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DIE PHILOSOPHIE DES ADVAITA VEDANTA

Warum ist Advaita Vedanta oder Jnana-Yoga so ein effektiver Weg? Weil der Verstand so sehr mit der Vorstellung einer definierten (physischen) Person aufgeladen ist, dass er das größte Hindernis auf dem Weg zur Befreiung ist, aber durch Advaita Vedanta wird er zu ihrem Wegbereiter. Der Verstand wird erst Ruhe geben, wenn er eine zufriedenstellende Antwort auf seine Fragen gefunden hat. Weil man auf diesem Wege den Verstand mit seinen eigenen Mitteln schlägt (man zeigt ihm seine Grenzen), wird der Blick frei für die Realität jenseits des Verstandes.

Advaita Vedanta ist auch deshalb so wichtig, weil hier der Schlüssel liegt zum Beenden der unseligen und sinnlosen Streitereien zwischen „Atheisten“ und „Theisten“ sowie zwischen „Materialisten“ und „Religiösen“ oder „Spirituellen“. Wenn man dann noch Kant und Schopenhauer hinzunimmt, sollte endlich Klarheit und Einigkeit herrschen - wobei dies etwas naiv ist, denn nicht alle Menschen sind reif dafür.

Die Einheit hinter den Polaritäten ist der zentrale Sinn von Advaita Vedanta. Der Kern der Lehre des Advaita Vedanta ist, dass Subjekt und Objekt Verstandeskonstrukte sind und dass das unveränderliche Selbst, unser wahres Wesen, mit der veränderlichen Welt eins ist, dass es also keinen Dualismus gibt. Zunächst wird nachgewiesen, dass die gängige Unterscheidung zwischen dem „Ich“ (als identifiziert mit Körper und Verstand) und der äußeren Welt der Objekte eine falsche ist, die auf Konventionen beruht und aus der Erfahrung nicht bestätigt wird. Stattdessen wird mit Hilfe sogenannter Vivekas (analytische Betrachtungen) eindeutig nachgewiesen, dass das ewige wahre Sein, das jenseits der Objekte, jenseits des Körpers, jenseits des Verstandes liegt, das Licht des Bewusstseins ist. Denn es ist dieses allein, das die „Existenz“ alles anderen ermöglicht. Das wahre Selbst ist unveränderlich, alles andere ist veränderlich. Das wahre Selbst ist sehend, alles andere ist nicht sehend und wird gesehen. Das wahre Selbst ist Bewusstsein, alles andere ist nicht Bewusstsein. Bewusstsein ist immer auf der Seite des Selbst, nicht auf der anderen Seite. Das wahre Selbst ist also jenseits der Erfahrungswelt. Es ist nicht irgendetwas in der Erfahrungswelt, aber - und hier kommt die „Nicht-Dualität“ ins Spiel - die Gesamtheit der Erfahrungswelt ist auch das Selbst, das sich in ihr darstellt. Es ist nicht von ihr unterschieden. Es ist also kein Zweites, das unabhängig von ihr existiert, denn zwei unterschiedliche Dinge können immer auch getrennt wahrgenommen werden: Ich nehme meine rechte Hand getrennt von meiner linken wahr; aber nichts in der Erfahrungswelt kann getrennt vom Bewusstsein wahrgenommen werden. Bewusstsein und Erfahrungswelt sind untrennbar eins.

Die entscheidende Perspektivänderung ist die folgende: Unsere Wahrnehmung richtet sich nicht mehr nur nach außen, auf die Objekte, sondern auf sich selbst. Bei genauer Analyse zeigt sich dann, dass auch das uns am nächsten Liegende, der eigene Körper und der Verstand, nur „Objekte“ unseres Bewusstseins sind, nur im Lichte dieses Bewusstseins überhaupt da sind. Plötzlich wird der Prozess der Wahrnehmung, das Bewusstsein selbst, als das eigentlich Existierende erkannt und die einzelnen Objekte als etwas, das keine von uns unabhängige, für sich genommene Existenz besitzt, sondern substanziell nichts anderes ist, als unser Bewusstsein, als wir selbst. Es gibt kein innen und außen mehr. Unsere Aufmerksamkeit richtet sich nun auf die Wahrnehmung, auf das Bewusstsein selbst und die einzelnen Objekte treten verhältnismäßig in den Hintergrund, während es vorher so war, dass die einzelnen Objekte im Vordergrund standen und die Tatsache, dass wir uns diese Objekte bewusst sind, gar nicht bemerkt wurde.

