Читать книгу Gesammelte Werke von Stefan Zweig - Stefan Zweig - Страница 10

V. Die Prüfung des Profeten

Оглавление

Inhaltsverzeichnis

»Doch der Herr wollte ihn mit Leiden zermalmen.«

Jes. LIII.

Das enge Schlafgemach der Mutter Jeremias in seinem Hause. Die Türen des schmalen Raumes sind mit Vorhängen überhängt, ebenso die Fenster, so daß Licht und alle Laute nur gedämpft von außen in die Düsterheit der Stube dringen und kaum mehr als der Umriß der Gestalten und Dinge wahrnehmbar wird. Im Hintergrunde glänzt weiß aus der Dunkelheit das breite bettartige Pfühl, auf dem die alte Frau regungslos liegt. Neben ihr aufrecht stehend ACHAB, der alte Diener.

JOCHEBED (eine Anverwandte, hebt vorsichtig den Vorhang des Einganges): Achab… hör, Achab…

ACHAB:

Leise!… Tritt leise heran! Wie Flaum liegt der Schlummer über ihr, eines Wortes Windhauch schon bläst ihn fort. Nicht störe ihre Ruhe!

JOCHEBED:

Wohl dem, der noch ruhen kann, indes die Tore schüttern und die Festen beben der Stadt!

ACHAB:

Nicht sprich davon, nicht erwähne des Feindes! So du sie liebst, schone der Kranken.

JOCHEBED:

Wie meinest du? Was soll ich nicht sagen?

ACHAB:

Nicht nenn unsere Not! Fremd ist ihr Jerusalems Schicksal.

JOCHEBED:

Nicht fasse ich dich. Sie weiß nicht, daß Krieg unsere Stadt umfährt?

ACHAB:

Wozu ihrs verraten, woran sie verginge? Ein Ahnen schon wäre ihr Tod.

JOCHEBED (in höchstem Erstaunen):

Sie weiß nicht, daß Assur über uns gefallen? Es ist noch ein Lebendiger in den Mauern, der unwissend blieb unseres Elends? Wie konnte solch Wunder geschehen? Sind ihre Sinne verschlossen denn, daß sie die Posaunen nicht hört, meint sie noch Frieden, da schon Widder die Mauern anrennen?

ACHAB:

Ihre Sinne sind dunkel geworden. Was sie hört, vermeinet sie Traum. Die Türen hab ich vertan und die Spalten verschlossen, daß nichts Eingang finde von Lärmen und Licht!

JOCHEBED:

Sie weiß es nicht? Sie weiß es nicht? Wunder ist dies und grausam zugleich. Nichts, sagst du, Achab, weiß sie, auch kein Ahnen rührt ihren Sinn?

ACHAB:

Manchmal flog Ahnen sie an, doch traumhaft nur, und mit Worten scheucht ich es fort. Nur gestern, als das Volk schrie bei des ersten Widders Prall, da schreckte sie auf. Die Decken warf sie im Fieber von sich und reckte die Hände, sie müsse hinaus, sie müsse zu Walle, Krieg sei im Land, Feind in der Stadt, Zion vergehe, Jerusalem falle. Das Wort sei erfüllt, ihr Sohn, er habe es wahrgesagt, der König sei gekommen, der König von Mitternacht. Und sie reckte sich auf und brach in die Knie, doch ehe sie noch stürzte, faßte ich sie und trug sie zum Bett und begütete sie, es sei nur ein Traum, nur ein Fiebertrug, dies Dröhnen draußen von Volk und Posaunen. Sie schien es zu glauben und lag dann offenen Auges und horchte dem dunklen Gedröhne der Gasse nach.

JOCHEBED:

Wie sonderlich! Doch sag: was ists, das sie so verwirrt?

ACHAB:

Ihre kranken Sinne suchen den Sohn.

JOCHEBED:

Jeremias… den Rasenden… den Geiferer der Gasse… sie selbst doch stieß ihn aus dem Haus.

ACHAB:

Doch ward keine Stunde ihr seitdem froh. Stumm saß sie nur mehr in den Gemächern, und oft fand ich sie gebeugt über das Tor wie einer, der eines Gastes wartet. Und als er nicht kam und nicht kam, ward es mählich düster in ihren Sinnen.

JOCHEBED:

Doch was kommt er nicht, der Verworfene, daß sie genese an ihm? Die Gassen streift er alltags und speit Fluch in das Volk, indes die Mutter seiner sehnend ist. Warum kommt er nicht, der Schwätzer des Markts, der Würger der Freude?

ACHAB:

Unwissend ist er, daß sie seiner begehrt. Stolz ist er wie sie selbst, nicht die Steine der Schwelle tritt er, auf die sie ihn gestoßen.

JOCHEBED:

So laß es ihn wissen.

ACHAB:

Wie darf ichs ohne ihr Geheiß? Ein Sklave bin ich, ein Diener nur. Darf ich mich unterfangen denn, zu hören, was sie unwissend spricht?

JOCHEBED:

Du darfst es, du mußt es, so es ihr Leben gilt.

ACHAB:

Ist wahrhaft dies dein Meinen? Glaubst du, ich täte recht, voraus zu sein ihrem Wort und ihm Botschaft zu senden?

JOCHEBED:

Bei Gottes Güte, so mein’ ichs. Ihr Leben rettest du damit.

ACHAB:

So sei Gott gedankt, denn höre, Jochebed! Was du forderst, ich hab es getan in meines Herzens Bedrängnis.

JOCHEBED:

Gesegnet, gesegnet dafür!

