Читать книгу Archäologie als Naturwissenschaft? - Stefanie Samida - Страница 5
Zum Geist der Zeit
ОглавлениеUnsere Streitschrift fällt in eine Zeit, die – so unser Eindruck – von einem gewissen Szientismus geprägt ist, der in alle gesellschaftlichen Bereiche hineinreicht. Dazu zählen etwa die Politik und die sie seit Jahren begleitende ‚Umfrageritis‘ beziehungsweise ‚Demoskopitis‘. Es vergeht kein Tag, an dem wir nicht mit den neuesten Umfragewerten zu sogenannten ‚Spitzenpolitikern‘, zur Stimmungslage der Nation oder zu neuesten ‚Sonntagsfragen‘ konfrontiert werden, mit denen man versucht, uns die aktuelle Lage im Land in Balken- und Kreisdiagrammen zu erklären. Gleiches gilt auch für ökonomische Prozesse: Wir vernehmen regelmäßig einmal im Monat die Nachrichten über die Entwicklung der Inflationsrate und mindestens einmal im Jahr die Daten zum Bruttoinlandsprodukt, die uns vermitteln sollen, wie gut oder wie schlecht es dem Land und seiner Bevölkerung geht. Und auch für die Wissenschaft kann man in den letzten zwei Jahrzehnten eine zunehmende szientistische Grundhaltung beobachten. Das Beispiel der Hirnforschung zeigt dies recht gut. In den letzten Jahren begegnet man vermehrt ‚Bindestrichwissenschaften‘ wie etwa ‚Neuro-Soziologie‘, ‚Neuro-Ökonomie‘ oder ‚Neuro-Didaktik‘. Die Hirnforschung dringt also in wissenschaftliche Felder der Kultur- und Sozialwissenschaften vor, deren genuiner Forschungsgegenstand nicht etwa das Gehirn des Menschen, sondern der Mensch in seiner Totalität als sozial lebendes Kulturwesen ist. Sie ‚erobert‘ aber nicht nur andere Fächer, sondern ist auch schon länger medial auf dem Vormarsch.
Erst kürzlich hat Felix Hasler, der mehrere Jahre lang an der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich in der Halluzinogenforschung tätig war, mit seinem Buch „Neuromythologie: Eine Streitschrift gegen die Deutungsmacht der Hirnforschung“ weit über die Wissenschaft hinaus für Aufsehen gesorgt. Er wendet sich darin gegen den aktuellen und allgegenwärtigen „Neuro-Hype“, der den „fundamental falschen Eindruck“ erwecke, die „Hirnforschung wisse genau Bescheid über die biologischen Vorgänge, die unserem Erleben, Denken und Handeln“ zugrunde lägen.1 Die „modernen Neuro-Mythen“ seien zwar in der gesellschaftlichen Wahrnehmung angekommen – nicht zuletzt, weil die auf den ersten Blick eingängigen, durch bildgebende Verfahren sichtbar gemachten „Neuro-Thesen“ recht anschaulich wirkten. Doch die hochtechnischen Messverfahren, die „fotoähnliche Abbildungen des Geistes bei der Arbeit“ generierten, seien äußerst „stör- und irrtumsanfällig“ und bedürften mehr denn je einer Deutung.2
Die im Folgenden behandelte Thematik ‚Archäologie und ‚Naturwissenschaft‘ birgt unserer Meinung nach ein weiteres Indiz für den wachsenden Szientismus – auch oder gerade in den Wissenschaften.