Читать книгу Heimat-Heidi Staffel 6 – Heimatroman - Stefanie Valentin - Страница 9

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»Wie bitte? Was hast du gesagt?« Luise starrte den Vorderegger an, als sei der nicht recht bei Verstand.

»Du glaubst es net, oder?« erwiderte der schwergewichtige Fremdenverkehrswirt aus Balding.

»Nein, das glaub’ ich auch net«, antwortete Luise.

»Und wieso net?«

»Weil die alte Kathi keinen müden Heller fürs Lottospielen nehmen würd’.« Luise schüttelte den Kopf. »Und weißt du auch warum net? Weil sie weiß, wie schwer es gewesen ist, sich die paar Groschen Rente zu verdienen. Die gibt nix für Glücksspiele aus.«

»Und wenn doch?« erwiderte der Vorderegger. »Immerhin hab’ ich’s jetzt von verschiedenen Stellen gehört.«

»Schmarrn…!« Luise winkte ab. »Ich sag’ dir, es ist ein Gerücht, das ist alles.«

Im gleichen Moment wurde die Küchentür aufgestoßen und Heidi kam herein. Sie kam zum großen Tisch, begrüßte den Vorderegger-Franz und sagte dann: »Ihr ratet’s net, was in nächster Umgebung passiert ist.«

Der Vorderegger-Franz grinste Luise an. »Jetzt wartest mal ab, was deine Schwiegertochter zu melden hat.« Dann wandte er sich an Heidi. »Ich hab’ der Luise gesagt, daß die alte Kathi im Lotto gewonnen hat. Aber sie will es einfach net wahrhaben.«

»Wieso net?« wollte Heidi wissen.

»Weil die Kathi kein Geld für Lotto und dergleichen ausgibt.«

»Und warum net?«

»Weil sie es net hat«, antwortete Luise, »und wenn sie’s hätt’, dann würd’ sie’s auch net ausgeben, weil sie wüßt’, wie schwer es gewesen ist, sich die paar Mark Rente zusammengearbeitet zu haben.«

Heidi überlegte kurz, dann nickte sie. »Da ist was dran. Die Kathi ist ganz bestimmt keine leichtsinnige Frau net. Und sie würd’ ihr Geld… du hast recht, irgendwas ist da komisch.«

»Ich kann euch sagen, was komisch ist«, erwiderte der Vorderegger-Franz, »ihr seid komisch. Weil ihr einfach net wahrhaben wollt, daß eine arme alte Frau auch mal Glück haben kann.«

»Also, jetzt redest einen derartigen Blödsinn zusammen, daß es schon weh tut«, erwiderte Heidi. »Ich stell’ mir nix lieber vor, als daß ein Weiberl wie die alte Kathi mal ins Volle greifen kann. Aber die Luise hat recht, die Kathi würd’ niemals einen Pfennig für Glücksspiel ausgeben.«

»Der Franz meint, er hätt’s von verschiedenen Seiten gehört, deshalb wär’s echt«, fügte Luise hinzu.

»Wer hat’s dir denn erzählt?« wollte Heidi wissen.

»Die Lucie vom Staudinger-Hof«, antwortete der Vorderegger-Franz, »die Vroni droben vom Jochwirt und vor allem der Markus.«

»Welcher Markus?«

»Ihr Neffe, der Haber-Markus.«

»Der soll es erzählt haben?« Luise stand die Skepsis ins Gesicht geschrieben.

Der Vorderegger-Franz nickte. »Der soll’s net nur gesagt haben, der hat’s gesagt. Und zwar zu mir ganz persönlich.«

»Das versteh’ ich jetzt überhaupt net«, sagte Luise. »Es ergibt doch keinen Sinn.«

»Sinn ergibt’s vielleicht keinen«, erwiderte der Vorderegger-Franz, »aber möglicherweise ist’s ja trotzdem wahr. Auch wenn die Kathi normalerweise kein Geld für Glücksspiele und dergleichen ausgibt, so kann sie doch Lotto gespielt haben.«

»Und wie bittschön?« Luise sah den Baldinger Fremdenverkehrswirt aufmerksam an.

»Man kann eine Spielteilnahme beim Lotto gewinnen«, erwiderte der.

»Ach so«, Luise tat erstaunt, »du meinst, die Kathi hätt’ gar kein eigenes Geld genommen, um Lotto zu spielen?«

»Ich mein’ gar nix«, antwortete Franz Vorderegger, »ich mein höchstens, daß ihr aus einer Mücke einen Elefanten macht. Womit ich sagen will, daß die Kathi mit einem Zettel, auf dem grad’ mal zwei Zahlenreihen standen, gewonnen hat. Das war kein großer Einsatz. Also deswegen braucht niemand zu hungern.«

*

»Also, dauernd geht das Telefon«, murmelte die alte Kathi vor sich hin, »und ich, die ich sonst kaum einen Anruf bekomm’, bin grad’ an dem Tag so schlecht auf den Beinen, daß ich net rasch genug zum Apparat komm’, um den Hörer abzuheben und mit wem auch immer zu reden.«

Kathi Wimmer saß in der Stube ihres kleinen Häuschens am Ortsrand von Hinterjoch und sah aus dem Fenster. Den ganzen Morgen hatte das Telefon geläutet, doch sie war nicht ein einziges Mal rasch genug zur Stelle gewesen, der jeweilige Anrufer hatte jedesmal bereits aufgelegt.

Dabei telefonierte die Kathi so gerne. Vor allem, weil sie nicht sonderlich viel Besuch bekam. Sie war wegen ihrer lädierten Hüften nur mehr beschränkt bewegungsfähig und somit auf Besuch angewiesen.

Dieser Besuch blieb jedoch immer mehr aus, da die Kathi auch schon auf die Achtzig zuging und da gab es nicht mehr allzuviele, die einen so gut kannten, um einen zumindest hin und wieder zu besuchen.

Als dann das Telefon wieder läutete, saß die Kathi neben dem Apparat und sie atmete dankbar auf, bevor sie den Hörer von der Gabel nahm und sich meldete.

»Ja…?«

»Kathi? Bist du’s?«

»Ja, wer ist denn da?«

»Die Milli…!«

»Welche Milli?«

»Die Schneider-Milli aus Vorderstein.«

»Ich weiß jetzt net…!«

»Aber wir sind doch zusammen in die Schul’ gegangen.«

»Wir sind was?« Die Kathi lachte kurz auf. »Hab’ ich dich richtig verstanden und du hast gesagt, daß wir beide zusammen in die Schul’ gegangen sind?«

»Genau, wir sind zusammen in die Schul’ gegangen.«

»Aber das sind über sechzig Jahre her«, erwiderte Kathi Wimmer. »Hast einen besonderen Grund, warum du dich nach so viel Jahren meldest?«

»Ja, ich wollt’ dir gratulieren.«

»Mir gratulieren? Zu was denn? Ich hab’ erst im nächsten Jahr’ wieder Geburtstag.«

»Zum Lottogewinn.«

»Zu was?« Die Kathi hatte zwar verstanden, was die Anruferin von sich gegeben hatte, aber sie war sicher, sich verhört zu haben.

Doch die Milli wiederholte, was sie gesagt hatte. »Zum Lottogewinn.«

»Du meinst, ich hätt’ im Lotto gewonnen?« erwiderte Kathi.

»Ja, sicher, im ersten Rang…!«

Da lachte die Wimmer-Kathi. »Das wär’ eine Sach’. Aber leider muß ich dich und auch mich enttäuschen. Ich hab’ nämlich nicht im Lotto gewonnen, ich hab’ net einmal gespielt.«

Da lachte die Anruferin. »Daß du so reagierst, war ja klar. Keiner gibt gern zu, was gewonnen zu haben. Weil jeder was haben will und…!«

»Willst du was haben?« ließ Kathi die Anruferin nicht ausreden.

»Nein, ich komm’ auch so aus«, antwortete Milli Schneider aus Vorderstein. Dann lachte sie erneut kurz auf. »Aber wenn du schon so fragst und von den Millionen was übrig hast, dann kannst mir gern was zukommen lassen. Ich…!«

Kathi schüttelte den Kopf und legte den Hörer kommentarlos auf die Gabel. Derart unverfroren war ihr lange niemand mehr begegnet und dementsprechend war ihre Laune.

Doch die besserte sich, als das Telefon erneut läutete und jemand am anderen Ende der Leitung war, den sie kannte.

»Ja, Traudl, das ist aber eine Überraschung«, sagte sie, »wir haben aber lang’ nimmer voneinander gehört. Wie geht’s dir denn? Was macht denn dein Rücken? Hast immer noch so viele Schmerzen?«

»Oje«, jammerte die Anruferin, »und was für Schmerzen ich hab’.«

»Kann man denn nix dagegen tun?«

»Sicher kann man was dagegen tun.«

»Und warum tust du’s net?«

»Mir fehlt das Geld dazu«, antwortete die Anruferin.

»Das Geld? Bist du net krankenversichert?«

»Doch, schon, aber die Krankenversicherung übernimmt net alle Behandlungskosten. Jedenfalls die dieser Operation überhaupt nicht.«

»Oje…!«

»Ich müßt’ eh in den USA operiert werden«, fuhr Traudl fort.

»In den USA operiert werden?« fragte Milli, die plötzlich mißtrauisch wurde.

»Ja, hier geht das net«, antwortete Traudl.

»Das kann aber teuer werden«, erwiderte die alte Kathi.

»Du sagst es«, die Traudl lachte kurz auf, »aber ich hab’ kein Geld.« Dann machte sie eine kleine Pause. »Ich werd’ also weiter leiden müssen. Wenn nicht…!«

»Wenn nicht was?« fragte die alte Kathi.

»Wenn mir keiner das Geld gibt«, antwortete Traudl. »Du brauchst mir’s ja net zu schenken, es würd’ mir ja reichen, daß du’s mir leihst. Ich zahl’ es dir auch so rasch wie möglich zurück.«

Auch jetzt hätte die alte Kathi fast aufgelegt, ohne ein weiteres Wort zu sagen, doch dann fiel ihr noch was ein.

»Du gehst wirklich so schlecht?« fragte sie.

»Noch schlechter als schlecht«, antwortete Traudl. »Schon seit Monaten bin ich nimmer aus dem Haus gewesen.«

»Und warum net?«

»Du bist gut…!« Unfroh lachte Traudl auf. »Weil ich net kann. Ich kann net gehen oder mich sonst fortbewegen. Ich… ich bin auf die Operation angewiesen und… Kathi…?«

»Ja?«

»Du könntest mir jetzt doch ganz leicht Hundert- oder Zweihunderttausend leihen«, erwiderte Milli. Bisher war noch kein Wort über den angeblichen Lottogewinn gefallen, doch damit war jetzt Schluß. »Die Quote ist heut’ riesig. Und zehn Millionen sollst ja haben, da wirst doch mal soeben auf eine halbe Million verzichten können. Es wär’ für einen guten Zweck.«

»Sag mal, Traudl«, entgegnete die alte Kathi.

»Ja?«

»Letztens in Vorderstein.«

»Was war denn da?«

»Kirchweih.«

»Ja und?«

»Ich bin dagewesen«, antwortete die alte Kathi. »Ich war von der Gemeinde eingeladen. Und dabei hab’ ich dich tanzen sehen. Das ist jetzt mal grad’ drei Wochen her. Ich hab’ noch gedacht, wie gut du dich erholt hast. Und deine Tochter, die Ute, sie hat mir erzählt, wie gut es dir geht.«

Plötzlich erklang das Besetztzeichen, die ach so kranke Traudl hatte ohne weiteren Kommentar aufgelegt.

»Was soll der Quatsch mit dem Lottogewinn«, murmelte die alte Kathi vor sich hin.

Als wenige Minuten später das Telefon erneut läutete, hob sie den Hörer ab und war gewappnet.

»Hier ist die Leni«, sagte die Anruferin, »du weißt doch, die Leni von der Wurzinger-Alm.«

»Ja, Servus, Leni«, antwortete die Kathi, »das nenn’ ich aber eine Überraschung. Ich hab’ grad’ in den letzten Tagen oft an dich gedacht, wir haben doch eine schöne Zeit auf der Alm miteinander gehabt, oder?«

»Das ist wohl wahr«, erwiderte die ehemalige Sennerin der Wurzinger-Alm. »Wir wollten uns ja kommenden Sonnabend treffen, das hast doch hoffentlich net vergessen, oder?«

»Natürlich net, ich freu’ mich riesig drauf«, antwortete die alte Kathi. »Wer wollt’ denn noch alles kommen?«

»Na, alle, die auf der Wurzinger-Alm mal Senner oder Sennerin waren.«

»Und wo wollten wir uns treffen?«

»Im Bergerhof, bei der Heidi und der Luise.«

»Ach ja«, die Kathi nickte.

»Jetzt wollt’ ich dich noch was fragen«, sagte Leni.

»Und was willst mich fragen?«

»Hast du wirklich im Lotto gewonnen?«

»Ich?« Kathi lachte. »Ich hab’ gemeint, du würdest mich ein bisserl besser kennen. Als wenn ich je auch nur einen Pfennig für Lotto oder andere Glücksspiele ausgegeben hätt’, ich würd’ mich hinterher total ärgern.«

»Aber du sollst zig Millionen gewonnen haben«, erwiderte die Leni.

Da lachte die alte Kathi. »Das wär’ natürlich was anderes, wenn ich das wüßt’, dann würd’ ich auch das eine oder andere Spiel mal riskiert haben.«

»Dann hast du also wirklich nix gewonnen?« fragte die Leni erneut.

»Nein, Kruzifix noch einmal«, murmelte die alte Kathi, »nix hab’ ich gewonnen. Und wenn noch einer anruft deswegen, dem werd’ ich gewaltig den Kopf waschen.«

»Oje«, die Leni lachte, »dann hat dich also einer pflanzen wollen. Aber so sind die Leut’, was ihnen net in den Kram paßt, das ignorieren s’, oder aber sie wollen was abhaben.«

»Ja, das stimmt, oder aufdringlich sind s’ wie die kleinen Kinder«, erwiderte die Kathi. »Stell dir vor, zigmal hat heut’ schon das Telefon geklingelt, aber immer war ich zu spät dran. Und bei denen ich rechtzeitig war, die wollten Geld haben. Bis zu einer halben Million gingen die Forderungen.«

»Die sind net gescheit«, murmelte die Leni, dann wünschte sie der Kathi einen schönen Nachmittag, dann legte sie den Hörer zurück auf die Gabel.

*

Markus Haber war ein fescher Bursch, groß gewachsen, mit dunkelblonden Haaren, lachenden Augen und man hatte rasch das Gefühl, als wolle er einen ständig pflanzen.

Alfons Staudinger war sein Großvater, Markus hatte von ihm den Hof überschrieben bekommen und war dabei, den Hof umzustrukturieren, denn er wollte ihn als solchen erhalten, was jedoch nur mit Almwirtschaft einfach nicht zu schaffen war.

Die alte Kathi war eine entfernte Tante und die beiden mochten sich sehr.

»Wenn der Bub net wär’«, sagte sie zu anderen, und sie meinte immer den Markus, »dann wär’ ich ganz allein. Der kommt so oft er kann und wann immer er in der Näh’ ist, schaut er sowieso rein.«

An jenem Tag betrat Markus kurz nach Mittag das Stiegenhaus des kleinen Häuschens. Wie immer hatte er gehupt, als er auf den Hof gefahren war, womit er unmißverständlich angezeigt hatte, daß er da sei.

»Na, schöne Kathi«, sagte Markus, als er die Stube betrat, wo die alte Kathi am Fenster saß, damit sie wenigstens etwas von dem mitbekam, was außen in der Welt passierte, »was hast denn heut’ den ganzen Tag angestellt? Dreinschauen tust, als wenn du einen Supertag gehabt hättest.«

»Wie man will«, antwortete die Alte.

»Was heißt das denn?«

»Daß alle Augenblick wer angerufen hat.«

»Und was wollten die Leut’?« fragte Markus.

»Alle wollten mir gratulieren…!«

»Zu was?«

»Rat mal«, antwortete die Kathi, »ich geb’ dir einen kleinen Tip, es hat was mit Spiel zu tun.«

Da lachte Markus. »Dann hat es also schon geholfen.«

»Wie bitte? Wie soll ich verstehen, was du gerade gesagt hast.«

»Daß meine Aktion offensichtlich ein großer Erfolg war.«

»Was denn für eine Aktion?«

»Die Aktion Lottokönigin«, antwortete Markus.

»Was? Dann hast du das Gerücht in die Welt gesetzt? Also, das darf doch net wahr sein. Die Leut’, ich kenn’ manche gar net, wie eine, die behauptet hat, sie wär’ mit mir zur Schul’ gegangen, die wollen Geld von mir. Eine hat eine halbe Million gefordert.«

Markus lachte. »Die sind noch narrischer als ich gemeint hab’.«

»Du hast gut lachen, Bub«, entgegnete die alte Kathi, »ich dagegen muß mich mit den Leut’ herumschlagen.«

»Ich würd’ mir an deiner Stell’ einen Jux draus machen«, erwiderte Markus.

»Wie willst dir einen Jux draus machen, wenn wer Geld von dir will und das ganz massiv fordert«, fragte die Kathi. »Und wenn ich dran denk’, wie oft heut’ am Vormittag das Telefon geläutet hat, wenn die all’ noch mal anrufen und es sind die dabei, die ich mir denk’, dann hab’ ich noch was auszuhalten.«

»Sag doch, du würdest dir nur eine kleine monatliche Rente auszahlen lassen, den Rest hättest für später festgelegt.« Markus grinste. »Sag, auf vierzig Jahr’ hättest es festgelegt, du kämst net dran.«

Einen Augenblick sah die alte Kathi den Sohn ihrer Cousine an, dann grinste sie.

»Du bist ein gescheiter Bursche«, sagte sie, »und ich hab’ dich wirklich gern, aber das hätt’ net unbedingt tun müssen.«

»Wenn dich stört, daß die Leut’ so massiv anrufen«, erwiderte Markus, »dann kommst für eine oder zwei Wochen zu uns auf den Staudinger-Hof. Da machst so was wie Urlaub. Und wenn dann wer für dich anruft, stellen wir dir nur durch, wenn du mit ihm reden willst.«

Kathi dachte einen Moment nach, dann zuckte sie mit den Schultern.

»Ein bisserl Abwechslung wär’ schon schön«, murmelte sie, »ich hätt’ Unterhaltung und auch sonst wär’s net schlecht. Ich bräucht’ net zu kochen und auch sonst könnt’ ich mich mal erholen.«

Markus grinste. Als er der ­Kathi vor einem halben Jahr genau das gleiche vorgeschlagen hatte, hatte sie fast barsch abgelehnt.

»Du denkst wohl, ich wär’ nimmer in der Lage, selbst für mich zu sorgen«, hatte sie erwidert, dann hatte sie den Kopf geschüttelt, »nix da, noch bin ich in der Lage, mein Leben selbst zu regeln.«

Diese Reaktion im Kopf, hatte Markus nach einem Weg gesucht, die alte Kathi aus ihrer auch ein wenig selbst konstruierten Isolierung herauszubekommen.

Bis ihm dann die Idee mit dem Lottogewinn gekommen war. Er war am Tisch gesessen, als gerade die Ulla bei ihm war. Er hatte laut lachen müssen und das bildhübsche Mädchen hatte ihn erstaunt angesehen.

»Weswegen lachst denn so?« hatte er dann auch gleich wissen wollen.

»Die Kathi wird im Lotto gewinnen«, hatte er geantwortet.

»Was?«

»Die Kathi-Tante wird im Lotto gewinnen…!«

»Seit wann weißt du das denn im Vorhinein?« hatte die Ulla gefragt. »Bist inzwischen unter die Weissager gegangen?«

»Nein, aber es ist nur logisch«, hatte Markus geantwortet, dann hatte er Ulla auseinandergelegt, was er meinte.

»Du willst ihr Gesellschaft besorgen, indem du sagst, sie hätt’ im Lotto gewonnen?« fragte sie, wobei sie mehr als skeptisch dreinsah.

Markus hatte genickt. »So ist es exakt ausgedrückt.«

»Das funktioniert net.« Ulla hatte den Kopf geschüttelt. »Im Gegenteil, man wird die Kathi angiften. Du wirst sehen, es wird danebengehen.«

Ulla war zweiundzwanzig Jahre alt, studierte Tiermedizin in München und sie machte auf dem Staudinger-Hof ein Praktikum.

Sie war ein bildhübsches Mädchen mit wunderschönen dicken dunklen Haaren und Augen, die schelmisch lachen und verträumt dreinschauen konnten.

