Читать книгу Das Rumpsteak und der Dalai Lama … Kurzgeschichten und Räuberpistolen von Extrabreit-Gitarrist Stefan Kleinkrieg - St. Kleinkrieg - Страница 6

Оглавление

Mein letzter Arbeitstag oder DING DONG

DING DONG!!

Was ich heute zum Besten geben werde, ist eine kleine Geschichte aus der großen Zeit, als der Sprit noch knapp eine Deutsche Mark kostete und Musik noch einen anderen Stellenwert in der Gesellschaft und für uns alle hatte. WWW war höchstens die Abkürzung für: »Willi will Wodka.«

Wir rücken zurück in das Jahr 1980 und zwar in die kalte Jahreszeit.

Es war dunkel draußen und ich ging mit einem leichten Kater und flauem Magen in Richtung Egge, einer kleinen verträumten Straße meiner elterlichen Wohngegend, wo ich den Abend zuvor mein Auto abgestellt hatte. Einen alten Ford Taunus. Was für ein Modell ist mir entfallen, aber es war ein Viertürer und hatte zu seiner auberginefarbenen Metalliclackierung ein anthrazitfarbenes Vinyl-Dach. Todschick!

Die Parkplatzwahl hatte ihren tiefen Grund. An dem Fahrzeug war die elektrische Startmöglichkeit kaputt, aber wenn man ihn anrollen ließ, sprang er sofort an und die Egge war eine kleine, sehr steile, nicht häufig frequentierte Straße. Ideal für mein Problem. Anspringen musste er, denn ich war auf ihn angewiesen, um zur Arbeit zu gelangen.

Mein Job war Auslieferungsfahrer für ein Hagener Dekorationsmittelgeschäft und ich war Tag für Tag mit einem 3,5 Tonner auf den Straßen – hauptsächlich im Ruhrgebiet, aber auch manchmal ins benachbarte Holland und Belgien – unterwegs, um Dekorartikel, Preisschilderbedarf, Ensopappen und allerlei Werkstoffe für Schaufenstergestaltungen, aber auch zirka 15 Kilogramm schwere Papierrollen für Bäckereien zuzustellen.

Diese Papierrollen sind in den Bäckereien immer auf einer Abrissvorrichtung angebracht und ich hätte niemals einen Gedanken an sie verschwendet, wenn das Leben, das ja oft unberechenbar ist, mich nicht auf diese unwürdige Art und Weise mit ihnen zusammengebracht hätte.

Ihr kennt alle dieses Papier, mit dem die Backwarenfachverkäuferinnen die Papptabletts, auf denen die »Teilchen« liegen, geschickt einschlagen. Der Name der Bäckerei ist meist darauf gedruckt und manchmal auch blasse, blaue, rote oder rosa Farbstreifen. Auch eine Art Comiczeichnung von einem dicken Bäcker, der sich mit der einen Hand den Schnurrbart zwirbelt und die andere ausladend, einladend dem Betrachter entgegenstreckt. Das alles ist eine Art Muster, das sich alle 30 Zentimeter wiederholt. (Ich hoffe, ihr wisst jetzt, was ich meine. Ich kann nicht mehr!)

Da die Firma, für die ich der Ponyreiter war, diese Rollen wohl sehr günstig herstellte oder vertrieb, war dieser Artikel ein Stück des Kerngeschäfts, also immer in rauen Mengen auf meinem Laster, und ich verbrachte eine niemals zurückzuholende Lebenszeitspanne damit, diese verabscheuungswürdigen Rollen in beschissene Bäckereien zu schleppen.

Ihr könnt mir glauben, ich habe sie gehasst, diese Papierrollen, und selbst heute, fast 30 Jahre nach dieser demütigenden Erfahrung, legt sich ein Schatten auf meine Laune, wenn ich die Verkäuferin einer Bäckerei dieses Papier im großen Bausch abrollen sehe.

Was hatte mich aber in diese grässliche Lage gebracht?

Was zum Teufel war da falsch gelaufen?

Ich hatte mir doch gerade den Lebenstraum Nr. Uno erfüllt, oder der guten Ordnung halber, er war mir erfüllt worden, und eine Langspielplatte mit meiner Band aufgenommen.

Es gehören ja immer mehrere zu einem solchen Unterfangen.

Ja, mir war schon damals klar, dass dieses Ding der Heuler war, sozusagen der Burner, aber der Rest der Bevölkerung und sogar die eigenen Bandmitglieder waren da anderer Meinung.

So hatte Carlo Karges direkt im Anschluss an die Aufnahmen zu »Ihre größten Erfolge« die Band aus finanziellen Gründen verlassen. Wir waren ja erst gerade in den Klauen der Musikindustrie und unsere Einnahmen tendierten so was von in Richtung Null, dass ein Mann wie Carlo, der schon lange wirklich professionell Musik machte, es sich beim besten Willen nicht leisten konnte, diese Aufbauphase der Band mitzumachen.

