Читать книгу Heimat-Heidi Staffel 4 – Heimatroman - Stefanie Valentin - Страница 9

Оглавление

»Christl?«

»Ja, Vater…?« Ein auffallend hübsches Mädchen betrat die Stube des Tannenhofs.

»Hat der Toni dich erreicht?« Der Tannhofer-Max sah seine zweitälteste Tochter fragend an.

Christl Wagaer schüttelte den Kopf. »Nein. Hat er angerufen?«

»Vor einer Stund’ etwa«, antwortete ihr Vater.

»Und was hat er wollen…?«

Der Tannhofer-Max lachte kurz auf. »Du hast vielleicht einen sonnigen Humor. Als wenn das ein junger Bursch dem Vater des Madels aufbinden würd’, dem er hinterhersteigt.«

Christl tat erstaunt. »Wie kommst denn darauf, daß der Toni mir nachsteigt?«

»Jetzt ist’s aber gut«, erwiderte ihr Vater. »Alle Augenblick ruft

er an, will dich sprechen und du tust dann auch immer ganz beflissen.«

»Ich tu’ beflissen?« Christls Stimme klang erstaunt. »Also, das wüßt’ ich aber.«

»Und was war, als der Toni kam und ein Madel brauchte, das ihm aushilfsweis’ beim Almausschank zur Hand geht?« Ihr Vater lächelte sie vielsagend an. »Und als er vor einem Monat etwa zur Kirchweih ins Unterallgäu wollt’, wer ist da mitgefahren?«

»Das… das hat nix zu bedeuten«, erwiderte Christl. »Einmal hab’ ich ihm lediglich einen Gefallen getan, und beim anderen Mal war mir halt nach feiern. Da bin ich net ihm zum Gefallen mitgefahren, sondern mir zum Gefallen.«

»Na ja«, brummelte der Max, »dann glaub du mal weiterhin an den Weihnachtsmann, jedenfalls hab’ ich dir ausgerichtet, daß der Toni angerufen hat und dir ausrichten läßt, daß du ihn zurückrufen sollst.«

»Ja«, erwiderte Christl, »das hast ausgerichtet, dank’ schön.«

»Du brauchst dich net weiter zu bedanken«, erwiderte ihr Vater, »aber dem Toni kannst was ausrichten.«

»Was denn…?«

»Daß am Sonnabend aus Vorderstein einige Burschen zu ihm kommen wollen «, antwortete der Max. »Und die, die kommen, meinen es net gut.«

»Was heißt das?« Christl sah ihren Vater erschrocken an.

»Daß der Weiner-Lenz mit ein paar Burschen hinauf auf die Alm vom Toni will«, antwortete der, »um ihm und seinem Almausschank einen Besuch abzustatten. Und der Besuch ist kein freundlicher, falls er das net weiß.«

»Was will der Lenz denn vom Toni?« Christl sah ihren Vater ein wenig ängstlich an.

»Das weiß ich net«, antwortete der. »Ich weiß nur, daß mit dem Lenz net gut Kirschen essen ist. Und wenn der mit einer Handvoll Burschen einem anderen einen Besuch abstatten will und herumtönt, daß es blaue Augen geben würd’, dann wird er net in freundlicher Absicht kommen.«

Christl wirkte einen Augenblick nachdenklich. Dann atmete sie tief durch und sagte, daß sie den Toni gleich anrufen würde.

Der Tannhofer-Max hatte drei Töchter, von denen eine hübscher als die andere war, aber unterschiedlich im Temperament. Die Moni war mit siebenundzwanzig die Älteste, dann kam die Christl, sie war vierundzwanzig, das Nesthäkchen war die Lissi, sie war zwanzig.

Die Mutter der Mädchen war vor neun Jahren an einer schweren Krankheit gestorben, aber trotz aller Gerüchte hatte der Tannhofer sich keine Frau mehr genommen.

Die Moni hatte den Haushalt übernommen, wobei sie von ihren beiden Schwestern, je nach Arbeitsaufkommen, unterstützt wur­de. Christl hatte im Bergerhof Servieren gelernt und hatte lange in einem der Vorderegger-Betriebe in Balding gearbeitet. Die Lissi hatte im vergangenen Jahr Abitur gemacht und wollte unbedingt Jura studieren, was ihrem Vater aber nicht recht schmeckte.

»Ich geh’ mal rasch anrufen«, sagte Christl, die es plötzlich eilig zu haben schien.

Als sie nach wenigen Minuten zurückkam, sah ihr Vater sie fragend an.

»Der Toni war net zu Haus«, sagte sie, »ich… ich wollt’ eh zur Bergerhof-Heidi und da kann ich gleich weiter zu ihm gehen. Vielleicht treff’ ich ihn ja sonstwo.«

»Dann sorgst dich also doch um den Toni?« Max ließ seine Tochter nicht aus denAugen.

Die wand sich ein wenig, bekam rote Ohren und vermied es, ihrem Vater eine Antwort zu geben.

»Willst wieder im Bergerhof aushelfen?« fragte der, wobei er das Thema wechselte.

Christl nickte. »Ja, zuerst hat die Resi vier Wochen Urlaub und anschließend geht die Gerti in Urlaub. Zwei Monat’ soll ich mindestens bleiben.«

»Bestell den Bergerhofschen schöne Grüße und sag, daß ich bald kommen würd’, um nach dem Herd zu sehen.«

»Ich werd’s ausrichten«, sagte Christl. Kurz darauf verabschiedete sie sich und ihr Vater ging in die Küche, wo Monika das Mittag­essen vorbereitete.

»Die Christl ist zum Essen heut’ net da«, sagte er.

»Das ist wurscht«, erwiderte seine älteste Tochter, »es gibt eh Eintopf. Was net gegessen wird, wird eingefroren und kommt einen anderen Tag auf den Tisch.«

Die Moni hatte die Haare zu einem Knoten aufgesteckt, war schlank und groß und wirkte, da sie kaum mal lachte, eher ernst und man konnte sie schon mal für älter halten als sie tatsächlich war.

Ihr Vater sorgte sich ein wenig um sie, denn Moni zeigte keinerlei Interesse, wenn ein Bursch sich um sie zu bemühte, was öfter der Fall gewesen war, doch inzwischen schon länger nicht mehr.

Dabei hatte der Tannhofer seiner Frau auf dem Sterbebett versprechen müssen, daß alle Töchter unter die Haube kamen, wobei die Tannhoferin betont hatte, daß die Töchter dem Alter entsprechend heiraten sollten.

»Max«, hatte seine Frau gesagt, »du mußt wirklich darauf achten, net daß nachher die Moni sitzen bleibt.« Als ob sie geahnt hätte, daß gerade ihre Älteste sich im Umgang mit Männer schwer tue.

*

»Du, in die alte Gaststub’ ist eben der Weiner-Lenz eingezogen«, sagte Heidi, als sie in die Küche kam, wo ihre Schwiegermutter dabei war, Salat zu putzen.

»Eingezogen?« fragte die, »was meinst denn mit eingezogen?«

»Na, er ist mit drei Spezln erschienen«, antwortete Heidi, »und hat derart großspurig getan, daß am Nachbartisch gleich zwei Burschen aufgestanden und gegangen sind. Jetzt hockt er wie ein König da und führt das große Wort.«

»Dann will er Ärger«, sagte Luise, während sie sich die Hände an einem Handtuch abwischte.

»Willst du hingehen?« Heidi sah ihre Schwiegermutter entsetzt an.

Die nickte. »Sicher will ich das. Oder meinst du, ich würd’ uns die Gaststube demolieren lassen? Da sind Sachen drin, die sind net zu ersetzen.«

»Jetzt bleib mal ganz ruhig«, erwiderte Heidi, »in der kleinen Gaststub’ sitzen ein paar Burschen, mit denen werd’ ich mal reden. Vielleicht sind die zu bewegen, in die alte Gaststub’ zu gehen, solang’ der Lenz und seine Spezl da sind.«

»Welche Burschen sind denn in der kleinen Gaststub’?« wollte Luise wissen.

»Der Karner-Hans und der Berner-Michl«, antwortete Heidi.

»Wer ist denn der Berner-Michl?« fragte Luise.

Heidi lächelte. »Daß du grad’ den net kennst…?«

»Was heißt das…?«

»Na, sein Großvater ist der beste Freund deines Mannes gewesen.«

Luise starrte Heidi einen langen Augenblick ungläubig an.

»Du meinst doch net etwa den Enkel vom Gustl?« fragte sie dann.

»Doch«, Heidi nickte, »genau den mein’ ich…!«

»Wo kommt der Bub denn her?« murmelte Luise »Ich denk’, der lebt mit seiner Mutter in Lindau am Bodensee.«

»Das hab’ ich ihn auch gefragt«, sagte Heidi.

»Und…?«

»Er studiert inzwischen in München.«

»Herrschaftseiten«, murmelte Luise mit verträumtem Blick. »Das kann ich gar net glauben. Ich seh’ den Bub noch vor mir, wie er dagesessen ist. Klein und ängstlich hat er dreingeschaut, als sein Großvater damals beigesetzt worden ist.«

»Oje, Luise«, erwiderte Heidi, »das ist lang’ her. Geh mal hin­über und schau dir den Michl an, du wirst staunen.«

»Wieso?«

»Geh hin und schau ihn dir an«, sagte Heidi. »Und wenn du schon mal da bist, dann kannst den beiden stecken, daß sie vielleicht in die alte Gaststub’ wechseln.«

Luise war schon auf dem Weg nach draußen, als sie noch mal stehen blieb.

»Und du meinst, daß der Berner-Michl der Richtige ist, um den Wiener-Lenz aufzuhalten?« Luises Blick verriet, daß sie daran nicht glaubte.

Doch Heidi lächelte. »Geh hinüber und schau ihn dir an. Dann kannst selbst urteilen.«

Luise ließ sich nicht lange bitten und ging. Als sie die kleine Gaststube, sie lag im Anbau des Bergerhofs, betrat, mußte sie nicht lange suchen, sondern steuerte gleich einen Tisch an, an dem zwei junge Burschen saßen und sich köstlich zu amüsieren schienen.

»Du bist der Berner-Michl«, sagte sie, ohne weitere Vorrede, »du siehst deinem Großvater Gustl derart ähnlich, da muß man net lange ratschlagen.«

Der junge Bursche lächelte, stand auf und gab Luise die Hand.

»Wenn du das so genau siehst«, sagte er, »dann bist du sicher die Bergerhof-Luise.«

»Herrschaftseiten, Bub«, murmelte die Seniorchefin des Bergerhofs, »wenn du wüßtest, wie sehr du mich an deinen Großvater erinnerst. Wenn der dich jetzt da sehen könnt’. Die Heidi hat gesagt, du würdest studieren?«

»Ich hab’ schon studiert«, antwortete Michl Berner.

»Da schau’ her«, murmelte Luise, »und was bist jetzt?«

»Ich bin Referendar«, antwortete der junge Bursche.

Im gleichen Moment hörte Luise aus dem Bereich der Theke eine laute Männerstimme und sie erinnerte sich daran, um was Heidi sie gebeten hatte.

Sie erklärte rasch um was es ging und fragte dann: »Meint ihr zwei, ihr könntet mal hinüber in die alte Gaststube gehen? Vielleicht läßt sich der Wiener-Lenz von euch ja ein bisserl einschüchtern?«

Bevor Michl noch einen Ton hätte sagen können, war Hans Karner schon aufgestanden.

»Der Weiner-Lenz ist drüben?« fragte er, wobei er gar nicht freundlich dreinschaute.

Luise nickte. »Ja, er hockt da und tönt herum, wie er es immer tut, wenn er was im Schilde führt.«

Hans Karner grinste Michl an. »Du kannst ruhig da bei der Luise bleiben. Ich erledig’ das drüben schon allein.«

»Das geht net«, rief Luise hinter ihm her. »Der Lenz ist net

allein’, einige Spezln sind bei ihm.«

Doch Hans Karner hatte die Gaststube schon verlassen, durchquerte den Thekenbereich und betrat dann die alte Gaststube. Dort saß Lenz mit drei seiner Spezln am Tisch und führte das große Wort. Die anderen Gäste hatten die alte Gaststube inzwischen verlassen.

Als Lenz mitbekam, wer die Gaststube betreten hatte, zuckte er zusammen. Doch da Hans offensichtlich alleine war, dauerte sein Erschrecken nur wenige Momente, dann breitete sich ein Grinsen auf seinem Gesicht aus.

»Der Herr Karner«, sagte er, wobei er jedes Wort bedächtig aussprach, »wagst dich wieder mal unter die Menschen? Was willst du denn da im Bergerhof? Sonst kommst doch kaum heraus aus deinem Bau.«

»Ich hab’ geahnt, daß ich dich hier treff’«, erwiderte Hans, auf dessen Gesicht ein amüsiertes Lächeln Platz gefunden hatte.

»Und ich wollt’ mir eine Begegnung mit dir einfach net entgehen lassen. Schließlich ist’s dir ja lange Zeit gelungen, mir aus dem Weg zu gehen.«

Das Grinsen in Lenz Weiners Mimik erstarrte. Er stemmte die Hände auf die Tischplatte, so wie man es tut, wenn man aufstehen will.

Doch gerade als er das tun wollte, wurde die Tür geöffnet und Michl Berner kam herein. Er lächelte in die Runde, durchquerte die alte Gaststube und stellte sich demonstrativ neben Hans Karner. Während er mit einer Kopfbewegung in Richtung von Lenz Weiner und seinen Spezln zeigte, sah er Hans fragend an.

»Was ist mit denen?« wollte er schließlich wissen.

»Kennst du den Weiner-Lenz?« erwiderte Hans.

Michl schüttelte den Kopf. »Sollt’ ich den kennen?«

Hans tat so als überlege er, dann winkte er ab. »Wenn ich’s mir recht überleg’, dann brauchst gar net zu wissen, wer er ist.«

»Dann geh’ ich wieder hinüber und wart’ auf dich«, sagte Michl, »aber laß mich net zu lang’ warten. Net daß es mir langweilig wird.« Dann grinste er. »Oder soll ich lieber hierbleiben?«

Hans schüttelte den Kopf. »Nein, brauchst du net. Die Burschen wollen eh gehen.«

Daraufhin sahen Lenz Weiners Spezln ihren Anführer an. Sie erwarteten von ihm, daß er reagierte. Doch der schien plötzlich völlig verunsichert zu sein. Er vermied es, Hans oder Michl anzusehen und stand plötzlich auf.

»Willst du gehen?« fragte Hans.

»Und wenn ich’s will?« erwiderte Lenz.

»Dann vergiß das Zahlen net«, sagte Hans.

Lenz nestelte einen Geldschein aus der Jackentasche, ließ ihn auf die Tischplatte fallen und wirkte unentschlossen.

»Wolltest du net gehen?« fragte Hans. »Gezahlt hast ja nun, jetzt steht deinem Gehen nix mehr im Weg.«

Wie in Zeitlupe bewegte sich Lenz daraufhin hinter dem Tisch hervor. Seine Spezln starrten ihn an und schienen nicht glauben zu können, was sie sahen. Ihr Lenz, den sie wegen seines Auftretens bewunderten, kniff, ohne daß wer auch nur einen Finger gerührt hatte.

»Ihr dürft auch gehen«, sagte Hans Karner, wobei er ganz ruhig, ja fast gütig wirkte.

Da standen auch Lenz’ Spezln auf und gemeinsam verließen sie die alte Gaststube des Bergerhofs. Als die Tür hinter ihnen ins Schloß fiel, grinsten sich Hans Karner und Michl Berner an.

»Wofür war das jetzt gut?« fragte der.

»Der Weiner-Lenz ist einer der übelsten Schläger der Gegend«, antwortete Hans. »Wenn es dem einfällt, dann nimmt der eine Gaststube binnen weniger Minuten auseinander.«

»Und du meinst, das hätt’ er vorgehabt…?«

Hans schüttelte den Kopf. »Das glaub’ ich eher net. So wie er heut’ hier aufgetreten ist, wollt’ er sich Mut machen.«

»Was heißt das…?«

»Daß er was vorhat«, antwortete Hans.

Dann wurde die Tür der Gaststube geöffnet, und Luise steckte den Kopf herein. »Sind sie weg?«

Hans nickte und zeigte auf den Geldschein auf dem Tisch. »Gezahlt hat der Lenz auch.«

»Aber er hatt’ doch schon gezahlt«, murmelte Luise. »Was soll das denn heißen?«

»Daß sie es eilig hatten, davon zu kommen«, erwiderte Michl Berner.

»Einen Moment bitt’ schön«, sagte Luise, »grad’ eben ist die Christl vom Tannhofer-Hof gekommen. Sie hat was Interessantes zu berichten.«

Hans und Michl sahen das hübsche Mädchen aufmerksam an, als es die alte Gaststube betrat.

»Servus…!« Hans lächelte freundlich. »Was gibt’s denn?«

»Der… der Vater hat gesagt«, antwortete Christl, »daß er letztens mitbekommen hat, daß der Weiner-Lenz dem Schall-Toni droben auf der Alm im Almausschank einen Besuch abstatten will.«

»Aha«, Hans nickte, »und ich irr’ mich net, wenn feststeht, daß der Besuch net freundlich sein wird, oder?«

Christl nickte. »So ist es.«

»Weißt du auch, wann der Besuch stattfinden soll?« Hans sah Christl fragend an.

Die nickte noch mal. »Ja, morgen, am Sonnabend. Aber wann morgen, das weiß ich net.«

Da drehte Hans den Kopf und sah Michl an. »Den Schall-Toni kennst du doch, oder?«

»Sicher kenn’ ich den Toni«, antwortete der junge Bursch. »Wer kennt da den Toni nicht?«

»Du willst doch wieder mehr Kontakt hierher haben, wenn ich dich richtig verstanden hab’, oder?« fragte Hans.

Michl nickte. »Ja.«

»Dann könntest dich mit einem kleinen Beistand gut einfügen«, sagte Hans.

»Du meinst, ich sollt’ mit dir auf die Alm gehen und dem Toni beistehen?« Ein Lächeln, das zeigte, wie sehr ihn der Gedanke amüsierte, umspielte seine Mundwinkel.

Hans Karner nickte. »Ja, so ähnlich zumindest.«

»Ich bin dabei«, erwiderte Michl. »Ich schätz’ mal, daß es eine Mordsgaudi geben wird.«

Hans grinste übers ganze Gesicht. »Davon kannst getrost ausgehen…!«

*

»Servus, Toni.« Christl strahlte den überraschten Burschen überaus freundlich an. Daß sie ihn mochte, sah man auf den ersten Blick.

»Hallo…!« Toni wischte sich die Hände an der krachledernen Hose ab.

»Wunderst dich gar net, daß ich herauf zu dir komm’?« wollte Christl wissen.

»Schon«, antwortete Toni. »Aber… also, ich hatt’ angerufen bei euch, aber du warst net da. Ich hab’ eher damit gerechnet, daß du zurückrufst.«

»Das hab’ ich auch versucht«, erwiderte Christl, »Aber es ist wieder mal was mit deinem Telefon net in Ordnung.«

Toni nickte. »Ich weiß, ich werd’ mir ein neues holen müssen. Das alte funktioniert nimmer zuverlässig.«

»Da bin ich halt heraufgekommen«, sagte Christl.

»So spät noch…?« Toni sah gegen den Himmel. »In einer Stund’ ist’s schon arg dämmerig. Ich werd’ dich nachher nach Haus’ bringen müssen.«

»Das ist net nötig«, erwiderte Christl. »Ich will dir nur was sagen, dann bin ich schon wieder weg.«

»Du bist gekommen, um mir was zu sagen?« Toni zeigte auf die Bank vor der Hütte. »Setz dich, magst was trinken?«

Christl schüttelte den Kopf. »Jetzt net, danke.«

»Was willst mir denn sagen?«

»Daß der Weiner-Lenz morgen mit ein paar Spezln herauf zu dir kommen will«, antwortete Christl. »Der Vati hat zufällig gehört, wie’s der Lenz herumgetönt hat.«

»Da schau her, der Lenz…!«

Christl nickte. »Ja, und daß es kein freundlicher Besuch sein wird, steht auch fest, weil der Lenz gesagt hat, es würd’ blaue Augen geben.«

Toni nickte. »Aha. Dann weiß ich ja, auf was ich mich einzurichten hab’.«

»Du… du wirst dich allein gegen die Burschen net zur Wehr setzen können«, erwiderte Christl.

Toni zuckte mit den Schultern. »Es bleibt mir möglicherweise nix anderes übrig.« Dann grinste er. »Aber mit dem Lenz werd’ ich schon fertig werden.«

»Jetzt ist’s aber gut«, erwiderte Christl. »Nimm das net auf die leichte Schulter. Deswegen bin ich net heraufgekommen.«

Toni grinste. »Weswegen bist denn heraufgekommen?« Er wollte mit einer spielerischen Bewegung nach Christl greifen.

Doch sie wich ihm aus und runzelte die Stirn. »Toni Schall. Ich hab’ den weiten Weg herauf net gemacht, um net ernst genommen zu werden.«

»Was soll ich denn machen?« fragte Toni. »Ich weiß, daß der Lenz kommt und irgendwas von mir will, na und? Das ist nix Neues. Der will ständig was von irgendwem. Diesmal halt von mir. Ich kann’s net ändern.«

»Und wenn er dich übel zurichtet?« fragte Christl, »was dann?«

»Dann passiert’s eben«, antwortete Toni. »Ich kann net ständig wen bitten, bei mir hier oben zu sein. Da muß der Lenz nur aufpassen, bis ich mal allein bin. Wenn er dann mit seinen Spezln kommt, werd’ ich eine ordentliche Tracht bekommen, für die vielen Male mit, wo’s net geklappt hat.«

»Du willst dich also net bemühen, daß dir morgen jemand beisteht…?« Christls Augen blitzten.

