Читать книгу Gesammelte Werke von Stefan Zweig - Stefan Zweig - Страница 27
Homo eroticus
ОглавлениеVerführt ich jemals? Nein, ich war zur Stelle. Wenn just mit holder Zauberei Natur Ihr Werk begonnen, auch verließ ich keine, Denn ewig jeder dankbar blieb mein Herz.
Arthur Schnitzler, Casanova in Spa
Er dilettiert recht und meist schlecht in allen Künsten, schreibt stolperige Verse und narkotische Philosopheme, er kratzt mittelmäßig die Geige und konversiert bestenfalls wie ein Enzyklopädist. Trefflicher schon versteht er jene Spiele, die der Teufel erfunden und so da sind: Pharao, Karten, Biribi, Würfel, Domino, Bauernfängerei, Alchimie und Diplomatie. Aber als Magier und Meister exzelliert Casanova einzig im Liebesspiel. Hier binden sich in schöpferischer Chemie seine hundert verpfuschten und stückhaften Talente zum reinen Element des vollkommenen Erotikers, hier und nur hier hat dieser zweideutige Dilettant unwidersprechlich Genie. Sein Körper schon scheint sichtlich dem Dienst der Cythere zugeschaffen. Ausnahmsweise verschwenderisch, mit voller Faust hat die sonst sparsame Natur in den Tiegel gegriffen, um alles an Saft, Sinnlichkeit, Kraft und Schönheit zusammenzuraffen, damit den Frauen zur Freude wieder einmal ein rechter Mann entstehe, eine mâle, ein Mannskerl oder Männchen, ganz wie man’s übersetzen will, ein vollwichtiges und doch federndes, ein hartes und doch heißes Exemplar dieses guten Geschlechts. Denn man geht fehl, Casanova, den Eroberer, physisch nach unserem schlankschmalen, modischen Schönheitstypus zu denken: dieser bei uomo ist kein Ephebe, durchaus nicht, sondern ein rechter Mannshengst mit Schultern des Farnesischen Herkules, Muskeln eines römischen Ringers, der braunen Schönheit eines Zigeunerburschen, der Stoßkraft und Frechheit eines Kondottiere und der Brünstigkeit eines wirrhaarigen Waldgottes. Metall sein Körper, strotzend von Überschuß und Kraft: viermalige Syphilis, zwei Vergiftungen, ein Dutzend Degenstiche, die grau-gräßlichen Jahre unter den Bleidächern und in stinkenden spanischen Kerkern, die plötzlichen Reisen von sizilianischer Hitze in moskowitischen Frost erschüttern keinen Zoll seiner phallischen Bereitschaft und Kraft. Wo immer und wann immer, es genügt der Funke eines Blicks, der physische Fernkontakt weiblicher Nähe, und schon flammt und funktioniert diese unbesiegbare Sexualitas. Ein ganzes emsiges Vierteljahrhundert bewährt er den sagenhaften Messer sempre pronto, den Herrn Allzeitbereit der italienischen Schwanke, lehrt unermüdlich die Frauen höhere Mathematik als die wackersten ihrer Liebhaber, und das ärgerliche Fiasko im Bett (dem Stendhal in seinem Traktat »l’Amour« die Wichtigkeit eines eigenen Kapitels zumißt) kennt er bis zum vierzigsten Jahre nur vom Hörensagen und Gerücht. Ein Körper, der nie ermattet, wenn die Begierde ihn aufruft, eine Begierde wiederum, die nie aussetzt, die wachnervig allem Weiblichen auflauert, eine Leidenschaft, die trotz wütigster Verschwendung nicht armt, ein Spieltrieb, der keinen Einsatz scheut – tatsächlich, selten hat die Natur einem Meister ein derart vollsaitiges Körperinstrument, eine solche viola d’amore zum Spiel für ein ganzes Leben anvertraut.
