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Lupis Mâne nôbilitâs

Sehnsüchtig wünschte Ryan sich ihre Abreise herbei. Das abendliche Essen war die reinste Tortur gewesen. Die Diamant waren durchaus aufgeschlossen und dadurch auch sehr viel angenehmer zu ertragen als die Azur, doch sie waren sichtlich und spürbar die reinste, älteste und vornehmste Klasse der Werwölfe.

Sie legten sehr großen Wert auf Umgangsformen und Manieren und sie verboten sich jedwede Art von Entgleisungen. Das fing beim Benutzen des Bestecks an und zog sich bis hin zum Umtrunk nach dem Essen.

Es war anstrengend aufzupassen, sich auch wirklich keinen Fauxpas zu leisten. Beim Frühstück am nächsten Morgen ging das weiter. Als Noel loslachte und sich mit seinem Kaffee bekleckerte, weil Gero einen Witz gemacht hatte, hatten ausnahmslos alle Diamant missbilligende Blicke in die Richtung der Brüder geworfen.

Charlotte hatte Noel stumm aufgefordert, sich umziehen zu gehen, und Gero hatte einen bösen Blick von Tavis bekommen. Keiner der anderen Thalans hatte sich auch nur getraut, den Brüdern in die Gesichter zu schauen.

Am stillsten von allen war Kaya, obwohl sie sonst diejenige war, die als erste über die Witze und Ausfälle der Perkun-Brüder lachte oder sogar einstimmte. Sie gab sich alle Mühe, nicht aufzufallen, auch wenn sie von den Diamanten am wenigsten überhaupt beachtet wurde.

Ryan hatte bei ihr geschlafen, obwohl sein Dad es ihm verboten hatte, und er saß beim Essen neben ihr, obwohl sein Platz an der Seite Xanders gewesen wäre. Diese zwei Dinge waren die einzigen Fehltritte, die er sich eingestand. Er würde Kaya nicht alleinlassen. Nicht nachdem sie sich so viel Mühe gegeben hatte, für ihn da zu sein.

„Kinder?“, drang nun die Stimme von Charlotte durch den Flur.

Nach und nach gingen die Türen auf und alle versammelten sich bei ihren Alphas.

„Sehr schön“, merkte Charlotte an und musterte alle von oben bis unten. Sie hatten ihre besten Sachen angezogen und sahen tadellos aus.

Tavis richtete sich auf und bekam damit die Aufmerksamkeit. „Was gleich passiert, wird viel für uns ändern. Wir werden als Royale anerkannt. Wir werden offiziell den Titel der Achat erhalten und damit Teil des Hochadels werden. Mit der Zeremonie werden uns neue Fähigkeiten gegeben und wir werden neue Aufgaben bekommen. Mit dem Titel werden wir Verpflichtungen eingehen, die wir einhalten müssen. Wir werden uns gewissen Regeln unterwerfen müssen. Es wird aber auch viele Vorteile für uns geben.

Mehr Unterstützung in jeder erdenklichen Lage. Mehr Einfluss und mehr Reichweite. Damit meine ich, dass wir Zuschriften bekommen werden von Wölfen, die uns angehören wollen. Wir werden wachsen und stärker werden. Wir werden mehr Möglichkeiten haben, unsere Zukunft zu gestalten. Alle von uns.“ Er betonte die letzten drei Worte und schaute Kaya direkt an.

Sie senkte nur den Blick und blieb stumm.

Tavis fuhr fort. „Alle gebürtigen Thalans“, sein Blick glitt über seine Kinder Zoe, Evan, Xander und Ryan, „werden auf jeden Fall den Titel er- und behalten. Alle anderen“, sein Blick flog über Gero, Noel, Emily, Miles, Kaya, Rahel und Otis, „bekommen den Titel, können ihn aber verlieren. Das heißt, er kann ihnen aberkannt werden. Das kommt allerdings sehr selten vor und nur, wenn ein Wolf sich allen Gesetzen entgegenstellt. Ich will trotzdem, dass ihr es wisst, auch wenn ich nicht denke, dass es uns irgendwann betreffen wird.“

Charlotte baute sich ein und sagte: „Wir wollen außerdem, dass ihr wisst, dass trotz all dieser Neuheiten unsere Einstellung immer noch dieselbe bleibt.“ Sie sagte das, damit allen klar blieb, dass sich in Bezug auf den Umgang innerhalb des Rudels nichts änderte. Es hatte ja schon Reiberein gegeben, als Maise Lynn aufgetaucht war und die Azur durch die Blume eine Verbindung mit Ryan arrangieren wollten.