»Also? Kommst mit zu uns auf den Staudinger-Hof? Ich würd’ mich jedenfalls riesig freuen.« Markus sah die alte Kathi fragend an.

Die hatte noch mal gründlich überlegt und nickte sofort.

»Ja, ich komm’ mit«, sagte sie, »ich brauch’ aber ein bisserl Zeit, um alles zusammenzupacken. Und gar so rasch wie früher geht’s heut’ nimmer.«

*

»Und ich sag’ dir, sie hat gewonnen…!« Der Hochtalbauer stieß jedesmal mit ausgestrecktem Zeigefinger auf die Tischplatte in der alten Gaststube des Bergerhofs. »Sie will nur net teilen. Sie will alles für sich behalten.«

»Ich glaub’, du bist net ganz gescheit.« Luise tippte sich gegen die Stirn. »Wieso teilst du denn net mit der Kathi? Du hast allein an die hundert Hektar Wald und sie hat nix. Wieso soll sie denn teilen und du behältst alles für dich?«

»Das ist was ganz anderes«, erwiderte der Hochtalbauer. »Ich hab’ mir meines erarbeitet und die Kathi…!«

»Da lach’ net nur ich«, entgegnete Luise, »da lachen auch noch andere. Du hast dir was erarbeitet? Von dem, was du heut’ besitzt hast, du gar nix erarbeitet. Du hast seit dein Vater dir den Hof und alles andere übergeben hat, nix dazugekauft, sondern verkauft hast noch und alle wissen es. Tu also net so fromm.«

Mit dem hagerer Bauer aus dem Hochtal geriet Luise regelmäßig aneinander, so auch an diesem Abend.

Alle zwei Wochen trafen sich einige Bauern zum Bauernstammtisch in der alten Gaststube des Bergerhofs und alles, was inzwischen passiert war, wurde mit freundlichen, mitunter aber auch bissigen Kommentaren bedacht. So auch der vermeintliche Lottogewinn Kathi Wimmers.

»Wenn einer was gewinnt«, ließ sich der Hochtalbauer nicht aus dem Konzept bringen, »dann hat er was abzugeben.«

»Ich würd’ auf der Stell’ mittun und ich bin sicher, daß es die Kathi auch tun würd’«, ließ Luises Antwort nicht lange auf sich warten.

»Wobei…?«

»Wenn jeder hier am Tisch, sagen wir ein halbes Prozent seines Vermögens, als Spende an eine gemeinnützige Vereinigung abgibt, dann wärst du der Erste, die kneifen würd’. Dein Vermögen beläuft sich auf, alles in allem, sagen wir mal fünf bis sieben Millionen. Ist sein Werkl soviel wert?« Luise sah einen Immobilienmakler, der regelmäßig am Bauernstammtisch teilnahm, an.

Der nickte sofort. »Leicht.«

»Wenn wir dann mal fünf Millionen zugrundelegen, das ist sehr knapp berechnet, dann müßtest du fünfundzwanzigtausend spenden, wenn du, wie alle anderen ein halbes Prozent deines Vermögens spenden würdest.«

Das einsetzende Gemurmel zeigte, daß sich bisher niemand so recht darüber Gedanken gemacht hatte.

»Was ist?« Luise ließ nicht locker. »Willst net zusagen, daß du deinem Vermögen entsprechend spendest? Und für eines garantiere ich: Falls die Wimmer-Kathi wirklich einen so hohen Betrag im Lotto gewonnen haben sollt’, dann spendet sie auch dementsprechend.«

Daraufhin starrten alle den Hochtalbauern, der wegen seines losen Mundwerks bekannt war, aufmerksam an. Und einer seiner direkten Nachbarn im Hochtal legte noch mal nach.

»Der Herbert hat auch geerbt«, sagte er, »von seinen beiden ledigen Tanten. Jeweils ein ganz schönes Sümmchen, wie man hört. Und seinen Besitz hat er dadurch auch arrondieren können. Viel fehlt ihm wirklich nimmer an hundert Hektar Waldbesitz, wenn er ihn net gar schon überschritten hat.«

»Da schau her…!« Luise lächelte jetzt zuckersüß. »Ist das net gelungen? Der Herbert mauert wo er kann und bei anderen verlangt er großzügiges Handeln.«

Die Unterhaltung zog sich noch einige Augenblicke hin, den nicht sehr gelittenen Herbert aus dem Hochtal zwickte man hier und da mit Worten, bis der endlich aufstand.

Er warf ein Geldstück auf den Tisch und ging zur Garderobe. Nahm dort seine Jacke, streifte sie über, blieb an der Tür stehen, als wenn er noch was sagen wollte und verließ dann schließlich die alte Gaststube des Bergerhofs, ohne einen weiteren Ton von sich gegeben zu haben.

»Den siehst so rasch nimmer«, sagte einer, »wenn er nix ist, der Herbert, eines ist er doch, nämlich nachtragend.«

»Wenn er das wirklich wär’«, erwiderte Luise lachend, »dann dürft’ er den Bergerhof schon lang’ nimmer besuchen. Denn mein Mann und der Peter hatten mit ihm auch immer ihre Schwierigkeiten. Der Herbert ist einfach so wie er ist, der braucht immer einen, den er beschimpfen kann. Wer das ist, ist ihm erst mal wurscht.«

*

Am darauffolgenden Tag sollte die alte Kathi dann auf den Staudinger-Hof kommen. Markus hatte alles in die Wege geleitet und auf dem Hof freute man sich auf die Kathi, denn die war wegen ihrer lauteren und lustigen Art sehr beliebt.

Als Markus dann Kathis kleines Häuschen am Ortsrand von Hinterjoch betrat, um seine Tante abzuholen, läutete das Telefon.

Kathi verdrehte die Augen und sagte: »Bitt’ schön, Bub, geh du dran. Wenn es wieder die ist, die schon zweimal angerufen hat, dann sagst, ich hätt’ net gewonnen, und sie sollt’s Anrufen sein lassen. Sonst würd’ ich wer weiß was tun.«

»Ja, grüß Gott«, sagte Markus, als er den Hörer abgehoben hatte, »ja, da sind S’ richtig. Bei der Lottogewinnerin. Was wollen S’? Die Gewinnerin sprechen? Wollen S’ ihr gratulieren oder wollen S’ sich in die Liste eintragen lassen?«

Kathi starrte Markus an, als zweifle sie an seinem Verstand.

»Ja, die Spendenliste«, fuhr der fort, »es gibt inzwischen so viele Bittsteller, daß wir eine Liste angelegt haben. Wie viele schon auf der Liste stehen? Moment bitte…!« Markus grinste, tat so, als blättere er, dann sagte er: »Oje, da stehen S’ an zweiundneunzigster Stell’. Sie haben aber insofern Glück gehabt, daß wir die Liste bei hundert beenden. Wieviel jeder kriegt? Einen Moment noch mal.«

Markus grinste bis über beide Ohren, dann setzte er die Unterhaltung fort. »Zehn…! Was für zehn? Sie meinen zehntausend?« Er lachte jetzt laut. »Einen Zehner kriegen S’. Und die Namen werden mit Adresse in der Presse bekanntgegeben. Wie bitte? Ich soll Sie wieder von der Liste herunternehmen? Bitte, wie Sie wollen…!«

Dann legte er auf und lachte laut. »Ich würd’ mir einen Spaß mit denen machen, daß ich vor lauter Freud’ gar net mehr in den Schlaf kommen würd’.«

»Du bist ein junger Bursch«, erwiderte die Kathi, »du kannst mit den Dingen locker umgehen. Ich mein’ immer, die wollten was von mir.«

»Das wollen s’ ja auch«, sagte Markus lachend, »sie kriegen es aber net. Bist soweit?«

Die Kathi nickte. »Da steht mein Tascherl und das kleine Tascherl daneben bitt’ schön auch noch.«

Markus schloß die Haustür ab und gab Kathi den Schlüssel. Er hatte einen Schlüssel für alle Fälle im Staudinger-Hof, den er aber nie bei sich hatte.

»Sag mal, Bub«, wollte die Kathi unterwegs wissen, »hast du gar keine Ambitionen wegen eines Madels? Ich hab’ dich schon ewig nimmer mit einem Madel gesehen?«

Zuerst schien Markus wegen des Themas perplex, doch dann lachte er.

»Du bist gut«, sagte er, »meinst, ich würd’ mit irgendwelchen Madeln umherziehen?«

»Net mit irgendwelchen«, antwortete die alte Kathi, »sondern mit der einen.«

»Und mit welcher?«

»Also, das mußt du schon selber wissen.«

»Momentan bin ich net so fürs Umherziehen mit irgendwelchen Madeln, auch net mit einer…!« Markus grinste. »Ich bin doch noch total jung.«

»Mal langsam«, entgegnete die Wimmer-Kathi, »wie alt bist jetzt? Zweiunddreißig? Also, zu meiner Zeit warst damit ein alter Bursch, den kein junges Mädel mehr haben wollt’.«

»Da denken die heutigen Madeln anders«, erwiderte Markus. »Die mögen einen Burschen, der weiß, wo er steht im Leben und der ein gewisses Maß an Erfahrung hat.«

Da lachte die Kathi. »Weißt du, was dein Vater zum Thema Erfahrung immer gesagt hat?«

Markus lächelte. »Der Vater hat für alles einen Spruch parat gehabt.«

»Das ist wahr«, bestätigte die Wimmer-Kathi. »Zu Erfahrungen hat er immer gesagt, sie wären nix anderes als eine Sammlung von selbst fabrizierten Dummheiten. Deshalb bräucht’ man auf seine eigenen Erfahrungen gar net so stolz zu sein.«

Markus sagte nichts dazu. Kurz darauf fuhr Markus den Wagen auf den Hof des Staudinger-Anwesens, das sehr schön lag und wo man freien Blick über das Oberallgäu hatte.

Lucie, die Altmagd, sie war seit annähernd vierzig Jahren auf dem Hof, kam heraus, um die Kathi zu empfangen und auch Ulla, die das tierärztliche Praktikum absolvierte, kam heraus, um die Kathi zu begrüßen.

»In welcher Tasche hast denn die Millionen?« fragte Lucie, dann lachte sie herzhaft. »In der letzten Stund’ haben hier drei Leut’ angerufen, weil sie dich sprechen wollten. Sie haben gemeint, du würdest dich jetzt wegen deines vielen Geldes hier bei uns verstecken.«

»Das darf doch net wahr sein«, murmelte die Wimmer-Kathi. »Hat man denn gar keine Ruhe net? Eigentlich müßt’ der Markus ja jeden Anruf annehmen.«

»Wieso denn das?« wollte Lucie wissen.

»Er hat nix gesagt?« Kathi schien es gar nicht glauben zu wollen.

»Was denn nicht gesagt?« fragte Lucie.

»Daß er das Gerücht, ich hätt’ im Lotto gewonnen, in die Welt gesetzt hat.«

»Wie bitte?« Lucie starrte Markus an, dann schüttelte sie grinsend den Kopf. »Vor dir ist auch nix sicher.«

Der grinste zurück. »Man muß schon sehen, daß man ein bisserl Leben ins Leben bringt.«

*

Ulla Wallner hatte nach dem vorletzten Semester das Physikum, ihre tierärztliche Vorprüfung abgelegt und hatte nun das zweite klinische Semester hinter sich. Da sie verschiedene Praktika zu absolvieren hatte, unter anderem eines auf einem Bauernhof, hatte sie sich entschlossen, es auf dem Staudinger-Hof zu tun, nachdem Dr. Genz es ihr angeboten hatte.

Dr. Genz praktizierte in einer Tierarztpraxis in Immenstadt, die er im vergangenen Jahr übernommen hatte.

»Ich hab’ mit denen gesprochen«, sagte er, »Sie können da wohnen und sind quasi mittendrin. Was das Leben auf einem Bauernhof betrifft, können Sie keine besseren Eindrücke bekommen. Sie können alles was Ihnen interessant scheint aufzeichnen und später Ihre akademische Ferienarbeit daraus erstellen. Unter welchen Gesichtspunkten Sie den Aufenthalt speziell sehen sollen, werde ich Ihnen noch sagen.«

Dr. Genz war vierzig Jahre alt, sah blendend aus, hatte ständig braungebrannte Haut und war ein begehrter Junggeselle. Man sagte ihm allerhand Frauengeschichten nach, wenn sie nur annähernd stimmten, hätte er seine Praxis jedoch schließen müssen. Daß er jedoch einen Blick für die Schönheiten einer Frau hatte, stand außer Frage, und wenn sich die Gelegenheit bot, dann flirtete er nach Herzenslust.

Seit Ulla sich bei ihm vor­gestellt hatte, machte er ihr Avancen. Sie war nämlich ausgesprochen hübsch, intelligent und wußte mit ihm so umzu­gehen, daß er oft versucht war, sie einfach in die Arme zu nehmen.

Doch dann meinte er wieder ein spöttisches Lächeln zu erkennen, und er war sich nicht mehr sicher. Doch sicher zu sein war ein unbedingtes Muß, einen Korb zu bekommen, entsprach nicht seinem Image und das zu schützen galt es seiner Ansicht nach vor allem.

Einmal, manchmal auch zweimal wöchentlich, fuhr Ulla zu ihm in die Praxis, besprach einige Dinge, die sie für wichtig erachtete. Manchmal lud er sie auch ein zu bleiben, weil etwas Interessantes anlag, doch spätestens am späten Nachmittag war sie wieder auf dem Staudinger-Hof, wo sie sich so ausgesprochen wohl fühlte.

»Ich muß heut’ hinunter nach Immenstadt«, sagte sie beim Frühstück, »der Doktor möcht’ mich sehen.«

»Hast gar keine Angst, daß er mal was von dir will«, erwiderte Lucie.

»Was sollt’ er denn von mir wollen?« fragte Ulla, obwohl ihr gleich klargewesen war, was die langjährige Magd des Staudinger-Hofes meinte.

»Er soll einer sein, der den Madeln hinterherstellt«, antwortete die. »Er soll kein hübsches Madel in Ruh’ lassen. Und da du einmal hübsch und dann wieder in seiner Reichweite bist…?« Lucie zuckte fragend mit den Schultern.

»Falls der schöne Doktor mir Avancen machen sollt’«, erwiderte Ulla, »dann werd’ ich ihm schon die passende Antwort zu geben wissen.«

»Und wie wird die lauten?« Lucie sah Ulla lächelnd an.

Die wiegelte den Kopf. »Das kommt darauf an.«

»Worauf?«

»Zum Beispiel, wie er mich anspricht…!«

»Das heißt, du würdest unter Umständen auch eine Einladung seinerseits annehmen? Sagen wir zum Essen?«

Ulla nickte. »Na klar, warum denn nicht?«

Lucie verzog das Gesicht. »Ich würd’ mich da schwerer tun.«

Da lachte Markus. »Du mußt dir keine großen Gedanken darüber machen, daß der Dr. Genz dich zum Essen einlädt.«

»Du Depp…!« Lucie schubste ihn.

Ulla sah auf die Uhr und stand auf. »Ich werd’ mich dann mal auf den Weg machen. Wie gesagt, spätestens heut’ am Abend bin ich wieder da. Ich meld’ mich auf jeden Fall jedoch telefonisch. Und daß ihr drangeht und net meint, es würd’ einer wegen Kathis Millionengewinn anrufen.«

In dem Moment läutete das Telefon.

Ulla lachte. »Bleibt sitzen, ich geh’ ran. Wenn es ein Anrufer wegen der Millionen ist, soll ich ihn gleich abwimmeln?«

Markus nickte. »Na klar, aber freundlich. Nach dem Motto, die Kathi hat das Geld heut’ nicht dabei…!«

*

Dr. Lothar Genz stammte aus Ulm, hatte in Gießen studiert, war lange Assistent des Professors gewesen und viele hatten schon gemeint, er würde eine akademische Laufbahn einschlagen, als er sich kurzerhand entschloß, die Praxis in Immenstadt zu übernehmen, die ein bekannter Kollege aufgegeben hatte, weil er die Altersgrenze erreicht hatte.

Dr. Genz zog die Augenbrauen hoch und atmete tief durch, als Ulla die Ordination betrat und seine Sprechstundenhilfen freundlich begrüßte. Erst dann kam sie zu ihm und begrüßte ihn mit einem sehr herzlichen Lächeln.

Genz wußte, daß Ulla ein ausnehmend hübsches Mädchen war. Er hatte schon mal gemeint, sich in sie verliebt zu haben, hatte den Gedanken daran jedoch sehr rasch wieder verworfen. Denn obwohl er immer eine schöne Frau als Begleiterin hatte, war seine Eigenliebe derart stark, daß in seinem Herzen im Grund genommen gar kein Platz für eine Frau war.

»Gut schauen S’ heute wieder aus«, begrüßte er Ulla, »sind S’ nicht viel zu schad’, um als Tierärztin durch Ställe zu kriechen? Immerhin können S’ es sich leichter machen.«

»Ich kriech’ gern durch Ställe«, erwiderte Ulla, wobei sie Genz immer noch sehr lieb anlächelte.

Der zeigte auf den Sessel vor seinem Schreibtisch und bat Ulla Platz zu nehmen, dann fragte er, ob sie Kaffee wolle.

»Sie können aber auch einen Tee haben, wenn Sie mögen«, fuhr er fort.

»Ein Tee wär’ mir schon recht«, erwiderte Ulla, dann packte sie zwei Hefter aus, dazu einen Ordner.

»Was haben Sie da?« fragte Dr. Genz. »Sind das die Aufzeichnungen?«

Ulla nickte. »Ja, aus den letzten vier Wochen. Eines ist interessant und zwar…!«

»Verschonen S’ mich mit Details«, sagte Genz, »lassen Sie uns lieber über was Gescheiteres reden.«

»Das wäre?«

»Sollten wir uns nicht ein bisserl besser kennenlernen?« Genz lächelte fast verführerisch.

»Sie meinen, wir beide sollten uns besser kennenlernen?« fragte Ulla, »nur daß ich auf keine falsche Idee komme.«

Da lachte Genz. »Sie kommen ganz sicher auf keine falsche Idee.«

»Das ist ja interessant.« Ulla erinnerte sich an das Gespräch im Staudinger-Hof.

»Ach ja?« jetzt fühlte Genz sich in seinem Element. Solche Gespräche führte er gerne. »Wenn ich jetzt sagen würde, liebe Ulla, ich könnte mir vorstellen, daß ich mich in Sie ­verliebt habe. Was würden Sie dann sagen und wieso wüßten Sie, daß es keine falsche Idee ist?«

Ulla strahlte. »Allein wie Sie an die Sache herangehen. Da ist nichts Falschfährtiges bei. Sie hauen ein bisserl auf den Putz, das ist alles.«

Genz gefiel die Antwort gar nicht, denn er hatte das Gefühl, nicht ernst genommen zu werden. Doch er machte gute Miene zum bösen Spiel.

»Na ja, einem hübschen Madel wie Ihnen kann man wohl nichts vormachen«, sagte er, dann nahm er die beiden Hefter an sich und blätterte darin, stellte einige Fragen, dann nickte er. »Es ist interessant, was Sie da zusammenstellen. Ich bin mal auf die Semesterabschlußarbeit gespannt.«

Ulla saß da und trank ihren Tee, der inzwischen gekommen war, aus.

»Wie kommen Sie mit den Hofbewohnern zurecht?« fragte Genz.

»Gut, um nicht zu sagen sehr gut«, antwortete Ulla. »Die sind alle sehr nett und herzlich.«

»Auch der junge Haber?«

»Markus? Ja, sehr gut komm’ ich mit ihm aus. Er erklärt mir alles und ich kann ihm alle möglichen Fragen stellen, er hat echt Ahnung.«

»Aha…!«

»Wieso sagen Sie dieses ›aha‹ so komisch?«

»Weil er keinen sonderlich guten Ruf hat, dieser Markus Haber.«

»Wieso hat er keinen guten Ruf?«

»Weil er sich mit Gewalt nimmt, was man ihm nicht freiwillig geben will, was er haben möchte.«

»Wie soll ich das verstehen?« fragte Ulla, die meinte, ihr habe jemand Eiswasser in den Pulloverausschnitt geschüttet. »Wollen Sie damit möglicherweise andeuten, daß er jemand räuberisch erpreßt hat?«

Dr. Genz wiegelte seinen Kopf. »Sie sind schon richtig, aber was das Objekt angeht, auf der falschen Fährte.«

»Was heißt das?«

»Daß er einem Madel, das net so wollte, wie er es sich vorgestellt hat, mit Gewalt gezeigt hat, was er wollte…!«

»Sie meinen, er hat sie vergewaltigt?« Ulla meinte, ihr Herz bleibe stehen.

