Читать книгу Der Bauarbeiter - Aufzucht und Hege - Stefan Groß - Страница 8

Die Kinderzeit — Hart wie ein Mauerziegel

Оглавление

Die Jahre zwischen meiner Geburt und der, wie sich zeigen sollte erfolglosen Einschulung, kann ich hier nur sehr unklar wiedergeben. Das liegt zum einen daran, dass ich nicht sehr helle war, als auch an dem Umstand, dass sich nur schwerlich Menschen finden lassen, welche sich an meine Lebensführung erinnern. Ich war eben in erster Linie da — und wurde gewaschen, gefüttert und zu Bett gebracht.

Real betrachtet war ich zwar Teil eines Wurfes von vier Abkömmlingen meiner Eltern, aber ich fiel nicht weiter auf, in etwa wie ein einzelner Stein in einer Klinkerwand. Jeder sieht ihn, aber keiner schenkt ihm besondere Beachtung.

Meine Mutter kann sich heute glücklicherweise wenigstens noch daran erinnern, dass ich großen Hunger hatte und blond war. Dass sie dabei alte Fotos herauskramt, um mir antworten zu können, ist allerdings manchmal etwas befremdlich.

Wir lebten im großelterlichen Haus mit Tanten, Onkeln, Eltern, Cousinen und Cousins. Die etwa 18 Personen in dieser Doppelhaushälfte stapelten sich auf 140 Quadratmeter Wohnfläche. Eine Wohnflächenerweiterung erfolgte in der Regel durch Etagenbetten für die Kinder, was Ruck-Zuck einige Quadratmeter einbrachte.

Was mir einigermaßen in Erinnerung blieb war mein Großvater väterlicherseits. Ein Baum von einem Mann, gelernter Maurer (was sonst) und ein Patriarch wie er in den besten Monumentalfilmen vorkommt. Mit harter Hand und barschen Worten unterjochte er nicht nur seine eigenen (schon erwachsenen) Kinder, sondern natürlich auch die angeheirateten Ehepartner im Hause, zu dieser Zeit meine Mutter und deren Schwägerin sowie die Frau meines Onkels. Er war ein praktizierender Christ und das Einzige, was diese Bezeichnung rechtfertigte, war sein täglicher Kirchgang. Der häufige Besuch der Kirche war aber auch notwendig. Sein alltäglich selbst erarbeiteter Sündenkatalog musste einfach auch im gleichen Zeitraum die Absolution erhalten. Um nur einige seiner Charaktereigenschaften wiederzugeben möchte ich hier Jähzorn in höchstem Maße, Streitsucht sowie die fehlende Erinnerung an das erste Gebot — Liebe deinen Nächsten — anführen. Ob die Vertreibung aus der schlesischen Heimat, die Ausübung seines Berufes, seine fruchtbaren außerehelichen Kontakte oder anderes seine Persönlichkeit formten, ist mir nicht bekannt. Seinen innerlichen Zorn über das eigene Dasein versuchte er mit der Misshandlung der schweinernen Nutztiere allabendlich zu bekämpfen. Ein Streit mit einem Nachbarn endete meist mit der Flucht des selbigen durch den halben Ort. Mein Opa war in solchen Momenten imstande zu töten, was ihm aber zum Glück nie gelang. Na, da hätte er dann aber mal was Richtiges zu beichten gehabt.

Mein Großvater war gerade Rentner als ich ihn bewusst kennenlernte. Aus den Erzählungen meines Vaters weiß ich jedoch, dass auch seine Arbeitshaltung seinem Wesen gut zu Gesicht stand. Natürlich hatte er einen persönlichen Handlanger — nein, eher einen Leibeigenen — mit dem er so ähnlich umging wie abends mit den Schweinen im Stall. Da der Handlanger ein loses Mundwerk und einen ebensolchen Lebenswandel hatte, war er vorderhand der erklärte Feind meines Großvaters.