Toni schüttelte den Kopf. »Das kommt net in Frage…!«

»Dann… dann kann ich dir auch net helfen…!« Christl hatte Tränen in den Augen. Sie drehte sich auf dem Absatz um und ging mit ausholenden Schritten die Alm hinunter, wobei sie sich nicht einmal umsah.

*

»Das wär’ ein bisserl arg zeitig für den Lenz«, murmelte Toni, als er am nächsten Morgen zeitig in der Früh zwei Gestalten auf dem ausgetretenen Pfad über die Alm kommen sah.

Es war kurz nach acht Uhr in der Früh und Toni blieb vor der zum Almausschank umgebauten ehemaligen Almhütte stehen, bis er wußte, wer ihn da besuchen kam.

»Da schau her«, murmelte er, »der Karner-Hans. Der ist aber lang’ net dagewesen.«

Wer mit dem Karner-Hans die Alm heraufkam, wußte er nicht. Auch als die beiden bei ihm waren, hatte er keine Ahnung, wen Hans mitgebracht hatte.

»Kennst ihn nimmer?« fragte der, während er breit grinste.

Toni schüttelte den Kopf. »Net daß ich wüßt’.«

»Du bist mit ihm im gleichen Klassenzimmer gesessen«, sagte Hans. »In der Grundschul’. Zwar net in der gleichen Klass’, aber damals waren in der Grundschul’ ja noch vier Klassen zusammen.«

»Wir zwei…?« Toni zeigte zuerst auf Michl Berner, dann auf sich. »Wir sollen in der Grundschul’ gewesen sein? Wie alt bist denn du?«

»Neunundzwanzig«, antwortete Michl, »im übernächsten Monat mach’ ich die Dreißig voll.«

Plötzlich entspannte sich Tonis Gesicht und er grinste. »Jetzt weiß ich, wer du bist, der Schuster-Ferdl. Der ist damals mit seiner Familie ins Werdenfelsische gezogen und…!«

»Nix da«, erwiderte Toni, »jetzt wird’s allmählich peinlich. Als ich ihm gestern erklärt hab’, worum es heut’ ging, da hat er net lang’ gefragt, sondern ist gleich mitgekommen.«

»Wie, worum es geht?« Verständnislos sah Toni seine beiden Besucher an.

»Hat dir die Christl nix gesagt?« fragte Hans.

Toni schüttelte den Kopf. »Sie war zwar da und hat mir erzählt, daß der Weiner-Lenz mir einen Besuch abstatten will, aber von euch hat sie nix gesagt. Und daß er mitkommt, mit dem ich in

einem Klassenzimmer gesessen bin, den ich aber net wiedererkenn’, das hat sie mir auch net gesagt.«

»Ganz vorn ist er gesessen«, sagte Hans, »ein bisserl spillerig ist der damals gewesen.«

»Michl?« fragte der Toni daraufhin. »Bist du am End’ der Berner-Michl?«

»Endlich«, murmelte Hans Karner, »es ist jetzt wirklich schon peinlich gewesen.«

»Ja, Herrschaftseiten«, erwiderte Toni, »wie soll ich den Michl denn erkennen? Damals ist er ein Bürscherl gewesen und heut’? Bei allem was recht ist, Bürscherl ist er bestimmt keiner mehr.«

Dann gab Toni Michl Berner die Hand, daß beide sich ehrlich freuten, stand außer Frage.

»Was treibt dich denn hierher zurück?« wollte Toni wissen. »Wohnst du inzwischen net in Lindau?«

Michl nickte. »Eigentlich schon, ja. Aber ich bin jetzt für ein Jahr ans Amtsgericht in Kempten versetzt und da hab’ ich gemeint, ich schau’ mich da mal um, wo meine Familie früher einmal daheim gewesen ist.«

»Was machst denn du am Amtsgericht?« wollte Toni wissen.

»Er ist Rechtsreferendar«, sagte Hans Karner. »Wenn wir dem Weiner-Lenz den Hintern versohlt haben, dann kann er ihn am Montag gleich aburteilen.«

»Du bist Jurist?« Ein wenig ungläubig sah Toni seinen ehemaligen Schulkameraden an.

Der nickte. »Ja, das erste Staatsexamen hab’ ich. Jetzt mach’ ich meine Referendarzeit und dann werd’ ich wohl die Laufbahn eines Anwalts einschlagen.«

»Da schau her…!«

Dann wechselte Toni das Thema. »Was habts ihr denn mit dem Weiner-Lenz zu tun?«

»Wir möchten dabei sein, wenn er kommt und dir blaue Augen verpassen will«, antwortete Hans.

»Den Lenz schaff’ ich allein«, erwiderte Toni, »es ist nett, daß ihr mir helfen wollt, aber für einen Weiner-Lenz reicht, was ich an Dampf in den Fäusten hab’.«

Hans nickte. »Das glaub’ ich dir. Aber der Michl und ich werden darauf achten, daß nur der Lenz derjenige ist, der dir blaue Augen verpassen will. Wir werden dir lediglich seine Spezl vom Leib halten. Das heißt, wenn es recht ist.«

Toni grinste übers ganze Gesicht. »Dagegen ist nix zu sagen.«

Dann sah er auf die Uhr. »Es kann lang’ dauern, bis der Lenz und seine Spezl kommen…!«

»Um so schöner«, erwiderte Michl, »dann können wir uns inzwischen ein bisserl amüsieren.«

Da winkte der Karner-Hans ab. »Alles Amüsement ist nix gegen das, wenn der Toni nachher dem Weiner-Lenz ein bisserl Anstand beibringt.«

*

»Habts ihr mich verstanden?« Der Weiner-Lenz starrte seine Spezl zornig an. »Ich hab’ keine Lust alles dreimal zu sagen, nur weil ihr blöd seid.«

»Was gibt’s denn da viel zu verstehen?« fragte ein spindeldürrer Bursch. »Wir gehen hinauf in seinen Ausschank, setzen uns irgendwohin, warten, bis niemand mehr da ist und hauen dem Toni eine rein.«

»Net wir hauen ihm eine rein«, entgegnete Lenz mit ärgerlichem Unterton in der Stimme, »sondern ich hau’ ihm eine rein. Hast mich verstanden?«

»Ist ja schon gut«, wehrte der Spindeldürre mit einer wegwerfenden Handbewegung ab.

»Ich mag so was net«, erwiderte Lenz und seiner Stimme war anzuhören, wie zornig er war.

Dann herrschte Ruhe. Außer Lenz waren noch drei seiner Spezln bei ihm, sozusagen der harte Kern seiner Gang.

»Wann willst denn gehen?« fragte schließlich einer. »Nix tun und nur blöd herumsitzen ist net meine Sach’.«

Lenz hätte gern erwidert, daß er bestimme, was wessen Sache sei, doch er wußte, daß er nicht übertreiben durfte. Deshalb beauftragte er einen, er solle einige Karton Bier holen.

»Aber Dosen«, sagte er, »wenn die leer sind, können wir sie wegwerfen. Wir fahren dann bis zum Bergerhof, stellen da den Wagen ab und gehen den Serpentinensteig hinauf.«

»Du willst net ganz hinauffahren?« maulte einer.

»Nein, will ich net«, erwiderte Lenz.

»Und warum net?«

»Weil ich es net will«, schrie Lenz, der sich plötzlich nicht mehr in der Gewalt hatte. »Ich hab’ keine Lust, alle Augenblick Erklärungen abzugeben. Entweder du machst, was ich anschaff’, oder du kannst verschwinden. Dann aber plötzlich…!«

Lenz starrte den jungen Burschen zornig an, bis der schließlich mit den Schultern zuckte, was ausdrücken sollte, daß er sich Lenz’ Vorherrschaft unterwarf.

»Ich geb’ nachher einen aus«, sagte der, wobei er breit grinste. »Wenn wir von der Alm kommen, gehen wir in den Bergerhof.«

»Und wenn der Karner-Hans und der andere wieder da sind?« wollte einer wissen.

»Dann mischen wir sie auf«, erwiderte Lenz, wobei seine Augen plötzlich zu schmalen Schlitzen zusammengezogen waren.

Eine halbe Stunde später waren sie unterwegs. Der das Bier holen sollte, hatte vorgeschlagen, es im Bergerhof zu holen.

»Wenn wir uns zuerst auf ein Bier in die Gaststube hocken«, sagte er, »dann erfahren wir auch, ob schon wer hinauf zum Ausschank ist…!«

Lenz überlegte einen Moment, dann nickte er. »Gar keine üble Idee. Wir kehren erst im Bergerhof ein. Da erfahren wir einiges, was interessant ist. Zum Beispiel, wer der andere Bursche war. Ich hab’ ihn da jedenfalls noch nie gesehen.«

»Irgendwie kam er mir bekannt vor«, sagte der Spindeldürre, »aber ich hab’ keine Ahnung woher…!«

»Es ist mir wurscht, wer er ist«, erwiderte Lenz, »ich hab’ deshalb nix unternommen, weil ich unsere Sach’ heut’ net gefährden wollt’. Wenn mir der Kerl noch mal begegnet, gleich wo, dann erlebt er sein blaues Wunder.«

Dieses Reden gefiel seinen Spezln, das sah man ihnen deutlich an. Sie grinsten und standen auf, was bedeutete, daß sie aufbrechen wollten.

Die Fahrt zum Bergerhof verlief weitgehend ruhig, erst als sie den Wagen auf dem Parkplatz abstellten, begannen sie wieder herumzutönen.

»Der Toni kann sich schon mal ein Krankenhaus aussuchen«, sagte der Jüngste der Spezln.

Lenz griff nach dessen Jackenkragen und zog ihn zu sich heran.

»Du mußt net jeden Tag beweisen, wie blöd du bist«, zischte er ihn an. »Hier brauch nur wer zu hören, was du sagst und zwei und zwei zusammenzählen, dann ruft der beim Toni an und der verbarrikadiert sich oder ruft einige seiner Spezl zusammen. Dann kriegen wir alle eine rein und stehen außerdem auch noch dumm da.«

Der Angesprochene wand sich, und nickte schließlich. »Ist ja schon gut, du hast ja recht.«

Im Bergerhof war man inzwischen schon auf den Lenz und seine Burschen aufmerksam geworden.

»Da schau«, sagte Luise, während sie mit einer Kopfbewegung aus dem Fenster zeigte, »der Weiner ist schon wieder da.«

»Wir haben ein Gasthaus«, erwiderte Heidi, »wir können ihn net ausschließen. Wenn er sich anständig benimmt, dann müssen wir ihn ertragen.«

Christl hatte an jenem Tag ihren Aushilfsdienst im Bergerhof angetreten. Als sie den Lenz und seine Spezln aus dem Wagen steigen sah, ging sie gleich in die Küche zu Luise und Heidi.

»Die gehen von da weg hinauf zum Toni«, sagte sie, wobei sie ängstlich dreinsah.

»Jetzt bleib ganz ruhig«, erwiderte Heidi. »Der Weiner-Lenz ist mißtrauisch wie selten einer und wenn er was spannt, dann bläst er seinen Besuch beim Toni ab.«

»Das wär’ doch gut«, entgegnete Christl.

»Ja«, Heidi nickte, »aber nur solang’, bis er wieder hinaufgeht und dann hat der Toni niemanden, der ihm beisteht. Wenn der Lenz Widerstand spürt, dann gibt er rasch auf. Er kann sich seines Ansehens wegen bei seinen Spezln keine dauernden Niederlagen leisten.«

»Dann soll ich ganz freundlich sein und so tun, als ob gar nix wär’?« Christl schien es nicht fassen zu können.

Doch Heidi nickte. »Genauso tust es. Und wenn du es net kannst, dann bleibst weg von ihnen.«

»Nein, nein«, sagte Christl, »das geht schon…!«

»Und daß du dich net verplapperst und sagst, daß der Hans und der Michl schon droben beim Toni sind«, mahnte Heidi.

»Ist schon klar«, erwiderte Christl, dann verließ sie die Küche und ging in die alte Gaststube, wo der Lenz mit seinen Spezln saß.

»Die Tannhofer-Christl«, sagte der, »da schau her. Bist wieder im Bergerhof beschäftigt?«

»Nur aushilfsweis«, antwortete das hübsche Mädchen, »solang’ die Resi und die Gerti in Urlaub sind.«

»Wir hätten gern jeder ein Bier«, sagte Lenz, »und dann für jeden noch drei Dosen als Wegzehrung.«

»Wo wollt ihr denn hin?« wollte Christl wissen.

»Auf die Alm«, antwortete Lenz, »ist heut’ schon wer hinauf?«

Christl schüttelte den Kopf. »Bisher noch net. Aber es ist auch noch ein bisserl zu früh im Jahr, daß viele Leute auf die Almen gehen.«

Der Lenz nickte zufrieden. Er und seine Spezln tranken ihr Bier aus, Lenz zahlte alles und gab sogar ein reichlich bemessenes Trinkgeld, dann grinste er und zog mit seinen Spezln ab.

*

Lissi war die jüngste der Tannhofer-Töchter. Sie war auch die kesseste und vielleicht, aber das mag am Betrachter liegen, um winzige Nuancen auch die hübscheste.

Lissi war stets gut aufgelegt, am liebsten war sie mit Freunden unterwegs, was ihren Vater eher aufregte, denn er hatte seine Töchter lieber um sich.

»Hallo, Vati!« Lissi strahlte ihren Vater an. »Ist immer noch keine Post wegen meines Studienplatzes gekommen?«

Der Tannhofer-Max verzog das Gesicht. Wenn das Gespräch auf Lissis Studium kam, schaltete er auf stur, davon wollte er nichts wissen.

»Hast wieder mal deine Schwierigkeiten?« fragte Lissi. »Ich versteh’ gar net, was du dagegen hast, daß ich nach München geh’ und studier’? Das tun inzwischen viele junge Madln.«

»Ja«, erwiderte ihr Vater, »das weiß ich. Es macht die Sach’ aber auch net besser.«

»Und was ist falsch daran?« Lissi sah ihren Vater aufmerksam an.

»Ein Madel wie du sollt’ zu Haus bleiben«, antwortete ihr Vater.

»Und dann?« fragte Lissi. »Warten bis der Märchenprinz kommt? Also, das ist nicht meine Sach’. Schau dir doch die Moni an. Sie ist siebenundzwanzig und noch immer ist sie solo. Net daß dagegen was zu sagen wär’, aber dahocken und warten, bis da mal der kommt, der einem das Herz erweicht?« Sie schüttelte energisch mit dem Kopf.

»Und was erhoffst du dir von einem Studium?« fragte ihr Vater.

Es war das erste Mal, daß die beiden so offen über das Thema redeten. Bisher hatten sie zwar die Positionen des anderen gekannt, aber darüber miteinander geredet hatten sie nie.

»Vor allem, daß ich mal unabhängig bin von einem Mann, der mich zu versorgen hat«, erwiderte Lissi. »Außerdem möcht’ ich meinen Horizont gern noch ein bisserl erweitern.«

»Und das geht nur bei einem Studium in München…!« Der Tannhofer stand auf, und ging zur Kredenz, wo er eine Schublade aufzog. »Daß deine Mutter gleich nach eurer Geburt Geld weggelegt hat, um euch eine Ausbildung zu garantieren, das weißt du?«

Lissi schüttelte den Kopf. »Nein, das weiß ich net.«

»Dann weißt du’s jetzt«, erwiderte ihr Vater. »Sie hat damals ihre ganze Mitgift für euch angelegt. Eine wird im Haus bleiben, hat sie gesagt, eine wird da in der Gegend gut heiraten und eine wird eine gute Ausbildung benötigen, für die verwendest dann das Geld. Wie’s ausschaut, bist du das.«

Lissi stand da und starrte ihren Vater benommen an. »Heißt das, daß… ich mein’, hast nix mehr dagegen, daß ich studier’?«

Um Max Wagners Mundwinkel huschte ein Lächeln, dann schüttelte er den Kopf.

»Ganz und gar net, mein Madel«, murmelte er, wobei seine Stimme einen ganz besonders weichen Klang hatte.

»Aber wieso hast denn du bei jeder sich bietenden Gelegenheit dagegen geredet?«

»Ich wollt’ erst mal sehen, wie ernst es dir damit war«, antwortete der Tannhofer.

»Ist das wirklich wahr?« Lissi ließ ihren Vater nicht aus den Augen.

Der nickte. »Ja, das ist wahr. Ich seh’ nämlich net ein, daß du nach München gehst, nur um dir einen schönen Tag zu machen. Ernsthaftigkeit gehört zu einem Studium, das steht wohl außer Frage.«

Einen Moment noch war Lissi still, sie sah ihren Vater an wie jemand, den man lange nicht mehr gesehen hat und dessen Auftauchen einem Rätsel aufgibt.

»Das gibt’s doch gar net«, sagte sie schließlich, »da wird man vom eigenen Vater gefoppt und man kann net mal was dagegen sagen. Ein bisserl Vertrauen wär’ net schlecht…!«

»Das ist ja richtig«, erwiderte ihr Vater, »aber wenn du dir Mühe gibst, dann verstehst mich auch. Wenn ich zu allem Ja und Amen sagen würd’, was du bisher von mir gewollt hast, also, dann hätt’ ich kein Haar mehr auf dem Kopf.«

Zuerst schien es, als wenn Lissi zornig reagieren würde, doch dann huschte ein Lächeln über ihr Gesicht. Sie stand auf, ging zu ihrem Vater, legte die Arme um seinen Hals und einen langen Moment drückte sie sich an ihn.

»Ich weiß, was du meinst«, sagte sie dann, »und ich freu’ mich riesig, daß du nix mehr gegen meine Pläne hast.« Dann zögerte sie einen Augenblick. »Auch wenn ich plötzlich ein bisserl Angst in mir spür’…!«

*

»Du«, sagte der Karner-Hans zu den anderen beiden, »sie kommen. Vier sind’s, der Weiner-Lenz geht vornweg.«

Toni hatte vorgeschlagen, in der Hütte zu warten, um den Lenz und dessen Kumpane nicht vorzeitig zu warnen. Jetzt stand Hans auf und sah auch aus dem Fenster.

»Das ist der harte Kern seiner Truppe«, sagte er, »seine Burschen sind ihm treu ergeben.«

»Und…?« Hans sah Toni fragend an.

Der grinste. »Es ist schon gut, daß ihr da seid.«

»Und wie soll’s jetzt weitergehen?«

»Ich geh, wenn sie da sind, hinaus«, antwortete Toni, »frag’ was sie wollen und wenn der Lenz mir seine Pläne dargelegt hat, dann könnt ihr kommen und dafür sorgen, daß ich den Handel allein mit ihm beschließen kann.«

Hans nickte. »Das ist in Ordnung, oder?« Er sah Michl an, der bisher noch keinen Ton dazu gesagt hatte.

»Ich hab’ nix dagegen«, antwortete der.

»Vielleicht hältst du dich ganz heraus«, sagte Hans. »Mir ist vorhin eingefallen, daß man dir möglicherweise einen Strick daraus drehen könnt’.«

»Woraus?« Toni sah Hans fragend an.

»Wenn der Michl in eine tätliche Auseinandersetzung verwickelt ist, und das wird bei der Kemptener Justiz bekannt, dann könnt’ man es ihm übel auslegen. Oder?« Er sah Michl fragend an.

Der zuckte mit den Schultern. »Ich hab’ auch schon daran gedacht. Aber wenn ich in was verwickelt werd’, das heißt, wenn wer mir ans Hemd will, dann werd’ ich mich zur Wehr setzen dürfen.« Dann grinste er. »Etwas anderes wird man mir vielleicht als schwerwiegender auslegen.«

»Was denn…?«

»Ich betreibe seit Jahren Kampfsportarten.«

»Oh…!« Toni grinste. »Meinst so was wie Kung Fu?«

Michl lächelte. »Im weitesten Sinn.«

»Oje«, murmelte Hans, »armer Lenz…!«

»Ich werd’ mal hinausgehen«, sagte Toni, »in ein paar Minuten sind sie heroben.«

»Ist schon recht«, erwiderte Hans, der sich neben Michl an eines der Fenster stellte. Da die Fenster Stores hatten, konnte man die beiden von außen nicht sehen.

»Da schau her, der Weiner-Lenz und seine Spezln«, hörten sie kurz darauf den Toni sagen. »Und dann schon so zeitig am Tag. Was bringt euch denn herauf auf die Alm?«

»Servus, Toni…!« Lenz gab sich ungewohnt freundlich. »Daß wir heraufkommen, hat keinen besonderen Grund. Wir wollten was unternehmen und da hat der Gerald gesagt, wir könnten doch mal dich besuchen. Da sind wir.«

»Das ist schön«, erwiderte der Toni. »Vor allem, wenn sonst keiner unterwegs ist.«

»Dann bist du alleine?« Plötzlich hatte Lenz’ Stimme was Lauerndes.