Advaita Vedanta hilft uns von dem grundlegenden „Nichtwissen“ zurückzukommen, welches darin besteht, dass das wahre Selbst, das alles ist, dieses vergisst und meint, es sei ein kleiner Teil der Erfahrungswelt und sich selbst mit einem seiner Objekte (z.B. Körper, Verstand) verwechselt. So entsteht das „Ego“, das kleine oder falsche oder illusorische Selbst.

„Ich bin das Licht der Welt“: Alle Objekte (auch der physische Körper, der Verstand und die Gedanken) stellen sich nur im Lichte des eigenen Bewusstseins dar. Daher ist dieses Bewusstsein dein wahres, innerstes Wesen. Das erkennende Subjekt und das fühlende Subjekt sind aber wunderbarerweise eins. Wahres Sein ist Fühlen-Erkennen. Es ist nicht nur Erkennen, es ist nicht nur Fühlen. Laut Advaita Vedanta gelangt man durch die „drei Schritte“ (die Lehre hören, verstehen und sie in der Meditation vertiefen und realisieren) zu der unausweichlichen Erkenntnis, dass nichts anderes das wahre Wesen des Menschen sein kann, als das fühlende-erkennende Selbst, jenseits aller Objekte, jenseits der Zeit. Das Selbst ist unveränderlich in der Veränderung. Es ist bewusst; darüber hinaus kann man ihm keine Attribute beigeben.

Swami Sarvapriyananda erzählt mehrmals die einfache und doch tiefsinnige Geschichte von den zehn Freunden, die einen Fluss überqueren. Als sie den Fluss überquert haben, sagt einer: „Wir müssen zählen, ob auch alle hier sind.“ Er zählt. Und er zählt (sich selbst aus Unachtsamkeit nicht mitzählend) nur neun. Auch die anderen zählen alle, die sie sehen, und kommen jeweils nur auf neun. Nun sind sie traurig und verzweifelt: „Der zehnte Freund ist ertrunken! Er ist tot!“ Dann kommt ein weiser Mann daher und fragt: „Warum seid ihr traurig?“ Sie antworten: „Unser Freund ist ertrunken. Wir waren zehn und jetzt sind wir nur noch neun.“ Der weise Mann zählt und sagt: „Nein, ihr seid zehn.“ Sie erwidern: „Nein, wir sind nur neun. Wir haben alle gezählt.“ Der weise Mann sagt: „Beruhigt euch, glaubt mir: Alles ist in Ordnung. Der zehnte ist da.“ Sie beruhigen sich langsam und der Weise sagt: „Nun wollen wir noch einmal schauen.“ Einer zählt bis neun und sagt: „Siehst du, es sind nur neun.“ Der Weise nimmt den Finger, mit dem der Mann gezählt hat, und richtet ihn auf den Zählenden selbst. Und der Zählende merkt, dass er auch sich selbst zählen muss. Mit einem Mal versteht er: Alle sind da. Der zehnte Freund war nie verschwunden. Er ist völlig erleichtert und alle freuen sich mit ihm: „Unser Freund ist nicht ertrunken, wir sind alle da!“

Dieses kleine Gleichnis beschreibt alle sieben Schritte der spirituellen Entwicklung. Die sieben Schritte sind: Die Unwissenheit, das „Verhülltsein“, der Irrtum und mit ihm das Leid, der Glaube, die Analyse und das Verständnis, das Verschwinden des Leids, das Realisieren der Freude und der Einheit mit Gott: „sat-chitananda“.