„Richtig“, bestätigte Tavis. „Es wird viel Neues geben und sicherlich ist einiges dabei, was dem ein oder anderen nicht passt. Aber wir bitten euch erneut, uns zu vertrauen. Kommt zu uns - egal, um was es geht - und sprecht mit uns! Wir sind darauf angewiesen!“, hielt er mit Nachdruck fest.

Als abermals alle nickten, wandte er sich zu seiner Frau. „Gut. Dann holen wir uns den Titel“, sagte er und lächelte verschmitzt.

„Und dann möglichst bald ab in den Norden und Koon holen“, fügte Emily halblaut an und bekam einen Rempler von Zoe dafür. Ryan musste grinsen, hatte er doch gerade vor einer Stunde seine kleine Schwester durch die Wand rummosern gehört. Sie vermisste Koon wirklich sehr und ließ das ihre Umgebung spüren.

Das Rudel folgte seinen Alphas und kam schließlich in einem Kellergewölbe an, das aussah, als stammte es aus einer Zeit irgendwann im Mittelalter. An den Wänden hingen Feuerkörbe, deren kleine Flammen die Umgebung erhellten. Der dunkle Steinboden schluckte das Licht und die nackten Natursteinwände strahlten eine unheimliche Atomsphäre aus.

Die Gruppe wurde von der Hausdame Mary-Ann begrüßt. „Willkommen, Lupis Mâne. Ich bitte um Schweigen, während ihr euch im Saal befindet. Der Rat erteilt euch das Wort.“ Sie wandte sich um und öffnete die große zweiflügelige Tür. Der Raum dahinter wirkte noch dunkler als das Gewölbe, in dem sie standen.

„Lupis was?“, flüsterte Noel, doch Tavis brachte ihn mit einem Blick zum Schweigen. Ryan schüttelte grinsend den Kopf. Er wusste, dass es Wölfe des Mondes hieß, denn es war Teil ihrer Werwolfschule gewesen. Noel war erst später dazu gekommen und offensichtlich fehlte ihm dieses Wissen.

Sie betraten den Saal und Mary-Ann schloss die Tür von außen. In dem Raum war es so viel dunkler, weil nur einige wenige Kerzen auf dem Boden ihn erhellten. Sie standen auf einer kreisrunden Linie, die den Rand eines Musters bildete.

Der Kreis schloss ein Symbol ein, das einem großen M ähnlichsah. Allerdings hatte es zwei zusätzliche Verbindungen, die es so aussehen ließ, als wären die beiden mittleren Striche bis zur Mitte der großen hin verlängert worden. Ryan erkannte das Zeichen als Rune. Aber welche es war, wusste er nicht.

Eine schwarze Kerze stand jeweils an jedem der vier Punkte, an denen das M den Kreis berührte. Mehr als diese vier Lichtquellen gab es nicht. Hinter dem Kreis war es so dunkel, dass die Mehrzahl der Thalans erschrak, als eine Gestalt in schwarzer Soutane ins Licht trat. Der lange Umhang berührte die Kerzen am Boden fast, doch der Träger schien zu wissen, dass keine Gefahr bestand. Sein Blick war auf die Thalans gerichtet und ein Lächeln umspielte seine Lippen, als er seine Kapuze nach hinten schlug.

„Willkommen, Lupis Mâne“, begrüßte Lennet sie. Der Werwolf war ein stattlicher Mann und überragte sogar Tavis um einen Kopf. Sie hatten ihn schon am vergangenen Abend kennengelernt und Ryan fand ihn recht nett. Er war mit seinen 32 Jahren einer der jüngeren Diamantwölfe und hatte seine Ausbildung zum Ratsmitglied erst vor ein paar Jahren abgeschlossen.

Nun nickte er Tavis zu und breitete die Arme leicht aus. „Es ist mir eine Freude, euch in den Kreis der Lupis Mâne nôbilitâs, dem Hochadel der Wölfe des Mondes, aufzunehmen. Eure Abstammung, euer Blut, eure Familie geben euch alle Rechte, diesen Titel zu tragen. Doch mit Abschluss des Aufnahmerituals bürdet er euch gleichermaßen die Pflichten auf, die ein solcher Stand mit sich bringt.

