Читать книгу Wolfswege 4 - Stefanie Worbs - Страница 5

Оглавление

Kein kompletter Vollmond

Spät am Abend musste Ryan doch noch in sein Zimmer im Haupthaus. Er brauchte frische Sachen und hatte nur dort welche. Ohne den Blick zu heben, betrat er den Flur und setzte gerade einen Fuß auf die erste Stufe nach oben, als sein Dad ihn rief.

„Ryan, komm bitte. Wir wollen einen Rat abhalten.“

Wortlos ging er ins Wohnzimmer und ließ sich neben Rahel auf dem Sofa nieder. Er spürte einige Blicke auf sich, ließ seinen aber auf seine Hände gesenkt.

Tavis sprach: „Wir wollten euch heute alle versammeln, um kurz zu besprechen, wie es jetzt weitergeht. Im Grunde ändert sich nichts. Wir können ab sofort weiterleben wie vor alldem.“ Er machte eine Pause und Ryan spürte förmlich, dass sein Dad auf ein Pff von ihm wartete, doch er schwieg weiterhin. Der Alpha fuhr fort: „Wir haben mit Amber ein neues Familienmitglied und da in zwei Nächten Vollmond ist und sie diesmal mit uns läuft, werden wir noch ein bisschen was erklären müssen. Den Ablauf, die Regeln und so weiter.“

Als würde sie sich dran halten, dachte Ryan spöttisch. Wieder entstand eine kurze Stille, in der er diesmal von untenher den anderen einen Blick zuwarf. Ausnahmslos alle schauten zurück, als warteten sie auf irgendeine Reaktion von ihm. Sein Blick wurde fragend und er breitete die Hände im Schoß aus, als wolle er wissen, was sie wollten.

„Wir haben das Schlimmste überstanden“, hielt nun Charlotte fest und ihr Blick war ein wenig um Verständnis bittend, als er Ryan traf. „Ab jetzt wird alles wieder normal und ihr werdet sehen, dass sich nichts geändert hat.“

Wieder ergriff Tavis das Wort. „Die letzten Wochen waren turbulent und nervenaufreibend. Für jeden von uns. Wir haben Kaya verloren und wir müssen mit ein paar Dingen zurechtkommen, die neu sind. Aber es steht nach wie vor nur das Wohl unseres Rudels - unserer Familie - an erster Stelle.“ Er schenkte jedem ein aufmunterndes Lächeln. „Ich bin ebenfalls sicher, wenn sich alles beruhigt hat, werden wir auch Kaya wieder überreden können, zurückzukommen.“ Nun blieb sein Blick bei Ryan.

Denkt er etwa, das würde mir helfen? Ryans Blick wurde ungläubig, doch er sagte noch immer nichts. Im Stillen wartete er darauf, dass jemand Amber ansprach und sie offiziell noch mal darauf aufmerksam machte, was ihr Verhalten betraf. Doch wieder bekam nur er Blicke zugeworfen, während das Azurmädchen schweigend neben Evan saß und das Geschehen verfolgte. Am liebsten wäre Ryan aufgesprungen und hätte sie an den Pranger gestellt, doch was würde es nützen?

Am Ende würden alle wieder nur sagen, er solle sich beruhigen und er solle klarkommen. Und plötzlich war er nur noch wütend auf Amber. Weil sie so unschuldig dasaß und keiner ihr die Meinung geigte. Sie tat immer so harmlos und unwissend. Sie sah aus, wie das kleine Mädchen, das einem an der Tür mit einem verschmitzten Lächeln Kekse verkaufte. Doch sie war, was man stille Wasser nannte. Und die konnten bekanntlich tief und verdammt dreckig sein.

Es war zum Verrücktwerden. Ryan wollte sie haben. Er wollte sie! Und zeitgleich hasste er sie so dermaßen, für das, was sie ihm antat, dass er alles getan hätte, um sie aus seinem Leben zu verbannen. Feuer und Wasser. Plus und Minus. Luft und Vakuum. Das war Amber.

Von diesem ganzen Gefühlschaos ließ Ryan nichts nach außen dringen. Er warf dem Azurmädchen nur einen Blick zu, senkte ihn dann wieder auf seine Hände und schwieg wie zuvor schon. Niemand würde sie rügen.

Wenig später legte Evan ihm die Hand auf die Schulter und warf ihm einen fragenden Blick zu. Ryan schaute auf, schüttelte aber nur den Kopf. Er hatte nicht viel vom restlichen Gespräch mitbekommen, doch es war auch sicher nichts Wichtiges dabei gewesen.

Eine andere Hand fuhr ihm durchs Haar und Rahel gab ihm einen Kuss auf die Schläfe. „Gute Nacht“, wünschte sie ihm leise und Ryan brummte ebenso leise als Antwort, dann erhob er sich.

„Ry? Bier?“, fragte Xander, der schon auf dem Weg in die Küche war.