»Es ist nicht zur Vergewaltigung gekommen«, erwiderte Dr. Genz, »noch soeben war er zu stoppen.«

Ulla meinte, sie könne keinen klaren Gedanken fassen, derart war sie durch das schockiert, was Dr. Genz sagte.

»Und man hat nichts gegen ihn unternommen?« fragte sie. »Wenn wer versucht, einem Madel Gewalt anzutun, dann kann man das doch nicht so ohne weiteres hinnehmen.«

Da lachte Dr. Genz. »Oje, die Strukturen auf dem Land sind so, daß man eher vertuscht. Was meinen Sie, was hier alles vertuscht wird?«

»Was Sie da gesagt haben, ist alles Blödsinn«, ereiferte sich Ulla. »Der Markus und gewalttätig, das ist der totale Widerspruch! Und wenn Sie wissen wollen, wie er ist, der Markus, dann gehen S’ mal hinauf auf seinen Hof und schauen S’ sich an, wie er mit seinem Vieh umgeht. So wie er, geht keiner mit Tieren um, der den Menschen gegenüber gewalttätig ist.«

Dann lenkte Genz ein. »Vielleicht hat man alles tatsächlich ein bisserl dramatisch dargestellt. Mir ist Markus Haber immer sehr freundlich begegnet. Ich kann mich nicht über ihn beschweren, ganz im Gegenteil.«

»Und warum behaupten S’ dann so was? Ich find’ das ziemlich blöd…«

»Ich hab’ die Behauptung nicht aufgestellt«, entgegnete Genz, »ich hab’ sie lediglich weitergegeben.«

»Und warum? Sie hätten sie ja auch für sich behalten können. So haben S’ mich nur mißtrauisch gemacht.«

»Sehen S’«, antwortete Genz freundlich lächelnd, »dann hat sich ja alles so erfüllt, wie ich es hab’ haben wollen.«

»Was soll das denn schon wieder heißen?« wollte Ulla wissen.

»Daß Sie nun nicht mehr blind in was hineinrennen«, antwortete Dr. Genz. »Ich hab’ Ihnen gegenüber so was wie eine Aufsichtspflicht und die will ich unter keinen Umständen vernachlässigen.« Dann wechselte er das Thema. »Ich würd’ Sie gern mal zum Essen einladen. Ganz einfach, in eines der hiesigen Lokale, ohne viel Brimborium.«

Zuerst wollte Ulla absagen. Was er ihr vor wenigen Minuten noch aufgetischt hatte, das war ein wenig happig gewesen. Doch dann entschied sie, die Einladung doch anzunehmen.

»Ja«, sagte sie, »gerne, ich freu’ mich. Irgendwie bin ich bei Ihnen als Praktikantin und dann doch wieder nicht.«

Lothar Genz lächelte. »Da läßt sich ja was dran ändern.«

*

»Kommen heut’ net die ehemaligen Senner und Sennerinnen von der Wurzinger-Alm?« Heidi kam zu Luise in die Küche und sah sie fragend an.

Die nickte lachend und zeigte auf eine große Schüssel. »Das ist der Teig für die Semmelknödel. Ich hab’ einen wunderschönen Schweinsbraten in der Röhre und ich hab’ eine Süßspeise in Vorbereitung, daß den Madeln und Burschen von der Wurzinger-Alm Hören und Sehen vergeht.«

»Meinst, sie kommen alle?« fragte Heidi.

Luise nickte. »Und ob die kommen. Ob alle können, das weiß ich net, aber die können, die kommen auch, da bin ich ganz sicher.«

»Wie viele werden es denn sein?« wollte Heidi wissen.

»Das weiß ich net«, erwiderte Luise. Dann begann sie aufzuzählen. »Zuerst einmal die Kathi, dann die Leni, die Elfi und der Leonhardt.«

»Und die Resi darfst net vergessen«, sagte Heidi.

»Du meinst, sie würd’ die Alm und ihr Vieh an dem Tag allein lassen?« Luise sah skeptisch drein.

Heidi schüttelte lachend den Kopf. »Niemals. Dafür kenn’ ich sie. Sie hat das ihr anvertraute Vieh viel zu gern, als daß sie es mal allein lassen würd’.«

»Dann kann sie also net kommen…?«

»Doch, kann sie«, erwiderte Heidi, »seit gestern ist ihr Bruder droben auf der Alm. Der bleibt drei Tag’, daß die Resi mit den anderen feiern darf.«

»Was feiern sie eigentlich?« wollte Luise wissen.

»Sie feiern sich selbst.« Heidi lachte. »Schau net so, das hat die Leni selbst gesagt. Wir waren alle so gern auf der Alm, hat sie gesagt, und auf der Wurzinger-Alm gleich gar, daß wir einfach wieder mal zusammenkommen müssen.«

»Und wieso gehen s’ dann net hinauf?« Luise zeigte in Richtung Wurzinger-Alm.

»Das wollen s’ ja«, sagte Heidi, »aber erst morgen. Der Markus kommt und fährt sie alle hinauf. In seinen großen Geländewagen gehen s’ alle auf einmal.«

»Mar’ und Josef«, Luise lachte. »Das nenn’ ich eine selbstbewußte Truppe. Da könnt’ sich manch einer was abschneiden.«

Heidi nickte. »Das ist wohl wahr. Wenn ich an meine ehemalige Klasse denke, sie wollen schon seit Jahren ein Klassentreffen veranstalten, aber nix kommt dabei herum.«

»Da schau…!« Luise zeigte aus dem Fenster. »Die Kathi und die Leni. Der Markus hat sie gebracht.«

»Und schau da hinauf zur Alm«, sagte Heidi. »Mar’ und Josef, der Leonhardt. Schau nur, wie elegant und sportlich der noch gehen kann.«

»Dann fehlen nur noch die Elfi und die Resi«, Luise grinste. »Ich schätz’ mal, daß die beiden lange auf sich warten lassen.«

»Wieso meinst das?«

»Die Resi kann sich net von der Wurzinger-Alm trennen«, antwortete Heidi, »und die Elfi net von ihrem Enkelkind. Sie ist letztens zum ersten Mal Großmutter geworden.«

*

»Jetzt redets net alle durcheinander«, sagte Markus, der die erste Idee zu dem Treffen gehabt hatte, »nur einer kann was sagen und das ist jetzt die Kathi. Sie will was zu ihrem Lottogewinn sagen.«

»Zu was…?« Der Leonhardt war ein groß gewachsenes, hageres Mannsbild von siebzig Jahren und wenn das Wort Mannsbild je angebracht war, dann bei ihm.

»Zu ihrem Lottogewinn«, wiederholte Markus.

»Aber ich hab’ doch gar net im Lotto gewonnen«, sagte Kathi, »das hast du doch nur so in die Welt gesetzt. Und zwar, weil ich kaum Besuch hab’ und weil keiner bei mir anrufen würd’. Da setzt er einfach ein Gerücht in die Welt und schon läutet bei mir pausenlos das Telefon.«

»Das gibt’s doch gar net.« Die Elfi war eher drall, hatte rote Wangen und man sah ihr an, daß es ihr gutging. Sie war fünfundfünfzig Jahre alt, war vor drei Wochen zum ersten Mal Großmutter geworden, lebte mit ihrem Mann und der Familie der Tochter im eigenen Haus bei Fischen und sie hatte sich auf das Treffen der Senner und Sennerinnen von der Wurzinger-Alm sehr gefreut.

»Und ob es das gibt«, erwiderte Kathi, dann erzählte sie, wer alles angerufen habe. »Eine hat gemeint, wir wären zusammen zur Schule gegangen, dann hat sie Geld haben wollen. Eine andere hat die Hüftkranke gemimt, die in den USA operiert werden müßt’. Dabei war sie aber letztens bei der Kirchweih und hat getanzt. Die wollt’ eine halbe Million.«

Leni lachte. »Ich hab’ auch angerufen…!«

»… ja, du hast aber nix haben wollen«, antwortete Kathi. »Und zwar, weil du gewußt hast, daß ich kein Geld für Glücksspiele hab’.«

»So ist es«, antwortete Leni.

»Was schaust denn so ständig auf die Uhr?« fragte Luise, während sie Markus ansah.

»Ich muß gleich weg«, antwortete der.

»Du mußt weg?« fragte Kathi. »Und wie kommen wir nach Haus’?«

»Ich hab’ für euch alle im Bergerhof Zimmer bestellt«, antwortete Markus.

»Das gibt’s doch gar net«, erwiderte Kathi. »Ich hab’ doch gar nix mit.«

»Es ist für alles gesorgt«, sagte Luise. »Bis zum Sonntag seid ihr Gast bei uns. Und ich hoff’, daß es eine schöne Zeit wird.«

»Wo willst du denn hin?« Resi, die aktuelle Sennerin der Wurzinger-Alm war sehr fesch, sah im Moment aber enttäuscht drein. Sie hatte blonde Haare, war fraulich gebaut und hatte das Herz auf dem rechten Fleck. »Ich hab’ gemeint, wir würden noch ein bisserl miteinander reden können.«

Markus zuckte mit den Schultern. »Es tut mir leid, aber ich bin verabredet. Morgen komm’ ich schon zum Frühstück her zu euch, dann können wir reden.«

»Jetzt sag mir doch einer, mit wem der Markus verabredet ist«, wollte die Resi wissen.

»Mach dir keine Hoffnung auf ihn«, entgegnete die Elfi, »der Markus hat längst eine Freundin.«

Kathi schüttelte ebenso den Kopf wie die anderen auch.

»Nix hat der Bub«, sagte sie, »das ist es ja, was mich so kränkt. Ein Bub wie der Markus und kein Madel, das ist ein Armutszeugnis für die ganze Madelwelt.«

»Ich bin mir da net so sicher«, entgegnete der Leonhardt, »gar net sicher bin ich mir.«

»Weißt was?« Leni sah den einzigen Senn unter den Sennerinnen neugierig an.

Der wiegelte den Kopf. »Wissen tu’ ich nix, aber ich ahn’ was.«

»Und was ahnst du?« Kathi ließ den Alten nicht aus den Augen.

Der tippte sich gegen die Stirn. »Als wenn ich das herauslassen würd’. Dann hätt’ ich einmal was erfahren…!«

»Er hat also ein Madel?« fragte Kathi, »wenn du das zugibst, dann verrätst ihn ja net.«

Leonhardt grinste. »Wieso seid ihr alle so g’lustrig zu wissen, ob der Markus ein Madel hat? Ihr braucht eigentlich nur die Augen aufmachen, dann seht ihr was ihr wissen wollt.«

»Herrschaftseiten noch einmal, gar nix seh’ ich«, fluchte die Kathi. »Aber ich glaub’ net, daß er ein Madel hat. Sonst wüßt’ ich es. Bei mir hat er sich sonst immer ausgeweint.«

»Dann ist er inzwischen halt selbständig geworden«, erwiderte Elfi. »Aber ich kann mir auch net vorstellen, daß der Markus keine Freundin net hat. Schaut ihn euch doch mal richtig an, um den reißen sie sich doch…!«

»Eben net«, entgegnete Kathi. »Das ist ja das Komische.«

»Noch komischer ist, daß es ihm offenbar nix ausmacht«, entgegnete Elfi. »Also, ich bin mir sicher, daß mehr dahintersteckt, als wir alle ahnen, viel mehr…!«

*

»Sind denn alle weg?« Als Ulla am Nachmittag aus Immenstadt zurück auf den Staudinger-Hof kam, waren alle im Bergerhof, auch die Lucie war inzwischen noch hinübergegangen.

»Ich bin hier in der Küche«, rief Markus, der am Tisch saß und in der Tageszeitung las.

»Und wo sind die andren?« Ulla sah den jungen Bauern aufmerksam an.

»Die sind alle im Bergerhof«, antwortete der. »Da ist doch heut’ Sennertreffen…!«

»Oje, das hatt’ ich ja ganz vergessen«, erwiderte Ulla. »Da wollt’ ich eigentlich mit.«

»Die tagen drei Tage«, sagte Markus, »da kannst also morgen auch noch teilnehmen.«

»Ich kenn’ nur die Kathi und die Leni«, sagte Ulla, »selbst die aktuelle Sennerin, Resi heißt sie, glaub’ ich, kenn’ ich noch net.«

»Hast Lust heut’ abend mit nach Oberstdorf zu fahren?« fragte Markus dann.

»Nach Oberstdorf? Ausgehen? Mit dir?« Ulla sah den feschen Burschen lange und ernsthaft an. »Hast du mal was mit einem Madel gehabt, dem du Gewalt hast antun wollen?«

Markus schloß einen Moment lang die Augen. »Wer hat dir denn den Blödsinn erzählt?«

»Das tut nix zur Sache«, erwiderte Ulla, deren Blick immer noch fragend auf Markus gerichtet war.

»Nein, ich hab’ nie einem Madel Gewalt angetan«, entgegnete der. »Aber behauptet hat es ein Madel. Später hat es dann alles wieder ins rechte Lot gerückt. Deshalb würd’ mich schon interessieren, wer diesen Mist heut’ immer noch erzählt.«

Ulla sagte nichts. Doch plötzlich stutzte Markus.

»Du warst heut’ unten beim Genz«, murmelte er, »genau, der hat es dir gesagt. Das würd’ genau zu dem Blödmann passen.«

»Warum sollte Dr. Genz denn was Derartiges behaupten?«

»Weil er damals selbst total scharf auf die Heike war«, antwortete Markus.

»Du net…?«

Markus schüttelte den Kopf. »Nein, und zwar gar net. Ich fand sie nett, ja, aber das war’s auch schon.«

»Und wie ist es dazu gekommen, daß sie dich angezeigt hat? Das hat sie doch, oder?«

Markus nickte. »Ja, das hat sie. Sie war narrisch auf mich, irgendwie jedenfalls. Und ich hab’ sie ziemlich cool abblitzen lassen. Das hätt’ ich so net tun dürfen. Denn das hat bei ihr einen totalen Haß ausgelöst.«

»Und dann hat sie die Lügenstory erzählt…?«

»So ist es«, bestätigte Markus. »Später, als sie einen festen Freund hatte, hat sie dann alles klargestellt. Daß dieser Genz, der Aff’, die Sach’ wieder hochbringt, find’ ich sehr unnett.« Dann grinste er. »Moment mal…!«

»Ja?«

»Jetzt wird mir einiges klar.«

»Was denn?«

»Der Genz ist scharf auf dich. Der will was von dir und fängt an, dein Umfeld zu säubern. Er meint, ich wär’ ein Konkurrent, schließlich sind wir ständig zusammen.«

»Du spinnst echt«, erwiderte Ulla, während sie sich gegen die Schläfe tippte. »Der Genz ist vierzig und älter. Er könnt’ fast mein Vater sein.«

Da lachte Markus. »Das ist dem wurscht. Je jünger desto besser, dafür ist er bekannt…!«

*

Daß im Bergerhof Sennertreffen war, hatte sich rasch herumgesprochen und am Sonnabendnachmittag, vor allem aber am Sonntag in der Früh, war in der alten Gaststube kein Platz mehr zu bekommen. Senner von fast allen der umliegenden Almen waren gekommen und alle hatten was zu erzählen und zu berichten, vor allem von früher.

»Kathi«, sagte einer, der annähernd fünfzig Jahre auf der Haber-Alm seinen Dienst getan hatte, »es hat schon mal eine Sennerin im Lotto gewonnen. Erinnerst dich net?«

Kathi dachte einen Augenblick nach, dann schüttelte sie den Kopf. »Ich kann mich net erinnern.«

»Marei hat sie geheißen und von der Stockalm oder Fischen war sie«, erzählte der Senn.

»Jetzt weiß ich es wieder«, murmelte die Kathi. »Sie war so eine Fesche. Groß war sie und blonde Haar’ hat sie gehabt.«

Der alte Senn nickte. »So ist es. Und im Lotto hatt’ sie gewonnen. Und weißt, was aus ihr geworden ist?«

Kathi schüttelte den Kopf. »Ich weiß es eben nicht.«

»Sie hat nach dem Gewinn ihr Sennerinnenleben drangegeben, und ist in die Stadt, sprich nach München gezogen«, sagte der Senn.

»Und was ist da aus ihr geworden?« wollte Kathi wissen.

»Sie hat natürlich wen kennengelernt«, antwortete der Senn, »und zwar einen, der ihr systematisch das Geld aus der Tasche gezogen hat, bis sie arm war wie eine Kirchenmaus. Dann hat er sie fallenlassen wie eine heiße Kartoffel. Es hat einige unschöne Szenen gegeben, bis die Marei dann gescheit geworden ist und zurück ins Allgäu gekommen ist.«

»Und was macht sie jetzt?« Kathi schien das Schicksal Mareis zu interessieren.

»Sie kriegt eine Minirente«, antwortete der ehemalige Senn, »davon kann sie jedoch net leben. Ihr ehemaliger Bauer hat sie im Austrag einziehen lassen und er versorgt sie auch mit dem Nötigsten. Dann geht sie nebenher den Leuten helfen und man steckt ihr was zu. Zum Sozialamt geht die Marei net, vorher würd’ sie sich umbringen, hat sie gesagt.«

Kathi nickte. »Der Gang zum Sozialamt ist für viele das Schlimmste was sie sich vorstellen können.«

Der alte Senn nickte. »Und trotzdem bleibt oft gar nix anderes übrig.«

»Ich hab’ ja mein kleines

Häuschen.« Kathi zuckte mit den Schultern. »Aber was hilft’s mir, wenn ich nimmer allein leben kann?«

»Du bist doch versorgt«, erwiderte der Senn, »der Markus ist ein Bursch wie du ihn sonst vergeblich suchst. Dem ist es regelrecht eine Freud’, wenn es net nur ihm, sondern auch anderen gutgeht.«

Da lächelte die Kathi. »Ja, der Markus ist ein lieber Bursch. Wenn er nur bald ein Madel hätt’, daß wir alle wüßten, auf was und wen wir uns einzustellen haben. Je nachdem wer es ist, kannst plötzlich auch dastehen und all deine Pläne und Wünsche fürs Alter zu den Akten legen.«

»Der Markus hat kein Madel?« fragte der alte Senn. »Das ist aber komisch.«

»Wieso?«

»Weil ich ihn letztens gesehen hab’ mit einem Madel.«

»Was hast du?«

»Ich hab’ den Markus mit einem Madel gesehen«, antwortete der Senn.

»Wann und wo?«

»Wann…?« Der alte Senn überlegte. »Ich mein’, es wär’ am vorletzten Sonntag gewesen.«

»Und wo?«

»In Immenstadt. Am Seeufer ist er mit dem Madel spazieren gegangen.«

»Und was für ein Madel war es?« wollte die Kathi wissen.

»Ein fesches, junges Madel, soviel steht fest«, antwortete der Senn. »Groß war sie und schöne blonde Haar’ hat sie gehabt. Geflochten war das Haar, das hat mir so gut gefallen…!«

*

Ulla hatte die Einladung von Dr. Genz zum Essen angenommen, und am Mittwoch in der auf das Treffen der Senner und Sennerinnen folgenden Woche gingen die beiden aus und kehrten auf Ullas Vorschlag im Bergerhof ein.

»Die Seniorchefin kocht ausgezeichnet«, hatte sie gesagt, »und der Heidi ist es gelungen, eine derart angenehme Atmosphäre zu schaffen, daß es dort sehr schön und überaus wohlig ist.«

Dr. Genz hatte sofort zu gestimmt und wollte gegen sieben am Abend dort sein.

»Oder soll ich Sie beim Staudinger abholen?« hatte er gefragt.

»Das wär’ mir am liebsten«, hatte Ulla geantwortet.

Jetzt saß sie so am Küchentisch, daß sie einen zum Hof heraufkommenden Wagen sehen mußte.

»Daß du so aufgeregt bist, wenn du mit dem Genz ausgehst, hätt’ ich nie für möglich gehalten«, sagte Lucie, die langjährige Magd des Staudinger-Hofs.

»Ich bin doch net aufgeregt«, erwiderte Ulla.

Da grinste Lucie. »Und wie aufgeregt du bist. Du hast dich an einen Platz gesetzt, wo du sonst nie sitzt. Und zwar nur, weil du wissen willst, wann der Genz kommt.«

Ulla winkte ab. »Schmarrn. Ich will nur net, daß er noch hereinkommt und der Abend dadurch noch länger in die Länge gezogen wird.«

»Dann gehst du gar net gern mit ihm aus?« Erstaunt sah Lucie Ulla an.