ACHAB:

Schon gingen meine Knaben aus, ihn zu suchen. Durch die Stadt sandte ich sie, noch fanden sie ihn nicht, doch hart sind ihre Schritte hinter den seinen!

JOCHEBED:

Ach, fänden sie ihn nur! Es würde ihr Genesung bringen, der Armen, denn wirr ist zwischen Stolz und Sehnen ihr Sinn.

ACHAB:

Ja, wirr ist ihr Gefühl und verdüstert ihr Blut. Seit er ging, ist sie wie mit sich selber entzweit.

JOCHEBED:

Ach, wer fühlt denn noch klar in der Wirrnis der Zeit!

(DIE MUTTER regt sich seufzend auf dem Bette.)

JOCHEBED (ihr Erwachen bemerkend, leise zu Achab):

Achab… sie regt sich… der Schlaf fällt von ihr ab… noch sind ihre Augen verschlossen, doch ihre Lippen füllt schon das Wort…

(ACHAB eilt hin und beugt sich über die Kranke.)

DIE MUTTER (mit geschlossenen Augen, ihre Stimme ist leise wie ferner Gesang): Sag, ist er gekommen, sag, kam er schon? Oh, wo ist er, wo ist er, mein Sorgensohn?

JOCHEBED (flüsternd):

Wie wunderlich! Zum erstenmal denkt sie seiner im Wort!

ACHAB:

Noch ist Traum über ihr, noch sind ihre Augen verhangen.

DIE MUTTER (regt sich und schlägt ihre Lider auf):

Wo… Achab… Du bist es… Jochebed… oh, das Dunkel über mir… Traum, Traum, der mich verwirrte… wo…

ACHAB (zärtlich sich hinbeugend):

Wie fühlst du, du Liebe? Wie hast du geruht?

DIE MUTTER:

Wie kann ich ruhen… wie ruhen in solcher Träume Schrecknis… wo ist er… war er nicht hier… wo ist er… ich hab ihn gesehen… was ging er fort…

JOCHEBED:

Sieh den Glanz in ihren Augen! Wie aus Fieber blickt sie, noch wirrt sie der Traum.

ACHAB:

Wen meinst du, Liebe?

DIE MUTTER:

Fort… was ging er fort… was ließest du ihn von mir… hier war er, hier…

ACHAB:

Keiner war im Gelaß, denn Jochebed und ich…

DIE MUTTER:

Nicht er… nicht er… oh, Träume, wie voll ist von ihnen das Haus… (plötzlich sich aufrichtend, fiebrigen Blicks): Was rufst du ihn nicht… er soll kommen… soll kommen…

ACHAB:

Wen soll ich rufen?

DIE MUTTER:

Was fragst du, was fragst du? Siehst du nicht, Tod kniet auf mir, und du rufst ihn nicht!

ACHAB:

Wie wagte ich…

DIE MUTTER:

Oh, daß meine Füße vermauert sind, daß ich sieche, gehütet von blinden Knechten, von steinernen Herzen. Fort… fort von mir!

ACHAB:

Aber Liebe…

DIE MUTTER:

Verraten hast du mich… gesperrt ihm das Haus… gewiß war er hier, und du hast ihn fortgestoßen… er war hier… mein Blut spürt ihn an der Schwelle… er harrt nur des Rufes, und du schweigst… Du hast ihn weggestoßen.

ACHAB:

So höre doch, Liebe…

DIE MUTTER:

Weh über mich… fort… fort von mir… mögest du sterben wie ich, verlassen von deinen Kindern, sterben am Streu wie das Räudige…

ACHAB:

Ein Wort nur laß mich sagen.

DIE MUTTER:

Ein Wort nur will ich hören, nur eines: Er kommt, er ist da…

ACHAB:

Dies eben vermeld ich… er kommt… schon nahen dem Haus seine Schritte…

DIE MUTTER (sich aufrichtend, ganz verzückt):

Er kommt… er kommt… mein Jeremias… oh, Achab… nicht belüge mich… nicht trüge den Tod…

JOCHEBED:

Schon hat er die Söhne gesandt, daß sie ihn suchen… bald ist er hier…

DIE MUTTER:

Er kommt… Ist es wahr… er kommt… ja, schon höre ich ihn… in mir gehen seine Schritte… ich hör ihn im Haus… er will herein… im Herzen pocht er… hinab, so geh doch, ans Tor, eile, flieg hinab… was steht ihr noch…

ACHAB (beruhigend):

Du Liebe, gleich ist er bei dir… frühmorgens schon sandte ich die Söhne… er kommt gewiß…

DIE MUTTER (wieder erregt):

Nein… er kommt nicht… träge sind sie, die Knaben, nicht suchen sie ihn… sie streichen die Gassen… oh, eilten sie doch… das Dunkel… das Dunkel… im Blute steigt mirs auf… ich… ich will ihn noch sehen, eh mirs blendet den Blick… geh, Achab… sieh doch… er ist da…

ACHAB:

Gedulde dich, Liebe, nicht reg dich so wild.

DIE MUTTER:

Laß ihn ein… was läßt du ihn warten… hörst du nicht, wie er hämmert am Tor… an den Schläfen fühle ichs schon… auf… tu ihm auf… wie er hämmert… weh… wie er hämmert mit den Fäusten… auf, tu ihm auf…

ACHAB:

Noch ist er nicht hier, Liebe, doch er zögert nicht lang…

JOCHEBED:

Gleich wird er kommen… gedulde dich…

DIE MUTTER:

Nein, nein, er ist da… was haltet ihr ihn von mir… ich habe nicht Zeit… kalt rinnts mir die Glieder herauf… oh, kalt… wie Stein meine Beine… es will… es will…

(JEREMIAS ist leise zur Türe eingetreten und bleibt zögernd dort stehen, seine Hände sind verkrampft, sein Haupt wie von ungeheurer Last gebeugt.)

