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Kapitel 4

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Johann Krottenkamp stammte aus einer alt eingesessenen Arztfamilie in Hamburg. Sein Vater, Otto Krottenkamp, war nunmehr im betagten Alter von fast Mitte Achtzig und leitete noch bis vor einigen Jahren ein großes Klinikum als medizinischer Direktor und mit einem dauerhaften Ruf als Professor an der Hamburger Universität. Seine Frau und Mutter von Johann verstarb vor nunmehr fünfzehn Jahren tragisch auf einer Reise nach Kopenhagen. Sie stürzte dem Vernehmen nach bei der Überfahrt auf dem Segler über Bord und ward nie mehr gefunden. Johann Krottenkamp war das ältere der beiden Kinder, ganze fünfzehn Jahre jünger war seine Schwester, die zur Ehre des Vaters Ottilie getauft wurde. Sie stand in guter Ehe mit Wilhelm Nissle, welcher es mit der Herausgabe von Blättern, Gazetten und gebundenen Schriftwerken zur rechten Anerkennung und anschaulichem Vermögen gebracht hatte.

Die Krottenkamps lebten in feinem Wohlstand, denn Profession und Tätigkeiten an Lehranstalten sorgten für guten Zuwachs des Familienvermögens. Dieses hatten bereits Großvater und Urgroßvater begründet, die schon selbst als anerkannte Mediziner wirken. Alles ward zudem wohl flankiert durch stattlichen Landbesitz, verpachtete Ackerflächen und einem ergiebigen Forst aus Zugehörigkeiten zur rechtlichen Erbfolge, und der alte Krottenkamp zahlte seinen beiden Kindern, ganz aus eigenen Stücken nach Zufluss der neuen Besitzungen, jährlich eine angenehme Summe an den Erwirtschaftungen aus, damit es allen wohl ergehen sollte.

Dass der älteste Sohn beruflich etwas anderes als Mediziner wählen sollte, war zu keiner Zeit auch nur einer einzigen Überlegung wert. So studierte Johann dann auch das gewünschte Fach und erwies sich nicht nur als fleißiger Student, zudem auch als ein durchaus Befähigter für die Heilkünste. Seine besondere wissenschaftliche Aufmerksamkeit prägte sich aus, als er nach Würzburg zum Studieren reiste und er sich an der dortigen, über die Landesgrenzen hinaus hochanerkannten Universität zur Frauenheilkunde und der Entbindungsmedizin verschrieb. Zurückgekehrt nach Hamburg wurde er über die Jahre zu einem angesehenen Spezialarzt mit weitreichender Expertise, welche ihn von immer dann zu Rate ziehen lassen sollte, wenn anderen Kollegen das Latein ausging. Nicht selten geriet er deshalb in hohe Häuser, zu Fürsten, Staatsmännern und Bankiers, Reedern, Großkontoristen und Fabrikanten.

Krottenkamp galt seit jeher als eher still und verschlossen. Erst über die Jahre als Arzt gewann er eine gewisse Offenheit und die Fähigkeit, sich in der Gesellschaft zu bewegen. Er erlernte auch eine gewisse Galanterie, die dann doch aber bei näherer Betrachtung hölzern, mitunter tölpelhaft wirken sollte. Und da die Natur es mit seinem Äußeren nicht allzu gut gemeint hatte, er schon immer dicklich und fleischig daherkam, mit einem wulstigen Hals, über dem ihm ein breiter Kopf gewachsen war, schien es für niemanden wirklich verwunderlich, dass es ihm nicht gelingen sollte, ein ledig Fräulein für sich gewinnen zu können. Als junger Mann lag all sein Streben der Komplettierung seiner Wissenschaften. Sodann bestand sein vornehmliches Interesse in der Anwendung des Gelernten. Den Mangel an weiblicher Zuwendung geriet ihm nicht zur Entbehrung, und Koketterie war ihm so fremd wie das Reiten auf einem Kamel.

Seine allseits ein wenig belächelte Schüchternheit war allerdings dann fast wie weggeblasen, wenn er im Kreise seiner Burschenschaft dem Bechern in Kameradschaft, mit Biermensur und so manchem Säbelhieb frönte. So trug er mit Stolz seine beiden Schmisse, den größeren auf seiner Stirn, den anderen auf seiner rechten Wange. Und wenn sie ihre Lieder sangen, wenn sie der Vergangenheit huldigten, vom Zug auf die Wartburg, vom Hambacher Fest oder dem Frankfurter Wachensturm schwärmten, dann glänzten seine Augen, ja sie leuchteten sogar und an langen Tischen, sitzend auf kargen Bänken, knallten sie ihre Seidel auf das Holz, hakten sich ein, schunkelten mit Wohlbefinden und lobten den Mut der Füchse nach ihren ersten erhaltenen schweren Hieben.

