Читать книгу Neue Medien - neuer Unterricht? (E-Book) - Stefan Hofer-Krucker Valderrama - Страница 5
ОглавлениеDas BYOD-Konzept[1], das derzeit an den Schulen Einzug hält, stellt Lehrkräfte vor neue Herausforderungen und konfrontiert sie mit einer Reihe von sehr wesentlichen Fragen: Welche konkreten Lerninhalte müssen die Schüler*innen im digitalen Zeitalter beherrschen und über welche Fähigkeiten und Kompetenzen sollen sie dereinst verfügen? Wie gestalte ich meinen Unterricht, wenn die Schüler*innen alle mit einem Laptop oder Tablet im Schulzimmer sitzen? Und last but not least: Wie wird sich mein Beruf und meine Tätigkeit im Rahmen der Digitalisierung der Schulen verändern?
Die fiktiven Lehrer*innengespräche, die wir einzelnen Kapiteln dieses Bandes voranstellen, sollen einen Einblick in Gedanken zu diesen Problemen eröffnen. Dabei geht es nicht um gute oder schlechte, moderne oder traditionelle, digitale oder analoge Typen und Lehr- und Lernphilosophien. Vielmehr soll das breite Meinungsspektrum abgebildet werden, das heute an den Schulen anzutreffen ist und worin sich eine kritische, aber auch konstruktive Auseinandersetzung mit den neuen technischen Möglichkeiten zeigt. Die Dialoge und Äußerungen der Lehrkräfte sind in diesem Kontext zu verstehen; sie thematisieren jeweils ganz spezifische Probleme.
Humboldt-Gymnasium – große Pause
Die Schulleitung hat die Lehrkräfte eben darüber informiert, dass im neuen Schuljahr BYOD eingeführt wird. Die Entscheidung wird im Pausengespräch im Lehrer*innenzimmer heftig diskutiert.
Wagner: Jetzt ist es also so weit: Nun sollen bald alle Schüler einen Computer im Unterricht verwenden! Dabei gibt es keine einzige Studie, die beweisen würde, dass die Schüler damit mehr oder besser lernen …
Fischer: Aber darum geht es doch gar nicht! Die Welt hat sich verändert, die Digitalisierung ist allgegenwärtig. Wir müssen die Schüler fit machen für diese digitale Welt. Unterricht mit Papier und Bleistift ist einfach nicht mehr zeitgemäß.
Kühn: Ich sehe das gleich. Wir leben im 21. Jahrhundert: Zuhause warten Google Home oder Alexa auf mich; und die Jugendlichen können sich ein Leben ohne Handy gar nicht mehr vorstellen. Aber was tun die Schulen? Sie verbieten Handys auf dem Schulareal und arbeiten gleichzeitig Konzepte aus, um den Unterricht zu digitalisieren! Wie auch immer, ich freu mich jedenfalls über diesen Entscheid.
Zellweger: Aber Walter hat nicht Unrecht: Die empirische Unterrichtsforschung hat bisher keine Belege dafür gefunden, dass ein Unterricht mit Computern bessere Resultate liefern würde. Im Gegenteil, überall hört man von Problemen wie Ablenkung, Spielsucht, Mobbing – all diese Dinge beeinflussen doch das Lernen negativ.
Wagner: Ich habe das Gefühl, dass es vielen Schulleitungen vor allem darum geht, sich als moderne und hippe Schule zu profilieren. Das gibt dann wieder ein paar Medienberichte. Wo aber bleibt das pädagogische Konzept hinter dieser Neuerung? Gibt es Weiterbildungen für Lehrkräfte? Erhalten wir Zeit, um uns einzuarbeiten? Fragen über Fragen also, alle ungelöst. Für mich ist das Ganze alles andere als eine überzeugende und pädagogisch durchdachte Maßnahme, sondern ein Schnellschuss, eine PR-Aktion …
Zellweger: Und ganz zu schweigen von den Kosten, die der Schule entstehen; denn irgendwer muss ja die Infrastruktur liefern. Aber auch die Schüler und ihre Eltern werden zur Kasse gebeten. Denn die Schule wird kaum für die Anschaffung der Geräte aufkommen können.
Baumann: Ich sehe diese Probleme alle auch. Aber ich sehe eben auch die neuen Möglichkeiten, die mir und den Schülern zur Verfügung stehen werden. Sie werden viel selbstständiger arbeiten können. Und ich selbst kann ab sofort ganz anders unterrichten und meine Idee von eigenverantwortlichem und projektorientiertem Lernen viel besser umsetzen.
Kühn: Guter Punkt! Außerdem müssen wir die Schüler auch digital fit machen. Denkt doch nur an das Stichwort «Fake-News»: Es geht heute in erster Linie um kritisches Denken und einen souveränen Umgang mit den digitalen Angeboten, nicht um Anhäufung von Wissen.
