Читать книгу Heimat-Heidi Staffel 6 – Heimatroman - Stefanie Valentin - Страница 6

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»Wo willst von da aus hin?« Heidi sah den gutaussehenden jungen Mann fragend an.

»Zum Lohner-Bauern«, antwortete der.

»Was will denn der Lohner-Irg mit einem Notar?« wollte Heidi wissen. »Hat er am End’ sein Werkl noch net verteilt?«

Max Grundner zuckte mit den Schultern. »Das kann ich dir net sagen, weil ich es net weiß. Er wird mir wohl nachher mitteilen, was er von mir will.«

»Der Irg hatte drei Kinder«, sagte Heidi, dann sah sie ihre am Herd stehende Schwiegermutter an, »das stimmt doch, oder?«

Die nickte. »Ja, den Lois, den Toni und die Johanna.« Dann lachte sie. »Der Lohner-Irg ist übrigens ein ganz interessanter Kerl.«

»Wieso…?« Der junge Notar sah Luise fragend an.

»Erstens ist er immer für eine Überraschung gut«, antwortete diese. »Und zweitens weiß er genau was er will, auch wenn’s oft anders ausgesehen hat.«

»Wie alt ist er eigentlich?« wollte Heidi wissen.

»Achtzig ist er geworden«, antwortete Luise. Dann fragte sie wer Kaffee wolle und brachte dann Tassen und den Kaffee zum Tisch, an dem sie danach auch Platz nahm.

»Irgendwie geht wieder ein Stück Oberallgäu mit ihm«, sagte Heidi, »ich find’ es beängstigend.«

»Seine drei Kinder leben allesamt schon nimmer.« Luise überlegte. »Jetzt, vor einem halben Jahr etwa, ist seine Tochter, die Johanna gestorben.«

»Die hat er ganz besonders gemocht, oder?« Heidi sah ihre Schwiegermutter fragend an.

Die nickte. »Ja, das stimmt, die Johanna war sein Augenstern, der hat er immer alles nachgesehen. Seine beiden Buben dagegen haben’s net immer leicht gehabt.«

»Und umgekommen sind die beiden an einem Tag«, fügte Heidi hinzu. »Der Lois ist einem Herzinfarkt erlegen und sein Bruder Toni ist, als er deswegen nach Haus’ hat fahren wollen, tödlich mit dem Auto verunglückt.«

»Dann hat den Lohner das Schicksal aber arg gebeutelt«, murmelte Max Grundner.

Luise nickte. »Das kannst laut sagen. Auch mit seinen Enkeln.«

»Wieso?«

»Jedes seiner Kinder hat wieder nur ein Nachkommen«, antwortete Luise. »Die Lois den Rupert, der Toni die Marion und die Johanna die Laura. Die hab’ ich übrigens erst gestern in Vorderstein gesehen, ein ausnehmend hübsches Madel ist sie.«

»Hast du gehört, daß es

dem Lohner-Bauern irgendwie schlecht geht?« wollte Heidi wissen.

Luise schüttelte den Kopf. »Nein, nix dergleichen. Er soll nur ziemlich wunderlich sein. Das hat jedenfalls die Kathi gesagt. Sie schaut ja nach ihm und achtet darauf, daß er seine Grundordnung hat.«

Max Grundner stand auf, bedankte sich für den Kaffee und sagte, er müsse sich nun auf den Weg machen.

»Grüß den Irg von mir«, sagte Luise, »und bestell ihm, ich würd’ mal bei ihm vorbeischauen.«

Der freundliche Anwalt und Notar mit Amtssitz in Oberstdorf bedankte sich noch mal, dann verabschiedete er sich und verließ den Bergerhof in Richtung Lohnerhof, der hoch oben im benachbarten Draubachtal gelegen war.

»Der Max ist ein netter Kerl«, sagte Luise, »wann hat er denn die Kanzlei von seinem Vater übernommen?«

»Vor einem halben Jahr etwa«, antwortete Heidi.

»Und? Kommt er zurecht?«

»Davon kannst’ ausgehen«, antwortete Heidi, »immerhin hat er jetzt net nur ein Madel als Schreibkraft, sondern gleich drei. Dementsprechend wird er mehr zu tun haben.«

»Dann ist’s ja gut«, erwiderte Luise, danach widmete sie sich wieder der Vorbereitung des Mittagessens. »Fährst du heut’ noch nach Oberstdorf?«

Heidi nickte. »Ich schätz’ mal ja.«

»Dann kannst mir vom Sauringer Gewürze mitbringen«, bat Luise, »ich hab’ sie telefonisch bestellt, und er hat sie bereitstehen, wenn du kommst.«

*

»Du bist der Bub vom Grundner-Franz?« Der Lohner-Irg sah den jungen Notar aufmerksam an, wechselte dann die Brille und winkte ihn schließlich zu sich heran. »Ein bisserl näher kommen mußt, daß ich dich besser sehen kann.«

Als Max neben ihm auf einem Stuhl Platz genommen hatte, der Irg lag im Bett, grinste der Alte und nickte.

»Also die Kinnpartie hast wie dein Vater«, sagte er schließlich, »und deine Augen sind wie die deiner Mutter. Wie geht’s den beiden?«

»Gut soweit«, antwortete Max, »ich soll grüßen. Ich hab’ gar net gewußt, daß ihr euch so gut kennt.«

»Gut ist vielleicht ein bisserl übertrieben«, erwiderte der Irg, »aber kennen tun wir uns schon. Vor allem früher, da warst noch ein kleiner Bub, haben wir uns öfter auf meiner Alm droben getroffen.«

»Und heut’ willst dein Testament machen?« wollte Max wissen. »Gibt’s da einen konkreten Anlaß für?«

Da grinste der alte Irg übers ganze Gesicht. »Noch gibt’s ihn net, aber es könnt’ ihn bald geben.«

»Welchen?«

»Indem ich sterb’«, antwortete der Alte, wobei er immer noch grinste.

Max Grundner mußte wegen des seltsamen Humors lächeln, dann packte er aus seiner Tasche eine Akte und legte sie als Schreibunterlage auf seine Knie.

»Und? Wen willst erben lassen?« fragte er, »wieviel Kinder hast du?«

»Drei«, antwortete der Irg, »aber keines lebt mehr. Dafür hat jedes Kind mir einen Enkel, beziehungsweise eine Enkelin hinterlassen.«

»Und die sollen erben?«

Der Irg nickte.

»Was hast denn überhaupt zu vererben?« fragte Max Grundner. »Deinen Hof, nehm’ ich mal an, dann die Lohner-Alm, Wald wirst noch haben und…!«

»… und noch hier und da ein Grundstück in Oberstdorf«, ergänzte der Irg, »in Immenstadt, in Balding und in Sonthofen sogar noch zwei.«

»Da schau her.« Max Grundner schien beeindruckt. »Hast Grundbuchauszüg’ von den einzelnen Liegenschaften?«

Der Irg nickte und zeigte auf eine schmale Mappe auf dem Nachttisch.

»Dein Vater hätt’ allergrößten Wert auf eine lückenlose Aufstellung gelegt«, sagte er. »Da ich mal vermut’, daß es bei dir net anders ist, hab’ ich mal alles aufgelistet, was zur Vererbung ansteht.«

Max Grundner lächelte und nahm die Mappe an sich. Dann las er die Aufstellung durch.

»Wie heißen deine Enkel?« fragte er schließlich.

»Rupert Lohner«, antwortete der Irg. »Marion Lohner und Laura. Sie heißt net Lohner, weil sie von meiner Tochter ist, sie heißt Laura Dorn.«

»Aha, und was möchtest welchem Enkel vererben?« Der junge Notar sah den Irg fragend an.

Der grinste. »Jetzt wird’s ein bisserl kompliziert.«

»Wieso?«

»Weil’s kein grades Vererben ist«, antwortete der Irg.

»Was ist’s net?« wollte Max wissen, der annahm, nicht gescheit hingehört zu haben.

Doch der Irg wiederholte, was er gesagt hatte. »Es ist kein grades Vererben.«

»Was heißt das denn?«

»Daß da in der Schublade drei Schlüssel liegen«, antwortete der alte Irg.

»Und was ist damit?«

»Die sind für meine Enkel. Du legst die Schlüssel auf den Tisch und jeder Enkel darf sich einen Schlüssel nehmen. Du mußt aber drauf achten, daß alle mit der Wahl einverstanden sind. Das läßt du dir schriftlich quittieren.«

»Und was sollen deine Enkel mit den Schlüsseln?« fragte Max Grundner.

»Ich geb’ dir nachher eine kleine Truhe mit. Darin ist mein ganzer Nachlaß geregelt. Das heißt, es liegt unter anderem ein Brief drin, der bestimmt, was mit meinem Nachlaß passieren soll.«

»Was heißt, in dem Kasterl ist dein Nachlaß geregelt?« wollte Max Grundner wissen.

»Zu dem Kasterl paßt nur ein Schlüssel«, antwortete der alte Irg. »Hast gehört? Nur ein Schlüssel paßt.«

Max Grundner lächelte. »Wie bitte?«

»Es paßt nur einer der Schlüssel.«

»Und was soll das?«

»Der den Schlüssel hat und das Kasterl aufschließt, der erbt alles«, antwortete der alte Irg.

»Also, entschuldige, wenn ich das jetzt so sage«, entgegnete der junge Notar, »aber das alles ist ziemlicher Blödsinn.«

»Wieso?«

»Weil du dann dem Zufall überläßt, wer den Schlüssel bekommt«, antwortete Max Grundner.

Da schüttelte der alte Irg grinsend den Kopf. »Da bist total falsch gewickelt.«

»Wieso? Du hast eben gesagt, ich soll die Schlüssel auf den Tisch legen und deine drei Enkel sollen sich jeder einen Schlüssel nehmen.«

»Ja und?«

»Wenn einer deiner Enkel nun nicht mitzieht?« fragte Max Grundner, »was dann? Dann ist dein Plan schon hinfällig.«

»Nix da«, antwortete der Irg, »wenn bei dir in der Kanzlei nach der Testamentsverlesung keine Einigung erzielt wird, dann geht das gesamte Erbe an gemeinnützige Organisationen. Ein Plan, wer was bekommt, liegt bei.«

Da lächelte Max Grundner. »Du hast dir das gründlich durch den Kopf gehen lassen, oder?«

Der Irg nickte. »Seit drei Jahren beschäftige ich mich damit. Und glaub’ mir, es war net einfach, auf das zu kommen, was jetzt als Lösung dasteht.«

»Dann verrat’ mir mal, wie sie ausschaut, die Lösung«, sagte Max.

Da grinste der Irg. »Ich bin ein bisserl stolz auf mich. Mir ist nämlich eine Konstruktion gelungen, die meinen läßt, meine Enkel hätten in Händen, mein Erbe so zu verteilen, wie sie es gerade wünschen. Dabei weiß ich genau, wem ich das Erbe zukommen lassen will und ich weiß, daß es so ausgeht wie ich will.«

»Da bin ich aber mal gespannt«, murmelte Max, während er sich Notizen machte.

»Also«, sagte der Irg, nachdem er in seinem Bett eine ganz bequeme Position eingenommen hatte, »jetzt hör gut zu…!«

*

Luise kam in den Schankraum, wo Heidi bei Gerti, der langjährigen Bedienung des Bergerhofs stand.

»Was ist jetzt?« fragte sie, »willst morgen zum Abendessen den Hirschbraten anbieten oder net?«

»Der Lohner-Irg ist gestorben«, erwiderte Heidi.

»Was…?« Luise starrte ihre Schwiegertochter betroffen an.

Die nickte. »Ja, grad hat’s die Gerti erzählt. Der Lois vom Faberhof hockt drinnen in der alten Gaststätt’. Er ist völlig daneben, weil er so alt ist wie der Irg und weil er den Irg hat besuchen wollen.«

Luise schloß für einen Augenblick die Augen. »Wo sitzt der Lois?«

»In der alten Gaststub’«, antwortete Heidi.

Mit müden Schritten schlurfte Luise in Richtung der alten Gaststube, während Heidi und Gerti ihr hinterhersahen.

»Die Nachricht hat sie hart getroffen«, sagte die, »so wie grad’ eben hab’ ich sie nur sehr selten gesehen.«

Heidi nickte. »Ja, das kann ich mir vorstellen. Sie hat den Irg auch noch besuchen wollen, und jetzt…?«

Währenddessen betrat Luise die alte Gaststube. Am Tisch in der hinteren Ecke hockte ein hagerer alter Mann mit schlohweißem Haupthaar, frisch-roten Wangen und munteren blauen Augen, die jetzt jedoch traurig vor sich auf den Tisch starrten.

»Ja, grüß dich, Lois«, murmelte die Seniorchefin des Bergerhofs, während sie sich einen Stuhl zurechtrückte und darauf Platz nahm, »sag mal, was hab’ ich da grad’ gehört? Der Irg vom Lohner-Hof ist nimmer?«

Es dauerte eine Weile, bis der Alte reagierte. Er hob den Kopf und nickte. »Ja, den Irg gibt’s da herunten nimmer. Er hat seinen Erdengang beendet.«

»Was ist denn passiert?« wollte Luise wissen.

Der Lois zuckte mit den Schultern. »Ich weiß es net. Ich weiß nur, daß ich grad’ beim Lohnerhof angekommen war. Ich wollt’ den Irg besuchen.«

»Und dann…?«

»Plötzlich ist der Notarztwagen angefahren gekommen, der Notarzt und einer mit Atemgerät sind ins Haus gerannt. Ich bin dagestanden, als hätten s’ mir grad’ einen Eimer kaltes Wasser in den Kragen geschüttet.«

»Und dann?«

»Nach einer halben Stund’ sind der Notarzt und der andere wieder herausgekommen«, fuhr der Lois fort. »Als ich sie angesehen hab’, hab’ ich gewußt, daß der Irg es net geschafft hat.«

»Heilige Maria«, murmelte Luise, dann bekreuzigte sie sich, »bitt’ für den Irg und uns alle.« Dann sah sie den Lois vom Faber-Hof fragend an. »Sag mal, was hat dem Irg denn gefehlt? Es hat zwar wer erzählt, daß er ziemlich schwach wär’, aber daß er keine drei Tag’ mehr leben würd’, das stand doch net zur Debatte.«

Der Lois atmete tief durch. »Er soll’s am Herzen gehabt haben. Angina pectoris nennt man’s. Aber das haben viele Leut’. Einer lebt damit lang, beim anderen geht es rasch. Grad’, wenn du net daran denkst, dann geht’s patsch und schon bist Vergangenheit«

»Ist denn wer bei ihm gewesen?« wollte Luise wissen.

Der Lois nickte. »Ja, die Laura war bei ihm.«

»Das ist eine der Enkelinnen?«

»Ja, die Jüngste«, antwortete der Lois. »Die Tochter von der Johanna ist’s. Sie hat sich eh am meisten um den Irg gekümmert. Wenn sie net in München zum Studium war, dann ist sie bei ihm gewesen. Und jetzt in den Semesterferien war sie eh immer um ihn. Jedenfalls meistens.«

Luise schüttelte den Kopf. »Ich versteh’ das net. Es ist ihm doch net schlecht gegangen.«

Da verzog der Lois das Gesicht. »Also, so wie du’s jetzt gesagt hast, würd’ ich’s net unterschreiben.«

»Wieso net?«

»Weil er schon der Ansicht gewesen ist, daß er nimmer lang’ auf Erden sein wird«, antwortete der Altbauer vom Faber-Hof.

»Hat er sich beschwert?«

»Als erstes hat er in der vorigen Woch’ sein Testament gemacht«, antwortete der Lois, »was beim Irg ein untrügliches Zeichen dafür ist, daß er der Ansicht war, daß es nimmer lang geht mit ihm. Der macht net heut’ ein Testament und meint, er würd’ noch jahrelang leben.«

»Oje, oje«, murmelte Luise, »das ist hart. Ich hab’ mir immer wieder vorgenommen, ihn zu besuchen, aber immer ist

was dazwischengekommen. Das heißt, ich hab’ was dazwischenkommen lassen. Wenn ich gewußt hätt’, nur annähernd gewußt hätt’, wie’s um ihn bestellt ist, wär’ ich längst bei ihm gewesen.«

»Die Katrin hat gesagt, daß er oft vom Bergerhof geredet hätt’«, erwiderte der Lois. »Von deinem Mann muß er immerzu erzählt haben. Auch von eurem Sohn und seinem tödlichen Unfall vor zehn Jahren muß er immer wieder geredet haben.«

»Da schau her«, murmelte Luise leise und schuldbewußt.

»Am liebsten war ihm, wenn die Laura um ihn war«, fuhr der Lois fort, »dann war er immer gut drauf und derart stolz ist er auf sie gewesen. Zuerst hat er net gewollt, daß sie studiert hat, aber dann plötzlich hat er überall herumerzählt, seine jüngste Enkelin würd’ mal Rechtsanwältin.«

»Dann studiert sie Jura?«

Der Lois zuckte mit den Schultern. »Was man halt studiert, um Rechtsanwältin zu werden.«

Luise fragte, ob der Lois noch ein Stamperl wolle? »Wenn du mit in die Küche kommen willst, dann stift’ ich das Stamperl und Kaffee kriegst auch, soviel du magst.«

Der Lois nickte, erhob sich schwerfällig, wollte seinen Deckel nehmen, was Luise jedoch nicht zuließ.

»Ein anderes Mal zahlst wieder«, sagte sie, »heut’ net…!«

*

»Ja, ganz friedlich ist er eingeschlafen, der Großvater.« Das junge Mädchen nickte. Es war schmal, hatte wunderschöne dunkle Augen und welliges langes, in der Mitte gescheiteltes Haar. »Er hat mich angelächelt und gesagt, ich solle mir keine Sorgen machen. Und ich soll net verzagen. Und wenn auch net gleich alles so aussehen würd’, als wenn’s gut wär’, so wär’s doch gut.«

»Dann hat er schon gesponnen, oder?« Marion Lohner sah ihre Cousine Laura fragend an.

Die schüttelte energisch den Kopf. »Auf gar keinen Fall. Es hat garantiert einen Sinn gehabt, was er gesagt hat.«

»Und welchen?« fragte Marion.

»Ich hab’ nicht den blassesten Dunst«, antwortete Laura. »Jedenfalls hat er es net im Fiebertraum oder dergleichen gesagt. Er war ganz und gar bei sich, der Großvater.«

»Dann versteh’ ich’s net«, erwiderte ihre Cousine Marion.

»Na ja, vielleicht kommen wir ja noch dahinter«, sagte Laura, »er hat ja oft in Rätseln geredet, der Großvater.«

Da lachte Marion. »Das stimmt. Ich hab’ ihn nie richtig verstanden. Irgendwie haben wir aneinander vorbei gelebt. Wann ist eigentlich Testamentseröffnung? Ein Testament hat er doch gemacht, der Großvater, oder?«

»Ich glaub’ schon«, antwortete Laura, »die Kathi hat letztens so was angedeutet.«

»Aha, mit was können wir denn rechnen?« wollte Marion wissen. »Ich mein’ jetzt Rupert, ich und du? Wieviel bleibt für jeden, wenn der Hof und alles andere zu Geld gemacht ist?«

»Der Hof soll verkauft werden?« Erschrocken sah Laura ihre Cousine an.

Die nickte. »Ja, sicher. Den Hof kann doch von uns niemand bewirtschaften. Und wenn ihn einer haben will, den Hof, dann muß er die anderen ausbezahlen. Willst du den Hof etwa?«

»Nicht für mich«, antwortete Laura, »aber es sollten keine fremden Leut’ hereinkommen. Das hätt’ der Großvater net gewollt. Und wo soll die Kathi hin, wenn es den Hof nimmer gibt? Die ist seit bald fünfzig Jahren bei der Familie als Wirtschafterin gewesen.«

Da lachte Marion. »Die Frage ist doch wohl net ernst gemeint.«

»Doch«, antwortete Laura, »die Frage war ernst gemeint.«

»Mir ist doch wurscht, was aus einer alten Magd wird«, antwortete Marion daraufhin, »jetzt zähl’ ich, und was um mich herum los ist, das ist sekundär.«

»So kann man doch net leben«, murmelte Laura leise.

Marion lachte kurz auf. »Nur so kann man leben. Denn nur so ist gewährleistet, daß man selbst das Leben meistert. Man muß quasi erst mal auf sich selbst schauen.«

»Ja, wenn’s einem schlecht geht«, bestätigte Laura, »aber wenn es einem gutgeht und man im Überfluß lebt, dann darf man andere doch net im Dreck stecken lassen.«

Marion verzog das Gesicht. »Mach du, was du willst, ich hab’ meinen Anteil, ich rechne mit mindestens einer halben Million, schon restlos verplant. Zuerst mal fahr’ ich in die Südsee, einen ganzen Monat lang. Dann schau ich, was ich an Geld zur Verfügung hab’ und dann entscheide ich, ob ich mir ein Haus oder eine Eigentumswohnung kauf’. Stell dir vor, eine Eigentumswohnung in München am Olympiapark.«

»Dafür würdest du Geld ausgeben?« Laura tat sehr erstaunt.