Ihr seid von da an, Teil einer Gemeinschaft, die für den anderen einsteht, wenn es erforderlich ist. Die für den anderen kämpft, wenn es nötig wird. Teil einer Gemeinschaft, die für Sünden und Fehler selten milde Sühnen kennt. Ihr seid Teil von etwas Mächtigem, etwas das keinen Frevel duldet. Sind alle Mitglieder deines Rudels mit diesen Bedingungen einverstanden, Tavis Thalan?“

Ryans Blick schoss zu seinem Vater. Was Lennet da sagte, klang sehr ernst. Natürlich war die Sache ernst. Doch die Sache mit dem füreinander einstehen und kein Frevel würde geduldet werden, machte ihm Sorgen. Er vertraute seinem Vater und er vertraute auf dessen Urteil. Tavis würde keines seiner Kinder oder Mitglieder ins offene Messer laufen lassen. Allerdings machten Ryan die Konsequenzen Angst, die eintreten konnten, wenn sie sich am Ende doch nicht allen Regeln beugen würden. Es gab immerhin einige, die ihm selbst missfielen. Was wären diese Konsequenzen?

Tavis rührte sich und trat einen Schritt vor. „Meine Frau, meine Kinder, mein Rudel und ich sind bereit, den Titel zu tragen und seine Pflichten zu erfüllen“, sagte er, ohne sich umzuschauen, ob wirklich keiner Einwände hatte.

Er vertraut uns ebenso, dachte Ryan und zwang sich, durchzuatmen. Alles wird gut.

„Dann soll es so sein. Bitte komm näher“, bat Lennet und Tavis trat in den Kreis. Der Ratswolf wies ihn an, sich auf das Kreuz im M zu stellen, und trat einen Schritt zurück. Links und rechts von Lennet kamen zwei weitere Personen aus dem Dunkel. Sie trugen anthrazitfarbene Soutanen, die mit silberblauen Stickarbeiten an den Säumen abgesetzt waren.

Einer stellte sich links, einer rechts zu Tavis’ Seiten. Es waren Eila und Gilwar, eine Hexe und ein Hexer. Die beiden gehörten zum ratsansässigen Zirkel und waren die Älteste und ihr Stellvertreter. Auch sie waren beim gestrigen Kennenlernen anwesend gewesen.

Tavis hob ihnen die Hände entgegen und jeder Magier nahm jeweils eine davon. Dann begann Eila leise einen Vers aufzusagen, den sie dreimal wiederholte. Gilwar stimmte ab der zweiten Wiederholung ein und auch Lennet flüsterte die dritte mit. Ryans Vater zuckte nicht mal, als die Kerzen aufflammten und den Raum kurz heller erleuchteten.

Für einen Moment konnte man sogar die Wände links und rechts des Saals erkennen, dann wurde es wieder dunkler, denn die Kerzenflammen schrumpften auf Normalmaß. Die Magier ließen Tavis los, der sank auf die Knie und Lennet trat wieder heran.

„Tavis Thalan. Du bist nun Teil der Lupis Mâne nôbilitâs. Erhebe dich als Mitglied des Hochadels und trage den Namen Achat mit Würde.“

Tavis erhob sich und neigte abermals leicht den Kopf. „Ich danke Euch, Lennet Heavens.“ Er wandte sich um und verließ den Kreis.

Lennet schaute nun Charlotte an. „Charlotte Thalan, bitte tritt vor.“ Die Zeremonie wiederholte sich bei seiner Mutter genau gleich. Dann folgten Evan, Xander und dann fiel sein Name. „Ryan Thalan, bitte tritt vor.“

Mit klopfendem Herzen trat Ryan in den Kreis und stellte sich auf das Kreuz vom M. Er hob den Blick von seinen Füßen zu Lennet und erkannte ein aufmunterndes Lächeln.

„Ryan Thalan, bist du bereit, die Rechte zu empfangen, die dieser Titel dir schenkt?“

„Ja“, antwortete er und klang kleinlauter als gewollt.

„Und bist du bereit, die Pflichten zu tragen, die er mit sich bringt?“

Ryan musste gegen den Drang ankämpfen, hilfesuchend zu seinen Eltern zu schauen. In diesem Moment fühlte er sich wie damals bei seiner Einschulung, als er vor die Klasse treten sollte und sich vorstellen musste. Jeder hatte etwas Interessantes über sich erzählen können. Das einzig Interessante, was er hätte sagen können war, dass er ein Werwolf war. Doch es war verboten, den Menschen das zu erzählen. Also hatte er nur gestammelt, dass er Ryan hieße und dass er den Wald mochte. Von da an war er der Junge aus dem Wald gewesen. Keine schöne Zeit, aber das war ja zum Glück vorbei.

Lennets Blick wurde fragend und Ryan registrierte, dass er noch gar nicht geantwortet hatte.

„Ja, ich bin bereit“, sagte er schnell und Lennets Blick wurde amüsiert.

„Dann soll es so sein.“ Er trat zurück und die beiden Magier kamen vor. Sie nahmen Ryans Hände, wobei seine Handflächen nach oben zeigten. Mit einer Hand hielten die Magier seine von unten, die jeweils andere legten sie auf seine inneren Handgelenke.

