Читать книгу Royal Cheese - Stefan REIBEL - Страница 2
ОглавлениеProlog
Peter nippte vorsichtig am frisch gebrühten Milchschaum-Kaffee, ohne den Blick von den Zeilen zu lösen. Regelmäßig saß er hier im hintersten Winkel zwischen Bücherwand und Fensterfront, um für zwei, drei Stunden in die angestaubten Werke geistiger Wissenschaft abzutauchen. Der erste Ansturm auf die Sitznischen im Café Unitass löste sich auf, die jungen Interpreten aus den Lautsprecherboxen eroberten die Klangkulisse langsam zurück.
Sein kraftvoller Biss ins Plunderhörnchen stob Puderzucker auf das schwarze Baumwollhemd und die abgegriffenen Buchseiten. Wer, wie Peter, im anregenden Aroma frisch gemahlener Bohnen mit verstorbenen Psychologen verkehrt, erfährt im Allgemeinen durchaus Wissenswertes über seine Mitmenschen.
Heute führte ihn der zufällige Griff ins Regal zu Maslows Bedürfnispyramide, in welcher Peter sich selbstzufrieden auf der höchsten Ebene verortete. Weit oben also, wo wir uns selbst finden, oder viel zu oft von geschäftstüchtigen Strategen finden lassen.
Fernab dieser höchsten Stufe des bekannten Ordnungssystems, so ist zu erfahren, gibt es eine Niederung, die wir mit den Tieren teilen. Wo, im Ringen um das Gefühl der Sicherheit, die zum Erhalt des Lebens essenziellen Bedürfnisse unser Tun bestimmen: Atmen, Trinken, Essen, Schlafen, Sex – Gewalt.
Peter kaute, trank, schluckte, blätterte und las weiter.
Eine Niederung, so sind wir sicher, in die nur ein Mensch zu stürzen vermag, der eh schon am untersten Rand der Gesellschaft baumelt.
Der sein tierisches Verhalten an den Tag legt, weil wir es von ihm erwarten können. Wir lauern darauf, schüren es und sind bestürzt, wenn es dann endlich herausbricht …
Peters Blick glitt über die, zwischen Halbschatten und Morgensonne herumirrenden, Gestalten vor dem Fenster.
„Darf es noch was sein?“, wollte die adrette Blonde mit gezücktem Stift wissen. Peter wehrte schweigsam ab. „Also alles in Ordnung...“, schnaufte sie genervt.
Also alles in Ordnung.
In allgemeiner Ordnung.
Wäre da nicht jener kurze Augenblick.
Der winzige Hauch, der uns jederzeit streifen, kurz vor der ewigen Glückseligkeit zu Boden schleudern kann und vor unserem geistigen Auge die gesamte Existenz in Scherben zu legen vermag.
Dieser winzige Hauch, der das Tier weckt.
Es reizt. Es fordert. Und der es bekommt.
Weitaus gefährlicher, als jenes, das nur nach
dem Überleben trachtet …
Peter leerte die Tasse, bezahlte hastig ohne Trinkgeld und stürzte durch das eng gestellte Mobiliar zum Ausgang.
Ein abschätziger Blick der jungen Kellnerin folgte ihm auf die gegenüberliegende Straßenseite. Kopfschüttelnd über das eigentümliche Verhalten des täglichen Gastes, schwang sie den Lappen über den krümeligen Tisch und schob das Psychologie-Buch zurück ins Regal.
„Der ist bestimmt kein Student mehr“, lachte ihre Kollegin und knuffte sie im Vorbeigehen mit dem Ellenbogen. „Vom Alter her eher Professor...“, befand sie und servierte Kaffee und Kuchen am Nebentisch.
„So einer würde sich aber hier nicht durch die Café-Bibliothek schmökern“, erwiderte Beate, blies sich die blonden Fransen aus dem Gesicht und beobachtete, wie Peter hinter einer vollbusigen Frau in den Bus huschte, die gerade das Institut verlassen hatte.
„Heute darf ich sie nicht verlieren“, dachte er.