Die Arbeitsweise dieser beiden Bauschaffenden muss man sich so vorstellen: Allmorgendlich stellte sich mein Opa an die für eine neue Mauerwerkswand vorgesehene Stelle. Unter Beschimpfungen und Bedrohungen meines Opas machte sich sodann der Handlanger an die Arbeit, bis sein Maurer mit der Arbeit beginnen konnte. Manch ein Maurer wäre dem Helfer etwas zur Hand gegangen. Nicht so mein Großvater. Er war der Maurer — besser: der Herr Maurer — und somit nahm er nur einen Stein in die Hand, um diesen auch zu vermauern. Für alles andere war sein Handlanger zuständig. War dieser nicht fix genug in seinen Vorbereitungen, tat mein Opa gar nichts, denn es war weit unter seiner Würde auch nur einen Stein selbst auf das Gerüst zu legen oder auch nur einen Liter Mörtel selbst in den Kübel zu befördern. Der Handlanger machte sich ab und an einen gefährlichen Spaß daraus, meinem Großvater schlüpfrige Weibergeschichten zu erzählen. Hierdurch gereizt, torpedierte mein Opa seinen Helfer mit übelsten Schimpfworten und Tiernamen der untersten Kategorie. Aber irgendwie waren die beiden auch nicht zu trennen und da scheinbar keiner der beiden sehr gelitten hat, blieben sie viele Jahre beieinander.

Er war ein Despot. Und ich war, soweit dieses Wort ihm überhaupt geläufig war, sein einziger Liebling unter den Enkeln. Da er im Rentenalter noch ein Feld bestellte, nahm er mich des Öfteren auf seinem Traktor mit hinaus. Es wurde nicht viel geredet, aber die Chemie schien zu stimmen und so war ich wohl auch der Einzige in der Familie, der keine Angst vor ihm hatte. Ob und wenn ja inwiefern die Begegnungen mit meinem Opa Einfluss auf mein späteres Leben hatten, weiß ich nicht. Geerbt habe ich sicherlich einen Teil seiner Charaktereigenschaften, wie die Streitbarkeit, die Distanz zu Tieren und die Beurteilung von Handlangern.

Der Tod meines Großvaters kam einige Jahre später, als ich so etwa zehn Jahre alt war. Er wurde zelebriert und wir Kinder mussten uns alle noch mal in das Sterbezimmer begeben, wo der bereits tote Opa lag. Das war interessant für mich und hat mich beschäftigt. Ich bin mir zwar heute immer noch nicht im Klaren darüber, warum wir Kinder die Leiche sehen mussten, aber irgendwie fanden meine Eltern das wichtig.

Da lag er nun, ohne dass er irgendjemanden niederknechtete oder drangsalierte und mit dem Kirchgang war jetzt auch Schicht. Tschüss Opa …

Mein anderer Opa — also der Vater meiner Mutter — war gar nicht mein Opa, er war der Stiefgroßvater, nachdem der leibliche Vater meiner Mutter — im Übrigen ein bekennender Nazi — schon früh verstorben war. Wie könnte es aber anders sein, gehörte auch mein Stiefopa zum erlauchten Kreise der Bauschaffenden. Er rechtfertigte sein Dasein mit der Tätigkeit eines Handlangers bei einem Verputzunternehmen aus der Nachbarschaft. Hier wurde damals noch Kalk auf der Baustelle gelöscht und so verwunderte es kaum, dass er dem Alkohol zugetan getan war und allabendlich ziemlich bedröhnt aus der örtlichen Kneipe kam. Dort hatte er also weiter gelöscht — und zwar seinen unbändigen Durst.

Leider wurde der gute Mann stets sehr ungehalten und aggressiv wenn er getrunken hatte, ferner bedrohte er immer wieder verbal seine Ehefrau mit dem Tode. Oft kühlte die Oma das Mütchen ihres Gatten mit einem Eimer kalten Wassers, welches sie aus dem Fenster auf den armen Trinker schüttete. Hierdurch wurde er oft noch ungehaltener, torkelte hinter dem Haus die Außentreppe hinunter und krakelte im Keller weiter, bis er schließlich erschöpft in seinen Arbeitsklamotten einschlief. Da ihm keiner zu nahe kommen wollte ergriff ich einige Male die Chance meine Kasse aufzufüllen und habe den schlafenden Opa, unbemerkt von den anderen, um ein paar Mark erleichtert. Ich war jung — und so mache ich mir auch heute keinerlei Vorwürfe. Außerdem hatte er ja sowieso nicht viel Geld, denn das meiste versoff er ja, und so konnte ich ihm ja auch nur wenig wegnehmen.