Zu Anfang weiß keiner der zehn, dass er auch sich selbst zählen muss. Das ist die Unwissenheit. Vedanta spricht von „Unwissenheit“ und nicht von „Erbsünde“. Dann das „Verhülltsein“: Weil er nicht weiß, dass er sich selbst zählen muss, ist er für sich selbst verhüllt. So ist Atman oder Gott für uns verhüllt. Die dritte Stufe ist der „Irrtum“, nämlich der Glaube, dass die zehnte Person ertrunken ist, bzw. der Glaube, dass man der Körper und der Verstand ist. Dieser Glaube führt zu Leid und Unglück. Der nächste Schritt ist das Empfangen einer religiösen Lehre: der „Glaube“. Man erfährt, dass es eine Wirklichkeit jenseits dieses Körpers und Verstandes gibt, jenseits des Leids, gleichgültig, ob man diese nun Gott oder Nirvana oder was auch immer nennt. Dieser Schritt findet statt, als der Weise vorbeikommt und zunächst sagt: „Beruhigt euch, glaubt mir, es ist alles gut.“ Der fünfte Schritt ist die methodische Analyse, die philosophische Selbstbetrachtung, die Unterscheidung („Viveka“). Dieser Schritt vollzieht sich, als der Weise den Finger des Zählenden auf den Zählenden selbst richtet, sodass dieser mit einem Mal erkennt: Er selbst ist der verloren geglaubte „zehnte Freund“. Plötzlich wird ihm klar: Er ist nicht der Körper und der Verstand. Er ist mit einem Mal frei. Darauf folgt das Verschwinden der Trauer und des Leids. Denn es gab kein Problem: Der zehnte Freund war nie verschwunden und ertrunken, er ist da. Das Problem war nur durch die Unwissenheit entstanden. Und schließlich der siebte Schritt: Die zehn Freunde freuen sich und sind glücklich. Sie finden die Freude, die Seligkeit. Sie erkennen: „Ich bin die zehnte Person. Ich bin eins mit Gott. Ich bin Sat-Chit-Ananda.“

Die Beziehung zwischen Brahman (reinem Bewusstsein) und der Welt wird oft am Beispiel der goldenen Halskette erklärt: Die Halskette (Welt der Objekte) ist aus Gold (Brahman/ Bewusstsein). Die Halskette (Welt) ist ihrem wahren Wesen nach nichts außer Gold (Brahman) und alle anderen Attribute der Halskette (Name, Form und Zweck) sind nicht Brahman oder sind nicht Teil des Wesens von Brahman. Aber was bleibt von den Dingen der Welt ohne Form, Name und Zweck? Diese drei zusammen sind Maya, die Illusion der absoluten Realität der Objekte.

Die Schritte des Verstehens, die jenseits der „natürlichen“, unreflektierten Ansicht („Ich bin eine kleine physische Einheit in der großen Welt“) liegen, sind die folgenden: 1) Alles in der Welt ist in mir, ist in meinem Bewusstsein. Die Welt (der Vielheit, der Formen) existiert nur im (bzw. aus) Bewusstsein („Gold“). Wenn man das Gold wegnähme, würde auch keine Halskette („Form“) mehr existieren. 2) Die Form der Halskette (die Welt der Objekte) gehört nicht zum Wesen des Goldes (des Bewusstseins). Insofern existiert sie nicht. Die Formen der Welt gehören nicht zum Wesen des Bewusstseins. Insofern existieren sie nicht. Keine Halskette ohne Gold - keine Welt ohne Bewusstsein. Du bist Sein. Außerhalb dieses Seins gibt es kein zweites Sein. Insofern die Objekte unabhängig von dir zu existieren scheinen, existieren sie nur als „Name-Form-Zweck“ und das ist alles - wie die Buddhisten sagen - „leer“. Aber das Konzept der Leere ist nur ein Werkzeug zum Verstehen. Wenn man „Leere“ versteht als absolute Nicht-Existenz der Welt, ist das ein Missverständnis und eine Sackgasse. Es ist nur eine relative Nicht-Existenz.

