Читать книгу Graue Pädagogik - Stefan Rogal - Страница 5
Gesellschaft
ОглавлениеViele politisch Verantwortliche wollen die Haupt- und Realschule aufgeben bzw. sterben lassen. Das Gymnasium soll die Funktion einer Einheitsschule übernehmen, Eine Schulform, die die Funktion des eigentlichen Gymnasiums erfüllen könnte, scheint verzichtbar. Hier ergibt sich dann eine Marktlücke, die von der Privatwirtschaft gerne gefüllt werden wird.
Die staatliche Schule wird zu Tode reformiert. Die Politiker wünschen sich eine pädagogische Serviceagentur, welche spannendes Edutainment und möglichst eine Rund um die Uhr-Betreuung anbietet. Der Service soll von der perfekten Integration ausländischer Kinder, die gar kein Deutsch sprechen, bis hin zur Inklusion Behinderter für jeden Bedarf das passgenaue Angebot bieten. Die Lehrer werden das schon schaffen. Die Schule will alles, kann aber gar nichts. Durch den zunehmenden bzw. faktischen Verzicht auf verbindliche Schullaufbahnempfehlungen seitens der Grundschule sitzen in der fünften Klasse des Gymnasiums unter dreißig Kindern zehn bis fünfzehn, die dort überhaupt nicht hingehören, oft aber den Ton und jedenfalls das Niveau angeben. Der Nachhilfemarkt jubiliert. Wir müssen schließlich auch die Wirtschaft fördern. Dass Schüler sitzenbleiben, kommt eigenartigerweise immer seltener vor. Wie geht das? Aufgrund der zunehmenden Konkurrenz zwischen den Gymnasien, auch das ist ein großer Blödsinn, ist es oberstes Ziel, dass jeder das Abitur erreicht und die Schule am Tag der letzten mündlichen Abiturprüfung die weiße Fahne heraushängen kann. Begabte, Fleißige werden konsequent ignoriert, im besten Fall an einem Tag in der Woche zur Uni abgeschoben. Selbst das Gymnasium auf einer kleinen Nordseeinsel ließ einen hochbegabten Schüler einmal wöchentlich die Weltreise zu einer Hochschule an der Ostküste antreten. Während der Hin- und Rückfahrt jeweils mit Fähre, Bimmelbahn, Überlandbus und Stadtbus kann man die vielen Stunden ja perfekt mit dem Blick in die Bücher nutzen.
Alle am System Beteiligten fühlen sich überfordert – vom Kindergartenkind bis zum Doktoranden. Wodurch eigentlich? Das hohe Niveau kann es doch nicht sein. Vielleicht doch eher die eigene Hysterie. Die Nervosität der Eltern überträgt sich schon auf die Allerkleinsten. Da ist der Witz: „Mama, ich schaff das alles nicht mehr!“ – „Warte doch wenigstens noch die Einschulung ab!“ gar nicht mehr so lustig. Schnell entwickelt sich ein eingebildetes Burnout-Syndrom; es gibt Medikamente; Ärzte, Psychologen und die Pharmaindustrie spielen da nur allzu gern mit.
Die deutsche Konsequenz aus dem PISA-Wahn war: Wir schicken zunächst einmal verdiente Beamte aus dem Bildungsministerium nach Finnland. Dann wird das dortige System Deutschland übergestülpt. Ob das passt oder nicht, ist egal, Hauptsache, es kostet nicht zu viel. Erstmal richten wir in möglichst jeder Schule eine Mensa ein, halten die Schüler länger im Haus und evaluieren fröhlich weiter; der Rest wird sich dann schon irgendwie ergeben.
Immer neue Studien wollen uns weismachen, unser Schulsystem sei nicht durchlässig genug. Die Wahrheit ist, dass es noch nie so durchlässig war wie heute. Gerade Kinder aus prekären Verhältnissen werden fast zu Tode gefördert, mit Unterstützungen aller Art übersättigt. Warum will man uns immer noch glauben machen, sie hätten geringere Bildungschancen?
Schule und Unterricht werden überreguliert. Der Begriff „Reform“ ist für die Betroffenen längst zum Schimpfwort geworden. Bezüglich seiner Kernaufgaben herrscht allerdings auch und vielleicht gerade im Gymnasium eine erschreckende Gleichgültigkeit. Von anspruchsvollem Unterricht, der Lernenden über Jahre hinweg Leistungen abverlangt und sie zu sach-, selbst- und sozialkompetenten Persönlichkeiten bildet, keine Spur. Erziehungsaufgaben werden konsequent und höchst erfolgreich verdrängt: Was sollen wir schließlich noch alles machen? Dafür sind nun wirklich die Eltern zuständig. Schüler werden weder korrekt benotet noch ehrlich beraten. So passiert es zum Beispiel, dass die Schülerin, der von der netten, fachfremden Philosophielehrerin die Eins nachgeworfen wurde, allen Ernstes ein wissenschaftliches Studium dieses Faches aufnimmt; Konsequenz: Studienabbruch.
In der Schule wird Zeit totgeschlagen, Ressourcen werden vergeudet – am Ende verlassen frappierend dumme Kinder das Gymnasium mit der Allgemeinen Hochschulreife und einem Numerus Clausus im oberen Drittel. Sollen sich doch die Universitäten mit diesen fehlgeleiteten Existenzen weiterärgern.