Vom Opa konnte ich allerdings auch eine ganze Menge lernen. So war ich der Auserwählte seiner Enkel, dem das Schlachten von Haustieren beigebracht wurde. Hier erfuhr ich schon sehr früh, wie verletzbar der Körper von Lebewesen sein kann und welche Wirkung Eisenstangen und Messer auf die Weichteile eines Lebewesens haben. Wirklich eine feine Sache für so einen achtjährigen Burschen und aus heutiger Sicht pädagogisch mindestens fragwürdig. Insbesondere wenn es um persönliche Spielkameraden wie Zwergkaninchen, Hamster oder Kätzchen ging. So durfte ich mein weißes Zwergkaninchen an seinem dritten Geburtstag mit einer Eisenstange betäuben und hiernach die Kehle durchschneiden. Wie schön — danke Opa, Mama und Papa, dass ich schon so früh erwachsen werden durfte. Weshalb wurde eigentlich nur ich als Schlachthelfer ausgewählt? War das schon eine Art geplante Abstumpfung als Vorbereitung zum Bauarbeiter? Nur gut, dass mein Häschen in dem Alter ungenießbar zäh war, ansonsten hätte ich mit Sicherheit den Spielkameraden in Form einer Suppeneinlage nochmals zu Gesicht bekommen.

Opa rauchte nebenbei täglich seine zwei bis drei Schächtelchen Reval ohne Filter. Schade eigentlich, denn hier hätte ich sicherlich noch ein wenig mehr Bargeld einnehmen können, aber so war das Geld erst im Automaten, danach als Gift im Opa — und ich musste sehen wie ich klarkam. Später erkrankte der Opi an Krebs und kämpfte fast zwei Jahre mit dem Tode. — Der Tod gewann, wie er schlussendlich eben immer gewinnt. Was soll's, der Opa hat sich jedenfalls von seiner Alten nix sagen lassen, hat seinen Enkel finanziell selbstlos unterstützt und mir das Schlachten beigebracht, worauf ich allerdings wenig stolz bin.

Aber zurück in die Kinderzeit — dazu gehörte natürlich auch der katholische Kindergarten.

Der erste Tag gestaltete sich für mich als äußerst aufreibend. Es hätte mir zu denken geben sollen, warum meine Mutter auf dem Tragen einer Lederhose bestanden hatte. Ich wollte, wie sicher einige andere Kinder auch, nicht bleiben und plärrte und bettelte, dass mich die Mutter wieder mit nach Hause nahm. Tat sie natürlich nicht, denn lange hatte sie diesen Tag herbeigewünscht, um ihre Psyche wenigstens für kurze Zeit am Vormittag zu schonen.

Kaum war meine Mutter aus der Tür verschwunden wurde mir von einer alten rabiaten Nonne kräftig der Hintern versohlt. Die hochkatholische Ordensschwester Pauline hatte eben ihre eigenen Methoden, kleine Schreihälse wie mich zur Vernunft zu bringen. Das Tragen der Lederhose hat Mutter zwar zu ihrer Gewissensberuhigung gut gemeint, aber es brachte leider nicht viel, da Pauline diese nur zum Verdecken der roten Flecken benötigte. Die Schläge, das wusste sie, mussten auf den nackten Hintern gesetzt werden, um auch richtig zu wirken. Hätte ich mich doch vorher mit meinen älteren Brüdern unterhalten. Wenigstens hätten diese Säcke mich warnen können, aber so sind Brüder nun mal.

Nachdem ich mich also der Gewalt fügen musste war ich nun im Kindergarten. Ich merkte schon damals, dass Gruppen und Gruppenleben keinen besonderen Reiz für mich hatten. Doch ich hatte zwei Freunde gefunden: einen Jungen und ein Mädchen, was es für mich etwas erträglicher machte. Mit dem Jungen verbrachte ich einige Zeit, er war intelligent und sollte, wie sich später herausstellte, Regisseur am Theater werden. Das Mädchen war das hübscheste der Gruppe und es war meine selbst gestellte Aufgabe sie als Freundin zu bekommen. Das gelang sogar und ich war tief betrübt, als sie nach Ende der Kindergartenzeit weit von Krefeld wegzog.

Dieselben Gründe wie für meine Integration in den Kindergarten galten auch für meine Einschulung: Mutter brauchte einfach die Zeit, denn wie sich wenig später herausstellte, hatten sie ihre dunkle Vorahnung und ihr Wissen um den unbändigen Vermehrungsdrang ihres Mannes nicht getäuscht. Nach kurzer Zeit war sie schon wieder schwanger und es sollte wie auch sonst, ihr fünfter Sohn auf dem Weg sein.

Ich kam viel zu früh in die Grundschule, nämlich im völlig unreifen Alter von fünf Jahren. Das sollte mir noch lange Probleme bereiten.