Wagner: Ich sehe meine Aufgabe nicht darin, irgendwelchen technischen Schnickschnack einzusetzen, sondern die Schüler in meinem Fach fit zu machen. So können sie danach erfolgreich an der Hochschule starten. Solange es aber keine klaren Belege dafür gibt, dass man mit Computern besser unterrichtet, und solange sinnvolle pädagogische Konzepte fehlen, bleibe ich skeptisch. Den Versprechungen der Hard- und Softwareindustrie mit ihren Bildern von glücklichen und lachenden Schülern, die voller Enthusiasmus mit einem Laptop lernen, traue ich jedenfalls nicht.
Soweit ein kleiner Einblick in das, was den Lehrkörper eines typischen Gymnasiums zum Stichwort «Digitalisierung» gegenwärtig umtreibt. Die folgenden Ausführungen beleuchten einige der hier gemachten Äußerungen aus Sicht der Lehr- und Lernforschung und legen dar, welche Rolle die digitalen Medien im Unterricht spielen können.
1.1 Besserer Unterricht dank digitaler Medien?
Die Digitalisierung ist in allen Bereichen mit Kosten und mit zeitlichem Aufwand verbunden; so auch im Bildungsbereich. Daher gilt zu fragen, ob sich diese Kosten und dieser Aufwand lohnen und ob also ein Mehrwert aus dem Einsatz von digitalen Medien im Unterricht resultiert. Wird der Unterricht lernförderlicher, lernwirksamer und insgesamt besser dank dem Einsatz von digitalen Medien?
Die Frage lässt sich nicht abschließend beantwortet. Denn es gibt sowohl wissenschaftliche Studien, die einen Mehrwert nachweisen, als auch solche, die das Gegenteil belegen. Die widersprüchlichen Forschungsresultate lassen sich auf zwei Faktoren zurückführen. Zum einen ist die Frage so falsch gestellt: Nicht der Laptop oder ein bestimmtes Programm sind entscheidend für den Lernerfolg, sondern deren lernwirksamer Einsatz. Zum anderen wird der Einsatz digitaler Medien im Unterricht durch viele andere Faktoren beeinflusst, die behindernd oder begünstigend wirken können (vgl. Abb. 1). Unterricht als soziales System lässt sich nun mal nicht als Einweg-Kommunikation organisieren, er ist vielmehr von vielfältigen und hochkomplexen Rückkoppelungseffekten geprägt. Digitaler Unterricht ist damit nicht per se besser als analoger oder herkömmlicher Unterricht; entscheidend für den Erfolg ist ein didaktisch sinnvoller Einsatz, der die verschiedenen Einflussfaktoren im Lernprozess möglichst gut berücksichtigt.
Abbildung 1: Digitale Medien im Unterricht: Einflussfaktoren
Quelle: Herzig 2014, S. 10
Lehrkräfte sollten sich also nicht von Berufskolleg*innen verunsichern lassen, die sich allein daher als modern und aufgeschlossen verstehen, weil sie im Unterricht digitale Medien häufig nutzen, oder von Schulleitungen, die auf den vermehrten Einsatz von digitalen Medien im Unterricht drängen. Denn der Computer oder das Internet allein führen nicht zu mehr Lernerfolg. Entscheidend bleibt die reflektierte Planung und Umsetzung eines Lehr- und Lernsettings, in dem die «time on task» und damit das eigentliche Lernen im Vordergrund stehen.
Was sind denn aber ganz grundsätzlich wesentliche Bedingungen für erfolgreiches Lernen? Hier liefert die empirische Lehr- und Lernforschung Antworten. Sie gibt uns Hinweise darauf, welche Elemente von Lehr-/Lernsettings besonders wirksam sind. Entscheidenden Einfluss auf erfolgreiches Lernen nehmen
das Vorwissen, | |
ein kontinuierlich betriebener Wissensaufbau, | |
die klare Strukturierung der Lerninhalte, | |
das regelmäßige Üben und Repetieren, | |
häufige kognitive Aktivierung, | |
die Unterstützung des Lernprozesses durch formative Tests | |
und Selbsterklärungaufgaben | |
sowie die Reflexion des Lernens auf der Ebene der Metakognition | |
und mit Hilfe von Feedback. | |
Weiter trägt die Motivation der Lernenden wesentlich zum Lernerfolg bei, | |
ebenso ein positives Selbstkonzept und | |
die gut funktionierende Beziehungsebene zwischen Lehrenden und Lernenden.[2] |
Unterricht, der diese Faktoren berücksichtigt, begünstigt also den Lernerfolg der Schüler*innen. Digitale Medien unterstützen dabei in vielerlei Hinsicht: Denn durch ihren Einsatz können Abläufe verbessert, mehr Übungsgelegenheiten bereitgestellt oder das Herstellen und das Austauschen von Produkten auf einfachere Weise ermöglicht werden.