ACHAB:

Nicht raff dich so auf… bette dich hin… er wird…

(ACHAB bemerkt Jeremias, er hält erschrocken inne; auch Jochebed schweigt voll starrer Ergriffenheit. Eine steinerne Stille steht plötzlich im dunklen Raum.)

DIE MUTTER (sich mühsam aufrichtend): Was schweigt ihr plötzlich mit einemmal… was schweigt ihr so? (Plötzlich mit einem Jubellaut): Ist er gekommen… ist er da, mein Kind, mein Sohn… mein Jeremia… oh, daß meine Sinne so dunkel sind… wo… wo bist du, Jeremia…

(JEREMIAS tritt zögernd einige Schritte näher, bleibt dann stehen, gleichsam vom eigenen Gefühle bezwungen.)

DIE MUTTER (sich gegen ihn wendend):

Du bist da, ich fühl es… meine Sinne eratmen dich… weh, daß es so dunkelt vor meinem Gesicht… was trittst du nicht nah, daß meine Hände dich fassen… Was kommst du nicht, mein Jeremia?

JEREMIAS (unbeweglich verharrend, die Hände an sich gekrampft): Ich wage es nicht! Ich wage es nicht! Unheil hängt mir an, Fluch fährt mir voraus. Laß mich ferne stehn, daß mein Hauch dich nicht rühre, nicht Schauer anstreife dein heilig Herz!

DIE MUTTER (fiebrig):

Mein Kind, meine Arme, sie sehnen sich aus, was kommst du nicht, Lieber, was kommst du nicht nah? Ward dir so widrig die Lippe, so fremd meine Hand?

JEREMIAS:

Fremd bin ich mir selbst, fremd steh ich im Haus!

DIE MUTTER:

Oh, er verstößt mich, er läßt mich zum andermal! Was läßt du mich sehnen, was bist du so hart?

JEREMIAS:

Ich kann nicht! Ich kann nicht! Ein Wort brennt zwischen mir und dir wie des Engels Schwert.

DIE MUTTER:

Oh, der Fluch, den ich tausendmal selber verfluchte. Wind hat ihn zerblasen, mit dem Atem ist er verweht.

JEREMIAS:

Nein, Mutter, wach ist dein Fluch und alle Gassen rege deines Worts. Von den Häusern ist er gefahren wider mich, aus aller Menschen Mund sprang er mich an. Nicht dein Sohn, nicht atmend Fleisch bin ich mehr, nur Gelächter einer Welt, der Ausgestoßene bin ich worden meines Volks und der Zorn der Gerechten, der Vergessene Gottes und Ekel mir selbst. Allein, laß mich allein, abseits laß mich stehen im Dunkel, den Verfluchtesten aller!

DIE MUTTER:

Oh, mein Kind, und wärest du der Verstoßene einer Welt, in der Priester Bann und des Volkes Acht, und hätte selbst Gott dich verstoßen von seinem Antlitz, mein Kind bist du und mein selig Blut für immerdar! Für ihren Haß will ich dich lieben und segnen für ihren Fluch! Haben sie gespien auf dich, oh, komm, daß ich dich küsse; haben sie dich verstoßen, oh, komm, daß ich dich empfange; oh, kehr heim an mein Herz, da du ausgegangen. Süß ist mir deine Lippe, die bittere, und süß das Salz deiner Tränen, gesegnet mir dein Wandel für allezeit, kehrst du nur heim an mein mütterlich Herz…

JEREMIAS (mit einem Aufschrei hinstürzend und in die Knie sinkend): Oh, Mutter, du ewige Güte du! Oh, Mutter, du meine verlorene Welt!

DIE MUTTER (ihn in den Armen einwiegend, hält ihn lautlos umfangen. Ihre Hände streichen immer aufs neue zitternd über sein Haupt, seinen Leib. Endlich blickt sie ihn an, in ihrem Auge glänzt ein fremdes, glückseliges Licht, wie sie gleichsam in singender Klage zu ihm spricht):

Mein Kind, du mein weltverlorenes Kind,

Ach, wärst du doch niemals von mir gegangen

Zu den Menschen, die starr wie die Steine sind!

Oh, du Lieber, du Guter, du spät Belehrter,

Mein Herzgewiegter, mein Heimgekehrter

Ruh aus nun, du Lieber, am Herzen ruh aus,

Ich habe dich ja wieder, spür Blut dich im Blut,

Väterlich hält dich mit Stille das Haus,

Mütterlich warm mein Arm dich gefangen.

Laß dir streicheln die Stirn, laß dir schmeicheln das Haar

Wie einstens, wenn in dir ein Wehes war,

Und das Wort, das harte, das törige Wort,

Sieh, schon streichts die Hand von den Schläfen dir fort.

JEREMIAS (mit leisem Erschrecken):

Oh, Mutter, wie deine Hände doch schmal sind,

Oh, Mutter, wie deine Wangen doch fahl sind,

Dein Herz ward so still, deine Lippen so blaß.

Bist du krank denn, Mutter, sag, fehlt dir etwas?

DIE MUTTER:

Was mir fehlte, warst du allein,

All, was mich quälte, dein Fernesein.