Warum sind zwei Schritte erforderlich, um das „Nichtwissen“ zu überwinden? Es ist evident, dass ich bin, aber es ist nicht unmittelbar deutlich, dass ich bereits vollkommen und vollständig bin, dass nur Vollkommenheit und Vollständigkeit existiert und dass ich diese bin, dass also alles eins ist. Die Lehren der Upanishaden und des Advaita Vedanta zeigen nun zunächst, dass ich nichts von dem, was im Lichte meines Bewusstseins erscheint, sein kann. Die falsche Unterscheidung zwischen innen und außen wird aufgehoben. Während jeder sagt „Ich bin nicht die äußere Welt“, erkennt er nun auch, dass er nicht sein Körper und nicht seine Gedanken sein kann. Wenn er sein Ich nirgendwo in der Welt der Objekte finden kann, wird er zu der Einsicht gezwungen, dass er Bewusstsein ist, das, was alles wahrnimmt. Dies ist der erste Schritt. Der zweite Schritt ist es, zu erkennen, dass die Objekte insofern Illusion sind, als sie nichts wirklich getrennt Existierendes sind, kein für sich existierendes Anderes, dass sie aber insofern wirklich sind, als sie auch das Selbst, auch Bewusstsein sind. Dies ist es, was die berühmte Formel „tat tvam asi - dies bist du“ aussagt. Die Überwindung des hier beschriebenen Nichtwissens und die Etablierung des Wissens sind das, was man als Erleuchtung bezeichnet. Durch hören, lesen, lernen, verstehen und innerlich nachvollziehen wird diese Erkenntnis langsam vorbereitet, aber sie realisiert sich tatsächlich in der Gegenwart. In dem Moment, wo sie sich realisiert, kommt es zu einer Auflösung der psychologischen Zeit.

Das Ende der psychologischen Zeit ist auch das Ende der Täuschung. Das Entdecken der Wahrheit ist aber nichts anderes, als das Verschwinden der Täuschung, denn die Wahrheit muss ja nicht konstruiert werden, sie muss nur entdeckt oder wiedergefunden werden. Es ist ein bisschen wie die Methode von Sherlock Holmes: Wenn man alles durchdacht und alles untersucht hat und es nur noch eine Möglichkeit gibt, dann muss diese Möglichkeit die Wahrheit sein. Das Ausschließen all dessen, was falsch ist, erfordert Zeit. Aber wenn alles ausgeschlossen ist, steht mit einem Mal die Wahrheit da. Sie war schon immer da, aber den Außenstehenden, Dr Watson, Inspector Lestrade usw. erscheint die plötzlich auftauchende Wahrheit wie ein Wunder.

Da das Wirkliche kein Objekt ist, kann es auch nicht gewusst werden, nicht mit dem Verstand erkannt werden. Daher ist der Weg des Wissens, Jnana-Yoga, ein Weg des Ausschließens alles Unwirklichen, wirklich vergleichbar der Methode von Sherlock Holmes. „Wenn ich das nicht bin und wenn ich das nicht bin und wenn ich das nicht bin, dann muss ich das sein, was übrig ist, auch wenn ich mit dem Verstand nicht sagen kann, was es ist.“ Der Weg des Verstandes ist der Weg der Auflösung des Verstandes als Instrument des spirituellen Suchens. Schließlich wird er dafür nicht mehr benötigt; für alles andere kann er hervorragend weiter funktionieren.

