Читать книгу Das Rumpsteak und der Dalai Lama … Kurzgeschichten und Räuberpistolen von Extrabreit-Gitarrist Stefan Kleinkrieg - St. Kleinkrieg - Страница 7
ОглавлениеNürseltrinken im Madison
Es waren wilde Zeiten, die Anfänge unserer Band. Das hat bestimmt jeder von euch schon gehört. Vieles gerät auch immer mehr in Vergessenheit und manches ist es auch gar nicht wert, so erinnert zu werden, wie ich euch das hier zumute. Aber ihr seid ja nun Besitzer und Leser dieses Buches und erhofft euch sicherlich, aus der glorreichen Vergangenheit der sympathischen Haudraufs aus der tiefen, sauerländischen Provinz spektakuläre Inneneinsichten und Details zu erfahren, nicht wahr?
Gut, wir bewegen uns in das Hagen der 80er Jahre und besuchen den Probenraum der Gruppe Extrabreit. Nach vielen Übungsräumen hatten wir nun eine Heimstatt gefunden, in der wir uns recht wohl fühlten und was noch wichtiger war, die wir 24 Stunden frequentieren durften. Am Ende der Sedanstraße. Oder am Anfang, je nachdem, aus welcher Richtung man das Industriegebiet befährt.
Es war ein altes Gebäude der Bundesbahn, das von einem Taxiunternehmer angemietet war. Der Mann war uns wohlgesonnen und hatte uns einen Teil des Etablissements zu einem vernünftigen Preis vermietet. Hier probten wir für geraume Zeit und jetzt, wo ich so daran zurück denke, fällt mir auf, dass wir diesen Proberaum mit Nopsy Laumann und auch nach Kais Wiedereintritt hatten. Welcher Sänger aber zum Zeitpunkt dieser Geschichte aktiv war, ist mir nicht mehr geläufig.
Der Proberaum sah fast wie ein Studio aus.
Mit sehr viel Fantasie. Die hatten wir!
Wir hatten auch vor, uns ein solches einzurichten, aber es sollte bei dem Vorhaben bleiben.
Es handelte sich um zwei Räume. Ein kleiner, die »Regie« und ein größerer, der »Aufnahme-«, sprich, Proberaum. Und eine eigene Toilette war auch dabei. Unbezahlbar!
Die »Regie« war mit einem Fenster versehen worden. Das war die einzige Umbauarbeit, die wir bewerkstelligt hatten.
Halt! Rolf hatte, das muss man ihm hoch anrechnen, die ganze Bude tapeziert und der Proberaum sah wirklich manierlich aus. Er hatte auch ein Teppichmosaik entworfen, was er aber, ehrlich gesagt, nur allein gut fand.
Es diente aber der Tonqualität des Raumes und wurde deshalb akzeptiert.
Der »Regieraum« war mit einer Tapete ausgestattet, die jedem Bordell zur Ehre gereicht hätte.
Leopard oder Tiger. An das genaue Tier kann ich mich nicht mehr erinnern, glaube aber Leopard.
Es standen jetzt, nachdem wir den Plan »Studio« aufgegeben hatten, zwei alte, mit dunkelbraunem Cordüberzug versehene Sofas darin.
Möbelruinen der 70er. Wären heute megacool!
Ich habe auch das ein oder andere Mal dort genächtigt. Gruselig, sage ich euch.
Aber wir hielten uns eigentlich immer nur in dem Aufnahmeraum auf, weil in der kalten, feuchten Jahreszeit hier ein Ölofen war, der einigermaßen für Wärme sorgte.
Während wir hier nun jeden Tag an unserer Perfektion feilten, freuten auch wir uns, wie alle anderen arbeitenden Bevölkerungsteile, auf das Wochenende.
1.) weil wir da meistens Gigs hatten und das brachte immerhin ein bisschen Geld.
2.) wenn nicht, gingen wir abends ins Madison!
Wenn zweitens angesagt war, fuhren wir nach der Probe mit Hunters oder meinem Auto zur Disco und machten da den »Larry«, wie es damals hieß.
Das Madison war die mordsmäßig angesagte Diskothek, die zu unseren Stammlokalen zählte.
Ich bin ja etwas aus dem Geschehen raus, aber meine Neffen erzählen mir, dass es auch heute in Hagen nur eine Disco gibt, die von Bedeutung ist. So war das Anno 1980 auch. Deshalb war Hagen ja auch als »Onediscotown« berühmt-berüchtigt. Das war schon in den 70ern so. Es lief immer nur ein Laden.
Zurück nach 1980 und ins Madison.
Wir kannten das Personal, den Türsteher und die wechselnden DJs. Meist brauchten wir keinen Eintritt zahlen und etwa ein Jahr später hatten wir ein eigenes Regal, auf dem unsere eigenen Whiskyflaschen mit Namensschild standen.
Tja, Ruhm verändert alles!
(Ich glaube, da hieß der Laden auch schon anders. Richtig, »Hype«! Passender ging es nicht. Aber die beste Zeit war im Madison.)
Es ist immer wieder abgefahren, darüber nachzudenken:
Wir spielten die gleichen Lieder, nur kannte diese noch keiner so wirklich. Wir fanden die ja schon immer gut, aber dann sagte die Öffentlichkeit: »Jau, die sin’ gut!« und bums, eigenes Regal, mit eigener Whiskyflasche mit Namensschild!
Die Welt ist manchmal so albern und so schön!
Aber bis dahin sind es noch ein paar Monate, die einem im Rückblick wie Jahre vorkommen.