Marion nickte. »Ja, das würd’ ich.«

»Na ja«, erwiderte Laura, »jedenfalls werden wir uns erst mal um Großvaters Begräbnis kümmern. Wir müssen…!«

»Ich muß gar nix«, ließ Marion ihre Cousine erst gar nicht aussprechen, »was getan werden muß, das kannst du erledigen, du warst eh die meiste Zeit bei ihm.«

»Ach«, Laura sah ihre Cousine erstaunt an, »du meinst, ich hätt’ mich lebtags um den Großvater gekümmert, dann könnt’ ich mich auch drum kümmern, daß er würdig unter die Erd’ kommt? Hast du net das Gefühl, mir ein bisserl beiseite stehen zu müssen?«

Marion schüttelte lachend den Kopf. »Nein, hab’ ich net. Wenn du das Begräbnis net organisierst, wird es halt ein anderer tun, ich jedenfalls net.«

»Hast du was von unserem Cousin Rupert gehört?« wechselte Laura das Thema.

Marion schüttelte den Kopf. »Ich glaub’ net, daß er kommt, jedenfalls net zum Begräbnis. Möglicherweise zur Testamentseröffnung, aber selbst da bin ich mir net sicher.«

Laura zog die Augenbrauen hoch.

»Schau du nur«, entgegnete Marion, »aber ich tu, was ich will. Ob ich zum Begräbnis komm’, weiß ich auch noch net. Mal sehen, jedenfalls mußt du dich um alles kümmern, dazu hab’ ich keine Zeit.«

»Arbeitest du denn wieder?« fragte Laura.

Marion zündete sich eine Zigarette an, blies den Qualm in die Luft und schüttelte dann den Kopf. »Nein, stell dir vor, ich arbeite immer noch nicht.«

Laura zögerte, schien was sagen zu wollen, tat es schließlich jedoch nicht.

»Da kannst ruhig herauslassen, was dich zwickt«, erwiderte Marion, der Lauras Zögern nicht verborgen geblieben war.

»Daß du keinen Job bekommst, hat doch damit zu tun, daß du keine gescheite Aus­bildung hast«, sagte Laura, »willst du dich net umschulen lassen, daß du wenigstens wieder mal arbeiten kannst. Immerhin…!«

Marion winkte lachend ab. »Erspar dir deine Ermahnungen und deine sonstigen Sprüch’ auch. Wem net reicht was ich kann, der muß halt auf meine Mitarbeit verzichten. Und das zwickt mich net einmal.«

»Dann lebst du also immer von Arbeitslosengeld und…!«

»… und Sozialhilfe, ganz genau«, fügte Marion hinzu. Dann grinste sie übers ganze Gesicht. »Und ich sag dir, man lebt gar net mal schlecht davon.«

Laura sah ihre Cousine vorwurfsvoll an, wollte nochmal fragen, ob sie ihr bei den Vorbereitungen des Begräbnisses nicht helfen wolle, doch dann sah sie Marions ablehnendes Gesicht und verzichtete auf die Frage. Dann war ihr schon lieber, alle Arbeit zu tun und nicht ständig in ein mißmutig verzogenes Gesicht sehen zu müssen.

»Wenn Rupert sich nicht meldet, teilen wir dann das Erbe unter uns auf?« fragte Marion im Hinausgehen. »Ich würd’ es nicht mehr als Recht ansehen.«

»Du solltest erst mal warten, ob und was der Großvater uns hinterlassen hat«, erwiderte Laura. »Es könnt’ ja auch sein, daß er alles mildtätigen Orga­nisationen vererbt hat. Deswegen mach mal lieber keine Pläne.«

»Ich krieg’ meinen Erbteil, laß es dir gesagt sein«, sagte Marion. Da war sie aber schon im Stiegenhaus.

Kurz darauf war Laura alleine in dem großen, sehr schön gelegenen Hof im Draubachtal. Sie ging einmal durch alle ­Räume, blieb ein wenig länger da, wo der alte Irg gestorben war, dann setzte sie sich in ihren kleinen PKW, um nach Hinterjoch zu fahren, und letzte Einzelheiten mit dem Begräbnisunternehmer zu besprechen.

*

Das Begräbnis war gewesen, wie Laura es sich vorgestellt hatte. Alle Bauern der Umgebung waren erschienen, um dem Irg die letzte Ehre zu erweisen, ebenso Bekannte und die wenigen verbliebenen Freunde.

Der Leichenschmaus beim Kirchenwirt in Vorderstein, auf dem dortigen Kirchhof war der Irg begraben worden, war so, wie ein Leichenschmaus bei einem Bauernbegräbnis zu sein hatte.

Sogar Marion hatte an der Beisetzung teilgenommen, wenn sie auch nicht vorne bei Laura gestanden war, sondern sich ganz hinten aufgehalten hatte.

Nach ihrem Cousin Rupert hatte Laura umsonst Ausschau gehalten, er hatte am Begräbnis seines Großvaters nicht teilgenommen. Er hatte sich auch nicht gemeldet, ja, Laura war nicht mal sicher, ob er die Nachricht vom Tod seines Großvaters überhaupt bekommen hatte.

Marion ging nach dem Leichenschmaus zu Laura, setzte sich neben sie und grinste sie an.

»Wie es ausschaut, teilen wir nur durch zwei«, sagte sie, »wer, wie Rupert, nicht da ist, der bekommt nix, das ist doch klar, oder?«

Laura schloß für einen Moment die Augen. So auf die Nerven gegangen wie in den letzten Tagen war ihr Marion noch nie, obwohl sie sich nie besonders viel zu sagen gehabt hatten.

Vor allem, daß sie ihren Großvater ausschließlich daran maß, was er ihnen hinterlassen würde, nervte sie, was sie dann auch sagte.

»Deine Art, deinem Großvater die letzte Ehre zu erweisen, ist nicht gerade schön«, erwiderte sie. »Daß du dir nur Gedanken darüber machst, was rein rechnerisch für dich übrig bleibt, find’ ich, um es mal ganz deutlich auszudrücken, absolut zum Kotzen.«

»Das ist dein gutes Recht«, erwiderte Marion, die sich schon wieder eine Zigarette anzündete, »aber mich beeindruckst’ nicht mit deiner Wahrhaftigkeit. Ich muß sehen, daß ich zurechtkomm’, das alleine zählt.«

»Wenn alles so denken, dann hättest du bei deinem Unwillen zu arbeiten, keine Chance«, entgegnete Laura.

Da lachte Marion. »Es denken aber net alle so wie ich. Es gibt genug, die ein soziales Gewissen haben.«

»Und auf die zählst du…?«

»Na klar«, erwiderte Marion, »die wollen es doch so. Die sind doch nur zufrieden, wenn sie wen bemuttern können.«

»Laß uns über was anderes reden«, schlug Laura vor. Dann zeigte sie mit einer Kopfbewegung in Richtung Küche.

»Magst denn wenigstens spülen helfen?« fragte sie. »Die Frauen der Bekannten von unserem Großvater…!«

Da stand Marion auf, schob den Stuhl unter den Tisch und schüttelte den Kopf.

»Nein«, sagte sie, »ich hab’ keine Zeit. Wenn einer fragen sollt’, dann sagst, ich würd’ mich ausruhen müssen von dem vielen Streß.« Dann lachte sie und verließ den Kirchenwirt in Vorderstein, ohne sich noch mal umzusehen.

*

»Grüß dich, Madel.« Luise nahm Laura in ihre Arme und drückte sie an sich. »Dein Großvater wär’ stolz auf dich. Ach, was red’ ich denn, er war immer stolz auf dich. Wo ist die Marion? Ich hab mich schon umgeschaut, aber ich seh’ sie nirgends.«

Laura wäre es peinlich zugeben zu müssen, daß Marion sich bereits verabschiedet hatte, und zwar weil sie keine Lust hatte, beim Abwasch zu helfen.

Doch Luise kam ihr zu Hilfe.

»Oder drückt sie sich wieder mal?« fragte die Seniorchefin des Bergerhofs, wobei sie lächelte.

»Du kennst sie offensichtlich«, erwiderte Laura, »ich kann sie net ändern, das muß sie schon selbst tun.«

»Wo lebt die denn?« wollte Luise wissen.

»In Immenstadt.«

»Und was arbeitet sie? Was hat sie noch mal gelernt?«

»Sie hat ihre Lehre abgebrochen, und sie arbeitet nichts«, antwortete Laura.

»Und dann hat sie keine Zeit, uns da zu helfen?« Luise tat erstaunt. »Dann wird auch alles andere bei dir hängen geblieben sein, oder?«

Laura zuckte mit den Schultern.

»Wo wohnst du denn momentan?« fragte Luise.

»Im Lohner-Hof«, antwortete Laura.

»Ist das net ein bisserl fad?« fragte Luise, »so ganz allein in dem großen Hof. Warum kommst du net einfach mit zu uns in den Bergerhof? Da beziehst ein Zimmer, ich lad’ dich ein. Da hast ein bisserl Unterhaltung und mußt net immer allein sein. Ich schätz’ mal, daß ja bald auch Testamentseröffnung sein wird. Zum Glück hat der Irg deswegen grad noch rechtzeitig die Kurve gekriegt.«

»Wieso? Wie meinst du das?« Laura sah Luise fragend an.

»Weil vorletzte Woch’ der Grundner-Max da bei uns Halt gemacht hat, auf dem Weg zum Irg«, antwortete die. »Der Max hat die Notariatskanzlei seines Vaters übernommen. Er ist ein netter Bursch und hat, als er auf dem Rückweg noch mal hereingeschaut hat, gemeint, der Irg wär’ für eine Überraschung gut gewesen.«

»Für eine Überraschung gut gewesen?« fragte Laura. »Wie hat er das denn gemeint?«

Luise zuckte mit den Schultern. »Das hat er net gesagt. Ich hab’ auch net danach gefragt.«

Laura lächelte. »Der Großvater wird irgendeinen Scherz in das Testament mit eingebaut haben. Ja, für so was war er jederzeit zu haben.«

»Das mag sein«, murmelte Luise, »der Max hat aber was anderes gemeint, da bin ich sicher. Na ja, du wirst’s bald erleben. Wann ist denn Testamentseröffnung?«

»Morgen«, antwortete Laura. »Gestern ist die Einladung bei der Post gewesen.«

»Kommt der Rupert auch?« wollte Luise wissen.

Laura zuckte mit den Schultern. »Ich weiß net. Ich hab’ ihn seit damals nimmer gesehen.«

»Du meinst, seit er…?«

»Sprich es ruhig aus, seit er die Mizzi mit dem Bub hat sitzen lassen«, antwortete Laura. »Ja, seitdem ist er nimmer da gewesen. Und wie ich ihn kenn’, wird er auch nimmer so rasch auftauchen.«

»Wie lang’ ist das jetzt her?« fragte Luise.

»Ich hab’ dem Tom zu seinem vierten Geburtstag ein Geschenk gebracht, und das war vor dreieinhalb Monaten«, antwortete Laura. »Der Rupert ist also etwa fünf Jahre weg.«

»Und er hat nie mehr was von sich hören lassen?« Luise sah Laura fragend an.

Die schüttelte den Kopf. »Weder bei uns noch bei der Mizzi.«

»Bringt die ihr Kind denn einigermaßen durch?«

»Ja, alle in der Familie bemühen sich um Mizzi und Tom«, antwortete das hübsche Mädchen, »und der Großvater war immer sehr großzügig zur Mizzi. Er hat ihr monatlich ungefähr das gezahlt, was der Rupert hätten zahlen müssen, wenn seine Vaterschaft amtlich festgestellt worden wär’.«

»Da schau her, der Irg.« Luises Gesichtszüge wurden weich, und sie lächelte Laura an. »Überleg es dir, ob du net für ein paar Tage zu uns kommst. Die Heidi und ich würden uns riesig freuen. Und momentan ist keine Saison, wir haben also genug Zimmer frei.«

Laura nickte. »Ich denk’ drüber nach. Heut’ werd’ ich aber net kommen, heut’ muß ich vom Großvater noch ein bisserl Abschied nehmen, und das geht am besten da, wo er gelebt hat, auf dem Lohner-Hof…!«

*

»Also«, sagte Max Grundner, während er auf die Uhr sah, »wir haben jetzt eine Viertelstunde gewartet. Ich denk’, daß wir mit der Verlesung des Testaments beginnen sollten.«

»Wir hätten schon längst anfangen sollen«, sagte Marion. »Der Rupert kommt eh net. Der drückt sich schon seit Jahren und zalt nix für seinen Sohn, warum soll er da grad’ jetzt kommen?«

»Vielleicht, weil er was erwartet«, antwortete Notar Max Grundner.

»Was soll den schon erwarten?« Marion lachte. Sie nestelte an ihrer Zigarettenpackung herum und schien sich eine Zigarette herausnehmen zu wollen.

»In den Kanzleiräumen bitte nicht rauchen«, sagte Max Grundner.

Marion verdrehte die Augen. »Wieso eigentlich nicht? Überall darf man nicht rauchen, und…!«

»Gehen Sie vor die Tür«, erwiderte Max, »da rauchen andere Besucher und Klienten auch.«

»Ich will aber net vor die Tür…!« Marion benahm sich wie ein störrischer Esel.

Dann läutete es, und kurz darauf wurde draußen gesprochen. Augenblicke später klopfte es an die Tür, und eine der Angestellten steckte den Kopf herein.

»Herr Lohner ist da«, sagte sie.

»Auf den warten wir«, entgegnete Max Grundner, während er aufstand. »Er soll bitte hereinkommen.«

Kurz darauf betrat ein junger Bursch das Büro Max Grundners, seine beiden Cousinen starrten ihn mehr als aufmerksam an.

Rupert war schmal, groß, hatte mittelblonde, ein wenig wirr um den Kopf stehende Haare, und er vermied es, seine beiden Cousinen anzuschauen.

»Haben Sie Ihren Personalausweis dabei?« fragte Max Grundner.

»Das ist er«, sagte Marion, wobei sie meckernd lachte, »unverkennbar mein Cousin Rupert. Wo hast dich denn so lang’ herumgetrieben, ohne daß du was von dir hast hören lassen? Dein Sohn ist bald fünfe, und du kennst ihn net einmal.«

Rupert zuckte zusammen, sah Marion an, dann Laura. Auf ihr blieb sein Blick ein wenig länger hängen, dann nahm er Platz.

Max Grundner hatte inzwischen den Personalausweis geprüft, die Daten übertragen und Rupert den Ausweis zurückgegeben. Der hatte bisher noch kein Wort gesprochen.

»Warum warst denn net bei der Beisetzung vom Irg?« Marion sah ihren Cousin herausfordernd an.

Der drehte ihr ganz langsam den Kopf zu und musterte sie aufmerksam.

»Du warst weniger da als ich«, entgegnete er in ganz ruhigem Tonfall.

»Was?« Marion reagierte fast hysterisch. »Das muß ich mir von dir net sagen lassen, von dir net. Du warst jedenfalls net beim Begräbnis und…!«

»Jetzt hörts endlich auf, ihr zwei.« Laura sah beide ungewohnt ärgerlich an. »Ihr streitet tatsächlich um den Großvater, wo er mal grad einen Tag unter der Erd’ ist. Schämt ihr euch gar net?«

Rupert sah unter sich, aber Marion preßte die Lippen aufeinander.

»Ich lass’ mich von dir net zurechtweisen«, sagte sie, »heut’ net und in Zukunft net.« Dann sah sie Max Grundner an. »Fangen S’ schon an, sonst gibt’s immer nur mehr Ärger.«

»Sind alle bereit?« fragte Max Grundner.

Alle nickten.

»Also, vornweg eine Bemerkung meinerseits«, sagte der nette Notar, »das vorliegende Testament ist eines der ungewöhnlichsten, die ich je habe beurkunden dürfen. Aber es entspricht in vollem Umfang der bestehenden Rechtsform und ist auf jeden Fall gültig.«

»Was hat das denn zu bedeuten?« fragte Marion. »Hat der alte Gauner wieder mal Fallstricke ausgelegt?«

Laura schloß für einen Moment die Augen. Es schien, als ärgere sie sich still, doch dann platzte ihr der Kragen.

»Willst du dein bisserl Grips net dafür verwenden, daß du dich zumindest bemühst, den Großvater, dessen Erbe du antreten willst, respektvoll zu behandeln?« Lauras Stimme klang mehr als aufgebracht. »Du hast mir gestern noch erzählt, wieviel hunderttausend Mark du erwartest, besitzt gleichzeitig aber die Unverfrorenheit, den Großvater wie einen Topflappen zu behandeln.«

Marion winkte ab. »Beruhig dich wieder…!«

Max Grundner wartete einen Augenblick, dann fragte er: »Können wir beginnen? Ich schlage vor, es zügig zu tun, denn es dauert noch eine Weile, da bin ich mir sicher.«

Diesmal gab es keinen Widerspruch, und Max Grundner legte die drei Schlüssel vor sich auf den Tisch.

»Das sind drei Schlüssel«, sagte er, »drei Schlüssel, die zu einer Truhe gehören. Es paßt aber nur ein Schlüssel, und nur derjenige von Ihnen, der den Schlüssel bekommt, kann die Truhe öffnen und das Erbe antreten.«

»Heißt das, daß nur einer erben wird?« fragte Marion.

Max Grundner wiegelte den Kopf. »Nein, das hängt dann vom weiteren Verlauf der von Ihrem Großvater festgelegten Erbregelung ab. Wahrscheinlich auch davon, wie der- oder diejenige vorgeht, der oder die den passenden Schlüssel bekommt.«

»Und welcher Schlüssel paßt?« fragte Marion.

Max Grundner zuckte mit den Schultern. »Das weiß ich nicht. Jeder von Ihnen nimmt sich einen Schlüssel. Bitte…!«

Marion sprang auf, grapschte nach nach dem ersten Schlüssel, ließ ihn wieder fallen, nahm den nächsten, ließ auch den wieder fallen und griff nach dem letzten der Schlüssel. Dann starrte sie Max Grundner an.

»Welcher ist es?« schrie sie, »komm schon, welcher? Ich lass’ mich doch net für dumm verkaufen. Du weißt genau, welcher der Schlüssel paßt. Du und Laura, ihr steckt unter einer Decke, ihr habt euch eben auf so besondere Weise angesehen. Wahrscheinlich kennt ihr euch, schließlich studiert sie ja Jura.«

»Sie sind Kollegin?« Max lächelte Laura freundlich an. »Das freut mich ganz besonders. So hübsche Kolleginnen gibt es sonst unter Juristen nämlich selten.«

Laura nickte verlegen. »Ja, ich studier’ Jura.«

»Jetzt machen S’ endlich weiter«, forderte Marion, »ich hab’ keine Lust, noch länger hier herumzuhängen.«

Daraufhin sah Max Grundner sie an. »Sie können jederzeit gehen.«

»Das würd’ Ihnen so passen«, entgegnete Marion, »ich seh’ doch, was hier läuft. Hier wird gemauschelt, und ich soll leer ausgehen.«

Max Grundner zeigte auf die Schlüssel. »Bitte! Sie dürfen sich einen Schlüssel aussuchen. Niemand hindert Sie daran.«

Da starrte Marion die drei Schlüssel eine Weile an, dann fragte sie: »Wenn ich einen Schlüssel gewählt habe, was dann?«

»Dann wählen die beiden anderen je auch einen Schlüssel.«

»Und wenn wer den Schlüssel haben will, den ich hab’?«

Der nette Notar lächelte. »Sie müssen sich einigen. Tun Sie es nicht binnen einer Stunde, fällt das gesamte Vermögen Ihres verstorbenen Großvaters an eine gemeinnützige Organisation.«

»Und wenn mein Schlüssel paßt?« fragte Marion.

»Dann öffnen Sie die Truhe und wir werden sehen, wie es weitergeht«, antwortete Max Grundner.

»Kann ich die Truhe nicht mit nach Hause nehmen und sie dort öffnen?« wollte Marion wissen.