Als hier vom Haus

Dein letzter Schritt im Gang verklang,

Da ward herzinnen mir so schwach,

Wie jenes Tags vor Jahr und Jahr,

Als ich dich in die Welt gebar

Und vieler Monde volle Frucht

Aus meinem süß beschwerten Schoß

Mit einmal schmerzhaft von mir fiel

Und fast das Herz mir stille stand,

Da es nicht mehr dies andre fand,

Das mit ihm schwang im Wechselspiel. –

Oh, jene Stunde banger Qual,

Da du zuerst dich mir entrafft,

Als neue Not und Mutterschaft

Durchlebt ich sie nun abermal,

Oh, Tag um Tag und Nacht für Nacht,

Und du weißt nicht, wie Sehnsucht uns müde macht.

JEREMIAS:

Oh, Mutter, so hast du um mich gelitten,

Und ich stieß durch die Straßen, starrfühlend wie Stein!

Oh, Mutter, wie kann ich dir dies abbitten,

Oh, Mutter, wie kannst du mir dies verzeihn!

DIE MUTTER:

Und wenn ich so mit mir allein

Im leeren Haus verlassen lag,

Träumt ich dir all deine Träume nach.

Bei Tag

Da duckten sie sich, da hockten sie stumm

Im grauen Gespind und Gebälk herum.

Doch kaum, daß am Dach die Sonne verblich,

Da regten sie sich,

Wie Eule, Unke und Fledermaus

Flatterten sie schwarz aus den Schatten aus.

Sie schlichen

Und strichen

Um meine Schläfen mit Graun und Geraun.

Sie hockten

Sich schwer auf die Brust, daß der Atem mir stockte.

Sie hackten

Und nagten

Kaltgleitende Schatten mir schwarz auf der Stirn

Und fraßen den Schlaf vom Herzen und Hirn.

Oh, wie sie mich quälten, die widrigen Tiere,

Die wirrichten Träume, die geilen Vampire,

Bald kühlten und bald durchschwülten sie mich,

Bis tiefst zu innen aufwühlten sie mich,

Daß ich, wenn endlich der Morgen anbrach,

Entkräftet im Schweiß meines Leibes lag,

Von Schauer und Traum

Ganz ausgehöhlt wie ein uralter Baum.

JEREMIAS:

Oh, Mutter, oh, Mutter, was tat ich dir an!

Und ich strich die Straßen, fremd, unbedacht!

Mit Jahren laß jede Nacht mich entsühnen,

Die du um meinetwillen verwacht!

Jetzt, jetzt erst hebt ja mein Leben an,

Seit ich heim in deine Vergebung mich fand,

Nun weiß ich erst, daß die wirrichte Welt

Der Liebe nicht auch nur ein Tausend enthält,

Als das milde Kreuz deiner Arme umspannt.

DIE MUTTER:

Oh, mein Sohn, mein Kind, mein Jeremia,

Oh, ahntest du, was du an Tröstung gibst,

Wenn ich wieder erfühle, daß du mich liebst,

Oh, daß du doch immer mir nahe bliebst,

Du mein brennender Trost, mein seliges Licht,

Du mein Erdenbrot, du mein Gottesdank,

Genesen entglüht mir schon deinem Gesicht!

Oh, höre, ich beschwöre dich,

Jeremias, verlaß mich nicht,

Bleib mir jetzt nah, es währt nicht lang,

Bleib da bei mir, Jeremia!

JEREMIAS:

Was fürchtest du… ich faß dich nicht…

DIE MUTTER:

Nicht lüge, nicht betrüge mich.

Glaubst du, daß ichs nicht innen spür,

Wie sichs mit mir zu Ende neigt.

Ich fühls: der Tod ist wach in mir!

Und wie in einer Schattenuhr

Ganz unmerklich

Der schwarze Zeiger Strich um Strich

Wandaufwärts schiebt und ründet sich,

So steigt

Mit jedem wachen Atemzug

Das Dunkel tiefer mir ins Blut.

Weh, daß ichs selbst so wissend spür,

Wie ich im wachen Blut einfrier.

JEREMIAS:

Mutter, wie soll ich den Wahn verstehn,

Du willst mich verlassen? Willst von mir gehn?

Bedenke, nun sind

Wir doch einander kaum wiedergewonnen,

Zu neuer Gemeinschaft, Mutter und Kind,

Nun erst hat mein wahrhaft Leben begonnen,

Gott hat nicht vergebens mich heimgesendet

Aus meiner Wirrnis und meinem Wahn:

Ein Anbeginn ist dies von Gott und kein Ende,

Oh, Mutter, heb neu mir zu leben an!

DIE MUTTER:

Du ewiger Träumer, du mein töriges Kind,

Wie verführungsvoll deine Worte doch sind!

Ach, daß ichs vermöchte,

Was du ersehntest, dir wahrhaft zu werden,

Ein Traum wär die Welt, zum Himmel die Erde!

Im stillen Haus, einträchtig zu zwein,

Wie friedsam sollte dies Leben sein!

Mit lindem Gang

Schritt ich des Tags deine Stunden entlang,

Und zur Nacht

Säß ich ob deinem Schlummer wach

Und glänzte den Blick als ein lauschend Licht

In das schlafend Dunkel auf deinem Gesicht,

Ich horchte in deines Atems Getön,

Ob still er weht

Oder heiß von Fiebern und Träumen geht.

Und fühlt ich, die Träume erschreckten dich,

So weckte ich dich,

Und dein erster, dunkelenttauchender Blick

Fiele froh in das Lächeln des meinen zurück.

JEREMIAS:

Mutter, Geliebte, sorge dich nicht,

Meine Nächte sind dunkel und träumeleer.

