Empfang,“ sagte kopfschüttelnd Everett.
Duncan lächelte. „Zuerst muss die Pfeife angezündet und das Lagerfeuer in Brand gesetzt sein,“ sagte er.
Everett hatte den Ärger über seine verlorenen Schätze bereits verschmerzt, er dachte jetzt nur noch an das Vergnügen, den Indianern etwas vorzuspielen und später in Neuyork von diesem Konzert am Lagerfeuer, hingestreckt auf Büffelhäute, umhorcht von den Squaws der Wilden, seinen Freunden zu erzählen. Jetzt hielten die vordersten Reiter, leise murmelnd plätscherten blaue Fluten gegen das Ufer, überall dehnten sich weite Futterplätze, auf welchen man die Pferde nach Belieben herumlaufen liess, und während sich die Männer in den Schatten der jungen Blätter lagerten, begannen die Frauen das Zeltdorf herzurichten. Nicht einmal die grösseren Knaben halfen ihnen. Sie mussten die schweren Zeltstangen allein aufrichten, die Steine zum Feuerherd suchen und herbeischleppen, trotzdem aber war in weniger als einer Stunde alles dieses getan, und von über hundert Feuerstätten drang lustig der Rauch zum Himmel empor. In den Zeltgassen tumelten sich die Kinder mit den zahllosen Hunden, vor den niederen, zum Kriechen eingerichteten Türen waren Frauen und Mädchen beschäftigt, zum „Sakkatusch“, dem beliebten Gemüse der Rothäute, die Bohnen und Maiskörner zwischen grossen Steinen zu zerquetschen, andere holten in Kürbisflaschen aus dem See das klare Wasser herbei, und wer alles dieses besorgt hatte, der richtete in flachen hölzernen Schüsseln den Pemmikan zum Abendessen her.
In der Mitte des freien Platzes standen abgesondert von den übrigen zwei Zelte, deren eines, das Beratungszelt, den Männern zum Versammlungsort diente, während das andere, die Medizinhütte, gewissermassen das Allerheiligste war, den Frauen strengstens verschlossen und auch nur zu bestimmten seltenen Stunden den Häuptlingen geöffnet, der Wohnort des Medizinmannes oder Zauberers, die Stätte all des seltsamen Hokuspokus und Aberglaubens, von dem kein Indianer lässt, ja, dessen erzwungenes Aufgeben den Weissen gegenüber ihn moralisch vernichtet und allen Haltes beraubt. Hier lagen unter Haufen von Häuten versteckt die seltsamen Schmuckgegenstände des Medizinmannes: Tierköpfe, Felle, Federn und Krallen, getrocknete Insekten und ausgestopfte Vögel oder Reptilien, kurz, alle solche Erscheinungen des Tierlebens, die selten gefunden werden, und allein aus diesem Grunde „Medizin“ oder Geheimnis, etwas Wunderbares sind. Nur derartige Dinge verwendet der Zauberer für seinen Anzug.
Allmählich wanderten von allen Seiten die Krieger mit ihren langen Pfeifen und hübschen Tabaksbeuteln zur Versammlungshütte. Auch unsere Reisenden fanden sich ein, und nachdem noch eine Zeitlang geraucht und geschwiegen worden war, ergriff ein alter Häuptling das Wort, um den Gelben Wolf inmitten seiner Krieger willkommen zu heissen und zugleich den Fremden die Gastfreundschaft des Stammes anzubieten.
„Wie-ju-jon will unseren Freunden, den Blassgesichtern, seine Felle verkaufen?“ fragte er. „Die Verstecke, in denen er sie vor den Blicken der räuberischen Krähen und Assiniboins verbirgt, liegen an den oberen Wasserfällen des Missouri?“
„So ist es, mein Bruder,“ versetzte der Trapper. „Hat der ‚Büffeltöter‘ gegen diesen Plan etwas einzuwenden?“
Der Häuptling schwieg eine Zeitlang. „Wi-ju-jon ist ein weiser Mann und hoch geachtet von dem Volke der Schwarzfüsse,“ sagte er dann, „er möge hören und urteilen. Meine jungen Krieger haben in der Umgebung der Missourifälle die Spuren des Krähenstammes gefunden, — mit den roten Männern waren zwei Weisse, ein Mann und ein Knabe.“
„Hugh!“ rief plötzlich der Gelbe Wolf. „Wi-ju-jon höre!“
Der Trapper hob den Kopf. „Weisse?“ wiederholte er überrascht. „Hat der Büffeltöter von seinen jungen Leuten erfahren, wer diese waren?“
Der Häuptling verneinte.