Der Notar schüttelte den Kopf. »Nein, Ihr Großvater hat bewußt verlangt, daß alles öffentlich geschieht. Er hat verfügt, daß Ihre Cousine und Ihr Cousin alles nachvollziehen können.«

Dann lächelte er. »Das heißt, falls Sie denn nun diejenige welche sein werden.«

Dann war es eine ganze Weile still im Zimmer des Notars, bis der schließlich auf die Uhr sah und sagte: »Jetzt beginnt die Stunde, in der Sie Einigkeit erzielt haben müssen…!«

*

Rupert Lohner hatte erstaunt dreingesehen, als er die beiden Briefe bekommen hatte. Der eine unterrichtete ihn, daß sein Großvater verstorben war, der andere, daß bereits einen Tag nach der Beisetzung Testamentseröffnung sei.

Rupert hatte die Gegend vor annähernd fünf Jahre verlassen, weil er sich in der Welt umschauen wollte und weil ihm das Leben in der abgeschiedenen Welt des Oberallgäu eintönig vorgekommen war. Daß seine damalige Freundin Mizzi schwanger gewesen war, davon hatte er nichts gewußt.

Daß Rupert nicht früher zurückgefunden hatte, lag alleine daran, daß er zuerst keinen Boden unter den Füßen gefunden hatte, was er jedoch nicht hatte zugeben wollen. Als er sich dann eine berufliche Existenz aufgebaut hatte, wollte er diese Existenz nicht gefährden und steckte jede freie Minute in den Ausbau seines kleinen Betriebs.

Rupert hatte eine Schreinerei übernommen, was ihn anfangs vor schier unlösbare finanzielle Probleme gestellt hatte. Durch harte Arbeit, zwei Jahre hatte er keinen Tag Urlaub genommen, war er jetzt aus dem Gröbsten raus und als er die Nachricht vom Tod seines Großvaters bekommen hatte, war er nach kurzem Überlegen zu dem Entschluß gekommen, sowohl zur Beisetzung als auch zur Testamentseröffnung zu reisen.

Rupert traf der Tod seines Großvaters insofern nicht sonderlich hart, weil er zum einen keinen großen Kontakt zu ihm gehabt hatte und weil sie nun schon fast fünf Jahre nichts mehr voneinander gehört hatten.

Als er die Todesnachricht bekam, registrierte er sie mehr oder weniger regungslos. Erst als er danach den Brief des Notars öffnete, bekam auch der andere Brief für ihn eine neue Bedeutung, denn er sagte sich, wenn der Notar seines Großvaters ihn schon zur Testamentseröffnung einlade, daß dann seine restlichen finanziellen Probleme rascher als geahnt gelöst sein könnten.

Marion hatte er genauso in Erinnerung, wie sie sich auch jetzt gab: Sie war schon immer großmäulig gewesen, früher war sie jedoch nicht so angriffslustig gewesen wie jetzt.

Als Marion eben gesagt hatte, daß sein Sohn inzwischen fünf Jahre alt sei, und warum er nichts von sich habe hören lassen, hatte er einen Moment an Mizzi denken müssen, doch er hatte kaum eine Erinnerung an sie, es war, als habe sein früheres Leben hier in der Gegend gar nicht stattgefunden. Dabei hatte er sie sehr geliebt, und alle waren davon ausgegangen, daß aus ihnen beiden mal ein Paar werden würde.

Laura dagegen war ein ausgesprochen hübsches Mädchen geworden, was man damals nicht unbedingt hatte vorhersehen können, denn sie war vor allem schlaksig gewesen, hatte knochige Knie gehabt und hatte selten mit anderen Kindern spielen wollen, war lieber bei ihren Großeltern gewesen.

Als sich jetzt ihre Blicke für einen Moment trafen, lächelten beide verlegen, und als wolle er demonstrieren, daß die Zeit zerrinne, sah der Notar auf die Uhr.

»Langes Trödeln bringt uns nicht weiter«, sagte Marion in dem Moment auch schon, »also, ich nehm’ den Schlüssel. Seid ihr einverstanden?« Sie sah Rupert und Laura fragend an.

Beide nickten.

»Welchen Schlüssel möchten Sie denn nun?« wollte Notar Grundner wissen.

»Nimm du zuerst«, sagte Laura, »es ist eh Zufall, welcher Schlüssel paßt, also ist’s auch gleich, wer welchen Schlüssel zuerst auswählt.«

Rupert beugte sich vor und nahm einen der Schlüssel, noch immer hatte er kaum ein Wort geredet.

Als Laura den dritten Schlüssel an sich nahm, stand der Notar auf und bat die drei mit ihm zu kommen.

»Die Truhe bleibt dort, wo sie jetzt ist, stehen«, sagte er, »bis das ganze Prozedere beendet ist.«

»Was heißt, bis das Prozedere beendet ist?« Rupert zeigte zum ersten Mal Interesse.

»Der Irg hat einen bestimmten Fortgang festgeschrieben«, antwortete Max Grundner, »und dementsprechend wird verfahren.«

»Wenn ich Sie recht verstehe, heißt das, daß meine beiden Cousinen oder ich das Erbe heute nicht werden antreten können?« Rupert sah den Notar fragend an.

Der nickte. »Exakt so ist es.«

»Dann laßt uns voran machen«, sagte Rupert, »ich möcht’ dann so rasch wie möglich zurück in meinen Betrieb.«

»Wo arbeitest du?« fragte Laura.

»Ich hab’ eine kleine Schreinerei«, antwortete Rupert. »Innenausbau, Möbelschreinerei und dergleichen. Noch arbeitet außer mir nur ein Geselle. Ein Lehrbub fängt in zwei Monaten an. Ich bin zuversichtlich, daß ich es schaff’.«

»Dann gehört die Schreinerei dir?« Laura sah ihren Cousin erstaunt an.

Der nickte. »Ich kämpf’ seit zwei Jahren, daß es so bleibt.«

Max Grundner öffnete derweil einen Raum, knipste die Deckenbeleuchtung ein und trat zur Seite. Auf dem Tisch stand eine alte Truhe aus Eichenholz mit eisernen Beschlägen. Am Deckel war das notarielle Siegel angebracht.

»Bitte…!« Max zeigte auf die Truhe. »Versuchen Sie, welcher Schlüssel paßt.«

Rupert stand vorne, sein Schlüssel paßte nicht, auch Lauras Schlüssel konnte das Schloß nicht öffnen. Marion wirkte plötzlich sehr nervös.

Ganz vorsichtig, als könne sie die Truhe und deren Schloß durch behutsame Behandlung beeinflussen, steckte sie den Schlüssel ins Schloß und er paßte. Dann drehte sie mit zitternden Händen den Schlüssel um, und das Schloß sprang mit einem kleinen Knackser

auf.

»Mar’ und Josef«, murmelte sie, »es geschehen noch Zeichen und Wunder. Ich… ich hab’ den passenden Schlüssel, ich erb’ alles, was der Großvater…!«

»Vorerst muß ich Sie enttäuschen«, sagte Max Grundner. »Wenn Sie den Deckel der Truhe öffnen, werden Sie einen Briefumschlag mit Ihrem Namen finden. Die Umschläge mit den Namen Ihrer Cousine Laura und dem ihres Cousins Rupert nehme ich an mich.«

»Hat der Großvater das so verfügt?« wollte Laura wissen.

Max nickte. »Ich sagte ja, der Irg hat eine sehr interessante Form der Weitergabe seines Besitzes gewählt.«

»Dann werden wir nie erfahren, was in unseren Umschlägen steht?« fragte Laura.

»Doch, das werden Sie«, antwortete Max Grundner. »Wenn feststeht, wer der Erbe ist, werden Ihnen beiden Ihre Briefe ausgehändigt.«

»Aber der Erbe bin doch ich…!« Marion hatte immer noch nicht realisiert, daß ihr Großvater eine bestimmte Form des Testaments gewählt hatte und diese Form nicht unbedingt üblich war.

»Nein«, Max Grundner schüttelte den Kopf, »Sie sind nicht die Erbin, jedenfalls jetzt noch nicht, Sie bestimmen lediglich den Fortgang.«

»Was soll ich tun?« fragte Marion.

»Nehmen S’ den an Sie gerichteten Brief aus der Truhe«, antwortete der junge Notar.

Marion öffnete den Deckel, und auf einem kleinen Kistchen lagen die drei Briefumschläge.

»Nehmen S’ bitte den an Sie gerichteten Umschlag heraus«, sagte Max Grundner, »die anderen beiden geben S’ mir bitte.«

Das tat Marion, und nachdem Grundner die beiden Umschläge weggesteckt hatte, bat er Marion ihren Umschlag zu öffnen und vorzulesen.

»Liebe Marion«, las sie vor, »hätte ich mich festlegen müssen, ich hätte fast immer gesagt, daß Du den passenden Schlüssel bekommst und den Fortgang des Verfahrens bestimmst. Da es nun so ist, beantworte bitte folgende Frage: Da Du den Hof sicher nicht behalten wirst, an wen wirst Du ihn verkaufen? a. An den Meistbietenden, b. an einen Interessenten aus der Gegend, auch wenn er nicht den Höchstpreis zahlt, oder c. an Laura oder Rupert, falls die Interesse haben?«

»Das soll ich jetzt beantworten?« Marion sah Max Grundner an.

Der nickte. »Wenn es so da steht, dann müssen Sie es jetzt beantworten.«

»Kann ich überlegen?« fragte Marion.

Max schüttelte den Kopf. »Leider nein, der Irg wollte eine Spontanantwort.«

Marion las noch mal durch, was ihr Großvater aufgeschrieben hatte, dann grinste sie.

»Also, zuerst einmal hat der Großvater in einem recht, ich würd’ auf jeden Fall verkaufen. Und an wen, das ist doch klar«, sagte sie, »Antwort a. Ich verkaufe an den Höchstbietenden.«

»Steht die Antwort damit fest?« fragte Max Grundner.

Marion nickte. »Ja, sie steht fest. Ich verkauf’ doch nicht zum Beispiel an wen aus Vorderstein und verzicht’ auf Geld, das mir ein Münchener mehr zahlen würd’.«

Daraufhin sah Max die beiden anderen an. »Und Sie, an wen würden Sie verkaufen, wenn

Sie Erbe wären? Vorausgesetzt, Sie würden den Hof verkaufen.«

Rupert räusperte sich. »Ich würde ihn auch verkaufen und zwar an Laura oder Marion, wenn sie ihn denn haben wollten. Wenn nicht, dann würd’ ich ihn auch an den Meistbietenden verkaufen.«

»Aha…! Und Sie?« Max Grundner sah Laura an. »An wen würden Sie verkaufen?«

»Ich würd’ nicht verkaufen«, antwortete Laura.

»Auf gar keinen Fall?« fragte Max Grundner.

Laura schüttelte den Kopf. »Auf gar keinen Fall.«

»Und wenn Sie beruflich zum Beispiel nach Rosenheim verschlagen würden?« fragte Max Grundner, »womit feststünd’, daß Sie nicht auf dem Lohner-Hof leben könnten, würden Sie dann…?«

»Dann würd’ ich den Job in Rosenheim aufgeben«, antwortete Laura, »ich fühl’ mich da im Oberallgäu sehr wohl und auf dem alten Hof vom Großvater noch mehr. Und selbst, wenn ich ein oder zwei oder auch drei Jahr’ in Rosenheim sein müßt’, ich würd’ den Hof nicht hergeben, ich würd’ ihn behalten, um spätestens nach den drei Jahren drin zu wohnen…!«

*

Rupert Lohner stand da, hatte einen knallroten Kopf und starrte Marion an, als zweifle er an deren Verstand.

»Das… das kann net sein«, stammelte er, »niemals. Ich… die Mizzi hätt’ doch was gesagt und… also ich weiß nix von einem Buben. Ich hab’ nie Post von ihr bekommen, und ich hab’ auch nimmer gered’ mit ihr seit damals.«

Marion lachte und zeigte ihm einen Vogel. »Du spinnst! Derart billig kannst dich net herausreden.«

»Ich will mich net herausreden«, murmelte Rupert, der dann kein Wort mehr sagte.

Die drei standen vor dem Notariatsbüro auf der Straße. Max Grundner hatte auf die Frage, wie es jetzt weitergehe, geantwortet, daß sie in exakt einer Woche wieder in seinem Büro zu sein hätten, das habe ihr Großvater verfügt.

»Und wenn ich net komm’?« hatte Marion wissen wollen.

»Dann wären S’ aus dem Rennen«, hatte der nette Notar geantwortet.

Marion hatte gegrinst. »Machen S’ sich da mal keine Hoffnungen.«

Sie sah die beiden anderen an und verabschiedete sich. »Ich verschwind’ mal. Das Gescheiteste wär’, wenn ihr auf euer Erbe verzichten würdet. Dann könnt’ der Notar sich anderen Aufgaben widmen als unter uns dreien das Erbe unseres Großvaters aufzuteilen.« Dann lachte sie und war verschwunden.

Laura und Rupert standen eine Weile beisammen, ohne daß wer einen Ton sagte. Bis Laura sich räusperte.

»Hast du echt keine Ahnung gehabt, daß die Mizzi einen Buben hat?« fragte sie. »Ich hab’ zwar nie ein Wort mit ihr darüber geredet, aber es stand für mich immer fest, daß du der Vater bist.«

Rupert war ein schmaler großer Bursche, der jetzt den Kopf schüttelte.

»Vorhin, als die Marion davon anfing, hab’ ich zum ersten Mal was davon gehört«, sagte er. »Herrschaftszeiten, ich weiß jetzt gar net, was ich tun soll. Ich hab’ eine kleine Schreinerei aufgebaut und…!«

Laura lächelte. »Also wenn du befürchtest, zur Kasse gebeten zu werden, dann kannst dich wieder abregen. Der Großvater hat vom ersten Tag an für Tom das gezahlt, was der leibliche Vater hätt’ zahlen müssen. Da brauchst dir also keine weiteren Gedanken zu machen.«

»Der Großvater hat an meiner Stell’ für den Buben bezahlt?« Rupert schien es gar nicht glauben zu können.

Doch Laura nickte. »Ja, das hat er. Er hat den Buben und

Mizzi auch oft besucht, und die beiden sind auch oft bei ihm gewesen. Hast du Mizzi und Tom nicht bei der Beisetzung gesehen? Sie sind ziemlich vorn gestanden.«

Rupert schüttelte den Kopf. »Ich bin weit hinten gestanden, ich war fast gar net dabei, eher aus der dritten abseitigen Grabreih’ hab’ ich an allem teilgenommen.«

»Hast dich net näher herangetraut?« Laura sah ihren Cousin fragend an.

Der zuckte mit den Schultern. »Ich hab’ mich ein bisserl geschämt. Ob du’s glaubst oder nicht, mir ist ganz plötzlich bewußt geworden, daß ich einen Großvater gehabt hab’. Und daß ich ihn jahrelang nimmer gesehen hab’, weil ich vor lauter persönlichen Dingen net an ihn gedacht hab’.«

Laura nickte. »Ich kann’s verstehen, irgendwie jedenfalls. Aber jetzt, wo du da bist, kannst doch sicher ein paar Tage bleiben, oder?«

Rupert schüttelte den Kopf. »Das… das schafft meine Schreinerei net. Ich hab’ inzwischen einen Gesellen, hab’ seit Jahren keinen Urlaub gemacht, gestern und heut’ sind meine ersten freien Tage seit langer Zeit.«

»Mit auf den Hof wirst aber doch kommen, oder?« fragte Laura. »Einen Kaffee wirst sicher mittrinken, und ein Stückerl von Kathis berühmten Nußstrudel wirst auch essen.«

»Dann gibt’s die Kathi immer noch?« Rupert lächelte ein wenig schief.

Laura nickte. »Ja, es gibt sie noch. Und es geht ihr rundherum gut.«

Dann wechselte Rupert das Thema. »Was hältst du denn von Großvaters Spielchen?« fragte er.

»Du meinst wegen seines Testaments?«

»Ja, das meine ich.«

Laura lächelte. »So war er halt. Er hat solche Spielchen über alles geliebt, das weißt du doch. Er muß alles monatelang vorbereitet haben. Wenn ich Max Grundner richtig verstanden habe, dann hat Großvater ganz genau gewußt, was er wollte.«

Rupert nickte. »Das kommt mir auch so vor. Ich frag’ mich nur, was dabei herauskommen wird.«

Laura zuckte mit den Schultern. »Das kann ich dir net sagen. Ich weiß nur, daß er ganz sicher einen festen Plan hat. Er überläßt net dem Zufall, wer den Hof bekommt, das würd’ er nie gemacht haben.«

»Du meinst, dann gäb’s gar kein Geheimnis um diese drei Schlüssel?«

Laura nickte. »So ist es. Das war lediglich Brimborium, er wollte uns ablenken. Was er gewollt hat, das trifft auf jeden Fall ein, egal, wer die Truhe mit welchem Schlüssel auch immer aufgeschlossen hat.«

*

»Wie bitte?« Luise starrte den Vorderegger-Franz an, als sei der nicht ganz bei Trost. »Was ist dir angeboten worden?«

»Der Lohner-Hof«, antwortete der Fremdenverkehrswirt aus Balding. »Die Leut’ wissen, daß ich einen alten Hof such’ und auch gescheit was zahl’. Heut’ ist das Madel bei mir gewesen. Daß der Irg verstorben ist, wissen wir ja, und der Verkauf stände an.«

»Du redest doch sicher von einer von Irgs Enkelinnen, oder?« fragte Luise.

Der Vorderegger-Franz nickte. Er saß in der Küche des Bergerhofs hinter dem riesigen Tisch, den er Luise mal in die Küche hatte schaffen lassen und schien sich wohl zu fühlen.

»Ja, ich red’ von seiner Enkelin«, antwortete er.

»Von welcher?« wollte Luise wissen. »Er hat zwei Enkelinnen und einen Enkel.«

»Von der Marion«, erwiderte der Vorderegger.

Luise lächelte. »Das dacht’ ich mir.«

»Wieso?«

»Weil die andere Enkelin den Hof nie verkaufen würd’, wenn sie ihn erben würd’.«

»Offensichtlich hat sie ihn aber net geerbt«, sagte der Baldinger Fremdenverkehrswirt. »Denn wenn sie ihn geerbt hätt’, würd’ die Marion mir den Hof ja net angeboten haben.«

»Da denkst ein bisserl voreilig«, erwiderte Luise. »Ich tipp’ mal, daß die Marion den Hof auch noch net geerbt hat.«

»Aber heut’ war Testamentseröffnung«, entgegnete Franz Vorderegger.

»Das heißt noch nix«, sagte Luise. »Marion Lohner ist so, wie ihr Vater gewesen ist.«

»Du meinst den Toni?« Der Vorderegger-Franz sah Luise fragend an.

Die nickte. »Genau den mein’ ich.«

»Und wie war der Toni?«

»Geträumt hat er den ganzen Tag«, sagte Luise, »manche behaupten auch, er hätt’ gesponnen.«

»Das heißt also«, erwiderte der Vorderegger, »daß ich mich vorläufig mal noch net gar so sehr hineinarbeit’ in das Thema Lohner-Hof, oder?«

»Genau das heißt es«, antwortete Luise. »Hättest du denn Interesse an dem Lohner-Hof?«

Franz Vorderegger nickte sofort. »Sicher hätt’ ich Interesse. Der Hof ist wunderschön gelegen, ich wüßt’ nicht, warum ich mir ihn nicht als den Ruhesitz genehmigen sollt’, der er nun mal ist.«

»Was gehört denn alles dazu?« fragte die Seniorchefin des Bergerhofs.

»Na die Alm, der Bergwald, um den Hof herum die Weiden und so weiter.« Franz Vorderegger lächelte. »Er ist genauso wie ich mir einen idealen Hof vorstell’. Die Lage im Draubachtal ist super, und alles drumherum ist einmalig schön.« Dann grinste er. »Und wir beide wären bald Nachbarn, jedenfalls wär’ ich rascher hier im Bergerhof als aus Balding.«

*

Mizzi Looger hatte natürlich mitbekommen, daß Rupert zum Begräbnis seines Großvaters gekommen war, auch wenn sie ihn bei der Beisetzung nicht persönlich gesehen hatte.

Doch andere hatten ihn gesehen und hatten nichts Eiligeres zu tun, als die Mizzi davon zu unterrichten.

»Er schaut noch aus wie früher«, sagte eine ihrer Freundinnen. »Vielleicht ist er noch ein bisserl schmaler geworden, aber sonst ist er fesch wie eh und je.«

Mizzi hatte keine Ahnung, von wem die Freundin redete, deshalb fragte sie: »Von wem redest du?«

»Vom Rupert«, antwortete die Freundin. »Er war auf dem Begräbnis vom alten Irg. Zwei Grabreihen weiter ist er gestanden. Er hat sich sozusagen alles aus der Ferne angesehen.«

Mizzi wurde blaß. »Bist du sicher?«

»Natürlich bin ich sicher«, antwortete die Freundin, »meinst ich würd’ den, der dich mit einem Kind hat sitzen lassen, je vergessen können?«

Mizzi runzelte die Stirn. »Ich möcht’ net, daß du so redest. Hast gehört? So sollst net reden.«

»Aber…!«

»Kein aber«, entgegnete Mizzi. »Ich will, daß du dich aus meinen Angelegenheiten heraushältst. Hast mich verstanden? Das gilt auch für alle anderen Freundinnen.« Wobei sie das Wort Freundinnen besonders betonte.