Aber Meisterschaft fordert zur rechten Bewährung noch besonderes Unterpfand: die völlige Hingabe, die restlose Konzentration. Nur der Monogam eines Triebs erreicht das Maximum in der Leidenschaft, nur völlige Zusammengefaßtheit in eine Richtung schafft vollendete Leistung; wie dem Musiker Musik, dem Dichter Gestaltung, dem Geizigen Geld, dem Sportwütigen Rekord, muß einem vollgültigen Erotiker die Frau, ihre Umwerbung, Begehrung und Besitz zum wichtigsten, nein zum einzigen Weltgut werden. Wegen der ewigen Eifersucht aller Leidenschaften widereinander darf er nur dieser einen und einzigen unter allen Passionen sich hingeben, einzig in ihr und in ihr allein Sinn und Unendlichkeit der Welt erfassen. Casanova, der ewig Untreue, bleibt sich treu in der Weibsleidenschaft. Bietet ihm den Dogenring von Venedig, die Schätze der Fuggers, Adelsbrief, Haus und Bestallung, Feldherrn-und Dichterruhm, er wird mit lockerer Hand diesen Firlefanz, diese dummen Wertlosigkeiten wegwerfen für den Duft einer neuen Haut, den unersetzbar süßen Anblick und Augenblick nachgiebigen Gewährens. Alle Verheißungen der Welt, Ehre, Amt und Würde, Zeit, bläst er weg wie Pfeifenrauch für ein Abenteuer, ja mehr noch, sogar für die bloße Möglichkeit eines Abenteuers. Denn dieser erotische Spielmensch braucht gar kein Verliebtsein für sein Begehren; schon die Ahnung, die knisternde, noch nicht faßbare Nähe eines Abenteuers, hitzt seine Phantasie. Von Hunderten bloß ein Beispiel: die Episode gleich zu Anfang des zweiten Bandes, wo Casanova in wichtigster Angelegenheit mit Eilpost nach Neapel reist. Da sieht er unterwegs in einem Gasthaus in einem Nachbarzimmer, in einem fremden Bett, bei dem ungarischen Hauptmann eine schöne Frau – nein, toller noch, er weiß ja damals noch nicht, ob sie schön ist, denn er hat die unter der Bettdecke Verborgene gar nicht gesehen. Er hat nur ein junges Lachen gehört, Lachen einer Frau, und schon beben ihm die Nüstern. Nichts weiß er von ihr, nicht, ob sie verlockend ist, ob schön oder häßlich, jung oder alt, willig oder abwehrend, frei oder schon gebunden, und doch, sofort wirft er mit dem Felleisen alle Pläne unter den Tisch, läßt die schon bereiten Pferde ausspannen und bleibt in Parma, nur weil ihn, den immer spiellüsternen Hasardeur, schon diese winzige und ganz ungestaltete Chance eines Abenteuers toll macht. So scheinbar sinnlos und so weise in seinem eigensten, natürlichsten Sinn handelt Casanova jederzeit und jedes Orts. Für eine Stunde mit einer unbekannten Frau wird er Tag oder Nacht, morgens oder abends unfehlbar zu jeder Torheit bereit sein. Wo er begehrt, schreckt ihn kein Preis, wo er erobern will, kein Widerstand. Um eine Frau wiederzusehen, jene deutsche Bürgermeisterin, die ihm anscheinend nicht besonders wichtig ist und von der er gar nicht weiß, ob sie ihn wird beglücken können, geht er mit frecher Stirn ungeladen und bewußt unerwünscht in Köln in eine fremde Gesellschaft, muß mit verbissenen Zähnen sich vom Gastgeber abkanzeln, von den anderen verlachen lassen; aber was fühlt, wenn er brünstig ist, der Hengst von den Prügeln, die auf ihn niederprasseln? Hungernd und frierend zwischen Ratten und Ungeziefer wird Casanova eine Nacht im eiskalten Kellerraum gern erdulden, winkt nur im Morgengrauen eine durchaus nicht bequeme Schäferstunde, er riskiert dutzendmal Degenstiche, Pistolenschüsse, Beschimpfungen, Erpressungen, Krankheiten, Erniedrigungen – und zwar nicht, was schon immerhin begreiflicher wäre, für eine Anadyomene, für eine einzig und wahrhaft Geliebte, sondern für Frau Jedermann, für Frau Irgendwer, für jede gerade erreichbare Frau, nur weil sie Frau ist, Spezies von jenem andersartigen und für ihn so begehrlichen Geschlecht. Jeder Kuppler, jeder Zuhälter kann den weltberühmten Verführer auf das bequemste ausrauben, jeder zugängliche Gatte oder gefällige Bruder ihn in die schmutzigsten Geschäfte reiten, sofern nur seine Sinne gereizt sind – aber wann wären sie es nicht, wann Casanovas erotischer Durst jemals vollkommen gestillt? Semper novarum rerum cupidus, allzeit neuer Beute gierig, vibrieren seine Lüste unablässig einem Unbekannten entgegen. Wie Sauerstoff, Schlaf und Bewegung braucht dieser männische Leib unablässig sein weich wollüstiges Bettfutter und der unstete Sinn die flirrende Spannung des Abenteuers. Keinen Monat, keine Woche, kaum einen Tag, nirgends und niemals kann er sich wohl fühlen ohne Frauen. Enthaltsamkeit heißt, aus Casanovas Vokabular übersetzt, ganz einfach: Stumpfsinn und Langeweile.