Es gibt keine „für sich existierenden“ bewussten Objekte. Es gibt keine „für sich existierenden“ bewussten Gedanken und auch keinen „für sich existierenden“ bewussten Körper, sondern alles ist nur bewusst oder existent im Lichte meines Bewusstseins. Auch künstliche Intelligenz - egal wie komplex - ist nie bewusst. Nur ich bin bewusst, nur ich bin. Das ist das tiefste Geheimnis: Wer ist bewusst? Wer „ist alles“? Auch das uns am nächsten Liegende, Gedanken und Gefühle, sind erst bewusst im Lichte des Selbst, im Lichte des Atman. Nichts existiert ohne dieses Licht und gleichzeitig wird sich dieses Licht auch durch die Objekte seiner selbst bewusst. Es ist auch die Objekte. Wo ist das Licht der Sonne, wenn um die Sonne herum nur leerer Raum ist? Die Planeten leuchten durch das Licht der Sonne, nicht aus sich selbst. Die Sonne könnte denken, sie würden aus sich selbst leuchten, aber irgendwann versteht sie, dass das Licht, das die Planeten erleuchtet, sie selbst ist und dass ihr Licht unabhängig ist von einzelnen Planeten (Objekten).

Die Nicht-Dualität besteht darin, dass alles, was das Selbst wahrnimmt, die „Welt“, nicht von ihm verschieden ist. Die Welt der Objekte ist das Selbst, das sich in ihnen darstellt. Sie ist kein dualistisch getrenntes Zweites.

Die „Dreieinigkeit“ ist der Erkennende, das Erkannte und das Erkennen. Gott ist derselbe, obwohl er in zwei Formen erscheint: wandelbar und unwandelbar, manifest und unmanifest.

Das Gesetz von Karma, von Ursache und Wirkung gilt für die physische und für die Astralebene, aber nicht für das wahre Selbst. Das persönliche Karma löst sich in dem Moment auf, in dem man die Identifikation mit der physischen Welt, dem Körper und dem Verstand ganz aufgegeben hat, in dem Moment, in dem das wahre Wesen sich selbst erkennt.

Da das wahre Wesen des Menschen, seine tiefste göttliche Essenz, Liebe und Freude ist, bedeutet Selbsterkenntnis und Selbstverwirklichung auf eben jenem Standpunkt jenseits aller Standpunkte zu stehen, wo man auch alles an sich selbst (sein Körper, seine irdischen Verhältnisse) mit Liebe und Akzeptanz sieht. Alle Schwächen, Probleme und Bedürfnisse werden nicht bloß „wahrgenommen“, sondern liebevoll angenommen. Der Standpunkt des wahren Selbst ist der Standpunkt der Freude und der Erfüllung. Von diesem Standpunkt aus ist es nur natürlich, allem, was in der eigenen irdischen Person, aber auch in anderen irdischen Manifestationen des Geistes, an Schmerz, Mangel usw. entsteht, mit Liebe und Mitgefühl zu begegnen. So bleibt kein Raum mehr für Konflikte, weder für innere Konflikte, noch für äußere Konflikte.

Wenn das Selbst sich verwirklicht (erkannt) hat, handelt man aus der Freude heraus. „Freude“ bedeutet also nicht Passivität. Es ist eben nicht so, dass Aktivität nur aus dem Gefühl des Mangels entsteht.

„Nicht-Zwei“ heißt, die wahrgenommene „objektive“ Welt ist das objektivierte „Selbst“. Die „Unwissenheit“ besteht darin, dass das Selbst sich mit Fragmenten dieser Welt identifiziert. So entsteht das psychologische Phänomen der Trennung. Das Selbst empfindet sich als von sich selbst und dem Rest der Welt als getrennt. Diese Trennung wird durch Selbst-Erkenntnis aufgehoben.

Da das wahre Selbst, der Atman, höher ist als alle Einzeldinge, kann es keine Harmonie geben, wenn sich ein Mensch mit Einzeldingen ganz identifiziert, wenn er sich ganz mit seinem Körper identifiziert, ganz mit Erfolg oder Geld, ganz mit bestimmten Gedanken usw.