Eila begann ihren Vers und diesmal verstand Ryan die Worte ganz.

Blut zu Blut.

Empfange, was dir von der Natur gegeben sein soll.

Magie zu Magie.

Empfange, was dir von deinem Erbe gebührt.

Macht zu Macht.

Der Mond soll dein Wächter, dein Herr und dein Freund sein.

Mensch zu Wolf.

Er wird dich leiten, du wirst er sein.

Empfange dein Erbe mit Feuer und Glut.

Gilwar stimmte ein und Lennet beendete mit ihnen die dritte Wiederholung. Die Kerzen flammten auf und Hitze fuhr durch Ryans Hände, seine Arme hinauf und durch seinen kompletten Körper. Er zuckte, doch die beiden Magier hielten seine Handgelenke fest, sodass der Kontakt blieb. Für den Bruchteil einer Sekunde blitzte ein Licht hinter Ryans Augen auf und die Hitze wurde unbändig. Dann ebbte sie ab und der Raum wurde dunkel.

Erst dachte Ryan, die Kerzen wären ausgegangen, doch dann gewöhnten seine Augen sich wieder um. Sofort fiel ihm eine Veränderung auf. Er sah besser. Was vorher im Dunkel gelegen hatte, konnte er nun erkennen. Er konnte sogar die rückwärtige Wand des Saals ausmachen und die lag bestimmt 20 oder 30 Fuß hinter Lennet.

Seine Augen flogen durch den Raum und mit leichtem Schrecken erkannte er weitere Personen weiter hinten an den Wänden links und rechts. Er konnte Logan, Amber und Maise Lynn ausmachen. Vorher hatte er nicht mal daran gedacht, seine Sinne für andere Anwesende zu schärfen, obwohl er gewusst hatte, dass Zeugen und Gäste anwesend sein sollten.

Die kleine Menge stand einer Zweierreihe und hatte sich so still verhalten, dass er sie bis gerade nicht wahrgenommen hatte. Jetzt wo er sie sah, hörte er sie auch. Oder hörte er sie nun, weil das Ritual vollzogen worden war? Amber hatte erzählt, dass ihre Sinne besser werden würden. War es das schon?

Er konnte die Leute hinter Lennet atmen hören und sah sogar, wie Einzelne von ihnen sich bewegten. Sein Blick flog zum Diamantwolf vor sich und plötzlich fehlte ihm die Kraft in den Beinen. Er sank zu Boden, wie seine Eltern und Geschwister vor ihm und kniete nun vor dem Ratsmitglied.

„Ryan Thalan. Du bist nun Teil der Lupis Mâne nôbilitâs. Erhebe dich als Mitglied des Hochadels und trage den Namen Achat mit Würde.“

Ryan erhob sich mit einiger Anstrengung und bedankte sich bei Lennet. Dann wandte er sich ab und verließ den Kreis. Ihm war seltsam zumute. Er fühlte sich matt und abgeschlagen und gleichzeitig durchfuhr ihn unbändige Lust zu laufen. Er wäre am liebsten aus dem Raum gestürmt, hätte sich gewandelt und seinen Wolf, Wolf sein lassen. Auf der anderen Seite wollte er aber auch einfach nur schlafen. Sich in sein Bett legen, die Augen schließen und ausruhen.

Er bekam kaum mit, wie auch Zoe den Titel erhielt. Erst als Otis aus dem Kreis kam, fiel ihm auf, dass auch Gero und Noel schon ziemlich fertig aussahen. Hatte er ihre Aufnahme verpasst?

Sie sahen aus, als würden auch sie in Gedanken versunken sein. Lennet rief Emily auf und Ryan zwang sich zur Konzentration. Mit viel Mühe zur Aufmerksamkeit verfolgte er Emilys, Miles’ und dann Rahels Zeremonie. Kaya war die Letzte, die aufgerufen wurde.

„Kaya Geving, bitte tritt vor“, kam es von Lennet und Kaya stellte sich auf das M. Nun änderte sich der Ablauf und Ryan zwang sich, wacher zu werden. Bleierne Müdigkeit hatte sich eingeschlichen und selbst Tavis und Charlotte wirkten immer unaufmerksamer.

Aus der Versammlung am hinteren Ende des Saals löste sich eine Person und tauschte den Platz mit Lennet. Ryan erkannte Jaron, den Alpha dieses Diamant-Rudels und Lennets Vater. Er baute sich auf der Position seines Sohnes auf, verschränkte die Hände wie im Gebet vor seinem Gesicht und ließ sie dann geschlossen vor sich sinken. Sein Blick blieb dabei die ganze Zeit nachdenklich auf Kaya gerichtet.

Wolfswege 3

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