„Nein. Ich bin müde“, log er und wandte sich zur Treppe. Wieder hatte er gerade einen Fuß auf die erste Stufe gesetzt, als diesmal Evan ihn rief.

„Gehen wir morgen in den Club?“, fragte er und kam um das Sofa herum auf ihn zu.

„Kein Bock.“

Evan atmete hörbar durch. „Ry, komm schon. Wie lange willst du das durchziehen?“

„Was ziehe ich denn durch?“

„Deine Laune?“, fragte sein Bruder zurück und zog die Brauen hoch.

„Stört sie dich etwa?“, stellte Ryan erneut eine Gegenfrage und hörte seine Stimme grimmig werden.

„Es ändert nichts, wenn du so drauf bist“, meinte Evan und hob ratlos die Hände. „Komm, kleiner Bruder. Lass uns da weitermachen, wo wir aufgehört haben, bevor das alles passiert ist.“

Ryan verengte die Augen, nahm den Fuß von der Stufe und wandte sich Evan komplett zu. „Sollen wir das? Wie stellst du dir das denn vor?“, fragte er gereizt.

„Lass uns jagen gehen und laufen. Lass uns oben Bier trinken und Musik hören. Lass nicht zu, dass sich was zwischen uns stellt.“

„Zu spät“, sagte Ryan knapp, verschränkte die Arme vor der Brust und nickte an Evan vorbei zu Amber. Dann schaute er seinem großen Bruder wieder direkt in die Augen. „Du hast jetzt eine Frau. Die kannst du nicht einfach links liegen lassen und so tun, als wäre sie nicht da. Oder soll sie das alles mitmachen? Nehmen wir Amber jetzt mit zur Jagd und in den Club und aufs Zimmer? Und bevor du anfängst und versuchst, die Situation gut zu reden, mir ist klar, dass wir alle erwachsen werden und jeder mal eine Frau haben wird. Und wäre sie nicht sie, wäre es okay. Aber Amber ist nun mal, wer sie ist und du weißt, was zwischen ihr und mir ist.“

„Wir wissen es alle“, unterbrach Evan ihn. „Es wird kein Prob...“

„Sag jetzt nicht, dass es kein Problem wird!“, stoppte Ryan Evans Versuch, alles rosarot aussehen zu lassen. „Vielleicht wäre es keins, wenn endlich mal jemand begreifen würde, dass es auch an ihr liegt, nicht nur an mir! Aber niemanden hier schert das! Und am wenigsten sie selbst!“ Er ließ die Arme wieder fallen und machte einen Schritt auf Evan zu. „Du bist mein Bruder! Wir sind eine Familie! Ich werde nicht zulassen, dass sie uns das kaputt macht, nur weil sie so ignorant ist! Sie und ich in einem Raum? Nicht länger als eine Ratssitzung dauert, denn mehr macht alles nur schlimmer. Also nein. Wir werden kein Bier auf meinem Zimmer trinken und nein, wir werden nicht so tun, als wäre alles wie vorher. Weil es das nicht ist. Sie ist jetzt deine Frau und das wird einiges ändern. Leider.“

Unmut und Trauer gingen von Evan aus, dann meinte er: „Was willst du dann jetzt machen? Willst du nie wieder mit uns rumhängen? Willst du immer schweigen und alles aussitzen?“

„Ich weiß, was ich tun kann, wenn es nicht mehr geht. Und ich werde schweigen, ja. Einfach weil es nichts mehr zu sagen gibt. Aber ich werde nichts aussitzen, wenn ich nicht muss. Und vielleicht können wir irgendwann wieder wie früher rumhängen, aber im Moment hab ich einfach keine Lust auf die.“ Er hob die Hand und deutete abwertend auf Amber. „Ich werde mich von ihr fernhalten. Ich kann mich nämlich zusammenreißen.“ Damit wandte er sich wieder um und lief, immer zwei Stufen auf einmal nehmend, nach oben in sein Zimmer.

Seine Stimmung besserte sich in den nächsten Tagen nicht wirklich, auch wenn er sich alle Mühe gab, wenigstens freundlich zu antworten, wenn ihn jemand was fragte. So kam die Vollmondnacht und alle versammelten sich im Haupthaus. Die Energie war deutlich zu spüren und Aufregung hing in der Luft.

Alle waren voller Vorfreude auf den gemeinsamen Lauf. Es war das erste Mal, seit Amber bei ihnen war, dass alle gemeinsam den Vollmond erlebten. Bis auf Hakoon, der noch immer bei den Azur diente, waren alle Thalans beisammen und würden zusammen Wolf werden.

„Ry?“ Rahel kam zu ihm und schenkte ihm ein Lächeln, das ihn aufmuntern sollte. Er war der Einzige, der sich nicht wirklich freute und das lag allein an der Tatsache, dass auch Amber mit ihnen laufen würde.

„Hey. Was gibt’s?“, wollte er tonlos wissen und schwenkte sein Glas mit Milch in der Hand.