Die wiegelte den Kopf. »Sagen wir mal, es könnte ein interessanter Abend werden. Aber nicht, weil ich den Genz unbedingt supernett find’.«

»Aha, und warum dann?«

Ulla lächelte. »Ein bisserl ein Geheimnis muß ich auch haben. Ihr habt alle eines und ich möcht’…«

»Ist ja schon recht.« Lucie lachte. »Jetzt hast so aufgepaßt und der Genz ist von der anderen Seite gekommen. Er steigt grad aus dem Auto aus.«

Ulla sprang auf. »Das gibt’s doch gar net. Woher ist er denn gekommen?«

»Vom Drauner-Hof«, antwortete Lucie, »von da gibt’s eine Verbindung her zu uns.«

So rasch es ihr möglich war, nahm Ulla ihre Tasche, warf sich die Lederjacke über die Schultern, rief »Tschüs« und hatte die Küche schon verlassen.

Dr. Lothar Genz stand auf dem Hof, hatte die Hände tief in die Taschen vergraben und sah sich die Gebäude an.

»Alles was recht ist«, sagte er schließlich, »renoviert hat er den Hof sehr schön, der Markus.«

»Der sagt übrigens, es wär’ längst geklärt, daß er niemand was angetan hätt’.« Ulla sah den braungebrannten Tierarzt vorwurfsvoll an. »Er fand gar nicht nett, daß Sie versucht haben, ihn in ein ganz falsches Licht zu setzen.«

»Oje«, Genz winkte lachend ab, »da wird so viel geredet, und beweisen kann keiner was. Der eine sagt, es war so, der andere behauptet schlichtweg das Gegenteil. Aber wieso sollen wir uns darüber unterhalten? Kommen S’, Fräulein Kollega, lassen S’ uns losfahren.«

Ulla stieg ein und gleich darauf fuhr der Wagen los. Bis zum Bergerhof redeten beide kein Wort mehr. Als sie ausstiegen, und das beliebte Gasthaus betraten, kam ihnen Heidi entgegen.

Sie lächelte und begrüßte die beiden dann wirklich sehr freundlich.

»Hätten S’ gern irgendwo einen bestimmten Tisch?« fragte sie schließlich.

Genz sah Ulla fragend an.

»In der alten Gaststube«, sagte die, »ist da ein Fenstertisch frei?«

Heidi nickte. »Ganz sicher. Kommen S’ bitte, ich bring’ Sie hin…!«

Als Ulla und Ganz Platz genommen hatten und Heidi ging, um die Getränke fertig zu machen, sah Genz ihr hinterher.

»Eine fesche Frau«, sagte er, »daß sie so lange allein ist, ist nicht zu verstehen. Wenn ich recht informiert bin, ist ihr Mann vor über zehn Jahren tödlich verunglückt.«

Ulla lächelte. »Sie sind doch auch noch alleine. Und wenn man was drauf gibt, was die Leut’ reden…!«

»Was reden sie denn…?«

Ulla lächelte. »Daß Sie sehr rasch wechselnde Bekanntschaften haben.«

»Das haben S’ aber schön ausgedrückt«, Dr. Genz grinste übers ganze Gesicht, »ich müßt’ direkt ein bissel stolz sein.«

»Darauf, daß Sie Frauenherzen brechen?« fragte Ulla.

»Sagen wir, daß es mir bis heute möglich geblieben ist, für Frauen interessant zu sein«, antwortete Genz.

»Und es war nie die Richtige dabei? Ich meine jetzt, fürs ganze Leben?«

»Sind Sie eine Romantikerin?« Genz lächelte. »Da schau her, das hätt’ ich jetzt gar nicht erwartet.«

»Was hätten S’ denn dann erwartet?«

»Eine eher selbstbewußte und gradlinig handelnde Frau, die genau weiß was sie will.«

»Da schau her.« Ulla lächelte. »Sie scheinen romantisch veranlagte Frauen für dumm und wenig selbstbewußt zu halten. Haben Sie noch mehr solcher Schubladen, nach denen Sie die Menschen einteilen?«

»So war das doch nicht gemeint«, erwiderte Genz.

»Sie scheinen das, was Sie sagen, immer noch erklären zu müssen, interessant…!«

»Sie sind doch gar nicht so bissig wie Sie jetzt tun«, sagte der Immenstädter Tierarzt.

»So? Wie bin ich denn?« Man sah Ulla an, daß das Gespräch jene Richtung genommen hatte, die ihr behagte.

»Erstens sind Sie wirklich sehr hübsch«, antwortete Dr. Genz, »aber das wissen Sie ja. Dann sind Sie stets hellwach und intelligent. Aber auch romantisch, was allem eine sehr interessante Note gibt.«

»Wenn Sie jetzt schon wissen, wie ich bin«, entgegnete Ulla, »erzählen S’ doch mal ein bisserl was von sich. Von Ihnen weiß ich nämlich nichts. Das heißt, von Ihnen weiß keiner was.«

»Sie haben mit wem über mich gesprochen?« Lothar Genz zog die Augenbrauen hoch, um sein Erstaunen auszudrücken.

»Ja klar, hab’ ich mit wem über Sie gesprochen.«

»Und wieso?«

»Na, wie soll ich ohne einen Namen zu nennen, irgendwem erklären, daß ich heut’ abend ausgehen möcht’? Die haben doch alle gefragt, mit wem ich ausgeh’. Und schon waren Sie im Gespräch, so einfach ist das.«

Lothar Genz lächelte. »Entschuldigen Sie, Ulla. Ich darf Sie doch Ulla nennen?«

Ulla lachte ihr zauberhaftes Lächeln und nickte. »Ja sicher dürfen Sie mich Ulla nennen.«

»Und Sie wollen unbedingt Tierärztin auf dem Land werden?« Dr. Genz sah Ulla aufmerksam an.

Die nickte. »Ja, das möcht’ ich. Und keine Tierärztin in Schickimickimanier. Die gibt’s nämlich auch auf dem Land. Man weiß heute, daß ein regelrechter Kleintiertourismus aufs Land stattfindet. Wellensittich Hänschen hat ebenso seinen eigenen Haustierarzt wie Hund Bello, dessen Magenverstimmung immer dann besser wird, wenn er mal richtig auslaufen kann.«

Lothar Genz lachte. »Sie sind ja richtig engagiert. Da schau her, das hätt’ ich gar nicht erwartet.«

»Was hätten S’ denn erwartet?« fragte Ulla. »Ein eher ängstliches Häschen, um im Jargon zu bleiben? Oder ein Madel, das vor Ehrfurcht in die Knie geht, wenn der Doktor sie einlädt?« Sie zuckte mit den Schultern. »Schade, damit kann ich leider gar nicht dienen…!«

*

Markus Haber war am gleichen Abend, als Ulla mit Dr. Genz zum Essen im Bergerhof war, nach Oberstdorf gefahren. Er war im ›Mozart‹, dem Café der Gegend verabredet.

Als er das ›Mozart‹ betrat, schallte ihm laute Musik entgegen und es hätte nicht viel gefehlt und er wäre wieder gegangen. Manchmal konnte er laute Musik nicht vertragen. Doch dann winkte ihn Adrian, der Betreiber des vor allem bei jungen Leuten sehr beliebten Cafés, zu sich heran.

»Du bist mit Christiane verabredet?« fragte Adrian.

Markus nickte. »Ja, bin ich.«

»Ich soll dir sagen, daß sie sich etwas verspätet«, murmelte

Adrian.

»Aha…!«

Markus blieb unentschlossen an der Theke stehen.

»Magst was zu trinken?« wollte Adrian wissen. »Einen Espresso vielleicht?«

Markus nickte. »Das wär’ net schlecht. Ein Mineralwasser kannst mir auch noch geben.«

Adrian stellte die Getränke vor Markus und fragte dann: »Du und die Christiane…?«

»Was ist damit?«

»Läuft da was?«

»Wie meinst du das?« fragte Markus, obwohl er sehr genau wußte, was Adrian meinte.

»Na ja«, antwortete der, »ob du und Christiane ein Paar seid?«

»Wieso fragst du das?« Markus sah den Betreiber des ›Mozart‹ aufmerksam an.

Der verzog den Mund, dann wiegte er seinen Kopf hin und her.

»Wie soll ich das sagen«, antwortete Adrian, »die Christiane und ich, wir kennen uns seit zig Jahren und…!«

Markus winkte grinsend ab. »Spinner, zig Jahre? So alt ist die Christiane überhaupt net. Und falls du andeuten willst, daß du selbst Interesse hättest, dann kannst so was ruhig zu mir sagen.«

»Ohne daß wir gegeneinander stünden?« Adrian sah Markus eindringlich an.

Der nickte grinsend. »Ich hab’ nix mit ihr, falls du das meinst.«

»Aha…!«

»Was heißt aha?«

»Entschuldige«, murmelte

Adrian, dem man anmerkte, wie peinlich ihm die Fragerei war, »wenn ich dir total blöd vorkomm’, aber was willst du von Christiane?«

»Vielleicht wird ja andersherum ein Gebäude draus«, erwiderte Markus, »was willst du von ihr?«

Adrian betrieb das ›Mozart‹ seit vielen Jahren, nicht einmal hatte man gehört oder mitbekommen, daß ihn eine Frau interessiert hatte, außer ganz zu beginn, als seine mehrjährige Lebenspartnerin mit einem anderen plötzlich auf und davon war.

Adrian atmete durch, sah sich nach beiden Seiten um, um sicher zu gehen, daß niemand mithörte, dann beugte er sich vor.

»Ich würd’ nie einen Ton darüber verloren haben«, murmelte er, »es war nämlich immer meine Devise, jeden ganz und gar nach seiner Fasson selig werden zu lassen.«

»Ja und?« fragte Markus. »Was ist bei Christiane anders? Sie ist ein supernettes Madel, aber für dich doch viel zu jung. Entschuldige, wenn ich das so sage.«

Adrian winkte ab. »Das ist schon in Ordnung. Aber ich schätz’ mal, daß sie für dich auch zu jung ist.«

»Wie bitte?«

»Na, sie ist mal grade zwanzig, und du bist reichlich über dreißig«, antwortete Adrian. »Außerdem ist sie ein ganz und gar unschuldiges Ding und du… na ja, du hast es faustdick hinter den Ohren.«

Markus meinte, er höre nicht recht. Er lachte und zuckte mit den Schultern.

»Was soll das?« fragte er schließlich, »bist du jetzt so was wie ein Madelaufpasser? Reicht dir dein Job da im ›Mozart‹ nicht mehr aus?«

»Der reicht mir vollkommen…!«

»Und wieso engagierst du dich dann bei Christiane so sehr? Man kann da auf was für Ideen kommen.«

Adrian wurde auf die andere Seite der Bar gerufen und als er zurückkam, brachte er zwei Whisky mit.

»Zum Wohl«, murmelte er, dann trank er seinen in einem Schluck aus.

»Oje, oje«, Markus schüttelte den Kopf, »das Thema Christiane scheint dich ja ziemlich zu berühren.«

Adrian nickte. »Das tut es auch.«

»Aber warum?« fragte Markus. »Es muß doch einen handfesten Grund geben. Wenn du mir sagst, daß du was von ihr willst, dann respektier’ ich das. Dann zieh’ ich mich zurück und basta.«

»Dann willst du wirklich nichts von ihr?« Adrian schien es nicht glauben zu können.

»Nein…!« Markus trank seinen Whisky aus. »Einen kannst mir noch geben.«

Adrian grinste. »Du trinkst doch sonst keinen Schluck Alkohol.«

Markus lachte kurz auf. »Das ist wohl wahr.«

»Dann zwickt dich das Thema Christiane also doch?«

»Ja, logisch zwickt es mich«, antwortete Markus.

»Das Thema Christiane interessiert dich, aber du willst nix von ihr, das erklär mir mal.«

Adrian sah Markus fragend an.

»Wenn du mir zuerst dein Verhältnis zu ihr erklärst«, erwiderte der.

Adrian wurde wieder ans andere Ende der Theke gerufen, als er zurückkam, sah er sich wieder nach beiden Seiten um, daß niemand ungebeten zuhörte.

»Du willst also wissen?« fragte er, »welches Interesse ich an Christiane habe…?«

Markus nickte. »Das würde manches erleichtern.«

»Alles was wir jetzt hier besprechen, bleibt unter uns«, forderte Adrian, »darauf muß ich bestehen.«

»Ist schon recht«, antwortete Markus.

»Christiane ist meine Tochter…!«

»Wie bitte?« Markus starrte den Betreiber des ›Mozart‹ an, als sehe er ihn zum ersten Mal.

»Du hast schon recht gehört«, antwortete der, »Christiane Dehner ist meine Tochter.«

*

Lothar Genz hatte an dem Abend im Bergerhof versucht, mit Ulla zu flirten. Die war zuerst nicht darauf eingegangen, später dann um so mehr.

Genz war ganz in seinem Element gewesen. Er und ein junges Mädchen, das ihn offenbar anhimmelte und rundherum saß genug Publikum, das ihn deswegen bewunderte.

Längst duzte er Ulla und er hatte drauf bestanden, daß sie ihn auch duzte. Als sie kurz vor Mitternacht aufbrachen, konnte man durchaus das Gefühl haben, ein Liebespaar breche auf.

Schon am nächsten Tag wurde darüber geredet. Und Lucie, als sie mittags aus Hinterjoch vom Einkaufen nach Hause kam, brachte die Neuigkeit mit auf den Staudinger-Hof.

»Weißt du, was ich eben erfahren hab’?« fragte sie, als sie mit Kathi allein war.

Die schüttelte heftig den Kopf. »Woher soll ich das denn wissen?«

»Die Ulla war doch gestern abend aus«, begann die Lucie zu berichten.

Kathi nickte. »Sicher, das ist ja allgemein bekannt. Ich hab’ sie auch schon gefragt, wie’s gewesen ist.«

»Und? Was hat sie geantwortet?«

»Schön wär’s gewesen.«

»Sonst nix?«

Die alte Kathi schüttelte den Kopf. »Nein, sonst nix, was soll denn sonst gewesen sein?«

»Der Tierdoktor aus Immenstadt, der, mit dem sie ausgewesen ist…!«

»Was ist mit dem?«

»Die beiden verbindet mehr, als die Ulla bisher zugegeben hat«, antwortete die Lucie.

»Was soll das denn heißen?« Kathi sah die langjährige Magd des Staudinger-Hofs aufmerksam an.

»Das soll heißen«, antwortete die, »daß der Doktor und die Ulla gestern ganz verliebt miteinander waren.«

»Das glaubst du doch selbst net.« Die alte Kathi tippte sich gegen die Stirn. »Die Ulla ist ein junges und superadrettes Madel und der Genz ist ein… ein Typ, der meint, überall gut anzukommen und den ewig Jugendlichen spielt. Damit kann er wer weiß wo landen, aber doch net bei der Ulla.«

»Wieso bist du dir da so sicher?« wollte Lucie wissen.

»Weil ich ein bisserl Menschenkenntnis hab’«, antwortete Kathi.

»Aber der Genz ist bekannt dafür, daß er sehr gern mit ganz jungen Madeln was hat.«

»Die Ulla ist aber net bekannt dafür, daß sie auf jugendlich getrimmte Tierärzte steht.«

Im gleichen Moment kam Markus in die Küche. Den letzten Satz hatte er noch mitbekommen.

»Was ist mit Ulla und jugendlichen Tierärzten?« fragte er.

Bevor Kathi die Antwort gestalten konnte, sagte Lucie: »Ich war einkaufen und hab’ gehört, daß die Ulla und der Dr. Genz sich gestern abend im Bergerhof köstlich amüsiert haben. Wie ein richtiges Liebespaar wären s’ gewesen.«

Wer Markus Haber kannte, und seine Reaktion mitbekam, wußte, wie sehr ihn diese Nachricht traf.

»So?« Ganz kurz sprach er das so aus. »Die Ulla und der Genz? Damit mußt’ man ja rechnen, über kurz oder lang.«

Dann drehte er sich um und verließ die Küche, ohne das getan zu haben, was er hatte tun wollen.

»Was ist denn mit dem Markus los?« fragte Lucie. »So blaß hab’ ich den ja noch nie gesehen.«

»Weißt du das wirklich net?« Die alte Kathi sah die langjährige Magd des Staudinger-Hofs fragend an.

Die schüttelte den Kopf. »Nein, woher denn?«

Kathi atmete tief durch. »Was du eben gesagt hast, hat den Markus kräftig durchgeschüttelt.«

»Was ich gesagt hab’?« fragte Lucie. »Aber ich hab’ doch gar nix gesagt.«

»Du hast gesagt, daß das Madel, das der Markus gern hat, mit dem Genz schöngetan hätt’«, erwiderte die Kathi, »und das ist mehr als mancher Bursch’ vertragen kann.«

»Das Madel, das der Markus gern hat?« Lucie sah ratlos drein. »Aber dann würd’ er ja die Ulla gern haben.«

Da lächelte die Wimmer-Kathi. »Ist dir das vorher echt net klar gewesen…?«

*

Markus hatte gemeint, ihn trete ein Pferd, derart niederschmetternd war gewesen, was die Lucie über Ulla und diesen Genz gesagt hatte. Wie konnte sich ein Mädchen wie Ulla nur an einen Kerl wie diesen Genz hängen, da stimmte doch was nicht.

Ulla hatte Markus vom ersten Moment an begeistert. Ihre natürliche Art und ihr überaus angenehmes und freundliches Wesen hatte ihn voll für sie eingenommen. Darüber hinaus hatte sie was, was er sonst bei so jungen Frauen nie kennengelernt hatte: Ulla war sehr zielstrebig und sie war sich, was ihre Arbeit auf dem Hof betraf, für nichts zu schade.

Daß gerade sie einem Typen wie Genz auf den Leim ging, war im Grund genommen schrecklich und Markus war völlig kopf- und ratlos, wenn er nur daran dachte.

Als er dann Ulla zufällig über den Weg lief, strahlte die ihn an wie immer und stand gleich darauf wie benommen da, denn Markus war einfach an ihr vorüber gegangen, ohne einen Ton zu sagen, was bis dahin noch nie der Fall gewesen war.

Ulla sah Markus nach, wie der um die Hausecke verschwand und sie hatte keine Ahnung, was inzwischen passiert war. Denn daß was passiert war, lag auf der Hand, Markus’ Verhalten war sonst nicht zu erklären.

»Was ist mit Markus los?« fragte sie gleich darauf in der Küche, als sie dort Kathi und Lucie traf.

Den kurzen Blickwechsel der beiden bekam Ulla mit und nun wußte sie, daß wirklich was passiert war.

Kathi schüttelte jedoch den Kopf und fragte: »Was soll denn passiert sein?«

»Das frag’ ich dich«, erwiderte Ulla.

»Wieso meinst denn, daß was passiert wär’?« Lucie sah Ulla aufmerksam an.

»Na«, antwortete die, »wie Markus mich grad’ nicht hat sehen wollen und wie er dann verschwunden ist, ohne mich auch nur wahrzunehmen, vom Nicht-Grüß-Gott-Sagen mal ganz abgesehen, das war kein Zufall.«

Wieder wechselten Lucie und Kathi kurze, aber bedeutungsvolle Blicke und wieder blieb es Ulla nicht verborgen.

»Jetzt hört auf, euch wer weiß wie anzusehen«, sagte sie dann auch, »ich möcht’ wissen, was los ist.«

»Soll ich es sagen?« fragte Lucie schließlich.

Die alte Kathi atmete tief durch und nickte. »Jetzt kannst es ruhig erzählen, kaputtmachen kannst eh nix mehr.«

Ullas Herz schlug rascher, bevor Kathi das erste erklärende Wort losgeworden war.

»Der Markus hat mitbekommen, als die Lucie erzählt hat, daß du und Genz euch an dem Abend im Bergerhof anscheinend sehr gut verstanden habt«, sagte Kathi.

»Ihr sollt sehr verliebt miteinander getan haben«, fügte Lucie hinzu.

»Das ist doch alles ein totaler Schmarrn«, entgegnete Ulla, »nix, aber auch gar nix davon stimmt. Ich hab’ mit dem Genz nix, aber auch gar nix im Sinn.«

»Aber geduzt habt ihr euch«, begann Lucie aufzuzählen, »viel gelacht habt ihr miteinander, er hat öfter nach deiner Hand gegriffen, die du ihm dann auch immer überlassen hast und zum Schluß hat er dir auch noch ein Busserl gegeben.«

Ulla starrte die langjährige Magd des Staudinger-Hofs benommen an, sie wußte nichts darauf zu sagen.