Jesus hat schon recht mit seinem „Das Fleisch ist nichts nütze. Der Geist ist's der lebendig macht“. Wir nehmen in der Regel nur die Welt (also die Schöpfung) wahr und nicht den Schöpfer. Durch Advaita Vedanta und Selbstbeobachtung können wir den Schöpfer in uns erkennen und realisieren, dass wir eins mit ihm sind. Im nächsten Schritt erkennen wir, dass auch die Schöpfung eins mit dem Schöpfer ist. Man könnte auch Jesu Gleichnis von dem Haus, das auf Fels gebaut ist, benutzen und sagen: Wenn wir uns des Urgrundes des Seins bewusst werden, haben wir auf Fels gebaut.

Du bist zwar nicht der Handelnde, sondern nur der, der sich der Handlungen und Ereignisse bewusst ist, aber du bist doch der, der diese ganze Welt der Handlungen und Gedanken trägt und möglich macht. Du bist eins mit all diesem Dynamischen, was geschieht, aber nicht als etwas Einzelnes, sondern als alles. Die tiefste Wahrheit ist paradox: du bist alles, was sich bewegt, und bleibst doch still.

Die Lunge atmet, das Gehirn denkt, die Haare wachsen… Aber kein „Ich“ atmet, denkt usw. Jede Handlung ist im Bewusstsein, aber das Bewusstsein handelt nicht.

In der „Welt als Vorstellung“, wie Schopenhauer sie genannt hat, gibt es auf vielen Ebenen zahllose komplexe Prozesse und Aktivitäten, die „mühelos“ oder „wie von selbst“ ablaufen: Das Wasser fließt, der Wind weht, die Bäume wachsen, deine Haare wachsen, der Darm verdaut, die Haut fühlt, die Lunge atmet, das Gehirn denkt, die Augen sehen, der Körper handelt usw. Pflanzen reagieren auf Reize, Menschen reagieren auf mehr oder weniger abstrakte Motive und Reize; aber wer „tut“ diese Dinge? Gibt es ein selbstbewusstes Wasser, das sich entscheidet zu fließen, gibt es eine selbstbewusste Lunge, die sich entschließt zu atmen, gibt es ein selbstbewusstes Gehirn, dass sich entschließt zu denken? Nein: Alle diese Prozesse geschehen, ohne dass einem einzelnen Prozess ein bestimmtes Selbstbewusstsein zugrunde liegt. Vielmehr ist es so, dass ein Bewusstsein, dein Bewusstsein, das göttliche Bewusstsein allen diesen Prozessen zugrunde liegt. Alle hier beschriebenen natürlichen Prozesse sind determiniert. Weder das Wasser entscheidet irgendetwas, noch die Lunge entscheidet irgendetwas, noch das Gehirn entscheidet irgendetwas. Es gibt nur eine einzige Entscheidung, nämlich die Entscheidung, sich mit einigen dieser hier beschriebenen Prozesse zu identifizieren und ein Bündel dieser Prozesse zu seinem Ich zu erklären; oder aber dieses nicht zu tun und als das Bewusstsein, das die Grundlage von allem ist, zu verharren, indem man wirklich „selbstbewusst“ ist, nämlich sich seiner selbst als Bewusstsein bewusst ist.

Diese Prozesse sind insofern individualisiert, als, ebenso wie Wasser, das als Fluss durch eine Landschaft zum Meer fließt, sich bestimmte Wege sucht, die sich immer tiefer in die Landschaft eingraben, sich auch in unserem Gehirn, unserem Gedächtnis und unserem Körper - feinstofflich und grobstofflich - all unsere Erfahrungen und Handlungen einprägen, wodurch sich bestimmte Erfahrungen und Handlungen immer wieder wiederholen. So schaffen wir „Karma“, was auch bedeutet, dass wir innerhalb des großen geistigen Systems, in dem wir leben, die Früchte guter und schlechter Taten ernten. Aber jede Tat, egal ob gut oder schlecht, ist nur dann eine Tat, wenn es einen Täter, einen Handelnden gibt. Ein Handelnder, das ist aber immer jemand, der sich mit der Tat oder mit einem Prozess identifiziert; nur durch Identifikation entsteht Karma, ohne Identifikation löst es sich mehr und mehr auf und die geistige Freiheit wird allmählich immer größer.

