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"Meine Mutter hat alles gegeben" Jewginija Timoschenkos Mission ist es, Aufmerksamkeit für ihre Mutter Julija zu erzeugen. Für kritische Nachfragen hat sie im Interview in Kiew wenig Verständnis.
25. Juni 2012

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Block Julija Timoschenko, BJuT, heißt die Partei, mit der Julija Timoschenko vor zehn Jahren erstmals bei Wahlen in der Ukraine antrat. Der Raum, in dem ihre Tochter Jewgenija jetzt, am Montag, den 18. Juni 2012, sitzt, ist das ehemalige Arbeitszimmer ihrer Mutter in der Parteizentrale der BJuT. Neben Jewgenija am großen Besprechungstisch hat ihre Pressesprecherin Platz genommen. Daneben der Schreibtisch Julijas, darauf ein Bild Jewgenijas. Die 32-Jährige hat vor Beginn der Fußball-Europameisterschaft einige Interviews in Deutschland gegeben, Talkshows besucht und auf Menschenrechtsverletzungen der ukrainischen Regierung hingewiesen.

Frau Timoschenko, im Krankenhaus, in dem Ihre Mutter inhaftiert ist, hieß es, Sie besuchten sie jeden Montag, heute nicht?

Jewgenija Timoschenko: Nein, weil ich heute mit Ihnen spreche. Morgen kann ich zu meiner Mutter fahren. Ich kann sie momentan an jedem Tag der Woche besuchen.

Sie engagieren sich seit Monaten sehr für die Rechtsstaatlichkeit in der Ukraine. Stehen Sie vor einem Wechsel, von der Geschäftsfrau zur Politikerin – ähnlich wie es Ihre Mutter tat?

Timoschenko: Ihre Frage ist eine Provokation. Nein, ich bin eine Geschäftsfrau, ich habe in England an der London School of Economics and Political Science studiert. Ich betreibe unter anderem ein Restaurant. Meine Mission ist keine politische, meine Mission ist es, jeden Tag eine message meiner Mutter in die Welt zu senden. Um meine Mutter zu verteidigen, will ich exakt erklären, wie das Regime versucht, jede politische Opposition zu zerstören.

Jewgenija Timoschenkos Pressesprecherin, eine ehemalige Journalistin, unterbricht nach den ersten Fragen das Gespräch. Fragen, die nichts mit der Inhaftierung von Jewgenijas Mutter zu tun haben, möchte sie nicht zulassen. Jewgenija müsse den Menschen in Deutschland und der ganzen Welt zeigen, was mit ihrer Mutter geschieht.

Frau Timoschenko, viele Menschen werfen Ihrer Mutter vor, sie sei selbst eine Oligarchin.

Timoschenko: Meine Mutter war eine Geschäftsfrau, die Geld verdient hat, legal! Dann ist sie Politikerin geworden und hat ihre Geschäfte beendet. Besaß sie jemals TV-Sender? Hat sie ihre Macht ausgenutzt? Hat sie mit anderen Präsidenten zusammengearbeitet, um Geld zu verdienen? Sie müssen doch wissen, dass meine Mutter wegen der politischen Repressionen illegal im Gefängnis ist. Die ganze Welt weiß das. Das ist ein Fakt. Das Regime hat sie dort eingesperrt und sie werden sie dort für immer behalten. Aber momentan ist meine Mutter in der Ukraine populärer als Janukowitsch und seine Partei.

Die ukrainische Schriftstellerin Oksana Sabuschko schrieb in einem Gastbeitrag für die Süddeutsche Zeitung vor wenigen Tagen, nur noch zehn Prozent der Ukrainer unterstützten Timoschenko, aber 20 Prozent Janukowitsch.

Timoschenko: In der ukrainischen Presse, sogar in der vom Regime kontrollierten, steht, dass meine Mutter beliebter ist als Janukowitsch, der Vorsprung beträgt vier Prozent. 64 Prozent der Ukrainer trauen Janukowitsch nicht. Sogar Thinktanks, die loyal gegenüber Janukowitsch sind, bescheinigen meiner Mutter höhere Umfragewerte als ihm.

Patienten, die im gleichen Krankenhaus liegen wie Ihre Mutter, Femen-Aktivistinnen, Taxifahrer, Fußballfans,Angler, Journalisten – viele Menschen, die ich getroffen habe, äußeren sich nicht gerade positiv über Ihre Mutter.

Timoschenko: Das heißt, Sie sind kein Journalist. Sie haben keine Vorrecherche betrieben, Sie haben sich anscheinend nicht mit den EU-Parlamentariern getroffen, die sich angeschaut haben, was mit meiner Mutter geschieht, die sie als politische Führerin kennen, respektieren und wissen, dass sie nichts Falsches getan hat. Meine Mutter war 15 Jahre politisch aktiv. Vielleicht hätten einige Dinge noch besser gemacht werden können, aber sie hat alles gegeben, was sie konnte.