»Das… das mag ja alles sein«, erwiderte sie, »aber es hat überhaupt nix zu bedeuten. Der Genz ist mir so gleichgültig wie… wie«, sie suchte nach einem ihr passenden Vergleich, »wie der Hahn auf dem Mist.«

»Jetzt redet mal net so durcheinander«, mischte sich die alte Kathi in das Gespräch ein, »aber es ist eh völlig wurscht, was war und was net war. Man stirbt net dran, wenn mal wer einen Blödsinn in die Welt setzt.«

»Und der Markus?« fragte Lucie.

»Dessen Reaktion ist nur wichtig, wenn es für die Ulla wichtig ist«, antwortete die Wimmer-Kathi. Dann sah sie das hübsche Mädchen an. »Ist für dich wichtig, was der Markus in dem Zusammenhang denkt? Ich meine, ist es wichtig, daß er net meint, daß du was mit dem Genz hast?«

Ulla schluckte. »Ich weiß net, was ich dazu sagen soll«, murmelte sie.

»Wenn dir gleich ist, was der Markus über dich und den Genz denkt«, sagte die Kathi, »dann brauchen wir nimmer weiterreden. Wenn dir aber dran gelegen ist, daß der Markus meint, dein Herz wär’ noch frei, dann sollt’ man überlegen, was zu tun ist, damit ihm das klar wird.«

*

»Übrigens, hast du mitbekommen, daß der Dr. Genz letztens mit der Ulla vom Staudinger-Hof bei uns war?« Heidi sah Luise fragend an.

Die nickte. »Ja, ich glaub’, die Gerti hat es mal zwischendurch erwähnt.«

»Daß die beiden offensichtlich verliebt ineinander waren«, erwiderte Heidi, »zumindest haben beide so getan, weißt du das auch?«

Luise hielt in ihrer Arbeit inne und schüttelte den Kopf. »Nein, das weiß ich net. Der Immenstädter Veterinär und die Ulla?« Luise schüttelte den Kopf. »Also, das paßt net zusammen, überhaupt net paßt das zusammen.«

»Und wieso net?«

»Hast denn du keine Augen im Kopf?« Luise tippte sich an die Stirn. »Die Ulla und der Genz…!«

»Und was paßt da net?«

»Alles paßt net«, erwiderte die Seniorchefin des Bergerhofs. »Sie ist ein Madel wie Blut und Honig und er ist ein schöntuender Galan. Man könnt’ zwar meinen, daß es paßt, es tut’s aber net.«

»Wieso eigentlich net? Sie wird Tierärztin, er ist es schon, und er ist ein Typ, der den Frauen gefällt.« Heidi lächelte ihre Schwiegermutter betont freundlich an.

Die lachte. »Du führst mich net hinters Licht. Du kannst den ewig braungebrannten Typen auch net leiden. Aber das macht gar nix. Wir befinden uns da in guter Gesellschaft.«

»Ach? Du hast also schon Umfragen gestartet? Wie gefällt Ihnen Dr. Genz, Tierarzt aus Immenstadt?«

Luise winkte ab. »Schmarrn. Aber alle, die ich befragt hab’, sehen den Genz net freundlich.«

»Na ja, ich will ihn net heiraten«, sagte Heidi, »und du sicher auch net. Also, was soll’s, wieso diskutieren wir überhaupt über ihn?«

»Du hast recht«, murmelte Luise, »außerdem geht es uns auch gar nix an…!«

*

Ulla hatte zuerst gar nicht verstanden, was Lucie und die alte Kathi von ihr gewollt hatten, doch im Lauf des Gesprächs war ihr sehr rasch bewußt geworden, daß es nicht um Lothar Genz, sondern um Markus Haber ging.

Wie hatte die Kathi gesagt? Wenn ihr, Ulla, gleich sei, was Markus über sie und Dr. Genz denke, dann müsse man nicht weiterreden. Doch wenn ihr nicht einerlei sei, ob Markus denke, ihr Herz sei noch frei, daß man sich dann Gedanken darüber machen müsse, wie dies zu erreichen sei.

War es ihr gleich, ob wer dachte, zwischen ihr und Lothar Genz habe sich was angebahnt? Normal hätte sie über diese Frage gelacht und wäre zur Tagesordnung übergegangen. Doch da die Frage lautete, ob ihr gleich sei, ob Markus denke, zwischen ihr und Genz habe sich was getan und tue sich noch was, ging sie nicht zur Tagesordnung über, sondern dachte seitdem genau über diese Frage nach. Und je länger sie darüber nachdachte, desto sicherer war sie in dem Urteil, daß es ihr nicht gleich war.

Plötzlich wußte Ulla, daß ihr Leben sich sehr bald entscheidend ändern würde. Sie würde bald Entscheidungen zu treffen haben, die möglicherweise unpopulär waren, und als ihr in den Sinn kam, wie es sein würde, wenn Markus sich um sie bemühen würde, da spürte sie plötzlich eine heiße Welle in sich aufsteigen und ihr Herz schlug viel rascher als vorher.

Dann stand Markus auf einmal bei ihr.

»Du, Ulla?«

»Ja?«

»Die Kalbin.«

»Was ist mit ihr?«

»Sie frißt nix mehr.«

»Seit wann?«

»Seit gestern.«

»Wo steht sie?«

»Ich hab’ sie in den Stall gebracht«, antwortete Markus, dann ging er vor in Richtung der Stallgebäude.

»Ihr Bauch ist aufgebläht«, sagte Ulla, als sie die rotbunte Kuh angesehen hatte. »Ich muß wissen, ob sie Temperatur hat.«

»Soll ich das Thermometer holen?« fragte Markus.

»Das kann ich schon selbst«, antwortete Ulla.

Ihr Praktikum bestand neben der Fütterung ganz besonders darin, auf den Gesundheitszustand der Tiere zu achten. Und mit der rotbunten Kalbin stimmte etwas nicht, das stand fest. Ulla glaubte an eine beginnende Kolik.

Das sagte sie auch zu Markus, als sie die Temperatur des Tieres geprüft hatte.

»Und was heißt das?« wollte Markus wissen.

»Ich muß Dr. Genz benachrichtigen«, antwortete Ulla.

»Wieso denn das?«

»Weil ich eine Kolik nicht selbständig behandeln darf.«

»Wer sagt das denn?«

»Die Praktikumsvorschriften«, antwortete Ulla, während sie zum Telefon griff.

Dann wählte sie die Nummer der Praxis, die sie im Kopf hatte, und ließ sich mit Dr. Genz verbinden.

Mit wenigen Worten beschrieb Ulla, was sie festgestellt hatte und bat ihn zu kommen. Sie hörte noch was er sagte und legte dann auf.

»Und?« Markus sah Ulla fragend an.

»Er kommt.«

»Wann?«

»Er ist sicher schon unterwegs«, antwortete Ulla.

Dann war es eine Weile still zwischen den beiden. Es herrschte eine spürbare Sprachlosigkeit, die deswegen so auffiel, weil dies sonst nie der Fall gewesen war. Sonst hatten sie immer miteinander geredet.

Dann räusperte sich Markus.

»Der Genz und du, seit wann duzt ihr euch?« fragte er, wobei er Ulla nicht aus den Augen ließ.

Die hatte einmal nicht mit der Frage gerechnet, zum anderen hatte sie sie nicht richtig verstanden, dementsprechend fiel ihre Antwort aus.

»Was machen Lothar und ich?« fragte sie. Als sie begriff, daß sie Blödsinn geredet hatte, war es zu spät.

Markus hatte sich auf dem Absatz umgedreht und war dabei den Stall zu verlassen.

Zuerst wollte Ulla ihm nachlaufen, dann rufen, doch sie ließ beides und widmete sich der rotbunten Kalbin, die apathisch in ihrer Box stand.

Eine halbe Stunde später war Dr. Genz da. Er ließ die Kalbin ins Freie bringen, den Stall hätte er sicher nicht betreten, und untersuchte sie kurz, dann nickte er.

»Es ist eine Kolik«, sagte er, dann verordnete er Medikamente und zum Schluß lächelte er Ulla freundlich an. »Das alles hier gefällt dir tatsächlich so gut, daß du mal eine Landtierarztpraxis eröffnen willst?«

Ulla nickte. »Ja, das möchte ich. Außerdem weiß ich nicht, wieso du ständig danach fragst. Du betreibst doch auch eine Landtierarztpraxis.«

Da lachte Lothar Genz.

»Ich betreibe eine Veterinärpraxis auf dem Land«, sagte er, »das ist was anderes als eine Landtierarztpraxis.«

»Aha, und wo ist der Unterschied?«

»Ich gehe in keine Ställe, ich behandle nur in meiner Praxis«, antwortete Genz. Er grinste. »Ich bin Hausarzt einiger Wellensittiche und Hunde, die nicht richtig leben können, weil sie viel zu wenig Auslauf haben.«

Ulla zog die Augenbrauen hoch und fragte: »Und was soll denn das hier?«

»Das ist eine Ausnahme«, antwortete Genz. »Ich bin da, weil ich dein Praktikum begleite…!«

»Das ist alles?« Ulla war maßlos enttäuscht.

»Na ja, ein bisserl mehr ist schon noch«, antwortete Lothar Genz.

»Und was ist das bisserl mehr?« fragte Ulla, wobei sie Genz aufmerksam ansah.

»Es könnte sein, daß ich mich in dich verliebt hab’«, antwortete er, »und bevor ich da nicht sicher bin, möchte ich dich auf keinen Fall alleine lassen…!«

*

Christiane Dehner war Adrians Tochter und sie studierte in London englische Literatur und Anglistik. Sie war mehrsprachig aufgewachsen, sprach perfekt vier Sprachen, konnte sich in weiteren Sprachen verständigen, galt als Sprachgenie und sie wollte unbedingt zur EU, um dort als Simultandolmetscherin zu arbeiten.

Christiane war hübsch, hatte Markus im vergangenen Sommer bei einem Musikfestival kennengelernt, und als sie sich in diesem Sommer zufällig erneut begegnet waren, lud er sie auf einen Kaffee ein.

Als Markus vorgeschlagen hatte, sich im ›Mozart‹ zu treffen, hatte Christiane den Kopf geschüttelt.

»Das muß nicht sein«, hatte sie gesagt, und keine weitere Erklärung abgegeben.

Den Kaffee hatten sie irgendwo getrunken, doch sie hatten sich dann erneut verabredet.

»Ich hab’ mir’s überlegt«, hatte Christiane gesagt, »wir werden uns doch im ›Mozart‹ treffen. Es ist ein so tolles Café, daß ich einfach nicht einsehe, auf einen Besuch dort verzichten zu sollen.« Daß Adrian ihr Vater war, davon hatte sie keinen Ton gesagt.

Christiane hatte dann die Augenbrauen hochgezogen, als sie erfahren hatte, was ihr Vater alles hatte wissen wollen.

»Ich hab’s geahnt«, hatte sie gesagt, »aber doch gehofft, daß er nicht so reagiert.«

Markus hatte Christiane klargemacht, daß Adrians Reaktion ganz normal gewesen sei.

»Väter von zwanzigjährigen Töchtern reagieren nun mal so oder ähnlich«, hatte Markus geantwortet.

»Vielleicht könnten wir uns ja mal in einem dieser schönen Berggasthöfe treffen«, hatte Christiane vorgeschlagen, »die haben wir in London nicht. Und ich möcht’ die Atmosphäre unbedingt kennenlernen.«

»Du bist nie in einem Berggasthof gewesen?« Fast ein wenig ungläubig hatte Markus das hübsche Mädchen angesehen.

Es hatte den Kopf geschüttelt und gelächelt.

Zwei Tage später betrat Markus mit Christiane den Bergerhof. Sie hatte sich bei ihm eingehakt und sie sahen aus wie ein frisch verliebtes Paar.

»Wenn du mal in die alte Gaststube gehen würdest«, sagte Heidi kurze Zeit später zu Luise, als sie einen Schwung Gläser und Teller in die Küche brachte.

»Was soll ich da?« wollte die Seniorchefin des Bergerhofs wissen.

»Darüber reden wir, wenn du nachgeschaut hast«, erwiderte Heidi.

»Auf was oder wen soll ich denn achten?«

»Dazu muß ich nix sagen, wenn du hineinschaust in die alte Gaststube, dann weißt du, weswegen du nachschauen sollst…!«

Luise wischte sich die Hände ab, und ging in Richtung alte Gaststube.

Als sie die Tür der alten Gaststube öffnete, und einen ersten Blick hineingetan hatte, wußte sie, was Heidi gemeint hatte. Markus Haber saß mit einem ausgesprochen hübschen Mädchen mit langen gelockten blonden Haaren, das eine Hand auf seinen blanken Unterarm gelegt hatte, da und schien sich köstlich zu amüsieren.

»Mar’ und Josef«, murmelte Luise, als sie zurück in Richtung Küche ging, »ist denn alles narrisch geworden?«

»Na?« Heidi sah ihre Schwiegermutter neugierig an.

»Wer ist das Madel?« fragte sie.

Heidi zuckte mit den Schultern. »Wenn ich das wüßt’. Ich hab’ keine Ahnung.«

»Ein ausgesprochen hübsches Madel«, murmelte Luise, der man trotzdem ansah, daß ihrer Ansicht nach irgendwas nicht gepaßt hatte.

»Und?« wollte Heidi wissen. »Was sagst du dazu?«

»Ich weiß net, wozu ich was sagen soll«, erwiderte Luise. »Aber irgendwie würd’ die Ulla besser zu ihm passen, oder?«

Heidi lachte. »Da schau her, du hast den gleichen Gedanken gehabt wie ich.«

»Das mag sein, hilft aber net weiter«, sagte Luise. »Irgendwie ist alles net so, wie es gescheiterweis’ sein könnt’. Die zwei da drinnen sehen zwar nett aus, passen aber wirklich net zusammen.«

Heidi lachte. »Ich versteh’ net, wie du auf einige Meter Entfernung sehen können willst, ob zwei Menschen zusammen passen oder net.«

Luise grinste. »Ich kann es dir net sagen. Ich weiß nur, daß ich meistens spür’, ob zwei zusammengehören oder net.«

»Und der Markus und das hübsche blonde Madel drinnen in der alten Gaststube die gehören net zueinander?« Heidi sah ihre Schwiegermutter fragend an.

Die schüttelte den Kopf. »Nein, tun sie nicht.«

»Und die Ulla und der Dr. Genz?«

»Die schon mal gar net«, antwortete Luise. »Und weißt du warum net? Obwohl beide Paare eine eigene Fröhlichkeit hatten, die einen durchaus schon mal blenden können, so hat beiden doch eines gefehlt.«

»Und was…?«

»Herzlichkeit«, antwortete Luise, »es fehlte ihnen an Wärme und Herzlichkeit…!«

*

»Wie geht’s der Kalbin?« Ulla sah Markus, der gerade in die Küche kam, fragend an.

Der nickte. »Ich schätz’ mal, sie hat’s gut überstanden.«

»Das würd’ mich freuen«, sagte Ulla, dann schien sie die Küche verlassen zu wollen.

»Magst einen Kaffee?« Die alte Kathi stand am Herd und goß dampfendes Wasser in einen Filter, der voller Kaffeepulver war und auf einer großen Kaffeetasse stand.

Ulla zögerte einen Moment, dann nickte sie. »Ja, danke, ich trink’ gerne einen Kaffee.«

»Wie lang geht deine Praktikantenzeit denn noch?« wollte die Kathi wissen.

»Noch einen knappen Monat«, antwortete Ulla.

»Und dann geht’s zurück nach München?« Die alte Kathi sah das hübsche Mädchen fragend an.

Das nickte. »Ja, dann geht’s zurück nach München.«

»Und wie lang’ mußt noch studieren bis zum Examen?«

»Anderthalb Jahr’«, antwortete Ulla.

»Und dann bist Tierärztin.« Die alte Kathi lächelte. »Womöglich auch noch Fräulein Doktor…?«

Ulla nickte. »Das kann schon gut sein.«

»Und dann machst eine Praxis auf?« Kathi schien sich für Ullas weiteres Leben sehr zu interessieren.

Die nickte. »Das würd’ ich schon gern.«

»Und wo?«

»Hier in der Gegend wär’ schon recht.«

»In einer Stadt oder lieber ganz auf dem Land?«

»Ganz auf dem Land wär’ der Hit«, antwortete Ulla. »Aber das ist net so einfach.«

»Und warum net?« fragte die alte Kathi.

»Oft scheitert es an den Räumlichkeiten«, sagte Ulla. »Oft wird einem ein Riesenbauernhof angeboten. Da mußt erst mal mit der nötigen Renovierung eine Million oder mehr investieren. Soviel hat doch keiner, der grad’ von der Uni kommt.«

»Und wenn es ein kleineres Häuserl wär’«, fragte die Kathi, »wie wär’s damit? So wie meines zum Beispiel.«

»Dein Haus wär’, auch von der Lage her, absolut super«, antwortete Ulla. »Es wär’ leicht groß genug. Und es hätt’ ein bissel Platz drumherum und es läg am Ortsrand eines kleinen Ortes, man müßt’ mich also net lang’ suchen.«

Markus war die ganze Zeit still am Fenster gestanden und hatte mehr oder weniger unbeteiligt zugehört. Jetzt zog er die Augenbrauen zusammen und sah die Kathi an.

»Du könntest das Häusl haben«, sagte die in Richtung Ulla. »Jedenfalls unter gewissen Bedingungen.«

Ulla war blaß geworden. Sie sah die alte Kathi an, schien nicht glauben zu können, was die gesagt hatte.

»Das… das kann doch net sein«, murmelte sie schließlich, »du kannst mir doch dein Haus net anbieten. Du mußt doch auch irgendwo unterkommen.«

»Ich sagte unter gewissen Bedingungen«, erwiderte die alte Kathi. »Darüber können wir, wenn du denn deinen Plan beibehalten würdest, zu gegebener Zeit reden. Ich hab’ mir nur gedacht, daß du es wissen solltest.«

Dann hörte man die Küchentür ins Schloß fallen; Markus hatte die Küche verlassen, ohne auch nur ein Wort zu der Sache gesagt zu haben.

*

Dr. Genz kam am Nachmittag auf den Staudinger-Hof. Allerdings nicht um nach irgendeinem Vieh oder der Kalbin zu schauen, sondern um Ulla abzuholen, er war der Ansicht, mit ihr verabredet zu sein.

Genz war auffallend schick gekleidet.

»Ich wollt’ mit dir nach Kempten ins ›Burgunder‹«, sagte er mit vorwurfsvoll klingender Stimme, »und jetzt willst du nichts von unserer Verabredung wissen?«

Ulla schüttelte den Kopf. »Erstens sind wir net miteinander verabredet und zweitens hab’ ich auch keine Lust, mit dir auszugehen.«

Lothar Genz zuckte zusammen. Daß ihm diese Antwort nicht gefiel, war nicht zu übersehen.

»Daß wir möglicherweise nicht verabredet sind, gut, da kann man drüber reden«, erwiderte er schließlich, »aber daß du so ohne weiteres sagst, keine Lust zu haben, das ist weniger schön, das heißt, ich verstehe es nicht.«

»Dann mußt du es verstehen lernen«, entgegnete Ulla, die nun recht zugeknöpft wirkte.

»Warum bist du so abweisend?« fragte Genz, der nach wie vor darauf setzte, daß ein junges Mädchen wie Ulla Wallner ganz hin und weg zu sein hatte, wenn er es einlud.

»Ich bin nicht abweisend«, erwiderte Ulla, »ich möcht’ nur nicht, daß du auf die Idee kommen könntest, daß ich zu tun und zu lassen habe, was du gerade möchtest.«

»Aber…!«

»Wenn du versuchen solltest, mich zu überreden, dann kannst du dir den Aufwand sparen«, entgegnete Ulla. Dann sah sie auf die Uhr. »Ich muß jetzt eh weg, weil ich mich mit jemandem treffen möchte.«

Lothar Genz zog die Augenbrauen hoch. »Du hast also schon eine Verabredung?«

Ulla zögerte einen Augenblick, dann nickte sie. »Ja, man könnte es so nennen.«

»Mit wem bist du verabredet?«

»Ich glaube nicht, daß dich das was angeht.« Ullas Miene wirkte plötzlich sehr abweisend.

Genz war zuerst verunsichert. Er trat von einem Bein aufs andere, dann wirkte seine Miene plötzlich hochmütig und er sah von oben herab auf Ulla herunter.

»Ich erwarte morgen einen Zwischenbericht deiner bisherigen Tätigkeit«, sagte er, »und ich wünsche, daß du ihn mir schriftlich vorlegst.«

»Das kannst du vergessen«, antwortete Ulla ohne zu zögern.