Kein Wunder, daß bei so robustem Appetit und beharrlichem Konsum die Qualität seiner Weiblichkeit nicht durchgängig vollwertig bleibt. Mit solch einem Kamelmagen der Sinnlichkeit wird man nicht Feinschmecker, kein Gourmet, sondern simpler Vielfraß, bloßer Gourmand. Darum bedeutet, Casanovas Geliebte gewesen zu sein, an sich durchaus noch keine besondere Empfehlung, denn man muß weder Helena noch Jungfrau und keusch, noch sonderlich geistvoll, wohlerzogen und verlockend sein, damit der hohe Herr sich herablasse; dem Leichtverführbaren genügt meist die bloße Tatsache, daß sie Frau ist, Weib, Vagina, polares Geschlechtswesen, von der Natur geformt, ihm seine Sinnlichkeit abzufüllen. Deshalb beliebe man gründlich abzuräumen mit etwa vorhandenen romantischen oder ästhetischen Vorstellungen dieses weitläufigen Hirschparks; wie immer bei dem professionellen, also wahllosen Erotiker erweist sich die Kollektion Casanovas als durchaus ungleichwertig und, weiß Gott, nicht durchweg als eine Schönheitsgalerie. Einige Gestalten zwar, zarte, süße, halbwüchsige Mädchengesichter, möchte man gezeichnet wissen von seinen malerischen Landsleuten Guido Reni und Raffael, einige auch von Rubens gemalt oder von Boucher mit zartem Rötel auf seidene Fächer hingedeutet, aber daneben, welche Gestalten auch, englische Gassenhuren, deren freche Fratze nur der grimmige Stift Hogarths wiedergeben könnte, zerluderte alte Hexen, die Goyas Grimm herausgefordert hätten, verseuchte Dirnengesichter im Stil des Toulouse-Lautrec, Bauernmenscher und Dienstboten, ein tolles Kunterbunt von Schönheit und Schmutz, Geist und Gemeinheit. Denn dieser Panerotiker hat in der Wollust rüde Geschmacksnerven, und der Radius seiner Begierde dehnt sich bedenklich weit ins Absonderliche und Abwegige. Casanovas Abenteuer beginnen bei Altersklassen, die in unseren reglementierten Zeiten ihn schonungslos mit dem Staatsanwalt in Konflikt brächten, und reichen hinauf bis zum grausen Gerippe, bis zu jener siebzigjährigen Ruine, der Herzogin von Urfé – die schauerlichste Schäferstunde, die wohl jemals ein Mann im geschriebenen Wort der Nachwelt schamlos anvertraute. Durch alle Länder, durch alle Klassen wirbelt diese keineswegs klassische Walpurgisnacht; zarteste, reinste Gestalten, erglühend im Schauer erster Scham, vornehme Frauen, spitzenübersät und im Glanz ihrer Edelsteine, reichen dem Abhub der Bordelle, den Scheusalen der Matrosenschenken hastig die Hand zum Reigen, die zynische Bucklige, die perfide Hinkende, lasterhafte Kinder, brünstige Greisinnen, all das tritt sich die Füße im Hexentanz. Die Tante räumt der Nichte das noch warme Bett, die Mutter der Tochter, Kuppler schieben ihre Kinder, gefällige Ehemänner dem immer Begehrlichen die eigenen Frauen ins Haus, Soldatendirnen tauschen mit Edeldamen das gleiche geschwinde Vergnügen derselben Nacht – nein, man gewöhne sich’s endlich ab, die Liebestaten Casanovas unbewußt in der Art der galanten Kupferstiche des Dix-huitième und mit anmutigen, amourösen Appetitlichkeiten zu illustrieren nein, und siebenmal nein, man habe doch endlich den Mut, hier einmal die wahllose Erotik als Pandämonium der männlichen Sinnlichkeit zu sehen. Eine so unerschöpflich wahllose Libido wie die Casanovas geht über Stock und Stein und vor allem an nichts vorbei; ihn lockt das Abstruse nicht minder als das Alltägliche, es gibt keine Anomalie, die ihn nicht hitzte, keine Absurdität, die ihn ernüchterte. Verlauste Betten, verschmutzte Wäsche, zweifelhafte Gerüche, Kameradschaft mit Zutreibern, die Gegenwart heimlicher oder bestellter Zuschauer, gemeine Ausbeutungen und die üblichen Krankheiten, all das sind unfühlsame Kleinigkeiten für