Toni zeigte um sich. »Siehst du außer euch noch wen?«

Lenz schüttelte grinsend den Kopf. »Nein, tu’ ich net.« Dann ging er zu einer der Bänke und setzte sich. »Gibt’s ein Bier?«

Toni nickte. »Sicher.« Dann sah er die anderen an. »Ihr auch?«

»Logisch«, antwortete Lenz für seine Spezl, »Bier für alle.«

Toni verschwand in der Hütte, nahm vier Flaschen Bier, Gläser und brachte sie nach draußen. Michl und Hans waren nicht zu sehen, sicher waren sie in einer der Kammern.

»Gläser brauchen wir keine«, sagte Lenz, dann nahm er eines der Gläser vom Tablett und warf es gegen einen Felsbrocken, wo es zersplitterte.

Seine Spezln wieherten vor Lachen, der Lenz grinste selbstgefällig.

»Was soll das?« fragte Toni. »Die Scherben hebst du auf und das Glas zahlst auch.«

Lenz lachte. »So? Tu’ ich das?« Dann nahm er die anderen drei Gläser und warf sie nacheinander ebenfalls gegen den Felsbrocken, wo sie wie das erste zerbarsten. Dann grinste er Toni an. »Und jetzt? Was ist jetzt?«

Der grinste zurück. »Jetzt machst die Scherben von vier Gläsern weg und du zahlst auch vier Gläser.«

»Wer sagt das…?«

»Ich sag’ das.« Tonis Selbstbewußtsein schien unverwüstlich.

»Und wie willst es anstellen, daß ich die Scherben aufheb’?« Lenz schien nicht weniger selbstsicher.

»Zuerst würd’ ich dich bitten…!«

»Und dann?«

»Würd’ ich dir’s auftragen.«

»Und wenn das auch nix hilft?«

»Dann würd’ ich dich am Ohrwatschl nehmen und zu den Scherben ziehen.» Toni grinste übers ganze Gesicht.

»Warum versuchst du’s denn net?« fragte Lenz, der nun nicht mehr grinste, sondern immer ernster wurde.

»Weil ich annehme, daß du ein vernünftiger Mensch bist«, antwortete Toni.

»Und wenn ich’s net bin?« Lenz stand auf.

»Dann nehm’ ich dich beim Ohrwatschl«, antwortete Toni, »so wie ich’s gesagt hab’.«

»Du nimmst dein Maul net ein bisserl voll?«

Toni schüttelte den Kopf. »Nein, warum?«

»Weil wir zu viert sind und du allein«, antwortete Lenz.

Toni grinste. »Das stimmt so net.«

»Was stimmt net?«

»Daß ich allein’ bin.«

»Du hast es aber gesagt«, zischte der Weiner-Lenz.

Toni schüttelte den Kopf. »Auf deine diesbezügliche Frage hab’ ich von dir wissen wollen, ob du wen siehst? Gesehen hast du niemanden. Daraus hast geschlossen, daß niemand mehr da ist.«

Man sah dem Lenz an, daß er unsicher wurde. Obwohl er das noch nicht zugeben wollte.

»Du reißt das Maul weit auf«, fuhr der Lenz den Toni an, »wenn wer da wär’, denn hättest du ihn längst gerufen.«

»Wieso sollt’ ich?« erwiderte Toni. »Noch komm’ ich blendend allein zurecht.«

»Jetzt red net länger«, schrie einer von Lenz’ Kumpanen, »sondern tu, weswegen du heraufgekommen bist. Hau ihm endlich eine rein.«

»Da schau her…!« Toni stemmte die Fäuste in die Hüften. »Du bist extra heraufgekommen, um mir eine hereinzuhauen?« Er lachte. »Davon bist aber noch arg weit weg.«

Der Weiner-Lenz preßte die Lippen aufeinander, seine vorher so überdeutlich präsentierte Selbstsicherheit war urplötzlich verschwunden.

»Was ist jetzt?« Auch Toni änderte seine Art zu reden. Auch

er wurde lauter, nur daß es bei ihm keine Unsicherheit war. »Entweder hebst jetzt die Scherben auf, zahlst das Bier und verschwindest samt deinen Deppen von da…!«

»Oder…?« Lenz’ Stimme klang nicht eingeschüchtert.

»Oder ich nehm’ dich beim Ohrwatschl«, antwortete Toni. »Ich red’ net dumm daher, das solltest du wissen.«

Wenn der Lenz alleine gewesen wäre, hätte er kurzerhand getan was ihm Toni auftrug. Doch er war nicht alleine. Am Vorabend im Bergerhof hatte er schon Federn lassen müssen, das wollte er nun auf alle Fälle vermeiden.

»Ich fürcht’ mich net«, erwiderte Lenz.

Da tat Toni einen Schritt auf ihn zu und…!

… Lenz hob beide Hände, als wolle er einer Konfrontation ausweichen.

»Was ist los mit dir?« Der Spindeldürre seiner Spezln war knallrot im Gesicht. »Hast du vor dem Kerl Angst? Du hast doch allweil die große Goschen. Davon ist jetzt net viel zu spüren.«

»Hast gehört, was dein Paladin gesagt hat?« erwiderte Toni.

Derweil ging einer von Lenz’ Spezln zur Hütte und öffnete die Tür.

»Da ist keiner«, rief er, »du mußt net meinen, daß plötzlich wer dasteht und dem Toni beisteht.«

»Hast es net gehört?« erwiderte der, wobei er lachte, was in Tonis und den Ohren seiner Spezln mehr als höhnisch klang.

»Schau genau nach«, rief der Weiner-Lenz. »Geh in alle Kammern und schau nach. Net daß sich doch noch irgendwer versteckt.«

Einige Augenblicke war es mucksmäuschenstill, alle warteten auf das Ergebnis der Hüttendurchsuchung.

Kurz darauf kam Lenz’ Spezl aus der Hütte und schüttelte den Kopf.

»Da ist niemand«, sagte er, »weit und breit ist da keiner. Der blufft.«

»Du hast es gehört«, sagte Lenz, »der Gerald sagt, daß du bluffst.«

»Er muß es ja wissen…!« Toni war absolut sicher, daß Hans und Michl ihm im Notfall beistehen würden, gleich wo sie sich momentan aufhielten.

Als Lenz zwei seiner Spezln Zeichen gab und er sich in Richtung Toni in Bewegung setzte, standen plötzlich Hans und Michl hinter ihnen. Wie aus dem Nichts waren sie erschienen. Dabei hatten sie sich kurz vorher durchs Fenster geschwungen und waren einen Moment hinter der Hütte gestanden.

»Ein bisserl was haben wir mitbekommen«, sagte Hans, wobei er Toni ansah. »Hat der Lenz dich etwa bedroht? Und die anderen? Was haben die gemacht?«

»Gar nix«, schrie einer von Lenz Spezln, der plötzlich zu zittern begann.

»Wo kommt ihr denn her?« Lenz tat so, als habe man sich ganz zufällig getroffen.

»Wir sind vom Herberstein aus heraufgestiegen«, antwortete Hans. »Es ist ein schwerer Weg, aber um so mehr verwöhnt einen die Aussicht.« Dann zeigte er auf die Scherben der vier Biergläser. »Was ist das denn für eine Sauerei?«

»Das ist mir passiert«, antwortete Lenz, »ich mach’s grad’ weg.«

Für Lenz Spezln war es die demütigendste Situation, die sie sich vorstellen konnten. Ihr Boß sollte den Unterwürfigen spielen, das würde es doch nicht geben, oder?

Doch ihre Hoffnungen wurden nicht erfüllt.

Lenz fragte, ob er ein Kehrblech haben dürfe und als Toni ihm eines gegeben hatte, räumte er alle Scherben zusammen und brachte sie zur Hütte, wo er Toni fragend ansah.

»Die nimmst mit hinunter«, sagte der und gab ihm eine Papiertüte. »Wehe du wirfst sie unterwegs weg. Ihr seids vom Bergerhof heraufgestiegen?«

Lenz nickte.

»Dann gibst du sie der Heidi oder der Luise«, sagte Toni. »Ich werd’ sie fragen, laß dir also nix einfallen…!«

*

»Wer war bei dem Hans?« Monika sah ihre Schwester fragend an.

»Der Berner-Michl«, antwortete Christl.

»Wer ist das denn?« Monika schien den Namen noch nicht gehört zu haben.

»Er ist als Referendar am Amtsgericht in Kempten«, antwortete Christl. »Er ist ein fescher Bursch, er stammt da aus der Gegend und hat den Hans zufällig im Bergerhof getroffen.«

Es war der Tag nach dem Fast-Eklat in Tonis Almausschank. Die drei Schwestern saßen mit ihrem Vater beim Abendessen und Christl erzählte, was tags zuvor passiert war, respektive fast passiert wäre.

»Das muß der Enkel vom alten Berner-Gustl sein«, sagte ihr Vater. »Der ist als Bub noch mit seiner Mutter weggezogen. Ich glaub’ nach Lindau am Bodensee. Und er hat Jura studiert? Wo denn?«

»In München«, antwortete Christl.

»Und? Hast du keine Fragen dazu?« Max sah Lissi an.

»Wen soll ich fragen?« erwiderte diese, »etwa die Christl?«

»Um was geht’s denn?« wollte die wissen.

»Daß eure jüngere Schwester meint, ihr Abitur net nur zur inneren Festigung gemacht zu haben, sondern unbedingt studieren will und zwar Jura, das wißt ihr«, antwortete ihr Vater. »Ich hab’ ihr gesagt, daß ich sie dabei unterstützen werd’, so gut es geht.«

»Ach…?« Christl sah ihren Vater erstaunt an und selbst Moni, die eher ruhig war, sah ihren Vater fragend an.

»Ja, ich hab’s der Lissi gestern gesagt«, antwortete der Max, »eure Mutter hat ganz zum Schluß einige Dinge noch haben wollen. Das heißt, sie hat haben wollen, daß ich sie umsetz’. Und einer ihrer Wünsche war, daß eine ihrer Töchter, welche es wollte, hab’ ich letztendlich euch überlassen, einen Beruf nach Wunsch erlernt, halt was studiert.«

»Das… das hat die Mutti gesagt?« Christl schien es nicht glauben zu können.

Ihr Vater nickte. »Eine wird den Hof bekommen, hat sie gesagt, eine wird in einen Hof einheiraten und eine wird einen Beruf erlernen, was Geld kostet. Dafür hat sie ihre Mitgift festgelegt. Die Lissi kann studieren und uns wird dadurch nix abgehen.«

Einen Moment war es still am Tisch, dann lachte Christl. »Jetzt weiß ja jede, woran sie ist.«

»Wie meinst du das?« fragte ihr Vater.

»Na, daß die Moni den Hof bekommt, steht ja wohl fest«, antwortete Christl. »Und da die Lissi studieren soll, bleibt für mich nur noch in einen Hof einzuheiraten. Jedenfalls hat die Mutti das ja so gewollt.«

»Gewollt sicher net«, erwiderte ihre Vater, »eher vorausgeahnt. Was die Lissi betrifft, hast recht und ich hätt’ nix dagegen, wenn die Moni mal den Hof übernimmt. Was dich betrifft…?«

Christl hob abwehrend die Hände. »Es ist keiner in Sicht, den ich als Hoferben präsentieren könnt’.«

»Aha…?«

Christl sah ihren Vater aufmerksam an. »Du meinst sicher den Schall-Toni. Aber der… also, der… ich hab’ nix mit ihm zu tun.«

Einen Augenblick war es still am Tisch.

»Das ist im Moment eh net relevant«, erwiderte ihr Vater.

»Wieso?« Christl sah ihn fragend an.

»Weil deine Mutter noch ein Thema hatte, was sie sehr berührte…!«

»Und das war…?« Alle Töchter sahen den Tannhofer-Max neugierig an.

»Sie hat ein bisserl Not gehabt, ob ihr auch alle einen Mann bekommt«, antwortete der.

»Was heißt das?« fragte Christl.

»Daß sie ein bisserl in Sorge war, daß die Moni net mal alleine bleibt…!«

Moni saß, seit ihre Mutter gestorben war und sie den Haushalt führte, am Kopfende. Als alle sie ansahen, bekam sie einen knallroten Kopf und sah unter sich.

»Du mußt dich net schämen«, sagte ihr Vater, »die Mutti hat net gemeint, daß du keinen Mann bekommen kannst, sie hat gemeint, daß du vielleicht darauf verzichten würdest.«

»Und was wäre, wenn…?« wollte Christl wissen.

»Wenn die Moni net heiratet«, antwortete ihr Vater, »dann heiratet ihr, also die Lissi und du, wenn’s nach dem Willen eurer Mutter geht, auch net. Sie hat sich gewünscht, daß die Moni zuerst heiratet, und erst dann ihr beide.«

»Das… das darf doch net wahr sein«, murmelte Christl. »Was hat mein Heiraten denn mit Moni zu tun?«

»Das will ich dir sagen«, antwortete der Tannhofer-Max, »eure Mutter war der Ansicht, wenn feststeht, daß die Moni zuerst heiratet, daß ihr beiden anderen dann darauf bedacht seid, daß auch die Moni einen Mann möcht’ und bekommt…!«

*

Toni kam am Nachmittag darauf zum Bergerhof. Um diese Jahreszeit, im Frühjahr, konnte er noch öfter seine Alm verlassen, einmal, um hinunter zum Hof zu gehen, den sein Vater bewirtschaftete und der lieber heute als morgen gesehen hätte, daß der Toni ganz von der Alm heruntergekommen wäre, um ihm den Hof zu übergeben. Zum anderen, um im Bergerhof ein wenig Unterhaltung zu finden, was er gerne tat, vor allem, wenn die Tannhofer-Christl dort als Aushilfe tätig war.

»Servus, Schatzerl«, begrüßte er sie, als sie sich im Bereich der zentral gelegenen Theke begegneten.

»Wie bitte?« Christls sonst freundliche Miene wurde streng und mit blitzenden Augen sah sie den Toni an.

»Hast es net gern, wenn ein Bursch dich Schatzerl nennt?« Toni lachte das hübsche Mädchen verliebt an.

»Ein Bursch vielleicht, aber net der Schall-Toni«, antwortete Christl.

Toni war nicht geschockt, im Gegenteil, er lachte. »Das tut mir jetzt aber weh.«

»Das seh ich«, erwiderte Christl. »Und genau das ist die Sach’, die mich bei dir vorsichtig sein läßt.«

»Welche Sach’…?«

»Du nimmst ein Madel net ernst«, antwortete Christl. »Für dich ist alles nur ein großer Spaß.«

Toni stutzte. »Wie meinst das denn?«

»Daß ich mir, wenn ich mit dir zusammen bin, jetzt übrigens auch«, antwortete Christl, »nie so vorkomm’, wie ich mir gern vorkommen würd’.«

»Aber ich möcht’ doch, daß du dir gut vorkommst«, erwiderte Toni.

»Dann machst du was falsch…!« Christl sah wunderschön aus, wenn sie ein wenig zornig war.

»Spatzl…?«

»Sag net Spatzl zu mir.«

»Aber es hört sich so schön an.« Tonis Stimme klang jetzt ganz sanft.

»Es gehört mehr dazu, wenn mich jemand Spatzl nennen darf, als daß es sich schön anhört«, entgegnete Christl.

»Was kann ich denn tun, daß du mir wieder gut bist?« Toni versuchte nach Christls Hand zu greifen, aber sie nahm sie weg.

»Mich achten«, antwortete sie, »wenn du das tust, dann sind wir ein Stück weiter. Vielleicht solltest du mal darüber nachdenken, daß man nur lieben kann, was man auch achtet. Ein Madel nicht achten und dann vorgeben, es zu lieben, das paßt net, wenn du verstehst, was ich mein’.«

Toni Schall stand traurig da. Er hatte sich so auf den Tag gefreut, hatte zu Heidi gehen wollen, um zu fragen, ob Christl eine Stunde frei haben könne, und nun dies…!

Er warf Christl, die ihm den Rücken zukehrte, noch einen langen Blick hinterher, dann drehte er sich um und verließ den Bergerhof. Mit müden Schritten ging er Richtung Almausschank, der ihm so was wie eine Heimat geworden war.

Als Christl es nicht länger aushielt und sich umdrehte, sie wollte Toni etwas Versöhnendes sagen, da tauchte er gerade in die randständigen Fichten ein und gleich darauf schlugen die Äste hinter ihm zusammen.

»Toni…!« Christls Stimme war kaum zu hören. Daß der Toni, der schon ein paar hundert Meter weg war, sie hörte, war ausgeschlossen.

Als kurz drauf Heidi mit einem Tablett Gläser und Teller in die Küche kam, lächelte sie.

»Es ist schon interessant«, sagte sie zu Luise.

»Was ist interessant«, wollte die wissen.

»Daß bei den jungen Madln, was die Liebe betrifft, alles so eng beieinander ist…!«

»Von wem sprichst du?«

»Von der Christl.«

»Der Toni ist da, gell?« Luise hatte den jungen Burschen zwar kommen, aber nicht wieder gehen sehen.

»Er ist schon wieder weg«, erwiderte Heidi.

»Warum…?«

»Ich weiß es net«, antwortete Heidi, »aber wenn ich die Christl anschau’, dann denk’ ich mal, daß sie sich gestritten haben.«

»Oje…!«

Heidi nickte. »Genau, es ist schad’. Die beiden passen nämlich supergut zusammen.«

»Es wird kein richtiger Streit sein«, erwiderte Luise, »vielleicht eine vorübergehende Stimmungsschwankung bei beiden.«

»Ich glaub’, der Toni sieht alles von der leichten Seite«, entgegnete Heidi, »während die Christl meint, alles was mit Liebe zu tun hätt’, müßt’ ernsthaft behandelt werden.«

»Das eine schließt das andere doch net aus.«

»So ist es«, nickte Heidi, »du weißt das und ich weiß es, aber die beiden wissen es net. Sie sind auch viel zu jung, um es zu wissen.«

»Schau mal, wer da kommt…!« Luise zeigte mit einer Kopfbewegung aus dem Fenster.

»Die Lissi, das ist aber eine Überraschung«, sagte Heidi. »Das Madel ist nach dem Abi total aufgeblüht.«

»So wird’s mit unserer Steffi auch sein«, sagte Luise, »du wirst sehen.«

Heidi nickte. »Ich wünsch’s ihr und ich wünsch’s uns.«

Kurz darauf kam Lissi in die Küche und begrüßte die beiden Bergerhoffrauen sehr freundlich und bestellte Grüße von ihrem Vater.

»Er will demnächst wieder mal hereinschauen«, sagte sie. »Ich wollt’ eigentlich nur mal die Christl besuchen.«

»Der geht’s net ganz so gut«, erwiderte Luise.

»Wieso net?«

»Es könnt’ sein, daß sie ein bisserl Liebeskummer hat.«

»Die Christl?« Lissi sah erstaunt drein.

Heidi nickte. »Ja, der Toni war eben da herunten, ist aber ziemlich rasch wieder verschwunden.«

»Seitdem rennt deine Schwester mit verweinten Augen herum«, fügte Luise hinzu.

Lissi grinste. »Warum soll’s ihr besser als anderen gehen. Aber ich möcht’ trotzdem mit ihr reden. Hat sie euch die Neuigkeiten erzählt?«

»Welche Neuigkeiten?«

»Was die Mutti dem Vati sozusagen als Vermächtnis hinterlassen hat?«

»Nein«, Heidi schüttelte den Kopf, »keine Ahnung. Setz dich und erzählt mal. Magst was zu trinken?«

»Ja, ein Almdudler wär gut«, antwortete Lissi. Als der da war und sie davon getrunken hatte, sahen Luise und Heidi sie erwartungsvoll an.

»Was war deiner Mutter denn so wichtig?« fragte die schließlich.

»Sie hat sich gewünscht, daß wir der Reihe nach heiraten«, antwortete Lissi, »praktisch, gell?«

»Moment mal«, sagte Luise, »was hat sie sich gewünscht?«

»Daß wir der Reihe nach heiraten…!«

»Was soll das denn heißen?«

»Daß zuerst die Moni heiratet«, antwortete Lissi, »ich schätz’ mal, das war das Wichtigste. Ob die Christl dann zuerst oder ich, das war ihr wohl gleich.«

»Ja, wieso wollt’ sie denn, daß die Moni zuerst heiratet?« Luise sah das hübsche Mädchen immer noch konsterniert an.

Lissi erklärte es und zuckte mit den Schultern. »Da machst du nichts.« Dann hellte sich ihre Miene auf. »Aber die Mutti hat auch dem Vati was gesagt, wovon grad’ ich heut’ total profitier.«

»Von was denn?«

»Sie hat ihre Mitgift festgelegt und wollt’ damit einer ihrer Töchter das Studium finanzieren«, antwortete Lissi. »Die Moni, so hat sie dem Vati gesagt, würd’ wohl den Hof übernehmen, eine soll studieren und eine würd’ in einen Hof einheiraten.«

»Das wär’ dann die Christl«, sagte Luise. »Beim Toni wär’ sie dann schon an der richtigen Adresse.«

Daraufhin runzelte Heidi die Stirn. »Wenn du sie grad’ jetzt in dem Moment fragen würdest, ich glaub’ nicht, daß sie dir zustimmen würd’…!«

*

»Die Tannhofer-Christl ist ein sehr fesches Madel«, sagte Michl Berner am gleichen Tag zu Hans Karner, als sie von der Alm herunterkamen und einen Abstecher auf seinem Hof machten.

Hans bewirtschaftete im Nebenerwerb ein kleines Anwesen, in erster Linie war er Zimmermann und bei einem Betrieb in Vorderstein, der auf Innenausbau spezialisiert war, beschäftigt.