Ach wie schön waren sie doch anzuseh´n, wie herrlich die Gemeinschaft, wie klar doch die Struktur, ganz ohne Weibsvolk und Maiden. Wie herrlich auch die Männerfreundschaft, die Umarmungen und das Schulterklopfen nach der Mensur. Und wenn es feuchter wurde, und die Sinne der Burschen gerieten dann doch ins Schwärmen für Röcke und zartrosa Haut, wenn sie krakeelten, grölten und sich in Formation aufmachten, um die Freudenhäuser zu inspizieren, dann zog Johann sich zurück, meist ganz ohne Aufsehen, denn derlei Kurzweil und Pläsanterie oblag doch den Kameraden und nicht ihm. Mitnichten weil er schokant war, es interessierte ihn ganz einfach nicht.

Und da war dann noch das Gegensätzliche, denn wie anders sollte man es bezeichnen, wenn ein Mann, der so häufig in herber Gemeinschaft und groben Manieren erst dem kruden Zechen frönt, dann doch schon am nächsten Tag den schönen Künsten verschrieben zu sein scheint. Malerei und Modellierung, so manches Mal auch Poesie und Prosa, zogen ihn fast magisch an. Er selbst war bar solch musischer Talente. Aber vielleicht war es ja gerade diesem Umstand geschuldet, dass derlei Künste ihn so faszinierten. So war es ihm ein großes Vergnügen, sich in die Künstlerquartiere kutschieren zu lassen, um dort herumzuspazieren und die Kaschemmen zu besuchen, in denen sich Maler und Poeten, Bildhauer und Tänzer, Schauspieler und allerlei verrückte Sonderlinge trafen. Freudig zeigten sie ihm bei bekundetem Interesse ihre Ateliers, und er erklomm steile Stiegen hinauf bis unters Dach, sah des Künstlers unvollendetes Werk auf dessen Staffelei oder widmete sich dessen Fundus, kaufte mitunter ein Bild oder gab etwas Spezielles in Auftrag, wobei er dann stets zur Bedingung machte, das Kunstwerk in der Entstehung miterleben zu können.

So traf er viele illustre Leute und so manche Nacht blieb er schlaflos, da es den neu gewonnenen Freunden mit dem nachfolgenden Tagwerk nicht drängte und Feste zu feiern sein sollten, wie sie fielen. Und so lagen beim Morgengrauen nicht selten links der junge Maler oder rechts der schmächtige Lyriker in der Gewölbekaschemme des Quartiers in seinen Armen, und so manches Mal schliefen sie in dieser Pose ihren Rausch aus.

Dr. Johann Krottenkamp hatte nach seiner Rückkehr nach Hamburg früh eine Praxis etabliert, in der er seine Sprechstunden nach Vereinbarung abhielt. Er pendelte zwischen dieser, den Privathäusern und den Hospitälern, denn seine Patienten wären naturgemäß zur Niederkunft an diesen Orten oder lagen mit Komplikationen zur Ruhe. Oft verbrachte er die Nacht auf einem Chaiselongue im Nebenzimmer seines Doktorzimmers, las in seiner Fachliteratur oder sinnierte um komplizierte Behandlungsfälle. Er zog nicht selten den Verbleib an diesem Ort der Fahrt in die väterliche Villa, in der er einen separaten Flügel bewohnte, vor. Sich selbst ein schönes Haus zu erwerben war ihm bisher nie in den Sinn gekommen. Er war schließlich ledig und das Familienanwesen war geräumig und vertraut, zudem sorgten die Hausbediensteten für ein rechtes und umfangreiches Maß an Bequemlichkeit.

In der letzten Zeit jedoch wurde das Leben und Zugegensein im väterlichen Besitz zunehmend schwierig. Nicht nur der körperliche Verfall des alten Vaters geriet zur Beschwerlichkeit, vor allem doch die Veränderung seines Wesens, welche mehr und mehr von einem Händel in den nächsten geraten ließ. Der fast schon greise Mann ward streitsüchtig und noch herrischer geworden, als es dieser ohnehin schon vorher war. Nun aber neigte er zur Gehässigkeit und suchte den Zwist, drangsalierte das Hauspersonal, mäkelte an allem herum und war in einer Ungnädigkeit verfangen, die es jeden vorziehen ließ, dem zeternden Zausel aus dem Weg zu gehen, sofern es hierzu eine Möglichkeit gab.