»Ist ja schon recht«, erwiderte die Freundin, »ich wollt’s dir ja nur gesagt haben. Net daß es nachher noch heißt, ich hätt’ dir unbedingt bescheidgeben müssen.«

»Dank’ schön«, murmelte

Mizzi, »ich komm’ schon klar.« Dann sah sie auf die Uhr. »Außerdem muß ich jetzt den Tom wecken, er hat ein bisserl geschlafen.«

»Ich geh’ ja schon«, sagte die Freundin, die, das sah man ihr unschwer an, eingeschnappt war.

Nur wenige Augenblicke nachdem die Freundin gegangen war, läutete es erneut an der Wohnungstür.

Mizzi meinte, die Freundin sei zurückgekommen, dementsprechend war die Reaktion, als sie die Wohnungstür öffnete.

»Was willst denn jetzt schon wieder?« fragte sie mit genervt klingender Stimme.

Doch statt der Freundin sah sie nur einen großen Blumenstrauß, und als sie sah, wer sich dahinter versteckte, wurde sie kreidebleich im Gesicht, und für einen Moment meinte sie, sie verliere das Bewußtsein.

»Hallo, Mizzi…!« Rupert Lohner lächelte hinter dem Blumenstrauß hervor.

»Rupert…! Also mit manchem hätt’ ich gerechnet, aber net damit, daß du mich besuchen kommst. Woher weißt du denn, daß ich da wohn’?«

»Die Laura hat’s mir erzählt«, antwortete der groß gewachsene Bursche. »Und da ich zur Beisetzung vom Großvater gekommen bin, hab’ ich gemeint, ich schau’ mal bei dir vorbei. Du… du schaust noch genauso gut aus wie früher.«

Mizzi schloß für einen Moment die Augen, dann mühte sie sich ein Lächeln ab.

»Du hast auch schon mal besser gelogen«, erwiderte sie, gab die Tür aber immer noch nicht frei.

»Mutti!« rief da wer hinter ihr, und gleich darauf schob sich ein kleiner Junge an ihr vorüber und starrte Rupert und die Blumen an.

Man hätte in dem Moment die berühmte Stecknadel fallen hören können, so still war es.

»Das… das ist Tom«, sagte

Mizzi, als sie sich einigermaßen gefangen hatte.

»Und wer ist Tom?« Rupert sah Mizzi aufmerksam an.

»Mein Sohn«, antwortete die, »Tom ist mein Sohn.«

»Hallo, Tom.« Rupert ging in die Hocke und sah Tom an. Der stand immer noch neben seiner Mutter und hielt sich an ihr fest. Rupert lächelte den Kleinen, der keinen Meter vor ihm stand, lieb an und sagte: »Ich hab’ dir auch was mitgebracht.«

Tom kam einen Schritt weiter vor. »Was denn?«

»Man hat mir erzählt, du hättest schon eine Reihe solcher Automodelle…?«

»Super…!« Tom nahm die beiden kleinen Modellautos und staunte sie an. »Das da hab’ ich noch nie gesehen, und das andere hab’ ich auch noch nicht.«

Mizzi starrte von oben auf Tom und dann auf Rupert, sie benötigte gerade mal drei Sekunden, um sich einigermaßen herzurichten.

»Tom…!«

»Ja?«

»Stelle die Autos zurück.«

»Aber, Mutti…?«

»Gib sie zurück.« Mizzis Stimme klang plötzlich überaus scharf.

»Aber…!«

»Du sollst sie zurückgeben«, forderte Mizzi ihren Sohn daraufhin noch mal auf.

Der wußte, daß es keine Chance gab, die beiden Automodelle zu behalten. Obwohl er genau das gerne getan hätte, hielt er sie Rupert wieder hin.

»Da… ich darf sie nicht nehmen«, murmelte er, wobei er fast geweint hätte.

»Und warum darfst du sie nicht nehmen?« fragte Rupert.

»Er möcht’ wissen, warum ich sie nicht nehmen darf, die beiden Autos?« Tom sah seine Mutter fragend an.

»Darüber reden wir beide ein anderes Mal«, antwortete Mizzi, dann schob sie Tom zurück in die Wohnung, schloß die Wohnungstür und sah Rupert dann an. »Ich bitte dich zu gehen und die Blumen wieder mitzunehmen. Außerdem bitte ich dich, nicht mehr herzukommen. Es… es tut mir leid…!«

*

Als Laura an jenem Abend in den Bergerhof kam, war sie lange im Haus ihres Großvaters gewesen. Dann hatte sie sich plötzlich an Luises Angebot erinnert und bei ihr angerufen, um zu erfahren, ob sie ihren Vorschlag, für ein paar Tage in den Bergerhof zu ziehen, noch aufrecht hielt.

»Aber sicher«, hatte Luise

geantwortet, »ich freu’ mich. Sieh zu, daß du rasch herkommst.«

Laura betrat den Bergerhof kurz vor Mitternacht. Es waren nicht mehr viele Gäste da.

Luise hatte auf sie gewartet und empfing sie im Mittelbereich des beliebten Gasthofs, wo die Theke die alte und die neuen Gaststuben sehr harmonisch miteinander verband.

»Schön, daß du kommst«, empfing die Seniorchefin des Bergerhofs das junge Mädchen, »mir ist ein bisserl nach Reden, und mit denen hier«, sie zeigte um sich, »hab’ ich schon alles geredet.«

Laura winkte ab. »Ich hab’ net viel zu bieten.«

»Viel mehr als die meisten«, erwiderte Luise.

»Da bin ich aber mal gespannt.« Laura lächelte.

»Worauf?«

»Du scheinst was Bestimmtes zu erwarten«, antwortete Laura.

»Mich interessiert, was der Notartermin gebracht hat. Heut’ war nämlich der Vorderegger-Franz da und hat erzählt, daß deine Cousine Marion ihm den Hof zum Kauf angeboten hat.«

»Das glaub’ ich net«, murmelte Laura, die deutlich blasser geworden war.

»Der Franz ist bis vor keiner Stund’ da gesessen, wo du jetzt sitzt«, entgegnete Luise.

»Wie kann sie denn so was tun?« Laura schüttelte den Kopf.

»Dann ist sie also nicht die Erbin?«

»Nein, noch steht überhaupt nicht fest, wer was erbt. Noch ist alles möglich, auch daß alles an eine gemeinnützige Einrichtung geht.«

Luise grinste. »Ich hab’ dem Vorderegger schon gesagt, daß er sich mal bedeckt halten soll. Daß ihm zumindest vorerst niemand den Hof verkaufen kann.«

»Ich versteh’ eh net, wieso man den Hof überhaupt verkaufen will«, murmelte Laura. »Der Rupert würd’ ihn auch verkaufen, das hat er jedenfalls gesagt. Aber er würd’ ihn zumindest an erster Stell’ in der Familie lassen wollen.«

»Der Rupert ist da?« Luise reagierte fast ein wenig erschrocken.

Laura nickte. »Ja. Auch auf der Beisetzung war er, aber er ist abseits gestanden.«

»Das hätt’ ich net gedacht«, murmelte Luise.

»Ich auch net«, erwiderte Laura. Dann lächelte sie. »Jedenfalls bin ich froh, daß er hergekommen ist, der Rupert. Er ist aber sicher schon wieder weg, weil er dabei ist, sich eine Existenz aufzubauen.«

»Aha…?«

»Er hat eine Schreinerei«, antwortete Laura, »außer ihm selbst hat er erst einen Gesellen, Lehrbub kriegt er im Herbst einen. Das heißt, daß er net dableiben konnt’.«

»Ich versteh’«, murmelte Luise, »er hat also Arbeit.«

Laura nickte. »So ist es.« Dann atmete sie tief durch. »Kann es sein, daß er keine Ahnung von Tom hat?«

»Wieso?«

»Er ist ganz blaß geworden, als Marion gesagt hat, daß er sich nie um seinen Buben gekümmert hat«, antwortete Laura. »Als Marion dann gegangen war, hab’ ich ihn gefragt.«

»Und?«

»Er sagt, er hätt’ nicht die blasseste Ahnung gehabt.«

Luise zog die Augenbrauen hoch. »Es fällt zwar schwer, es zu glauben, aber möglich ist es schon. Die Mizzi hat vielleicht nie einen Ton gesagt, und der Rupert war dann plötzlich nimmer da. Ich will damit sagen, daß man es net ausschließen kann.«

»Jedenfalls war der Rupert total daneben, als ich ihm dann alles offenbart hab’«, sagte Laura.

Im gleichen Moment kam Heidi in die Küche.

»Hallo«, sie lächelte Laura freundlich an, »schön, daß du hergekommen bist. Wie war’s beim Notar?«

»Noch ist keine Entscheidung gefallen«, antwortete Laura.

»Der Grundner-Max sitzt übrigens in der alten Gaststub’«, erwiderte Heidi. Dann sagte sie in Richtung Luise: »Er hätt’ gern noch ein Schinkenbrot, wenn es machbar ist. Er hätt’ heut’ Abend nix gegessen.«

»Sicher kriegt der Max sein Schinkenbrot«, erwiderte Luise. »Ich werd’ ihm auch noch ein Spiegelei danebenlegen, und einige Essiggurkerl, die mag er nämlich.«

Heidi lachte und ging wieder.

»Der Grundner-Max«, sagte Luise, während sie Schinken schnitt, »ist ein feiner Mensch. Wie sein Vater und sein Großvater, das waren auch sehr angenehme Menschen. Und gar net aufgeblasen wie andere, die meinen, sie wären was.«

»Seine Kanzlei, war die schon immer in Oberstdorf?« Laura sah die Seniorchefin des Bergerhofs fragend an.

Die schüttelte den Kopf. »Nein, die Kanzlei vom Großvater Grundner war in Immenstadt. Auch der Vater war in Immenstadt niedergelassen. Erst als der Max in die Kanzlei eingestiegen ist, haben s’ die Kanzlei nach Oberstdorf verlegt.«

»Hat… ist der Max verheiratet?« wollte Laura wissen.

Laura lachte. »Oje, nein. Der Grundner-Max ist der eingefleischteste Junggeselle, den ich kenn’. Ich kann mich net erinnern, daß der mal ein Madel gehabt hat. Das heißt… also da war doch mal was. Aus Kempten ist sie gewesen, ihr Vater war dort am Gericht als Richter. Wie hat sie noch geheißen…?«

Laura zuckte mit den Schultern. »Ich weiß es net.«

Luise legte das Spiegelei neben das Schinkenbrot auf den Teller und gab noch einige Essiggurkerln dazu.

»Meierhofer«, sagte Luise, »Johanna Meierhofer hat sie geheißen, und verunglückt ist sie. In Tirol ist sie beim Bergsteigen abgestürzt. Es war ein Drama damals. Der Max hat auch mit wollen, konnt’ aber net. Das Madel und drei Freunde von Max sind nimmer zurückgekommen.«

»Oje…!«

»Bringst du dem Max das Schinkenbrot?« fragte Luise. »Dann muß ich die Heidi net extra herholen.«

Laura stand sofort auf. »Gern. Wo find’ ich ihn denn?«

»Im alten Gastzimmer«, antwortete Luise, »wo das ist, weißt doch, oder?«

Laura nickte, nahm Besteck, Serviette und den Teller mit Schinkenbrot, Ei und den Essiggurken. »Ja, das weiß ich.«

Luise lächelte. »Dann sag ihm, er soll sich’s gut schmecken lassen.«

»Ist schon recht«, murmelte Laura, dann verschwand sie in Richtung alte Gaststube.

*

Max Grundner war vierunddreißig Jahre alt, und er war in vierter Generation Anwalt. Max war groß, hatte dunkle Haare und ebensolche Augen, und man sagte ihm nach, ein romantischer Mensch zu sein.

Sein Großvater war noch Strafverteidiger gewesen, über ihn sagte man heute noch, daß er eine sehr scharfe Zunge gehabt habe, was für einen Strafverteidiger unbedingt zum Vorteil war.

Max dagegen war ruhiger. Er hatte sich auf Vertragsrecht spezialisiert und neben seiner Notartätigkeit vertrat er am liebsten Bauern und Handwerker, wenn sie irgendwer über den Tisch ziehen wollte, weshalb er auf dem Land immer gerne gesehen war.

Auch an jenem Abend im Bergerhof saß er am Bauerntisch, und als Laura das Schinkenbrot brachte, unterhielt er sich angeregt mit einem Hochtalbauern.

»Oh«, sagte er, als Laura den Teller vor ihn stellte, »was treiben Sie denn hier im Bergerhof?«

»Ich wohn’ für ein paar Tage da«, antwortete Laura, »Luise hat mich eingeladen. Gar so viel Gäste haben s’ jetzt noch nicht.«

»Und da halfen s’ schon mal bedienen?« Max lächelte überaus freundlich.

Laura lachte. »Dann hab’ ich grad’ damit angefangen.« Dann bestellte sie Luises Grüße und wünschte auch in ihrem Namen »Guten Appetit«.

Max bedankte sich. Er sah Laura hinterher, verzehrte dann mit großem Vergnügen sein Schinkenbrot, und als Heidi an seinem Tisch vorbeikam, fragte er nach Laura.

»Wie kommt’s, daß sie da bei euch ist?« wollte er wissen.

»Luise hat sie eingeladen«, antwortete Heidi. »Laura hat sehr an ihrem Großvater gehangen. Luise hat gemeint, sie sollt’ jetzt, wo er nimmer ist, net

allein auf dem großen Hof

sein.«

Max nickte. »Das ist sicher gescheit.« Dann zögerte er. »Sie ist ein sehr nettes Mädchen. Irgendwer hat mir gesagt, daß sie Jura studiert.«

»Ja, das tut sie«, bestätigte Heidi, »sie ist auch nimmer weit vom Ersten Staatsexamen weg, obwohl sie noch so jung ist.«

»Wie alt ist sie?«

»Drei- oder vierundzwanzig.« Heidi lächelte. »Bei einem Madel in dem Alter kommt’s net auf ein Jahr an.«

Max grinste. »Ich bin zehn Jahr’ älter, die spür’ ich manchmal ganz schön.«

»Wenn du noch ein bisserl jammerst, bedaure ich dich«, erwiderte Heidi.

Laura war inzwischen zurück in die Küche gekommen.

»Und?« fragte Luise. »Hat er sich gefreut, der Herr Notar?«

Laura nickte. »Ich glaub’ schon, er läßt jedenfalls schön grüßen und bedanken tut er sich auch.«

»Ich bin jetzt fertig hier«, sagte Luise, »hast Lust, ein bisserl mit in die alte Gaststub’ zu kommen? Da sitzen jetzt Bauern und Handwerker, jedenfalls ausschließlich Einheimische. Da geht’s dann ziemlich rustikal zu.«

Laura zögerte. »Ich weiß net, nachher sieht’s so aus, als wenn ich mich anbiedern wollt’.«

»Also jetzt hörst aber auf«, entgegnete die Seniorchefin des Bergerhofs, »welchen Grund solltest du haben dich anzubiedern. Das würd’ absolut keinen Sinn machen.«

»Irgendwie wär’s schon interessant«, sagte Laura, »aber ich bleib’ net lang’. Nur ein bisserl zuhören möcht’ ich.«

Luise wurde wie immer freundlich begrüßt, und da alle den alten Irg gekannt hatten, kannte man auch Laura.

»Kommst du jetzt an deines Großvaters statt?« fragte ein Bauer aus einem der benachbarten Hochtäler.

»Schmarrn«, erwiderte Max Grundner, »ein Madel wie die Laura kann für sich kommen, sie muß net stellvertretend auftreten…!«

*

Mizzi Looger war auch am Tag nach Ruperts plötzlichem Auftauchen noch geschockt, und sie verließ ihre Wohnung nur, um Tom zum Kindergarten zu bringen und um ihn wieder abzuholen.

Nicht, daß sie Rupert in den letzten Jahren vergessen hätte, das wäre gar nicht möglich gewesen, schließlich hatten sie einen gemeinsamen Sohn, aber als sie mitbekommen hatte, wer sich hinter dem Strauß Blumen versteckte, hatte sie gemeint, ihr Herz schlage derart heftig, daß es jeder im Umkreis von zwanzig Metern hören müsse.

Rupert dann kurzerhand vor die Tür zu setzen, war einesteils eine Kurzschlußhandlung gewesen, aber als sie Tom ganz nah bei Rupert gesehen hatte, hätte sie fast laut aufgeschrien.

Tom hatte in letzter Zeit öfter nach seinem Vater gefragt und wissen wollen, warum andere Kinder einen Vater hätten, er aber nicht?

Den ganzen Tag, vor allem als Tom im Kindergarten war, hatte sie über die nun eingetretene Situation nachgedacht. Daß Rupert zu seines Großvaters Beisetzung und zur Testamentseröffnung gekommen war, stand auf dem einen Blatt, und dagegen war überhaupt nichts einzuwenden, doch auf dem anderen Blatt stand die Frage, wie sie sich verhalten sollte? Sollte sie ihm sagen, daß er einen Sohn hatte? Andererseits konnte sie sich nicht vorstellen, daß er es nicht längst wußte.

Der alte Irg hatte jahrelang für Tom gezahlt, und zwar exakt das, was Rupert zu zahlen gehabt hätte. Und da sollte der nichts von seinem Sohn wissen?

Dann, am Abend, Mizzi hatte sich gerade entschlossen, doch noch mal mit Tom rauszugehen, läutete die Türglocke.

Mizzis erster Gedanke war: Rupert!

Es läutetet noch mal und schließlich ein drittes Mal. Als sie dann öffnete, stand Marion vor der Tür und strahlte übers ganze Gesicht.

Sie hatten sonst kaum Kontakt miteinander, und während Mizzi sich wunderte, daß Marion bei ihr läutete, da trat die an ihr vorüber in ihre Wohnung und ließ sich im kleinen Wohnraum aufs Sofa fallen.

»War Rupert hier?« ließ Marion keinen Zweifel daran aufkommen, warum sie erschienen war.

Mizzi wäre gerne wieder allein mit Tom gewesen und sie wollte auf die Frage nicht antworten, doch sie tat es dann doch und nickte.

»Ja, er war hier«, sagte sie.

»Und?«

»Was und?«

»Wie hat er reagiert, als er Tom gesehen hat?«

»Er wollt’ ihm zwei kleine Autos schenken.«

»Und was hat Tom gesagt?«

»Nicht viel.«

»Warum nicht?«

»Weil ich Rupert gebeten habe zu gehen«, antwortete Mizzi. »Also ich möcht’ jetzt nicht mehr antworten. Außerdem wollt’ ich mit Tom eh noch ein paar Schritte gehen.«

»Das heißt, du willst mich loswerden?« Marion grinste übers ganze Gesicht, war offenbar in einer ausgesprochen guten Stimmung.

Mizzi nickte. »Ja, so könnt’ man’s durchaus ausdrücken.«

»Rupert hat behauptet, daß er nichts von Tom gewußt hätte.« Marion lachte. »Merkst du was, da will sich einer aus der Verantwortung stehlen.«

»Und wenn er es nicht gewußt hat?« Mizzi zuckte mit den Schultern. »Es könnt’ immerhin sein.«

»Du deckst ihn auch noch?« Marion verzog das Gesicht. »Anstatt ihn richtig anzumachen, stehst du ihm auch noch bei. Einer wie dir geschieht’s ganz recht, daß du ein Bankert hast.«

Dann stand sie auf. An der Tür blieb sie noch mal stehen und blickte zurück.

»Die monatlichen Beträge, die dir der Großvater gezahlt hat«, sagte sie dann, »die fallen jetzt weg, das ist hoffentlich klar. Wenn du Geld brauchst, dann geh zu Rupert. Oder dem, der sonst noch als Vater in Frage kommt.«

Mizzi starrte auf die Tür, nachdem Marion ihre Wohnung verlassen hatte. Wenn der monatliche Scheck vom alten Irg ausbleiben würde, dann würde es knapp werden.

Im gleichen Augenblick kam Tom zu ihr. Er sah ein wenig verschlafen aus. Sie würde noch eine halbe Stunde mit ihm vor die Tür gehen.

