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Die Flegeljahre — ein Charakter entsteht

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Die Pubertät nahm Besitz von mir und ich folgte nur noch meinen Trieben. Meine Jugendzeit war geprägt von den Reizen der mich umgebenden Mädchen und meinem Streben nach Anerkennung. Und wie bei den meisten heranwachsenden Jungen begleiteten auch mich die Dame Maria Faust und ihre fünf Töchter durch diese bewegte Zeit. Ich bemitleide heute meine Mutter, hatte sie doch noch weitere vier Söhne in die Welt gesetzt, welche fast täglich die Bettwäsche festigten.

Nach zwei erfolglosen Jahren auf der Realschule, deren einziger Reiz in einer vollbusigen blonden Mitschülerin und einer lustigen Klassenfahrt bestand, hatte auch meine Mutter endlich meine Blödheit bemerkt und mich dann auch schleunigst auf eine Hauptschule befördert. Dadurch wurden zwar die Noten nicht besser, aber sie hatte ihre Schuldigkeit getan und mehr war überhaupt nicht zu machen.

Zum Glück waren die Lehrer auf dieser Schule komplett überfordert mit sich selbst und ihrer Schülerklientel, was sich beim Kollegium in Trunksucht, Wutausbrüchen unter Tränen, Schlägereien mit Schülern oder in der spontanen Ausübung von roher Gewalt äußerte. Alles in allem ein richtiger Sauhaufen, besonders die Lehrerschaft.

Es gefiel mir recht gut da. Keiner nahm großen Anstoß daran, wenn sich Schüler auf dem Schulhof prügelten, oder auch die Lehrer im Unterricht verwimmst wurden. Hier lernte ich noch eine andere wichtige Sache: Überrasche deinen Feind, bevor er dich überrascht und suche dir starke Freunde, wenn du schon eine große Fresse hast.

Da ich immer noch recht klein war, zog ich immer wieder die Aufmerksamkeit der bösen Jungs auf mich, welche mir nachstellten, um mich zu verprügeln. Durch schnelle Beine und gute Freunde konnte ich mich aber stets der Keile entziehen. Was ich allerdings gar nicht leiden konnte: wenn man mich in der Klasse mit Schimpfworten die auf meine Größe anspielten bedachte. Da gab es schon mal ohne Vorwarnung für den Bösewicht während des Unterrichts was auf die Fresse — da hatte er dann gar nicht mit gerechnet, der Schlingel, mitten im Biologieunterricht sein eigenes Blut zu schmecken.

Einmal gab mir die Englischlehrerin mitten im Unterricht eine Ohrfeige wegen einer ihrer Meinung nach unverschämten Äußerung ihr gegenüber. Das war pädagogisch zwar in Ordnung, doch die Lehrerin war der Meinung, dass die Sache damit erledigt war. Also vernachlässigte sie sträflich ihre Deckung und kassierte den Retourschlag mit voller Wucht. Sie strauchelte über einige Stühle und fiel jammernd zu Boden. Ich musste zum Direktor und zu meiner Verwunderung bekam die Lehrerin einen ordentlichen Einlauf dafür, dass sie zuerst geschlagen hatte. So war's richtig — aber die Abmahnung hätte sie für die schlechte Deckung bekommen sollen.

Da meine Versetzung jedes Jahr auf Messers Schneide stand, war auch bei meiner Mutter eine Resignation erreicht, die das Leben für mich noch etwas angenehmer werden ließ. Mein Vater war gerade selbstständig und hatte ohnehin nur Zeit für seinen Betrieb und mir war es recht.

Meine Freizeit, die ich wie es mir gefiel auch vormittags während des Unterrichtes einteilte, verbrachte ich mit sozial schwachen Mitschülern in der nahegelegenen Parkanlage. Hier tauschte ich die erste Körperflüssigkeit in Form von reichlich Speichel aus, fing an zu rauchen und ließ den lieben Gott einen guten Mann sein. Um mein Fernbleiben vom Unterricht zu legitimieren sagte ich oft, dass ich bei meinem Vater im Betrieb aushelfen müsste. Der wusste zwar nichts davon, aber die Lehrer waren über jeden Schüler froh der fehlte. Wenn der Schüler auch noch vorher mit ihnen gesprochen hatte so wie ich — um so besser.