Es ist vorüber: ich träume nicht mehr.

DIE MUTTER:

Du träumst nicht mehr?

JEREMIAS:

Ich träume nicht mehr.

Mein Schlaf ward schwarz, mein Schlaf ward stumm,

Nicht mehr wallen

In meinem Blut die Gesichte um,

Meine Träume sind tief in den Tag gefallen,

Ihr Schauer hat sich den Stunden gesellt:

Ich träume nicht mehr, denn wach ward die Welt.

DIE MUTTER (ekstatisch):

Jeremia! Du träumst nicht mehr?

Oh, wie gut! Oh, wie gut!

Siehst du Verzagter, ich wußte es ja,

Gott würde dein dunkelndes Herz erleuchten

Von seiner Wirrnis und seinem Wahn!

Oh, so selig sicher glühts mir im Blut,

Was ich dich lehrte von Anfang an:

Nie wird ein Feind diese Stadt umwallen,

Nie Zion zittern, nie Davids Burg fallen,

Und wenn der Feind von den Enden der Erde käm,

Ewig werden die ragenden Mauern,

Ewig die Herzen Israels dauern,

Ewig währet Jerusalem!

JEREMIAS (ist von den Knien aufgefahren. Er starrt sie wie ein Sinnloser an. Seine Lippen beben das Wort wie eine Frage nach): Nie wird… ein Feind… unsere Stadt… umwallen?…

DIE MUTTER (aufzitternd vor Angst):

Was schrickst so jäh,

Was blickst du so blaß?

JEREMIAS (noch ganz benommen im Schauer):

Nie wird… ein Feind… unsere Stadt umwallen…

DIE MUTTER:

Jeremia, sprich,

Was ist dir geschehn,

Was krampfst du die Hand,

Was birgst du den Blick?

Was schrickst du und blickst du so unbewußt?

Und ihr,

Achab, Jochebed,

Was winkt ihr ihm ab,

Was blinkt ihr ihm zu,

Jeremia, Jeremia,

Sage mir, sage, was ist geschehn?

JEREMIAS (sich fassend):

Nichts, Mutter… nichts… nicht errege dich.

Mir war

Nur dein Wort so fremd… so sonderbar.

DIE MUTTER:

Nein!

Euer Blick

Ward mit einmal schwarz und sorgenumdüstert;

Und nun steht ihr im Dunkel und schauert und flüstert.

Fürchterlich, fürchterlich

Ist dies Geheimnis, das ihr verschließt.

Ich spür

Es wie Tod und Gottes Zorn über mir.

JEREMIAS (stammelnd):

Nichts, Mutter… nichts… verbergen wir dir.

DIE MUTTER:

Was belügt ihr mich,

Was betrügt ihr mich?

Noch bin ich nicht tot und nicht eingesargt,

Noch geht der warme Atem von mir,

Noch schlägt mir das Blut aus dem Herzen heraus,

Noch kann ich hören, noch bin ich nicht stumm,

Noch bin ich lebendig im eigenen Haus.

JEREMIAS:

Mutter… du fieberst… Wahn hält dich umkrallt,

Deine Schläfen sind Feuer… deine Hände so kalt…

DIE MUTTER:

Was biegt ihr mir aus,

Was schließt ihr mich ab?

Und wär es die Schrecknis, ich will um sie wissen!

Warum, oh warum

Sind hier die Fenster und Türen verhängt,

Warum ist alles so dunkel und stumm?

Wie in einen Sarg

Habt ihr mich wach in mein Bett versenkt,

Mich schwarz vergraben in Matten und Kissen.

Warum, warum

Stoßt ihr gewaltsam in Grauen und Grab

Mich, die Lebendige, jetzt schon hinab?

JEREMIAS:

Mutter… Mutter… bette dich hin…

Nicht wirf dich hoch… beruhige dich…

Meine Hände fühle… ich bin doch bei dir…

DIE MUTTER:

Ich lebe… ich lebe… ich lebe noch,

Ich lasse mich nicht belügen und trügen.

Fürchterlich Wachen kommt über mich.

Ich weiß es, ich weiß es jetzt grauenvoll klar,

Daß mein Träumen nicht Traum, sondern Wirklichkeit war.

Oft

Hörte ich Dröhnen

Von Rossen und Wagen,

Ein Tönen,

Klirren und Klagen und Waffenschlagen,

Posaunen schollen dumpf in den Raum her,

Und ich lag

Von Grauen umdrängt

Und meinte,

Daß all dies nur mein eigener Traum wär.

Doch jetzt

Bin ich wach,

Grauenhaft wach,

Der Tod hat die Lider mir aufgesprengt.

Ich weiß,

Warum ihr das Licht und den Lärm mir verhängt:

Unheil ist um in der Stadt, in den Toren,

Wir sind geschlagen, wir sind verloren.

Wehe, Krieg ist in Israel!

JEREMIAS:

Mutter! Mutter!

DIE MUTTER:

Jeremia,

Jeremia, sprich,

Nicht laß mich in Dunkel, nicht schweige mich an.

Sag,

Ist er gekommen,

Den du verkündet,

Der König, der König von Mitternacht?

JEREMIAS:

Du träumst, Mutter, du träumst.

JOCHEBED (flüsternd):

Leugne es ihr… um ihres Lebens willen leugne es ihr…

DIE MUTTER (im Fieber):

Weh, die Fanfaren,

Wie sie dröhnen und schallen!

Er ist da, er ist da,

Der reisige König von Mitternacht!

Krieg ist in unsere Länder gefallen,

Feind kommt gefahren

Unendliche Scharen.

