Читать книгу Mit allem Pipapo - Stefan Wichmann - Страница 8
ОглавлениеSturmfreie Bude!
„Dünner geworden“, murmelte sie, „Jetzt schon!“
„Dünner?“, rief ich.
Cyra gab mir einen Kuss auf meine dicke Nase und strich mir zärtlich über mein Haar. Ich holte Luft.
„Nun reg Dich nicht gleich wieder auf!“
Missbilligend schüttelte sie den Kopf. Ihr blonder Zopf schwang langsam hinter der Bewegung her. Liebevoll ließ sie ihre braunen Augen auf mir ruhen, die mich sofort gefangen nahmen. Überhaupt nahm sie mich schnell gefangen mit ihrem Blick, der in meine bernsteinfarbenen Augen drang und das beginnende Puckern meiner Halsschlagader besänftigte. Schon seit frühester Jugend war mir bewusst, dass ich eine cholerische Ader habe. Sie hatte es schnell bemerkt und noch schneller einen Weg gefunden, mich zur Räson zu bringen. Nur sie wusste mich so zu beruhigen, dass ich es manches Mal nicht einmal merkte, wie sie mich dabei gleich um ihren Finger, geschweige denn um ihre Finger wickelte. Allerdings brachte sie mich auch wieder schnell auf die Palme mit dieser ihrer Art, wenn ich es denn doch bemerkte. Wie ein Jo-Jo verursachte sie ein Auf und Ab, ein Aufregen und Besänftigen. Jetzt war eine Besänftigungsphase vorbei. Ich spürte es.
„Wenn du Dich morgen bei der Firma vorstellst, halte Dich in Zaum. Und sag nicht immer dieses blöde Wort ‚Mist! ‘ O.K. Cho?“
Da war es. Ihre Abkürzung für Choleriker. Ich hasste es, wenn sie es sagte.
„Ich bin kein Choleriker“, verteidigte ich mich, „Ich lasse mir nur nicht alles gefallen!“ Kurz zögerte ich, dann neckte ich sie: „Jojo!“
Sie hielt sich die Ohren zu, senkte ihren niedlichen Kopf und sah mich mit ihrem Hundeblick an. Jojo schminkte sich nur dezent, weil ihr sonnengebräuntes Gesichtchen einfach keiner Schminke bedurfte.
Mein Teint war dagegen fahl. Computergebräunt sozusagen. Ich wusste es und machte nichts dagegen, genauso, wie ich meinen Bauchansatz lediglich unter Beobachtung gestellt hatte und sportliche Aktivitäten regelmäßig aufschob. Unwillkürlich legte ich eine Hand auf meinen Bauchansatz und grübelte über das Wort ‚Ansatz‘ nach.
„Wir brauchen das Geld“, lenkte sie mich ab.
Ja, sie wusste mich zu nehmen. Insgeheim war mir klar, was sie meinte. Trotzdem kamen mir die Worte widerwillig über die Lippen, entsprechend brubbelig traf ich den Ton: „Na klar! Halt ich halt die Füße still!“
Ihr glockenhelles Lachen erfüllte den Raum. Ihr entzückendes Kichern, das mich zwang, sie in die Arme zu nehmen.
„Vielleicht solltest du lieber etwas im Computerbereich suchen. Du kannst doch so gut umgehen mit dem Kram!“
Ich schüttelte den Kopf. „Das können andere auch. Um im EDV-Bereich Fuß zu fassen, bräuchte ich schon Glück, eine günstige Gelegenheit und zur rechten Zeit die richtige Idee. - außerdem, was willst du denn?“, fragte ich und zeigte mit einer Hand im Raum herum. „Wir wohnen im ersten Stock einer Mietswohnung, haben drei Zimmer, Küche, Bad, zwei Kinder und einen Hund.“
Sie holte Luft: „Ja, Niklas wird nächstes Jahr eingeschult und Ilse braucht definitiv ein eigenes Zimmer.“
Gefahr drohte, denn sie erhob ihre Stimme: „Spätestens, wenn sie in die Oberschule kommt! Das vom Schlafzimmer abgetrennte Kabuff ist ganz schön eng!“
Das Kabuff, wie sie es nannte, war ein kleiner Raum, den ich ursprünglich als Arbeitszimmer konzipierte und bei Niklas Geburt als Kinderzimmer deklariert hatte. Ich ließ Jojo los.
„Und die von Gegenüber schauen uns fast auf den Teller!“
Es stimmte. Die Straße war schmal, es reichte gerade einmal für eine Parkreihe und die Balkone des gegenüberliegenden Hauses waren so nah, dass es schon nahezu Nötigung war, wenn sich jemand dort aufhielt.
„Und die Wände musst du auch neu tapezieren“, setzte sie hinzu. Wenn sie einmal Blut geleckt hatte, war sie nicht zu bremsen.
Demonstrativ sah ich mich im Raum um. „Die Tapeten sind hell und freundlich, die Decke weiß, und ...“
Sie legte mir den Finger auf die Lippen. „Lenke nicht ab, du weißt, was ich meine.“ Mühsam nickte ich und ließ meinen Blick auf das untere Drittel der Räume, auf Hundenasenhöhe fallen.
„Ob wir ihr das noch abgewöhnen können?“, fragte sie, während meine Augen unruhig umherwanderten. Keinesfalls verspürte ich Lust auf Renovierungsarbeiten, aber ich musste ihr Recht geben. In Schnupperhöhe prangten deutliche Spuren. Zudem schupperte sich Emma seit jeher das Fell am liebsten an den hellsten Stellen der Strukturtapete. Besonders, wenn sie nass war.