diesen göttlichen Stier, der, ein anderer Jupiter, Europa umarmen will, die ganze Weibwelt in jeder Form und Entformung, in jeder Gestalt und in jedem Gerippe – maßlos neugierig ebenso auf das Phantastische wie auf das Natürliche in seiner panischen und fast schon manischen Lust. Aber typisch für das Männliche dieser Erotik: so ständig und stürmisch ihre Blutwelle strömt, niemals überflutet sie dabei das natürliche Bett. Brüsk hält Casanovas Instinkt an der Geschlechtsgrenze inne. Ekel schüttelt ihn bei der Berührung eines Kastraten, mit dem Stock prügelt er Lustknaben weg; alle seine Umwegigkeiten und Perversionen gelten in merkwürdiger Treue nur immer der Weibwelt als seiner vollkommenen und eingeborenen Sphäre. Hier aber freilich kennt sein Furor keine Grenze, keine Hemmung und keinen Halt, wahllos, zahllos und ohne Unterlaß strahlt diese Begierde jeder entgegen mit der ewig trunkenen, von jeder neuen Frau neu berauschten Lustkraft eines griechischen Waldgottes.
Gerade aber dieses Panische, dieses Rauschhafte und Naturhafte seines Begehrens gibt Casanova unerhörte Macht über die Frauen, eine Beinahe-Unwiderstehlichkeit. Mit jähem Instinkt vom Blute her spüren sie in ihm das Manntier, den brennenden, lodernden, ganz ihnen entgegengeschnellten Menschen, und sie lassen sich besitzen von ihm, weil er von ihnen vollkommen besessen ist, sie fallen ihm zu, weil er ihnen verfallen ist, und zwar nicht ihr, der einzelnen, sondern der Pluralität, der Frau in ihnen, dem Gegensatz, dem andern Pol. Hier ist endlich einer, so fühlen sie aus Intuition des Geschlechts, dem nichts wichtiger ist als wir, der nicht wie die andern, müde von Geschäften und Pflichten, verdrossen und ehemännisch, nur so zwischendurch und nebensächlich uns umwirbt, sondern einer, der uns entgegenstürzt mit der vollen, wildbachhaften Wucht seines Wesens, einer der nicht spart, sondern verschwendet, der nicht zögen und wählt. Und wirklich, restlos weiß er sich hinzugeben: den letzten Tropfen Lust aus seinem Leibe, den letzten Dukaten aus der Tasche, alles wird er immer bereit sein, für eine jede, nur weil sie Frau ist und in diesem Augenblick seinen Weibsdurst stillt, unbedenklich hinzuopfern. Denn Frauen glücklich zu sehen, selig überrascht, entzückt, lachend und hingerissen, ist für Casanova Endgenuß alles Genießens. Er überhäuft, solange er noch Geld hat, eine jede mit zärtlich gewählten Geschenken, schmeichelt mit Luxus und Leichtsinn ihren Eitelkeiten, er liebt, sie üppig zu kleiden, in Spitzen zu hüllen, ehe er sie nackt enthüllt, sie zu überraschen mit nie gesehenen Kostbarkeiten, sie zu überraschen mit Sturzwellen der Verschwendung und Flammenspiel der Leidenschaft – wirklich ein Gott, ein schenkender Jupiter, der zugleich mit der Glut seiner Adern auch mit goldenem Regen die Geliebte überströmt. Und daß er, auch hierin Jupiter gleich, dann bald wieder in Wolken entschwindet – »ich habe die Frauen rasend geliebt, aber ich habe ihnen stets die Freiheit vorgezogen« –, das mindert nicht, nein, erhöht nur seinen Nimbus, denn gerade durch das Gewitterhafte seines Einbruchs und Entschwindens bleibt ihnen Erinnerung an diesen Einen und Außergewöhnlichen, das unwiederholbare herrliche Abenteuer, und ernüchtert sich nicht wie bei andern zu Gewohnheit und banaler Beischläferei. Jede dieser Frauen fühlt instinktiv einen Mann wie diesen unmöglich als Gatten: nur als an den Liebhaber, den Gott einer Nacht, wird sie sich seiner im Blute erinnern. Obwohl er jede verläßt, wird keine ihn doch anders wollen, als er gewesen: darum braucht Casanova nur genau so zu sein, wie er ist, also ehrlich in seiner ungetreuen Leidenschaft, und er wird jede gewinnen.