Hans lächelte. »Die Christl ist allerdings vergeben. Der Toni läßt sie garantiert nimmer aus und sie ihn auch net.«

»Schad’«, erwiderte Michl, »die besten Madln sind halt immer zuerst in festen Händen.«

Da grinste Hans breit. »Die Christl hat aber noch zwei Schwestern. Und eines ist gewiß, die beiden sind net unfescher als die Christl.«

Michl staunte. »Echt…?«

»Können wir nicht mal hinfahren?« fragte Michl. »Irgendeinen Vorwand wird’s doch schon geben.«

»Vorwand braucht’s gar keinen«, erwiderte Hans, »ich muß eh zum Tannhofer. Weil ich ihm letzten Winter einige Festmeter Bäum’ geschlägert und verkauft hab’. Ich muß mit ihm abrechnen. Wir können jetzt hinfahren und du kannst mitkommen.«

»Wenn du mit ihm abrechnest?« Michl schüttelte den Kopf. »Das ist net so gut.«

»Schmarrn«, erwiderte Hans, »der Tannhofer ist ein kommoder Mensch. Er redet gern und er hat garantiert deinen Großvater gekannt. Er wird sich freuen, wenn er dich sieht.« Dann lächelte er. »Und die Lissi, das ist die Jüngste der drei Madeln, sie will, das hab’ ich jedenfalls gehört, unbedingt Jura studieren.«

»Aha…!«

»Also fährst doch mit?« Hans sah Michl fragend an.

Der nickte. »Wenn du so nett von den Madeln erzählst.«

Wenige Minuten später waren sie unterwegs. Als sie auf dem Tannenhof ankamen, kam Moni gerade aus dem Haus. Sie blieb stehen, als sie Hans’ Wagen erkannte.

»Und? Das ist die Moni, sie ist doch superfesch, oder?« Hans sah Michl fragend an.

Der nickte. »Das kann man wohl sagen.«

»Dann laß uns mal aussteigen«, sagte Hans und kletterte schon aus dem Wagen.

»Servus, Moni…!«

»Servus.«

»Das ist der Berner-Michl«, stellte Hans seinen Begleiter vor, »er ist der Enkel vom alten Gustl, der früher mal im Weißbachtal gelebt hat.«

Moni zweigte ein knappes Lächeln ab und gab Michl die Hand. »Der Vater hat davon erzählt.«

»Ist er da?« wollte Hans wissen.

»Ja, er sitzt in der Stube und liest die Zeitung«, antwortete Moni. »Wenn ihr zu ihm geht, dann bring ich euch einen Kaffee, oder was mögt ihr sonst?«

»Kaffee ist schon recht«, antwortete Hans.

Während Moni in der Küche verschwand, gingen Hans und Michl in die gute Stube.

»Der Herr Karner…!« Der Tannhofer-Max stand auf, um Hans zu begrüßen. Dann sah er Michl an. »Und du bist der Enkel vom alten Gustl. Du siehst ihm recht ähnlich, Bub. Kommt’s herein. Die Moni ist sicher…!«

»Sie kocht schon Kaffee«, sagte Hans. »Ich wollt’ dir dein Geld bringen. Ich hab’ jetzt alles Holz verkauft und hier…«, dann griff er in die Tasche und gab dem Tannhofer einen Zettel, auf dem sehr sauber aufgestellt war, wem wieviel des Holzes überlassen worden war.

Der Tannhofer-Max nahm seine Lesebrille, setzte sie auf und las, was der Hans geschrieben hatte.

»Respekt«, sagte er schließlich. »Da hast ein ganzes Eck mehr bekommen als ich gehofft hab’.«

Man sah dem Hans an, wie sehr ihn das Lob freute. Dann nahm er einen Briefumschlag aus der Tasche und gab ihn dem Tannhofer.

»Da ist jetzt alles Geld drin, was das Holz gebracht hat«, sagte er.

»Du hast dir das, was vereinbart war, noch net genommen?« Max Wagner sah den Hans fragend an.

Der schüttelte den Kopf

Da öffnete der Tannhofer den Umschlag, zählte das Geld nach, zählte zweitausend Mark ab und gab sie Hans. »So, das war vereinbart und das…«, er legte ihm weitere tausend Mark hin, »das bekommst für deine saubere Arbeit.«

Doch Hans schüttelte den Kopf. »Das war net vereinbart. Und ich will nur das, was mir zusteht. Dank’ schön!« Dann steckte er die zweitausend Mark ein und lächelte zufrieden.

»Das andere geht aber auch in Ordnung«, sagte der Tannhofer-Max.

Aber Hans schüttelte den Kopf. »Nein, mehr nehm’ ich net.«

Der Tannhofer sah ihn an und lächelte. »Ist schon recht, Bub, dann beim nächsten Mal wieder.«

Dann wandte er sich an Michl. »Du hast Jura studiert oder studierst es noch?«

Michl nickte. »Ich hab’…!«

»Und was machst jetzt?«

»Ich bin als Referendar am Amtsgericht in Kempten.«

Max Tannhofer nickte ein paarmal, so als wolle er seine Anerkennung aussprechen, dann fragte er: »Kann ein junges Madel von grad’ mal Zwanzig auch Jura studieren?«

Michl nickte. »Sicher…!«

»Ich mein’ net, ob es das gibt«, erwiderte der Tannhofer, »sondern ob das Madel die gleichen Chancen hat wie ein Bursch’.«

Michl nickte noch mal. »Ganz sicher. Da gibt es keinen Unterschied.«

»Einen Moment mal…!« Der Tannhofer stand auf, ging zum Fenster und öffnete es. »Lissi…!«

»Ja?«

»Kannst mal grad’ reinkommen?«

Lissi nickte und als sie in die Stube kam, sah sie zuerst rasch die beiden Besucher an, dann ihren Vater. »Du hast mich gerufen.«

Der zeigte auf Michl. »Das ist der Michl. Er ist der Enkel vom alten Gustl im Weißbachtal, du hast ihn nimmer gekannt. Der Michl hat in München Jura studiert und ist jetzt als Referendar am Amtsgericht in Kempten.«

»Aha?« Lissi lächelte Michl an. Dann sah sie ihren Vater an. »Schön, und was weiter?«

»Sonst nix…!«

»Dann kann ich ja wieder gehen.« Lissi lächelte noch mal unverbindlich, dann hatte sie die Stube wieder verlassen.

»Sonst ist sie net so spröde«, sagte ihr Vater, was sich anhörte wie eine Entschuldigung.

Kurz darauf brachen Hans und Michl wieder auf. Eine ganze Weile redeten beide kein Wort, bis Hans Michl ansah und fragte: »Und? Was sagst du zu den beiden Madeln?«

»Fesch sind sie«, antwortete der.

»Aber? Da kommt doch noch ein aber…?«

»Feschheit ist net alles«, antwortete Michl.

»Es hat nur so ausgeschaut, als wenn sie spröde wären«, erklärte Hans. »Die Moni ist immer ziemlich still, aber die Lissi, also…!«

»Was ist mit der Lissi?«

»Die hat Temperament.«

Michl lachte kurz auf. »Davon war net viel zu spüren.«

»Das hat garantiert an dir gelegen.« Hans grinste. »Hast net mitbekommen, wie sie plötzlich ganz stolz wirkte.«

Michl stutzte. »Und das hat mit mir zu tun?«

»Na klar.«

»Das versteh’ ich nicht.«

»Du hast sie beeindruckt.«

Michl lachte. »Jetzt hör aber auf. Erstens war ich net drauf aus, wen zu beeindrucken und zweitens ist sie ein blutjunges Madel.«

»Na und? Hättest du vielleicht was dagegen, wenn dein Madel blutjung wär’?«

Michl legte die Stirn in Falten, verschränkte die Arme vor der Brust und schüttelte den Kopf, bevor er schließlich sagte: »Hör auf mit dem Blödsinn…!«

*

Die Scherben hatte einer von Lenz’ Kumpanen der Christl gegeben und als die wissen wollte, was sie damit solle, hatte er geantwortet, sie solle sie dem Tannhofer-Toni ins Essen mischen, wenn er mal herunter in den Bergerhof komme.

Christl hatte sich natürlich keinen Reim darauf machen können und daher die Heidi gefragt, ob sie nicht mal telefonieren dürfe?

»Der Lenz und seine Spezln sind zurück«, sagte sie als Erklärung, »einer hat mir eine Tüte mit Scherben gegeben. Scherben von Biergläsern. Ich hab’ keine Ahnung, was das zu bedeuten hat.«

Heidi nickte. »Sicher kannst anrufen. Aber wenn es für den Toni net gut ausgegangen wär’, dann würd’ der Lenz eingekehrt sein.«

Wenige Minuten später kam Christl zurück, aber sie hatte nichts erfahren können.

»Sein Telefon streikt wieder mal«, sagte sie, »daß er auch nie daran denkt, sich ein neues zu holen.«

»Bist du in Sorge um ihn?« Heidi lächelte das hübsche Mädchen fragend an.

Das schüttelte zuerst den Kopf, doch dann nickte es. »Wenn du mich net verrätst, dann kann ich’s ja zugeben.«

»Wer soll denn net wissen, daß du in den Toni verliebt bist?«

»Er natürlich.«

»Der Toni soll’s net wissen? Warum denn grad er net?«

»Weil er… na ja, weil er dann halt zu sicher sein könnt’.«

»Du willst ihn ein bisserl zappeln lassen?«

Christl nickte. »So ist es.«

»Und warum willst ihn zappeln lassen?«

»Er spottet immer über alles und nix nimmt er ernst. Das mag ich net. Er soll halt respektieren, daß ich ein Madel bin, das erobert werden und net einfach aufgelesen werden will.«

Heidi überlegte einen Moment, dann nickte sie. »Das ist ein sehr gutes Argument. Du mußt keine Angst haben, daß ich dich verrat’. Aber wenn du magst, dann kannst mit mir reden. Denn ab und zu hilft das der eigenen Seel’.«

Während Christl sich bedankte, waren Lenz und seine Spezln auf dem Nachhauseweg. Sie waren derart schlechter Laune, daß sie einen Zaun niederrissen, einem Auto die Reifen zerstachen und ein ungesichert abgestelltes Motorrad mitgehen ließen.

»Laß das Motorrad stehen«, sagte Lenz einen Kilometer weiter, »es gehört dem Unterrainer-Hannes. Wenn der mitkriegt, daß du es mitgenommen hast, krempelt er dich um.«

Einen Kilometer weiter zweigte ein Steig ab, dem Lenz folgte und die anderen folgten ihm. Mit gesenkten Köpfen trotteten sie hintereinander her und betraten schließlich ein Gasthaus, dem man schon von außen ansah, daß es eine Spelunke war.

»Ihr schaut aus, als hätt’ euch wer Wasser ins Bier gegossen«, begrüßte sie Gregor Laubacher.

Gregor war der Junior, Ferdl der Senior des Gasthauses, das einen üblen Ruf hatte. Hier verkehrten vor allem Kleinganoven, es sei denn, ein Fremder verirrte sich einmal dort hinein.

Die wenigen Gäste saßen mit eingezogenen Häuptern da und schienen allesamt vermeiden zu wollen, daß man sie sah.

»Bring uns Bier«, sagte Lenz, der mit einer Kopfbewegung zu einem Tisch zeigte. »Und dann läßt uns bitt’schön in Ruhe.«

Es dauerte eine ganze Weile, bis das Bier kam, und bis dahin sagte keiner am Tisch auch nur ein Wort.

»Was heut’ passiert ist«, sagte Lenz, als er einen guten Schluck Bier getrunken hatte, »das wird nie mehr passieren.«

»Was ist denn eigentlich passiert?« fragte der Spindeldürre.

»Ich mein’, haben die anderen beiden nun beim Toni auf uns gewartet oder haben sie’s net.«

»Daß die da waren, war Zufall«, brummte Lenz. »Diese blöden Idioten…!«

»Ich glaub’ net, daß die beiden, die uns am Abend vorher schon dumm gekommen sind, rein zufällig auf der Alm beim Schall-Toni waren«, entgegnete einer seiner Spezl.

»Ach? Und wie haben sie sich verständigt?« wollte Lenz wissen. »Wer außer uns hat denn gewußt, daß wir heut’ zum Toni wollten, he? Wer?«

»Ich weiß es net«, erwiderte der Angesprochene, »aber einen derartigen Zufall gibt es net. Außerdem haben wir oft genug darüber geredet, daß irgendwer was mitbekommen haben muß.«

Danach dachte Lenz nach, was eine ganze Weile dauerte. Dabei trank er zwei große Gläser Bier und er rauchte zwei Zigaretten. Dann nickte er.

»An dem, was du gesagt hast, ist was dran«, brummelte er schließlich.

Seine vier Spezln blickten ihn an, jedoch keiner sagte ein Wort, alle warteten darauf, daß Lenz jetzt eine Lösung parat hatte, die ihr arg lädiertes Image wieder herstellte.

Doch Lenz ließ sich Zeit, und zwar soviel Zeit, daß es seinen Spezln zu lange wurde.

»Was ist jetzt?« fragte schließlich der Spindeldürre. Er wurde immer mehr zum Redner der anderen.

»Was heißt, was ist jetzt?« fuhr Lenz ihn an.

»Ich bin mir total gelinkt vorgekommen«, entgegnete der Spindeldürre. »Du hast gekniffen und zwar auf eine ganz blöde Art.«

Lenz stand auf und ging auf seinen Widersacher zu. Er blieb direkt vor ihm stehen, doch der wich keinen Millimeter zur Seite, sah ihn vielmehr herausfordernd an.

»Was soll das?« herrschte Lenz ihn an, aber seiner Stimme war reichlich Unsicherheit beigegeben.

»Das frag’ ich dich«, erwiderte der Hochaufgeschossene. »Ich will von dir genau wissen, wie es weitergehen wird. Und kommt noch mal vor, was heut’ droben auf der Alm vorgekommen ist, dann ist gleich gar Schluß.«

»Mit was ist dann Schluß?« Plötzlich hatte Lenz wieder an Sicherheit gewonnen. »Ist das, was du veranstaltest, so was wie eine Palastrevolution?«

Der Dünne lachte kurz und höhnisch auf. »Paläste gibt’s nur, wo Könige sind. Und ich seh’ keinen weit und breit…!«

*

»Na, Schwesterherz?« Lissi begrüßte Christl, als die nach Hause kam, auffallend freundlich.

»Was ist denn mit dir los?« erwiderte die daraufhin dann auch, denn eine solche Begrüßung war zwischen ihnen ganz und gar ungewöhnlich.

»Wieso?« Lissi lächelte ihre Schwester amüsiert an. »Ist’s dir unangenehm, wenn ich dich freundlich begrüß’?«

Christl schüttelte den Kopf. »Nein, warum sollt’ es mir unangenehm sein? Es ist höchstes ungewohnt. Gar so viel Herzlichkeit hat’s bei uns ja net gegeben, oder?«

»Das stimmt allerdings«, murmelte Lissi, »ich hab’ das schon oft bedauert.«

»Wieso? Hast du’s vermißt?«

»Ja, hab’ ich«, antwortete Lissi, »vor allem, wenn andere ganz locker davon erzählt haben.«

»Redest du jetzt von deinen Schulfreundinnen und wie’s bei ihnen zu Haus’ gewesen ist«, fragte Christl, »oder redest darüber, wie sie mit einem Freund umgegangen sind, wenn es denn einen gab.«

»Ich glaub’, man kann das eine net vom anderen unterscheiden«, antwortete Lissi. »Wie man’s zu Hause lernt, so kann man später damit umgehen.«

»Willst du damit was ausdrücken…?« Christl sah ihre Schwester fragend an.

Die zuckte mit den Schultern. »Vielleicht, ja.«

»Und was willst ausdrücken?«

»Daß wir alle drei möglicherweise Probleme mit dem anderen Geschlecht haben«, antwortete Lissi.

»Probleme mit dem anderen Geschlecht?« Christl wiegelte den Kopf. »Wie meinst du das denn?«

»Daß wir alle drei noch keinen festen Freund hatten«, antwortete Lissi. »Die Moni ist siebenundzwanzig, du vierundzwanzig und ich zwanzig. Da müßten die Burschen doch gleich reihenweise anstehen. Und was ist? Ich seh’ keinen.«

»Ganz stimmt das net«, erwiderte Christl.

»Du und der Schall-Toni…? Meinst du das?« Lissi sah ihre Schwester fragend an.

Die zuckte mit den Schultern. »Ich mag ihn sehr, ja.«

»Aber…?«

»Ach, irgendwie komm’ ich mit seiner lockeren Art net zurecht. Ich weiß einfach net damit umzugehen.« Christl lachte kurz auf. »Wie du hörst, es könnt’ also schon was dran sein an dem, was du eben erklärt hast.«

Dann sagten beide lange nichts. Bis Lissi sich räusperte.

»Dieser Michl«, sagte sie, »kennst du den?«

»Du meinst den Berner-Michl?«

Lissi nickte. »Ja, den mein’ ich.«

Christl schüttelte den Kopf. »Nein, ich kenn’ ihn nicht. Ich hab’ ihn vor ein paar Tagen zum erstenmal gesehen. Ein fescher Bursch, wenn du mich fragst.«

»So?« Lissi tat erstaunt. »So genau hab’ ich nicht hingeschaut.«

»Wenn du nicht so hingeschaut hast, wieso fragst du dann nach ihm?«

»Nur so«, antwortete Lissi. »Schließlich hat er das studiert, was ich studieren möcht’.«

»Du willst wirklich nach München und Jura studieren?« Christl musterte ihre Schwester genau.

Die nickte. »Ja, das möcht’ ich. Ich kann mir eigentlich gar nichts anderes vorstellen.«

»Und jetzt willst den Michl ein bisserl was fragen?«

Lissi zuckte mit den Schultern. »Ja, vielleicht.«

»Er ist ein ganz netter Bursch«, sagte Christl. »Er kommt heut’ wieder zu uns in den Bergerhof. Komm doch auch hinüber. Der Michl freut sich sicher. Irgendwie kommt er mir ein bisserl verloren vor.«

Lissi überlegte. Nach einigen Augenblicken nickte sie. »Wieso eigentlich nicht?«

Christl lächelte. »Na also…!«

»Um wieviel Uhr kommt er denn immer?«

»Meist ist er gegen siebene da, später wird’s net.«

»Und wieso kommt er abends immer in den Bergerhof?«

Christl lachte. »Er läßt sich von Luise was über seinen Großvater erzählen. Er ist vier oder fünf gewesen, als der verstorben ist. Die Luise hat den alten Gustl gut gekannt.«

»Aha…!«

»Wenn du ihn ein bisserl animierst«, sagte Christl, »dann geht der Michl aber sicher auch woanders mit dir hin.«

»Wie meinst du das?«

»Na ja, wenn dir’s im Bergerhof net gefällt…?«

»Wie kommst du denn da drauf?« erwiderte Lissi. »Der Bergerhof ist eine der Gaststätten, wo man getrost hingehen kann.«

»Ich hab’ gemeint, du stündest eher aufs ›Mozart‹ oder was Ähnliches mit Cafécharakter.«

Lissi wiegelte den Kopf. »Ins ›Mozart‹ bin ich, als ich in die Schul’ gegangen bin, fast täglich gegangen. Davon hab’ ich erst mal genug.«

»Na ja, dann komm halt heut’ abend, ich bin mir sicher, daß du dich mit dem Michl blendend unterhältst.«

»Mal schauen«, sagte Lissi, »vielleicht komm’ ich tatsächlich.« Dann überlegte sie. »Vielleicht könnt’ ich die Moni ja überreden mitzugehen. Der würd’ gut stehen, wenn sie mal ein bisserl herauskommen würd’.«

»Das wär’ was«, bestätigte Christl. »Also, wenn du es schaffst, die Moni mitzubringen, dann seh’ ich zu, daß auch der Karner-Hans kommt.«

»Der Karner-Hans?« fragte Lissi. »Was hat die Moni mit dem Karner-Hans zu tun?«

»Ist dir das denn net aufgefallen?« fragte Christl.

»Was ist mir net aufgefallen?« Lissi sah ihre Schwester irritiert an.

»Wie der Hans die Moni letztens angeschaut hat?« erwiderte die.

»Wie hat er sie denn angeschaut?« wollte Lissi wissen.

»Es hat ausgesehen, als wär’ er in sie verliebt…!«

Lissi lachte. »Was du dir net alles einbildest.«

»Wir müssen halt jede Chance nutzen«, erwiderte Christl. »Du weißt ja, was die Mutti dem Vati aufgetragen hat. So ohne weiteres kannst dich da net drüber hinwegsetzen.«

»Du meinst das mit dem Heiraten?«

Christl nickte. »Genau das mein’ ich.«

»So irreal ich es auch find’«, erwiderte Lissi, »aber du hast recht, so ohne weiteres darüber hinwegsetzen würd’ ich mich auch net.«

Christl lachte. »Also bleibt uns nur übrig, der Moni ein bisserl helfend unter die Arme zu greifen.«

»Oder wir verzichten auf eine Heirat.« Auch Lissi lachte.

»Das kommt net in Frage«, erwiderte Christl, »einen Mann möcht’ ich schon.«

»Einen Mann kannst dir ja nehmen«, sagte Lissi, »davon war ja net die Red’. Nur heiraten darfst net…!«

*

»Heut’ abend könnt’ es interessant werden«, sagte Heidi zu Luise.