»Mutti…?«

»Ja?«

»Gestern…!«

»Was war gestern?«

»Warum durfte ich die beiden Autos nicht nehmen? War der Mann böse?«

»Böse?« Mizzi atmete tief durch und lächelte dann verträumt. »Wie kommst du denn auf böse? Der Mann ist ganz und gar nicht böse.«

»Und warum durft’ ich dann die beiden Autos nicht nehmen?«

»Vielleicht bekommst sie ja später«, antwortete Mizzi, »dann kannst dich jetzt schon ein bisserl drauf freuen.«

Tom war ein aufgeweckter Junge und ihm war die Unlogik gleich bewußt, er sagte trotzdem nichts, drehte sich um und wollte zurück in sein Zimmer gehen.

»Komm«, rief Mizzi hinter ihm her, »nicht wegrennen, wir wollen noch mal ein bisserl vor die Tür. Du hast heut’ noch nicht genug frische Luft geatmet.«

Tom verdrehte die Augen. Die abendlichen Spaziergänge mit seiner Mutter mochte er nicht besonders.

»Komm«, bestand Mizzi jedoch auf ihrem Vorhaben, »keine Ausflüchte…!«

Minuten später waren sie unterwegs. Sie bewohnten eine kleine Wohnung relativ nah am Ortskern in Oberstdorf und wenn sie nur wenige Schritte gingen, waren sie in dem Bereich, wo beleuchtete Schaufenster das abendliche Oberstdorf bestimmten.

Mizzi konnte sich nicht viel leisten, hatte gerade genug zum Überleben. Deshalb blieb sie schon mal an Schaufenstern stehen und begann zu träumen.

Heute stand sie vor dem neu dekorierten Fenster eines Reisebüros. Großflächige bunte Plakate priesen die Südsee als ideales Urlaubsziel.

»Mir würd’ schon reichen, wenn ich mal herauskommen würd’ aus dem Einerlei«, murmelte sie, »nur mit dem Tom mal weg. Eine Woch’ würd’ auch schon reichen…!«

*

»Wie bitte?« Marion starrte Max Grundner an, als zweifle sie an seinem Verstand.

Der zuckte mit den Schultern, als bedaure er, was er ihr gerade eben habe darlegen müssen.

»Das Testament sagt ausdrücklich, daß der als Erbe des Hofes und der Liegenschaften ausscheidet, der sie zu verkaufen beabsichtigt«, führte er

aus. »Und da Sie letzte Woche deutlich zum Ausdruck gebracht haben, daß Sie den Hof auf jeden Fall zu verkaufen beabsichtigen, werden Sie ihn nicht erben können. Das gleiche gilt sinngemäß auch für Ihren Cousin.«

Marion war blaß wie die Wand. Ganz allmählich kam wieder Farbe in ihr Gesicht, das plötzlich knallrot schimmerte.

»Und Laura?« schrie sie, »was ist mit ihr?«

»Ihre Cousine wollte den Hof unter keinen Umständen verkaufen, und wie es jetzt aussieht, wird sie den Hof erben«, antwortete Max Grundner. »Für sie und Rupert…!«

»Seien S’ still«, Marion stand auf, ging um Max Grundners Schreibtisch herum und sah auf dessen Unterlagen.

»Es ist zwar zu dem Zeitpunkt nicht gerade üblich«, sagte der, »aber bitte, wenn Sie unbedingt möchten, dürfen S’ auch in die Verfügungen Ihres Großvaters hineinschauen. Später bekommen Sie eh Photokopien aller relevanten Papiere.«

Marion hatte die handgeschriebenen Unterlagen vom Schreibtisch genommen und las sie langsam durch.

»Dieser alte Dreckskerl«, murmelte sie dann, »ich hab’ die ganze Zeit recht gehabt mit dem, was ich über ihn gedacht hab’. Nur weil ich den Hof verkaufen wollt’, schließt er mich als Hoferben aus.«

Max Grundner zuckte mit den Schultern. Laura saß still auf ihrem Stuhl, Rupert war an jenem Tag nicht erschienen.

Als Laura hörte, wie Marion ihren Großvater zu beschimpfen begann, stand sie auf und verließ das Büro. Vor der Tür blieb sie stehen und kämpfte mit ihren Tränen.

Max kam hinterher und fragte, was los sei?

»Ich komm’ gleich wieder«, antwortete Laura. »Ich… ich hab’ nur mal Luft geschnappt.«

Als sie zurückkam, grinste Marion sie an. »Wenn wer was gegen deinen Großvater sagt, der auch mein Großvater war, dann reagierst arg empfindlich.«

»Ich hab’ früher oft gemeint, daß du bös’ bist«, erwiderte Laura, »inzwischen weiß ich, daß du es nicht bist. Du hast nur kein Gefühl in dir, jedenfalls keines für andere Leut’. Du siehst nur dich. Bei dir zählst nur du, alles andere interessiert dich net.«

»Die schöne Laura…!« Marion lachte. »Wie mich immer genervt hat, wenn wieder mal dich wer als Vorbild hingestellt hat. Laura ist schön, Laura ist klug, Laura ist gut, Laura ist fleißig, hat’s stets geheißen. Mich hat das immer angekotzt.«

Danach war es eine Weile still im Büro Max Grundners. Bis der fragte, ob er nun weiter vorgehen könne?

»Was heißt das?« fragte Marion.

»Ich würde Ihnen und Laura vorlesen, was der Irg Ihnen jeweils hinterlassen hat«, antwortete Max.

»Mir ist wurscht, was der alte Knacker…«, Marion grinste Laura an, »mir hinterlassen hat.«

»Heißt das, daß Sie auf Ihr Erbteil verzichten?« Max Grundner sah Marion fragend an.

Die zuckte mit den Schultern. »Seine Almosen kann er behalten. Was kann er mir schon hinterlassen haben, wenn sie da den Hof und den anderen Grundbesitz bekommt?«

Max Grundner überlegte einen Moment. »So würd’ ich es nicht ausdrücken.«

»Wie denn?« wollte Marion wissen, die wieder mal eine halbleere Packung Zigaretten aus der Jackentasche nestelte und sich offensichtlich eine anzünden wollte.

»Nein… bitte nicht«, mahnte der junge Notar.

Marion verdrehte die Augen. »Ach ja, ich vergaß, hier in den geheiligten Hallen darf ja nicht geraucht werden.«

»Ihr Großvater hat verfügt, den Besitz im Draubachtal zusammen weiterzugeben!« antwortete Max Grundner.

»Na also…!« Marion zuckte mit den Schultern.

»Es gibt noch anderen Grundbesitz, der ihm gehört hat«, erwiderte der nette Notar.

Es dauerte, bis Marion die Antwort so aufgenommen hatte, daß sie sie verstand.

»Heißt das, daß ich doch noch irgendwas Greifbares erben kann?« fragte sie.

Max Grundner grinste. »Ich weiß nicht, ob Sie ein Grundstück in Immenstadt oder Oberstdorf greifen können?«

»Der Irg hat Grundbesitz in Oberstdorf und Immenstadt gehabt?« Marion schien es nicht glauben zu können.

Doch Max Grundner nickte. »Und in Balding und in Sonthofen. Ihr Großvater war ein sehr fleißiger, ein überaus weitsichtiger und sparsamer Mann.«

»In Balding und Sonthofen auch«, murmelte Marion. »Und was soll ich davon haben?«

»Wenn Sie damit einverstanden sind, daß Laura den Hof und den Besitz im Draubachtal bekommt«, antwortete Max, »können Sie sich die beiden Ihnen zustehenden Grundstücke auswählen.«

»Und wenn ich nicht einverstanden bin?«

»Dann bekommen S’ nur ein Kasterl mit persönlichen Erinnerungsstücken«, antwortete Max.

Marion schüttelte grinsend den Kopf. »Ich würd’ total laut lachen, wenn es net so traurig wär’. Aber der Irg hat sich alles toll überlegt, das muß ich sagen.«

»Über sieben Monate ist er an der Formulierung des Testaments gesessen«, erwiderte Max Grundner.

»Und dabei hat er überlegt, wie er seinem Liebling Laura alles zuschustern konnt’…!«

Max Grundner zuckte mit den Schultern. »Das stand ihm frei. Er hat mit seinem Besitz tun und lassen können was er wollt’.«

Marion stand wieder auf und ging nervös im Büro des Notars auf und ab, blieb mal am Fenster stehen und sah hinaus, mal blieb sie vor einer Wand stehen und starrte dagegen. Dann kam sie an ihren Platz zurück und setzte sich.

»Welche Grundstücke soll ich denn haben?« fragte sie.

»Eines in Oberstdorf«, antwortete Max Grundner, »es ist ein Baugrundstück, das sich sicher gut veräußern läßt. Und das andere liegt in Balding. Auch das ist ein Baugrundstück. Man wird es Ihnen aus den Händen reißen.«

»Was könnt’ denn für mich dabei herausspringen?« Marion rieb Daumen und Zeigefinder aneinander.

»Sicher eine halbe Million«, antwortete Max Grundner, »bei geschicktem Verkauf auch eine Dreiviertelmillion.«

Marion riß die Augen auf. »Die Kohle wär’ nur für mich? Ich müßt’ mit niemand teilen?«

»Es wäre nur für Sie…!«

»Dann machen S’ die Papiere fertig«, sagte Marion, »ich bin einverstanden, daß meine liebe Cousine den Hof bekommt.« Sie grinste. »Mir ist eh nicht nach Land-Lady. Ich werd’ alles…!« Sie lächelte. »Darf ich denn sagen, daß ich diese beiden Grundstücke verkaufen will, ohne daß ich mich in die Nesseln setze?«

Max Grundner nickte lachend. »Ja, das dürfen Sie.«

»Also, dann werd’ ich alles verkaufen«, antwortete Marion, »und nach München oder nach Stuttgart ziehen. Dann hab’ ich das, was ich wollt’ und ihr seid mich los…!«

*

Rupert ließ den zweiten Notartermin verstreichen. Einmal, weil er reichlich Arbeit hatte, und zum anderen, weil seine Begegnung mit Mizzi ihn derart durchgeschüttelt hatte, daß er sicher war, nie mehr nach Oberstdorf und Umgebung fahren zu wollen.

Doch dann dachte er an Tom und daran, daß er sein Sohn sein sollte und vorbei war’s mit der Konsequenz.

Die Begegnung hatte etwas derart Entwaffnendes gehabt, daß Rupert ständig an den Jungen dachte. Mit großen, neugierig dreinschauenden Augen hatte der ihn angesehen.

Seitdem stellte Rupert sich ständig die Frage: War Tom sein Sohn?

»Hier wirst die Antwort net bekommen«, murmelte er. »Da wirst dein Schneckenhaus schon verlassen müssen.«

Noch am Freitag nachmittag fuhr er nach Oberstdorf. Er hatte in der Kanzlei von Max Grundner angerufen und wissen wollen, ob der Chef zu sprechen sei.

Man hatte ihm um vierzehn Uhr einen Termin gegeben, und als er das Büro des freundlichen Notars betrat, lächelte der ihn an und fragte: »Sie wollen die Angelegenheit also auch zu Ende bringen?«

Rupert hatte keine Ahnung, von was Max sprach und sah ihn deswegen fragend an.

»Haben Sie nicht mit Ihren Cousinen gesprochen?« wollte der wissen.

Rupert schüttelte den Kopf. »Ich wollt’ Sie wegen eines Kindes was fragen.«

»Wegen eines Kindes?« Max Grundner sah Rupert überaus erstaunt an.

Der nickte. »Ich… ich hab’ erfahren, daß ich Vater eines Kindes sein soll.«

»Sie meinen sicher, was Ihre Cousine Marion letztens hier angesprochen hat.«

»So ist es«, antwortete Rupert. »Ich… ich weiß nicht, was ich da unternehmen soll.«

»Haben S’ schon mit der Mutter des Buben geredet?«

Rupert nickte. »Ja, ich hab’ sie besuchen wollen. Hab’ Blumen mitgenommen und Spielzeugautos für den Buben. Zuerst war alles in Ordnung, bis Tom dann zu mir gekommen ist.«

»Das hat die Mutter dann unterbunden, nehme ich an«, erwiderte Max.

Rupert nickte. »Binnen weniger Sekunden.«

»Wissen Sie denn, ob Sie Vater des Kindes sind?« wollte Max wissen.

»Woher denn?« antwortete Rupert, »ich hab’ ja bis zu der ersten Sitzung wegen Großvaters Testament nicht mal gewußt, daß meine ehemalige Freundin ein Kind hat.«

»Und was soll ich dabei tun?« fragte Max Grundner. »Ich mein’, Sie wollen doch sicher, daß ich was für Sie unternehme.«

Rupert nickte. »Ich möcht’ wissen, ob Tom mein Sohn ist und ich möcht’ ihn sehen.«

»Und das soll ich für Sie durchsetzen?« fragte Max Grundner.

»So ist es«, bestätigte Rupert.

»Darf ich Ihnen vorher einen gut gemeinten, kostenfreien Rat geben?« wollte Max wissen.

»Sicher…!«

»Suchen S’ den Kontakt zu Ihrer ehemaligen Freundin selbst«, sagte der nette Anwalt daraufhin, »das kommt Sie nicht nur billiger, sondern es verhärtet die Fronten nicht so, wie es geschehen würde, wenn Sie gleich mit einem Anwalt aufkreuzen.«

Rupert saß eine Weile da und dachte nach. Dann stand er auf.

»Es wird mir wohl nichts anderes übrig bleiben, als Ihrem Rat zu folgen«, sagte er.

»Hätten S’ noch einen Moment Zeit?« Max Grundner nahm die Aktenmappe »Erbschaftssache Irg Lohner« zur Hand.

Rupert nickte. »Na klar. Geht’s um Großvaters Nachlaß? Haben S’ da Einigkeit erzielen können bei meinen Cousinen?«

»Ich denk’ schon«, antwortete Max, dann führte er aus, was vereinbart worden war. »Sie würden Grundstücke in Immenstadt und Sonthofen bekommen. Es sind Baugrundstücke, das Immerstädter ist sogar eine gewerbliche Immobilie. Der Gesamtwert beläuft sich auf…«, er blätterte in der Akte, »er beläuft sich auf annähernd siebenhunderttausend Euro.«

»Wie bitte…?« Rupert meinte, nicht recht gehört zu haben.

»Es dürften siebenhunderttausend Euro für Sie herauskommen«, antwortete Max. »Abzüglich natürlich der Erbschaftssteuer. Aber es bleibt ein Batzen Geld übrig. Ihr Großvater war, was geschäftliche Dinge anging, ein überaus erfolgreicher und weitschauender Mann. Er hatte eine goldenes Händchen.«

»Und… und Marion und Laura sind einverstanden?« fragte Rupert. »Ich meine, das ist ja eine Riesensumme, und ich kann mir vorstellen, daß…!«

»Sie sind einverstanden«, entgegnete Max Grundner.

»Wer bekommt den Hof?«

»Laura.«

»Und Marion, was bekommt die?«

»Grundstücke wie Sie.«

Rupert dachte nach, dann nickte er. »Das ist eine Lösung, die dem Großvater sicher gefallen hätt’.«

Max Grundner lachte. »Darf ich Ihnen ein Geheimnis verraten?«

»Bitte…!«

»Ihr Großvater hat vorausgesehen, daß es so kommen wird«, antwortete Max. »Ganz genau vorhergesehen hat er es…!«

*

Mizzi war in einer Zwickmühle, und je länger sie über ihre Situation nachdachte, desto bewußter wurde es ihr. Jahrelang hatte sie sich gewünscht, Tom seinen Vater präsentieren zu können. Doch nun, wo Rupert greifbar gewesen wäre, ließ sie alle Fragen ihres Sohnes unbeantwortet, ja, sie verbot ihm gar, sie auf seinen Vater anzusprechen.

Bis Tom Tränen in den Augen hatte, als sie ihm wieder mal klar gemacht hatte, daß er keine Fragen nach seinem Vater stellen solle.

»Andere Kinder haben einen Papa«, schluchzte der Kleine plötzlich, »nur ich hab’ keinen. Die anderen Kinder lachen mich deswegen schon aus.«

Mizzi nahm Tom auf ihre Arme und herzte ihn. Dann lächelte sie ihn an. Bis Tom fragte: »Der Mann, der mir die beiden Autos schenken wollte, wer war das?«

Vor dieser Frage hatte Mizzi sich mehr gefürchtet als vor allem anderen.

»Er heißt Rupert«, antwortete Mizzi, »Rupert Lohner, ich war mal mit ihm befreundet. Er hat früher mal da in der Gegend gewohnt. Dann ist er aus der Gegend weggegangen, und seitdem hatte ich nix mehr von ihm gehört.«

»Bis er hier war?«

»Ganz genau«, antwortete Mizzi, »bis er vor der Tür gestanden ist.«

»Und warum hat er mir die beiden Autos mitgebracht?«

»Ich nehme an, daß ihm wer gesagt hat, daß es dich gibt.«

»Und da hat er mir nur so die Autos mitgebracht?«

Mizzi nickte. »Ich glaub’ so war’s.«

Tom saß neben ihr am Tisch. Das tat er sonst nur sehr ungern, denn viel lieber beschäftigte er sich in seinem Zimmer mit seinen Spielsachen.

Mizzi spürte, daß er noch was auf dem Herzen hatte und sie ahnte auch was es war. Noch bevor Tom erneut die Frage nach seinem Vater stellen konnte, fragte sie, ob er am Nachmittag mit auf die Alm wolle?

Almspaziergänge gehörten zu Toms Lieblingsbeschäftigungen, und dementsprechend jubelte er auch jetzt wieder.

»Jetzt gehen wir?« fragte er.

Mizzi nickte. Sie wußte, warum Tom gefragt hatte, weil ihre Almausflüge sonst immer schon zeitig am Morgen begonnen hatte und dies diesmal anders war.

»Treffen wir wen auf der Alm?« wollte Tom wissen.

Mizzi verstand auch diese Frage, weil sie sich sonst mit anderen verabredet hatte. Einmal waren über zwanzig Eltern mit Kindern dabeigewesen.

»Heut’ nicht«, antwortete sie, »jedenfalls sind wir nicht verabredet. Möglicherweise begegnen wir aber zufällig wem.«

Tom rannte jubelnd in sein Zimmer, um sich almmäßig anzuziehen. Er war riesig stolz auf seine lederne Kniebundhose, das karierte Hemd und die handgestrickten Socken.

»Ich bin fertig«, sagte er Minuten später, als er vollständig angekleidet neben ihr stand.

»Da schau her«, Mizzi tat erstaunt, »wenn du willst, kannst du dich also sehr rasch selbst ankleiden, dann brauchst du mich nicht.«

Tom kletterte auf die Eckbank, fiel seiner Mutter um den Hals und drückte sich fest an sie.

»Ich hab’ dich ganz lieb«, sagte er, »lieber als alle anderen zusammen.«

Mizzi küßte ihm auf die Stirn. »Das will ich auch meinen. Jetzt wartest noch ein bisserl, dann bin auch ich angekleidet und wir fahren los.«

»Wie weit fahren wir denn?« wollte Tom wissen.

»Wir könnten bis zum Lassner-Hof fahren«, antwortete

Mizzi, »dann könnt’ die Maren vielleicht mit uns gehen. Das heißt, wenn du magst.«

Maren war eine von Toms

Kindergartenfreundinnen. Mizzi wußte, daß er sie sehr mochte, auch wenn er immer so tat, als sei sie ihm gleich.

Er machte sofort große Augen und nickte schließlich.

»Rufst du vorher an?« fragte er.

»Das ist eine gute Idee«, antwortete Mizzi.

»Maren kommt mit und ihre Mutter«, sagte sie, als sie vom Telefon kam. »Sie freuen sich.«

Als sie zwanzig Minuten später den Wagen auf dem Lassner-Hof abstellten, kam Maren schon herausgerannt. Sie war ein hübsches Mädchen und immer quietschfidel.

»Wir essen auf der Alm ein Würstel«, sagte Maren, »ihr auch?«

Tom sah seine Mutter an, die nickte sofort. »Ich hab’ Geld eingesteckt, wir essen was und einen Almdudler gib’s auch.«

Tom atmete auf, denn er wußte, daß seine Mutter nicht so viel Geld hatte, daß sie ihm alle Wünsche erfüllen konnte, aber es wäre ihm ein Schreckliches gewesen, wenn er kein Würstel und keinen Almdudler bekommen hätte.

Gleich darauf kam auch Marens Mutter und nachdem sie sich alle begrüßt hatten, folgten sie einem schmalen Steig, der sie durch den Bergwald zur Alm führen würde.

*

Rupert hatte am Abend noch nach Hause fahren wollen, doch er spürte eine nie gekannte Unruhe in sich, und so entschloß er sich, doch noch einen Tag zu bleiben. Er rief seinen Gesellen auf dessen Handy an und sagte ihm, daß sein Aufenthalt sich um einen Tag verlängerte.