Weh, wie sie stürmen!

Es knicken die Mauern,

Es brechen die Tore

Gewaltig entzwei.

Verloren… verloren

Israels Stadt und heiliges Haus.

Die Mauer begräbt mich,

Die Mauer erschlägt mich.

Weh! Ich will nicht verbrennen im Bette!

Rette mich, rette!

Wohin

Soll ich entfliehn?

Jeremia… wo bist du… Jeremia,

Hebe mich fort… trag mich hinaus!

JEREMIAS (bei ihr kniend):

Mutter, Mutter, unseliger Wahn

Hält dich umkettet,

Mutter, Mutter, höre mich an!

DIE MUTTER:

Ich halt deine Hand, ich halt deine Hände,

So schwöre mir, schwöre,

Daß es nicht wahr ist.

Schwöre mir, schwöre,

Daß Israel nicht in Not und Gefahr ist.

Schwör mirs, beschwöre,

Daß kein Feind mir die letzte Ruhe verstört,

Daß mein Leib in Zion zur Erde fährt!

JEREMIAS (erschreckt):

Es wird… es wird… Gott wird gnädig sein

Unserm Tode, wie ers dem Leben ist.

DIE MUTTER:

Jeremia,

Sage mir, sage,

Bin ich wach oder wirr,

Ist Feind vor den Toren

Oder seligen Friedens voll unsere Welt?

(JEREMIAS mit sich ringend, sucht vergeblich ein Wort.)

ACHAB (gleichzeitig auf ihn eindringend):

Täusche sie… sprich doch… eh sie vergeht.

Siehst du denn nicht,

Wie dunkel schon auf ihrem Gesicht

Schatten des Todesengels hinweht?

Die Angst… die Schrecknis… scheuch ihr sie fort…

JOCHEBED:

Sprich ihr zu… sonst wird es zu spät…

Ein Wort nur… ein Wort,

Daß sie in Frieden zu Gott eingeht.

JEREMIAS (mit sich ringend):

Ich… kann nicht… ich kann nicht.

Es hält mir einer die Kehle umpreßt,

Es hält mir einer die Seele umschnürt…

DIE MUTTER:

Wehe,

Er schweigt,

Oh, wahr, es ist wahr!

Gott hat sein eigenes Volk geschlagen…

Jerusalem… Fluchtag, der mich gebar…

Das Dunkel… wehe… das Dunkel steigt…

Brand überm Land… die rasende Glut…

Weh, ich verbrenne… rettet mich fort…

ACHAB (gleichzeitig):

Ein Wort… ein Wort nur sprich… nur ein Wort.

JOCHEBED:

Tröste sie… tröste sie… eh sie vergeht… Ein Wort nur… ein Wort… sieh, wie sie verschmachtet.

JEREMIAS (wie ein Gewürgter röchelnd):

Ich… kann es nichtsagen… das Wort…

Er läßt nicht… Er… Mir die Kehle verdorrt…

Die Hand… die grausame Gotteshand…

Mir… die Seele geschnürt… die Kehle umspannt…

Gott… Gott, gib mich frei… gib mich frei…

DIE MUTTER (aufzuckend in wildem Schrei):

Verloren… weh

… wehe… ich brenne… Mord im Gezelt…

Hilfe… die Stadt… der Tempel… Gott fällt…

Gott ist gefallen… verloren… die Flammen Gehennas…

Ins Herz… bis ins Herz… oh, Jerusalem…

(Die Mutter stürzt plötzlich in sich zurück. Ein tiefes Schweigen.) (ACHAB UND JOCHEBED treten erschreckt heran und beugen sich über die Tote.)

JEREMIAS (Stimme plötzlich grell wie ein Springquell aufschießend): Es ist nicht wahr:

Ich log, ich log,

Ewig währet Jerusalem,

Nie wird ein Feind unsere Stadt umwallen,

Nie Zion sinken, nie Davids Burg fallen.

Höre mich, Mutter, noch einmal aufhöre,

Ich schwöre, siehe, ich schwöre, ich schwöre:

Ewig währet Jerusalem!

ACHAB (im Zorn):

Weg,

Du schreist sie nicht wach!

Laß ihr den Frieden!

JEREMIAS:

Sie muß mich hören, sie muß mich hören,

Eh es zu spät ist!

ACHAB:

Es ist zu spät!

Weg

Von ihrer Stille,

Fort aus dem Gemach,

Du schreist sie nicht auf, du lügst sie nicht wach!

Was sprachst du nicht, da sie vor Angst sich verzehrte

Und ihr Leben an deinem Schweigen verging?

Fort,

Du Mitleidsloser, du Gottesnarr,

Du wüster Träumer, du Ausgestoßner!

Da,

Sieh nur, wie starr

Ihre Blicke nach Güte und Hoffnung fragen,

Und du hast

Ihr den Schrecken des Todes hineingeschlagen.

Du Gottverfluchter… weg… laß ihr den Frieden…

Der du sie selber gemordet hast.

JEREMIAS (stammelnd):

Laß mich… ich will…

JOCHEBED:

Fort, du Aussatz

Von den Gerechten,

Fort aus dem Haus!

Wehe, warum

Ließ sie dich ein?

Weg, du Verfluchter,

Rühr nicht die heilige Stille an

Und den Tod, den du ihr angetan.

JEREMIAS (zusammenbrechend):

Ewig verflucht,

Ewig verstoßen,

Aus dem Mutterschoß in die Welt hinein,

Gott… Gott… es ist hart, dein Bote zu sein!