Ich sagte eben: ehrlich, ein bei Casanova erstaunliches Wort. Aber es hilft nichts: gerade im Liebesspiel muß man diesem abgestraften Falschspieler und gerissenen Gauner eine Art Redlichkeit zuerkennen. Casanovas Beziehung zu den Frauen ist wirklich ehrlich, weil bloß bluthaft, bloß sinnlich. Beschämend, dies zu vermerken, aber immer beginnt ja die Unwahrhaftigkeit in der Liebe erst mit der Einmengung höherer Gefühle. Der dumpfe brave Bursche Körper selbst lügt nicht, er übertreibt niemals seine Überspannungen und Begehrlichkeiten über das naturgemäß Erreichbare hinaus. Erst wenn der Geist und das Gefühl sich einmengen, sie, die ihrem beflügelten Wesen gemäß ins Grenzenlose führen, wird alle Leidenschaft übertreiblich und phantasiert Ewigkeiten in unsere irdischen Beziehungen hinein. Casanova, der nie über den Rand des Körperlichen hinaus schwelgt, hat es darum leicht, zu halten, was er verspricht, er gibt aus dem prachtvollen Magazin seiner Sinnlichkeit Lust gegen Lust, Leib gegen Leib, und gerät niemals in Seelenschuld. Darum fühlen sich auch seine Frauen post festum nicht in platonischen Erwartungen betrogen, denn gerade weil dieser scheinbar Frivole keine anderen Entzückungen als die Spasmen des Geschlechts von ihnen fordert, weil er sie nicht in Unendlichkeiten des Gefühls hinaufredet, wird er ihnen immer Ernüchterung ersparen. Es steht jedem frei, solche Art der Erotik niedere Liebe, bloß geschlechtliche, hauthafte, seelenlose und animalische zu nennen, aber man rüttle nicht an ihrer Redlichkeit. Denn handelt nicht wirklich dieser lockere Luftikus mit seinem offenen und kerzengeraden Habenwollen wahrhafter und wohltätiger an den Frauen als die romantischen Schwärmer? Während hinter Goethes und Byrons Lebensweg eine Unzahl Frauen als zerbrochene, verbogene, zerschellte Existenzen zurückbleiben, eben weil Naturen höherer und kosmischer Art in der Liebe unwillkürlich das Seelische einer Frau so ausweiten, daß sie dann, dieses feurigen Hauchs nicht mehr teilhaftig, ihre irdische Form nicht mehr finden, richtet die Zunderhitzigkeit Casanovas eigentlich herzlich wenig Seelenschaden an. Er schafft keine Niederbrüche, keine Verzweiflungen, er hat viele Frauen glücklich gemacht und keine hysterisch, alle kehren sie aus dem rein sinnlichen Abenteuer unbeschädigt in den Alltag zurück, entweder zu ihren Männern oder zu andern Geliebten. Er streift über sie alle nur wie ein tropischer Wind hinweg, daran sie aufblühen zu heißerer Sinnlichkeit. Er überglüht, aber versengt sie nicht, er erobert, ohne zu zerstören, er verführt, ohne zu verderben, und eben weil sich diese seine Erotik im festeren Gewebe der Epidermis abspielt und nicht im leichter zu beschädigenden der wirklichen Seele, zeitigen seine Eroberungen keine Katastrophen.