Seine Abschiedsworte an mich waren: »Ihr werdet schon schnell einen Gitarristen finden, der das gut machen kann. Ihr habt ja durchaus eine Zukunft zu bieten. Ich darf mich empfehlen und verabschieden und gehe nach Berlin, wo ich mit Ulla Meinecke eine Tour vorbereite. Mach’s gut!« – Ich habe ihm dann noch in so eine Silberbrosche, die einem Namensschild ähnlich sah, das mit diesen Weinlaubverzierungen umschmückt war, EXTRABREIT gravieren lassen und ihm auch alles Gute gewünscht.

Er war ein feiner Kerl und ein exzellenter Musiker. Ich habe ihm, rückblickend, mehr zu verdanken, als ich es damals in der Lage war abzuschätzen. Wir haben uns dann noch oft in Berlin und Weitweg gesehen und über Musik und Gott und die Welt geplaudert. Er hat dann alles, was man sich wünschen kann, in der Popmusik erreicht und auch wieder verloren. Das alte, klassische Spiel des »Lottokönigs«! Bei einem Kleinkrieg-Gig spielte er auch mal mit.

RIP Carlo!

Kai Havaii verabschiedete sich dann auch kurz nach Carlo. Seine Gründe entnehmt bitte seiner Autobiographie »Hart wie Marmelade«, die den Lesern dieses Buches sicher ein Begriff ist.

Käpt’n Horn war schon während der Aufnahmen zu »Ihre größten Erfolge« durch Rüdiger Braune ersetzt worden und Rolf Möller saß jetzt hinter der Schießbude.

Wir waren schon durch die Zwischenphase des Wiedereintritts von Piet Wortmann und hatten uns von diesem und Ralf Teuwen verabschiedet.

»Das Karussell geht immer rundherum …!«

Zum Zeitpunkt dieser Begebenheit spielten wir in der Besetzung: Hunter, Public, Rolf Möller, Stefan Kleinkrieg, Laui Laumann.

Mir fällt gerade auf, dass ich vier Ehemalige aufgezählt habe, die nicht mehr am Leben sind.

RIP Hunter. RIP Pete. RIP Carlo. RIP Laui Laumann.

Das hat aber alles nichts mit dieser Geschichte, die ich eigentlich erzählen will, zu tun. Ich schweife nur zu gerne in die Anfänge ab und ihr seht, dass meine Gedanken immerzu bei dieser Band sind. Dieser Band, die mein und das Leben der hier erwähnten Personen mehr bestimmt hat, als wir es uns je hätten vorstellen können. Kurz, es lief nur der Stromzähler.

So musste ich, um an schnöden Mammon zu kommen, eines Tages diesen Job machen zum Überleben.

Ich wohnte mal hier und mal da. Manchmal auch ein paar Tage, so wie zum Zeitpunkt dieser Ereignisse, bei meinen Eltern, aber es war mir unangenehm ihre Fragen zu beantworten: »Na, was macht denn Extrabreit? Wärst du besser im Kaufhof geblieben. Das wird doch nichts. Man hört ja so gar nichts von euch.«

Der Ford war angesprungen und ich fuhr zu der Garage, in der dieser LKW vollbeladen auf mich wartete.

Das Angenehme an diesem Job war, dass man sich seine Arbeitszeit selbst einteilen konnte. Ich konnte anfangen, wann ich wollte und wenn ich schnell fertig war, kam ich wieder in das Lager, belud die Karre anhand der Lieferscheine mit der vorbereiteten Ware und konnte mich dann verpissen. Ideal für einen Musiker. Auch auf dem Firmengelände gab es einen kleinen Hügel, von dem ich den Ford starten, beziehungsweise, anrollen lassen konnte. Tipp Topp!

An jenem Morgen war die Karre voll bis unters Dach und ich wusste, dass dieses wunderbare System der freien Zeiteinteilung, bei allem Glück, das es gibt, heute versagen würde.

Es sah verdammt nach einem langen Tag aus.

Ich muss noch bemerken, dass ich den Abend vor diesem Tag das Fahrzeug nicht selber beladen hatte, sondern ein sehr netter Kollege, dessen Name mir in den knapp 30 Jahren entfallen ist.

Es waren Bäckerrollen, Bäckerrollen, Bäckerrollen. Mein Horrorartikel.

Ich karriolte also mit meiner papierenen Fracht durch das Münsterland und Ruhrgebiet und lud in elenden Käffern, die ich nie wieder danach sah, in elenden Bäckereien diese Papierrollen ab, die dann als Einschlagpapier für »Teilchen« auf einem Papptablett gebraucht wurden. Habt ihr in eurem Leben mal von einem Job gehört, der wichtiger war?

JA! ( ) NEIN! ( )

Hier waren es mal vier Rollen, mal drei usw., ganz unterschiedlich. Es lag wohl am Stauraum, den die Bäckerei hatte und am Volumen des Verkaufs. Manche fuhr ich in den knapp sechs Wochen, die ich diesen Job hatte, dreimal an, andere besuchte ich nur ein einziges Mal. So, wie diese Bäckerei, die der Knackpunkt dieser Geschichte ist und welche die Geschehnisse einleitete, die dann zur Beendigung meines Arbeitsverhältnisses führten. Übrigens des letzten bürgerlichen, was ich nicht ohne Stolz verkünde!