Ihr Lächeln wurde zu einem Grinsen und sie schlang die Arme um ihn. „Ich liebe dich“, ließ sie ihn wissen und schaffte es damit tatsächlich, auch ihm ein Lächeln zu entlocken.

„Ich liebe dich auch“, erwiderte er und legte seinen freien Arm um ihre Mitte.

Mit den Händen in seinem Nacken kam sie mit den Lippen nah an sein Ohr und flüsterte: „Ich bin schwanger.“

Er schob sie von sich, zog die Brauen zusammen und musterte ihr Gesicht, um zu sehen, ob sie ihn verarschte. „Echt? Wirklich?“

Sie nickte breit grinsend und die Freudentränen in ihren Augen zeigten ihm, dass sie nicht log. „Wirklich.“

Wärme stieg in ihm auf und Freude durchfuhr ihn. Rahel war schwanger. Seine älteste und beste Freundin bekam ein Baby. „Herzlichen Glückwunsch!“ Er stellte sein Glas ab und nahm sie erneut in die Arme. Diesmal richtig und voller Zuneigung. „Das ist wunderbar.“

„Danke“, hauchte sie und weinte nun wirklich. Sie ließ ihn los und wischte die Tränen weg. „Deine Eltern wissen es schon und Otis natürlich. Ich wollte, dass du der Nächste bist.“

Er lächelte und ließ sie ebenfalls ganz los. „Seit wann weißt du es?“

„Ich hatte schon bei den Azur so ein Gefühl und war gestern beim Arzt. Ich bekomme ein Baby! Das ist so aufregend!“ Sie hüpfte leicht und nun kam auch Otis zu ihnen.

Ryan nahm auch ihn fest in den Arm. „Herzlichen Glückwunsch, Dicker. Jetzt fehlt nur noch der Ring an ihrem Finger.“

Otis lachte, schob ihn weg und gab ihm einen Klaps auf die Wange. „Bald. Die Pläne gibt es ja noch. Nur das Wann steht noch nicht ganz fest.“

„Auf jeden Fall ohne Bauch!“, hielt Rahel fest. „Also entweder gleich oder dann nach der Geburt.“ Ihre freudige Aufregung war deutlich zu spüren.

„Ich freue mich für euch. Wirklich. Es muss ja auch mal was Gutes geben“, meinte Ryan und lächelte echt.

„Es wird alles besser werden“, sagte nun auch Otis und sah ihn von unter her an. „Auch bei dir, Ry. Halte durch. Du schaffst das.“

Schlagartig war sein Frohsinn verschwunden, doch er nickte annehmend.

Dann holte Tavis ihre Aufmerksamkeit zu sich, indem er in die Hände klatschte. „Es geht los, Familie. Lasst uns den Mond begrüßen.“ Gesammelt gingen sie hinaus in den Garten hinter dem Haus und ließen ihre Kleider auf der Veranda zurück. Auf dem Rasen und dem Wald zugewandt, hob Tavis den Kopf zum Mond und alle taten es ihm nach. Es war kein festgeschriebenes Ritual, doch es hatte sich so eingestellt, dass sie sich gemeinsam wandelten und losliefen. Ryan hatte den Blick nicht gehoben. Er stand ganz hinten und ließ ihn über seine Familie schweifen.

Tavis und Charlotte standen ganz vorn. Links stand Xander und eigentlich hätte Ryan neben ihm stehen sollen. Rechts neben den Alphas standen Evan und Amber, hinter den beiden kamen die Perkun-Brüder. Hinter Xander standen Miles und Emily. Zoe stand genau vor ihm und Rahel und Otis zu Ryans Rechter. Hakoon hätte bei Zoe stehen sollen und sein Platz wurde freigehalten. Auch der Platz von Kaya, links neben Zoe, war nicht mehr als eine Lücke, die Ryan einen Stich im Herzen verursachte.

Tavis’ Gestalt flackerte und er wurde Wolf. Charlotte folgte ihm augenblicklich und auch alle anderen ließen ihre Wölfe raus. Nur Amber stand da, hatte den Blick gesenkt und schien den Boden vor sich anzustarren. Ihre Schultern waren hochgezogen und angespannt, ihre Hände zu Fäusten geballt.

Sie hatte also noch immer Probleme mit der Wandlung, wenn Evan dabei war. Als würde sie Ryans Blick spüren wandte sie den Kopf zu ihm. Ein bittender und um hilfesuchender Ausdruck erschien auf ihren Zügen. Doch Ryan presste die Lippen fest aufeinander und ließ den Menschen los.

Er schüttelte sich und setzte sich in Bewegung, um den anderen in den Wald zu folgen. Amber beachtete er dabei nicht weiter. Wieso sollte er ihr jetzt noch helfen, wenn sie es selbst nicht für nötig hielt, es ihm gleich zu tun?

Wolfswege 4

Подняться наверх