Seine Passion kennt als bloß erotische nicht die Ekstase der äußersten einmaligen Leidenschaft. Man beunruhige sich deshalb nicht, wenn er furchtbar verzweifelt tut, sobald Henriette oder die schöne Portugiesin ihn verläßt, er wird nicht zur Pistole greifen, und tatsächlich, zwei Tage später finden wir ihn schon bei einer andern oder in einem Bordell. Kann die Nonne C. C. nicht mehr von Murano ins Kasino kommen, und erscheint an ihrer Stelle die Klosterschwester M. M., so gelingt die Tröstung überraschend geschwind, jede eine ersetzt jede andere, und so hat man’s nicht schwer, herauszufinden, daß er als echter Erotiker niemals vollkommen verliebt war in eine seiner vielen einzelnen Frauen, sondern in den ewigen Plural, in den unablässigen Wechsel, die Vielzahl der Abenteuer. Selbst glitscht ihm einmal das gefährliche Wort aus: »Schon damals fühlte ich dunkel, daß Liebe nur eine mehr oder weniger lebhafte Neugierde sei«, und diese Definition fasse man an, um ihn zu fassen, und breche das Wort Neugierde gut auseinander: Neu-Gierde, immer neue Gier nach immer Neuem, nach immer anderen Erfahrungen an immer anderen Frauen. Ihn reizt niemals das Individuum, sondern die Variante, die unablässig neue Kombination auf dem unerschöpflichen Schachbrett des Eros. Wie Einatmen und Ausatmen, so selbstverständlich und naturgemäß ist sein Nehmen und Lassen, und dies rein funktionelle Genießen erklärt, warum Casanova als Künstler eigentlich keine seiner tausend Frauen uns wahrhaft seelenplastisch macht: herzhaft gesagt, erregen alle seine Schilderungen den Verdacht, er habe allen seinen Geliebten gar nie recht ins Gesicht gesehen, sondern sie eben nur in certo punto, aus einer gewissen, höchst mittleren Perspektive betrachtet. Was ihn begeistert, ihn »entflammt«, sind nach echter Südländerart immer dieselben Dinge, die grobsinnlichen, bauerngewahrsamen, tastbar und in das Auge springenden Geschlechtsmomente des Weibes, immer und immer wieder (bis zum Überdruß) der »Alabasterbusen«, die »göttlichen Halbkugeln«, die »junonische Gestalt«, die immer wieder durch andern Zufall entblößten »geheimsten Reize«, genau dasselbe also, was einem geilen Gymnasiasten bei der Dienstmagd die Pupille kitzelt. So bleibt von den unzähligen Henrietten, Irenen, Babetten, Mariuccias, Ermelinen, Markolinen, Ignazias, Lucias, Esthers, Saras und Klaras (man müßte eigentlich den ganzen Kalender abschreiben!) nicht viel anderes zurück als ein fleischfarbenes Gelee warmer, wollüstiger Frauenkörper, ein bacchantisches Durcheinander von Ziffern und Zahlen, Leistungen und Begeisterungen – durchaus die Darstellungsart eines Berauschten am Morgen, der, schweren Kopfes aufwachend, nicht mehr weiß, was und wo und mit wem er nachtsüber getrunken. Er hat sie alle nur in der Haut genossen, in der Epidermis gefühlt, einzig im Fleische erkannt. Und so verrät uns deutsamer der präzise Maßstab der Kunst als das Leben selbst den ungeheuren Unterschied zwischen dem bloß Erotischen und dem wahrhaft Liebenden, zwischen dem, der alles gewinnt und nichts behält, und jenem, der weniges erringt, aber durch Seelenkraft dies Flüchtige zum Dauerhaften steigert. Ein einziges Erlebnis Stendhals, dieses im Faktischen ziemlich tristen Liebeshelden, sondert mehr seelische Substanz durch Sublimierung ab als hier dreitausend Nächte, und in welche ekstatische Zonen des Geistes der Eros emporzuführen vermag, davon geben alle sechzehn Bände Casanovas weniger Ahnung als ein vierstrophiges Goethegedicht. Im höheren Sinn betrachtet, sind darum Casanovas Memoiren mehr ein statistisches Referat als Roman, mehr Feldzugserlebnis als Dichtung, eine Odyssee der Wanderungen im Fleische, eine Ilias der ewigen Mannesbrunst nach der ewigen Helena. Ihr Wert beruht auf Quantität, nicht auf Qualität, sie werden wertvoll durch die Varianten und nicht den Einzelfall, nur durch Vielform, nicht aber durch seelische Bedeutsamkeit.