In den folgenden Kapiteln präsentieren wir Beispiele für Lernszenarien, in denen digitale Medien eine große Rolle spielen und die gerade dadurch einen besonders lernförderlichen Unterricht ermöglichen. Die Icons verweisen dabei auf jene Kompetenzen und Aspekte, die in den Szenarien besonders fokussiert werden.
1.2 Kompetenzen für das 21. Jahrhundert
Heute reicht die Berücksichtigung der genannten lernförderlichen Faktoren allein aber nicht mehr aus. Denn die gestiegene gesellschaftliche Bedeutung der Informations- und Kommunikationstechnologien verändert auch die Anforderungen an die Schule und damit die Rahmenbedingungen von Bildung. Die Digitalisierung und die durch sie hervorgerufene Ablösung der Gutenberg-Galaxie durch das Informationszeitalter beeinflussen in hohem Maße die Generierung, Verteilung und Vermittlung von Wissen. Folgen dessen sind einerseits eine sehr große Menge an Informationen, auf die immer und überall Zugriff genommen werden kann, andererseits komplexere gesellschaftliche Probleme und ein beschleunigter Wandel. Die Hochschulen, die Berufswelt und die Gesellschaft insgesamt sind daher bereits jetzt und viel stärker noch in naher Zukunft auf Menschen angewiesen, die ganz spezifische Kompetenzen mitbringen.
Die Schule hat deshalb auch die Aufgabe, sowohl ein konzeptionelles als auch ein anwenderorientiertes Wissen und Können zu vermitteln, damit die neuen Technologien sinnvoll und zielgerichtet eingesetzt werden. Ein fundiertes Verständnis für die digitale Lebenswelt muss heute als eine wichtige Voraussetzung für die Bildung einer eigenständigen Persönlichkeit verstanden werden, die über die notwendigen fachlichen, sozialen und personalen Kompetenzen verfügt, um sich kritisch mit den Vor- und Nachteilen einer digital geprägten Welt auseinanderzusetzen.
In diesem Kontext werden gemeinhin die folgenden vier Schlüsselkompetenzen als besonders wichtig für die Bewältigung gegenwärtiger und zukünftiger Probleme genannt; sie lassen sich im sogenannten «4K-Modell» zusammenfassen:
Kommunikation | Kreativität | ||
Kollaboration | Kritisches Denken |
Was bedeutet das für die Schule? Sie muss den Fokus verstärkt auf den Austausch und die Kooperation zwischen den Schüler*innen, aber auch zwischen den Lehrkräften und Schüler*innen sowie zwischen den Lehrkräften selbst legen. Dem gemeinsamen Problemlösen und dem Analysieren und kritischen Beurteilen von konkreten Fragestellungen gilt es großes Gewicht beizumessen. Und nicht zuletzt soll die Kreativität zur Entfaltung kommen; das gelingt in erster Linie dann, wenn die Schüler*innen selbst aktiv und wenn Lernprozesse produktorientiert gestaltet sind und in Präsentationen und Diskussion der Ergebnisse münden – und wenn damit Lernergebnisse als Lernressourcen genutzt werden.
Beim Ausarbeiten von Lehr-/Lernszenarien sollten also stets die vier genannten Schlüsselkompetenzen mitberücksichtigt und gefragt werden, ob und inwiefern das betreffende Lernsetting auch den Kompetenzaufbau in diesen Bereichen unterstützt. Und es sind gerade die digitalen Medien, die nun eine entscheidende Rolle dabei spielen, diese Kompetenzen zu schulen. Denn digitale Medien sind einerseits dank ihrer Charakteristika – multimedial, interaktiv, kollaborativ – und ihrer gesellschaftlichen Verankerung und Verbreitung in besonderem Maße dazu geeignet, zum Erwerb der genannten vier Schlüsselkompetenzen beizutragen. Andererseits ermöglichen digitale Medien auf einfache Art und Weise vielfältige Produkte herzustellen und damit den Wechsel vom eher passiven Rezipieren und Verarbeiten zum aktiven Nutzen und Erarbeiten zu befördern.
Wer heute analog unterrichtet oder digitale Medien lediglich dezent einsetzt, der kann mit einer Lerngruppe weiterhin viel erreichen. Wer aber darüber hinaus digitale Medien in umfassenderem Sinne für die Gestaltung und Durchführung von Lehr- und Lernprozessen nutzt, dem eröffnet sich einerseits eine Vielfalt an Möglichkeiten, den Unterricht motivierender, zeitgemäßer, attraktiver und abwechslungsreicher zu gestalten. Andererseits können dabei die genannten vier zentralen Kompetenzen kontinuierlich und gezielt gefördert werden. Den Einsatz von digitalen Medien im Unterricht verstehen wir daher grundsätzlich als Chance.