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2. Begriffsgeschichte und Begriffsklärungen: Drama – Dramentheorie – Dramaturgie

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„Was tun?“

Das Wort Drama leitet sich aus griech. tí dráso („Was tun?“) ab, das Aischylos in seiner Orestie (im zweiten Stück Choephoren) mit dem Verb drán ins Spiel bringt (Aischylos 1988, 170, V. 899). Akzentuiert wird damit ein bestimmter Aspekt der Handlung: Während práttein auf das Ziel und die Vollendung einer Handlung ausgerichtet ist (Aristoteles 1982, Kap. 3, 11), tritt bei Aischylos mit tí dráso im Sinne von ‚etwas begehen‘, ‚etwas tun wollen‘ ein Aspekt in den Vordergrund, durch den die Aktivität, das Tun selbst auf dem Spiel steht. Das drán, das dem Drama den Namen gibt, treibt den Handelnden an. Es bezieht sich aber weder auf einen zielgerichteten Verlauf noch auf die „fortlaufende Kette eines notwendig zusammenhängenden und einheitlichen Wirkens“, sondern auf den „entscheidenden Punkt, auf die ‚Tat‘, die am Anfang des Handelns steht, […] auf die ‚Ent-Scheidung‘, in der sich der Zwiespalt der Welt auftut“ (Schnell 1928, 14). Drán bleibt in der Orestie von Aischylos daher stets auf die „Überwindung von Zaudern und Unschlüssigkeit“ bezogen und markiert den Anfang bzw. den Entschluss zum Tun. Es bezeichnet eher einen Vorhof des Handelns, in dem es um ein Sich-Entscheiden, um das Anbrechen der Tat geht (Vogl 2007, 33, 26).

Handeln

Das griechische Wort dráma ist vor diesem Hintergrund eine Ableitung des Verbs drán und bedeutet soviel wie ‚Hände betätigen‘, ‚körperlich agieren‘, ‚hantieren‘. Allgemeiner meint es mit Aristoteles ‚tun‘ bzw. ‚handeln‘, im künstlerischen Bereich ‚mimetisch darstellen‘, so dass bereits mit dem Wort der zentrale Aspekt der imitatio mitgeteilt wird. Es bezeichnet die Nachahmung einer Handlung und die ästhetische Darstellung dieser Nachahmung: „,Dramen‘ […] ahmen ja sich Betätigende (dróntes, von drán) nach“ (Aristoteles 1982, Kap. 3, 9f.). Aristoteles meint damit die schauspielerische Tätigkeit auf der einen, die dramatische Handlung auf der anderen Seite (Asmuth 1994, 907). Die Ableitung dramaturgía bezeichnet dann die Anfertigung von Dramen unter Berücksichtigung der Regeln und Strukturen, die dabei zu beachten sind (Schmid 1997, 399).

Drama – Schauspiel – Schaubühne

Die weitere Entwicklung der Dramentheorie führte am Substantiv Drama lange Zeit vorbei. Horaz spricht in der Ars Poetica von scaena, actus, fabula (Horaz 1972, V. 125 u. 183, 129 u.189, 190). Er verwendet also Begriffe, die auch für erzählende Formen gelten, auch wenn er damit die Einteilung des Dramas nach fünf Akten begründet (ebd., V. 189f.). Erst im Gefolge des lat. Grammatikers Diomedes (4. Jahrhundert) ist von „genus dramaticon“, von dramatischer Dichtkunst die Rede (Curtius 1963, 438), wenn auch vorerst nur vereinzelt wie bei Scaliger. Das Einzelwerk wird noch bei Lessing und Schiller im Untertitel als „dramatisches Gedicht“ bezeichnet, so Nathan der Weise (1779) und Don Carlos (1787). Die Gattungstrias – lyrische, epische, dramatische Dichtung – etabliert sich erst Ende des 18. Jahrhunderts in der Nachfolge von Batteux durch Goethes Rede von den „Naturformen der Poesie“ (Goethe 1982, 187). Erst jetzt entwickelt sich ‚Drama‘ zum führenden Begriff im Unterschied zu den vorher eingebürgerten Wörtern ‚Schauspiel‘ (16. Jahrhundert) und ‚Theater‘ bzw. (Theater-)Stück noch Mitte des 18. Jahrhundert wie in Lessings Hamburgischer Dramaturgie (1767–1769).

Von Dramen ist daher erst seit Ende des 18. Jahrhunderts, durchgängiger seit dem 19. Jahrhundert die Rede, so in Grabbes Napoleon oder die hundert Tage. Ein Drama in fünf Aufzügen (1831) oder Büchners Danton’s Tod. Ein Drama (1835). Erstmals verwendet Gerstenberg 1766/67 den Begriff gegenüber dem bis dahin gängigen Untertitel ‚dramatische Dichtung‘ (Asmuth 1994, 908). Dabei gibt offenbar Lessings Diderot-Übersetzung von 1760 den Anstoß, insofern die ‚Dritte Unterredung‘ in Abschnitt II „[d]as ganze System der dramatischen Gattung“ ankündigt (Lessing 1990, 20). Bei Schiller gibt es den Untertitel Drama noch nicht. Im 18. Jahrhundert wird Drama noch neben den Wörtern ‚Schaubühne‘ und ‚Schauspiel‘ synonym gebraucht. In Johann Joachim Eschenburgs Beispielsammlung zur Theorie und Literatur der schönen Wissenschaften gibt es dementsprechend noch die Redewendung „Drama oder Schauspiel“ (Eschenburg 1793, 163). Systematisch werden die Begriffe in Sulzers Schrift Allgemeine Theorie der schönen Künste (1773) unterschieden: Drama bezeichnet hier den dichterischen Text in seiner schriftlichen Form (als „Dichtkunst“) und weniger das aufgeführte Werk. Sulzer trennt damit das Drama vom „Schauspiel, dazu es dienet“ (Sulzer 1792, 710): „[D]ie Schaubühne aber stellt uns würklich handelnde Menschen vors Gesicht, und das Drama enthält ihre Reden“ (ebd., 705). Um 1800 bezeichnet das Wort Schaubühne daher v.a. den theaterpraktischen Aspekt gegenüber dem nun als Kunstwerk nach Maßgabe der Autonomieästhetik aufgefassten Drama.