Eben aber um der Fülle dieser Erlebnisse willen hat unsere Welt, die fast immer nur den Rekord registriert und selten die Seelenkraft mißt, Giacomo Casanova zum Symbol des phallischen Triumphators erhoben und mit dem kostbarsten Kranze ihres Ruhms, der Sprichwörtlichkeit, gekrönt. Ein Casanova, das heißt heute zu deutsch und in allen europäischen Sprachen: Ritter Unwiderstehlich, Frauenvielfraß, Meisterverführer, und repräsentiert im männlichen Mythos genau was Helena, Phryne, Ninon de Lenclos im weiblichen. Immer muß ja die Menschheit, um aus ihren Millionen Eintagslarven den unsterblichen Typus zu schaffen, dem allgemeinen Fall die Abbreviatur eines einzelnen Gesichts zuweisen, und so gelangt dieser venezianische Schauspielersohn zur unvermuteten Ehre, als Inkarnation des Liebeshelden für alle Zeiten zu gelten. Freilich muß er dies beneidenswerte Postament noch mit einem zweiten und sogar legendarischen Gefährten teilen; neben ihm steht, edleren Geblüts, dunklerer Art und dämonischer in der Erscheinung, sein spanischer Rivale Don Juan. Oftmals ist der latente Kontrast zwischen diesen beiden Mannesmeistern der Verführung angedeutet worden, doch sowenig sich die geistige Antithese Leonardo-Michelangelo, Tolstoi-Dostojewski, Plato und Aristoteles jemals erschöpft, weil jedes Geschlecht sie typologisch wiederholt, so ergiebig bleibt diese Gegenüberstellung der beiden Urformen der Erotik. Denn obgleich sie beide in gleiche Richtung vorstoßen, beide Habichte der Weiber, immer neu einbrechend in ihre scheue oder selig erschreckte Schar, so weist sie doch der seelische Habitus vollkommen verschiedener Rasse zu. Don Juan ist Hidalgo, Edelmann, Spanier und selbst in der Revolte noch Katholik im Gefühl. Als Pursangre-Spanier kreist sein ganzes Gefühlsdenken um den Begriff der Ehre, als mittelalterlicher Katholik gehorcht er unbewußt der kirchlichen Wertung aller Fleischlichkeit als »Sünde«. Außereheliche Liebe bedeutet (doppelt reizvoll darum), aus dieser transzendenten Perspektive der Christlichkeit gesehen, etwas Teuflisches, Gottwidriges und Verbotenes, und das Weib, die Frau, das Instrument dieser Sünde. Ihr Wesen, ihr Dasein selbst schon ist Verführung und Gefährdung, darum auch die scheinbar vollkommenste Tugend beim Weibe nur eben Schein, Täuschung und Larve der Schlange. Don Juan glaubt keiner aus diesem Teufelsgeschlecht ihre Reinheit und Keuschheit, er weiß jede nackt unter ihren Kleidern, zugänglich der Verführung, und diese Hinfälligkeit des Weibes an mille e tre Beispielen zu entlarven, sich, der Welt und Gott zu beweisen, daß alle diese unnahbaren Doñas, diese scheingetreuen Gattinnen, die schwärmerischen Halbkinder, die gottverschworenen Bräute Christi, alle ohne Ausnahme ins Bett zu kriegen sind, nur anges à l’église und singes au lit, Engel bloß in der Kirche, aber unfehlbar alle äffisch sinnlich im Bett – dies und nur dies peitscht diesen Weibswütigen unablässig zur jedesmal neu leidenschaftlich wiederholten Tat der Verführung.
Nichts Dümmeres daher, als Don Juan, den Erzfeind des weiblichen Geschlechts, als amoroso, als Frauenfreund, als Liebhaber hinzustellen, denn niemals bewegt ihn je wahrhafte Liebe und Zuneigung zu einer von ihnen, sondern Urhaß der Männlichkeit treibt ihn dämonisch gegen das Weib. Sein Nehmen ist niemals ein Habenwollen für sich, immer nur ein Ihr-Wegnehmen-Wollen, ein Entreißen ihres Kostbarsten: der Ehre. Seine Lust springt nicht wie bei Casanova ab von den Samensträngen, sie stammt aus dem Gehirn, denn in jeder einzelnen will dieser seelische Sadist immer die ganze Weiblichkeit erniedrigen, beschämen und kränken; sein Genuß geschieht durchaus umwegig als ein phantastisches Vorausgenießen der Verzweiflung jeder geschändeten Frau, die er entehrt. Darum steigert sich der Jagdreiz (im Gegensatz zu Casanova, dem diejenige am besten taugt, die am raschesten aus ihren Kleidern fährt) für Don Juan am Maße der Schwierigkeit; je unnahbarer eine Frau, um so vollwertiger und beweiskräftiger für seine These dann der endgültige Triumph. Wo kein Widerstand, fehlt Don Juan jeder Antrieb: unmöglich, ihn sich wie Casanova in einem Bordell zu denken, ihn, den nur die diabolische Tat der Erniedrigung reizt, das In-die-Sünde-Stoßen, der einmalige und unwiederholte Akt des Ehebruchs oder der Nonnenentehrung. Hat er eine gehabt, so ist das Experiment erledigt, die Verführte nur noch Ziffer und Zahl im Register, für das er sich tatsächlich eine Art eigenen Buchhalter anstellt, seinen Leporello. Nie denkt er daran, zärtlich die Geliebte der letzten, der einzigen Nacht noch ein einziges Mal anzublicken, denn sowenig wie der Jäger beim abgeschossenen Wild, wird dieser professionelle Verführer nach beendigtem Experiment bei seinem Opfer bleiben, er muß weiter und weiter, immer andere jagen, möglichst viele, denn sein Urtrieb – und dies erhebt seine luziferische Gestalt ins Dämonische – peitscht ihn unvollendbarer Mission und Leidenschaft zu, nämlich an allen Frauen und damit restlos seinen Weltbeweis von der Hinfälligkeit des Weibes zu führen. Eine Don-Juan-Erotik sucht und findet keine Ruhe und keinen Genuß; in einer Art Blutrache steht er als Mann ewig im Krieg gegen die Frau verschworen, und der Teufel hat ihm dafür die vollendetsten Waffen gegeben, Reichtum, Jugend, Adel, körperliche Anmut und das Wichtigste: vollkommene, eiskalte Fühllosigkeit.
