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Mitte Mai in Flensburg

Im Norden des Bundeslands Schleswig Holstein, nahe der dänischen Grenze, liegt die Stadt Flensburg an der gleichnamigen Förde. Ihre 90.000 Einwohner reagieren pikiert und nordisch zurückhaltend, reduziert man die schöne Fördestadt nur auf das Punkteregister für Führerscheininhaber und einen Versandhandel für Sexspielzeug und Dessous, den die Gründerin, Beate Uhse einst unter dem Namen „Fachhandel für Ehehygiene“ in den frühen sechziger Jahren schuf.

Wie ein breiter Flussarm teilt der südliche Ostsee-Fördezipfel die Stadt in zwei Hälften. Die Straßennamen unmittelbar an der Förde lassen den Schluss auf regen Handel und Hafentätigkeit zu. Sie heißen Schiffbrücke, Kompagniestraße, Nordermarkt, Steuermannsgang und die Promenade trägt den kuriosen Namen Norderhofenden. Pack- und Kontorhäuser mit exquisiten Wohnungen und Lofts, die eine oder andere Handelsniederlassung, Restaurants und Cafés säumen die Kais um die Förde. Anleger für Ausflugsschiffe, die in den Sommermonaten Förde-Rundfahrten anbieten, Museumsschiffe und historische Segler runden das maritime, schmucke Bild ab, das die Stadt ihren Einwohnern und Besuchern bietet. In den Sommermonaten herrscht reger Betrieb um und auf dem städtischen Fördezipfel. Segler und Motorboote kreuzen frech mit schäumenden Heckwellen die Kurse der Berufsschifffahrt.

Der Übergang vom Stadt- und Vergnügungshafen zum Wirtschaftshafen im Norden der Stadt und der Förde ist fließend. Das kuschelige Flair der buntgestrichenen Handelshäuser macht einer nüchternen, grauen Industriebebauung am linken Fördeufer Platz. Allen Handels- und Industrie-Emissionen zum Trotz gibt es auch hier Anleger für Yachten jedweder Größe und Bauart.

Frieder Westermann, Kriminalhauptkommissar in Flensburg, stand barfuß in seiner Küche und bereitete sein Abendessen, eine Lachsforelle, vor.

Zu seiner gut geschnittenen Jeans hatte er ein weißes T-Shirt angezogen, von denen er Dutzende besaß. Im Dienst trug er schicke, weiße Hemden, die er schon seit Jahren in einer edlen Hamburger Boutique kaufte. Halbjährlich leistete Frieder sich den Luxus, in Hamburg seinen Bedarf an Dienstkleidung zu decken. Und das war in Frieders Augen auch oft genug. Als gebürtiger Flensburger zog ihn nichts in die Großstadt und vor allem mied er die Autobahnen, um sich nicht durch Staus zu quälen. Während einer dieser Einkaufstouren in Hamburg hatte er Iris kennengelernt, die für Modeaufnahmen in der Hansestadt posierte. Trotz unterschiedlicher Mentalitäten wurden Frieder und Iris St. John, die in der Modelwelt als langbeinige, kaffeebraune Schöne unter dem Künstlernamen Savannah bekannt war, ein Paar. Dass Iris sich langfristig nicht in Flensburg wohlfühlen konnte, lag auf der Hand. Zudem wollte sie ihre eigene Modelagentur in München gründen. Und das war auch der Grund, warum Iris sich vor gut einem Jahr von ihm trennte. Frieder konnte sich nicht vorstellen, zwischen München und Flensburg zu pendeln. Warum Iris nicht in Hamburg – was für Frieder schon zu entfernt von seiner geliebten Ostsee lag – bleiben konnte, hat er später schmerzlich herausgefunden. Sie diskutierten und stritten tage- und nächtelang, versöhnten sich für kurze Zeit und dann fing die Diskussionsarie von neuem an. Frieder solle sich ganz nach München versetzen lassen, gute Kriminalkommissare werden auch an der Isar gebraucht, argumentierte Iris. Nach einem dieser nervenaufreibenden Konflikte reiste Iris ab, ohne dass es zu einer Versöhnung zwischen Frieder und Iris kam. Frieder war sauer und fand zudem heraus, dass Iris vor Beginn der Affäre zwischen ihnen ein Verhältnis zu einem in München lebenden Fotografen hatte, den Iris Frieder gegenüber als ihren besten Freund und Förderer bezeichnet hatte. Nach einem Leben in einer fremden Stadt und die Möglichkeit, eventuell Iris’ Ex-Lover zu treffen, hatte Frieder kein Verlangen. Zu allem Übel und Herzschmerz verstarb kurz nach der Trennung von Iris Frieders Vater plötzlich an einem Herzinfarkt.