Ich lebte also in den Tag hinein — lässig, cool, aber mit wachem Auge und weniger wachem Verstand. Bei meiner Beobachtung der Menschen wurde mir damals klar, dass Erfolg, Sex und Alkohol eine wichtige Rolle im Leben spielten.

Als Parameter für den Erfolg eines Menschen sehen wir hierzulande die Geldmenge an, welche er durch Leistungen anhäuft. Wie und auf welche Art und Weise er diese Leistungen erbringt ist unwichtig. So ist zum Beispiel ein Bankräuber in der Öffentlichkeit ein toller Hecht, wenn er mit zwei erbeuteten Millionen herrlich und in Freuden in Südamerika auf seinem Landsitz lebt und täglich eine andere vögeln kann. Ein Handlanger auf dem Bau hingegen, der täglich sechs Tonnen Steine per Hand auf ein Gerüst befördert und dafür 1.200,- Euro netto erhält, ist für die anderen ein Versager und nur bedingt zu frequentieren. Es gibt zwar auch den sportlichen Erfolg, in gewissem Rahmen, aber wenn der Sportler seine Anstrengungen nicht versilbert bleibt er trotzdem eine Pfeife.

Damit wären wir beim Sex: Hier kann der Handlanger mindestens schon mal gut mithalten. Auch der reichste Sack kann nicht besser pimpern als der letzte Baukuli, das ist wohl sicher. Geld macht zwar sexy, aber wenn der Junge steht ist Zahltag — und da trennt sich die Spreu vom Weizen. Da wünscht sich so manche lüsterne Schnalle — wenn auch nur für kurze Zeit — im Baugewerbe fündig zu werden, die schwielenvernarbte Hand eines Bauwerkers auf ihren Brustwarzen zu spüren und den durch Wind und Wetter gestählten Lümmel zu bearbeiten.

Kommen wir nun zum Alkohol: Der lässt die Menschen ihr teilweise armseliges Dasein für kurze Zeit vergessen. Auch vergessen die Menschen Stand, Geld und Manieren. Leute, die sonst sehr gute Umgangsformen pflegen, haben auf einmal sämtliche asozialen Unarten. Und Menschen, die keine Manieren haben, werden meist noch unmanierlicher. Landläufig sagt man einigen nach, dass sie lustiger werden, das ist aber Unfug, denn sie wirken nur dümmlicher weil sie nicht mehr klar denken können.

Alkohol und Sex stehen in enger Verbindung zueinander und beeinflussen sich wechselseitig: Wer ein wenig säuft wird hemmungslos und will pimpern. Wer ein wenig mehr säuft der pimpert. Und wer zu viel säuft kann nicht mehr pimpern. Auch hier hat natürlich der Bauschaffende einen klaren Vorteil: Seit Beginn seiner schmutzigen Tätigkeit ist er an den Alkohol gewöhnt wie das Kind an den Schnuller. Sechs bis acht schnelle Bier und zwei Kurze treiben zum Beispiel einen gelernten Maurer zu beachtlichen sexuellen Leistungen. Ein zusätzlich zwischendurch gekippter Boonekamp macht die Sache für die Frau zu einem unvergesslichen Erlebnis und ein kurz vor dem Höhepunkt versenkter Dornkaat bringt oftmals die vollkommene Erfüllung.

Leider werden in unseren Schulen diese Dinge nicht eingehend genug oder gar nicht an die Schüler vermittelt. Hier hätte selbst ich ein offenes Ohr gehabt. Sind nicht Schüler leicht mit diesen Ausführungen zu fesseln und sind diese Dinge nicht viel wichtiger, als zu wissen dass Köln an der Elbe liegt (oder war es doch die Donau?) und Goethe irgendwas an der Glocke hatte? Na scheiß drauf, was reg ich mich auf … Hauptsache ich habe es kapiert — mir reicht das auch aus. Bin ja kein Missionar für die Halbwüchsigen dieser Erde.

So verging also meine Zeit als Kind und ich wuchs langsam — sehr langsam zum jungen Mann heran.

Das Leben an sich veränderte sich bald und ich tauchte ein in das zu erwartende Chaos aus allen menschlichen Abgründen, die das Leben für einen wie mich in einem unerschöpflichen Maße bereithielt. Aber dazu später.

Der Bauarbeiter - Aufzucht und Hege

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