»Wieso…?«

»Die Christl hat erzählt, ihre beiden Schwestern würden eventuell kommen.«

»Die Moni auch?« Luise sah ihre Schwiegertochter erstaunt an.

Die nickte. »Sicher ist’s wohl net, aber die Christl hat gemeint, die Lissi würd’s schaffen, die Moni mitzubringen.«

»Gibt’s einen besonderen Grund…?«

Heidi lächelte. »Du hast doch von dem Wunsch der verstorbenen Tannhoferin gehört, daß die Moni als Erste der drei Madeln heiraten soll, oder?«

»Ach so…!« Luise nickte. »Ist schon klar. Die beiden anderen wollen versuchen, sie ein bisserl unter die Leut’ zu bringen, oder?«

»So ist es«, bestätigte Heidi.

»Und wer ist für die Moni vorgesehen?« fragte Luise. »Irgendein Bursch werden die beiden anderen doch sicher in petto haben, oder?«

Heidi zuckte mit den Schultern. »Ich weiß es net sicher. Aber ich vermut’ mal, daß der Berner-Michl kommt und mit ihm der Karner-Hans. Ich könnt’ mir vorstellen, daß…!«

»Das wär’ gelungen«, sagte Luise. »Der Karner-Hans und die Moni vom Tannhof. Also, die beiden wären ein schönes Paar, ein wunderschönes Paar sogar.«

»Jetzt greif net schon wieder vor«, erwiderte Heidi, »es steht noch net mal fest, daß die Moni mitkommt, da bist du schon dabei, sie zu verkuppeln.«

Luise lachte. »Ein bisserl Gedanken wird man sich ja machen können, viel mehr bleibt einem ja net.«

Während die beiden Bergerhof-Frauen sich weiter über die Madeln vom Tannhof unterhielten, versuchte Lissi, ihre ältere Schwester zum Mitgehen zu bewegen.

»Vati…?«

»Ja?«

»Ich geh’ heut’ abend aus.«

»Und?« fragte der Tannhofer-Max, »was ist daran so besonders? Du gehst doch oft aus.«

»Das stimmt net«, erwiderte Lissi. »Ich bin, als ich noch zur Schul’ gegangen bin, oft ausgegangen. Aber seit ich fertig bin mit der Schul’, bin ich meistens zu Haus’.«

»Das stimmt…!« Moni stand mit dem Rücken an den Schrank gelehnt da und stimmte ihrer Schwester zu.

»Wo willst du denn hin?« fragte der Tannhofer-Max eher, weil er freundlich sein wollte, denn aus wirklichem Interesse.

»In den Bergerhof«, antwortete Lissi.

»Da schau her…!« Moni tat erstaunt.

»Komm doch mit«, sagte Lissi, »um die Jahreszeit ist’s da noch net überlaufen. Man sitzt da nett und irgendwen, mit dem man sich unterhalten kann, triffst immer.«

»Und wenn’s die Luise ist«, pflichtete der Tannhofer-Max seiner Jüngsten bei.

»Ich kann doch net mit in den Bergerhof gehen«, wehrte Moni jedoch sofort ab.

»Wieso net…?« Ihr Vater sah sie fragend an.

»Weil… weil ich net dafür angezogen bin«, antwortete Moni.

Lissi lachte. »Erstens stimmt es net und zweitens wär’ ich dann auch net angezogen.« Dann lächelte sie. »Herrschaftseiten, wär’ das schön, wenn du mitkommen würdest. Wir sind so lange nimmer zusammen aus gewesen. Die Christl würd’ sich sicher riesig freuen.«

Diesmal dauerte es einen Moment länger als vorher, bis Moni den Kopf schüttelte und ablehnte.

»Mitten in der Woch’ in ein Gasthaus«, sagte sie, »was sollen die Leut’ sagen?«

Lissi machte eine wegwerfende Handbewegung. »Was die Leut’ reden ist eh wurscht und zweitens reden s’ eher darüber, daß du nie ausgehst.«

Der Tannhofer nickte sofort. »Das ist wahr…!«

Monika dachte wieder eine Weile nach, dann sah sie ihre jüngere Schwester zweifelnd an. »Du meinst wirklich…?«

»Aber klar«, antwortete Lissi, »und ich wett’ mit dir, es wird eine Mordsgaudi.«

Da huschte ein Lächeln über Monis Gesicht, sie sah ihren Vater an und als der ihr freundlich zunickte, zuckte sie mit den Schultern.

»Es wär’ mal was anderes«, sagte sie schließlich.

»Das ist eine Sach’…!« Lissi strahlte übers ganze Gesicht und auch ihr Vater sah zufrieden drein.

»Also, ich lad’ euch ein, heut’ abend«, sagte er. »Was ihr verzehrt, geht auf meine Rechnung. Sag das der Luise. Ich muß eh in den Bergerhof, dann würd’ ich’ begleichen.«

»Dann werden wir mal richtig hinlangen…!« Lissi lachte.

»Von wegen«, mahnte Moni, »wenn du zu narrisch sein willst, bleib’ ich lieber gleich zu Haus’.«

»Jetzt hör aber auf…!« Max Tannhofer runzelte die Stirn. »Du stellst dich vielleicht an. Du bist ein attraktives junges Madel und du tust so, als wenn du dein Leben schon hinter dir hättest. Jetzt geht schon und amüsiert euch ein bisserl. Wie gesagt, ich lad’ euch ein.«

Eine Viertelstunde später waren die beiden unterwegs. Lissi fuhr und Moni saß daneben.

Nach einer Weile räusperte sie sich und fragte: »Wer wird denn noch da sein? Ich mein’, so gar viel Leut’ gehen ja net mitten in der Woch’ ins Gasthaus.«

»Oje, Moni«, erwiderte Lissi, »du wirst dich wundern, wieviel Leut’ wochentags unterwegs sind. Alle mögen net vor dem Fernseher hocken, einigen ist halt die Geselligkeit lieber. Und darüber regt sich niemand mehr auf.«

Dann fuhren sie schweigend weiter.

»Ich hab’ das Gefühl, daß ich irgendwie hinterm Mond leb’«, sagte Moni, als sie fast schon beim Bergerhof waren. »Ich hock’ allweil zu Haus’ und das Leben geht an mir vorüber, ich spür’ schon die ganze Zeit, daß mir was fehlt. Aber ich weiß halt net was und wenn ich’s wüßt’, ich hätt’ keine Ahnung, wie ich damit umgehen sollt’.«

»Jetzt grübel net so viel, sondern freu dich, daß du mal herauskommst«, antwortete Lissi.

Da atmete Monika tief durch. »Ist schon recht. Und wenn’s mir gar net zusagt, dann fahr’ ich halt wieder nach Haus’!«

*

»Wieso fragst du denn schon wieder nach der Lissi?« Der Karner-Hans lächelte Michl erstaunt an. »Sie scheint dich mehr zu interessieren, als du zugibst. Also, was ist? Stehst du jetzt auf sie oder warum fragst andauernd?« Die beiden standen auf dem Parkplatz des Bergerhofs, waren eben gerade angekommen.

Michl winkte ab. »Schmarrn, ich frag’ doch net andauernd. Und wenn ein Madel, das von einem Bauernhof stammt, der ziemlich abgelegen liegt und wo noch nicht unbedingt die große Welt Einzug gehalten hat, nach München will, um Jura zu studieren, dann ist das schon die eine oder andere Frage wert.«

»Ich sag’ ja nix dagegen«, erwiderte Hans, »aber du solltest mal in deine Überlegungen mit einbeziehen, ob du net auch Gefallen an der Lissi hast, anstatt dauernd ein, wie auch immer gearbeitetes Interesse zu bekunden.«

Michl grinste. »Irgendwie hört sich’s komisch an, wenn du fein reden willst.«

Hans grinste zurück. »Es ist auch sonst net meine Art.« Dann sah er Michl von der Seite an. »Also, was ist jetzt, gibt’s einen ganz und gar persönlichen Grund, daß du immer wieder nach der Lissi fragst?«

»Herrschaftseiten«, erwiderte Michl, »du läßt dich net abschütteln, oder?«

»Nur ungern…!«

»Ja, zum Kuckuck noch einmal, sie gefällt mir…!«

»Na also.«

»Das heißt aber noch lange net, daß ich das ihr gegenüber auch zu erkennen geb’.«

»Bist du schüchtern?« wollte Hans daraufhin wissen. »Den Eindruck machst du gar net.«

»Bin ich auch net«, antwortete Michl, »das heißt, bisher war ich es net.«

Hans grinste. »Du meinst, bei der Lissi könntest es werden?«

Michl atmete tief durch. »Ich spür’ so gewisse Hemmnisse.«

»Da schau her.«

»Ja, sie ist ein blutjunges Mädchen.«

»Das ist kein Grund«, erwiderte der Karner-Hans.

»Außerdem wird sie einen Freund haben…!«

Hans schüttelte den Kopf. »Nein, hat sie nicht.«

»Woher weißt du das?«

»Ich hab’ ein bisserl herumgefragt.«

»Was hast du?« Michl sah Hans mit großen Augen überaus erstaunt an.

»Herumgefragt«, antwortete der. »Sie hatte jede Menge Avancen, aber sie hat sie alle ganz cool abgewiesen. Sie ist solo, ganz sicher.«

»Tja«, Michl zuckte mit den Schultern, »da hab’ ich auch nix von…!«

»Na klar hast was davon«, erwiderte Hans, »du hast…!«

»Jetzt paß mal auf«, ließ Michl den Hans nicht aussprechen, »ich denk’, jetzt haben wir lang’ genug darüber geredet. Ich frag’ dir ja auch keine Löcher in den Bauch.«

»Bitt’ schön«, Hans hob beide Arme, »es gibt da keinerlei Geheimnisse.«

»Das mag ja sein«, erwiderte Michl, »aber ich will jetzt nimmer über die Lissi reden. Punkt und aus…!«

»Ist ja schon recht…!« Hans reagierte ein wenig brummelig. »Ich sag’ gar nix mehr.«

Dann betraten sie den Bergerhof und wurden von Christl schon empfangen.

»Stellt euch vor«, sagte sie, »die Moni kommt heut’ abend.«

»Hierher?« Hans sah sie fast ein wenig erschrocken an.

Christl lächelte. »Freust du dich net?«

»Doch, schon«, erwiderte Hans, wobei er versuchte, sich seine Verlegenheit nicht anmerken zu lassen.

Christl sah auf die Uhr. »Eigentlich müßten die beiden jeden Moment hier sein.«

»Die beiden…?« fragte Hans.

»Ja«, Christl nickte, »die Lissi kommt auch mit.«

Hans grinste, vermied es aber, Michl dabei anzusehen.

Der tat so, als gehe ihn das alles gar nichts an, fragte schließlich, wo man sich hinsetzen solle. »Ist’s auf der Terrasse zu frisch?«

»Drinnen ist’s gemütlicher«, sagte Christl, »und gar so viel ist heut’ net los. In der alten Gaststub’ sitzen nur ein paar Einheimische.«

Sie hatten gerade Platz genommen, als Monika und Lissi hinzu kamen.

»Ja, das ist aber eine Überraschung…!« Hans stand auf und ging auf die beiden Mädchen zu, schließlich blieb er bei Monika stehen.

»Wieso überrascht dich, wenn ich mal ins Gasthaus geh’?« erwiderte die.

»Weil du dich sonst total rar machst«, antwortete Hans.

»Das wird sich vielleicht ändern«, Monika zuckte lächelnd mit den Schultern. »Wer weiß das schon?«

Hans zeigte auf den Stuhl neben seinem, doch Monika nahm einen Stuhl daneben Platz.

Derweil war Lissi zu Michl gegangen und begrüßte ihn mit einem Hallo…!

»Hallo«, erwiderte der. Er stand auf, gab Lissi die Hand und sagte: »Ich bin übrigens Michl.«

»Ich weiß«, sagte Lissi, »wie ich heiß, wirst ja inzwischen wissen.« Dann nahm sie bei ihm Platz. »Und… und du bist jetzt tatsächlich beim Kemptener Amtsgericht als Referendar?«

Michl nickte. »Ja, seit einer Woche.«

»Und studiert hast in München…?«

»So ist es«, antwortete Michl. Dann lächelte er. »Wenn ich daran denk’, daß du bald in München mit dem Studium beginnen wirst, dann könnt’ ich mir gut vorstellen, das eine oder andere Semester noch drangehangen zu haben.«

Lissi grinste. »Ist das deine Art der Anmache?«

Michl zuckte mit den Schultern. »Vergiß es…!«

Lissi musterte ihn einen langen Moment. »Was hältst du davon, wenn wir nach Oberstdorf fahren?«

»Nach Oberstdorf? Gibt’s da was Besonderes?«

»Keine Ahnung, was für dich was Besonderes ist«, antwortete Lissi, »aber es ist dort irgendwie anders als hier. Vor allem können wir uns ungestört unterhalten.« Dann fragte sie, ob sie mit Michls Wagen fahren könnten.

Michl nickte und stand auf, während Lissi ihrer Schwester die Autoschlüssel hinschob und sagte, daß sie mit Michl nach Oberstdorf fahre.

»Ich weiß nicht, wie spät es wird«, sagte sie, »du kannst entweder mit der Christl nach Hause fahren, dann läßt den Wagen stehen, oder du fährst selbst. Auf mich brauchst jedenfalls net zu warten.«

Während Hans grinste, sah Moni ihrer kleinen Schwester und Michl verwundert hinterher.

»Wieso fahren die jetzt nach Oberstdorf?« fragte sie.

»Vielleicht wollen’s sich in Ruhe unterhalten«, antwortete Hans. »Mir ist es ganz recht.«

»Wieso?«

»Dann hab’ ich mehr Zeit, um dir einige Dinge zu sagen.«

»Du willst mir einige Dinge sagen?« Erstaunt sah Moni den jungen Burschen an. »Was denn?«

»Tja«, Hans versuchte zu lächeln, was ihm nicht recht gelang, »wie soll ich das erklären? Ich… ich hab’ dir halt was zu sagen!«

»Was denn?«

»Herrschaftseiten, Moni…!«

»Wenn du mir was sagen willst, dann mußt du doch wissen was. Oder irr’ ich mich da?«

»Nein, du irrst dich net«, antwortete Hans, »aber es geht halt schon mal net so wie man will.«

»Willst mir am End was beichten?« wollte Moni wissen.

Hans lächelte schief. »Ja, so kann man’s auch nennen.«

»Dann hast also was ausgefressen…!«

Hans schüttelte den Kopf. »Nein, das wüßt’ ich. Ich hab’ ein reines Gewissen.«

»Da schau her«, entgegnete Moni, »du willst mir zwar was beichten, hast aber ein reines Gewissen? Also, beides zusammen geht net.«

»Ich denk’ schon, daß es geht…!«

Moni lächelte und rückte näher zu Hans heran. »Also, das mußt mir erklären.«

»Man kann wem was beichten, ohne daß man das im üblichen Sinn tut«, erwiderte Hans.

Monika lachte. »Ja, wenn man wem was gestehen will.«

Hans nickte ganz rasch. »So ist es…!«

Daraufhin sah Monika ihn an, erkannte seinen verliebten Blick und bekam binnen Sekundenbruchteilen einen knallroten Kopf.

»Ist dir was?« fragte Hans.

Monika schüttelte den Kopf. »Nein, gar nix ist. Ich…«, sie stand auf, »ich muß weg. Ich… ich mein’, sag’ der Christl, daß ich schon nach Haus’ bin.«

*

Lissi saß neben Michl in dessen Wagen und ab und zu sah sie ihn verstohlen von der Seite an. Ab und zu fiel auch mal ein Wort, aber eine Unterhaltung hätte man es nicht nennen können.

Lissi hatte allerhand Fragen, aber sie traute sich nicht, sie zu stellen, was sie sehr wunderte, denn diese Art kannte sie nicht an sich.

»Hast du dein Abi in Oberstdorf gemacht?« wollte Michl wissen, grade als sie das Oberstdorfer Ortsschild passierten.

Lissi nickte. »Ja, aufs gleiche Gymnasium geht die Tochter von der Bergerhof-Heidi auch.«

»Aha…!«

»Mein Notenschnitt müßt’ eigentlich fürs Jurastudium reichen«, sagte sie.

»Wieso muß es unbedingt Jura sein?« Michl sah Lissi kurz an, dann konzentrierte er sich wieder auf die Straße.

»Da vorne mußt links abbiegen«, sagte sie, dann zuckte sie mit den Schultern. »Das ist eine gute Frage. Ich kann sie nicht konkret beantworten. Ich hab’ schon immer Jura studieren wollen, daran hat sich jahrelang nichts geändert. Nach wie vor ist der Wunsch in mir. Und wenn der Vati mir kein grünes Licht gegeben hätt’, dann hätt’ ich ohne seine Zustimmung und ohne sein Geld studiert.«

Michl zeigte sich beeindruckt. »Du bist ein sehr interessantes Mädchen.«

Lissi nickte, wobei ein amüsiertes Lächeln ihre Lippen umspielte. »Das find’ ich auch.« Dann sah sie ihn an. »Willst du mal in eine Anwaltskanzlei einsteigen?«

»Das hab’ ich vor«, antwortete Michl.

Dann schleppte sich die Unterhaltung wieder ein wenig hin. Lissi zeigte Michl den Weg, schließlich ließ sie ihn den Wagen auf einem Parkplatz abstellen.

»Das ist das berühmte Café Mozart«, sagte sie, wobei sie lachte. »Aber für Oberstdorfer und direkter Umgebung ist es echt ein tolles Café, das vor allem junge Leute besuchen.«

Michl atmete tief durch. »Ich bin schon mal hier gewesen.«

»Im Mozart?«

Michl nickte. »Es ist zwei Jahre her. Wir kamen aus dem Kleinwalsertal und wollten zurück nach München.«

»Und da ist einem eingefallen, ins Mozart zu gehen?« Lissi sah Michl ungläubig an.

Michl nickte. »Marion kannte das Mozart.«

»Marion…?«

»Marion Lautner.«

»Die Schauspielerin?«

»Ja, sie hat hier in Oberstdorf ein Hotel.«

»Ich weiß«, sagte Lissi. »Aber woher kennst du Marion Lautner?«

»Ich war drei Wochen im Kleinwalsertal mit ihr.«

»Du warst was?«

»Marion und ich waren befreundet.«

»Marion und du…! Also damit hab’ ich nicht gerechnet.« Lissi stand da und starrte Michl mit übergroßen Augen erschrocken an.

»Warum?« erwiderte der. »Was ist an dieser Nachricht so gravierend?«

»Du kannst nicht mit Marion befreundet gewesen sein«, erwiderte Lissi.

»Wieso nicht?«

»Weil du dann eine solche Frage nicht stellen würdest.«

»Das verstehe ich jetzt nicht.«

»Na, Marion Lautner ist… nun, sie ist das absolute Topmädel hier«, antwortete Lissi. »Alle Mädchen hier wollen so sein wie sie und alle wollen ihren Erfolg haben und…!«

»Willst du auch so sein wie sie…?« Michl sah Lissi überaus aufmerksam an.

Lissi zuckte mit den Schultern. »Oje, die Frage hat sich mir nie gestellt.«

»Würdest du mit ihr tauschen wollen?«

Lissi überlegte lange, dann schüttelte sie den Kopf. »Ich glaub’ nicht.«

Michl sagte nichts dazu, aber seine Lippen umspielte ein schmales Lächeln.

Den Wagen hatten sie inzwischen abgestellt, kurz darauf betraten sie das Mozart.

»Da hinten ist ein Tisch frei…!« Lissi zeigte mit einer Kopfbewegung in den hinteren Teil des auch jetzt wieder gut besuchten Cafés.

Sie gingen bei Adrian an der Theke vorbei, der Lissi sehr freundlich begrüßte. »Dich hab’ ich aber schon eine Ewigkeit nimmer gesehen…!«

»Um so schöner, daß du mich noch erkennst«, erwiderte Lissi. Dann fragte sie Michl was er trinken wollte, bestellte zwei Capuccino und ging dann in Richtung des freien Tisches im hinteren Teil des Cafés.

»Michl? Michl Berner?« hörten sie plötzlich eine weibliche Stimme rufen.

Michl blieb wie angewurzelt stehen. Ganz langsam drehte er sich um. Nur wenige Meter vor ihm stand Marion Lautner und sah ihn immer noch ungläubig an. Sie redete ganz kurz ein paar Worte mit ihrem Begleiter, dann kam sie auf Michl zu, sah ihn lange an, dann fiel sie ihm um den Hals.

»Ich hätte wer weiß was gewettet«, sagte sie, »daß ich wen auch immer hier treff’, auf dich wär’ ich zuallerletzt gekommen.«

»Hallo, Marion…!«

Marion stellte sich auf die Zehenspitzen und küßte Michl auf beide Wangen. »Hallo, Michl. Ich find’ riesig, daß wir uns wiedersehen. Daß es in Oberstdorf und dann im ›Mozart‹ ist, ist der absolute Clou.«

Michl sah sich nach Lissi um. Sie stand ein paar Meter weiter und sah zu ihnen herüber.

»Entschuldige mich bitte einen Moment«, sagte Michl zu Marion, dann ging er zu Lissi, nahm ihre Hand und sagte: »Ich möcht’ unter keinen Umständen, daß du mir abhanden kommst. Komm einen Moment mit, dann haben wir alle Zeit der Welt, um zu reden…!«

»Du… du bist nicht alleine hier?« Marion schluckte, als Michl Lissi mitbrachte.