Und sein Sohn Johann ward ihm nun immer suspekter, denn ein seltsam Troll hatte er herangezogen, ein Unikum und Sonderling, wie es ihn schon lange düngte. Und es grämte ihn indes immer mehr, dass es sein Erstgeborener und auch sein einziger Stammhalter nicht hinbekommen sollte, ein trefflich Eheweib zu freien und mit gesundem Anstand den Schoß einer Gattin zu füllen, sodass der Name Krottenkamp nicht ausstürbe. So sagte er einmal zu seinem Sohn: „Es steht für mich zu konjizieren, dass mein einzig´ Sohn und Stammhalter es mit Vorliebe in Zechstuben der Burschenschaften und Kaschemmen von Pinselschwingern treibt, hingegen es ganz beklagenswerter Weis´ für ihn nicht von Interesse zu sein scheint, sich mit einem Weibe einzulassen und tatkräftig für den Fortbestand des Hauses zu sorgen. So frag ich mich schon einige Zeit, ob es dem Kerl an Manneskräften fehlt, oder dieser vielleicht zu oft und auch zu fachlich als Mediziner zwischen den Schenkeln seiner Patientinnen verweilte und es die Wissenschaft dann ist, die ihm die Säfte raubt.“

Derlei Disput war keine Seltenheit und ganz zuletzt sogar die Regel. Schien sich der alte Vater mit zunehmender Nähe seines Ablebens doch mehr und mehr darin zu verrennen.

„Es wird meinem Sohne nicht zur Verwunderung geraten können, wenn es dem Erblasser daran liegt, nicht nur Vermögen zu vermachen, sondern sich mit der Gewissheit von dieser Welt verabschieden zu können, dass der Stammbaum unserer Väter nicht nur durch Töchtersegen wächst, der Name dann nicht ausstirbt, womit ich mich im Grabe drehen würd´, so sehr mich der Gedanke quält. ´Drum denk ich nun, vielleicht ist´s ratsam, dass ich den in Sünd´ gezeugten Bastard der Mamsell Helene, uns´rer Köchin, in die Adoption zu nehmen habe, ihm ehrenvollen Namen gebe, und er so an Stelle meiner eignen Brut den namentlichen Stammbaum pflegte. Mit allen Rechten dann verbunden, was Vorzug ihm dann geben sollt, sobald er einen Sohn aus ordentlicher Ehe hervorgebracht. Ich werd´ es bald verfügen können, mir den Advokaten kommen lassen, sodass er mir ein passend Dokument verfassen möge, aus dem mein Wille über den Tod hinaus als festgeschrieben gilt. Und was den Profit aus den verlehnten Äckern und Forsten dann betrifft, wird´s mir dort ganz gewiss auch besser gedankt.“

Oft schon hatte Johann mit seiner Schwester Ottilie und ihrem Gatten vertraulich gesprochen, immer dann, wenn es dem alten Vater wieder genehm ward, ein Gezeter und Gekrähe um Johanns Ehelosigkeit und den Wunsch nach einem stammeshaltenden Enkelsohn gemacht zu haben. Ottilie Nissle, geborene Krottenkamp, hatte diesbezüglich keine Not, denn sie gebar ihrem Manne zwei Töchter und einen Sohn und hatte damit nicht Unterlass betrieben. Am Enkelsegen mangelte es dem Alten somit nicht, nur trug die neuerliche Linie für diesen dann gewiss den falschen Namen, was aber Sitte war und es das alte Leid mit Töchtern sei.

„Johann!“, sagte Ottilie einmal zu Ihrem Bruder. „So nehme Dir eine brave Frau zur Hand. Du bist ein Mann, Du kannst´s gut richten, und Gott wird Dir gewiss den Sohn Dir schenken, den Vater sich so dringlichst wünscht.“

Es sprach aus ihr ganz die Vernunft. Und auch die Fürsorge kam nicht zu kurz. Doch war es auch noch etwas anderes, welches die Schwester weidlich in ihrem Inneren umtrieb, welches sie hingegen nie und nimmer auszusprechen gedachte. So konnte sie´s nicht übertünchen, dass es ein trefflich Maß an Tuschelei doch gab, was ihr hier und dort zur Kenntnis gelangte und ihren ält´ren Bruder dann betraf. Und derlei Flüstereien waren weder von Nutzen, noch geneigten diese zur Festigung der Ehre des Betroffenen. Und mit einer Ehelichung des Herrn Bruder wär derlei Spuk ein jähes Ende zu setzen.

Lange hatte Johann einen solchen Gedanken verworfen. Ja, es graute ihm förmlich davor, einen Weg zu gehen, den er selbst ja gar nicht zur Entscheidung zu bringen gedachte. Doch dann, als es wieder zu einem dieser gleichen Händel mit seinem knorrigen Vater geraten und es nochmals an groben Gehässigkeiten zum Austausch gekommen war, hatte er sich dazu durchgerungen, sich eine Ehefrau zu suchen.

