Читать книгу SCHWANZRASUR - Soulman - Страница 6
Käuze und Outcasts
ОглавлениеMuss ich denn tatenlos zusehen, wie die Welt an mir vorüberzieht, ohne dabei in irgendeiner Form befriedigend mitpartizipieren zu können, hörte ich Sam nicht nur einmal klagen. Sam gehörte zum Leidwesen seiner Freunde nicht zu jener Spezies von Menschen, die durch Unglück edel werden, sondern wie bei vielen Menschen so oft, einfach nur frustriert. Seine Augen waren nicht mehr imstande, andere Herzen anzustecken. Vielfach hatte ich das Gefühl, als sei sein Ziel, sich und der Umwelt nicht Lust sondern möglichst viel Unlust zu schaffen. Für den sensitiven Blick bot er eine Erscheinung, die auf der Suche nach einem Pflegeplatz für seine Seele war. Nur wer würde sie in einem solchen Zustand übernehmen, sagte ich mir immer wieder bei diesem Gedanken. Derartiges besprach ich nur mit mir und nicht mit unseren gemeinsamen Freunden, geschweige denn mit Sam. Ich habe noch immer große Lust ein Ich zu sein, obwohl ich mir natürlich bewusst bin, nicht der größte der Sterblichen zu sein, habe ich ihn noch immer im Ohr. Diese Zurechtweisung erhielten wir von ihm, als in geselliger Runde einer von uns meinte, er solle bei seiner Jagd nach dem Glück die materielle Absicherung, womit nichts anderes gemeint war als der Beruf, nicht ganz aus dem Auge verlieren. Sam stellte bereits in diesen Tagen die Frage, ob man da lang oder doch da lang gehen sollte, nicht mehr. Im Gegensatz zu seinen Altersgenossen, also im Gegensatz zu uns, seinen Freunden und Bekannten, wo in diesem Alter solche Fragen obligatorisch sind. Samuel spürte bereits damals in seinen Jugendjahren, dass alle diese Wege für ihn verbunden sind mit dem Untergang. Er versuchte unentwegt, der wahren Wirklichkeit entgegenzustreben, um letztlich doch nur beim Üben des Sterbens zu verharren. Auch in diesen Tagen, wo das ganze Leben noch vor uns lag, uns nach und nach der Eintritt zu den Genüssen des Lebens geöffnet wurde, hinkte Sam immer etwas nach. Ihm gelang es bereits in dieser adrialindurchtränkten Zeit nicht, seine für ihn typische Angst völlig wegzuzaubern.
*
Je älter ich werde, desto stärker befällt mich eine merkwürdige Angst. Meine innere Unruhe wird fortlaufend von der Sorge gespeist, wesentliche Dinge im Bereich der Musik, der Literatur oder generell in der Kunst nicht mehr entdecken zu können. Ich habe einfach Angst, nicht mehr fähig zu sein, für diese Dinge die gebührende Zeit und Zuwendung aufbringen zu können. Ach Sam, stoppte ich ihn damals, wenn man dich so reden hört, glaubt man einen Greis kurz vor dem Abgang vor sich zu haben. Was erwartest du von mir, etwa dass ich in dieses Geheul einstimme? Komm, lass uns lieber um die Häuser ziehen, forderte ich ihn auf. Er nahm mein Angebot mit einem ambivalenten Grinsen an. Mit diesem Grinsen, das für ihn so charakteristisch war. Man kann gar nicht wirklich glücklich sein, wenn man die Abgründe nicht kennt. Mit dieser für dieses Alter so typischen Posse, in denen wir uns gefielen, klopfte ich ihm auf die Schulter. Adoleszenzschübe mit all den damit verbundenen Peinlichkeiten weine ich natürlich nicht nach. Im Gegenteil, wenn ich an so Manches mich heute erinnere, wenn eine diese damals inflationär generierten Peinlichkeiten mir von meinem Speichermedium, das uns unter dem Namen Gehirn bekannt ist, zur Betrachtung vorgesetzt wird, geniere ich mich immer wieder. Das ist natürlich nach so vielen Jahren Unsinn, es passiert mir aber dennoch – egal, ob ich mir solche Regungen verbiete oder nicht. Beinahe parallel dazu steigt der Wunsch in mir hoch, bei den dabei Involvierten und Zeugen mögen unwiederbringlich diese Dateien gelöscht sein. Wo uns dieser Ritt durch die Nacht an jenem Abend führte, weiß ich heute nicht mehr. Allerdings, darüber herrscht kein Zweifel, endete er sicher in einem Besäufnis. Heute ist mir bewusst, Sam war bereits in diesen jungen Jahren alles andere als ein in Ruhe gelassener Mensch. War einer, dem es nie gelang, den Schein der Fremdheit ganz abzustreifen. Der Auslöser seiner Angst lag wohl im trivialen Umstand begründet, der auf die meisten Geistesmenschen, Hedonisten, Tagträumer und Kaffeehausphilosophen, kurzum; freiheitsliebenden Menschen zutrifft: Ohne materielle Grundlage sind sie in ihrer Existenz bedroht! Nein, von Wasser und Luft können nicht einmal diese Exponate leben, deren Üppigkeit und Exzellenz ohnehin seit Jahren rückläufigen sind. Schlimmer noch, dieser Menschentyp wird zweimal gemordet. Zum einen ist diese Spezies aufgrund seiner Kognition mit dem Angebot des Lebens vertraut. Sie verfügen über ausreichend Phantasie und Ästhetik, um die Verweildauer auf diesem Planenten für sich und die Umwelt angenehm gestalten zu können. Zum anderen fällt es sogar auch jenen Menschen, denen kein Erwartungszauber innewohnt, schwer, mittellos und in totaler Abhängigkeit ein zufriedenes Leben zu führen. Das schwammige und völlig sinnentleerte Etikett glücklich wollen wir uns hier von vorn herein verbieten. Die Wandelgänge seines Denkens blieben mir großteils verborgen. Bei Samuel musste bereits damals ein Schleier zwischen ihm und der Welt gespannt gewesen sein, den wir nicht sahen, er ihn jedoch spürte, wenn er anlief und sich in ihm verfing. Davon war ich auch noch überzeugt, als ich nach all den Jahren wieder nach James City heimkam.