»Nein, bin ich nicht«, antwortete der junge Bursche. »Das ist Lissi, und das ist Marion. Wir sprachen eben von dir.«

»Ihr beide habt euch über mich unterhalten?« Marion zog die Augenbrauen hoch und sah erstaunt drein.

»Ja, ich hab’ Lissi erzählt, daß wir beide schon mal im ›Mozart‹ gewesen seien. Als wir aus dem Kleinwalsertal kamen.«

Marion nickte, wobei sie kein Auge von Lissi ließ. »Ich kenn’ dich irgendwoher. Du bist von hier?« fragte sie schließlich.

Man sah es in dem eher dunkel gehaltenen Café nicht, aber Lissi hatte rote Wangen bekommen.

»Ja, aus Vorderstein.«

»Oh…!« Marion Lautner zog die Augenbrauen hoch. »Du bist vom Land!«

Lissi zuckte zuerst zusammen, doch dann lachte sie. »Wenn du es so nennen willst?«

»Bist du von einem Bauernhof…?«

Lissi nickte. »Toll, wie du so was siehst.«

Michl stand dabei und beobachtete die beiden Frauen, wobei er sehr gespannt wirkte.

Urplötzlich drehte Marion Lissi den Rücken zu und sah Michl an.

»Deine kleine Freundin ist süß«, sagte sie, »daß du dich mal einer Frau wegen auf dem Land umschauen würdest, also, damit hätt’ ich nicht gerechnet.«

Michls Mundwinkel umspielte ein amüsiertes Lächeln, was man durchaus auch als spöttisch hätte bezeichnen können.

Er zeigte schließlich um sich. »Was tust du hier?«

»Ich amüsiere mich«, antwortete Marion prompt.

»Entspricht dein Begleiter deinen Wünschen?« In Michls Stimme war eine deutliche Portion Spott nicht zu überhören.

Marion schluckte, tat so, als habe sie die Frage nicht verstanden, sah schließlich auf die Uhr, küßte Michl dann noch mal auf beide Wangen und wünschte ihm einen schönen Abend; für Lissi hatte sie keinen Blick mehr.

Michl ging zu Lissi, nahm ihre Hand, die sie ihm offensichtlich gerne überließ und gemeinsam gingen sie zu dem Tisch, der immer noch frei war und nahmen Platz.

»War die immer so blöd?« fragte Lissi, als sie sich gegenüber saßen.

Michl lächelte. »Nein, früher war sie nett.«

»Und was hat den Knacks verursacht?«

»Marion hat überhaupt nicht mit ihrer Bekanntheit umgehen können«, erwiderte Michl. »Als nach den ersten Fernsehproduktionen gleich ein Kinofilm folgte, der von der Kritik zwar zerrissen, vom Publikum aber angenommen wurde, ist ihr der Erfolg ziemlich zu Kopf gestiegen. Das war’s dann.«

»Warst du… ich meine, seid ihr ein Paar gewesen?«

Michl nickte. »Marion und ich waren viereinhalb Jahre zusammen.«

»Während sie ins Fernseh- und Filmgeschäft eingestiegen ist?«

»So ist es«, bestätigte Michl.

»Und dann, als sie Erfolg hatte, hat sie dich fallenlassen…?«

»Nicht ganz«, erwiderte Michl. »Ich habe unsere Beziehung beendet.«

»Du… du hast sie weggeschickt?«

Michl lächelte. »Weggeschickt würd’ ich’s nicht nennen.«

»Wie denn?«

»Es ging nichts mehr zusammen«, antwortete Michl, »ich hab’ mich in unserer Beziehung nicht mehr wiedergefunden.«

»Und dann bist du gegangen?«

Michl Barner nickte. »Ich bin aus unserer gemeinsamen Wohnung ausgezogen.«

Lissi schluckte. »Ihr… ihr hattet eine gemeinsame Wohnung?«

Michl nickte. »Ja, drei Jahre haben wir zusammengewohnt.«

Da atmete Lissi tief durch. »Davon… davon hat man aber nie was gelesen.«

»Ich hab’ mich immer dezent im Hintergrund gehalten«, antwor­tete Michl, wobei er lächelte.

Lissi zeigte auf Michls Cappuccino. »Magst du noch einen? Ich hol mir einen Martini, einen ganz trockenen, den brauch’ ich jetzt…!«

*

Als der Tannhofer-Max am nächsten Morgen nach unten in die Küche kam, um zu frühstücken, saßen seine drei Töchter schon am Tisch.

»Ihr seids ja schon da«, sagte er, während er nach der Tageszeitung griff, »guten Morgen…!«

Die Antworten fielen knapp aus, deshalb legte er die Zeitung wieder beiseite. Er sah seine Töchter der Reihe nach an und fragte, wie es gewesen sei?

»Moni…?«

»Schön war’s«, antwortete seine älteste Tochter.

»Aha«, der Max sah Lissi an, »und bei dir?«

»Noch schöner«, antwortete die Jüngste.

»Herrschaftseiten«, der Tannhofer runzelte die Stirn, »was war denn los? Irgendwas war doch so, wie’s net hätt’ sein sollen, oder irr’ ich mich?«

»Es war ein rundherum gelungener Abend«, antwortete Lissi.

»Dann erzähl mal.«

»Ich hab’ die ach so beliebte Schauspielerin Marion Lautner persönlich kennengelernt.«

»Echt?« Christl und Moni sahen ihre jüngere Schwester fragend an.

Die nickte. »Ja, gestern abend im ›Mozart‹. Ich hab’ geglaubt, ich spinn’, als Michl mir sagte, daß er schon mal mit Marion im ›Mozart‹ gewesen ist. Ich hab’ gedacht, er wollt’ sich wichtig machen.«

»Ja und?«

»Plötzlich steht sie vor uns, wirft sich ihm an den Hals und küßt ihn ab.«

»Nein…!«

»Doch.« Lissi atmete tief durch. »Er war viereinhalb Jahre mit ihr zusammen und drei Jahre haben sie zusammen gewohnt.«

»Also, das hätt’ ich net gedacht«, murmelte Christl.

»Ich auch nicht«, fügte Moni hinzu.

Dann schwiegen alle wieder, bis Christl von Moni wissen wollte, warum sie so rasch wieder gegangen sei.

»Plötzlich ist der Hans alleine dagesessen«, sagte sie. »Er hat ausgeschaut, als wenn ihm wer was ins Bier geschüttet hätt’.«

Moni bekam in Sekundenschnelle knallrote Wangen und schüttelte den Kopf.

»Das… das mußt ihn schon selbst fragen«, sagte sie, »ich hab’ nix damit zu tun.«

»Aber weg warst du doch…!«

»Ich bin nach Hause gefahren.«

»Wann?«

»Kurz nachdem die Lissi mit dem Michl weg ist.«

»Warum denn so früh?«

»Ich… ich hatt’ keine Lust mehr«, antwortete Moni. »Ganz plötzlich hatt’ ich keine Lust mehr.«

»Es scheint ein wirklich netter Abend gewesen zu sein«, erwiderte der Tannhofer-Max, der seine drei Töchter der Reihe nach musterte. »War’s denn für wen auch so, daß sie sagen kann, es war echt schön?«

Christl lächelte. »Also, ich kann das schon sagen.«

»Und warum?« Ihr Vater sah sie interessiert an.

»Es war noch ziemlich früh«, antwortete Christl, »da ist der Toni gekommen.«

»Der Schall-Toni?« Max Tannhofer zog die Augenbrauen hoch.

Christl nickte. »Ja, genau der.«

»Und?«

»Er hat mir einen Bergkristall mitgebracht.«

»Da schau her.«

»Er hat ihn vor drei Jahren unweit seines Ausschanks gefunden. Dann hat er ihn schleifen lassen.«

»Und ihn dir geschenkt.« Der Tannhofer lächelte zufrieden.

»So ist es.«

»Und dazu gesagt hat er nix?«

»Zu was?«

»Als er dir den Bergkristall geschenkt hat...!«

»Was hätt’ er mir denn da sagen sollen?«

»Daß er... na ja, daß er auf dich schaut und daß er, so war’s halt bei uns, wenn man einen Bergkristall verschenkt hat, daß er dir seine Liebe gesteht.«

Christl reagierte nicht aufbrausend, wie man vielleicht hätte erwarten können, sondern sie lächelte.

»Und?« Moni sah ihre Schwester aufmerksam an. »Hat er....?«

Christl wiegte ihren Kopf. »Er war ein bisserl scheu.«

»Scheu?« fragte Moni. »Der Schall-Toni?«

»Ich hab’ ihn letztens mal ziemlich auflaufen lassen«, erwiderte Christl, »das hat ihn dann ein bisserl verhalten werden lassen.«

»Aber mögen tust ihn schon...?«

Christl nickte. »Mögen tu’ ich ihn.« Dann zögerte sie und fügte schließlich hinzu: »Es ist ein bisserl mehr als mögen, ich hab’ den Toni sehr lieb...!«

*

Der Weiner-Lenz war keiner, der einfach was einsteckte und dann so tat, als sei nichts gewesen. Bis zu einem gewissen Grad war das möglich, aber wenn er Gefahr lief, seine Reputation zu verlieren, und dazu noch bei seinen ihm bis dahin treu ergebenen Spezln, dann biß er um sich.

Lenz ließ sich ein paar Tage bei seinen Spezln nicht sehen, in der Zeit saß er zu Hause und dachte nach. Er wohnte im Haus seiner Tante, einer unverheirateten Schwester seiner Mutter, deren kleines Anwesen er mal übernehmen wollte.

Doch der Lenz hatte keine Freude am Bauersein, mit der Zeit verwahrloste alles und die Tante mußte mit ansehen, wie ihr zwar kleines aber doch schmuckes Anwesen langsam aber sicher verfiel.

Nach drei Tagen des Nachdenkens tauchte Lenz dann bei seinen Spezln auf, die sich offensichtlich gar nicht mal so sehr gewundert hatten, ihren Anführer eine Zeitlang mal nicht zu sehen.

Der Spindeldürre war sogar der Ansicht gewesen, daß der Lenz gar nicht mehr wiederkomme, weil er allen Respekt bei ihnen verloren habe.

»Soweit sind wir noch net«, hatte ein anderer gesagt, »erst will ich mit dem Weiner-Lenz reden, vorher sag’ ich zu der Sach’ gar nix.«

Als der Lenz dann auftauchte, standen zuerst alle herum, keiner sagte einen Ton, bis Lenz sich räusperte.

»Was letztens passiert ist, war totaler Mist«, sagte er, »es wird nimmer passieren.«

»Wie willst du das verhindern?« fragte der Spindeldürre.

Genau darauf hatte Lenz gewartet. Ihm war bewußt, daß seine Spezln auf einen Beweis warteten, daß er wieder Herr der Lage war. Das konnte er nicht herbeireden, sondern er mußte es tatkräftig beweisen.

»Willst du jetzt hier das Kommando übernehmen?« fragte er, während er sich vor den Spindeldürren stellte.

»Ich will genau wissen, wie es weitergeht«, erwiderte der, »und ich will kein Geschwafel hören.«

So rasch, das hinterher keiner hätte sagen können, was passiert war, schlug Lenz den Spindeldürren zweimal kräftig mit der Faust gegen den Kopf, daß der, auch für ihn kam die Attacke völlig überraschend, gegen die Wand geschleudert wurde, langsam zu Boden rutschte und dort benommen liegen blieb.

»Wenn sonst noch wer Bemerkungen machen will?« Lenz sah herausfordernd in die Runde.

Die drei anderen schüttelten die Köpfe, für sie war wieder alles im Lot.

Lenz ging zu dem Spindeldürren, der noch keine Anstalten machte aufzustehen, schubste ihn mit den Fuß an und fragte: »Was ist mit dir?«

Der Spindeldürre hob eine Hand und nickte, womit er für alle sichtbar signalisiert hatte, daß er Lenz in Zukunft nicht mehr widersprechen würde.

»Ich lad’ euch alle ein«, sagte er. »Morgen abend im Bergerhof. Dort werden wir hoffentlich auf den Karner-Hans und diesen Neuen stoßen, den keiner kennt.«

»Ich hab’ ihn schon mal irgendwo gesehen«, erwiderte einer. »Ich hab’ keine Ahnung wo, aber ich kenn’ ihn.«

»Das ist im Endeffekt wurscht«, erwiderte Lenz. »Ob er Egon oder Willi heißt, oder ob er aus dem Werdenfelsischen oder aus dem Pfaffenwinkel stammt, auch das zählt net. Zählen tut nur, ob er sich unterordnet oder net.«

»Unterordnen wird der sich auf keinen Fall«, erwiderte der Jüngste der Kumpane.

»So ohne weiteres net«, erwiderte Lenz, »da hast sicher recht.

Aber wenn man ein bisserl nachhilft, dann wird auch er kuschen.«

»Und der Karner-Hans...?«

»Einer nach dem anderen«, antwortete Lenz. »Wenn man sich die Burschen im Bündel vorknüpft, dann sind sie stark, oder sie tun zumindest so, ob sie’s wirklich sind, das steht auf einem anderen Blatt.«

»Einzeln, das ist genau das Richtige«, bestätigte einer. »Und keiner kann später behaupten, wir wären’s gewesen.«

»Ihr habt damit nix zu tun...!« Lenz hatte sich vorgenommen, es seinen Spezln zu zeigen. Ein für alle mal sollte geklärt werden, daß er derjenige war, der das Heft in der Hand hielt.

»Was heißt das?« In dem Moment sahen den Lenz alle aufmerksam an.

»Das heißt«, antwortetet der, »daß ich mir die drei Burschen der Reihe nach vorknöpfen werd’.«

»Alleine? Wo du es mit uns net geschafft hast?« Der Jüngste seiner Spezln sah den Lenz skeptisch an.

Der nickte. »Ja, alleine. Und ich diskutier’ da nimmer drüber. Ich wollt’ euch nur in Kenntnis setzen.«

Der Spindeldürre hatte sich inzwischen aufgerappelt, er blutete aus einem Riß an der Augenbraue, die Umgebung seines Auges war angeschwollen und er hielt sich den Kiefer; Lenz hatte kräftig hingelangt.

»Komm her…!« Lenz zeigte auf den Stuhl gegenüber. Den anderen sagte er, daß er mit dem Spindeldürren alleine sein wollte.

Der nahm Platz und sah Lenz ängstlich an. »Was ist denn?«

»Du solltest inzwischen wissen, daß ich net dulden kann, daß sich wer gegen mich stellt«, antwortete Lenz. »Beschwer dich also net.«

Der Spindeldürre reagierte nicht, hielt sich lediglich den Kiefer.

»Du mußt net verschwinden«, sagte Lenz, »aber wenn du bleibst, dann gibt’s keinen Widerspruch mehr. Mehr will ich jetzt net wissen. Also, ordnest du dich unter oder verschwindest?«

»Wie lange Zeit hab’ ich, um zu überlegen?«

Lenz sah auf die Uhr. »Zwei Minuten… die Zeit läuft.«

Noch bevor die zwei Minuten abgelaufen waren, nickte der Spindeldürre.

»Ist schon recht«, murmelte er, »ich bleib dabei und… also, es kommt nimmer vor.«

»Laß es gut sein, Rudi«, murmelte Lenz, »hast du mitbekommen, was ich eben gesagt hab’?«

Der Spindeldürre nickte.

»Ich werd’ mir die Tannhofer-Christl schnappen«, sagte Lenz.

»Was willst denn mit der?« fragte der Spindeldürre. »Auf die hat der Schall-Toni ein Auge geworfen, das weißt du doch…!«

»Ebendrum«, erwiderte Lenz, »ebendrum. Mit dem Schall-Toni hat unsere Misere nämlich angefangen.«

Der Spindeldürre nickte. »Und mit ihm willst sie auch beenden, oder?«

Lenz nickte. »So ist es.«

»Hoffentlich beendest damit net unser Zusammensein«, murmelte er leise vor sich hin. »Denn wenn der Schall-Toni erst mal wütend ist, dann gibt’s Ärger, und zwar richtigen…!«

*

Der Berner-Michl war schon viel mehr in Lissi verliebt, als er sich eingestehen wollte, doch als er ihr dann zufällig, wie er meinte, begegnete, wurde es ihm plötzlich bewußt, vor allem, als sie ihn überaus lieb anlachte.

»Hallo…!« Lissi strahlte übers ganze Gesicht. »Ich bin extra nach Kempten gekommen, weil ich gemeint’ hab, ich müßt’ mal sehen, was ein juristischer Referendar in einem Amtsgericht für eine Funktion hat.«

»Hallo«, erwiderte Michl, »das ist eine echte Überraschung. Wenn ich dich richtig verstanden hab’, dann ist das hier gar keine zufällige Begegnung?«

Lissi schüttelte den Kopf. »Nein, ist es nicht.«

»Ich bin bei der Staatsanwaltschaft«, antwortete Michl.

»Oh…!«

Michl winkte ab. »Es ist nix Großes. Gar so riesige Fälle werden hier nicht bearbeitet. Es ist halt ein Amtsgericht.«

»Aber es gefällt dir, oder?«

»Sehr sogar.« Michl zeigte auf eine Gaststätte gegenüber des Amtsgerichtsgebäudes. »Sollen wir was trinken?«

»Wann hast du denn Schluß?«

»Wieso?«

»Wir könnten zu einer Almhütte fahren und da was trinken«, antwortete Lissi. »Ich könnt’ mir vorstellen, daß das ungleich mehr Atmosphäre hat als die Gaststätte dort drüben.«

Michl nickte. »Du kennst anscheinend meinen Geschmack.«

Lissi lächelte. »Der ist net so schwer zu erraten.«

Michl sah sie verliebt an, griff nach ihren Händen und wußte dann nicht, was er sagen sollte.

»Irgendwie ist plötzlich alles anders«, murmelte er schließlich.

»Wie meinst du das denn?«

»Ich würd’ dir gern was sagen«, antwortete Michl, »ich weiß auch was, ich krieg’s aber net heraus. Das ist mir noch nie passiert.«

»Was kriegst denn net heraus?« Lissi hatte ihm inzwischen beide Hände überlassen.

»Ich würd’ dir gern sagen, daß ich dabei bin, mich in dich zu verlieben«, antwortete Michl.

Lissi wirkte plötzlich überaus ernst. »Bist du dir im klaren darüber, was du eben gesagt hast?«

»Ja, bin ich. Ich hab’ dir nur nicht die ganze Wahrheit gesagt.«

»Was wäre denn die ganze Wahrheit…?«

»Ich bin nicht dabei, mich in dich zu verlieben, ich hab’ mich schon längst in dich verliebt. Ich weiß allerdings nicht, wie ich dazu komme, dir gerade auf der Treppe des Kemptener Amtsgerichtes eine Liebeserklärung zu machen.«

Lissi lächelte. »Vielleicht ist das unter Juristen ja so üblich…!«

Hand in Hand standen die beiden auf der Treppe, die ins Amtsgerichtsgebäude führte. Sie sahen sich an, bis Lissi sich auf die Zehen stellte und Michl ganz rasch auf einen Mundwinkel küßte, danach lächelte sie ihn ganz lieb an.

»Vielleicht nimmt dir das ja die Scheu«, sagte sie, »es hätt’ was, wenn du mich jetzt küssen würdest.«

»Vor all den Leuten?« Michl zeigte um sich.

»Je mehr Zeugen dabei sind«, antwortete Lissi, »desto weniger kannst du nachher alles abstreiten.«

Die beiden schienen alles um sich herum vergessen zu haben, als sie sich küßten. Sie bekamen nicht mit, daß der leitende Staatsanwalt vorüberging und die Augenbrauen hochzog und daß Marion Lautner, hinter einer überdimensionalen Sonnenbrille versteckt sogar kurz stehenblieb, und dann mit gesenktem Haupt rasch weiterging, bekamen sie auch nicht mit.

*

Michl hatte sich zu Beginn seiner Referendarzeit in Kempten in Gerichtsnähe ein Appartement gemietet, doch inzwischen hatte er sich zumindest an den Wochenenden beim Karner-Hans einquartiert, der ihm dies mehrfach angeboten hatte.

»Es wär’ ein Blödsinn, wenn du abends immer nach Kempten fahren würdest«, hatte er gesagt, »wenn du mit einer bescheidenen Behausung zufrieden bist, dann bist herzlich willkommen.«

Michl fühlte sich wohl im Allgäu und inzwischen kam er auch wochentags schon mal nach Vorderstein, er wollte einfach nicht auf Lissis Nähe verzichten.

»Komm doch mal zu uns nach Haus«, sagte sie, als sie spätnachmittags im Bergerhof saßen.

Michl zog die Augenbrauen hoch. »Du meinst, ich müßt’ deine Familie besuchen?«

Lissi schüttelte sofort den Kopf, aber man sah ihr die Enttäuschung an.

»Du mußt natürlich nicht«, sagte sie, »ich hab’ es deswegen gesagt, weil ich gemeint hab’, du würdest gern meine Leut’ kennenlernen.«

»Ich kenne sie doch schon…!«

»Meinen Vater kennst du nicht«, antwortete Lissi, die immer trauriger wurde.

Michl blieb das nicht verborgen.

»Meinst nicht, daß es zu früh ist, wenn ich bei euch zu Haus’ auftauch’?« fragte er.