So war es dann auch zur großen Freude des alten Professors, als Johann ihm eröffnete, nunmehr in Bälde in den Stand der Ehe einzutreten, die Verlobung just erfolgt sei und die Ehe noch vor dem Weihnachtsfest geschlossen werde. Und wie entzückt sogar war der alte Herr, als ihm sein Sohn berichtete, dass seine Wahl auf ein junges Fräulein, welches gewisslich aus bestem Kaufmannshause stammen würd´, gefallen sei, sie in gesunder Heidenatur erwachsen ward, kerngesund und damit gut für aussichtsreichen Kindersegen sei.

„Nun, mein lieber Sohn,“ strahlte der alte Professor, „dann waren meine Apelle ja nicht vergebens. Und ich danke dem Herrn für diese Wendung. Dass er Dich nun noch mit einem Söhnchen beschenken möge. Drum leiste Fürbitte, mein lieber Johann. Sei nicht knaus´rig und lege fürderhin die Sonntage ordentlich in des Pastors Klingelbeutel, dass es dem Gottesmann die Augen feuchtet, und der Herr Dir weiter wohlgesonnen ist.“

Er läutete nach der Dienstmagd, um dass sie einen guten Wein brächte, denn diesen Tag wollte er nicht ungebührlich zelebriert lassen. Dann konnte er seine Neugier nicht mehr bändigen: „Dann berichte mir nun alles. Jede Einzelheit, mein Sohn.“ Er leuchtete und es war ihm ein Vergnügen, nun endlich, wenn auch so spät, den Sohn auf dem rechten Weg zu finden. „Wann stellst Du mir Deine Braut vor? Und die Familie …! Und sag, sie sind doch sicher wohlsituiert und keine Habenichtse … und so dann sag mir schnell, wie denn die Mitgift ausgestattet ward…!“

Und als Vater und Sohn einen schweren Rotwein schwenkten, auf aller Wohl, ganz im Besonderen auf die beschlossene Ehelichung angestoßen hatten, folgten noch viele weitere Fragen, denn der alte Otto Krottenkamp konnte sein Glück kaum fassen.

Über die Grundsätzlichkeit der unerwarteten Wendung hinaus vernahm es der alte Hausherr mit nochmals großer Freude, als dieser erfuhr, dass es im Plane des Sohnes stand, die junge Gattin direkt nach der Trauung, noch am selbigen Tage in den Flügel der väterlichen Villa einziehen zu lassen, es ihm ein Anliegen sei, das väterliche Gebäude nun mit Nachkommenschaft zu füllen und ein trefflich Beisammensein der Familie zu besiegeln.

Nachdem nun auch Ottilie die gute Botschaft erreicht hatte, bot sie ihrem Bruder schnell an, den Villenflügel für das junge Glück nach ihrem Dafürhalten und Geschmacke herzurichten, damit es an nichts fehlen sollte. Denn was wusste schon ihr lieber Johann, was der Verstand einer jung Geehelichten und das liebende Herz sich wünschten, zudem auch benötigten. Der große Villenflügel war in den Junggesellenjahres des Bruders gut verwaist, es fehlte doch an allerlei. Und verstaubt sollt´s auch nicht bleiben, zudem auch besser hell und luftig, mit Zimmern die dem Zwecke dienen konnten, und die Zweisamkeit in diesem Flügel zu einem fruchtbaren Ehegespinst würd´ wachsen können.

Und Johann entsprach dem gewünschten Unterfangen seiner lieben Schwester und ließ sie ganz frei und ohne Einwand zur Tat schreiten. Doch wurd´ er recht unruhig, als es Ottilie dann auch anriet, nicht alles und in Gänze nach eigenem Gusto zu drapieren, es nun der rechte Moment wäre, dass sie sich hin zur Heide bemühte, um der Braut einen Besuch abzustatten. Und da sie nun gerade auch vernommen hatte, dass es eine Haushochzeit zu arrangieren gäbe, dieses im Anwesen der Brauteltern, würde es doch einer guten Geste entsprechen, wenn Ottilie sich auch hierbei freundlichst zur Unterstützung andienen würd´, denn es wäre in recht kurzer Zeit doch allerlei zu tätigen.

Johann war bemüht, sich die Unsicherheit und auch sein Unbehagen über das soeben Vernommene nicht anmerken zu lassen. Wie gut es doch die Schwester meinte, doch konnte sie es ja nicht erahnen, dass all ihr Sinnen eben mitnichten zu empfehlen war, sie vielmehr in freudiger Höflichkeit ins Wespennest zu stechen plante und mit mehr Fragen zurückkehren würd´, als diese denn auf ihrer Kutschfahrt in die Heide schon in ihrem Schwägerinnenköpfchen herumsausten. Und anders? Sollte er seiner Schwester nun vielleicht erklären, wie kratzbürstig und ganz böswertend die Auserwählte sei? Dann wäre es schnell vorbei mit der Freude, und es wäre den Erklärungen ganz ebenso kein Ende zu setzen.