(ACHAB UND JOCHEBED umschreiten feierlich die Tote. Sie drücken ihr die Augen zu und schlagen die Laken um ihren Leib. ACHAB geht zu den Krügen und schüttet das Wasser auf die Erde. Man hört nur ihr ernstes Schreiten. Jeremias stumpfer Blick ist starr zu Boden gerichtet. Ein langes, tiefes Schweigen voll der Geheimnisse des Todes.) (LÄRMEN von außen, heftige Stimmen in Erregung.)

ACHAB:

Wer dringt heran?

JOCHEBED:

Außen stehen sie, ein lärmender Hauf. Sie wollen ins Haus.

ACHAB:

Wie die Feinde pochen sie hart. Tu ihnen auf!

JOCHEBED:

Wehe, die Wilden! Sie sprengen das Tor!

(Gepolter nah außen von zerbrechendem Holz. Herauf dringt das Dröhnen schwerer hastiger Schritte und herein stürmen SEBULON, PASHUR, HANANJA, DER ERSTE KRIEGER und ein Schwarm mit ihnen.)

SEBULON:

Hier muß er sein.

EIN KNABE:

Ich sah ihn eingehn ins Haus.

STIMMEN:

Ich auch! Vor einer Stunde schlich er hier ein. Ich hielt Wache, wie du befahlst… ich auch… ich hab ihn gesehn.

ACHAB:

Wen sucht ihr?

PASHUR:

Gib ihn heraus, den du birgst!

SEBULON:

Wir wollen ihn fassen! Blut um Blut!

ACHAB:

Was lärmt ihr! Weg von hier, ihr Rotte…

PASHUR (die Tote sehend, hebt die Hände von sich und spricht ernst): Gelobt sei der ewige Richter. Gnädig möge er sein der Gerechten! (Dann wendet er sich und tritt schweigend zurück.)

DIE ANDERN (plötzlich still werdend, murmeln):

Gelobt sei der ewige Richter…

EINER (leise):

Wer starb?

ACHAB:

Eine, von der Gott sein Antlitz kehrte. Eine Kummervolle, eine Leidbeschwerte. Eine, deren Schmerz und bitterste Sorge war, daß sie einen Feind ihrem Volke gebar.

EINER:

Jeremias!

SEBULON:

Ihn suche ich! Ihn suche ich! Jeremias!

JEREMIAS (auffahrend, seine Stimme ist gewaltig von schmerzlichem Zorne): Wer sucht mich noch? Wer will noch Fluch schreien über mich? Er komme, daß er es tue, der Aufgetane bin ich allen Flüchen dieser Erde!

SEBULON:

Ich komme, dir zu fluchen, du Verfluchter, ich, Sebulon, der Vater Baruchs, den du verführtest. Wo ist mein Sohn?

JEREMIAS (abwesend):

Ich weiß es nicht. Nicht bin ich der Hüter deines Sohnes.

SEBULON:

Der Verführer doch bist du und der Verderber. Schande hast du geworfen auf mein Haupt und Schmach auf seinen Namen. Brüder um mich, höret, diesen klage ich an! Er hat meinen Sohn verlockt, daß er untreu ward seinem Gotte und feige an seinem Volke. Er hat ihn beredet, mit Worten des Unheils und verleitet zur Schande.

HANANJA:

Antworte! Klage erhebt dieser Mann wider dich!

JEREMIAS:

Auch er klaget, auch er? Wehe, wenn ich anhübe zu klagen, mein Wort müßte fahren zu Gott!

STIMMEN:

Er schweigt… er redet wirr, daß man ihn nicht fasse… Haltet Gericht… nicht gebet ihn frei… Pashur, Hananja… Ein Ende machet mit ihm… haltet Gericht…

HANANJA:

Hast du Zeugen deines Wortes, Sebulon?

SEBULON:

Verschwunden ist mein Sohn aus der Stadt, und mit ihm nur ward er gesehn! Und dieser hat gehört, wie er ihn verlockte des Mitternachts an der Mauer, daß er überliefe zum Feind!

HANANJA (zu dem ersten Krieger):

Bist du des zu zeugen erbötig?

DER ERSTE KRIEGER:

Ich bin es, Profet! Da ich stund auf dem Walle, kamen selbander die beiden, dieser, Jeremias, den ich kannte, und ein Jüngerer, wie ein Knabe anzuschaun, schwarz von Haar und feurigen Blickes…

SEBULON:

Baruch, mein Sohn, mein Kind, das verführte!

DER ERSTE KRIEGER:

Und viel Redens war zwischen ihnen, und dieser, Jeremias, kündete laut Untergang, daß mir das Herz ergrimmte…

HANANJA (zu den andern):

Habt ihr vernommen? Laut kündete er Zions Fall!

DER ERSTE KRIEGER:

… und da der König gegangen war und beide allein, klomm jener, den ihr Baruch nennet, die Mauer hinab und lief zum Feinde, indes dieser zagte und blieb.

SEBULON:

Hört ihr? Habt ihrs vernommen, Männer Israels? Der Verführung klage ich ihn und der Schmach über mein Haus.

PASHUR:

Was ist dein Einspruch, Jeremias? Klage stehet wider dich.

JEREMIAS (schweigt).

PASHUR:

So nennest du keinen Zeugen?

JEREMIAS (dumpf):

Der für mich zeugen wird, nennet sich nicht.

PASHUR:

Wird er sich erweisen zur Zeit?

JEREMIAS:

Oh, Schweigen, Schweigen! Qual eurer Worte!

HANANJA:

Hört ihr? Eitel Ausflucht und Ränke!