Dramentheorie

Die Dramentheorie ist ein Teilgebiet der Literaturwissenschaft, das alle begrifflichen Systematisierungen und historischen Diskussionen zu dramatischen Texten umfasst. Sie beschäftigt sich mit der Form, Funktion und Geschichte der für das Theater geschriebenen Texte, weniger aber mit ihren Aufführungen selbst. Dafür ist eine andere Disziplin, die Theaterwissenschaft, zuständig. Einzelne Problemfelder der Dramentheorie ergeben sich aus spezifischen Fragestellungen: Was ist ein Drama? Worin bestehen die konstitutiven Elemente des Dramas im System der literarischen Gattungen? Wie verhält es sich mit der Wortverwendung im historischen Kontext? Die Dramentheorie ist in diesem Sinn ein Teilbereich der allgemeinen Gattungstheorie, eine spezielle Gattungstheorie also. Auf Aspekte dieser Gattung selbst bezogen interessiert sie sich für Kriterien der Unterscheidung von Genres (Komödie, Tragödie, Tragikomödie, Bürgerliches Trauerspiel usw.). Sie untersucht Organisationsprinzipien des Dramas in systematischer Absicht, also Bauelemente, Stilmittel, Formen und Funktionen der Figurenrede, daneben die verschiedenen Gliederungsprinzipien (Akt, Szene) bis hin zu Bauformen und typologischen Unterscheidungen (offenes vs. geschlossenes Drama). Schließlich erforscht die Dramentheorie die poetologischen Äußerungen von Autoren zur Struktur und Geschichte der Dramatik. Dabei kann es sich um Äußerungen zu eigenen Dramen oder um Überlegungen zur Dramatik anderer Autoren handeln, wie es etwa Lessing in seiner Hamburgischen Dramaturgie als Ansammlung von Theaterkritiken praktiziert, die sich bei Gelegenheit zu Befunden mit allgemeingültigem Anspruch ausweiten. Schließlich unternimmt es die Dramentheorie, diese Debattengeschichte philologisch zu rekonstruieren.

Dramaturgie

Unter Dramaturgie versteht man einerseits die Lehre von der Technik und Kunst des Dramas, wobei Möglichkeiten und Grenzen der theatralischen Umsetzung gewürdigt werden. Sie formuliert also praktische Regeln für die Inszenierung eines dramatischen Texts (Schauplatzwechsel, Wechsel des Bühnenraums u.a.) und poetische Regeln für dessen Anfertigung, so die Lehre von den drei Einheiten, die ein elementares Kriterienbündel für die Aufführbarkeit eines Stücks bereithält. Insofern bedenkt die Dramaturgie auch die Bedingungen zur Steuerung einer beabsichtigten Wirkung. Andererseits bezeichnet das Wort Dramaturgie das Büro und das Tätigkeitsfeld des Dramaturgen, bedingt durch die je historischen, institutionellen und medientechnischen Bedingungen des Theaters und die historischen Interessen eines Regisseurs.

Theaterwissenschaft

Für Aspekte der Dramen-Analyse interessieren sich unterschiedliche wissenschaftliche Disziplinen: sowohl die Literatur- als auch die Theater-, Medien- und Kulturwissenschaft. Aspekte der Aufführung und Theatralität eines Stücks gehören im engeren Sinne zum Gegenstandsbereich der Theaterwissenschaft und ihren Teilbereichen Theatergeschichte, Theatertheorie, Dramaturgie und Theaterkritik. Zudem analysiert diese Disziplin einzelne Inszenierungen, so dass man eine theoretische, systematische und historische Theaterwissenschaft unterscheiden kann (Balme 2008, 13; Brincken/Englhart 2008). In dieser Einführung in die Dramen-Analyse interessieren in erster Linie Dramen als Texte, damit v.a. die analytischen Kategorien zur Interpretation dieser Texte im historischen Zusammenhang. Beobachtungen zur Aufführungsgeschichte eines Dramas erfordern grundsätzlich andere Zugangsweisen.

Dichtung vs. Aufführung

Zu beachten ist in diesem Zusammenhang, dass die Dramentheorie bis weit ins 18. Jahrhundert hinein Gesichtspunkte der Aufführung wenig gewürdigt hat, weil sich die Autoren in erster Linie für den dramatischen Text interessierten. Schon Aristoteles hält fest, dass die Aufführung demgegenüber bloß äußerlich sei: „Die Inszenierung vermag zwar die Zuschauer zu ergreifen; sie ist jedoch das Kunstloseste und hat am wenigsten etwas mit der Dichtkunst zu tun“ (Aristoteles 1982, Kap. 6, 25). An diesen Befund knüpft noch Lessing an, obwohl die Konzeption seiner Dramen und seine Dramentheorie selbst an die Wirkung auf den Zuschauer gekoppelt sind (Lessing 2003, 703).

Einführung in die Dramen-Analyse

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