„Liebste Ottilie!“, antwortete der Bruder ihr. „Wie freue ich mich doch über Deine Teilhabe und ich danke Dir von Herzen, dass Du es derart für mich richten willst. Und ich lasse Dir gern die freie Hand, es in der Villa fein zu machen, ganz wie Du es empfehlen magst.“ Er machte eine kleine Pause, denn nun sollte es auf jedes einzelne Wort ankommen und es musste demnach wohl überlegt sein, was er zu ergänzen vorhatte: „Dir wird es nicht entgangen sein, dass meine Wenigkeit gewisslich der Jugend nicht mehr zuzuordnen ist. Und mögen wir mit dem Entscheid die üblich Sitten teils auch brechen, so ist es doch ein bess´rer Plan, in bescheidener Zeremonie die Kopulation zu begehen, deshalb im elterlichen Hause der Braut, ganz nur im kleinsten Kreise. Es ist zudem nicht nur der meine Wunsch, aus vorgenanntem Grunde, es ist auch ganz im Sinne von Viktoria, die für sich – und es wird Dir ganz angenehm zu bemerken sein – mit großer Bescheidenheit mir schmeichelt, sie deshalb dringlichst bat, es nicht zu einem opulenten Feste werden zu lassen, die Ehe doch ganz heilig ist, und wir den Bund am besten nur vor uns´rem Gott zu schließen haben.“

Ottilie hörte die Worte ihres Bruders mit gewisser Traurigkeit. Doch nach kurzem Bedenken lächelte sie und nickte langsam mit ihrem Kopf: „Nun ja, es ist nicht ohne Sinn, der Entscheid von Dir und ihr. Und es erhält durchaus meine Achtung, dass ein junges Ding schon von solch´ Vernunft und Weitsicht ist. Fürwahr ist es nicht von der Hand zu weisen, dass ein Traufest nach guter Sitte im speziellen Falle dann zur Hanswurstiade gerät. Und nur um Muhmen, Oheims und Cousinen Kurzweil zu bieten, den Kreis nach gesellschaftlichem Proporz zu erweitern, ist kaum der Mühe wert, zumal es Euch dann auch noch ganz anders wär´. Die Freude sollt´ Ihr sicher anders haben. Und so ist dann Euer Wunsch das Maß der Dinge.“

Dann sei es so, wie es eben sei, dachte Ottilie noch eine gewisse Zeit, obwohl es ihr im Herzen doch ein wenig schwer ward, denn eine Vermählung ist nun einmal eine Vermählung, und ein Traufest wunderbare Kurzweil, mit schönen Erinnerungen behaftet, was die beiden aber scheinbar für sich nicht wollten. Aber einen lieben Brief sollte sie ihr doch wohl ihrer künft´gen Schwägerin auch ohne Zutun ihres Bruders verfassen. Und sie dürfte dann gewiss ihre glückleuchtende Freude bekunden, auch zu bestätigen die gute Wahl. Ein Gruß von der lieben Schwägerin, ein Vorgeschmack auf harmonische Familienbande, die junge Braut sich doch trefflich darüber freuen möge.

Und so verging der Sommer. In der schönen Heide, im geschäftigen Hamburg, im Jagdhaus der Familie Kohlhaase, in der Villa der Krottenkamps. Gewiss waren die Befindlichkeiten nicht die gleichen. Sie waren ganz außerordentlich so verschieden, wie es kaum unterschiedlicher sein konnte. Die Leichtigkeit des Fräulein Viktoria war seither verflogen. Nichts mehr war von dem einstig so holdseligen Buttervogel noch zu bemerken. Sie wollte an rein gar nichts mehr Freude entwickeln, und meist saß das zarte Wesen grübelnd in seinem Zimmer, und es musste so manches Mal ein Machtwort des Vaters gesprochen sein, damit es aus seinem verbollwerkten Gefilde hinunter in den Salon kam, um den Eltern beizusitzen oder an der Tafel mit diesen zu speisen. Beharrlich vermied Viktoria es, von sich aus das Wort an Vater oder Mutter zu richten, und sie sprach nur mit ihren Altvorderen, wenn sie angesprochen ward. Dann jedoch pflegte sie nur kurz und knapp zu antworten, stets der Höflichkeit gerecht bleibend, doch monoton im Stimmenklang. Verließ sie dann doch noch hier oder dort das Haus, war derlei stets nur von kurzer Dauer, um in der Stallung nach den Pferden zu sehen, sie zu pflegen und im Gatter die Longe zu führen, damit sie ein wenig Bewegung haben sollten, oder für einen kleinen Spaziergang durch das Wäldchen vor dem Haus am Rande der einsamen Heide.