Seine Mutter, Helma Westermann, war durch den Kapitänsberuf ihres verstorbenen Mannes daran gewöhnt, lange alleine zu leben und hatte eine moderne Selbstständigkeit entwickelt, die anderen Frauen ihres Jahrgangs fehlte. Trotzdem war sie froh, dass ihr Sohn nun nach langem Beziehungshickhack in Flensburg blieb. Ihr, Helma, war die Ei-Riss sowieso viel zu unstet und flippig gewesen.

„Andere Mütter an der Förde haben auch schöne Töchter, Frieder. Frauen, die in dieser Stadt oder in dieser Region geboren sind und auch hier bleiben wollen. Frauen, die richtige Vornamen haben und nicht wie ein kaputtes Ei oder eine Stadt in Amerika heißen. Glaube deiner alten Mutter, mein Junge.“ So hatte sie ihn damals getröstet und ihm den Rat gegeben, sich eine neue Wohnung zu suchen, damit ihn nichts mehr an Ei-Riss erinnern sollte.

Im Job lief es für Frieder eigentlich ganz gut. Er war befördert worden und hatte Kollegen, mit denen er ausnahmslos prima auskam. Sie waren in der Bezirkskriminalinspektion Flensburg – kurz BKI Flens genannt – ein gutes, langjährig eingespieltes Team.

In Frieders Küche auf der Arbeitsplatte lag nun die große, in hellen Rot- und Silbertönen gesprenkelte Lachsforelle. Dass der Fisch gestern noch lebte, war unschwer an den klaren Augen und den roten Kiemen zu erkennen.

„Suuuuuperfangfrischschsch! Und aus ökologischer Haltung GARANTIERT!“ – mit diesem Spruch hatte der Fischhändler heute Morgen auf dem Wochenmarkt seinen Köder ausgeworfen. Frieder, der aus Lust und Laune über den Markt bummelte und eigentlich nur ein Kilo frischen Spargel kaufen wollte, wurde schwach und erwarb eine Lachsforelle.

‚Die brauche ich wenigstens nicht schälen.‘ Er dachte an den Spargel, der bis heute Vormittag auf seinem Speiseplan stand. Nun gut. Dann eben Forelle. Die hat auch nicht viele Kalorien. Für einen Mann in den besten Jahren – Frieder war vor zwei Wochen, am 1. Mai, 45 Jahre alt geworden – hatte er sich gut gehalten. „Wenig Gebrauchsspuren oder geringe Abnutzung“ wurde dieser Zustand in den Foren von Internet-Singlebörsen genannt. Frieders Beschreibung bei einer virtuellen Partnervermittlung, bei der er als Single-Mann auf der Suche nach der ultimativen Frau war, klang ähnlich:

„Sehr gut aussehender Mittvierziger, 196 cm groß, rot-blond gelockt, blauäugig, aber nicht blöd, mit Körperhaar und für das Körpergewicht von gut 100 kg etwas zu klein, sucht eine attraktive und gutmütige Partnerin ohne Anspruch auf Unterhaltung, mit einer großen Portion Lebenslust, Humor, Cleverness und Teamgeist.“

Nach der Beziehung mit Iris hatte Frieder kurze Affären, es war jedoch keine Frau dabei, die ihn aus seiner Ruhe und Mitte hätte bringen können. Gelassen sah Frieder in die Zukunft. Irgendwann wird Madame Right, eine Frau, die ihm gleichzeitig Freundin, Geliebte, Vertraute und Gefährtin sein wird, vor ihm stehen. Er würde es merken, wenn es soweit war.