Rupert hatte nachmittags einen ehemaligen Spezl angerufen, der total erstaunt gewesen war, von ihm zu hören, denn der war zwar mit bei der Beisetzung gewesen, aber auch er hatte Rupert nicht bemerkt, weil der einige Grabreihen weiter gestanden war.

»Was hältst denn davon, wenn du morgen in der Früh herkommst«, schlug Berni Zuber vor, »dann könnten wir einen schönen Gang über einige Almen tun, und am Nachmittag kehren wir dann beim Gustl ein. Ein bisserl wär’s dann wieder wie früher.«

Rupert hatte sofort zugestimmt, und zeitig am nächsten Morgen hatten sie sich am Leonhardt-Marterl im Draubachtal getroffen.

Berni grinste übers ganze Gesicht, als sie sich begrüßten.

»Ausschauen tust unverschämt gut«, sagte er, »daß dich das alles gar net hernimmt. Wo bist denn gewesen all die Jahr’? Und daß man nie was von dir gehört hat?«

Rupert lächelte schief. »Es ist anfangs net alles so gelaufen wie ich es mir vorgestellt hab’, deswegen hab’ ich mich net gemeldet. Blamieren wollt’ ich mich ja net.«

»Wir haben uns die Bank durch gewundert, daß du net zurückgekommen bist, als die Mizzi den Buben bekommen hat«, sagte Berni. »Ich hab’ sogar gewettet und verloren. Das versteh’ ich bis heut’ net.«

Da atmete Rupert tief durch. Daß das Gespräch so rasch auf das heikle Thema kommen würde, damit hatte er nicht gerechnet, doch ihm war es recht so.

»Vielleicht glaubst du mir net, was ich jetzt sag’«, erwiderte er, »aber ich hab’ bis vor einer Woch’ net gewußt, daß die Mizzi einen Buben hat.«

»Was…?« Berni starrte seinen ehemaligen Spezl total erschrocken an. »Du hast net gewußt, daß die Mizzi von dir ein Kind erwartete?«

Rupert schüttelte den Kopf. »Weißt du, bei welcher Gelegenheit ich’s erfahren hab’? Von meiner Cousine Marion, als wir beim Notar saßen und sie mich wegen Tom angemacht hat. Ich hätt’ mich nie um den Buben gekümmert.«

»Du hast es echt net gewußt?« Berni schüttelte ungläubig den Kopf. »Das darf doch gar net wahr sein.«

»Ist es aber«, erwiderte Rupert, »und ich hab’ mir in der einen Woch nur Gedanken um das Thema gemacht. Weißt du, warum die Mizzi damals nix gesagt hat? Immerhin hat sie ja gewußt, daß ich gehen will.«

»Dann war es gar kein plötzlicher Entschluß.«

Rupert schüttelte den Kopf. »Nein, ich hab’ mich damals lang herumgequält damit. Hier war alles so vorprogrammiert. Ich wollt’ was Eigenes schaffen.«

»Und? Hast was Eigenes geschaffen?«

Rupert wiegelte seinen Kopf. »Ich bin dabei. Ich hab’ eine Schreinerei gegründet. Hab einen Gesellen und bekomm’ im Herbst meinen ersten Lehrbub.«

»Da schau her. Dann bist also Schreinermeister?« Berni war beeindruckt.«

»Ja, alles könnt’ jetzt gut laufen«, murmelte Rupert.

»… wenn es net die Mizzi und den Tom geben würd’«, vervollständigte Berni den Satz.

»Nein«, Rupert schüttelte den Kopf, »es könnt’ alles gut laufen, wenn ich wüßt’, woran ich wär’.«

»Wie meinst du das?«

»Ich hab’ mich erneut in die Mizzi verliebt«, antwortete Rupert, »aber wie ich es seh’, hab’ ich diesmal net nur keine guten, ich hab’ gar keine Karten…!«

*

Der alte Gustl war schon seit über vierzig Jahren als Senn auf der Alm, und wenn ihm wer ein Topgehalt und ein schönes Heim im Tal geboten hätte, der Gustl hätte abgelehnt.

Er war Senn der Almbauerngenossenschaft, deren Jungvieh er betreute. Außerdem bewirtschaftete er für den Huber-Bauern vier Kühe, deren Milch er zu Käse und dergleichen verarbeitete.

Der Gustl war ein lustiger Bursch, immer zu einem Scherz bereit, und wenn wer zu Besuch kam, dann freute er sich über die Abwechslung.

Als er am Nachmittag Mizzi mit Tom und die Lassner-Elke mit ihrer Tochter Maren die Alm heraufkommen sah, da freute er sich ganz besonders, denn er mochte die Mizzi sehr. Sie war die Tochter einer entfernten Cousine und wann immer sie den Gustl besucht hatte, sie hatte ihm immer was mitgebracht.

»Das nenn’ ich eine Überraschung«, sagte er, »zwei hübsche Madeln und so fesche Kinder…?«

Mizzi hatte Tabak und ein Paar Zigarren besorgt, die sie dem Gustl zusteckte, der sich verlegen bedankte, denn er wußte sehr wohl, daß Mizzi nicht sonderlich viel Geld hatte.

»Hast du Würstl für uns?« fragte Tom, »und Almdudler?« Dabei streckte er dem Gustl das Geldstück hin, das seine Mutter ihm gegeben hatte.

»Ja, hab’ ich da«, antwortete der Alte, »aber ich muß die Würstl erst noch braten, wenn’s recht ist. Den Almdudler kannst aber gleich haben.«

Mizzi entschuldigte sich wegen Toms vorpreschender Art, aber der alte Senn winkte ab.

»So sind Buben«, erwiderte er, dann zeigte er mit einer Handbewegung zum sogenannten Flachsköpfl. »Da kommt noch wer. Wie’s ausschaut, ist heut’ was los heroben.«

»Wer wird das denn sein?« fragte Elke Lassner, »der eine könnt’ dem Gang nach der Zuber-Berni sein. So wie der geht nur er, aber der andere…?«

Plötzlich wurde Mizzi kreidebleich. Sie schluckte, sah sich nach Tom um, der mit Maren wenige Meter weiter spielte.

»Herrschaftszeiten«, murmelte Elke, wobei sie Mizzi einen raschen Blick zuwarf, »das darf doch gar net wahr sein…!«

Mizzi hatte inzwischen rote Wangen bekommen.

»Es ist aber wahr«, murmelte sie, »ich hab’ ihm ausweichen wollen, und da kommt er auf die gleiche Idee…!«

»Dann bist ihm also schon begegnet?« fragte Elke.

Mizzi nickte. »Er war bei uns, letzte Woche. Eine Minute vielleicht. Dann hatt’ ich ihm klargemacht, daß ich keinen Kontakt zu ihm haben will.«

»Aber er ist doch Toms Vater, oder?« Elke sah ein wenig ängstlich drein.

Mizzi nickte. »Das ist er. Im biologischen Sinn. Das ist aber auch alles.«

»Oje«, Elke sah sich hilfesuchend um, es war aber niemand da, der ihr beistehen konnte.

»Eines muß ich aber zu Ruperts Entschuldigung sagen«, murmelte Mizzi. »Er hat nicht gewußt, daß es Tom gibt und daß er Vater ist also auch nicht.«

»Mar’ und Josef.« Es hätte nicht viel gefehlt und Elke hätte sich bekreuzigt.

Rupert und der Zuber-Berni kamen inzwischen immer näher.

»Willst du es auf Krach ankommen lassen?« fragte Elke. »Dann… ich meine, da könnt’ ich mit den Kindern ein Stück gehen.«

»Das wird nicht nötig sein«, antwortete Mizzi. »Ich hab’ es mir überlegt, ich werd’ freundlich sein und so tun, als wenn absolut nichts wär’.«

»Das ist vielleicht das Gescheiteste«, erwiderte Elke. »Ich kann mich ja trotzdem mit den Kindern ein bisserl abseits halten.«

»Ich weiß nicht, ob Tom sich abseits halten läßt, wenn Rupert da ist.« Mizzi lächelte gequält. »Er hat ihm bei seinem ersten Besuch zwei kleine Modellautos mitgebracht. Ich hab’ gesagt, er soll sie wieder mitnehmen. Tom hat die Autos nicht vergessen, erst heut’ hat er danach gefragt.«

Rupert und Berni waren eben hinter der Hütte verschwunden, jeden Moment mußten sie wieder auftauchen.

Als die beiden um die Hütte kamen, brachte der Gustl gerade gebratene Würstl und Almdudler. Als er Rupert erkannte, wäre ihm das Tablett fast aus den Händen gefallen.

»Ist es Absicht, daß du heut’ hier auftauchst?« fragte er.

»Wieso?« Rupert hatte keine Ahnung, wer den alten Senn gerade an jenem Tag besuchte.

»Laß es gut sein, Gustl«, sagte Mizzi, die aus dem Vorraum der Hütte kam und freundlich lächelte. »Der Rupert konnt’ nicht wissen, daß ich heut’ bei dir bin.«

Rupert starrte Mizzi an, als sehe er sie zum ersten Mal.

»Hallo«, murmelte er schließlich, »das… also das ist jetzt wirklich Zufall. Der Berni und ich…!«

»Ist schon gut«, sagte Mizzi, »vielleicht können wir ja ganz normal miteinander reden.«

»Ist Tom auch hier?« Rupert hatte sich die Frage eigentlich verkneifen wollen, doch dann rutschte sie ihm heraus.

»Ja, er ist hier«, antwortete Mizzi. »Aber mir wär’ recht, wenn du ihn zumindest heut’ nicht sprechen würdest.«

Rupert trat von einem Bein aufs andere. »Ich weiß nicht, ob es dir recht ist, wenn ich jetzt davon anfange, aber es quält mich unsagbar.«

»Was quält dich unsagbar?«

»Die Frage, ob Tom… ich meine, ob Tom mein Sohn ist?« Mit großen Augen starrte Rupert

Mizzi an.

Die nickte sofort. »Ja, Tom ist dein Sohn.«

Rupert stand da, als habe man ihm gerade eben sein eigenes Todesurteil vorgelesen. Nicht nur er sagte nichts, auch alle anderen waren still.

Dann wurde die Hüttentür aufgestoßen und Tom kam mit Maren herausgerannt. Als er Rupert sah, blieb er wie angewurzelt stehen. Er sah ihn eine Weile an, dann ging er zu seiner Mutter und griff nach ihrer Hand.

»Mutti!?« sagte er dann leise, daß Mizzi sich zu ihm herunterbeugen mußte.

»Ja?«

»Kann er nicht mein Vati sein…?«

*

Laura fuhr jeden Morgen zum Lohner-Hof und stöberte in Schubladen und Schränken. Alles was insofern interessant war, daß etwas Familiäres zutage kam, wie Fotos, Briefe oder Urkunden, bewahrte sie auf und legte es in eine Mappe.

Alles andere warf sie in einen Container. Die ganze Woche war sie mit Aufräumarbeiten beschäftigt, wobei die Zeit wie im Flug verstrich.

Sie hätte sich für ihr Staatsexamen vorbereiten müssen, denn das stand bevor. Sie hätte im Grund genommen sogar nach München gemußt, weil sie wie ihre Kommilitonen bei einem Repetitor angemeldet war. Aber sie hätte ihr Examen lieber um ein Semester verschoben, denn um nichts in der Welt hätte sie darauf verzichtet, die ganz persönlichen Dinge ihres Großvaters zu sichten und zu ordnen.

Am Sonnabend, sie hatte die meisten Räume schon durchgearbeitet, stand sie im Erdgeschoß und begann jenes Zimmer durchzuforschen, in dem ihr Großvater zum Schluß gelebt hatte und in dem er gestorben war.

Es war fast Mittag, als sie hinter sich plötzlich ein Räuspern hörte und als sie sich umdrehte, stand Max Grundner dort, hielt eine Flasche Champagner in den Händen und strahlte Laura an.

Die wußte im Moment nicht, was sie sagen sollte, dann zeigte sie um sich.

»Es tut mir leid, daß ich Ihnen keinen Platz anbieten kann«, sagte sie, »aber ich bin dabei, alles zu entrümpeln. Dabei heb’ ich eh das meiste auf, weggeworfen hab’ ich nur ganz wenig und dann nur solche Sachen, die mit dem Großvater nix zu tun hatten. Da aber fast alles mit ihm zu tun hatte…«, sie zuckte mit den Schultern, »den Rest können Sie sich ja denken.«

»Ich bin in der vergangenen Woche jeden Tag im Bergerhof gewesen«, erwiderte Max Grundner, »jedesmal in der Hoffnung, daß ich Sie treff’. Aber immer waren S’ nicht da. Hat die Luise Ihnen nix gesagt?«

Laura nickte. »Doch, hat sie. Aber ich hab’ das hier unbedingt erledigen müssen. Ich weiß nicht, ob Sie verstehen, was ich meine, aber das ist etwas, was ich tun muß.«

»Ich versteh’ das sehr gut«, erwiderte Max. Dann wechselte er das Thema. »Wann steht eigentlich Ihr Examen an?«

Laura atmete tief durch. »Jetzt geben Sie’s mir aber heftig«, entgegnete sie. »Ich müßt längst beim Repetitor sein. Meine Kommilitonen sitzen seit dieser Woche bei ihm und pauken.«

»Vielleicht kann ich Ihnen ein wenig behilflich sein?« fragte Max.

Laura schüttelte sofort energisch den Kopf. »Das kann ich auf keinen Fall verlangen.«

»Ich meine nicht mich«, antwortete Max. »Jener Repetitor, bei dem alle Münchener Jurastudenten sich aufs Erste Staatsexamen vorbereiten, ist ein Studienfreund von mir.«

»Schleißner ist ein…?«

»… Studienfreund von mir«, wiederholte Max. »Er würde, wenn ich ihn drum bäte, Ihnen garantiert Privatstunden geben. Jedenfalls so viele, daß Sie diese Woche rasch heraus haben. Also, wenn Sie wollen?«

»Vielleicht brauche ich auch noch nächste Woche für Großvaters Hof«, entgegnete Laura.

»Dann muß er zwei Wochen mit Ihnen nachholen«, sagte Max. »Uli ist ein begnadeter Einpauker. Der schafft das, da bin ich mir ganz sicher.«

»Warum tun Sie das für mich?«

Max tat so, als überlege er. »Sagen wir mal, ich hätt’ gern, daß Sie mit Ihren Kommilitonen chancengleich sind.«

»So?« Laura lächelte schelmisch. »Sie sind ein edler Mensch.«

»Sehen Sie, das hat meine Mutter auch immer gesagt«, erwiderte Max. »Wie wäre es, wenn ich Sie nach der harten Arbeit zum Essen einladen würde.«

»Und warum wollen S’ das tun?« fragte Laura. »Etwa, um sicher zu gehen, daß ich ausreichend mit Vitaminen und dergleichen versorgt werde?«

Plötzlich wirkte Max ernst. Er schüttelte den Kopf.

»Nein«, sagte er, »weil ich mir vorstellen könnt’, daß es ein schöner Abend würd’. Und schöne Abende, ich meine jetzt wirklich schöne Abende, sind eher selten.«

»War das jetzt ein Kompliment?« Laura klopfte sich den Staub von der Kleidung, dann verließ sie die Kammer ihres Großvaters und ging nach draußen.

»Es ist wunderschön hier«, sagte Max. »Ich bin, bevor ich herein zu Ihnen gekommen bin, ein Stück nach vorn gegangen.« Er zeigte in eine bestimmte Richtung. »Die Draubachklamm ist schon was ganz Besonderes.«

Laura nickte. »Das ist sie.«

»Sie gehört übrigens ganz zum Besitz Ihres Großvaters«, erwiderte Max. Dann grinste er. »Entschuldigen Sie, das war Gewohnheit. Die Klamm gehört ganz zu Ihrem Besitz.«

»Oje.« Laura verzog das Gesicht. »Das ist doch gar nicht real für mich.«

»Es ist aber faktisch so«, entgegnete Max. »Ich brauche übrigens noch Ihre Unterschrift als Einverständnis. Die beiden anderen haben schon unterzeichnet.«

»Bestimmt?«

Max nickte. »Ganz bestimmt.«

»Das hieße ja…?«

»Daß Sie jetzt endgültig die neue Lohnerhof-Bäuerin sind.« Max Grundner grinste. »Ich stell’ mir eine Anwaltskanzlei hier hinten absolut toll vor. Ich beneid’ Sie sehr…!«

*

Der Gustl war nicht nur Senn und bewirtete auf bescheidene Art ein paar Bergwanderer, er versorgte Luise auch auf besondere Art mit Kräutern.

Aus Luises Aufzeichnungen hatte ein Stuttgarter Verlag ein Kräuterbuch zusammengestellt. Gustl war insofern beteiligt, daß er seit vierzig Jahren für Luise Kräuter sammelte, trocknete und nach ihren Vorgaben auch Salben und Tees zubereitete.

Luise besuchte den alten Senn alle zwei Wochen und verbrachte dann oft einen ganzen Tag bei ihm, zumindest aber blieb sie einen halben Tag.

Die Besuche fanden immer dienstags statt, denn dienstags hatte der Bergerhof Ruhetag.

An jenem Dienstag hatte Luise bis zum Abend beim Gustl bleiben wollen, deshalb wunderte Heidi sich, als sie ihre Schwiegermutter schon nachmittags die Hausweide herunterkommen sah.

»Na?« fragte sie. »Hat’s dir heut’ net gefallen beim Gustl? Es wär’ das erste Mal in all den Jahren.«

»Schmarrn«, erwiderte Luise, »klar hat mir’s gefallen, aber ich mußt’ herunter, dir was erzählen.«

»Du kommst extra zeitiger als sonst, weil du mir was erzählen willst? Was ist denn passiert?« Heidi sah ihre Schwiegermutter irritiert an.

»Passiert ist grad’ nix«, antwortete die, »aber auch doch wieder.«

»Jetzt spann’ mich net länger auf die Folter.«

»Vorige Woch’ ist die Mizzi mit dem Tom und die Elke vom Lassner-Hof beim Gustl gewesen«, begann Luise zu erzählen.

»Aha…!«

»Dann sind noch zwei Mannsbilder gekommen«, fuhr Luise fort.

»Und?«

»Zuerst haben s’ gemeint, es wären ganz normale Bergwanderer«, erwiderte Luise. »Aber dann, als sie sie erkannt haben, haben s’ gewußt, daß Spannung aufkommt.«

»Warum? Wer waren denn die Bergwanderer?«

»Kannst dir’s net denken?«

Heidi dachte nach und schüttelte ganz langsam den Kopf. Dann stutzte sie und fragte: »War’s am End der Rupert?«

»Bitte…!« Luise lachte. »Jetzt hast es doch erraten. Was sagst denn dazu?«

»Gar nix kann ich sagen, sag du mir, wie die Begegnung ausgegangen ist.«

»Die Mizzi ist ganz ruhig geblieben«, murmelte Luise, »auch als der Rupert mit ihr geredet hat. Bis der Tom hinzugekommen ist, ist’s gut gegangen.«

»Und was war dann?«

»Der Tom kommt aus der Hütte gerannt, sieht den Rupert, stutzt, geht zu seiner Mutter und flüsterte ihr was ins Ohr.«

»Was hat er ihr ins Ohr geflüstert?«

»Er hat sie gefragt, ob der Rupert net sein Vater sein könnt’.« Luise atmete tief durch. »Also, wen es da net rührt, dem ist net zu helfen.«

»Bei allen Heiligen«, murmelte Heidi. »Da läuft es einem ja kalt den Rücken herunter.«

»Der Bub«, sagte Luise, »mal grad’ viere ist er alt. Der hat den Rupert vorher mal eine Minute gesehen. Der sieht ihn, schaut ihn einen Moment wie benommen an, dann geht er zu seiner Mutter und fragt sie flüsternd, aber doch so laut, daß es alle haben verstehen können, ob der Rupert nicht sein Vati sein könnt’.«

»Das ist unvorstellbar«, murmelte Heidi. »Wie hat denn die Mizzi reagiert?«

»Zuerst hat sie eine urlange Schrecksekunde gehabt«, antwortete Luise, »dann hat sie getan, als wär’ nix passiert. Dann hat sie vom Gustl zwei Würstl genommen, hat sich zwei Almdudler geben lassen, ist mit dem Tom ein bisserl abseits gegangen, hat einige Worte mit ihm geredet, dann haben s’ gegessen und plötzlich, ohne daß die anderen es gemerkt hätten, waren die beiden verschwunden.«

*

»Haben S’ sich’s überlegt?« Max Grundner war mittags in den Bergerhof gekommen, um Laura nach der Essenseinladung zu fragen.