»Du weigerst dich…?«

Ulla nickte. »Ja, das tue ich.«

»Das wird Folgen haben«, sagte Lothar Genz, »dessen bist du dir doch sicher bewußt.«

»Nein, es ist mir nicht bewußt«, erwiderte Ulla, »und ich habe bisher auch jede Überlegung an dein bisher gezeigtes Verhalten weit von mir gewiesen, aber ich muß offensichtlich umdenken.«

»Was soll das denn heißen?«

»Das soll heißen, daß ich von verschiedenen Seiten auf deine Art angesprochen worden bin«, antwortete Ulla. »Um es zu präzisieren, man hat mich vor dir gewarnt.«

Dr. Genz zog die Augenbrauen zusammen. »Was diese Hinterwäldler hier von sich geben, interessiert mich nicht im geringsten. Mit Dummköpfen paktiere ich nicht, das heißt, ich respektiere sie nicht.«

Ulla lächelte. »Du mußt dich sehr unwohl in deiner stets sonnengebräunten Haut fühlen, sonst würdest nicht so reagieren. Du bist nicht selbstbewußt, ganz im Gegenteil, du bist im Grund genommen der unsicherste Mensch, der mir je begegnet ist.«

Man erkannte unter Genz’ Bräune, wie er zuerst blaß und dann knallrot wurde.

»Dich werde ich fertig machen«, zischte er. »Du kannst deine Hoffnungen auf eine Tierarztpraxis auf dem Land jetzt schon drangeben. Wenn du heute mit deinem… deinem Holladrio«, er zeigte mit einer Kopfbewegung in Richtung Haus, »ausgehst, könnt ihr eure Pläne erst mal ad acta legen.«

»Kannst du eigentlich nur drohen?« fragte Ulla. »Besteht deine selbstsichere Art nur aus Drohgebärden? Was macht den Menschen Lothar Genz eigentlich aus? Hast du dich das schon mal gefragt? Die Antwort würde mich interessieren…!«

*

Markus hatte zufällig mitbekommen, daß der Immenstädter Tierarzt auf den Hof gefahren war. Er hatte sich schon umdrehen und seiner Arbeit nachgehen wollen, doch dann sah er, daß Genz ausgehmäßig gekleidet war, offensichtlich wollte er Ulla abholen.

Doch die schien nicht mitgehen zu wollen, im Gegenteil, wenn er richtig deutete, was er sah, dann wies sie Genz ab.

Jetzt stellte sich Markus ans Fenster und sah hinaus. Daß sich ein Disput entwickelte, war nicht zu übersehen und daß der Immenstädter Tierarzt ziemlich zornig war, bekam Markus auch

mit.

Er grinste, denn es tat ihm gut, daß der sonst stets so selbstherrlich auftretende Genz auch mal einen Korb bekam.

Schließlich setzte der sich in seinen Wagen und fuhr davon, daß die Reifen durchdrehten.

Markus zögerte. Er hatte eigentlich nach Sonthofen fahren wollen, um Salzlecksteine und Futtermittel zu holen. Aber das hatte Zeit, beziehungsweise er würde Ulla fragen, ob sie mit ihm fahren würde.

»Ich wollt’ jetzt nach Sonthofen«, sagte er, als er bei ihr im Stall war, wo sie sich die neugeborenen Kälbchen ansah.

Ulla sah auf. »Und…?«

»Ich wollt’ dich fragen, ob du vielleicht mit willst«, erwiderte Markus.

Ulla schüttelte den Kopf. »Nein, möcht’ ich nicht.«

Die Absage schüttelte Markus erst mal durch.

»Aber du hast den Genz doch weggeschickt«, sagte er.

»Ja und?« Ulla sah ihn unter zusammengezogenen Augenbrauen an. »Heißt das, daß ich dann mit dir losziehen muß?«

Markus zuckte zusammen und schüttelte den Kopf. »Entschuldige bitte, das heißt es natürlich nicht. Aber ich dachte…!«

»Dann hast halt falsch gedacht«, entgegnete Ulla, die sich dann wieder den Kälbchen widmete.

Ohne weiteren Kommentar verließ Markus den Stall. Draußen setzte er sich in seinen Wagen und fuhr davon, genauso wie kurz vorher Dr. Genz, mit durchdrehenden Rädern.

Ulla saß im Stall auf einem Melkschemel und streichelte ein Kälbchen. Dabei liefen ihr Tränen übers Gesicht. Daß die Männer in gewisser Hinsicht alle gleich waren, war ihr eben zum ersten Mal so richtig aufgefallen.

Jeder hielt alleine sich für wichtig. Daß ein Mädchen wie sie auch eigene Wünsche und Pläne hatte, schienen sie gar nicht zu verstehen.

Der eine kam und behauptete, mit ihr verabredet zu sein, und als das nicht zog, begann er zu drohen. Verlangte eine schriftliche Praktikumsarbeit, die für Ende des Praktikums vorgesehen war und an der Uni vorgelegt werden mußte, nicht bei dem das Praktikum begleitenden Tierarztes.

Daß Genz so reagiert hatte, hatte sie zwar auch betroffen gemacht, aber irgendwie hatte sie damit gerechnet. Doch daß Markus gleich hinterher gekommen war, daß hatte sie mehr als geärgert. Er mußte mitbekommen haben, daß sie Genz eine Abfuhr erteilt hatte und hatte dann angenommen, daß sie nur auf ihn warte. Wie konnte ein junger Bursche nur so unsensibel sein, und so wenig auf ein Madel eingehen?

In dem Moment wünschte Ulla sich ganz weit weg. Am liebsten wäre sie in München auf ihrer Studentenbude gewesen und hätte sich in sich selbst zurückgezogen.

Ulla sah auf die Uhr. In spätestens drei Stunden konnte sie dort sein. Es war Freitag und sie konnte ein freies Wochenende nehmen. Darauf hatte sie Anspruch und sie hätte es längst nehmen können, was sie jedoch nicht getan hatte.

Binnen Sekunden entschloß sie sich, das Wochenende in München zu verbringen. Sie ging in das oberste Stockwerk, wo ihr Zimmer war, packte eine Reisetasche mit dem Nötigsten, dann ging sie nach unten, stellte die Tasche vor der Küchentür ab und betrat die Küche.

Lucie stand am Herd und Kathi saß am Tisch, beide sahen sie erwartungsvoll an.

»Du hast den Doktor weggeschickt?« fragte sie.

Ulla nickte. Nur nicht auf weitere Diskussionen einlassen.

»Ja, ich fahr’ nach München«, sagte sie, »am Sonntag, vielleicht aber auch erst am Montag komm’ ich zurück.«

»Du willst weg?« In Kathis Gesicht stand das blanke Entsetzen. »Aber, Kind…!«

»Ich muß mal raus«, erwiderte Ulla, der plötzlich Tränen über das Gesicht liefen.

»Herrschaftseiten, Madel«, murmelte die alte Kathi, »was ist denn los?«

»Ich muß dringend weg«, schluchzte Ulla, »es wächst mir alles über den Kopf. Zuerst der Genz in seiner dummen und arroganten Art und dann auch noch der Markus…!«

»Der Markus…?« Kathi sah das hübsche Mädchen aufmerksam an.

Doch Ulla ging auf die Frage nicht mehr ein, wünschte ein schönes Wochenende und hatte gleich darauf die Küche verlassen.

»Was hatte das denn zu bedeuten?« wollte Lucie wissen, »verstehst du das?«

Die alte Kathi nickte lächelnd. »Ja, das versteh’ ich.«

»Und was verstehst du?«

»Daß die Ulla verliebt ist«, antwortete Kathi, »es sich aber nicht eingestehen will.«

»Verliebt soll sie sein?« Lucie sah skeptisch drein. »In wen denn?«

»Da kannst dir mal Gedanken drüber machen«, erwiderte Kathi, »und wenn du zu einem Ergebnis gekommen bist, dann können wir mal darüber reden.«

*

»Was bist du?« Adrians Tochter Christiane starrte Markus erschrocken an. »Verliebt? Hoffentlich nicht in mich.«

Markus schüttelte den Kopf, dann grinste er. »Nein, das hab’ ich noch grad’ soeben verhindern können.« Dann wurde er ernst. »Spaß beiseite. Verliebt bin ich schon, aber nicht in dich.«

»Und?« fragte Christiane. »Willst du dich mit mir ein bisserl über deine Liebe unterhalten? Dann müßte ich das Madel kennen. Kenn’ ich sie?«

»Ich glaub’ nicht.« Markus zuckte mit den Schultern. »Aber es ist eh wurscht.«

»Wieso? Du klingst plötzlich so rat- und kraftlos. Ich hab’ dich ganz anders eingeschätzt. Frauen mögen keine Verlierer, deswegen weg aus der weinerlichen Ecke.«

Markus sah Christiane eine Weile an. »Hast du eigentlich einen Burschen?«

Christiane wiegelte den Kopf. »Mal ja, mal nein. Ganz, wie es mir grad’ in den Kopf paßt.«

»Heißt das, daß deine Freunde häufig wechseln?« Markus verzog ein wenig das Gesicht.

Christiane lachte. »Nein, das heißt es nicht.«

»Was heißt es dann?«

»Daß Stephen und ich uns mal leidenschaftlich lieben und dann wieder ebenso leidenschaftlich hassen…!« Christiane strahlte Markus an. »Aber das macht nichts. Ich weiß, daß vieles eh nur Staffage ist. Ich bin mit dem was ich habe, sehr zufrieden.«

»Aber nicht glücklich?« wollte Markus wissen.

»Oje, glücklich?« Christiane zuckte mit den Schultern. »Mein Glücklichsein heb’ ich mir für die ganz große Liebe auf. Für die Liebe, die nichts erschüttern kann. Für die Liebe, die immerfort währt und die trotzdem nie langweilig ist.«

Markus lächelte. »Du bist ein ausgesprochen nettes Madel. Wieso lebst du eigentlich ganzjährig in London?«

»Weil meine Mutter dort wohnt«, antwortete Christiane, »sie ist Britin. Stammt aus einer angesehenen Offiziersfamilie, die in Indien gedient hat.«

»Und Adrian?« wollte Markus wissen. »Wie paßt der in die Geschichte?«

»Oje«, Christiane lachte, »das weiß ich auch nicht so genau. Meine Mutter hat mal versucht, es mir zu erklären. Es ist ihr nicht gelungen. Adrian war damals gerade alleine, das heißt, seine damalige Gefährtin hatte ihn wenige Tage oder Wochen vorher verlassen. Da ist er meiner Mutter begegnet. Und er hat einen so unendlich traurigen Eindruck gemacht, daß… nun ja, das Ergebnis der damaligen Nacht sitzt vor dir.«

»Du bist ein außergewöhnliches Mädchen«, sagte Markus.

Christiane strahlte. »Ich weiß, ganz und gar außergewöhnlich.«

Markus lachte. »Würdest du mir helfen?«

»Wobei?«

»Ich möchte einem Mädchen klarmachen, daß ich in sie verliebt bin. Hab’ aber keine Ahnung, wie ich es anstellen soll.«

»Du willst sie eifersüchtig machen?« Christiane lächelte. »Das ist meine Paraderolle.«

»Was…?«

»Die Liebhaberin, die im entscheidenden Moment das falsche Stichwort gibt, spiele ich perfekt.«

»Was heißt das?« Markus sah Adrians Tochter fragend an.

Die lächelte schelmisch. »Ich kann andere Mädchen und Frauen rasend vor Eifersucht machen. Irgendwie hab’ ich was an mir, daß alles sehr echt wirkt.«

»Dann hast du schon öfter die Rolle der Liebhaberin gespielt?« Markus schien es nicht glauben zu können.

Christiane schüttelte ihre blonde Mähne zurecht.

»Ja, das hab’ ich«, antwortete sie dann. »Und ich hab’ mir immer gut gefallen. Wer ist dieses Mädchen, derentwegen du dir so viele Gedanken machst.«

»Sie heißt Ulla.«

»Aha.«

»Sie studiert Tiermedizin und macht gerade auf dem Staudinger-Hof ein Praktikum.«

»Und da hast du dich einfach so in sie verliebt?« Christiane lächelte. »Ist sie hübsch?«

»Sie ist superhübsch«, begann Markus zu schwärmen, »ihr Lächeln ist einfach umwerfend und wenn sie mich anschaut, dann bin ich total weg.«

»Und das weiß sie nicht? Eine Frau spürt, wenn sie geliebt wird.«

»Sie spürt es sicher, aber sie ist ein sehr selbstbewußtes Madel, mit vielen Ecken und Kanten.«

»Und so ein Madel liebst du?« Christiane lachte. »Charakterlich bedeuten Ecken und Kanten eher Trubel. Wieso machst du es dir so schwer und willst ein Madel mit Ecken und Kanten?«

»Ich hab’ es mir nicht ausgesucht«, erwiderte Markus, der plötzlich sehr ernst wirkte, »du weißt doch, daß man sagt, wo die Liebe hinfällt.«

Christiane lächelte, stand auf und küßte den erstaunt dreinschauenden Markus auf beide Wangen.

»Du bist süß«, sagte sie dann. »Wie können wir arrangieren, daß wir dein Mädchen treffen?«

»Noch ist sie nicht mein Mädchen«, erwiderte Markus. »Vielleicht treffen wir uns ganz zufällig hier im ›Mozart‹?«

»Das wäre nicht schlecht«, antwortete Christiane, »muß ich noch was wissen?«

»Der sie hier betreuende Tierarzt«, sagte Markus.

»Was ist mit ihm?«

»Er ist ein Selbstdarsteller, einer, der sich immer im Vordergrund sieht. Und er steht auf junge, hübsche Mädchen und…!«

»… er hat sich in Ulla verschaut, oder?« Christiane schlug sich vor Vergnügen auf beide Schenkel. »Ich mag solche Spielchen, wann treffen wir uns im ›Mozart‹?«

»Das muß ich erst noch sehen«, antwortete Markus. »Ich werde dich anrufen.«

»Ich freue mich«, sagte Adrians Tochter, strahlte dabei und küßte Markus vor lauter Übermut noch mal auf beide Wangen, dann entschuldigte sie sich und ging.

Im gleichen Augenblick stand Adrian am Tisch.

»Wenn ich dich nicht als anständigen Burschen kennen würde«, sagte er, »dann wär’ ich mir jetzt hundertprozentig sicher, daß du meine Tochter anmachen würdest. Bist du der anständige Kerl, als den ich dich ansehe?«

Markus lächelte. »Was meinst du denn?«

»Ich glaub’ eigentlich schon«, antwortete der Betreiber des ›Mozart‹.

»Aber?« Markus grinste. »Ein bisserl Restunsicherheit ist doch da, oder?«

»So ist es«, antwortete Adrian.

»Damit muß der Vater einer Tochter wie Christiane leben«, erwiderte Markus, »das ist das Wenigste…!«

*

Lothar Genz wunderte sich. Als er aus der Praxis kam, kam ihm ein blondes Mädchen entgegen und fragte nach ihm.

»Dr. Genz ist der Tierarzt hier«, sagte sie.

»Ich bin Dr. Genz«, antwortete Lothar.

»Oh…!« Das blonde Mädchen wirkte einen Moment verunsichert, was ihr sehr gut stand und was Genz sofort positiv auffiel.

»Kann ich Ihnen irgendwie behilflich sein?« fragte er.

»Ich weiß nicht«, antwortete das blonde Mädchen, das sich jetzt mit den Händen so durch die gelockten Haare fuhr, daß Genz ganz verzückt war.

»Um was geht es denn?« fragte er, »was wollten Sie von mir, als Sie eben auf dem Weg in meine Praxis waren.«

»Ich bin auf Urlaub da«, sagte Christiane, denn sie war das blonde Mädchen, »und meine Tante hat einen Hund, der hechelt ständig und er hat öfter Schluckauf.«

»Ist er fett?« fragte Genz.

Christiane nickte. »Sehr fett.«

»Der Hund bewegt sich wenig?«

»Gar nicht«, antwortete Christiane, »meine Tante muß ihn nach draußen tragen und…!«

Genz lachte. »Entziehen Sie ihm das Fressen, achten Sie darauf, daß, wenn er was zu fressen bekommt, das Richtige frißt und verbieten Sie Ihrer Tante, den Hund weiter zu mästen.«

»Das ist alles?« Christiane sah Genz fragend an.

»Dann sorgen Sie für ausreichend Bewegung und nach vier Wochen haben Sie einen Vierbeiner, den Sie nicht wiedererkennen.« Genz lächelte selbstbewußt.

»Oje«, murmelte Christiane, wobei sie Genz bewundernd ansah, »lieber Doktor, wie kann ich Ihnen nur danken?«

»Indem Sie eine Einladung meinerseits annehmen würden«, antwortete Genz.

»Eine Einladung…?«

Genz nickte. »Ja, zuerst zum Essen und dann…!«

»… und dann noch in dieses tolle Café… wie heißt es noch?«

»Sie meinen sicher das ›Mozart‹.« Genz sah weniger begeistert drein.

»Genau das meine ich«, antwortete Christiane jedoch.

»Wenn Ihnen danach ist«, erwiderte Genz, »dann können wir nach dem Essen auch ins ›Mozart‹ gehen.«

»Oja…!« Christiane verdrehte gekonnt die Augen, es hätte nicht viel gefehlt und sie wäre Genz um den Hals gefallen.

»Heißt das, daß Sie die Einladung annehmen?« wollte der wissen.

»Aber ja doch«, antwortete Christiane, »natürlich nehme ich die Einladung an. Wann wollen Sie mich denn ausführen? Vielleicht heute noch?«

»Wäre das denn möglich?« erwiderte Lothar Genz.

»Von mir aus schon, lieber Doktor«, antwortete Christiane. »Sie müssen sagen, ob es Ihnen möglich ist.«

Lothar Genz sah auf die Uhr, dann musterte er Christiane. »Sagen wir um neunzehn Uhr. Da ist noch Zeit genug, sich ein bisserl herzurichten.«

»Machen Sie sich mal keine Gedanken, Doktor«, sagte sie, »ich bin dann schon schick.«

Genz lächelte. »Sie sind in jedem Aufzug schick. Also, um sieben dann. Und wo treff’ ich Sie?«

»Wo wollen wir denn essen?«

»In Kempten«, antwortete Dr. Genz.

»Dann bin ich um sieben bei Ihnen zu Hause«, antwortete Christiane, »das heißt, wenn es Ihnen nichts ausmacht.«

»Aber nein«, antwortete Genz, »im Gegenteil, ich freue mich. Also um sieben bei mir zu Haus’. Wissen S’ denn überhaupt, wo ich zu Haus’ bin?«

Christiane schüttelte den Kopf. »Das werden Sie mir sicher gleich sagen…!«

Lothar Genz beschrieb den Weg zu seinem Haus, dann verabschiedete er sich von Christiane mit einem Handkuß und der Bemerkung, daß derart zufällige Begegnungen wie die ihre halt immer noch am gescheitesten sei.

*

Je näher Ulla München kam, desto weiter entfernte sie sich vom Allgäu und desto dummer kam ihr der Gedanke vor, nach München zu fahren und dort das Wochenende zu verbringen.

Sie war eine Dreiviertelstunde unterwegs, da fuhr sie erst an den Straßenrand, überlegte einen Moment, drehte dann den Wagen und fuhr zurück. Die Idee, nach München zu fahren, fand sie inzwischen total albern und dumm.

Man konnte seinem Schicksal nicht ausweichen, das wußte sie, und man durfte den Kopf auf keinen Fall in den Sand stecken. Wenn man mitgestalten wollte, dann mußte man aktiv und rege sein.

Sie wußte, daß sie zumindest dabei war, sich in Markus zu verlieben. Da es jedoch schon immer sehr schwer für sie gewesen war, sich zu verlieben, wußte sie, daß, wollte sie Markus zumindest näher kennenlernen, sie was dafür tun mußte.

Zu dem Schwertun mit dem Verliebtsein gehörte auch ihre Überreaktion, als sie so barsch und verletzt reagiert hatte, als Markus nach Genz’ Wegfahrt hatte wissen wollen, ob sie mit ihm nach Sonthofen fahre?

Markus hatte es sicher sehr nett gemeint, und sie hatte, weil sie von der Unterhaltung mit Genz noch übersensibel gewesen war, und weil sie von Markus was anderes erwartet hatte, vor allem aber, weil sie spürte, daß er ihr ganz und gar nicht gleichgültig war, total überreagiert.

Als sie nach Immenstadt kam, atmete sie tief durch und als sie nicht viel später ihren Wagen auf dem Hof des Staudingerschen Anwesens abstellte, fühlte sie sich wohler.