Nur ein einziges Mal in dieser Zeit vergaß sie all die Beschwernis, für einen kurzen Augenblick innert altgewohnter Herrlichkeit. Da sah sie wieder den Bussard schweben, wie er seine Kreise zog, immer höher und weiter. Mit breiten Schwingen hielt er sich in der Luft, und als er wieder tiefer sank, sich womöglich seiner Beute annähern wollte, das konnte Viktoria sehen, wie seine Flügel sich in der Luft bewegten, sein Schweif die Richtung korrigierte und der Vogel mit fast schon zarten Bewegungen seinen Flug ganz meisterlich zu beherrschen vermochte. Was nutzte dem Menschen sein Verstand und seine vermeintliche Überlegenheit, wenn er doch auf ewig verdammt sei, am Boden zu bleiben, als würde der Erdball ihn zur Gefangenschaft genommen haben, ihn nicht mehr loszulassen gedachte, konnte er sich auch noch so anstrengen, in die Luft springen und dabei mit den Armen kreisen.

Doch die Vögel, ganz und gar unabhängig ihrer Größe und Farbe, ob sie Körner, Früchte oder Mäuse fraßen, ja selbst die fetten Enten und Gänse, sie konnten sich im Nu in den Himmel katapultieren, pfeifend und singend, rufend oder warnend und jede Richtung auf dem Kompass nach ihrem freien Wille einschlagen, davonfliegen, mit den Wolken tanzen, an jedem Ort der ihnen beliebte. Und wieder staunte sie über die beneidenswerten Fähigkeiten und spürte erneut die Wehmut, vom lieben Gott nicht auch mit gefiederten Schwingen, mit libellenartigen Flügeln oder mit kräftigen Muskeln auf den Oberschenkeln auf die Welt geraten zu sein, damit sie wenigstens gleich den Fröschen und Kröten zu einem hohen Sprung ansetzen konnte, der sie für einen kurzen Augenblick den Flug des Vogels nacheifern ließ. Was war es nur, dass die Vögel in der Luft hielt? Es musste etwas geben, unsichtbar für den Menschen. Aber es musste doch etwas da sein …?

Doch auch dieser Moment war kurz darauf verflogen, und sie kehrte zurück zum Elternhaus. Es wurde Herbst, über die Heide zogen nun wieder Nebelschwaden, die Bäume färbten sich rot, gelb und braun, und dann waren sie auch schon kahl, und so würde der Winter nun bald kommen.

In Hamburg hatte Ottilie alle Hände voll zu tun. Johann hatte ihr Carte Blanche erteilt und stürzte sich in den anstehenden Monaten mit besonderer Hinwendung in seine Arbeit, zudem – und das entging wie immer den Augen anderer – frönte er des Nachts besonders ausgelassen seinen Zechrunden in der Burschenschaft und seinen Milieustudien im Hamburger Künstlerquartier. Immer öfter opferte er die Nacht für seine Exkursionen und fand sich sogar hier und dort am Mittag auf irgendeinem alten Chaiselongue in einem schmutzigen Atelier eines armen und untalentierten jungen Malers.

So fühlte er sich gerade in diesen Monaten bis zur Eheschließung auf ganz besondere Weise zu dem losen, lotterhaften Leben hingezogen. Ganz eigentümlich, und es gelang ihm nicht, sich dem zu entziehen. Nicht einmal ein Erlebnis, welches er ganz widerlich empfand, konnte ihn zur Abkehr bewegen. An einem Abend, es war schon späte Nacht, traten vier Huren durch die Tür der Kellerkaschemme. Und als sie Krottenkamp erspähten, grinsten sie frech und setzten sich krakeelend an den Nebentisch. Sie hofften vielleicht auf einen spendablen Mann aus bester Gesellschaft, der es sich ein Späßchen machte und im Verruchten einmal badete, bevor er sich dann, gut ausgestattet mit schmutzigen Erfahrungen, zurück zu seinem braven Weibe kutschieren ließ. Und sie kannten diese Herren nur zu gut. Die Advokaten, Konsuln, Großkontoristen, Professoren und Kommerzienräte. Selbst die Pfaffen würden es des Öfteren zelebrieren, vielleicht ja weil sie denken, es sei ein Fegefeuer auf Probe und sie könnten derlei studieren, um hiernach besser von der Kanzel zu predigen.