„Hätten wir sie lieber in Portugal gelassen“, murmelte ich.
„Auf der Straße?“ Jojo war aufgebracht. „Niemals!“ Jetzt erstach mich Ihr Blick förmlich.
„Ist ja schon gut“, grummelte ich. „Renovieren wir eben.“ Erneut sah ich mich um.
„Duhu?“, rief sie leise.
Ich drückte ihr einen Kuss auf die Stirn und nahm ihren Kopf in meine Hände, um ihr direkt ins Gesicht zu schauen.
„Ich hab mir überlegt, ..., naja, ich ... ich besuche eine Nacht meine Mama!“
Genervt warf ich meinen Kopf nach hinten und fixierte die Decke. Warum stotterte sie so? Natürlich konnte sie! Eine Vielzahl von Möglichkeiten die Zeit zu nutzen schossen mir durch den Kopf. Ich würde nicht die zwei Wochen bis Silvester warten müssen, damit sie freiwillig draußen in der Kälte bibberte und Raketen steigen ließ, während ich im warmen die Stereoanlage an den Fernseher anschließen konnte, um einmal im Jahr in Ruhe das Donnern eines Raumschiffes zu genießen, das aus der Ferne auftauchte und dann ...
Meine gedanklichen Ausmalungen brachen jäh ab, als SIE jetzt meinen Kopf in ihre Hände nahm: „Naja, ich wollte die Kinder hierlassen. Ist das in Ordnung? Kommst du klar?“
Das imaginäre Raumschiff zerplatzte.
„Eine Nacht? Das sind zwei Tage!“
Sie fixierte mich wortlos.
„Klar komm ich klar!“, bellte ich.
„Ach lass mal, ich nehme die Kinder mit.“
Mein Atem rasselte. „Jojo?“, fragte ich warnend, „entscheidest du dich?“
Sie spielte das weibliche Hin und Her, dieses Auf und Ab, das ihre Art ausmachte und mich hin und hertrieb zwischen meinen Ausbrüchen und mühsam erlangten Ruhepausen für den Blutfluss in meinen Adern.
„Ja, ja. Gleich.“
Einen Moment noch starrte ich sie an. Mit Mühe wartete ich ab.
„Ich lasse sie hier und gebe einen Ersatzschlüssel bei Frau Zeter ab.“
„Ersatzschlüssel bei der Nachbarin?“, echote ich. „Warum das denn?“
„Und ich brauche dein Auto, weil meine Mutter den Keller aufräumen will.“
„Keller? Du hast Angst vor Spinnen!“
„Ja, vor unseren Kellerspinnen! Der Keller meiner Mutter ist nicht so muffig wie unser.“
Da war sie wieder, die Frauenlogik.
„Und warum mein Auto? Es ist neuer. Deines ist doch schon fast scheintot!“ Sie ignorierte meinen Seitenhieb auf das Alter ihres Wagens. Ich war ganz froh darüber, denn keinesfalls wollte ich sie auf den Gedanken bringen, ein neues Auto zu kaufen. Nein, bei unserer Finanzlage wollte ich dies wahrlich nicht.
„Hab ich doch gesagt, weil wir den Keller aufräumen!“
„Und du willst die Sachen in mein Auto räumen, um deines nicht schmutzig zu machen?“
„Deines ist doch sowieso immer schmutzig“, rief sie. „Und du weißt, dass mich jeder kleinste Krümel, jede kleinste Delle und jeder Hauch einer Schramme an meinem Auto stört!“
„Botschaft angekommen“, murrte ich. „Kein Kratzer, keine Delle und kein Schmutz wird es dahinraffen“, rief ich spöttisch. „Es wird eines Tages das kratzerloseste Auto sein, das auf dem Schrottplatz steht!“
Ihr zweifelnder Blick tat weh.
„Deinem Auto wird nichts geschehen“, rief ich endlich. „Du weißt, wie sparsam ich bin. Ich fahre vorsichtig, ich will ja unser Geld nicht in Reparaturkosten anlegen und Verlust machen!“ Kurz überlegte ich, warum sie eigentlich den Keller ihrer Mutter aufräumen wollte, aber bei einer Nachfrage lief ich allzu schnell Gefahr, in die Aktion eingespannt zu werden. Ich schwieg und ließ ihr ihren Spaß an ihrem Vorhaben. Da sie mich aber so abwartend ansah, rang ich mir eine andere Frage ab: „Und warum so kurzfristig?“
Statt zu antworten, stand sie auf und küsste mich erneut auf die Stirn. „Machst du den Backofen für die Pizza an?“
Sie schien enttäuscht, vielleicht sollte ich doch meine Hilfe anbieten? Jedoch nickte ich nur und wartete auf ihren üblichen Nachsatz.
„180 Grad, alles darüber verursacht Krebs!“
Ich tat Jojo den Gefallen, unterdrückte einen Kommentar und drückte mein Gesicht fast gegen den Ofenknopf, um kein Zehntelgrad zu viel einzustellen. Aus den Augenwinkeln sah ich, wie sie genervt den Raum verließ. Ich lächelte. Hoffentlich konnte ich die Kinder von einem Science-Fiction-Film mit vollem Getöse über die Soundanlage überzeugen!?