Wie singt Kai in »Der letzte Schliff«: »… eine Woche war wie ein Jahr!«
Selten wahrere Worte über diese Zeit gehört.
So war es und wird es bleiben!
(Ich muss die Jungens doch mal eindringlich befragen, ob wir die Nummer nicht mal wieder spielen sollen.)
Wir gingen also nach der freitäglichen Probe gutgelaunt ins Madison, um uns einen schönen Abend zu machen.
Dass wir das konnten, lag, trotz andauernden Geldmangels, an der genialen Trickbetrügerei, die wir zu unserer Freude erfunden hatten: dem Nürseltrinken!
Spezialisten waren in dieser Disziplin Hunter und ich. Ob die andern das überhaupt gemacht haben, weiß ich gar nicht.
Beim Nürseltrinken wird man zwangsläufig immer mutiger und landet hinterher mit etwas Glück absolute Volltreffer in Form von »Frischgetränken«.
Nürseltrinken für Anfänger:
Ein/e Mann/Frau steht mit jemandem an der Theke und unterhält sich, vor ihm/ihr Zigaretten, Getränk, Feuerzeug und so weiter. Als Fachmann weiß man an der augenfälligen Beschaffenheit des Getränkes abzuschätzen, um was es sich handelt. Wodka Lemon, Gin Tonic, Campari Orange usw.
Mein Favorit zu dieser Zeit war Gin Tonic. Man trifft seine Wahl! Und leitet den Rauschdiebstahl geschickt, unauffällig ein, indem man sich an die Person drängelt und in einem unbeobachteten Augenblick das Glas mit dem auserwählten Stoff nimmt und rasch leert.
Gluck, gluck, gluck und weg.
Das hier imitierte Geräusch des Schluckens soll auch anzeigen, dass die bevorzugten Nürsel natürlich nur aus mal angenippten Gläsern waren; sogenannte »Speichelpfützen« standen nicht auf dem Speisezettel.
Sollte, was wirklich so gut wie nie passierte, doch mal einer sagen: »Eh, das war mein Gin Tonic!«, so sagte man mit dem größten Bedauern: »Oh Alter, tut mir leid. Wo ist denn meiner?« Dann dreht man sich suchend, forschend in den Raum und taucht im Volk unter. Bei einer Dame ließ man das »Oh Alter« weg.
Oder wenn die bestohlene Person fragt: »Wo ist denn jetzt mein Glas?«, entrüstet antworten: »Gute Güte, woher soll ich das denn wissen?« Auch bei dieser unverschämteren Variante ist ein Standortwechsel sofort zu empfehlen.
Das war reinrassiges Nürseltrinken, ohne doppelten Boden. Eine Art Promille-Raub.
Wenn man aber geschickt ist, kann man sich sogar hinter dem Rücken der Getränkebesitzer zuprosten und allerlei Unsinn machen.
Nürsel wegzischen und sich dann noch eine Zigarette aus der Packung klauen und den Typen nach Feuer fragen gehörte zur Königsklasse.
»Frischgetränke«-Nürseltrinken ist schwieriger und kann auch nach hinten losgehen. Man sollte auf jeden Fall so viel Geld dabei haben, um im Falle des Entdecktwerdens ein neues Getränk kaufen zu können:
»Ist mir sehr unangenehm, ich bestell dir sofort Ersatz!«
»Entschuldigung, ich dachte, das wäre meiner!«
»Oh, Pardon, ich dachte, der wäre mir jetzt von meinem Kollegen gesteckt worden!«
So, oder ähnlich wurde dann geschleimt.
Aber das ist so gut wie nie passiert, denn man war ja durch das vorhergehende »reinrassige Nürseltrinken« so duhn, dass keiner mehr reklamierte.
Frischgetränke Nürseltrinken:
Man geht zu zweit auf einen Gast los, der justamente seine Bestellung erhalten hat. Supertyp 1 fragt von der Seite nach der Uhrzeit oder irgendeiner anderen Aufmerksamkeit ablenkenden Sache, während Supertyp 2 das »Frischgetränk« ext! Das leere Glas ist alles, was zurückbleibt! Alle! Dschinghis Khan kommt nach Hause und alles ist alle!
In den frühen Morgenstunden haben wir dann auch immer der Musik zugehört. Manche DJs waren echt gut und spielten die Titel, die wir liebten. Aktuelle Scheiben, aber auch Stones und Glam aus den frühen 70ern.
Dann haben wir uns immer schön angeleuchtet in eine der Sitzmuscheln zurückgezogen, mit einem Bier, das uns eine der Bardamen geschenkt hatte.
Sie wollten uns nach einiger Zeit nicht mehr am Tresen sehen. Viele Gäste konnten sich das Verschwinden ihrer Getränke nur mit dem Umstoßen der Gläser erklären, so geschickt waren wir.
Wir waren wie so Vampire an Bord eines Schiffes, man weiß da was, verdächtigt auch jemanden, aber man weiß nix genaues, außer, dass alles immer weniger wird. Das fiel dann, unschöner Weise, irgendwie auf die Bardamen zurück. Mädels, ich hoffe, ihr hattet keinen Ärger.
Heute würde ich das nicht mehr machen, schon aus hygienischen Gründen. Es würde auch gar nicht mehr funktionieren. Ich war vor kurzem mal in einem Club. Rauchen verboten. Alle wissen kaum, was sie mit den Händen tun sollen, deshalb halten sie die ganze Zeit ihr Glas fest.
Keine Chance für Nürseltrinker!