Das Merkwürdige ist aber, dass, auch wenn wir die Freiheit nur in uns selbst finden können, doch der Impuls zur Freiheit aus der Welt, von „außen“ kommt: durch die tiefen Lehren der Weisen der Menschheit, durch spirituelle Lehrer, durch bestimmte Erlebnisse, die uns aus unserer materiellen Zufriedenheit herauswerfen. So gesehen arbeitet „Maya“ selbst strukturell an unserer Befreiung mit und so wie es in der Welt sehr dunkle Stellen und Impulse gibt, so gibt es auch sehr helles Licht. Langfristig führt uns die Erfahrung der Polarität von Licht und Dunkelheit zum Licht, zur Befreiung und zur Freude.

Gewissermaßen zeigt auch die Tatsache, dass unser höchstes Ziel, das hinter allem steht, was wir im Leben tun, bedingungsloses Glück ist, dass eben dieses Glück, diese Freude, unser wahres Wesen ist: bedingungsloses Glück, das darin besteht, dass das Bewusstsein sich als eins mit aller Realität erlebt, als Einheit-in-der-Vielheit.

Die Ashtavakra Gita beschreibt, auf welche Weise der Geist oder das Bewusstsein kreativ ist. Dort heißt es: „Wenn der große unermessliche Ozean meines Selbst Freude empfindet, entstehen 1000 Welten wie Wellen. Wenn der große unermessliche Ozean meines Selbst Ruhe empfindet, verschwinden die Welten, wie Händler mit ihren Booten. Es ist wunderbar, wie in dem großen unermesslichen Ozeans des Selbst Existenzen leicht oder natürlich entstehen, sich vervielfältigen, spielen und zurück zur Quelle kehren.“ Diese Beschreibung ist letztlich wie die hinduistische Dreieinigkeit aus Schöpfer, Erhalter und Zerstörer. So ist der Geist, so ist unser göttliches Bewusstsein.

Die Advaita-Lehre nach Swami Vivekananda ist an Klarheit kaum zu übertreffen: Es gibt das Absolute und es gibt das Universum. Das Universum ist das Absolute, das in den Formen von Raum, Zeit und Kausalität erscheint. Sie scheinen zwei zu sein, sind aber nicht zwei. Das Absolute ist das Primäre. Das Universum ist das Sekundäre. Und doch ist die Beziehung zwischen ihnen keine Kausalbeziehung, denn die Kausalität beschränkt sich auf das Universum. Das Primäre umfasst das Sekundäre. Die primäre Realität beinhaltet schon die sekundäre. Aber das Universum, die sekundäre Realität, beinhaltet nicht die primäre, das Absolute. Sie ist relativ. Sie existiert nur relativ zum Absoluten. Das Absolute ist jenseits von Raum, Zeit und Kausalität.

Vivekananda sagt: Erst wenn man die Freiheit des wahren Selbst erreicht hat, kann man sein wahres Selbst manifestieren.

Die Lehren des Advaita Vedanta sind so einfach und klar, dass sie schnell überzeugen können. Vom intellektuellen Standpunkt aus lassen sie dem getrennten Selbst, dem Ego, kaum eine Chance. Auch das von uns intuitiv wahrgenommene Wesen ihrer Lehrer, ihr zufriedener, gelassener Zustand, scheinen die Richtigkeit dieser Lehren zu bestätigen.