Zum Verständnis: Seit der pro-russische Präsident Wiktor Janukowitsch im Frühjahr 2010 zum zweiten Mal zum Präsidenten gewählt wurde, ist von demokratischen Reformen in der Ukraine keine Rede mehr. Laut Transparency International steht das Land im Korruptionsindex auf dem 152. von 183 Rängen. Kritiker beklagen, dass die Justiz von der Regierung abhängig ist und die Presse nicht frei arbeiten kann. Janukowitsch regiert mit einem autoritären Führungsverständnis. Falls es im Oktober nicht zum Sieg reicht, trauen viele Beobachter der Regierung Janukowitsch Wahlfälschung zu. Jewgenija kritisiert den Präsidenten der Ukraine und verteidigt die Menschenrechte, leidenschaftlich. Dafür kann man sie nur bewundern. Ihre Mutter Julija gehört in diesem Jahr zu den Nominierten für den Friedensnobelpreis.

Frau Timoschenko, Ihre Mutter wurde vor zwei Jahren abgewählt, bekommt aber – auch durch Sie – immer noch eine Menge Aufmerksamkeit.

Timoschenko: Menschen werden in diesem Land bestraft, obwohl sie unschuldig sind. Meine Mutter ist ein strahlendes Beispiel dafür, das stellvertretend für viele andere steht – deshalb bekommt sie diese Aufmerksamkeit. Es gibt weitere Opfer, die vom Regime belangt werden. Da sind mindestens drei ehemalige Kollegen meiner Mutter, die in der gewählten Regierung waren und jetzt im Gefängnis sitzen. Oder sprechen Sie mit einem beliebigen Geschäftsmann, er wird Ihnen sagen, dass er keine Chance in diesem Land hat, weil die Regierung die Steuergesetze geändert hat, weil das Justizsystem nicht funktioniert.

Haben Sie Angst, dass Ihrer Mutter im Krankenhaus etwas zustößt?

Timoschenko: Nein. Aber Ihre Fragen sind befremdlich. Ich will nicht antworten.

Frau Timoschenko?

Timoschenko: Die Medien werden mit falschen Informationen manipuliert. Ein Beispiel: Vor drei Monaten hieß es hier, meine Mutter sei gesund, sie bräuchte keine medizinische Behandlung. Dann kam der deutsche Arzt aus Berlin und bescheinigte, dass sie ernsthaft krank ist, nicht laufen kann. Bis dahin hatte die Regierung ihr sieben Monate lang eine medizinische Behandlung verweigert. Das ist kein Scherz! Aber dieses Krankenhaus ist wie ein Gefängnis. Wissen Sie, niemand, sogar die Leute auf der Straße würden nicht in so ein Krankenhaus wollen. Meine Mutter kann sich ihre medizinische Behandlung dort nicht aussuchen, sie würde lieber in Kiew behandelt werden. Können Sie das nicht verstehen?

Die Pressesprecherin unterbricht das Gespräch erneut. Dieses Interview sei kein Interview, wie sie es kennt, sagt sie. Auf den Einwurf, es gebe durchaus Menschen, die sich gern in dem Krankenhaus, in dem Julija Timoschenko liegt, behandeln lassen würden, gibt es keine Antwort. Aus ihrer Tasche holt sie dafür einen Stapel internationaler Zeitungsartikel. "Timoschenko nach Prügel im Hungerstreik" oder "Staatsanwalt nennt Vorwürfe gegen Timoschenko unglaubwürdig" lauten einige der Überschriften. Sie sagt, bevor man ein Interview führt, sollte man diese Texte kennen.

Frau Timoschenko, noch eine letzte Frage. Wie wichtig ist Ihnen die Unterstützung aus Deutschland?

Timoschenko: All jene, die uns unterstützen, in Deutschland, in Europa, in der ganzen Welt, sind für demokratische Veränderungen – sie wissen, dass dieses Land ansonsten zu einer Diktatur wird. Dieser Gedanke entspricht exakt dem Statement von Angela Merkel. Hoffentlich wird die deutsche Regierung den Druck auf die ukrainische Regierung nicht verringern – solange bis die politischen Gefangenen frei sind und in der Ukraine wieder Gerechtigkeit hergestellt ist.

Timoschenko verlässt sofort nach dem letzten Wort des Interviews mit ihrer Pressesprecherin das ehemalige Arbeitszimmer ihrer Mutter. Das Gespräch, das für eine Stunde vereinbart war, endet nach weniger als einer halben.

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