STIMMEN:

Er leugnet nicht… überwiesen ist er! Ein Ende, macht ein Ende.

PASHUR:

Stille! Gerecht Gericht will ich halten! Jeremias, ich rufe dich zu Einspruch und Widerrede!

JEREMIAS (schweigt).

PASHUR:

Klage ist wider dich, daß du gekündet Untergang wider des Königs Geheiß.

JEREMIAS (schweigt).

STIMMEN:

Er verbirgt sich… brich seinen Trotz… ein Ende, mach ein Ende…

HANANJA:

So leugnest du deine Verheißung?

JEREMIAS (schweigt wie abwesend).

HANANJA:

Sehet, vor des Todes Angst bricht seines Lebens Angst. Er schweiget, zum ersten Male schweiget er!

JEREMIAS:

Willst du mich versuchen, du Versucher Israels, daß ich sage nein für Gottes Ja und ja für sein Nein! Stärker hat er mich versuchet, daß ich weiche von seinem Wege, und ich bin nicht gewichen. Er hat eine wider mich gestellt, deren Atem mir teurer war, als meines Lebens Hauch, und ich wankte ihr nicht, denn wen der Herr zur Geißel erlesen, den reißt er los vom Baume des Lebens. Steinern bin ich worden in dieser Stunde, oh, daß ich wäre der Stein des Anstoßes, an dem ihr euch zerstoßet. Weichet von mir und verstört nicht meinen Frieden!

SEBULON:

Nicht weiche ich! Meinen Sohn hat er verstört. Gericht fordere ich, gerecht Gericht.

HANANJA:

Das Volk hat er verwirrt! Tod über sein Haupt!

STIMMEN:

Tod über ihn… befreie uns von seiner Nähe… tilg ihn aus… Sprich deinen Spruch…

PASHUR:

Zweimal habe ich dich gerufen zum Wort. Da du schweigen solltest, hast du geredet, und nun du reden solltest, schweigest du. Zum drittenmal rufe ich dich.

JEREMIAS (schweigt).

PASHUR:

So sprech ich deinen Spruch! Nicht mehr sollst du schrecken die Mutigen, nicht mehr verwirren die Knaben. Jeremias, Sohn Hilkias in Israel…

JEREMIAS:

Ein Ende! Macht ein Ende! Brennt mich nicht an mit den Blicken! Euer Atem ekelt mich! Ein Ende, ein Ende!

PASHUR:

In die Düngergrube stoßt ihn hinab, Unrat zu Unrat, Kot zum Kote, daß Gottes Licht er nicht länger schände und ledig sei seiner Stimme die Stadt. Möge er faulen wie seine Worte im Dunkel der Erde.

JEREMIAS:

Oh Qual alles Lebens! Oh Qual aller Worte! Gesegnet das Dunkel, gesegnet das Grab!

PASHUR:

Faßt ihn an, vollzieht den Spruch!

STIMMEN:

Gerechter Spruch… gesegnet deine Weisheit… fort… hinab… schleifen wir ihn fort… die Seile holt… die Seile… daran wir ihn niederlassen.

JEREMIAS (zurückzuckend vor ihrer Berührung):

Nicht rühret mich an, nichts hab ich gemein mehr mit euch! Oh, besser jetzt im Dunkel zu weilen, denn die Stunde ist nahe, da die Lebendigen neiden werden die Toten und die Wachen die Schweigenden in Israel. Oh, wie michs schon lüstet des Schweigens, wie michs brennet, der Toten Bruder zu sein – fort – weichet, selbst scharr ich mich ein, daß ich erlöst sei der Welt und Israel meiner erlöset sei!

(JEREMIAS geht mit eingezogenen Armen wie ein Frierender gegen die Türe, das Haupt schon gesenkt gegen die Tiefe. Die andern beginnen, ihm vorsichtig nachzufolgen.)

HANANJA (mit gellem Ton die Stille zerschneidend):

Jauchze, Zion, geborsten ist die Posaune deines Untergangs, zerrissen die Lippe deines Leugners. Jauchze, Zion, denn ewig ist deine Blüte! Ewig währet Jerusalem!

(JEREMIAS hat sich im Zorne gewaltig umgewandt. Er spannt seine Arme zur Beschwörung, aus seinen Blicken flammt ekstatische Drohung, von seinen Lippen will furchtbarer Fluch brechen. Die ihm folgen, fahren schauernd zurück wie vor eines wilden Tieres Ausbruch. Aber Jeremias bezwingt sich. Seine Arme sinken langsam nieder, die gespannte Furchtbarkeit seiner Züge löst sich. Einmal noch sucht sein Blick das Bett der Toten, dann lischt seine Glut. Er verhüllt sein Antlitz und schreitet einsam voran, wie gebückt von großer Last.)

DIE ANDERN (sich allmählich aufraffend, doch noch voll Gedrücktheit): Selig, daß wir diesen wüsten Träumer abtaten von der Stadt… ein Verhängnis war er… man verbrannte an seinem Blut… oh, daß nun doch Frieden würde… Friede in Israel… hinab mit ihm, daß versiegelt sei dieser Mund des Schreckens, oh, Erlösung… daß doch nun Friede würde in Israel…

(ALLE folgen in Unruhe und Bewegung Jeremias. Als Letzter verläßt ernst und sinnend Pashur den Raum. Achab und Jochebed sind zurückgeblieben und blicken einander unsicher an. Dann hebt Achab ein Linnen und breitet es ehrfürchtig über die Tote.)

Gesammelte Werke von Stefan Zweig

Подняться наверх