Advaita Vedanta ist eine sehr klare philosophische Lehre, die eins-zu-eins nachvollziehbar ist. Dennoch ist das, worauf sie hindeutet, etwas, das nicht eins-zu-eins rational nachvollziehbar ist und in diesem Sinne etwas Mystisches. Das Klare und Nachvollziehbare des Advaita Vedanta ist demnach etwas Zweischneidiges: Einerseits ist es sehr hilfreich, weil es nachvollziehbar ist und überzeugend ist. Aber andererseits kann es irreführend sein, indem man denkt, man hätte nun eine absolute Wahrheit in Händen und sei bereits am Ziel. Ebenso wird auch Jesus falsch verstanden, wenn man seine Lehren wörtlich und dualistisch auffasst. Auch sie müssen mystisch und nicht-dualistisch verstanden werden, damit ihr Sinn sich erschließt. Da Jesus in Bildern spricht, ist jedoch das Mystische und Wunderbare in seiner Lehre viel prominenter als in der vergleichsweise kühlen Philosophie des Advaita Vedanta. Jesus und die Figur Jesu sprechen zum Herzen und ergänzen und vervollständigen daher die kopforientierte Lehre des Advaita Vedanta.

Da es verschiedene Schulen gibt (die Upanishaden, ihre Auslegung von frühen Philosophen, wie Shankara, bis hin zum Neo-Advaita und zum Neo-Vedanta), sollte man klarstellen, dass die Upanishaden die Grundlage bilden, dass aber gleichzeitig viele „moderne“ Lehrer sehr gute „Hinweisschilder“ oder „Pointer“ haben, auch dann, wenn sie sich selbst gar nicht als Advaita-Lehrer sehen. Shankaras radikale Lehre der vollständigen Einheit von Atman und Brahman führte auch bald zu Widerspruch unter verschiedenen anderen Vedanta-Lehrern, die die Upanishaden anders auslegten. So entstanden die Schulen des Vishishtadvaita-Vedanta, ein modifiziertes Advaita Vedanta, das philosophisch einiges richtigstellt, ferner Achintya Bhedabheda, Dvaitadvaita, Shuddhadvaita und Dvaita-Vedanta.

Im Advaita Vedanta werden traditionell folgende Methoden angewendet: 1) Satsang: Hören der Lehre von einem Guru; 2) Verinnerlichung des Wissens durch Reflexion; 3) Meditation. Neben diesen drei Schritten gibt es eine Vielzahl von Hilfsmitteln, die die geistige Befreiung vorbereiten: Viveka (Unterscheidung zwischen Realität und Illusion), Loslösung vom Vergänglichen, Geisteskontrolle, Ausdauer, Glaube, innere Sammlung usw. Das Wichtigste aber ist der tiefe, alle anderen Wünsche überstrahlende Wunsch, befreit zu werden. Die Lehre lässt sich auch in vier „Großen Sprüchen“ zusammenfassen: Tat tvam asi: Du bist Das; Aham brahmasmi: Ich bin Brahman; Ayam atma brahma: Das Selbst (Atman) und der universale Geist (Brahman) sind eins; Prajnanam brahman: Bewusstsein ist Brahman. Ein weiterer Spruch ist „Neti, neti“: Nicht das, nicht dies. Wenn man erkannt hat, dass alle Objekte nicht das Selbst sein können, bleibt nur noch das, was nicht benannt werden kann, übrig.

Es muss ausdrücklich davor gewarnt werden, ausschließlich Satsang und das Hören von Advaita-Lehrern als Weg zu betrachten. Allerdings ist es so, dass der „traditionelle“ Advaita-Weg unter Umständen auch wieder zu kompliziert wird. Etwa bei den sogenannten „Vier Mitteln der Erlösung“ (Sinneskontrolle, Abneigung gegenüber weltlichen Dingen, Überwindung niederer Triebe usw.) gilt es, darauf zu achten, dass man sie nicht missversteht, denn es geht nicht um (erzwungene) Askese, um Unterdrückung der „Natur“, sondern um die Reduktion von Ablenkungen, um Raum für Verinnerlichung und Innenschau. Ich empfehle also einen mittleren Weg zwischen einem sehr komplexen und einem zu einfachen.

Advaita Vedanta ist das Leerwischen der Tafel des Bewusstseins von allen Irrtümern und Illusionen und so entsteht Raum für die Wahrheit der Einheit und der Liebe.

Das Mysterium der Einheit in der Vielheit

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