»Sie wollen jetzt mit mir essen?« erwiderte die erstaunt.

Max lachte. »Wir können jetzt miteinander essen, aber unter der Einladung hab’ ich was anders verstanden.«

»Und was?« Laura war den ersten Tag nicht zum Hof ihres verstorbenen Großvaters gegangen, sondern hatte sich auf die Terrasse des Bergerhofs gesetzt, um den Plan für ihre Examensvorbereitungen zu vervollständigen.

»Nett zusammensitzen«, antwortete Max, »vielleicht bei Kerzenschein und Musik.«

»Oh…!« Laura tat erstaunt. »Das hört sich ja total romantisch an. Sind Sie ein Romantiker? Ich hätt’ Sie nicht dafür gehalten.«

»Aha? Für was halten S’ mich denn?« wollte Max wissen.

»Oje, jetzt hab’ ich mich selbst in Nöte gebracht«, erwiderte Laura. »Für was halt’ ich Sie? Auf jeden Fall mal für unbestechlich. Dann für gewissenhaft und fleißig. Dann mögen S’ Ihren Beruf, und Ihre Freizeit verbringen S’ am liebsten mit Ihren Klienten, das heißt, Sie sind oft Gast bei Bauernstammtischen.«

Max brauchte einige Sekunden, um zu verdauen, was Laura gesagt hatte. Dann lachte er gequält auf.

»Also, das war die schrecklichste Beschreibung eines Menschen, die ich je gehört habe«, sagte er. »Wenn ich wirklich so sein sollte, wie Sie mich eben beschrieben haben, dann… dann bräucht’s mich auch gar nicht geben.«

Laura reagierte erschrocken. »Wieso denn das nicht? Alles was ich gesagt hab’, war ein einziges Kompliment.«

»Ja, für einen Fahrstuhlführer und dessen Arbeit«, entgegnete Max.

»Aber, nein.« Laura wollte etwas wieder gut machen, was

sie angerichtet hatte und sagte zu. »Also, ich geh’ gern mit Ihnen essen, vor allem, weil ich

Ihnen klarmachen möcht’, daß Sie völlig falsch verstanden

haben, was ich eben gesagt hab’.«

Max lächelte. »Sie können ja schon mal anfangen. Ich hör’ Ihnen gern zu.«

»Das… das kann ich nicht so aus dem Stegreif«, erwiderte Laura. »Ich weiß nur, daß Sie kein Bürokrat sind. So hat sich meine Beschreibung wahrscheinlich angehört. Wie die eines Bürokraten.«

»Bürokrat zu sein, ist allein gesehen noch kein Schimpfwort«, sagte Max. »Aber in der von Ihnen beschriebenen Ausschließlichkeit ängstigt es mich schon.«

»Quatsch…!« Laura verdrehte die Augen. »Oje, wie krieg ich das jetzt nur wieder hingebügelt?«

Max griff in einer spontanen Bewegung über den Tisch nach ihren Händen, küßte sie und sagte dann: »Heut’ abend? Wann soll ich Sie abholen?«

»Um sieben wär’ mir recht«, antwortete Laura, deren Hände Max immer noch festhielt.

»Das ist gut«, erwiderte Max. »Um sieben bin ich da. Wo möchten S’ denn hin?«

»Was schlagen S’ denn vor?«

»Wir könnten nach Oberstdorf ins Braustüberl gehen«, antwortete Max. »Das Essen ist ausgezeichnet.«

»Es ist aber nicht so romantisch wie Sie es gerne hätten«, antwortete Laura, »oder besser: Es ist nicht so, wie Sie es eben beschrieben haben.«

»Sie könnten auch zu mir nach Oberstdorf kommen«, schlug Max Grundner vor. »Frau Zernecke, meine Wirtschafterin, kocht ausgezeichnet. Für heute abend bereitet sie Rehrücken vor. Der ist so gut, ich würd’ in kein Lokal gehen deswegen.«

»Zu Hause bei Ihnen?« Lauras Stimme klang erstaunt. »Das ist aber ungewöhnlich.«

»Wieso…?«

»Na, wenn man zum ersten Mal von wem eingeladen wird, und dann gleich zu ihm nach Hause…?«

»Oh, die Etikette.« Max tat zerknirscht, dann lachte er. »Also was ist? In ein Toplokal oder Frau Zernecke?«

»Frau Zernecke wär’ nicht schlecht«, antwortete Laura.

»Also gut, ich werd’ ihr also sagen, daß ich heut’ abend nicht alleine eß.«

»Sie… Sie sind viel alleine?« Laura sah Max Grundner aufmerksam an.

Der wiegelte den Kopf. »Allein bin ich öfter. Meistens lohnt sich eine Gesellschaft nicht.«

»Dann werden S’ von meiner Gesellschaft erst recht enttäuscht sein«, murmelte Laura.

Max schüttelte den Kopf. »Was meinen S’, wie ich mich auf Ihren Besuch freu’. Und ich bin mir sicher, daß es der kurzweiligste Besuch ist, den ich je bekommen hab’.«

*

»Es kommt ein Madel?« Anni Zernecke sah Max mehr als fragend an.

Der nickte. »Ja, so ist es.«

»Was… was ist es denn für ein Madel?«

»Ein sehr kluges«, antwortete Max, »sie ist angehende Juristin.«

»Nur klug?« fragte Frau Zernecke. »Hübsch ist sie gar nicht? Ich frag’, weil es meistens ja umgekehrt ist.«

Max lachte. »Doch, sie ist

hübsch, sehr sogar.«

»Ist sie die Tochter eines Kollegen?« Frau Zernecke war schon in Diensten von Franz Grundner gewesen und betreute, auch als sie eine eigene Familie hatte, die Grundners weiter, nun schon seit Jahren.

Max schüttelte den Kopf. »Nein, sie ist die Enkelin eines Klienten.«

»Oh…«, erwiderte Frau Zernecke, »wenn sie die Enkelin ist, dann… dann ist sie wohl noch sehr jung?«

Max nickte lächelnd. »Ja, das ist sie. Sie ist ziemlich genau zehn Jahre jünger als ich.«

»Da schau her. Soll ich das für heute geplante Essen auf zwei Personen erweitern?« Frau Zernecke sah Max freundlich an.

Der nickte. »Wenn das zu machen ist?«

»Bei Rehrücken ist alles zu machen«, antwortete Frau Zernecke. »Ich werde vorher ein Süppchen reichen und…!«

»Wissen Sie was?« Max ließ die Wirtschafterin nicht ausreden. »Ich vertraue da voll auf Ihren Geschmack und ihre Erfahrung. Laura ist ein einfaches Mädchen, womit ich sagen will, daß sie nicht erwartet, wer weiß wie bewirtet zu werden.« Dann lächelte er. »Sie müssen allerdings damit rechnen, daß Sie Ihnen abtragen und abwaschen hilft.«

»Oh«, Frau Zernecke reagierte erstaunt, »das… also, das gehört nicht zu den Aufgaben eines Gastes und zu den Aufgaben eines jungen Mädchens, das Sie eingeladen haben, schon mal gar nicht.«

»Sie werden das schon richten«, sagte Max, »ich werd’ jetzt nach oben gehen und mich umziehen.«

Während Frau Zernecke in die Küche ging, verschwand Max nach oben.

Das Haus war 1928 von einem Brauereibesitzer erbaut worden, der wegen seines Gesundheitszustands jedoch bald in die Schweiz verzogen war. Max’ Großvater hatte das Haus gekauft, hatte auch darin gewohnt, doch hergerichtet hatte es erst Max’ Vater, der aus dem in einem Park gelegenen Haus das machte, was es heute war: Die Anwaltsvilla.

Den Namen hatte es bald weg, und als Max es übernommen hatte, hatte er die Praxis in die Innenstadt Oberstdorfs verlegt und die Villa ausschließlich für Wohnzwecke genutzt.

Leider wurde das Haus viel zu wenig genutzt. Allein der Park maß über einen Hektar und war wunderschön angelegt.

Das Haus hatte im Erdgeschoß sechs Zimmer, darüber ebenfalls sechs Zimmer und im Dachgeschoß noch mal vier Zimmer. Im Souterrain war die Küche untergebracht und zwei Gesinderäume, die jedoch nicht genutzt wurden.

Max hatte sich schon öfter mit dem Gedanken getragen, die Villa zu verkaufen, aber dann sagte er sich, daß sie zwar um einiges zu groß für ihn sei, aber möglicherweise würde sich in seinem Leben doch noch einiges ändern. Schließlich könnten eine Frau und Kinder dem Haus so viel Leben geben, daß die momentan eher stille und dunkle Atmosphäre verschwand.

Als Max herunterkam, war es kurz vor neunzehn Uhr und Frau Zernecke nervös.

»Hoffentlich klappt alles so, wie Sie es wünschen«, sagte sie. »Die ganz einfachen jungen Mädchen haben aber oft einen ganz eigenen Geschmack, und den kann ich ja verfehlen.«

»Oje«, erwiderte Max, »was denken Sie denn, wen Sie alle schon zu Begeisterungsstürmen hingerissen haben? Sie wissen doch, wie sehr alle von Ihren Kochkünsten beeindruckt waren.«

»Wollen Sie den Wein selbst holen?« Frau Zernecke sah Max fragend an.

Der winkte ab. »Wein brauchen wir keinen. Laura wird Wasser trinken und ich möglicherweise ein Bier.«

Frau Zernecke starrte Max daraufhin an, als sehe sie ihn zum ersten Mal. »Aber… aber zu Wild gehört ein Rotwein und…!«

Max lächelte die verzweifelt dreinschauende Wirtschafterin überaus verständnisvoll an.

»Ich werd’ mal einen Rotwein heraufholen«, sagte er, »aber ich glaub’ nicht, daß Laura Rotwein trinken wird.«

Die Wirtschafterin nickte. »Ganz wie Sie wünschen…!«

*

»Daß Laura heut’ zum Essen eingeladen ist, weißt du?« Heidi sah ihre Schwiegermutter fragend an.

Die nickte. »Sicher weiß ich das. Schon seit Stunden redet sie doch über nichts anderes.«

»Daß Max Grundner sie eingeladen hat…?«

»… weiß ich auch.«

»Und daß die beiden heut’ mittag hier bei uns gegessen haben, das weißt du sicher auch«, ergänzte Heidi.

Luise nickte. »Klar weiß ich das. Ich hab’ ihnen doch extra ein Schmankerl geboten.«

»Na ja, dann bist ja wieder mal allumfassend informiert.« Heidi lächelte. »Meinst, da bahnt sich was an? Ich kann mir’s gar net vorstellen. Ich hab’ erst letztens gesagt, daß der Max der eingefleischteste Junggeselle ist, den ich kenn’.«

»Das ist schon wahr«, erwiderte Luise, »aber da hat er die Laura noch net gekannt. Ein derart blitzsauberes Madel ist sie und gescheit obendrein.«

Heidi schüttelte den Kopf. »Einen wirklich eingefleischten Junggesellen rührt das alles net. Der schaut, findet’s nett, aber das war’s auch schon.«

»Also bisher ist ja noch nix passiert, was irgendwie was anderes vermuten ließe«, entgegnete Luise. »Bisher hat der Max die Laura lediglich zum Essen eingeladen.«

»Aber er geht net mit ihr aus«, sagte Heidi.

»Was heißt das?« wollte Luise wissen. »Holen s’ sich ein paar Würstl und verdrücken s’ die mit Semmeln?«

Heidi lachte. »Sicher net. Ich wollt’ auch eigentlich nur sagen, daß der Max die Laura zu sich nach Haus’ eingeladen hat.«

»Da schau her, das hab’ ich net gewußt«, staunte Luise.

»Ein bisserl ist’s so, als würd’ er sie der Öffentlichkeit vorenthalten wollen«, fügte Heidi hinzu.

Luise dachte einen Augenblick nach, dann schüttelte sie lächelnd den Kopf.

»Man könnt’ aber auch sagen«, entgegnete sie, »daß der Max die Laura mal ganz in Ruh’ und für sich haben wollt’. Daß er kein Risiko eingehen wollt’, wenn andere dabei sind und dazwischen quatschen.«

»Du meinst, er würd’ sie quasi auf Herz und Nieren prüfen wollen?« Luise sah ihre Schwiegertochter skeptisch an.

»Es ist doch zumindest möglich«, antwortete die. Doch Heidi schüttelte den Kopf. »Das glaub’ ich aber net.«

»Was glaubst du denn?«

»Daß der Max sich schlicht und ergreifend verliebt hat. Denn eines mußt doch zugeben.«

»Was denn?«

»Daß die Laura das Madel ist, das auch einen Max Grundner von seinen Grundsätzen abbringen kann…!«

*

Laura wunderte sich über sich selbst. Erstens nahm sie so rasch keine Einladung an und dann auch noch von einem Notar, der unter anderem auch wegen ihr tätig geworden war, als er die Erbschaft ihres Großvaters verwaltet hatte.

Das war zumindest unüblich, schließlich war man rasch dem Ruf ausgesetzt, Vorteil zu nehmen und das war etwas, was sie keinem Notar wünschte. Max schon mal gar nicht.

Sie fuhr zum Lohner-Hof, um zu duschen und sich umzuziehen. So, als wolle sie mit dem alten Irg stumme Zwiesprache nehmen, bevor sie zu Max Grundner fuhr.

Daß Laura dann noch mal im Bergerhof auftauchte, war nicht vorgesehen, aber Luise und Heidi freuten sich sehr.

»Oje, Madel«, murmelte Luise, die Laura anstarrte, als sei sie das achte Weltwunder, »du bist eine Wucht. Also, selbst wenn er aus Stein wär’, er kann gar net anders als narrisch auf dich zu werden.«

»Und wenn ich das nicht will?« fragte Laura.

»Dann solltest rasch zurückfahren und dich noch mal umziehen«, antwortete Luise. »Und das bisserl dezent aufgetragene Make-up kannst auch gleich abwischen. Daß du keinen Freund hast, das ist für mich das allergrößte Wunder.«

»Bewerber gab’s und gibt’s jede Menge«, erwiderte das hübsche Mädchen.

»Aber…?« Die Seniorchefin des Bergerhofs sah Laura fragend an.

»Es war keiner darunter, der mich hinter dem Ofen hätt’ vorlocken können«, antwortete Laura.

»Jetzt redet nimmer lang’ herum«, mahnte Heidi, »du mußt gehen, Laura. Wenn ich recht informiert bin, wartet der Max nicht gerne.«

»Mannsbilder sollt’ man warten lassen, wo es eben geht«, setzte Luise dagegen. »Sie meinen, immer und überall das Zepter in der Hand zu halten, dabei müssen sie an der Hand geführt werden, derart hilflos sind sie oft.«

Während die beiden Ber­gerhof-Frauen ihr hinterhersahen, ging Laura zu ihrem Wagen.

»Sie ist wirklich ein nettes Madel«, sagte Heidi, »gar net eingebildet, sie tritt eher bescheiden auf und bevor die mal vorlaut daherredet, fließt noch viel Wasser die Ache herunter.«

Während die beiden Bergerhof-Frauen sich noch über Laura und ihre Chancen bei Max Grundner unterhielten, kam die in Oberstdorf an.

Sie suchte das ihr von Max genannte Grundstück und dessen Hausnummer. Sie fuhr ständig um einen Park herum, fand aber nicht, was sie suchte.

Schließlich hielt sie am Straßenrand, stieg aus und fragte einen jungen Burschen nach der Adresse und Max Grundner.

Der junge Bursche grinste, schien zu meinen, Laura wolle ihn an der Nase herumführen. Doch als sich ihr fragender Blick nicht änderte, zeigte er mit einer Kopfbewegung hinter sie.

»Das da ist das Grundstück«, antwortete er, »Die Villa liegt oben auf dem Hügel, den S’ da sehen.«

»Und wie komm’ ich da hinein?«

»Auf der gegenüberliegenden Seite können S’ halten, und da ist dann auch die Pforte mit Klingel.«

Laura bedankte sich, ging zurück zu ihrem Wagen, stieg wieder ein und fuhr um die Parkanlage herum zur Pforte, die das Grundstück absperrte.

Sie stellte den Wagen vor das Tor, stieg aus und läutete. Augenblicke später meldete sich eine weibliche Stimme.

»Ja, hier bei Rechtsanwalt Grundner?« fragte Frau Zernecke.

»Ich… ich bin Laura Lohner und ich bin zum Essen eingeladen«, erwiderte sie, »das heißt, falls Ihr Chef es vergessen haben sollte, dann kann er es Ihnen sagen und ich verschwind’ auf der Stell’ wieder.«

»Oje, das käm’ einer Katastrophe gleich«, sagte Frau Zernecke, »Max Grundner wartet schon auf Sie. Ich… ich drück’ Ihnen das Tor auf, dann können S’ hereinfahren.« Momente später glitt das Tor geräuschlos auf, und Laura konnte auf das sehr gepflegte Grundstück fahren.

Max kam an ihren Wagen, nahm Lauras Hand, half ihr beim Aussteigen und strahlte sie dann an.

»Ich hab’ inzwischen schon im Bergerhof angerufen, um zu fragen, ob Sie schon abgefahren wären«, sagte er. »Plötzlich hat mich nämlich eine Panik ergriffen, die mir vorgaukelte, Sie würden nicht kommen.«

»Hab’ ich den Eindruck vermittelt, unzuverlässig zu sein?« erwiderte Laura.

Max schüttelte den Kopf. »Ganz und gar nicht. Kommen S’ bitte herein.«

Laura wunderte sich. »Sie wohnen ganz allein in dem Riesenhaus?«

Max nickte. »Ja, ich hab’ schon mal dran gedacht, es zu verkaufen. Aber dann erinner’ ich mich an den Großvater, der es erworben hat und an den Vater, der hier seine Anwaltskanzlei hatte.« Er lachte. »Er hatte mal vor, im Keller eine oder zwei Zellen einbauen zu lassen, weil ab und zu jemand seiner Klienten da übernachtete. Er war Strafverteidiger und hatte dementsprechend ›Kundschaft‹.«

Laura gefiel das Haus ausgesprochen gut, und als sie dann noch von Frau Zernecke begrüßt wurde und die sie betont nett anlächelte, da atmete sie tief durch.

Das Essen war ausgesprochen gut. Laura bedankte sich bei Frau Zernecke deswegen und als die abräumen kam, stand Laura sofort auf und half ihr. Alles Reden von Frau Zernecke, daß das doch nicht gehe, halfen nichts. Laura räumte vollständig mit ab und half auch noch die Spülmaschine einzuräumen.

»Wir könnten noch ein wenig ausgehen«, schlug Laura vor.

»Hier in Oberstdorf?« fragte Max.

»Ja, sicher.«

»Und wohin geht man hier? Ich meine, stupid in einer einfachen Kneipe hocken ist jetzt nicht das, was ich brauche.«

»Was brauchen S’ denn?«

»Ein bisserl Atmosphäre«, antwortete Max.

»Was für Atmosphäre?«

»Atmosphäre, die meine Seele streichelt«, antwortete Max, wobei er lächelte.

Laura lächelte zurück. »Wir könnten ins ›Mozart‹ gehen, da ist für jeden die Atmosphäre, die er mag. Das heißt, manchmal geht’s hoch her und…!«

»Ich kenne das ›Mozart‹«, sagte Max.

»Na, prima.«

»Ich bin aber schon zig Jahre nimmer dagewesen.«

»Und warum nicht?«

»Das erzähl’ ich Ihnen ein anderes Mal«, antwortete Max. Dann nickte er. »Also gut, gehen wir ins ›Mozart‹. Ist Adrian immer noch so cool wie früher?«

Laura lachte. »Obercool. Komm, laß uns gehen.« Ihr war das vertraute Du einfach so über die Lippen gerutscht. Das passierte ihr nur, wenn sie sich ausgesprochen wohl fühlte.

Max grinste. »Ich hab’ die ganze Zeit überlegt, wie ich es anbringen könnte. Das war die eleganteste Lösung. Daß ich Max heiß, weißt du ja und daß du die Laura bist, mußt mir auch nicht erst sagen.«

Laura war so geplättet, daß sie eine Weile keinen Ton herausbekam. Erst kurz vor dem so beliebten Café in der Oberstdorfer Innenstadt fragte sie, ob sie Max auf die Nerven gehe?

»Du mußt es sagen, wenn ich nerve«, murmelte sie, »ich bin da schon mal ein bisserl dumm.«

Da waren sie gerade vor

dem Eingang und wollten hineingehen. Max blieb spontan stehen, griff nach Lauras Hand, zog sie zu sich und lachte sie

an.