»Zu früh?« entgegnete Lissi. »Wozu?«

»Sieht das nicht nach Antrittsbesuch des künftigen Schwiegersohns aus?« Als Michl es ausgesprochen hatte, wußte er, daß zumindest die Formulierung völlig falsch gewesen war. Doch als er versuchen wollte, es noch abzumildern, da schüttelte Lissi den Kopf.

»Nein, nein«, sagte sie, »Du hast recht, das… der Vater könnte es durchaus falsch verstehen. Streichen wir es einfach.« Dann sah sie auf die Uhr. »Ich muß eh weg.«

»Jetzt schon?« Michl war enttäuscht, das stand fest.

Die beiden hatten sich am Bergerhof getroffen und waren ein Stück den Geierstein hinauf gegangen. An einem wunderschönen Fleck hatten sie sich auf einen von der Frühsommersonne aufgewärmten Felsbrocken gesetzt und geträumt, bis es dann ein wenig frisch geworden war und sie hinunter in den Bergerhof gegangen waren.

Dort saßen sie jetzt mal gerade eine Viertelstunde und Michl hatte noch lange nicht zurück nach Kempten fahren wollen.

Lissi nickte. »Ich… ich muß mich morgen um einige Dinge kümmern und… und möcht’ nicht unausgeschlafen sein.«

Michl spürte plötzlich eine Distanz, die vorher nicht dagewesen war. Er griff nach Lissis Händen, die sie ihm jedoch sehr geschickt wieder entzog.

»Du, ich muß wirklich gehen«, sagte sie und stand schon auf.

Bevor Michl etwas dagegen tun konnte, verließ sie die Gaststube, ging zu Heidi und zahlte.

»Du gehst schon?« Die fesche Bergerhof-Wirtin sah Lissi erstaunt an.

Diese nickte. »Ich hab’ morgen viel zu tun«, wiederholte sie, was sie bereits zu Michl gesagt hatte.

Heidi spürte, daß etwas nicht stimmte bei den beiden.

»Ist der Michl schon weg?« fragte sie.

Lissi schüttelte den Kopf. »Nein, er müßt’ eigentlich noch da sein.« Dann lächelte sie sehr knapp und gleich darauf verließ sie den Bergerhof.

Michl fuhr an dem Abend nicht mehr nach Kempten, sondern zum Karner-Hans, der erstaunt dreinsah, als Michl so zeitig daherkam.

»Was ist?« fragte er dann auch gleich.

Michl zuckte mit den Schultern. »Ganz sicher weiß ich es nicht, aber ich glaub’, die Lissi ist plötzlich eher verschlossen gewesen. Sie hat gezahlt und ist nach Haus’ gefahren. Sie hätt’ morgen viel zu tun, hat sie gesagt.«

Hans fragte, ob Michl einen Apfelmost wolle? Als er nickte, kam Hans nicht viel später mit einem Krug Most und zwei Gläsern zurück.

»Die Frauen bleiben uns ewig ein Rätsel«, sagte Hans. »Wenn ich an den Abend mit der Moni denk’, sie… sie steht einfach auf und geht.«

»Mir ist’s heut’ net bessergegangen«, erwiderte Michl. Dann fügte er hinzu: »Wobei ich wahrscheinlich ein bisserl unsensibel gewesen bin.«

»Wieso…?«

Während Michl erzählte, was passiert war, verzog Hans das Gesicht.

»Wenn die Moni mich nach Haus’ bitten würd’«, erwiderte er, »oje, ich würd’ zu Fuß hingehen. Ich würd’ alles tun, daß sie mir wenigstens mal zuhört. Du und die Lissi, ihr seid euch ja schon einig, das sind die Moni und ich noch lang’ net. Sie weiß net einmal, wie sehr ich für sie schwärm’.«

»Das hilft mir jetzt auch net weiter«, entgegnete Michl. »Was meinst denn du? Hätt’ ich ihre Familie besuchen sollen?«

Hans nickte. »Ja, sicher. Aber das mußt eigentlich du wissen.«

»Du meinst, die Lissi hätt’ wirklich erwartet, daß ich sie zu Hause besuche?«

»Na klar«, antwortete Hans. »Sie muß doch denken, daß du es net ernst meinst.«

»Aber wir kennen uns doch erst mal ein paar Tage, da stellt sich die Frage, ob ich’s ernst mein’ oder nicht doch gar nicht.«

»Für die Lissi offensichtlich schon…!«

Michl saß danach sprachlos da und grübelte. Irgendwann stand er auf und ging unruhig vor dem kleinen Haus auf und ab. Es lag am Westhang des Kleinen Rabenkopfs und bot eine wunderschöne Sicht in Richtung Kleinwalsertal.

»Ich bin der größte Ochs’, den es je da im Allgäu gegeben hat«, murmelte er nach einer Weile. Dann stand er auf. »Du, ich fahr…!«

»Du bleibst net?« Hans sah Michl enttäuscht an.

Der schüttelte den Kopf. »Es ist gescheiter, wenn ich nach Kempten fahr’. Ich weiß jetzt, daß ich Blödsinn gemacht hab’. Jetzt muß ich schauen, wie ich da wieder herauskomm’.«

Hans lachte. »Daß einer, der bei der Staatsanwaltschaft arbeitet, so leicht aus dem Tritt kommt, damit hätt’ ich net gerechnet.«

Während Hans und Michl noch miteinander redeten, kam Lissi nach Hause. Das hübsche Mädchen war in den letzten Tagen

immer frohgelaunt und bester Stimmung gewesen, man hatte

ihr die Verliebtheit quasi angesehen.

Sie betrat das Haus und sah rasch in die Stube, wo Moni und ihr Vater zusammensaßen.

»Du bist schon zurück?« fragte der, während er die Zeitung beiseitelegte und die Lesebrille abnahm.

»Ja«, antwortete Lissi, »ich wollt’ nur noch Gute Nacht sagen. Morgen muß ich ganz zeitig nach München.«

»Du mußt nach München…?« fragte ihr Vater.

Doch Lissi hatte die Stubentür schon wieder geschlossen.

»Was will sie denn in München?« Der Tannhofer-Max sah Moni an, die bisher still dagesessen war.

»Sie hat von der Universität Nachricht bekommen«, antwortete die, »es geht um ihr Studium.«

»Da schau her«, murmelte ihr Vater, »und ich weiß nix davon.«

»Heut’ morgen, als die Post gekommen ist«, erwiderte Moni, »da warst net da. Und nachher, als du wieder da warst, da war die Lissi schon weg.«

Der Tannhofer-Max nickte. Das reichte ihm als Erklärung. Doch dann fragte er: »Sag mal, ist dir auch aufgefallen, daß die Lissi eben so komisch dreingeschaut hat?«

Moni war es sofort aufgefallen, aber da sie wußte, wie sehr ihr Vater sich immer sorgte, schüttelte sie den Kopf und wollte wissen, was er meine.

»Na, sie war wieder ernst«, antwortete der, »nimmer so fröhlich wie in den letzten Tagen. Irgendwas ist passiert, da bin ich ganz sicher.« Dann stand er auf. »Ich geh’ mal nachfragen.«

»Bleib du mal da«, erwiderte Moni, »wenn, dann geh’ ich nach der Lissi schauen.«

»Dann geh aber auch«, erwiderte ihr Vater, dessen Stirn plötzlich voller Falten lag.

Moni ließ sich Zeit, denn sie mochte auch nicht, wenn jemand hinter ihr herkam, um Fragen zu stellen, die unter Umständen mehr als unangenehm waren.

Als sie an die Tür zu Lissis Zimmer klopfte, hörte sie laute Musik, möglicherweise hörte Lissi ihr Klopfen gar nicht. Sie klopfte noch mal und als wieder keine Reaktion erfolgte, trat Moni einfach ein.

Lissi lag bäuchlings auf dem Bett, hatte ein Kissen über den Kopf gezogen, die Musik spielte überlaut und Lissis Körper zuckte, daß Moni zuerst meinte, sie bewege sich im Takt der Musik. Doch dann hörte sie ein Schluchzen und sie wußte, daß Lissi weinte, so sehr weinte, daß selbst laute Musik ihr Schluchzen nicht übertönen konnte.

*

Moni war von allen Tannhofer-Töchtern diejenige, die am stillsten war und am wenigsten am Leben außerhalb des Hofes teilnahm. Sie verrichtete ihre Hausarbeit, was ihr Freude bereitete, sie versorgte das Vieh, soweit ihr Vater das nicht tat und sie hielt quasi alles zusammen, was nichts anderes hieß, daß sie stillschweigend die Aufgaben der Bäuerin übernommen hatte.

Die Moni hatte sich nie beschwert, auch nicht, wenn ihr die Arbeit manchmal ein wenig viel geworden war.

Doch in der vergangenen Woche hatte sie zum ersten Mal so was wie ein Defizit in ihrem Wohlbefinden festgestellt. Wenn Christl mittags losfuhr, um im Bergerhof zu arbeiten, sah die Moni ihr mit sehnsuchtsvollen Blicken hinterher, was sie sonst nie getan hatte.

Als die Christl an jenem Tag, als Lissi nach München gefahren war, mittags zum Bergerhof wollte, stand Moni im Stiegenhaus und hatte was auf dem Herzen, das sah man ihr unschwer an.

»Der… der Karner-Hans«, sagte sie zu ihrer Schwester.

»Ja…?« Christl sah Moni fragend an.

»Kommt der ab und zu noch mal?« wollte sie wissen.

»Sicher kommt der noch mal. Drei-, viermal in der Woch’ ist der Hans sicher da.«

»Immer abends?«

Christl schüttelte den Kopf. »Auch mal nachmittags. Er braucht ja auf keinen Rücksicht zu nehmen. In Ordnung zu halten hat er net viel, und wohnen tut keiner bei ihm. Höchstens mal der Berner-Michl, das war’s aber auch schon.«

Moni sah unter sich und malte mit der Fußspitze Figuren auf den steinernen Fußboden.

»Wenn… wenn er das nächste Mal kommt, weißt du das?« fragte sie schließlich.

Moni nickte. »Wenn es keine gravierenden Änderungen in seinem Verhalten gibt, dann kommt er heut’ abend.«

»Heut’ schon?«

»Ja, Donnerstags ist er immer da.«

»Trifft er sich mit wem?«

Christl schüttelte den Kopf. »Manchmal spielt er Karten, manchmal redet er nur, oft diskutieren s’ auch heftig. Warum fragst du danach?«

»Nur so…!«

»Aha.«

Als Christl daraufhin gehen wollte, hielt ein Räuspern Monis sie kurz vor der Haustür zurück. Sie drehte sich zu ihrer Schwester um und fragte: »Ja…?«

»Iich… ich hab’ net nur so nach dem Hans gefragt«, erwiderte die, wobei ihre Stimme leise klang und ihr Gesicht rot schimmerte.

»Du hast dich in ihn verschaut«, erwiderte Christl, »und bist erschrocken, weil du das Gefühl net kennst, obwohl du die Älteste von uns bist. Ist es so?«

Moni nickte verlegen. »Es zwickt in mir und ich denk’ immer an den Hans, dabei ist’s mir dann ganz heiß und am liebsten würd’ ich ihn in die Arme nehmen, wenn er da wär’. Wenn er aber da wär’, dann hab’ ich wieder totale Hemmungen.«

»Bist letztens deshalb so rasch aus dem Bergerhof verschwunden?«

Moni zuckte mit den Schultern. »Net ganz, aber es hat was damit zu tun gehabt.«

»Was denn?«

Moni hatte knallrote Wangen, als sie weiterredete. »Er hat mich so angeschaut, wie, wenn wer verliebt ist. Ich hab’s schon öfter im Fernsehen gesehen.«

Christl lächelte. »Dann ist doch alles in Ordnung.«

»Wieso?«

»Na ja, wenn du dich in ihn verschaut hast und er hat dich verliebt angeschaut, wo ist da das Problem?«

Moni atmete tief durch. »Das Problem ist, daß ich den Hans letztens im Bergerhof net grad’ freundlich behandelt hab’.«

»Und du meinst, jetzt würd’ er sich abwenden?«

Moni nickte. »Es könnt’ doch sein. Jedenfalls hat er nix mehr von sich hören lassen.«

»Na ja, wenn ich verliebt wär’, und man würd’ mich unfreundlich anblaffen, dann würd’ ich mich auch zurückhalten.«

»Du meinst, er ist mir net bös’?«

»Der Karner-Hans?« Christl lachte. »Du bist gut. Wenn einer in einen verliebt ist, dann ist er net bös, jedenfalls net demjenigen, in den er verliebt ist. Es nimmt schließlich was seinen Lauf, gegen was man sich net stellen kann, auch wenn man sich noch soviel Mühe geben würd’.«

»Du… du meinst, der Hans und ich würden wieder zusammenkommen?« Moni sah Christl fast ein wenig ängstlich an.

Die lachte. »Aber, du Tschapperl. Ihr seid doch gar net auseinander. Ihr seid ja net mal zusammen. Du spürst doch mal grad’, daß du den Hans gern hast. Da kann nix auseinander sein.«

Moni atmete tief durch. »Und der Hans, du meinst, er würd’ sich wieder zu mir setzen?«

»Oje, Moni«, murmelte Christl, »du bist perfekt in allen Dingen, wenn es um den Haushalt geht, aber von den Mannsbildern, da hast du keinen blassen Schimmer…!«

*

Marion Lautner hatte Michl Berner nie vergessen. Als der sich damals von ihr getrennt hatte, er war mehr oder weniger über Nacht ausgezogen, war sie in ein tiefes Loch gefallen. Ihr war klar gewesen, daß sie sich ihrer Erfolge wegen sehr verändert hatte, und daß Michl in der Beziehung zuletzt viel zu kurz gekommen war, war ihr auch bewußt gewesen, aber um nichts in der Welt hätte sie das damals zugegeben.

Sie war damals auf Partys ab und zu schon mal mit Drogen in Berührung gekommen und als sie, der gefeierte Jungstar, plötzlich alleine gewesen war, da war plötzlich Kokain ihr täglicher Begleiter geworden.

Immer wenn sie sich einsam gefühlt hatte, und das war zeitweise sehr oft der Fall gewesen, hatte sie sich zurückgezogen und Kokain genommen.

Bis sie vor eineinhalb Monaten bei einer Verkehrskontrolle aufgefallen war. Nicht nur, daß sie gerade ein wenig genommen hatte, nein, man hatte auch ein winziges Briefchen mit Kokain bei ihr gefunden.

Man hatte sie dann nach Kempten zur Staatsanwaltschaft vorgeladen und dort war sie Michl begegnet, als der auf den Stufen des Gerichtsgebäudes seine Freundin, wie hieß sie noch, Lissi? heftig geküßt hatte.

Nicht erst da wußte Marion, daß sie damals Fehler gemacht hatte. Sie hätte Michl damals nicht nur nicht gehen lassen dürfen, sie hätte sich ihm vorher viel mehr widmen müssen. Film und Filmgeschäft hatten mit dem realen Leben, wie sie es sich vorstellte, nichts zu tun. Leider war ihr diese Erkenntnis viel zu spät gekommen.

Mit ihren üppigen Gagen hatte sie das Hotel ihrer Eltern vollkommen renovieren lassen, alles schien gut zu laufen, sie hatte reichlich Angebote, nur eines hatte sie nicht, einen Mann wie Michl Berner an ihrer Seite.

Als sie ihn mit diesem Mädchen gesehen hatte, hatte sie plötzlich den Verlust gespürt. Dieses Mädchen war mal gerade zwanzig, wenn überhaupt, dabei unverschämt gut aussehend, und es hatte nicht mal einen Lidstrich Make-up nötig gehabt.

Sie dagegen benötigte jeden Tag mehr Zeit, um so auszusehen, wie alle meinten, daß Marion Lautner auszusehen habe. Dabei wußte sie alleine, wie sehr ihr Äußeres schon gelitten hatte, von den seelischen Tiefs mal ganz zu schweigen.

Marion hatte nach dem Besuch bei der Staatsanwaltschaft in Kempten in einem abgedunkelten Zimmer gesessen, hatte kaum was gegessen, sie hatte versucht über ihre Situation nachzudenken, was ihr mehr schlecht als recht gelungen war.

Als sie an jenem Tag dann aus ihrer Suite kam, hatte sie eine ganze Nacht geschlafen, was in den letzten Jahren sehr selten vorgekommen war. Einen Tag hatte sie nachgedacht und jetzt wollte sie die Ergebnisse ihres Nachdenkens umsetzen.

Marion sah sehr gut aus, als sie die Lobby des Hotels durchquerte, sahen ihr manche bewundernden Blicke nach. Sie ließ sich ihren Sportwagen vorfahren und nahm die Adresse zur Hand, die sie sich hatte heraussuchen lassen.

»Mein lieber Michl«, sagte sie, als sie in den Wagen stieg, »ich werde zumindest den Versuch unternehmen, dich diesem Mädchen wieder wegzunehmen.«

Auf dem Weg nach Kempten, Marion hatte die Adresse des Appartements bekommen, überlegte sie, wie sie vorgehen sollte. Als ihr in den Sinn kam, was sie tat, mußte sie lächeln, schließlich war sie ein gefeierter Star, sie hatte es nicht nötig, bei wem auch immer Schlange zu stehen.

Das Appartement lag in Sichtweite des Amtsgerichtsgebäudes, alles in allem eine ziemlich triste Atmosphäre.

Sie stellte ihren Wagen ab, Parkplätze gab es reichlich, stieg aus, und ging zu jenem Appartementhaus, das man ihr als Adresse Michls aufgeschrieben hatte.

Sie fand das Klingelschild mit Michls Namen und läutete. Als sich nichts rührte, drückte sie erneut auf die Klingel, aber wieder tat sich nichts. Nervös zupfte sie eine Zigarette aus dem goldenen Etui und zündete sie an.

Aber auch als sie die Zigarette in der einen Hand hielt und mit der anderen läutete, tat sich nichts. Ärgerlich warf Marion die halb angerauchte Zigarette weg und ging zurück zu ihrem Wagen.

Sie stieg ein und fuhr zurück in Richtung Oberstdorf. Unterwegs überlegte sie, wo Michl sein konnte. Daß er an jenem Tag frei hatte, wußte sie, aber sie hatte angenommen, Michl sei den Tag über in Kempten.

Daß sie überhaupt so forsch an die Sache herangegangen war, lag daran, daß sie mit einem Kollegen Michls gesprochen hatte, den sie noch aus der Zeit kannte, in der sie mit Michl zusammen gewesen war. Der hatte gelacht, als sie ihm erzählt hatte, daß sie Michl mit einem hübschen jungen Mädchen getroffen habe.

»Eine seiner üblichen Affären«, hatte der Studienkollege geantwortet, »seit er nicht mehr mit Ihnen zusammen ist, wechselt Michl ständig die Partnerinnen.«

Es war später Nachmittag, als Marion zurück nach Oberstdorf kam. Sie stellte den Wagen vor dem Hotel ab, gab den Schlüssel einem Boy, der ihn in die Tiefgarage fahren würde.

In ihrer Suite, sie hatte es dort vergessen, nahm sie ihr Handy und wählte über Wahlspeicher Michls Handynummer, Augenblicke später meldete er sich.

»Wo warst du?« fragte Marion, ohne sich mit Namen zu melden, sie ging offenbar davon aus, daß Michl ihre Stimme kennen würde.

Doch er fragte: »Wer ist da bitte?«

»Erkennst du meine Stimme wirklich nicht?« Marion war zutiefst enttäuscht.

»Marion…?« Noch immer war Michl sich nicht sicher.

»Ja, ich bin’s«, antwortete die erfolgreiche Schauspielerin.

»Was willst du von mir?«

»Wo bist du?«

»Bei einem Freund, warum?«

»Ich komme eben aus Kempten und wollte dich besuchen, leider hab’ ich dich nicht angetroffen.«

»Warum hast du vorher nicht angerufen?«

»Ich war sicher, daß du da sein würdest«, antwortete Marion. »Können wir uns sehen?«

Michl zögerte einen Moment. »Sicher«, sagte er dann, »warum nicht?«

»Begeistert hört sich das nicht gerade an…!«

»Oje, Marion«, erwiderte Michl, »hast du plötzlich deine Befindlichkeiten?« Wobei die Betonung auf du lag.

Marion lachte. »Du hast ja recht. Wo bist du? Ich könnte zu dir kommen?«

»Kennst du den Kleinen Rabenkopf?« fragte Michl.

»Sicher, den kennt hier jedes Kind.«

»Dann frag unten am Marterl nach dem Karner-Hans«, erwiderte Michl. »Den kennt hier auch jedes Kind.«

»Ich bin in einer halben Stunde da«, erwiderte Marion, dann beendete sie das Gespräch.

*

»Wer war das?« Der Karner-Hans sah Michl neugierig an.

»Marion Lautner«, antwortete der.

»Aha, ist das eine Bekannte?«

»Ich war mal über mehrere

Jahre mit ihr befreundet«, antwortete Michl. »Kennst du sie nicht?«

Der Hans grinste. »Wieso sollt’ ich eine deiner Verflossenen kennen?«

»Ich dacht’, dir würde der Name was sagen…!«

»Wie heißt sie?«

»Marion Lautner.«

Hans dachte eine Weile nach, dann schüttelte er den Kopf. »Es tut mir leid…!«

»Ist schon recht«, antwortete Michl. »Sie ist Schauspielerin, und zwar eine erfolgreiche.«

»Wie heißt sie?« Hans sah Michl erneut fragend an.