Die vier Huren jedenfalls waren voller Ehrgeiz, dem reichen Zausel das Schwitzen beizubringen. Und sie knüpften sich die Dekolletés auf und hielten Krottenkamp ihre Brüste vor die Nase. Eine nach der anderen. Und als er ihrethalben noch nicht genug zu schwitzen schien, setzte sich die dickste unter ihnen direkt auf seinen Schoß und stülpte ihren Busen über sein Gesicht, bis er kaum noch Luft bekam. Es ertönte ein spitzes Gelächter und in der Kaschemme hob sich mit lautem Beifall die Stimmung. Nun kam eine Zweite hinzu. Sie zeigte ihm ihre dicken und rot bemalten Lippen wie zum Kusse, immer wieder, dann griff sie ihm zwischen die Beine und begann an ihm zu kneten. Johann Krottenkamp war außerstande, sich aus der Belagerung zu befreien. Das Gewicht der barbusigen Aufsitzerin machte ihn schier bewegungslos, und die Kneterin wollte einfach nicht mehr von ihm ablassen. Er hörte eine der zuschauenden Huren rufen, dass ihm das nun sicher doch gefallen sollte, er sie deshalb gewiss nicht um ihren verdienten Hurenlohn bringen würd´. Und schon ertönte wieder lautes Gelächter und die Stimmung stieg nochmals höher.

Irgendwie schaffte er es dann doch, das dicke Pferd abzuschütteln und schob zudem angewidert die Hurenhand aus seinem Schritt. Da sprang die Verschmähte auf, zeigte mit dem Finger auf ihn und krächzte spitz, dass er ganz offensichtlich wohl kein Mann mehr sei. Denn jedem anderen wäre doch die Hose eng geworden. Sie wisse das doch nur zu gut. Doch bei diesem feinen Herrn regte sich ums Verrecken nichts. Und sie schrie nun noch lauter: „Der fette Frosch ist impotent! Der kann gar nicht! Hört Ihr? Der taugt zu gar nichts mehr …!“

Und es ertönte wieder ein heftiges Grölen.

Krottenkamp war aber bereits aufgesprungen, warf reichlich Münzen auf den Tisch und ergriff, ganz außer sich, die Flucht aus der Kaschemme. Noch nicht einmal seinen Hut und den Paletot nahm er mit, so eilig war´s ihm mit dem Verschwinden. Und als einer der anwesenden Gäste ihm flugs das Vergessene nachbringen wollte, da war Johann Krottenkamp schon nicht mehr zu sehen.

In diesen Monaten zog er es auch vor, vorübergehend ganz in seiner Praxis zu wohnen. Er begründete das gegenüber seinem Vater und Ottilie damit, dass es ihm das Liebste wäre, selbst auch ein wenig von des Schwesters Präparationen überrascht zu werden, es ihm eine viel größere Freude sein würd´, wenn er nicht schrittweis´ der Veränderung beiwohnte, sondern, ganz ebenso wie seine Viktoria, dann das Gesamtwerk nach Fertigstellung inspizierte. Und kam er dann doch des Sonntags zum Tee, dann vermied er es aber in den Flügel der Villa zu gehen, denn alles nahm auch so seinen Lauf.

Franz-Joseph Kohlhaase und Dr. Johann Krottenkamp hatten vereinbart, dass sie sich gelegentlich zu treffen haben, um sich in einem Gespräch unter künft´gem Schwiegervater und künft´gem Eidam den Stand der Dinge zu berichten. Sie saßen derohalben entweder in einem der Hotels um die Binnenalster zu Tisch, wenn Kohlhaase es eingerichtet hatte, wieder ein paar Tage am Stück in Hamburg nach dem Rechten zu sehen, oder sie kamen sich mit ihren Kutschen auf dem halben Wege entgegen und hielten Konferenz – fast ein wenig konspirativ – in einem Landgasthof südlich der Elbe. Und der Ton zwischen den beiden wurde sodann auch persönlicher und vertrauter.

„Sie werden sehen, lieber Johann,“ prognostizierte Kohlhaase salbungsvoll, „mein Töchterlein ist gut erzogen und wird sich schon brav in die Ehe mit Ihnen als rechte Gattin einzufügen wissen.“ Und als er den skeptischen Blick seines Gegenübers vernahm, fügte er hinzu, wobei er sich in den Stuhl zurücklehnte und seine Daumen links und rechts unter seiner Weste verhakte: „Ein junges Fohlen. Ja, ein wenig ist es gleich zu seh´n. Und es wird sich seine Bockigkeit dann schon austreiben lassen, mit gutem Beritt und bei Bedarf mit recht geschwungener Gerte.“ Er stieß einen bellenden Lacher aus und ließ ein breites Grinsen folgen. „Es wäre nicht das erste Weib, das auf diese Weis´ zur Zucht und Ordnung gelangt ward. Und schwängern Sie sie justament, am besten eins ums andere Mal. Denn ward sie erst zur Mutter, werden sich die Flausen von ganz allein verscheucht haben.“

Als die Zeit der Trauung nahte, es war nun auch der Winter in der Luft, begann Katharina Kohlhaase für ihre Tochter die Vorbereitungen für ihren Fortgang aus dem elterlichen Landsitz zu gestalten. Es galt, die eine um die andere Truhe und die Koffer zu füllen, damit es zur rechten Zeit gelänge, den töchterlichen Besitz an Kleidern, Hüten, Schuhen der Übersiedlung in das eheliche Haus zu erledigen. Auch war es ihr ein Anliegen, ein paar schöne Tischdecken, Servietten, beste Leinen, ein Silberbesteck zu übereignen, welches noch ihr selbst, von ihrer Mutter, aus der Linie der Sonnenbergs bei gleichem Anlass in die Ehe gegeben hatte.