Jetzt mischten sich mehrere der Pelzhändler zugleich in das Gespräch. „Hat Euer Stamm mit den Krähen im Augenblick Krieg?“
„Aber Mann, Mann, wenn die Felle gestohlen wären!“
„Wenn wir erst mit den verfl — — ja, ich meine, wenn es da erst zu Scharmützeln käme!“
„Jonathan, ich ziehe mit Euch!“ liess sich Everett vernehmen.
„Wie-ju-jon!“ ermahnte der Gelbe Wolf.
Ein Blick aus den freundlichen Augen des Trappers dankte ihm. „Die weissen Männer mögen selbst entscheiden,“ sagte er dann, „wollen sie mich mit ihren Packpferden nicht bis zu den Missourifällen begleiten, so ist es mir auch unmöglich, ihnen meine Felle zu verkaufen. Auf Streit mit den Indianern muss jeder gefasst sein, der sich überhaupt in ihr Gebiet begibt.“
„Wohl gesprochen!“ rief Everett.
Die übrigen berieten leise, nur Hugo schwieg. Das Herz schlug ihm schneller als gewöhnlich. In den Krieg sollte er ziehen! — —
„Abgemacht!“ rief Duncan, der Erfahrenste unter den Versammelten, „abgemacht, wir wollen die Sache wagen, selbst auf die Gefahr eines Scharmützels hin. Habe schon mehr als ein solches überstanden, bin nicht der Mann, auf halbem Wege umzukehren.“
„Und überdies,“sagte Markmann, einer der beiden Deutschen, „wer könnte denn behaupten, dass die Rothäute, wenn sie vor acht Tagen an den Fällen waren, noch dort sein müssen!“
„Hugh!“ rief der Büffeltöter, „meines weissen Bruders Zunge springt wie ein Füllen auf der Weide. Die Krähen mit den beiden Bleichgesichtern sind selbst noch auf dem Wege zu den Fällen! — Die jungen Leute des Büffeltöters sind ihnen dort begegnet — sie werden nur um etwa zwei Tage früher anlangen als Wi-ju-jon und seine Freunde.“
Der Trapper nickte. „Das wusste ich, Häuptling,“ versetzte er. „Ich erwarte auch nichts anderes als Verrat und Räuberei, da wo die Krähen ihre Hand im Spiele haben, aber ich bin nicht gesonnen, mein Eigentum ohne Kampf aufzugeben. Was sagt der Büffeltöter zu dieser Absicht seines Freundes?“
Der alte Krieger hob die Rechte. „Er sagt, dass Wi-ju-jon wie ein Mann gesprochen hat,“ versetzte er energisch, „der Büffeltöter würde seinen Bruder begleiten und neue Skalpe nach Hause bringen, wenn nicht der Schnee des Alters auf seinem Haupte läge und ihn zwänge, unter den Squaws zu leben, während die jungen Leute auf dem Kriegspfade wandeln.“
Der Gelbe Wolf erhob sich, ein Zeichen, dass er zu reden wünschte. „Will Wi-ju-jon dem Sohne seines Bruders erlauben, ihn mit fünfzig oder hundert der besten Krieger zu begleiten?“ fragte er. „Auch die tapfersten Häuptlinge können gegen eine doppelt stärkere Macht nicht kämpfen.“
Der Trapper schüttelte den Kof. „Wozu, Häuptling?“ fragte er. „Wollen sie nur meine Felle stehlen, so bedarf es keiner grossen Anzahl, — sind sie aber auf dem Kriegspfade begriffen, dann treffen wir sie am Missouri überhaupt gar nicht.“
„Desto besser!“ rief der Häuptling. „Dann hat der Gelbe Wolf mit seinen jungen Kriegern einen Spazierritt gemacht.“
Die Hand des Trappers streckte sich ihm entgegen, er antwortete nur mit den Augen. Später aber, als nach Auflösung der Versammlung sein junger Freund ihn am Arm ergriff, folgte er willig im Dunkel des Abends dem Häuptling zur Medizinhütte. „Lass uns Cristecooms Stimme hören!“ bat der Indianer.
Jonathan machte keine Einwendung. Seine roten Genossen wussten nicht, dass der alte Mann, seit er von den Weissen und seiner eigenen Abstammung gehört, sich nun auch in so mancher Beziehung über das farbige Volk erhoben hatte.