»Du hast eine Art an dir, die mich total entwaffnet«, sagte er, »ich weiß nicht, aber ich fahr’ richtig auf dich ab.«

Laura blieb einen Augenblick staunend stehen, dann folgte sie ihm. Hand in Hand gingen sie an Adrian vorüber, der ihnen mit staunenden Augen nachblickte.

Als kurz darauf Laura an die Bar kam, um die Getränke zu holen, sprach Adrian sie darauf an.

»Was ich grad’ gesehen hab’«, sagte er, »ist das aktuell?«

»Was hast du gesehen?«

»Einen erfolgreichen Anwalt und ein hübsches Mädchen Hand in Hand«, antwortete Adrian, »wobei der Anwalt dreingeschaut hat, als sei ihm grad’ ein wunderschöner Vogel zugeflogen.«

»Und wenn es so wäre?« fragte Laura.

»Dann wär’ ich um eine Erfahrung reicher.« Adrian lachte.

»Um welche?«

»Daß man niemals nie denken soll.«

»Das versteh’ ich nicht.« Laura sah den Betreiber des »Mozart« fragend an.

Der sträubte sich ein wenig. »Ich hab’ mal gemeint, daß Max nie mehr eine Frau ansehen würde.«

»Wieso sollt’ er keine Frau mehr ansehen?«

»Er war mal liiert«, antwortete Adrian, »intensiv liiert. Er hat sehr gelitten, als er sein Mädchen damals verloren hat.«

»Sie ist verunglückt, gell?« Laura sah traurig drein.

Adrian wurde am andere Ende der Bar gerufen und als er zurückkam, brachte er die Getränke mit.

»Grüß den Max von mir«, sagte er, »und bestell ihm, daß was gefehlt hätt’ in den letzten Jahren.« Dann lächelte er. »Der Max von früher war ein richtig flotter Kerl. Dem sind die Madeln hinterhergestiegen, daß es eine wahre Freude war.«

Laura hob den Kopf, sah selbstbewußt drein. »Das muß sich nicht unbedingt wiederholen. Außerdem ist bei Max und mir noch nichts soweit, daß man wer weiß was sagen oder annehmen könnte. Es entsteht allenfalls grad’ was…!«

*

Rupert kam nach einer Woche zurück ins Draubachtal. Er hatte Laura angerufen und gefragt, ob er für ein paar Tage bei ihr auf dem Lohner-Hof unterkommen könne.

»Ich krieg’ die Mizzi nimmer aus meinen Gedanken«, sagte er, »ich schaff’s einfach nicht. Ich komm’ erst zur Ruh, wenn alles geklärt ist, so oder so.«

»Daß Tom dein Sohn ist, hat sie dir aber bestätigt, oder?« fragte Laura dann am Abend, als Rupert bei ihr auf dem Lohner-Hof war.

»Das hat sie«, antwortete er.

»Und mit welcher Begründung verweigert sie dir ein Gespräch?« Laura sah ihren Cousin fragend an.

Der lachte kurz auf. »Mit welcher Begründung? Daß ich net lach’. Die Mizzi gibt mir doch keine Begründung. Nix gibt sie mir, höchstens das Gefühl, nix zu zählen.«

Laura und Rupert saßen in der ehemaligen guten Stube des Hofs. Es war ein sehr schönes Zimmer, groß und hell und man hatte einen phantastischen Blick auf die Draubachtal-Klamm, wo je nach Jahreszeit das Wasser wild tobte.

»Sie wird mit sich reden lassen müssen«, sagte Laura, »der Großvater hat ihr monatlich den Unterhalt für Tom gezahlt. Wenn sie die Zahlung nimmer hat, dann wird’s knapp bei ihr, schätz’ ich. Deshalb wird sie auf dich zukommen, früher oder später.«

»Früher oder später hilft mir wenig«, murmelte Rupert, »wenn ich an die Mizzi denk’, dann bläst sich in mir was auf und ich mein’, mein Leben hätt’ eben erst begonnen.«

»Hast du zwischendurch keine Freundin gehabt?« fragte Laura, »ich mein’ jetzt in den Jahren, als du weg warst.«

Rupert dachte nicht nach, sondern schüttelte den Kopf. »Ich hatte eine Sperre und heut’ weiß ich auch, wo sie herkam. Ich war damals, als ich weg bin, ein ganz und gar dummer Junge.«

»Du würdest nicht mehr weggehen?« Laura sah ihren Cousin neugierig an.

Der schüttelte den Kopf. »Nie mehr. Was für ein Blödsinn, sich in der Fremde umschauen zu wollen, und gleichzeitig voller Heimweh zu sein.«

»Das ist wohl wahr…!«

»Ich bin keinen Tag ohne Heimweh gewesen«, begann Rupert zu erzählen. »Ich bin dagesessen und hab’ an Zuhaus’ gedacht. Was tut der jetzt und was tut die?«

»Aber wieso bist dann net zurückgekommen? Dir stand hier doch alles offen.«

Rupert lachte kurz auf. »Ich war ein junger Bursch damals, hatte eine große Klappe und als ich merkte, daß ich nichts war, nichts konnte und nichts hatte, da war es zu spät umzukehren. Die Blamage wäre zu groß gewesen. Da wollt’ ich erst was erreichen, dann wollte ich zurückkommen.«

Laura hatte Tee zubereitet und goß ihrem Cousin nach.

»Heute könntest du zurückkommen«, sagte sie, »du hast gezeigt, daß du es alleine in der Fremde schaffen kannst. Es lacht garantiert keiner über dich.«

»Doch.«

»Und wer?«

»Mizzi.«

»Das glaub’ ich nicht«, sagte Laura. »Mizzi und du, ihr habt euch mal sehr nah gestanden. Das schüttelt man nicht so einfach ab.«

»Trotzdem ist es so«, erwiderte Rupert. »Als ich letztens bei ihr angerufen hab’, weil ich mit ihr hab’ reden wollen, da hat sie gelacht.«

»Da hast was falsch verstanden«, entgegnete Laura. »Das würd’ net ihrem Wesen entsprechen.«

»Wenn ich ihr doch nur mal sagen könnt’, daß ich all die Jahre immer nur an sie gedacht hab’. Mir ist es aber nie bewußt gewesen, und so steh ich in ihren Augen als ein oberflächlicher Typ da. Weil ich nie was hab’ von mir hören lassen. Ich weiß nimmer ein noch aus. Daran, daß ich einen Sohn hab’, darf ich gar net denken. Das muß ich verdrängen, denn wenn ich es nicht tu’, dreh’ ich vollkommen durch. Es reicht so schon.«

»Tom ist ein ganz süßer Bub«, sagte Laura.

Rupert nickte. »Ich kann mir’s denken…!«

Nach einer Weile des Schweigens fragte Laura, ob sie noch mehr Tee aufgießen solle und als Rupert, er war auch jetzt wieder in Gedanken, automatisch nickte, mußte sie lächeln. Sie stand auf und ging zum Herd, auf dem sprudelnd heißes Wasser stand.

»Was würdest denn davon halten, wenn du Mizzi einen Brief schreiben würdest?« fragte sie. »Einen Brief, in dem du alles erklären würdest. Nix Aufwendiges, nein, nur so, wie du es mir eben erzählt hast, mit deinen eigenen, ganz einfach gewählten Worten.«

»Und was soll das bringen?«

»Mizzi wird den Brief lesen«, antwortete Laura, »das ist ganz sicher. Mit dir reden, das ist eine andere Sach’, da muß sie auf der Stell’ reagieren. Wenn Sie einen Brief liest, kann sie sich mit der Antwort Zeit lassen.«

Rupert dachte einen Augenblick nach, dann nickte er. »Der Vorschlag ist net übel. Vielleicht ist er sogar sehr gut.« Er stand auf. »Ist oben noch der alte Schreibtisch mit Papier und allem, was man für einen Brief braucht?«

Laura ging auf Rupert zu, er war ein großer, schlaksiger Bursch. Sie hatte ihn immer gemocht, weil er ein ehrlicher Kerl war, der es sich im Leben auch nicht immer leicht gemacht hatte.

Sie legte beide Arme um seine Schultern. »Es wird alles wieder gut werden. Du wirst sehen, für dich lacht die Sonne auch bald wieder…!«

*

Als der Postbote ihr den Brief über den Zaun reichte und sie sah, wer der Absender war, schlug Mizzis Herz plötzlich heftiger als sonst.

»Na?« fragte der Postbote, der nicht wußte, wer der Absender war und einfach ins Blaue hineinredete, »Hat der Liebste dir geschrieben, weil du plötzlich so rote Wangerln hast?«

Mizzi drehte sich um und verschwand im Haus. Sie war alleine, Tom war im Kindergarten und die unter ihr wohnenden Hausbesitzer waren Einkaufen.

Sie ging hinauf in ihre Wohnung, setzte sich an den Küchentisch und sah den Briefumschlag an.

Frau Mizzi Looger, stand da, dann die Adresse und auf der Rückseite stand Rupert Lohner und als Absender Lohner-Hof im Draubachtal.

Sie hielt den Brief lange in Händen, als wolle sie ihn wiegen. Immer wieder nahm sie ihn auf und sah ihn an.

Dann nahm sie ein Küchenmesser, schlitzte den Umschlag oben vorsichtig auf, dann zog sie die Briefbögen heraus. Es waren zwei Blätter, und beide waren dicht beschrieben.

Schon bei den ersten Zeilen standen ihr die Tränen in den Augen und je mehr sie las, desto mehr Tränen liefen ihr übers Gesicht.

Als sie an die zweite Briefseite kam, weinte sie laut und als sie den Brief zu Ende gelesen hatte, war viel Tinte verwischt, wo ihre Tränen auf die Bögen getropft waren.

Mizzi hielt die beiden Briefbögen in Händen wie man etwas in Händen hält, was man sehr lieb hat. Sie las immer wieder durch, was Rupert geschrieben hatte, vor allem, als er von seiner dauerhaften Liebe schrieb.

… es hat nie wen anderen als Dich gegeben, Du warst mein Madel und Du bist es heute noch. Ob Du mich noch magst oder nicht, das bleibt bestehen…

Plötzlich wußte Mizzi, was sie zu tun hatte. Lohner-Hof im Draubachtal stand als Ruperts Adresse auf dem Briefumschlag. Ob sie ihn da erreichte?

Sie sah auf die Uhr, hatte noch reichlich Zeit, um Tom vom Kindergarten abzuholen. Sie richtete sich ein wenig her, kleidete sich so, wie Rupert es immer gemocht hatte, dann setzte sie sich in ihren Wagen und fuhr ins Draubachtal.

Je näher sie dem schöngelegenen Hof kam, desto ruhiger wurde die Mizzi. Sie wußte, daß nun alles gut ausgehen würde.

Als sie ihren Wagen abstellte und ausstieg, kam Laura aus dem Haus. Zuerst stutzte sie, dann atmete sie tief durch und ging auf Mizzi zu, die zögernd bei ihrem Wagen stehengeblieben war.

»Ist… ist der Rupert da?« fragte Mizzi. »Ich glaub’, daß ich was mit ihm zu bereden hab’.«

Laura hatte zuerst gemeint, Mizzi wolle Rupert klarmachen, daß er sich aus ihrem Leben heraushalten solle, doch als sie Mizzis Gesichtsausdruck sah, wußte sie, daß sie deswegen nicht gekommen war.

»Der Rupert ist oben auf der Hausweide«, antwortete Laura. »Er ist ziemlich traurig.«

»Traurig…?« Mizzi sah Laura fragend an.

Die nickte. »Ja, weil er gern mit dir reden würd’ und weil du dich so von ihm zurückziehst.«

Mizzi schluckte. »Ich… ich bin ganz dumm gewesen, ich kann net ausweichen, wenn es gilt Farbe zu bekennen.«

Laura drückte Mizzi kurz an sich. »Er wird sich riesig freuen, der Rupert. Und stolz ist er wie ein Spanier. Wenn er von Tom redet, dann kämpft er jedesmal mit den Tränen.«

Mizzi schloß für einen Moment die Augen, dann lächelte sie kurz und war schon auf dem Weg hinauf auf die kleine Hausweide, die hinter dem Waldgürtel auf einem kleinen Plateau lag.

Rupert saß mit dem Rücken an einen Baum gelehnt da, hatte die Augen geschlossen, es sah aus, als sei er eingeschlafen.

Mizzi ging ganz nah zu ihm hin, kniete sich schließlich neben ihn, noch immer hatte er die Augen geschlossen, dann beugte sie sich zu ihm und küßte ihm ganz zaghaft auf einen Mundwinkel.

Rupert öffnete die Augen, sah Mizzi und deren strahlendes Gesicht, so daß er meinte, er träume.

»Hallo, Rupert…!« Mizzi lächelte ihn sehr lieb an. »Ich… ich hab’ gemerkt, daß ich mich net gegen dich wehren kann.«

»Gegen mich wehren…?«

»Gegen meine Liebe zu dir«, antwortete Mizzi.

»Gegen… gegen deine Liebe zu mir?« Rupert räusperte sich. »Weißt du, was du da gesagt hast?«

Mizzi nickte. »Ich weiß es ganz genau.«

Plötzlich lagen sie sich in den Armen. Sie hielten sich aneinander fest, wie Ertrinkende sich an dem festhalten, das sie über Wasser hält.

»Ich weiß gar nicht, wie ich mich gegen meine Liebe hab’ wehren wollen«, murmelte Mizzi.

»Und ich frag’ mich, wie ich damals hab’ gehen können«, sagte Rupert. »Das hübscheste Madel warst du weit und breit und das netteste und ich Ochs geh’ weg. Dadurch hab’ ich verpaßt, daß ich Vater geworden bin und was weiß ich noch alles.«

Da stand Mizzi auf, streckte die Hand aus und sagte: »Komm…!«

»Wohin?«

»Wir holen Tom vom Kindergarten ab«, antwortete Mizzi, »der wird Augen machen, jetzt hat er doch endlich auch einen Vati, den er vorzeigen kann…!«

*

Max Grundner stand vor dem Spiegel in seinem Bad und grinste sich an.

»Daß dein Leben noch mal so eine Wendung nehmen würd’«, brummelte er seinem Spiegelbild zu, »das hättest net gedacht, oder?«

Es war kurz nach Mittag, er war mit Laura verabredet, und sie wollten den restlichen Tag zusammen verbringen. Max wußte, daß Laura die Frau war, die er liebte und auf die er im Grund genommen immer gewartet hatte.

Laura hatte etwas, was alle anderen Frauen in seinem Leben, die meisten waren eh nur flüchtige Begegnungen gewesen, nicht gehabt hatten: Laura hatte sehr viel Herzenswärme und eine derart natürliche Ausstrahlung, daß er von ihr fasziniert war.

Als er daran dachte, daß er sich im Grund genommen schon auf ein Leben als Single eingestellt hatte, mußte er grinsen. Ein ausgesprochen hübsches junges Mädchen hatte ihm da einen Strich durch die Rechnung gemacht.

Max griff in die Brusttasche seiner Wetterjacke. Er zog ein kleines Kästchen heraus und öffnete es. Der Ring war schlicht gehalten, aber wunderschön und sehr wertvoll.

Es war der Ring, den seine Mutter, seine Großmutter und seine Ur-Großmutter getragen hatten, also alle Grundner-Frauen in den letzten Generationen.

Max atmete tief durch. Hoffentlich, so dachte er, rannte er mit dem Kopf nicht die Tür ein. Laura war immerhin ein junges Mädchen, das das Leben noch vor sich hatte. Sie mochte ihn, hatte sich möglicherweise auch in ihn verliebt, aber würde sie auch seinen Antrag annehmen, seine Frau zu werden?«

Als er auf den Lohner-Hof kam, kam ihm Laura schon entgegen. Sie strahlte und flog ihm an den Hals.

»Ich wart’ jetzt schon eine ganze Stund’«, sagte sie, »aber der Herr Anwalt kommt nicht.«

»Du wartest eine Stunde?« Max sah auf die Uhr. »Wir waren um vierzehn Uhr verabredet.«

Laura nickte. »Ja, jetzt ist aber schon fünfzehn Uhr durch.«

Max schüttelte den Kopf. »Das kann nicht wahr sein.«

»Ist es aber«, erwiderte Laura, »da schau…!«

Max sah das verräterische Blitzen ihrer Augen und wußte, daß sie ihn auf den Arm nahm. Da sie eine Riesenfreude daran zu haben schien, ging er darauf ein.

»Und was machen wir jetzt?« fragte er, »wir wollten auf die Alm, und dazu ist es jetzt zu spät, oder?«

Laura nickte sofort. »Genau. Ich schlag’ vor, daß wir zum Bergerhof fahren. Wenn wir wollen, können wir dort ein bisserl umhergehen.«

»Ist mir recht«, antwortete Max, wobei er sich fragte, was Laura im Sinn hatte.

Als sie in Richtung Bergerhof fuhren, hielt Laura seine Hand, und zweimal beugte sie sich spontan zu ihm herüber und küßte ihn auf die Wange.

Am Bergerhof angekommen, stiegen sie aus und Laura nahm seine Hand, lächelte ihn verliebt an und ging dann mit ihm in Richtung Eingang.

»Wollten wir nicht ein bisserl spazierengehen?« fragte Max.

»Später vielleicht«, erwiderte Laura.

»Ist was Besonderes, weil du mich offensichtlich in den Bergerhof locken willst?« Max sah das hübsche Mädchen aufmerksam an.

Das lachte. »Wenn du keine Ahnung hast, was sollte denn dann Besonderes sein?«

Max griff nach Lauras Händen. »Dann bring mich dahin, wohin du mich haben möchtest.«

»Dann komm…!« Laura ging voran. Bis zur Küchentür. »Jetzt mußt du die Augen schließen.«

»Ich soll die Augen schließen…?«

»Bitte, Max…!«

Der tat es. Laura nahm seine Hand, öffnete mit der anderen die Tür und betrat die Küche, Max hielt seine Augen noch immer geschlossen.

»Wenn ich die Augen wieder öffnen kann, das sagst du, oder?« fragte er.

»Jetzt kannst du die Augen öffnen«, antwortete Laura.

Im gleichen Augenblick, als Max die Augen öffnete, sah er Heidi, Luise, Rupert und Mizzi, Marion und andere, die in die Hände klatschten und ihm zujubelten.

»Was ist denn hier los?« Max sah sich fragend um.

»Ich gratuliere dir ganz herzlich zum Geburtstag«, sagte Laura, deren Augen ihn anstrahlten, dann beugte sie sich vor und flüsterte in sein Ohr, »ich hab’ dich sehr lieb, Max Grundner, viel zu lieb.«

Dann plapperten alle durcheinander. Alle kamen, um zu gratulieren und um Max zu gratulieren und um Max alles Gute zu wünschen.

»Es darf nicht wahr sein«, murmelte er, »aber ich hab’ offenbar meinen Geburtstag vergessen.«

»Wenn man verliebt ist«, sagte Luise, »dann passiert so was schon mal…!«

Als dann alle um den großen Tisch bei Kaffee und Kuchen saßen, beugte Max sich zur Seite zu Laura und fragte leise: »Wenn du mal einen Augenblick Zeit hättest?«

»Jetzt?« Laura sah ihn fragend an.

Max nickte. Dann stand er auf. »Ihr entschuldigt uns für einen Moment.«

Als die beiden die Bergerhof-Küche verlassen hatten, bat Luise um Ruhe.

»Ich lehn’ mich jetzt mal ganz weit aus dem Fenster«, sagte sie, »und sag’ mal was.«

»Was denn…?«

»Ich wett’, daß der Max Laura grad’ einen Antrag macht«, antwortete Luise.

Einen Moment war es mucksmäuschenstill, dann plapperten alle durcheinander.

Draußen standen Max und Laura ganz dicht beieinander.

»Den Ring«, sagte er, »haben alle Grundner-Frauen getragen. Zuletzt meine Mutter. Sie hat ihn meiner Frau mal selbst anstecken wollen. Da es meine Mutter nimmer gibt, kann sie es nicht mehr tun. Deshalb steck’ ich ihn dir an. Komm…!«

Laura starrte zuerst den Ring, dann Max an. »Heißt das… heißt das, daß du…?«

»Ich bitte dich, meine Frau zu werden«, sagte Max, wobei er sehr ernst wirkte.

Laura flog ihm an den Hals, vergrub ihr Gesicht an seiner Schulter und als sie ihn dann ansah, hatte sie Tränen in den Augen.

»Ich kann nicht nein sagen, Max Grundner«, murmelte sie, »weißt du das?«

»Warum kannst du nicht nein sagen?«

»Weil ich dich viel zu lieb hab’«, antwortete Laura. »Ich liebe dich über alles, Max, über alles…!«

Heimat-Heidi Staffel 6 – Heimatroman

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