Es war sodann ein seltsam anheimelnder Anblick, als Koffer, Truhen und runde Hutschachteln beieinander gehortet standen, und Katharina Kohlhaase vergoss bei deren Betrachtung dann auch reichlich Tränen. Mit noch feuchten Augen ging sie kurz in ihr Ankleidezimmer und nahm aus einer kleinen versteckten Schublade in ihrer Spiegelkommode ein Seidensäckchen. Danach ging sie zurück zu ihrer Tochter und setzte sich neben diese. Und so saßen Mutter und Kind für einen Moment noch schweigend nebeneinander auf dem Bett. Dann griff Katharina Viktorias Hand und legte den Seidensack in diese.

„Liebstes Kind!“, sagte die Mutter leise und gefasst. „Nimm diesen Schmuck von mir und bewahre ihn in Ehren. Es ist die Tradition, dass uns´re Töchter eine zur anderen Besitz erhalten. So mache es dann auch, wenn Gott Dir Töchter schenken sollte. Die Ringe, Ketten und Hänger haben nun schon einige Trägerinnen geseh´n und diese stets geschmückt. So soll´ auch sie Dir dienen und Dir Glück und Segen bringen.“

Viktoria aber legte die glitzernde Gabe schnell zur Seite. „Soso, … die Trägerinnen geschmückt …!“, gab sie ihrer Mutter zur Antwort. „Ihnen sei nun versichert, Frau Mama, dass ich mich wahrlich nicht zu schmücken gedenke. Weder zur Ehre meiner, noch zu der eines ungeliebten Gatten. Behaltet Euren glimmrig Schatz, ich will ihn nicht. Und was ich an guter Sitte und braver Folge ganz durch Zwang erfülle, ist dann genug der Pflicht und braucht nicht noch gleisnerische Tünche.“

Die Mutter war nun sehr getrübt. Aber da war ja noch etwas, was sie ihrer Tochter überreichen wollte. Sie zauberte geschickt ein Couvert hervor und reichte dieses ihrer Viktoria.

„Es ward am gestrigen Tage ein Brief für Dich abgegeben.“, erklärte sie, immer diesen immer noch dem Kind entgegenstreckend. „Du warst auf Deinem Heidegang, als der Postwagen hielt und mir der Brief übergeben wurde. Ich habe diesen gleich für mich behalten, derohalben es Deinem Vater nicht zur Kenntnis gelangt ward. Nimm ihn an und lese ihn. Er ist ganz noch so wie er gekommen ist, was Du am Siegel wirst erkennen.“

Viktoria nahm das Couvert und las den Absender: `Frau Ottilie Nissle.´ Und die Schreiberin hatte vorsorglich noch ergänzt: `geborene Krottenkamp´.

„Es wird wohl Deine Schwägerin Dir einen Gruß zu senden haben.“, konjizierte Katharina. „D´rum zier Dich nicht, mein Kind, und lese ihn gewogen und in Ruh, denn es wird nur gute Absicht zu erkennen werden, ich hab´s ganz im Gefühl.“

Viktoria aber zögerte nicht. Mit stoischer Miene tat sie den Brief sodann in viele kleine Teile zerreißen, ganz schnell und vor den entsetzten Augen der Mutter. Dann ging sie zum Kamin, und dieser hatte noch gute Glut auf dem Rost. Und nach wenigen Sekunden, erst färbten sich die Ränder des Papiers braun und schwarz, räkelten sich helle Flammen empor, und sie fraßen Ottilies Nachricht ganz und gar, bis nur noch Asche übrig war. Der rote Siegellack ward ganz zähflüssig geworden und floss nun tropfend vom glühenden Scheid, ganz so, als würde er dem Blute einer offenen Wunde nacheifern wollen.

Sodann verließ die junge Frau wortlos ihr Zimmer, denn die Pferde sollten heut noch versorgt sein. Katharina Kohlhaase, nun nochmals mehr verbittert, überlegte kurz, dann nahm sie den prallen Seidensack und vergrub diesen in einem kleinen Koffer ihrer Tochter. Es sollte doch der Tradition kein Abbruch erfolgen.

Herr und Untertan

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