»Ist was passiert?« Die alte Kathi sah Ulla ein wenig ängstlich an.

Die schüttelte den Kopf. »Nein, es ist nichts passiert. Aber ich hab’ keine Lust mehr auf München. Weißt du wo Markus ist?«

Die Kathi hatte die Frage befürchtet. Denn Markus hatte, als sie ihm sagte, daß Ulla nach München sei, davon geredet, mit einem Madel namens Christiane in dieses Oberstdorfer Café zu wollen.

»Er ist weg«, antwortete die alte Kathi.

»Weißt du auch wohin?« Ulla sah die Kathi fragend an.

Nach kurzem Zögern nickte die. »Ja, nach Oberstdorf. Er wollt’ in dieses Café.«

»Ins ›Mozart‹?«

»Genau, so heißt es.«

Ulla bedankte sich, brachte ihre Tasche nach oben in ihr Zimmer, machte sich noch mal kurz frisch und ging zurück nach unten, wo die Kathi auf sie wartete.

»Magst was zu essen?« fragte sie.

Ulla schüttelte den Kopf. »Nein danke. Ich weiß nicht, wann ich zurückkomme.« Dann lächelte sie die besorgt dreinschauende Kathi an und drückte sie kurz an sich. »Mach dir keine Gedanken, mir geht’s gut.«

Kurz darauf war sie unterwegs nach Oberstdorf. Sie mußte den Wagen auf einem weiter entfernten Parkplatz abstellen, weil die Innenstadt Oberstdorfs wieder mal vollkommen zu war.

Daß das ›Mozart‹ an dem Abend brechend voll war, sah sie schon von weitem. Daß es voll war, war gut, denn an dem Abend brauchte sie Trubel, zum Trübsal blasen war sie nicht zurückgefahren. Wenn irgend möglich, wollte sie mit Markus reden. Sie wollte ihm wenigstens zu verstehen geben, daß sie ihn nicht ablehnte, alles Weitere würde man dann sehen.

Als sie das ›Mozart‹ betrat, dröhnte ihr zuerst die Musik ins Ohr, dann das hier übliche Gemurmel. Das ›Mozart‹ war ein Café, wo vor allem miteinander gequatscht wurde.

Dann rührte sie fast der Schlag. Gar nicht weit weg saß ein ausnehmend hübsches Mädchen an einem Tisch mit Genz und Markus, der jedoch ziemlich desinteressiert dreinsah und nun auch auf die Uhr schaue.

Ihrem ersten Drang, das ›Mozart‹ wieder zu verlassen, widerstand sie. Dann wurde der Wunsch, ganz gelassen an den Tisch der drei zu gehen und sich zu ihnen zu setzen, immer größer. Schließlich schlenderte sie in die Richtung.

Keiner der drei sah sie kommen, bis sie am Tisch stand, zuerst Markus und die Blonde, schließlich Genz unter hochmütig heraufgezogenen Augenbrauen ansah und fragte, ob er ihr keinen Stuhl besorgen wolle?

Genz stand auf, ging zum Nachbartisch, fragte, ob ein Stuhl frei sei, nahm ihn und stellte den Stuhl so, daß Ulla neben ihm zu sitzen kam.

»Wolltest du nicht nach München?« fragte Markus. »Die Kathi hat so was gesagt.«

»Ich hab’s abgeblasen«, antwortete Ulla, dann lächelte sie, sah der Reihe nach Markus, Christiane und Genz an und fragte: »Wer gehört zu wem?«

Genz reagierte hektisch, zündete sich eine Zigarette an, was komisch wirkte, denn Ulla hatte ihn nie rauchen sehen.

Christiane lächelte in die Runde und fragte: »Wer mag denn was zu trinken? Ich hol’ noch mal was.«

Da es im ›Mozart‹ durchaus üblich war, die Getränke an der Theke abzuholen, nahm sie die leeren Gläser und wollte wissen, ob sie noch mal das gleiche bringen solle?

Als alle nickten sah sie Ulla an. »Und du?«

»Gin mit Tonic«, antwortete die angehende Tierärztin.

Als Christiane weg war, sah Genz Ulla an und fragte grinsend: »Hast du soviel Zeit? Ich mein’, du müßtest dich um den von mir geforderten Bericht kümmern, oder?«

Ulla lachte kurz auf. »Fordern, das war das Stichwort. Du forderst, bietest aber nichts. Ich werde auf jeden Fall Professor Naunheim in Kenntnis setzen. Er betreut die Praktika und er wird wissen wollen, wie deine Betreuung war. Ich werde ihm von einem Herrn Doktor erzählen, der meint, seine Position richtig ausnutzen zu können. Nur daß du da bei mir auf dem Holzpfad bist.«

Christiane war inzwischen mit den Getränken gekommen und hatte sie auf den Tisch gestellt. Die inzwischen herrschende Spannung blieb ihr nicht verborgen.

»Du bist seine Assistentin?« fragte sie, während sie Ulla anlächelte.

Lothar Genz setzte eine überaus wichtige Miene auf.

»Fräulein Dehner möchte mal Tierärztin werden«, sagte er mit sehr gestelzt klingenden Worten, »das dauert noch mindestens anderthalb Jahre. Bis dahin darf sie nicht praktizieren. Sie kann also auch nicht meine Assistentin sein.«

Ulla lachte. »Wenn ich deine Assistentin sein müßte, um Tierärztin zu werden, würde ich dieses Lebensziel auf der Stelle aufgeben und würd’ dem Herrgott danken, daß er den Krug an mir hat vorübergehen lassen. Denn nichts kann die Zeit ersetzen, die ich mit dir zubringen müßte.«

Lothar Genz wurde kreidebleich. Auch unter seiner gebräunten Haut war dies zu sehen.

Christiane starrte Ulla an, als habe sie noch nie ein Mädchen ihrer Art gesehen. Dann sah sie Lothar Genz an.

»Uiiii…«, murmelte sie schließlich, »das hat gesessen. Ich würde sagen, bei deiner zukünftigen Kollegin hast du keine guten Karten.«

Dr. Genz hatte sich noch immer nicht wieder gefangen. Niemals zuvor war ihm wer auf solche respektlose Art begegnet. Daß gerade Ulla dies tat, machte die Sache wirklich noch viel schlimmer.

Er stand mit einer heftigen Bewegung auf, daß der Tisch kippte und alle Gläser umfielen.

»Holla«, murmelte Markus, der dem Disput schweigend zugehört hatte, »jetzt mal langsam, Doktor.«

»Für Sie, Herr Haber, immer noch Herr Doktor…!« Genz war außer sich.

»Mir hat mal wer erklärt, daß man davon ausgehen könne, daß ein Doktor sozusagen automatisch auch ein Herr sei«, erwiderte Markus ganz ruhig, »aber wenn Sie anderer Ansicht sind, Herr Genz… bitte, dann spreche ich Sie auch wieder mit Herr Doktor an…!«

*

Lothar Genz hatte das ›Mozart‹ verlassen, ohne sich umzusehen und ohne zu zahlen. Adrian winkte ab und meinte, auf solche Gäste könne er leicht verzichten.

Christiane hakte sich bei ihm ein und küßte ihn dann spontan auf die Wange.

Ulla machte große Augen, denn sie wußte nicht, daß Christiane Adrians Tochter war.

Der gefiel die Situation. Sie sah Markus an und fragte: »Hast du Lust, heute noch was loszumachen? Irgendwo, wir könnten zum Beispiel nach Kempten fahren.«

»Ihr könntet es aber auch sein lassen«, erwiderte Adrian.

Da küßte Christiane Markus auf die Wange, wobei sie jedoch ihren Vater ansah.

»Kommst du, Markus?« fragte sie, griff nach dessen Hand und zog ihn mit sich fort, obwohl der Ulla ansah und am liebsten geblieben wäre, das war nicht zu übersehen.

Ulla blieb ganz ruhig und bestellte einen Cappuccino. Sie blieb jedoch an der Theke stehen und als Adrian wieder zu ihr kam, was einige Zeit in Anspruch nahm, fragte sie: »Wer war eigentlich diese blonde Superschönheit?«

»Du findest Christiane schön?« Adrian war stolz wie Oskar.

Ulla nickte. »Christiane heißt sie also. Hübsch ist sie, das muß man neidlos anerkennen.«

Als Adrian nicht antwortete, zuckte sie mit den Schultern.

»Auch gut.« Dann wollte sie zahlen.

Adrian winkte ab. »Laß mal, ist schon in Ordnung. Und sei mir net bös’, daß ich wegen Christiane eben gezögert hab’. Aber seine eigene Tochter mißt man halt immer mit anderen Maßstäben, da kannst sicher sein.«

»Wie bitte?« Ulla meinte sich verhört zu haben. »Dieses hübsche blonde Madel ist deine Tochter?«

Adrian nickte. »Ja, das ist sie. Schade ist, daß sie nicht so oft bei mir sein kann, wie ich es gern hätte. Doch leider«, er zuckte mit den Schultern, »sie lebt in London bei ihrer Mutter. Aber bitte…«, er hielt einen Zeigefinger auf seine Lippen, »nichts davon darf an die Öffentlichkeit. Ich möcht weiterhin so leben wie jetzt.«

»Wieso?« Ulla verstand Adrians Beweggründe nicht. »Was würde sich denn überhaupt ändern, wenn man wüßte, daß du Vater einer wunderschönen Tochter bist?«

»Möglicherweise nichts«, antwortete Adrian, »aber ich habe mir hier eigentlich nie ein Privatleben gestattet. Die Leute wissen lediglich, daß ich ständig hier im Café bin. Und ohne ein öffentlich diskutiertes Privatleben zu sein, hat was für sich, das kannst du mir glauben.«

Ulla nickte. »Da mag was dran sein.«

Dann überlegte sie einen Moment. Sie dachte an Markus und daran, daß er mit Christiane auf und davon war. Das heißt, eher war sie mit ihm auf und davon. Markus’ Blick, als er von Christiane gezogen mit ihr gegangen war, war ihr nicht entgangen.

»Christiane«, fragte Ulla, als Adrian wieder bei ihr stand, wobei sie so tat, als interessiere sie sich nur nebenbei für seine Tochter, »hat sie irgendwelche Absichten bei Markus?«

Der schüttelte den Kopf. »Ich hab’ das zuerst auch gedacht. Ich hab’ sie auch gefragt, beide habe ich gefragt. Und beide haben verneint.«

»Und warum sind sie dann eben zusammen weg?« wollte Ulla wissen.

»Ich kann es dir nicht sagen«, antwortete Adrian. »Ich weiß nur, daß Christiane oft ganz spontan Dinge tut, die sie später nicht erklären kann.«

»Hat sie einen Freund…?«

Adrian nickte. »Ja, in London. Stephen heißt er, soviel ich weiß.«

»Und er ist nicht eifersüchtig, wenn Christiane nicht bei ihm ist?«

Der Betreiber des ›Mozart‹ schüttelte den Kopf. »Soviel ich weiß gar nicht.«

Als Adrian ans andere Ende der Theke gerufen wurde, blieb Ulla stehen und nippte an ihrem längst kalt gewordenen Cappuccino.

»Bist du eifersüchtig?« fragte Adrian, als er wieder zurück war und Ulla einen frischen Cappuccino hinstellte.

Sie nickte sofort. »Bisher hab’ ich’s nicht gewußt, aber jetzt spür’ und weiß ich es.«

»Wieso…?«

Ulla lächelte müde. »Weißt du das wirklich nicht?«

Adrian sah sie an, runzelte die Stirn und murmelte: »Oh, Mar’ und Josef. Du willst mir doch nicht verkaufen, daß Markus und du, daß ihr…?«

»Soweit ist es noch lange nicht«, erwiderte Ulla, »aber ich muß sagen, ich hätt’ nichts dagegen. Bis heut’ hab’ ich mich meiner Standhaftigkeit was Männer angeht, immer gerühmt. Aber mir ist es nie schwergefallen, wem auch immer abzusagen, weil nie der dabei war, der mir über Gebühr gefallen hätt’.«

»Und Markus gefällt dir über Gebühr?« Adrian sah die hübsche Studentin neugierig an.

Die nickte. »Ja, das tut er. Und ich hab’s lange nicht gewußt. Erst die letzten Tage hat sich mir mein Fühlen offenbart. Ich hab’, was meine Gefühle betrifft, nie auf großem Fuß gelebt. Ich hab’ immer alles hinausgeschoben.«

»Und jetzt meinst du, du müßtest alles sehr rasch nachholen?« wollte Adrian wissen.

Ulla schüttelte den Kopf. »Gar nicht mal. Ich wär’ nur gern bei Markus, würd’ seine Hand halten und einfach bei ihm sein. Ich kenn’ das Gefühl, wen neben mir zu spüren, gar nicht. Seit einigen Tagen weiß ich lediglich, daß Markus mir fehlt, wenn er nicht da ist.«

»Oje, Madel«, murmelte Adrian, »du bist offensichtlich von der ganz romantischen Art. Madel wie dich gibt es heute eher selten.«

Plötzlich rann eine Träne über Ullas Wange, die sie ganz rasch abwischte, als ob niemand sie sehen sollte.

»Du bist ein sehr nettes Madel.« Adrian lächelte. »Vielleicht, wenn mir früher ein Madel wie du begegnet wär’, wär’ mein Leben auch anders verlaufen.«

Da lächelte Ulla. Sie stellte sich auf die Zehenspitzen, beugte sich über die Theke und küßte den verdutzten Adrian auf die Wange.

»Das hast du ganz lieb gesagt«, murmelte sie, dann atmete sie tief durch. »Ich fahr’ jetzt nach Haus’. Dank’ schön, für die nette Unterhaltung.«

*

»Was hab’ ich?« Kathi sah Lucie an, als die ihr einen Brief reichte.

»Einen Brief bekommen hast«, antwortete die langjährige Magd des Staudinger-Hofs.

»Von wem ist er?« wollte Kathi wissen, während sie ihre Lesebrille suchte.

»Von der Lottogesellschaft«, antwortete Lucie, wobei sie jede Silbe des Wortes Lottogesellschaft betonte.

»Von der Lottogesellschaft?« fragte Kathi. »Was wollen die denn von mir? Daß ich gewonnen hab’, können die mir schließlich net mitteilen.«

»Wieso denn nicht?« erwiderte Lucie. »Du kannst doch gewinnen, wie jeder andere auch.«

»Ja, schon«, bestätigte die alte Kathi, »aber ich hab’ doch net gespielt. Also kann ich auch net gewinnen. Da haben wir doch schon mal drüber gesprochen.«

»Nachher wollen S’ dich ermahnen«, sagte Lucie.

»Mich ermahnen?« Die Wimmer-Kathi lachte. »Warum sollt’ man mich denn ermahnen wollen?«

»Weil denen wer gesagt hat, daß du gewonnen hättest«, antwortete die Lucie, »was aber gar net wahr ist.«

»Das ist denen doch wurscht«, erwiderte Kathi, »schau schon in den Brief, daß wir wissen, was sie wollen.«

»Soll ich ihn aufmachen?« fragte die Lucie.

»Ja sicher, wie willst denn sonst hineinschauen?«

Lucie nahm ein kleines Messer, schlitzte den Briefumschlag recht umständlich auf und nahm dann den Briefbogen heraus. Ihre Lesebrille hatte sie schon auf der Nase sitzen, deshalb wußte sie rasch, um was es ging.

»Also, wenn dich hier niemand an der Nas’ herumführen will«, murmelte Lucie, wobei sie überaus leise sprach, »dann hast du diesmal tatsächlich im Lotto gewonnen.«

»Wie bitte?« Kathi hatte plötzlich das Gefühl, ihr schnüre jemand die Kehle zu.

»Da schau«, Lucie gab der alten Kathi den Briefbogen, die überblickte ihn und gab ihn dann mit zitternden Händen zurück. »Lies du vor. Ich find’ erstens meine Brille net und zweitens bin ich viel zu nervös, um einen Buchstaben klar an den anderen reihen zu können.«

»Also, hier steht, daß du einen Gewinn im dritten Rang hast, das sind 5 Richtige und die Zusatzzahl und daß du…«, Lucie bekreuzigte sich, »Mar’ und Josef, daß du Dreihunderttausend gewonnen hast.«

»Das ist net wahr«, murmelte die alte Kathi. »Gib den Brief mal her…!«

Lucie gab Kathi den Brief. Die hatte inzwischen ihre Brille gefunden, die Gläser behaucht und geputzt, dann aufgesetzt, und jetzt las sie, was Lucie ihr schon vorgelesen hatte.

»Aber… aber das geht doch gar net«, sagte sie, »ich… ich hab’ doch überhaupt net gespielt…!«

»Da steht aber, daß du gewonnen hast«, entgegnete Lucie. »Die schreiben dir doch net, daß du gewonnen hast, wenn es net so wär’.«

»Ja, schon, das mag ja alles sein«, murmelte die Wimmer-Kathi, deren Gesichtsausdruck jedoch nach wie vor nicht fröhlich, sondern eher etwas bedrückt aussah.

»Ja, was willst denn noch außer einer Gewinnbenachrichtigung?« wollte Lucie wissen.

»Hier«, die alte Kathi zeigte auf eine Stelle in dem Brief, »da steht es schwarz auf weiß.«

»Was steht da?«

»Daß sie noch den betreffenden Spielschein wollen…!«

»Den betreffenden Spielschein? Was ist das denn?« Lucie sah Kathi verständnislos an.

Die nickte. »Das ist der Schein, mit dem ich in der Annahmestelle gewesen sein müßt’ und wovon ich die Quittung haben sollte.«

»Ja, dann nimm ihn halt und bring ihn hin«, sagte Lucie. »Du wirst doch das Geld net ausschlagen…?«

»Natürlich net«, sagte Kathi, »aber ich hab’ doch nun mal keinen Spielschein. Verstehst du das denn net? Ich hab’ diesmal zwar offensichtlich im Lotto gewonnen, aber ich kann es net beweisen.«

»Und ohne Spielschein gibt’s kein Geld?« Lucie sah Kathi verzweifelt an.

Die nickte. »So ist es. Ohne den gültigen Spielschein bekommst du gar nix, net einen müden Heller…!«

*

Am nächsten Tag gingen sich Markus und Ulla zuerst aus dem Weg. Wo der eine war, war der andere nicht und wenn Ulla in Richtung Stall ging, um nach den Kälbern zu sehen, dann verließ Markus den Stall gerade auf der rückwärtigen Seite.

Erst am Mittag begegneten sie sich.

»Hallo«, sagte Ulla, wobei sie ein wenig gequält lächelte, »wie war’s gestern noch? Habt ihr noch was losgemacht?«

Markus schüttelte rasch den Kopf. »Nein, nein, wir waren nur um die Ecke. Ein Bier trinken, dann sind wir wieder ins ›Mozart‹, aber du warst schon weg, leider…!«

»Ich hab’ nicht gewußt, daß ihr noch mal kommt«, erwiderte Ulla. »Ich hab’ eine Zeitlang mit Adrian geredet, dann bin ich nach Hause.«

»Ich… ich wär’ viel lieber mit dir weggegangen, als mit Christiane«, sagte Markus darauf, »viel lieber.«

Als Ulla ihn ansah, wich er ihrem Blick aus und sah aus dem Fenster.

Sie hätte gerne einen Schritt auf ihn zugetan, doch dann zögerte sie wieder und abermals standen sie sprachlos voreinander.

Dann sah Markus das hübsche Mädchen an und sie erwiderte seinen Blick.

»Ulla…?«

»Ja?«

»Ich hätt’ dem Genz am liebsten eine reingeknallt und Christiane gesagt, sie soll nichts tun, was ich vorher mit ihr abgesprochen hatte und mit dir wär’ ich am liebsten irgendwohin gegangen, wo wir niemand kennen und wo uns niemand kennt.«

Ulla schluckte. »Willst du mir quasi durch die Blume was sagen?«

Markus zuckte mit den Schultern. »Ja, schon.«

»Und was?«

»Daß ich total eifersüchtig gewesen bin, als ich gehört hab’, du wärst mit dem Genz im Bergerhof gewesen und ihr wärt total locker miteinander umgegangen und verliebt getan hättet ihr auch.«

Ulla wich einen Augenblick Markus’ Blick aus, dann sah sie ihn an und irgendwann lächelte sie.

»Ich bin mit dem Genz nur ausgegangen, weil er dann umgänglich ist«, antwortete sie. »Ich hab’ gemeint, mir einen Vorteil zu erarbeiten, wenn ich schon mal mit ihm ausgeh’. Aber der Vorteil kann gar net groß genug sein, um einen Kotzbrocken wie den Herrn Doktor länger zu ertragen.«

»Und wenn er dir jetzt Schwierigkeiten macht?« fragte Markus.