Und tatsächlich denken die Frauen, sobald sie seiner kalten Technik verfallen sind, an Don Juan wie an den Teufel selbst, sie hassen mit aller Inbrunst ihrer gestrigen Liebe den betrügerischen Erzfeind, der am nächsten Morgen schon ihre Leidenschaft mit dem eiskalten Guß höhnischen Lachens überschüttet (Mozart hat es uns unsterblich gemacht). Sie schämen sich ihrer Schwäche, sie wüten, sie rasen, sie toben in ohnmächtigem Zorn gegen den Schurken, der sie belogen, betrogen, geprellt, und sie hassen in ihm das ganze männliche Geschlecht. Jede Frau, Doña Anna, Doña Elvira, sie alle, die tausendunddrei, die seinem berechnenden Drängen nachgegeben, bleiben für immer seelisch vergiftet in ihrer Weiblichkeit. Die Frauen hingegen, die Casanova sich hingegeben haben, danken ihm wie einem Gott, denn nicht nur nichts genommen hat er ihnen von ihren Gefühlen, nicht gekränkt in ihrer Weiblichkeit, sondern sie beschenkt mit einer neuen Sicherheit ihres Daseins. Gerade das, was der spanische Satanist Don Juan sie als Teufelsaugenblick zu verachten zwingt, das glühende Leib-in-Leib, das lodernde Sich-sinken-Lassen, eben das lehrt sie Casanova, der zärtliche Magister artium eroticarum, als den wahren Sinn, als die seligste Pflicht ihrer weibgeborenen Natur erkennen. Mit leichter und liebender Hand streift er gleichzeitig mit den Kleidern alle Verschüchterung, Verängstigung diesen Halbfrauen ab – sie werden erst ganz Frauen, sobald sie sich gegeben haben – er beglückt sie, indem er sich selber beglückt, er entschuldigt ihr Mitgenießen durch die eigene dankbare Ekstase. Denn jeder Genuß einer Frau wird Casanova erst vollkommen, sobald er ihn von seiner Partnerin in Nerv und Adern geteilt und mitempfunden weiß – »vier Fünftel des Genusses bestanden für mich immer darin, die Frauen glücklich zu machen« –, er braucht Gegenlust für seine Lust wie ein anderer Gegenliebe für seine Liebe, und seine herkulischen Leistungen wollen nicht so sehr den eigenen Leib, sondern den der umfangenen Frau erschöpfen und entzücken. Nie lockt ihn wie seinen spanischen Widerpart das grobe und sportliche Gehabthaben, sondern einzig das Gegebenhaben. Deshalb wird jede Frau, die sich ihm hingegeben, mehr Frau, weil wissender, wollüstiger und hemmungsloser, und darum suchen sie auch sofort neue Gläubige dieses beglückenden Kults: die Schwester führt die jüngere zur linden Opferung an den Altar, die Mutter ihre Tochter dem zarten Lehrer zu, jede Geliebte drängt die andere in den Ritus und Reigen des schenkenden Gottes. Genau aus demselben unfehlbaren Instinkt der Weibschwesterschaft, mit dem jede von Don Juan Verführte die neu Umworbene (immer vergeblich!) als vor dem Feinde ihres Geschlechtes warnt, empfiehlt eifersuchtslos eine der andern Casanova als den rechten Vergöttlicher ihres Geschlechtes, und so, wie er über die einzelne Gestalt hinaus die Ganzheit des Weibes, lieben sie über ihn hinweg die Ganzheit des leidenschaftlichen Mannes und Meisters.