Der Medizinmann des Stammes war ein Greis von mehr als achtzig Jahren. Früher der tapfersten Häuptlinge einer, hatte ihn eine traurige Krankheit gezwungen, dem Kriegerhandwerk den Rücken zu kehren; er litt am grauen Star und konnte längst schon keinen Schimmer des Sonnenlichtes mehr sehen. Je weiter aber die Haut seine Augäpfel überzog, desto geheimnisvoller erschien der Alte den Indianern, und da naturgemätz mit der gänzlichen Trennung von allem äussren Leben das innere, geistige desto höher sich entfaltete, so wurde der Springende Hirsch Medizinmann und beherrschte vollständig die Gemüter der roten Krieger. Ein tiefer Denker wie so viele seines Volkes, ein Mann mit den Erfahrungen langer Jahre, konnte er, durch nichts abgezogen oder verwirrt, gewöhnlich leicht die kindlichen Fragen der Leute beantworten, konnte raten und trösten, wo niemand einen Ausweg wusste, — kein Wunder also, dass ihn alle die „Grosse Doppelmedizin“ nannten, und dass er sich des höchsten Ansehens erfreute.
Ganz in eine weite Tunika gekleidet, mit weissen Locken und einem Kopfputz aus Hermelin und Adlerfedern, hatte er die äussere Erscheinung eines Fürsten.
„Wi-ju-jon!“ sagte er mit geneigtem Kopfe lauschend. „Das Ohr des Blinden erkennt den Schritt eines Häuptlings.“
Der Trapper zog die Mühe vom Kopf. „Wünscht mir Gutes, mein Vater,“ sagte er, „denn ich ziehe dem Kampfe mit den Krähen entgegen.“
Der Medizinmann wiegte langsam wie in tiefer Betrachtung das Haupt mit den weissen Locken. „Die Krähen,“ sagte er sinnend, „die Assiniboins, die Sioux und die Chippewaer — wie oft habe ich in heisser Schlacht mit ihnen gestritten! Ob es recht war und dem Grossen Geiste angenehm? Es sollte nur Freunde geben unter den Söhnen der roten Stämme.“
Weder Jonathan noch der Gelbe Wolf wagten es, zu antworten, sie ehrten schweigend die Weisheit, welche von den Lippen des Blinden fiel. „Du selbst bist von Geburt ein Weisser, Wi-ju-jon!“ fuhr er fort, „ich erinnere mich so deutlich des frühen Morgens, an welchem meine Kundschafter aus den Zelten der Krähen heimkehrten, in ihren Mänteln ein Kind von wenig Wochen, der Sohn des Häuptlings, wie wir glaubten, das Unterpfand eines Vertrages. Die Abgesandten hatten es schlafend aus den Armen der Mutter gestohlen, und als ich’s ansah, ach, da war es ein kleines weisses Kind, dessen Mündchen begierig meine harten Finger erfasste. Die unschuldige Bewegung hat wohl damals dein Leben beschützt, Wi-ju-jon! Jung und ohne Erfahrung, wie ich war, dazu schwer enttäuscht und dem Spotte der Krähen preisgegeben, stand ich schon im Begriff, dich mit dem Tomahawk zu erschlagen, aber Cristecooms Absichten sind andere gewesen, er lenkte mein Herz, und ich trug dich zu der Mutter des Fliegenden Pfeiles, die damals ihr eigenes Kind säugte.“
Jonathans Seele wurde von den verschiedensten Empfindungen bestürmt. „Und mein Vater weiss nicht, woher die Krähen den gestohlenen Säugling genommen hatten?“ fragte er.
Der Blinde schüttelte den Kopf. „Wenige Männer, die schon damals denken konnten, leben bis auf diesen Tag,“ versetzte er. „Der Springende Hirsch ist der Letztgebliebene von allen seinen Brüdern, er hat länger die Mühseligkeiten des Daseins ertragen als die, welche mit ihm zugleich geboren wurden. Die Stelle, wo Wi-ju-jons Elternhaus stand, unweit der Stadt, welche von den Weissen St. Louis genannt wird, kennt er genau, aber den Namen ihrer Bewohner haben seine Ohren niemals vernommen.
„Nie?“ forschte in leidenschaftlichem Tone der Trapper.