»Er kann mir wirklich keine so großen Schwierigkeiten machen, daß ich seine ganz dreist-dumme Art noch länger ertrag’«, antwortete Ulla.

Markus lächelte sie an. »Weißt du, daß du ein ganz tolles Mädchen bist?«

»Weißt du«, erwiderte Ulla, »daß ich Adrians Tochter gestern am liebsten die Augen ausgekratzt hätt’?«

»Wieso denn das?«

»Weil sie sich herausgenommen hat, was ich mich nicht getraut hab’.«

»Und was war das?«

»Sie hat dich geküßt und ist dann einfach mit dir weggegangen«, antwortete Ulla. »Und ich hab’ mir wer weiß was ausgemalt. Du weißt ja, daß die eigene Phantasie einem immer ärgere Dinge vorgaukelt als dann tatsächlich passiert.«

Da lächelte Markus verschmitzt.

»Was soll das bedeuten?« fragte Ulla.

»Na ja, es gibt Ausnahmen«, antwortete Markus.

»Ausnahmen? Wovon?«

»Es passieren auch schon mal Dinge, die man sich nicht ausmalen kann, und wenn die eigene Phantasie die eigene Seele noch so heftig attackiert.«

Ulla wurde blaß, dann sah sie Markus’ verschmitztes Lächeln und puffte ihm mit dem Ellbogen spielerisch in die Seite. »Du sollst mich net ärgern.«

»Ich will dich doch gar net ärgern…!«

»Was willst du denn?« Ulla sah Markus mit ihren wunderschönen dunklen Augen an.

»Das verrat’ ich dir nicht«, antwortete der mit rauher Stimme.

»Und warum nicht? Oder willst es net sagen, weil du dich schämen mußt?«

Markus schüttelte sofort den Kopf. »Nein, wenn man wen liebhat, dann muß man sich net schämen, wenn man… wenn man…?«

»Wenn man was?«

»Wenn man ein Busserl möcht’.«

»So bescheiden bist in deinen Wünschen?« fragte Ulla, die dann einen Schritt auf Markus zutat.

»Bescheiden?« Markus lächelte. »Wart doch mal ab, bis ich dir das Busserl genommen hab’, ob du dann immer noch sagst, ich wär’ bescheiden gewesen…!«

*

»Ich geh’ in den Bergerhof und frag’ die Heidi«, sagte die alte Kathi leise zu Lucie.

Die nickte und antwortete ebenso leise: »Das ist nur gescheit. Und wenn dir wer Auskunft geben kann, dann die Bergerhofer’schen, das sind gescheite Menschen.«

»Die Heidi weiß zumindest, an wen ich mich wenden kann«, sagte die alte Kathi. »Und daß du keinem einen Ton sagst, hast gehört?«

»Natürlich net«, erwiderte Lucie, »wie käm’ ich denn dazu? Dafür steht noch viel zuviel auf dem Spiel. Wann willst denn hinüber zum Bergerhof?«

»Jetzt gleich«, antwortete die alte Kathi.

»Und wie kommst hin?«

»Der Markus nimmt mich mit. Ich hab’ ihm gesagt, ich wollt’ ein bisserl mit der Luise tratschen. Er nimmt mich nachher auch wieder mit zurück.«

»Dann bestellt den Bergerhofer’schen viele Grüße und ich würd’ demnächst auch wieder mal vorbeikommen.« Lucie lächelte. »Wenn alles gut ausgeht, dann… dann machen wir doch, was du gesagt hast?«

»Da kannst drauf wetten«, erwiderte die alte Kathi. »Dann gibt’s im Bergerhof ein Fest, wie es schon lang’ keines mehr gegeben hat.«

»Und wenn das Geld da ist…?«

Kathi drückte die langjährige Magd des Staudinger-Hofs fest an sich.

»Wenn das Geld da ist«, sagte sie, »dann werden wir zwei als erstes nach Kempten fahren und uns einkleiden. Was du willst, das kriegst auch.«

»Ich will net viel«, murmelte Lucie, »nur ein einziges Mal ein schönes Dirndl würd’ ich gern besitzen, ein einziges Mal im Leben. Und drin begraben würd’ ich dann auch gern. Das wünsch’ ich mir.«

Kathi winkte ab. »Soweit sind wir ja noch net. Bis dahin hast noch viele Dirndl dein eigen genannt.«

»Ich brauch’ nur das eine«, murmelte Lucie, die weitgehend auf ein eigenes Leben verzichtet hatte, als sie sich entschieden hatte, einem jungen Burschen, der um sie geworben hatte, abzusagen.

Kathi wußte, daß sie nun rasch weg mußte, denn wenn sie sich jetzt auf ein Gespräch mit Lucie eingelassen hätte, wäre sie am Vormittag sicher nicht mehr weggekommen.

So sagte sie rasch »Servus«, und Minuten später stieg sie in den Wagen, in dem Markus schon auf sie wartete.

Zuerst redete keiner der beiden was, denn räusperte sich die alte Kathi.

»Mit meinem Häusl«, sagte sie.

»Was ist damit?«

»Das würd’ ich wirklich gern dir vermachen«, antwortete die Kathi.

Markus runzelte die Stirn. »Wie denn das? Du hast’s doch erst vor ein paar Tagen der Ulla versprochen. Daß sie da mit ihrer Tierarztpraxis unterkommt.«

»Da hab’ ich gesagt, unter gewissen Bedingungen«, antwortete die alte Kathi. »Und das sag’ ich bei dir auch.«

»Und was sind das für Bedingungen?«

»Die erfährst später, wenn es soweit ist. Dann reden wir über alles.«

»Wenn was soweit ist?« wollte Markus wissen.

»Jetzt wart es doch ab«, erwiderte die Wimmer-Kathi. »Ein bisserl wirst dich wohl noch gedulden können.«

»Vielleicht kannst dich ja entschließen, dein Häusl der Ulla zu vermachen«, sagte Markus.

»Da hättest du nix gegen?« Kathi sah Markus skeptisch an.

Der schüttelte den Kopf. »Überhaupt nix hätt’ ich dagegen. Ganz im Gegenteil. Vor allem, wie kommst drauf, daß ich was dagegen hätt’?«

»Na, als ich das Häusl letztens der Ulla quasi angeboten hab’, da hast ziemlich verwirrt dreingeschaut«, antwortete die alte Kathi.

Markus winkte grinsend ab. »Das ist Vergangenheit.«

»Aha, was ist denn passiert inzwischen? Daß was passiert ist, ist ja offensichtlich.«

»Das wiederum erfährst du später von mir, wenn es soweit ist.« Markus grinste übers ganze Gesicht.

Die alte Kathi sah ihn von der Seite an. Das Lächeln auf seinem Gesicht kannte sie. Wenn er so lächelte, ging es Markus gut und man mußte sich keine Sorgen um ihn machen.

»Inzwischen ist aber einiges passiert, oder?« Kathi ließ nicht locker.

»Was zum Beispiel könnt’ denn passiert sein?« fragte Markus.

»Du hast der Ulla gesagt, wie es um dich steht«, antwortete die alte Kathi.

»Wie steht’s denn um mich?« Markus lächelte immer noch so wie vorher.

»Du bist seit längerem in Ulla verliebt«, antwortete die alte Kathi, »hast aber keine Traute gehabt, es ihr zu sagen. Dann ist unter anderem der Genz auf den Plan gekommen, da hast dich sputen müssen, weil der auch um die Ulla herum gebalzt hat wie ein liebestoller Auerhahn.«

»Red nur weiter«, forderte Markus seine Tante auf, »es ist sehr interessant, was ich da zu hören bekomme.«

»Tu net so, als wenn du von alldem nix wüßtest.« Die Kathi lachte. »Du bist genauso ein Kindskopf wie dein Vater einer gewesen ist.«

Dann waren sie beim Bergerhof, und die Kathi stieg aus. Dann beugte sie sich herunter und sah Markus an.

»Wann kommst mich denn wieder abholen?« wollte sie wissen.

»Am Nachmittag«, antwortete Markus, »sicher net vor viere. Dann halten wir uns aber nimmer lang’ auf…!«

Die Kathi lächelte. »Daheim wartet wohl dein Glück auf dich, oder…?«

*

»Was will die Kathi eigentlich?« fragte Luise, »hat sie das gesagt?«

Heidi schüttelte den Kopf. »Nein, nur daß sie mal kommen will, um was mit uns zu besprechen.«

»Dann ist’s also kein einfacher Besuch, um zu tratschen«, erwiderte Luise, »sondern sie will was ganz Bestimmtes.«

Heidi nickte. »So ist es. Die Kathi will was ganz Bestimmtes von uns.«

Da atmete Luise tief durch. »Da bin ich mal gespannt. Und beim Gespanntsein werd’ ich Kaffeewasser aufsetzen.«

»Sie hat angekündigt, über Mittag zu bleiben«, erwiderte Heidi, »ich sag’ das nur, daß du dich danach richten kannst.«

»Da muß ich mich net richten«, Luise schüttelte den Kopf, »ganz sicher net. Die Kathi ist mir immer eine gute Bekannte gewesen, möglicherweise war sie sogar mehr. Jedenfalls hat man sich immer auf sie verlassen können.«

»Du, da kommt sie«, sagte Heidi und zeigte mit einer Kopfbewegung in Richtung Parkplatz, »der Markus bringt sie und er holt sie am Nachmittag auch wieder ab.«

Nicht viel später nahm die Kathi in der Küche auf der Eckbank hinter dem großen Tisch Platz.

Sie brachte zwei Tütchen zum Vorschein und hielt sie Heidi hin.

»Bitt’schön«, sagte sie, »ich hab’ euch was mitgebracht.«

»Und was ist das?«

»Samen von unseren Bauernrosen«, antwortete die Kathi, »von den dunkelroten, die dir letztens so gut gefallen haben. Ich hab’ ihn voriges Jahr gesammelt. Wenn du mehr brauchen solltest? Ich kann dieses Jahr noch mal sammeln.«

»Magst einen Kaffee?« fragte Luise, die ungeduldig war und nun langsam wissen wollte, weswegen die alte Kathi gekommen war.

Als die den Kaffee getrunken hatte und keinerlei Anstalten machte, endlich mit dem Grund ihres Kommens herauszurücken, da fragte Luise danach.

»Weswegen bist denn heut’ nun wirklich hier?« fragte sie. »Nur zum Tratschen kommst du net mitten in der Woch’. Das wär’ in über fünfzig Jahren das erste Mal.«

Da lachte die alte Kathi. »Ja, das stimmt. Ich bin nie nur zum Tratschen hergekommen. Und diesmal gibt es wirklich einen ganz triftigen Grund, warum ich hergekommen bin.«

Heidi hatte inzwischen auch am Tisch Platz genommen und zwei neugierig und gespannt dreinschauende Augenpaare sahen die alte Kathi an.

Die lachte. »Also, wenn man euch da sitzen sieht…?«

»Red net weiter drumherum«, forderte Luise, »wir haben net den ganzen Tag Zeit. Wir müssen kochen und…!«

»Ist ja schon recht«, erwiderte die Wimmer-Kathi, dann nestelte sie den Briefumschlag aus ihrer Handtasche und gab ihn Heidi. »Bitt’ schön, da steht alles drin, worüber ich mit euch reden möcht’.«

»Lottogesellschaft«, las Heidi, es stand auf dem Umschlag. »Hast am End’ doch gewonnen?«

»Den Briefbogen mußt herausnehmen«, sagte die alte Kathi.

Heidi tat es und begann zu lesen. Schon nach wenigen Sekunden wurde sie blaß.

»Was ist denn?« fragte Luise, »dir ist grad’ das Blut aus dem Gesicht gewichen.«

»Die Lottogesellschaft gratuliert der Kathi zu einem stattlichen Gewinn«, sagte Heidi, während ein Lächeln ihrer Freude Ausdruck verlieh. »Und das hier ist kein Spaß, das steht da geschrieben.«

»Mar’ und Josef«, murmelte Luise, »das ist ja super. Du bist eine reiche Frau! So viel Geld!«

»Das hört sich alles super an«, erwiderte die alte Kathi.

»Wieso hört es sich denn nur super an?« wollte Luise wissen. »Hier steht doch…!«

»Die Sache hat einen Haken«, entgegnete Kathi.

»Und welchen?«

»Lies mal unten den letzten Abschnitt«, forderte Kathi Luise auf.

»Ja und«, antwortete sie, »da steht, daß du den Spielschein mitbringen sollst. Das ist doch kein Problem.«

»Ist es doch«, antwortete Kathi.

»Und wieso?«

»Weil ich den Spielschein net habe.«

»Was heißt, du hast keinen Spielschein?«

»Ich hab’ net gespielt, also hab’ ich auch keinen Spielschein. So einfach ist das.«

»Mal ganz langsam«, mischte sich nun Heidi in das Gespräch ein. »Jemand muß aber doch gespielt haben. Und zwar hat er oder sie den Schein auf deinen Namen ausgestellt.«

Kathi nickte. »So ist es. Inzwischen hat er oder sie das jedoch wieder vergessen.«

»Wieso vergessen?«

»Dann schau mal auf das Datum der Ausspielung, die ist schon vor drei Wochen gewesen.«

»Du hast recht«, sagte Heidi, »da hat jemand für dich gespielt und vergessen, dir den Schein zu geben oder die Zahlen zu kontrollieren.«

»Genau das dürfte der Fall sein«, erwiderte die alte Kathi. »Wie kann ich jetzt herausbekommen, wer den Schein abgegeben hat? Den hat man doch längst weggeworfen.«

»Du mußt alle darauf ansprechen, die in Frage kommen«, antwortete Heidi, »was anderes bleibt dir gar nicht übrig.«

*

Am nächsten Morgen, es war ein Sonntag, saß man im Staudinger-Hof gemeinsam am Frühstückstisch, was so bisher ganz selten nur der Fall gewesen war.

»Das ist mal sehr schön«, sagte Lucie, »wie war das früher immer schön, als Markus’ Eltern und Großeltern noch lebten. Da haben immer alle zusammen gefrühstückt und zu Mittag gegessen auch. Das hat alles ein bisserl zusammengehalten.«

Ulla wollte gleich auf die Hochweide, um nach den Rindern zu sehen. Dementsprechend war sie gekleidet, das heißt, sie hatte schon derbes Schuhwerk und ihren Walkjanker an.

»Gehst du mit mir hinauf auf die Weide?« fragte sie, während sie Markus ansah.

Der nickte lächelnd. »Es wird mir ein Vergnügen sein.«

Kathi und Lucie sahen sich ganz rasch an.

»Ich such’ schon eine ganze Weile ein schmales Armbändchen«, sagte Ulla, »es ist nur ein dünnes Goldkettchen.« Dann begann sie in den Taschen des Jankers zu suchen.

Zum Vorschein kam ein Stück Papier. Sie drehte es um und lachte, dann schob sie es Kathi über den Tisch zu.

»Das ist ein Lottoschein, den ich damals, als es hieß, du hättest im Lotto gewonnen, auf deinen Namen ausgefüllt hab’«, sagte sie. »Du wirst nix, jedenfalls nix Größeres gewonnen haben, sonst wüßtest es jetzt.«

Kathi war kreidebleich geworden und Lucie ging es nicht viel anders.

Kathi brachte keinen Ton heraus, starrte auf den Spielschein der Lottogesellschaft, stand dann auf, kam gleich darauf mit dem Brief zurück und legte ihn auf den Tisch.

»Was ist das?« fragte Ulla.

Noch immer brachte Kathi keinen Ton heraus, aber Lucie sagte: »Lies, was da drin geschrieben steht…!«

Ulla nahm den Bogen aus dem Umschlag, blätterte ihn auseinander und murmelte leise. »Das gibt’s doch gar net, das kann doch gar net sein…!«

»Was kann net sein?« wollte Markus, der bisher stumm dabeigesessen war, wissen.

»Die Kathi hat auf den Schein, den ich ausgestellt hab’, über dreihundertachtzigtausend gewonnen«, murmelte Ulla. »Stell dir vor, ich hab’ den Schein nur so aus Spaß abgegeben. Weil alle gesagt haben, die Kathi würd’ nie einen Pfennig für Glücksspiel nehmen.«

»Das hätt’ ich auch net«, murmelte Kathi, »niemals hätt’ ich das. Und jetzt…?«

*

Nachdem der große Trubel des Gewinns wegen vorüber war, nachdem Lucie und Kathi in Oberstdorf einkaufen gewesen waren und Lucie ein traumhaft gut kleidendes Dirndl bekommen hatte und nachdem man im Bergerhof für einen Abend die alte Gaststube bestellt hatte, sagte Kathi am Mittagstisch, sie habe mit allen zu reden.

»Ich möcht’, daß jetzt ein bisserl Forschheit in alles kommt«, sagte sie.

»Forschheit?« fragte Lucie.

»Es soll vorangehen«, sagte Kathi. »Gar so viel Zeit hab’ ich nämlich nimmer auf Erden, aber die Zeit, die mir bleibt, die möcht’ ich schon ausgefüllt sehen.«

Ulla und Markus sahen sich kurz an, dann fragte Markus, was Kathi damit meine.

»Als erstes würd’ ich der Ulla gern mein Häusl übergeben«, sagte sie, »wir beide haben ja schon darüber gesprochen. Daß sie mal weiß, wo sie ihre Praxis einrichten kann.« Dann lächelte sie. »Ich hab’ übrigens gehört, daß der Genz seine Praxis verlegen will. Er möcht’ von da weg und nach Ulm umsiedeln.«

Ulla sah Kathi fast erschrocken an. »Echt? Ist das wahr?«

Kathi nickte. »Ja, auf dem Bürgermeisteramt haben s’ davon gesprochen.«

»Das wär’ natürlich was«, sagte sie, »Genz dauernd in der Nähe zu wissen, wäre nicht das, wovon ich träume.«

Markus griff nach ihren Händen und strahlte sie an. »Träumst du vielleicht von mir?« Zum ersten Mal zeigte er öffentlich, daß er und Ulla inzwischen zusammen gehörten.

Ulla bekam rote Wangen, lächelte Markus dann jedoch sehr lieb an.

»Ich hab’ dich sehr lieb«, hauchte sie, »vielleicht sagen wir es Kathi und Lucie jetzt.«

»Was wollt ihr uns sagen?« Die alte Kathi sah die beiden fragend an.

»Daß wir uns entschlossen haben, zu heiraten«, antwortete Markus.

»Und wir möchten, daß du und Lucie hier bei uns lebt«, fügte Ulla hinzu. »Ihr beide seid unsere Familie und… na ja, wir werden euch noch öfter brauchen und…!«

»Als Kinderhüter«, sagte Kathi, die plötzlich um Jahre jünger wirkte. »Bei allen Heiligen, das muß ich jetzt erst verkraften. Ich… ich mein’, die Lucie und ich, wir werden uns besprechen was wir tun können und…!«

Während Kathi in der Küche weitersponn, was sie alles tun würde, waren Ulla und Markus nach draußen gegangen. Hand in Hand standen sie vor der Tür des Staudinger-Hofs, der 1777 von einem Ur-Ur-Großvater Markus’ erbaut worden war.

»Ich fürcht’ mich ein bisserl«, sagte Ulla, wobei sie sich eng an Markus drängte.

»Vor was?« fragte der.

»Vor so viel Glück«, antwortete Ulla leise. »Weißt du eigentlich wie lieb ich dich hab’?«

Markus lächelte und zog sie an sich. »Du könntest es mir ja sagen.«

»Wann? Jetzt?« Ulla lächelte glücklich.

»Warum nicht?«

»Ich könnt’ dir jetzt sagen, daß ich dir heut’ nacht sagen möcht’, wie lieb ich dich hab’.« Ullas Wangen schimmerten rot.

»Heute nacht?« fragte Markus. »Was… was soll das denn heißen?«

»Das soll heißen, daß ich dich heut’ nacht in deiner Kammer besuchen möcht’«, antwortete Ulla.

Markus war danach eine ganze Weile still. Bis er sich laut räusperte.

»Bist du sicher, daß du das möchtest?« fragte er, »nicht daß du meinst, ich würd’ es erwarten?«

Da stellte Ulla sich auf die Zehenspitzen und biß in Markus’ Ohrläppchen.

»Du Dummer«, hauchte sie dann in sein Ohr, »ich hab’ großes Verlangen nach dir. Noch kenn’ ich dich ja nicht ganz und ich möcht’ dich unbedingt ganz kennenlernen…!«

Heimat-Heidi Staffel 6 – Heimatroman

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