Feuchtglänzend, prall und bar jeglicher Zutaten wartete die Forelle auf eine angemessene Zubereitung. ‚Was will diese Forelle?‘ Frieder war unschlüssig. Sollte er das schöne Tier filetieren und die Filets in Zitronenbutter braten? Oder sollte er den Fisch im Ganzen in den Backofen schieben und das bewährte Rezept mit Pesto aus mediterranen Kräutern verwenden? Mit einem Blick auf den makellosen Forellenleib, den Frieder ungern zu Filets zerschnitten hätte, füllte er eine halbe Tasse Olivenöl, einen Esslöffel grobes Meersalz, zwei Knoblauchzehen, den Saft einer Zitrone und jeweils eine Handvoll frischen Dill und Thymian in den Zerkleinerer. Ruckzuck war ein Pesto hergestellt, mit der Frieder sorgsam die Forelle füllte und von außen bestrich. Anschließend setzte er die Forelle bäuchlings auf ein Stück Alufolie in eine Bratform und schloss die Folie lose – nicht vollständig – über dem Forellenrücken. Während der Garzeit von circa 45 Minuten bei 200 Grad räumte Frieder die Küche auf und bereitete ein Tablett mit Teller, Besteck und Baguette vor. Er würde draußen auf der Terrasse essen und entkorkte einen Spätburgunder Weißherbst aus Württemberg.

Frieders Terrasse war das Achterdeck eines modernen Hausbootes, welches er sich nach der Trennung von Iris kaufte. Das Hausboot lag im Norden der Museumsschiffe an der Westseite der Förde und hatte jeglichen Komfort, den eine Landwohnung ebenfalls geboten hätte. Mit dem Fahrrad waren es nur wenige Minuten bis zum BKI und die Kneipenmeile konnte er zu Fuß erreichen.

Während Frieder Wein trinkend auf sein Abendessen wartete, dachte er an einen unlängst abgeschlossenen und unbedeutenden, belanglosen Fall von Beleidigung und Nötigung im Straßenverkehr. Eigentlich gehörten Verkehrsdelikte nicht in seinen Zuständigkeitsbereich. Er war für Betrug, Diebstahl und Mord zuständig. In seiner Gutmütigkeit hatte er sich überreden lassen und seine guten Kontakte, die er zu den Kollegen in den Nachbarkreisen hatte, genutzt. Was war passiert? Der Fahrer eines Fahrzeuges mit Hamburger Kennzeichen hatte auf der A7 in Höhe der Raststätte Warder den Fahrer eines Fahrzeuges aus Kiel, welches in gleicher Richtung auf der rechten Fahrspur unterwegs war, mit der Lichthupe bedrängt und durch das Zeigen des ausgestreckten Mittelfingers beleidigt. Der Kieler Fahrer fackelte nicht lange und erstattete noch während der Fahrt Anzeige wegen Nötigung und Beleidigung. Der von der zuständigen Dienststelle versandte Zeugenfragebogen an den Hamburger Fahrzeughalter ergab allerdings, dass sich das genannte Fahrzeug zum Tatzeitpunkt nicht auf der A7 in der Nähe der Raststätte Warder befand, sondern in der Garage des KFZ-Halters geparkt war. Der Fahrer des Hamburger Fahrzeuges nannte zwei Personen, die bezeugten, dass das Fahrzeug und der Fahrer zum Tatzeitpunkt in Hamburg waren. Es schien, als verliefe die Anzeige im Sande …

Frieder erinnerte sich jedoch an einen Fall von Kreditkartenfälschung. Aufgefallen war der Einsatz der gefälschten Kreditkarten an einer Tank- und Raststätte an der A7. Im Zuge der Überprüfung aller Belege und Karteninhaber innerhalb eines kurzen Zeitraumes wurde festgestellt, dass der Inhaber einer EC-Karte, mit der eine Tankrechnung beglichen wurde, auch der Hamburger Drängler war. Letztendlich wurde dieser wegen Nötigung, Beleidigung, Falschaussage und Zeugenbeeinflussung angeklagt.

Mit einem zufriedenen Lächeln dachte Frieder an seinen Erfolg: ‚Wenn sich doch alle Fälle so schnell und problemlos lösen ließen.‘

Seit ein paar Tagen war das Flensburger BKI-Team mit einer Einbruchserie in einem der Flensburger Yachthäfen befasst. Frieder seufzte. Das sollten jetzt nicht seine Sorgen sein, er hatte Wochenende. Er wollte gut essen, nachher was trinken gehen, vielleicht eine nette Frau kennenlernen und morgen ausschlafen. Erst Montag wäre er wieder der BKI-Mann aus Flens im weißen Oberhemd.