Ich sah auf den Lieferschein und traute meinen Augen nicht: Bäckerei Krümelmonster hatte 38 Rollen Papier bestellt und ich stand direkt vor ihr, um zu liefern.

»Guten Tag, Firma Schnattelhuber! Ich habe hier eine Lieferung Einschlagpapier. 38 Rollen, wo sollen die hin?«

»Mal langsam, junger Mann! Sie sehen doch, dass ich hier noch beschäftigt bin. Ich komme gleich auf Sie zu!«, sagte eine mir als absolut unsympathische Kackbratze im Gedächtnis gebliebene Backwarenfachverkäuferin.

Ich wartete ungehalten circa 20 Minuten. Immer wenn sie von ihrer »Beschäftigung«, dem Zusammenrechnen von irgendwelchen Zahlen, aufsah und fertig zu sein schien, kam wieder so ein Kuchenjunkie aus der Umgebung und orderte Bienenstich und ähnliche »Teilchen«.

Dann aber sagte sie mir, als ob es eine Gnade wäre: »Der Opa ist ja jetzt tot und wir haben im zweiten Stock sein Zimmerchen als Lager vorgesehen. Bringen Sie die Rollen alle da hoch!«

Zweiter Stock! 38 Rollen! Jede 15 Kilo!

MAHLZEIT!

Ihr könnt euch jetzt ein Bild machen von dem frühen Feierabend und der Probe, die ich eigentlich mit den Breiten abhalten wollte.

Ich wuchtete die ganze Scheiße in den zweiten Stock, in des toten Opas, der 2000 prozentiger Zigarrenkettenraucher und auf jeden Fall Bettnässer gewesen war, altes Zimmerchen und stapelte die papierene Fracht in dem neuen »Lager« der unsympathischsten Backwarenfachverkäuferin des gesamten Universums. Als ich fertig war und ich meine »fertig«, sagte sie zu mir: »Ich habe Ihnen hier ein bisschen Gebäck vom Vortag eingepackt. Auf Wiedersehen!«

Ich hatte eine M65 (Armeefeldjacke) an, die Kutte war durchgeschwitzt und hatte den Geruch des »Lagers«, also Opas letzter Zuflucht, dem Zimmerchen, für immer angenommen. Ich habe sie später weggeschmissen.

Das Geschenk der Bäckersfrau war ein aus der Tüte herausragender Mohnstriezel, der meiner fachmännischen Meinung nach vom Vor-Vortag war und es war auch schon nach 16:00 Uhr. Also ein drei Tage alter staubiger Augenwischer. Mit Mohnstriezeln kannte ich mich zu der Zeit bestens aus.

Ich schwieg und ging aus dem Laden die drei Stufen runter auf den Vorplatz.

Neben den Eingangsstufen war ein Gitterpapierkorb als Abfalleimer, der bollerte ein bisschen, als ich den

steinharten Mohnstriezel hineinpfefferte. Ich bestieg meinen LKW, glühte den Diesel vor und quälte mich, per Landkarte, durch die Landstraßenlandschaft des Münsterlandes. Es waren ja noch Jahrzehnte abzuwarten ehe es Navigationsgeräte gab.

Als ich endlich die Firmengarage erreicht hatte, kam der nette Kollege, dessen Name mir entfallen ist, auf mich zu und sagte: »Klein, sofort zum Alten. Dicke Luft!«

Ich erspare mir persönlich und euch jetzt die demütigende Strafpredigt des »Alten«, aber es ging um den Striezel und zwar deutlich. Die Kackbratze hatte den Schmetterwurf gesehen, fühlte sich in ihrer Großzügigkeit nicht recht gewürdigt und hatte mich bei der Geschäftsführung denunziert.

Ich kam zurück in die Garage und der nette Kollege half mir, die Karre zu beladen. Diesmal waren keine Rollen dabei und anhand der Ladeliste würde ich am nächsten Tag früh Feierabend machen können.

Ich war so sauer ob der Vorkommnisse, dass ich wohl die Ladetür des LKW nicht richtig zugemacht hatte.

Am nächsten Tag sah ich im Rückspiegel die Last, die ich geladen hatte, auf der Boeler Kreuzung, Schwerterstr./Dortmunderstr., liegen. Es waren mehrere Kartons mit Papptellern, die alle durch meine forsche Fahrweise von der Ladefläche durch die unzureichend gesicherte Ladetür geschleudert wurden und beim Aufprall auf die Straße aufgeplatzt waren.

35.000 Stück!

DING DONG!

Ich fuhr einfach weiter und wurde später von der Polizei gestoppt.

Ein Feuerwehrräumkommando musste die Kreuzung sperren und die Waren einsammeln.

Die Versicherung hat beanstandungslos gezahlt.

Es war mein letzter Arbeitstag.

Das Rumpsteak und der Dalai Lama … Kurzgeschichten und Räuberpistolen von Extrabreit-Gitarrist Stefan Kleinkrieg

Подняться наверх