„Nein!“ entgegnete fest der Greis. „Sie waren Engländer, das ist alles, was ich darüber erfahren konnte.“
Der Trapper hatte diesen letzteren Umstand früher schon gekannt, er wandte sich daher ziemlich enttäuscht ab und war offenbar bemüht, das im Augenblick verlorene seelische Gleichgewicht wiederzugewinnen, während der Gelbe Wolf dem Blinden erzählte, was sich heute morgen zwischen den Hügeln der Hundestadt zugetragen. „Was sagt der grosse Medizinmann der Schwarzfüsse,“ schloss er, „soll Wi-ju-jon die Warnung des Grossen Geistes in den Wind schlagen, oder soll er ihr folgen und den Gelben Wolf mit seinen jungen Leuten allein an die Missourifälle gehen lassen? Mein Vater möge sprechen.“
Die lichtlosen Augen des Greises sahen wie in eine andere, bessere Welt. „Wie-ju-jon soll gehen und als Mann und Häuptling sein Eigentum beschützen,“ sagte er nach einer Pause. „Der Grosse Geist kann nicht wollen, dass Diebe und feige Räuber ungestraft eines ehrlichen Jägers Erwerb an sich reissen, seine Warnung war das Wort eines weisen Vaters an den Gelben Wolf, er muss es nur richtig zu deuten wissen. Wi-ju-jons Medizin hatte den Häuptling verlassen, aber seines Bruders Sohn stand daneben und fand sie zur rechten Zeit! Hugh! Das ist klar und verständlich gesprochen. Ein Mann wäre zu wenig gegen fünfzig oder hundert Feinde, der Gelbe Wolf soll den Bruder seines Vaters begleiten und ihm vorangehen auf dem Wege der Tapferen!“
Ein Lächeln überflog die Lippen des Trappers. „Wi-ju-jon dankt seinem weisen Vater,“ sagte er herzlich, „er wird so tun.“
Der Gelbe Wolf erlaubte sich trotz des geheiligten Ortes ein leichtes Kopfschütteln, er war durchaus nicht überzeugt, aber nach dem bestimmten Ausspruch des Medizinmannes gab es keine Gegenrede mehr, und so blieb ihm nur übrig, sich mit dem Trapper zu verabschieden und seine Läufer durch das Dorf zu schicken, um für den nächsten Morgen die nötige Anzahl erprobter Krieger beisammen zu haben. Jonathan kam später, nachdem schon alles schlief, noch auf einen Augenblick in sein Zelt, um mit ihm zu beraten. „Wir ziehen etwa zwei Tage lang mit unserem Volk desselben Weges,“ sagte er, „aber denkt nicht der Gelbe Wolf, dass es für uns besser sei, schon vor ihnen aufzubrechen?“
Der Häuptling sah sorgenvoll aus. Seine abergläubische Furcht brach nochmals unwiderstehlich hervor. „Wi-ju-jon will sich beeilen, dem Verderben entgegen zu gehen!“ sagte er. „Der Häuptling, dessen Medizin verloren wurde, ist in Gefahr, — ist verurteilt.“
„Gut!“ rief Jonathan, „gut! aber der Mann, welcher den Feind fürchtet, ist wert, dass ihn dieser verachtet.“
„Hugh!“ rief der Indianer. „Ein Feind mit Händen und Augen und Füssen wie der Gelbe Wolf möge ihm begegnen wo er wolle, sein Skalp soll die Beute eines Tapferen werden! Aber ein Feind, der in der Luft lauert, der ist des Bösen Geistes Abgesandter!“
Jonathan schüttelte den Kopf. „Komm, wir wollen nicht streiten, Wolf, du und ich, wir standen ja schon in mancher Schlacht Seite an Seite, wir werden auch diesen Strauss ausfechten.“
Der Häuptling widersprach nicht länger, er ordnete seine Pfeile und brachte in den Köcher eine grosse Anzahl derjenigen, die, mit Widerhaken versehen, tief in den Körper eindringen und deren Spitzen vergiftet sind. Am meisten Sorgfalt verwendete er auf den Medizinbeutel; das ausgestopfte Murmeltier wurde mit dreifachen Schnüren befestigt, und erst als sein Eigentümer sah, dass menschliche Hände ausserstande waren, diese Knoten und Verschlingungen zu zerreissen, legte er sich beruhigt für den Rest der Nacht auf sein Lager.
Früh am nächsten Morgen, als die ersten Sonnenstrahlen den Rand des Horizonts färbten, sass die ganze Reisegesellschaft, jetzt um etwa sechzig braune Krieger verstärkt, im Sattel.