Der wiederholte den Namen, aber Hans zuckte erneut mit den Schultern. »Vielleicht würd’ ich sie kennen, wenn ich sie sehen würd’.«

»Du wirst sie sehen«, antwortete Michl.

»Wieso?«

»Sie ist auf dem Weg her zu uns.«

»Eine Schauspielerin kommt her?« Plötzlich war Hans aufgeregt. »Das gibt’s doch gar net. Was will sie denn hier?«

»Mich besuchen.«

»Michl…!« Hans sah den Berner-Michl vorwurfsvoll an. »Du weißt doch, daß ich mich schwertu’ mit solchen Leuten. Sie… sie sind einfach anders als ich. Ich komm’ dann rasch ins Stottern und dann wird’s noch schlimmer.«

»Hör auf«, erwiderte Michl, »du bist hier zu Haus’, hier mußt du nix und niemanden fürchten. Außerdem hast du Marion net gebeten zu kommen.«

»Und du meinst net, daß ich… daß ich mich anders als sonst verhalten muß?« Noch immer sah der Karner-Hans ein wenig ängstlich drein.

»Du bist hier der Chef«, erwiderte Michl, »du bestimmst, wie es hier ist und damit basta. Wenn es der feinen Dame net paßt, dann kann sie wieder gehen.«

»Du… du willst dich mit ihr streiten?«

Michl schüttelte den Kopf. »Nein, wollen tu’ ich’s net. Aber bei Marion kann’s schon mal darauf hinauslaufen.«

Im gleichen Moment heulte vorne an der Straße ein Motor auf.

»Das ist sie«, sagte Michl.

Hans stand auf, wischte sich die Hände an der Hose ab und sah Michl an. »Was ist? Willst du sie net holen?«

Michl schüttelte den Kopf. »Jetzt kannst durch dein Verhalten ein bisserl die Karten verteilen. Setz dich, sie wird schon kommen.«

Augenblicke später war Marion da. Sie würdigte Hans, der sie anstarrte wie ein Weltwunder, keines Blickes, sondern ging gleich auf Michl zu, bückte sich und hielt ihm die Wange hin.

Doch der ignorierte sie und sagte: »Reifer geworden bist du auch nicht.« Dann stand er auf. »Das ist der Hans. Du bist in seinem Haus und hältst es nicht mal für nötig, ihm einen guten Tag zu wünschen…?«

Binnen Sekundenbruchteilen schimmerte Marions Gesicht knallrot. Sie drehte sich um, setzte ein leeres Lächeln auf und hielt Hans die Hand hin. »Hallo…!«

Als Hans nicht gleich reagierte, zog Marion die ausgestreckte Hand zurück. »Du siehst ja, der will gar nicht. Der hat genauso Berührungsängste wie alle anderen Landtypen auch. Ich kann nichts dran machen.«

Michl zögerte einen Moment, dann fragte er: »Was willst du?«

»Können wir alleine reden?«

»Was willst du?«

Marion schluckte. Sie hatte mit Michls Entgegenkommen gerechnet, nicht mit einer so konsequenten Haltung.

»Ich geh mal«, sagte Hans, der verlegen lächelte, »ich hol’ mal was zu trinken, wenn’s recht ist.« Dann war er verschwunden.

»Wieso hast du eigentlich einen solchen Hang zu so… so einfachen Typen?« Marion zündete sich eine Zigarette an, blies den Qualm in die Luft und sah Michl dann fragend an.

»Möglicherweise, seit ich Leute wie dich kenne«, antwortete Michl. »Du hast nichts Authentisches an dir, alles ist gespielt. Du wirst nie zufrieden sein oder Glück empfinden können, wenn du nicht bereit bist, dein Leben zu ändern.«

Marion starrte Michl benommen an. »Du… du weißt nicht, warum ich hier bin, sonst würdest du nicht so reden.«

»Wissen tu’ ich nicht, warum du hier bist«, erwiderte Michl, »aber ich ahne es.«

»Das kann ich mir nicht vorstellen…!«

Michl lächelte. »Man ordnet Künstlern doch ein hohes Maß an Phantasie zu.«

»Dann sag mir, warum ich hier bin.« Marion sah Michl herausfordernd an.

Der lächelte. »Ich werde nicht zu dir zurückkehren. Das kannst du völlig ausschließen.«

Marion wurde kreidebleich. »Aber... aber Michl...!«

»Wir hatten unsere Zeit«, erwiderte der, »anfangs war’s sogar schön, später nur mehr eine Qual. Außerdem habe ich inzwischen das Madel gefunden, das ich liebe, verstehst du was ich sage, ich liebe Lissi.«

»Du redest sicher von dieser kleinen Bauerntochter...!«

Michl nickte. »Ja, Lissi ist die Tochter von Max Wagner, den man Tannhofer nennt. Das drückt was aus, falls du so weit nicht denken solltest. Und ich wiederhole es gerne, ich liebe Lissi.«

»Das glaubst du doch selber nicht«, entgegnete Marion. Sie war aufgestanden und ging aufgeregt auf und ab. »Du... du kannst unsere Zeit nicht vergessen haben.«

Michl lächelte. »So ist es, ich habe sie nicht vergessen. Und jetzt bitte ich dich zu gehen...!«

»Du wirfst mich hinaus?«

Michl schüttelte den Kopf. »Nein, das kann ich nicht, das müßte Hans tun, was er nie übers Herz bringen würde, wie kalt und maßregelnd du auch zu ihm bist.«

Marion trat einen Schritt auf Michl zu, streckte beide Hände aus, doch Michl zog die Augenbrauen zusammen und hob abwehrend beide Arme.

»Laß es gut sein, Marion«, sagte er, »leb du dein Leben und laß mich meines leben. Zusammen geht es nicht mehr, ich hab’ dir gesagt warum...!«

*

Lissi war in München gewesen, hatte den ganzen Tag an der Uni verbracht, Einführung ins Jurastudium hatte sie die Veranstaltung genannt, dann war sie wieder nach Hause gefahren.

Lissi hatte sich vor allem über den Massenbetrieb an der Uni gewundert, verträumtes Studentenleben, wie es früher möglich gewesen war, gab es heute offensichtlich nicht mehr.

Sie hatte versucht, zumindest während ihres Aufenthaltes an der Uni ihre Gedanken an Michl hinten anzustellen, was ihr auch leidlich gelungen war. Doch als sie auf dem Nachhauseweg war, dachte sie ständig an ihn.

Sie wußte inzwischen auch, daß sie falsch reagiert hatte, als sie an jenem Abend im Bergerhof mehr oder weniger unvermittelt aufgestanden und nach Hause gefahren war. Aber sie war in dem Moment so enttäuscht gewesen, weil sie gemeint hatte, Michls Gefühle ihr gegenüber seien nicht echt gewesen.

Sie hatte von Michl verlangt, daß er sich offen zu ihr bekannte, bevor er seiner Gefühle sicher sein konnte.

Wenn Lissi an Marion Lautner dachte, lief ihr ein kalter Schauer über den Rücken. Was sie früher von ihr gehalten hatte, war binnen weniger Minuten völlig auf den Kopf gestellt worden. Marion war unzweifelhaft eine schöne Frau, aber charakterlich hatte sie deutliche Defizite.

Schon kurz hinter München hatte Lissi sich entschlossen, nicht gleich nach Hause zu fahren, sondern Michl zu besuchen, sie wollte ihm sagen, daß sie ihn sehr lieb habe. Wie er dann damit umgehen würde, mußte er wissen.

Sie hielt in Kempten, es war vielleicht eine halbe Stunde nachdem Marion dort gewesen war, wußte wenige Minuten später, daß Michl nicht in seinem Appartement war, hielt an einer Telefonzelle, wählte die Nummer vom Karner-Hans und wußte wenige Minuten später, daß Michl bei ihm war.

»Aber sag ihm bitt’ schön nicht, daß ich angerufen hab’«, bat sie Hans, »ich möcht’ ihn überraschen.«

»Ist schon recht«, antwortete Hans. Der Anruf erreichte ihn kurz bevor Marion auf Michls Handy anrief und ihr Kommen ankündigte.

Hans vergaß den Anruf sofort, als Michl ihn fragte, ob er Marion Lautner kenne.

Lissi wunderte sich über den Sportwagen vor Hans’ Haus, daß es der Wagen Marion Lautners war, auf die Idee kam sie nicht.

Sie öffnete das Gartentor und betrat das Grundstück, hinter dem Haus hörte sie Stimmen. War das nicht...? Lissi hätte sich fast auf dem Absatz umgedreht, als sie Marion Lautners Stimme erkannte.

Doch dann bekam sie einige Gesprächsfetzen mit und sie ging ein wenig näher.

»... ich liebe Lissi«, hörte sie Michl sagen.

»Marion Lautner ist bei Michl«, flüsterte plötzlich eine Stimme neben ihr und als sie sich umdrehte, stand der Karner-Hans da und lächelte sie verlegen an.

Lissi nickte. »Ich weiß, ich hab’ sie an der Stimme erkannt.«

»Du weißt, wer sie ist?«

Lissi nickte noch mal. »Ja, ich weiß es. Daß sie eine bekannte Schauspielerin ist und mal Michls Freundin war.«

»Ich... ich weiß net, wie ich es sagen soll«, erwiderte Hans, »aber du und der Michl, ihr paßt viel besser zusammen...!«

Lissi lächelte, beugte sich vor und küßte den überraschten Hans auf die Wange. »Dank’ schön, das hast du sehr lieb gesagt. Wann ist Marion denn gekommen?«

»Vor ein paar Minuten...!«

»Und was will sie?«

Hans grinste verlegen. »Ich glaub’, sie will den Michl überreden, daß er... daß er wieder zu ihr zurückkommt. Aber sie kann noch so schön tun und reden, der Michl hat nur dich in seinen Gedanken. Er hat mich letztens darauf angesprochen, weil er net gewußt hat, ob er mit dir nach Haus’ kommen sollt’...!«

Im gleichen Augenblick rauschte Marion an ihnen vorüber. Sie sah weder nach rechts, noch nach links, Augenblicke später hörten sie den Motor ihres Wagens aufheulen und mit quietschenden Reifen fuhr sie davon.

Hans grinste. »Wenn du zu Michl gehen willst, dann kannst es jetzt tun. Ich koch’ mal Kaffee und laß mir Zeit dabei...!«

Michl stand da, hatte die Hände tief in den Hosentaschen vergraben, sah hinaus in die wunderschöne Bergwelt des Allgäus und schien derart in Gedanken, daß er nicht mitbekam, wie Lissi hinter ihn trat. Erst als diese sich räusperte, fand er zurück in die Realität.

Erschrocken starrte er sie an, brachte zuerst keinen Ton heraus, bis er ihren Namen hauchte: »Lissi...!«

Die ging zu ihm, schmiegte sich fest an ihn und so standen sie lange da, bis Hans mit dem Kaffee kam.

»Ich steh’ jetzt schon eine ganze Weile da«, sagte er, »wenn ich noch länger wart’, wird er kalt und das ist auch nix. Ihr habt euch schließlich noch ein ganzes Leben...!«

*

»Servus, Lissi...!« Der Tannhofer lächelte am nächsten Morgen beim Frühstück seine Jüngste überaus freundlich an. »Wie war’s denn in München?«

»Interessant...!«

»Willst immer noch Jura studieren?«

Lissi nickte. »Na klar.«

»Na ja, dann werd’ ich bei der Bank vorsprechen müssen, daß sie jetzt monatlich einen Betrag vom Konto deiner Mutter auf deines überweisen.« Der Max lä­chelte. »So vergeht die Zeit. Was meinst, wie sich deine Mutter gefreut hätt’, wenn sie mitbekommen hätt’, daß du Jura studierst.«

»Vor allem wo’s gar net nötig wär’«, sagte Christl, bevor sie in ihre Semmel biß.

»Was wär’ net nötig gewesen?« fragte ihr Vater.

»Daß die Lissi Jura studiert.«

»Wieso? Was heißt denn net nötig gewesen?«

»Der Michl ist doch Jurist, was braucht man zwei Juristen in der Familie?« Christl grinste.

Daraufhin sahen alle Lissi an, die es eine Weile aushielt, unbeteiligt zu tun, doch dann lachte sie.

»Ist ja schon gut«, sagte sie, »ja, der Michl und ich, wir... also, er kommt heut’ nachmittag her zu uns.«

»Respekt...!« Ihr Vater nickte zufrieden. »Wie’s ausschaut, ist die erste meiner Töchter in festen Händen.«

Christl stand auf. »Mich kannst auch als in festen Händen betrachten. Ich hab’ heut’ frei und werd’ zum Toni in den Ausschank gehen. Es bleibt also nur noch die Moni...!«

»Und auf die kommt’s an«, sagte ihr Vater, während er seine älteste Tochter ansah.

»Jetzt schaut’s net so«, erwiderte diese. »Der… also, wenn ich wollt’, dann… dann würd’ ich auch einen Hochzeiter haben.«

»So, würdest du?« Ihr Vater lächelte.

»Ja, würd’ ich…!«

»Wen denn?«

»Das sag’ ich net«, erwiderte Moni. Dann stand sie auf. »Ich werd’ heut’ net zu Haus’ sein. Ich…!«

»Sag nur, du willst zu deinem Galan…?« Lissi bekam vor lauter Staunen den Mund nicht zu.

»Der Hans ist kein Galan«, entgegnete Moni.

»Von welchem Hans ist denn hier die Red’?« Der Tannhofer-Max stellte sich dumm.

»Ich… ich bring’ ihn nachher mit«, sagte Moni. »Zum Kaffee bring’ ich ihn mit, wie die Lissi den Michl mitbringt.«

»Und du?« Der Tannhofer-Max sah Christl an. »Was ist mit dir? Kommst du auch und bringst den Toni mit?«

Christl nickte sofort. »Ich werd’ ihm sagen, daß er den Almausschank schließen muß, schließlich werden net oft alle Schwiegersöhne zur gleichen Zeit auf dem Tannenhof sein…!«

*

Der Weiner-Lenz hatte nicht vergessen, was er sich vorgenommen hatte. Am vergangenen Abend hatte er zufällig mitbekommen, wie die Bergerhof-Heidi zu Luise sagte, daß am nächsten Tag kein Madel da sei, weil die Christl einen Tag auf die Alm zum Toni wolle. Eine solche Information hatte er herbeigesehnt.

Mit seinen Spezln traf er sich momentan nicht, nur der Spindeldürre war ab und zu bei ihm, so auch am vergangenen Abend im Bergerhof.

»Morgen«, sagte Lenz zu dem Spindeldürren, »morgen werd’ ich dem Schall-Toni zeigen, was es heißt, sich gegen den Weiner-Lenz zu stellen.«

»Wieso?« Der Spindeldürre stellte sich dumm, obwohl er ahnte, was Lenz meinte.

»Ich schnapp mir morgen die Christl, wenn sie hinauf auf die Alm will…!«

»Echt?« Der Spindeldürre hatte den Lenz bewundernd angesehen. Dabei war ihm ganz anders zumute als ihn zu bewundern. Immerhin hatte der Lenz ihn vor seinen anderen Spezln gedemütigt, wie es schlimmer nicht hätte sein können.

Lenz nickte. »Du hast ja gehört, gegen neune will die Christl vom Bergerhof weg hinauf auf die Alm zu Toni gehen.«

»Das hab’ ich gehört«, erwiderte der Spindeldürre. »Und dabei willst sie dann abfangen?«

»So ist es.«

»Und wo willst sie abfangen?«

»Wo wohl«, erwiderte Lenz, der sich sehr wichtig vorkam. »In der kleinen Schlucht, wo unweit die alte Holzknechthütte ist. Da werd’ ich sie dann auch unterbringen, solang’ ich mit dem Toni zugange bin.«

»Soll ich dir helfen?« fragte der Spindeldürre scheinheilig, denn er hatte genau das Gegenteil im Sinn.

Lenz schüttelte den Kopf. »Nix da, das werd’ ich alleine erledigen. Es gibt Angelegenheiten, die erledigt ein echter Bursch alleine«, dann grinste er, »vor allem, wenn’s ein bisserl delikat ist, wenn du verstehst was ich mein’.«

Der Spindeldürre schüttelte den Kopf. »Nein, keine Ahnung.«

»Ich sag’ nur, daß die Christl ein sehr fesches Madel ist und wenn einer wie ich alleine mit ihr in einer Hütte ist…« Lenz grinste. »Den Rest kannst dir ja vorstellen.«

Der Spindeldürre nickte. »Allerdings.«

Minuten später verabschiedete er sich. Lenz fuhr nach Haus, während der Spindeldürre hinauf auf die Alm fuhr, wo Toni den Ausschank hatte. Ganz bis zur Hütte konnte man nicht fahren. Er stellte seinen Wagen ab, ging bis zur Hütte, die schon fest verschlossen war, aber aus den Ritzen der Schlagläden drang Licht.

Der Spindeldürre klopfte ein paarmal, sagte wer er war und daß er mit dem Toni reden müsse.

Eine Viertelstunde später verließ er die Hütte wieder, und Toni ging zu Bett.

»Dieser Dreckskerl von Lenz«, murmelte er, »aber wart’s nur ab, morgen erlebst dein ganz persönliches Waterloo…!«

*

»Servus, Christl…!« Der Weiner-Lenz stand am Rand der Schlucht und lächelte Christl an. »Wo willst denn du hin?«

»Zum Toni«, erwiderte das hübsches Mädchen.

»Aha«, Lenz nickte. »Wenn’s recht ist, werd’ ich mit dir gehen.«

»Sicher, warum soll’s mir denn net recht sein?«

»Da geht’s net weiter«, sagte Lenz, wobei er den Steig hinaufzeigte, den man sonst vom Bergerhof weg nahm.

»Und warum net?«

»Am Brückerl ist Steinschlag heruntergekommen«, antwortete Lenz, »wir müssen den Torsteig nehmen.«

»Am Holzknechthütterl vorbei?«

Lenz nickte. »Genau da.«

»Dann laß uns net länger herumstehen«, sagte Christl, »der Weg ist eh ein gutes End’ weiter.«

Eine halbe Stunde später sahen sie die alten Holzknechthütte.

»So schön ist’s da«, sagte Christl, »und kein Mensch kommt hier her, wieso eigentlich net?«

»Weil’s so sehr abgelegen ist«, antwortete Lenz, dann waren sie bei der alten, ab und zu noch

von Holzknechten genutzten Hütte.

»Da schau mal«, Lenz stand bei der Hütte, die auf einem kleinen Vorsprung stand, und zeigte den Hang hinunter.

»Was ist denn…?« Christl kam zu Lenz, beugte sich vor… und im gleichen Augenblick griff er zu.

»He…!« Christl versuchte sich loszureißen, aber Lenz hatte seine Arme so fest um sie geschlungen, daß sie keine Chance hatte sich zu befreien.

»Am besten ist, wenn du allen Widerstand aufgibst«, sagte Lenz, »dann kann’s nämlich auch für dich noch ganz nett werden. Sei also stad und hör auf, dich gegen mich zu wehren, da hast eh keine Chance.«

Christl hörte auf zu strampeln. Sie wirkte nicht besonders aufgeregt, vielleicht ein bißchen wütend. »Was meinst du denn mit es könnt’ noch ganz nett werden?«

Lenz grinste. »Hast keine Phantasie, dir das vorzustellen?«

»Mir wär’ lieber, du sagst mir’s…!«

»Du bist ein hübsches Madel, ich ein fescher Bursch, da ist doch allerhand möglich, oder?«

»Toni…!«

Lenz lachte. »Dein Toni ist weit weg…!«

»Toni jetzt komm endlich, er hat doch gesagt, daß er mir was antun will, hast es net gehört?«

Lenz lachte noch lauter. »Hier ist kein Toni und auch sonst keiner. In der Hütte ist ein Bett, ich hab’ gestern nachgeschaut und da werd’ ich dir jetzt zeigen, was ein echter Mann alles kann. Du kannst dich schon freuen…!«

»Toni… Herrschaftseiten…!«

»Wir sind ja da«, sagte plötzlich eine Stimme und als Lenz herumschnellte, grinsten ihn der Schall-Toni, der Karner-Hans und Michl Barner spöttisch an.

»Hallo, Lenz…!« Toni nahm Lenz’ Hände und löste sie von der Christl. »Was jetzt passiert, weißt ja hoffentlich.«

Lenz war kreidebleich. »Es… es war nur ein Spaß«, stammelte er, »sonst nix. Ich…!«

»Zuerst wird der Michl dir ein bisserl Ordnung beibringen«, sagte Toni, »dann der Hans und ganz zum Schluß komm’ ich. Ich hoff’, die beiden haben mir dann noch was übrig gelassen von dir.«

Der Berner-Michl griff nach Lenz’ Hemdkragen, zog ihn in die Hütte und schloß die Tür hinter ihm.

»Was uns beide betrifft«, sagte er dann, »das braucht keine Zuschauer. Ich würd’ an deiner Stell’ mein Hirnkastl öffnen, daß du was lernst, denn wenn du nix lernst, dann bleibst immer dumm.«

Gleich darauf hörten sie draußen, wie der Lenz deutliche Argumente verpaßt bekam.

Toni nahm Christl bei der Hand und sagte: »Ich verzicht’ darauf, mir die Hände schmutzig zu machen, ich hab’ was Besseres zu tun…!«

Heimat-Heidi Staffel 4 – Heimatroman

Подняться наверх