Nicht nur aufgrund meines geringen Alters, auch sonst war ich mit der Kürzeste in der Klasse und somit dem ständigen Spott der grausamen Mitschüler ausgesetzt. Hier entwickelte sich meiner Überzeugung nach ein großer Teil meines nicht ererbten Charakters.

Kleine Menschen haben es von Kind an schwerer und wenn diese auch noch jünger als die meisten anderen sind und nicht nur aufgrund ihres Alters geistig noch etwas hinterherhängen, entwickeln sie oft Verhaltensweisen außerhalb der gewünschten Normen. Sie nannten mich Benjamin den Kleinen — und da sie mich nicht nackt kannten, zielten sie auf meine Körperhöhe ab. Den Namen benutzte sowohl die pädagogisch völlig unbeleckte Lehrerschaft, als auch die Mitschüler. Nett, dachte ich, scheint ein lustiger Haufen Scheiße zu sein. Und so erfreute ich sie alle zusätzlich mit meinen Späßen als Klassenclown.

Ich merkte recht schnell, dass der Bruch von Regeln die Aufmerksamkeit und Anerkennung der Gruppe auf sich zog. Das war toll für mich, weniger für meine Mutter. Sie musste Rede und Antwort stehen, ob der humorvollen Störungen des Unterrichtes. War ja alles nicht schlimm — mein Charakter war noch im Formungsprozess und die Delikte nur verbaler Art.

Mein Vater war hier nicht involviert und überhaupt trat er während meiner Grundschulzeit nur einmal unangenehm in Erscheinung. Leider hatte ich nicht gemerkt, dass er aus irgendeinem Grund an einem Wochentag nicht zur Arbeit gegangen war. Darüber war er verständlicherweise schwer sauer, denn er musste wie ein Tagedieb für zwölf Stunden sein Dasein im Hause fristen. Ich trödelte ein weinig auf dem Rückweg von der Schule, führte noch eine kleine Schlägerei mit einem Jungen aus der Nachbarschaft und ging anschließend noch in einen Laden, um ohne Geld einzukaufen. Kaum kam ich nach erfolgter Besorgung aus der Ladentür, sah ich das Unheil in väterlicher Gestalt schon auf mich zu kommen. Er war seinem Gesichtsausdruck nach zu urteilen sehr ungehalten und lief ohne zu zögern auf mich zu. Ich hatte keine Chance zu entkommen. Er packte mich am linken Ohr und trabte voran wie ein Rennpferd, wohl um mich von der richtigen Geschwindigkeit für den Schulweg zu überzeugen. Das tat ganz schön weh, aber schlimmer war die Schmach, dass der Alte mich so vorführte. Nach anderthalb Kilometern machte er halt, wir waren zu Hause angekommen. Mein gefoltertes Ohr schmerzte und mein Vater war zufrieden. Hatte er doch trotz Kind und Ohr an der Hand wenigstens die anderthalb Kilometer mit einer ganz passablen Laufleistung hingelegt, wenn er schon nicht malochen konnte. Und er hatte sich endlich einmal um die Erziehung gekümmert, da konnte seine Frau auch mal ein bisschen stolz auf ihn sein und die Meckerei einstellen.

Ich war ein schlechter Schüler, was meine wahren Leistungen betraf. Trotzdem verstand ich so zu tun, als würde ich begreifen was die Lehrer vermitteln wollten. Ich plapperte nach, schrieb viel ab und umschrieb Antworten auf gestellte Fragen blumig, ohne die Fragen jedoch im Kern zu beantworten oder die Antworten zu wissen. Da die Lehrer offenbar so blöd waren diese Plappereien als Intelligenz zu bewerten, rieten sie meiner Mutter, mich auf eine Realschule zu versetzen. Das war natürlich völliger Unsinn, denn mit meinen zehn Jahren und dem nicht vorhandenen Wissen hätten sie mich besser die dritte und vierte Klasse wiederholen lassen. Selber Schuld und Arschlecken, dachte ich. Glaubt bloß nicht, ich werde für eure Blödheit die Zeche bezahlen und an den bevorstehenden Schwierigkeiten und schlechten Noten Schaden nehmen. Ihr werdet schon erkennen, wer hier die Nerven lassen wird. Nicht ich werde in Zukunft zum Elternsprechtag aufs Schafott zitiert, sondern ihr. Im Grunde war es egal, denn eigentlich hatte ich zu dieser Zeit schon überhaupt kein Interesse mehr an dem ganzen schulischen Kram.

Der Bauarbeiter - Aufzucht und Hege

Подняться наверх