Sören Schneider, Frieders engster Kollege beim BKI und sein Schreibtisch-vis-á-vis, betrat das kleine Dienstzimmer, das sich die beiden Kommissare teilten.

„Guten Morgen, Westermann, na, alles roger bei dir? Haste ’n schönes Wochenende gehabt? Hier war es ja ruhig, Gott sei Dank. Nächstes Wochenende, wenn die Rumregatta startet, ist’s vorbei mit den ungestörten Tagen. Guck mal hier: Erdbeeren! Die schickt dir meine Frau. Sie sagt, die helfen beim Abnehmen. Du darfst nur keinen Zucker oder Vanille-Eis drüber tun.“

Mit Schwung stellte Sören Schneider ein kleines Spankörbchen mit aromatisch duftenden Erdbeeren auf den Aktenstapel, den Frieder just durchsehen wollte.

Frieder grinste und lehnte sich zurück, seine großen Hände ruhten gelassen neben den Akten und dem Erdbeerkörbchen. Das weiße, kurzärmelige Hemd, das er heute angezogen hatte, spannte sich leicht über seiner Bauchwölbung. Frieder atmete aus und richtete sich im Sitzen auf: die Hemdspannung ließ nach, der Stoff fiel locker in kleine Falten. Frieder blickte auf die weiße Fläche über seinem nicht sichtbaren Gürtel – weil vom Bauch verdeckt – und fragte: „Wieso soll ich denn abnehmen? Das Hemd ist doch viel zu weit! Aber danke für die Erdbeeren. Ich bringe sie nachher zu meiner Mutter, die packt sie auf einen Tortenboden und, naja, du weißt ja, wie gerne sie in der Küche steht. Sag deiner Elke einen herzlichen Dank und Gruß.“

„Mach ich, Kollege, mach ich.“

Sören Schneider war Anfang 40 und glücklich verheiratet. Er hatte mit seiner Frau Elke eine Tochter und ein passables Segelschiff, mit dem die Familie Schneider in den Ferien in Urlaub fuhr.

„Sag’ mal, hast du es auch schon gehört? Kollege Meyerhenke will sich nach Niedersachsen versetzen lassen. Wär’ ja schade, wenn er ginge. Insbesondere im Chor wird er mir fehlen.“ Einige Kollegen des BKI Flens sangen regelmäßig gemeinsam im Polizeichor Flensburg, dessen Mitglieder nicht nur aus der Dienststelle, sondern auch aus anderen Berufsbereichen kamen. Die Proben endeten häufig mit einem gemütlichen Abend beim Bier.

Frieder wählte mit Bedacht eine Erdbeere und biss hinein. „Nee, du, hab’ ich nicht. Reisende soll man nicht aufhalten. Bekommen wir eben einen neuen Kollegen. Hoffentlich kann der singen. Dann sind wir wieder komplett. Kommst du morgen Abend zur Probe?“

Sören nickte, denn das Telefon auf Frieders Schreibtisch klingelte.

Frieder nahm den Hörer ab: „Westermann. Ja, okay. Wir kommen rüber, bis gleich.“

Zu Sören sagte er: „Wir sollen zum Alten kommen. Unverzüglich. Es gibt eine wichtige Besprechung.“

Der „Alte“ war Manfred Hansen, Leiter des BKI, der im nächsten März in den wohlverdienten Ruhestand entlassen werden würde. Die Kollegen würden ihren Ma-Ha, so nannten sie ihren Chef mit der im Sommer gebräunten Glatze, vermissen. Manfred Hansen verstand es, sein Amt korrekt und mit Erfolg zu leiten und gleichzeitig über einen zufriedenen Mitarbeiterstab zu verfügen. Die guten kollegialen und zum Teil freundschaftlichen Verhältnisse und Beziehungen zwischen Amtsleitung und Kollegen begründeten sich in der geteilten Leidenschaft für den Segelsport. Wer es sich leisten konnte, hatte in einem der zahlreichen Segelclubs an der Förde eine Segelyacht oder eine Jolle für Tagestörns liegen.

Hanseaten-Mord

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