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Dalmatien
Ankunft, Mittwoch 14. Juli bis Donnerstag, 15. Juli
Sie standen am Hafen von Split und suchten ein Schiff zur Insel Hvar. Joseph Hofstätter bewachte die zwei Rollkoffer. Er blinzelte in die Sonne, die schon tief im Westen stand. Josefine Karloff ging ein Stück hinaus auf die Mole, wo ein Hafenarbeiter an einem Handwägelchen lehnte, auf dem einige Gepäckstücke lagen.
Vor ihnen erstreckte sich das weite Hafenbecken, erfüllt von flirrendem Dunst und glastigem Wolkenschleim, weißgrau und feucht. Weit draußen, wo bei der Hafenausfahrt ein Leuchtturm aufragte, erschienen ein paar Schiffe, Rauchwolken hinterherschleppend, ohne merkliche Bewegung.
»Wann geht das Schiff nach Hvar?«, fragte Josefine den sonnenverbrannten Hafenarbeiter.
»Acht Uhrr«, sagte er bedächtig. »Morgen acht Uhrr.«
»Und heute noch?«
»Heute nix Schiff nach Hvar. Morgen acht Uhrr.« Er zuckte die Achseln, wandte sich ab und rollte sich eine Zigarette.
Es war schwül. Der Lärm und der Gestank des Hafens, das Kreischen einer Motorwinde, das Plärren einer Sirene am Horizont, zerrten an Josefines Nerven. Der Flug von Frankfurt nach Split war angenehm verlaufen. Vor allem pünktlich. Aber hier am Balkan gingen die Uhren wohl anders, musste sie feststellen.
Es war ihr erster Urlaub ohne die Frau Mama. Und der erste Urlaub, der nicht an exklusivem Ort in einem Luxushotel verbracht wurde. Obwohl Josefine schon 23 Jahre alt war, musste sie bisher stets im Windschatten ihrer Mutter segeln. Frau Irmgard Karloff-Bardolino, zweifache Witwe und Erbin vieler Millionen, die ihre allzu früh verstorbenen Männer erwirtschaftet hatten, achtete streng und nicht ohne Erfolg darauf, dass ihr Töchterlein in ebenbürtiger Gesellschaft verkehrte. Den Mitgiftjäger und Hochstapler Barta hatte sie elegant beiseitegeschoben, freilich ein wenig zu spät. Sie hatte nicht verhindern können, dass Josefine nach einem unvorsichtigen Schäferstündchen mit diesem Barta schwanger wurde. Die Folgen allerdings ließ die ebenso resolute wie lebenstüchtige Witwe durch einen diskreten Arzt beseitigen. Die Gefühle ihrer Tochter waren ihr egal. Das lag nun drei Jahre zurück.
Da stand Josefine nun in ihrem leichten blauen Sommerkleid und wirkte etwas ratlos. Kein Schiff nach Hvar heute. Von ihren früheren Urlaubsreisen mit ihrer Mutter war sie Besseres gewohnt. Geblendet beobachtete sie das glitzernde Spiel der Wellen um die Mole und die knapp über dem Wasser segelnden Möwen, die nach dem silbrigen Bauch eines toten Fisches schnappten, der zwischen faulenden Melonenschalen dümpelte. Ein alter Dodge blubberte an ihr vorbei.
Sie ging zurück zu ihrem Freund, der die Koffer bewachte. Joseph Hofstätter, 24 Jahre alt, aus Wien und Doktor der Rechtswissenschaft, entsprach keineswegs den Vorstellungen, die Josefines Mutter von einem künftigen Schwiegersohn hatte. Er stammte aus einfachen Verhältnissen und hatte weder den Ehrgeiz, der High Society anzugehören, noch das Bestreben, besonders reich zu werden. Zu Geld hatte er keine Beziehung. Josefines Millionenerbe betrachtete er eher als hinderlich. Wäre sie ein »einfaches« Mädchen gewesen, hätte er sie schon vor Monaten zu seiner Geliebten gemacht. Damals, als er mit nichts als nur zwei alten Koffern voller armseliger Klamotten aus Wien nach Frankfurt kam, um hier seine Arbeitsstelle anzutreten, war Josefine noch die arrogante, anspruchsvolle Prinzessin gewesen. Dass er bei einer solchen verwöhnten Lady keine Chancen auf ein Liebesverhältnis hatte, war ihm von Anfang an klar. Aber er war fasziniert vom Wesen dieser kühlen, klugen und distanzierten jungen Frau. Dass sie noch unter der quälenden, nach drei endlosen Jahren zu Ende gekommenenBeziehung mit seinem Freund Barta litt, hatte er gleich bemerkt. Und so war es ihm gelungen, mit Geduld und Einfühlsamkeit, mit freundschaftlicher Zuneigung, mit ein wenig List und schließlich mit Liebe, Josefine zu gewinnen. Sogar die kurze und heiße Affäre mit ihrer Erzfeindin Charlotte Trenkhoff hatte sie ihm verziehen. Und jetzt war es ihr eigener Wunsch gewesen, mit ihrem Joseph den Urlaub auf seiner gewohnten Ferieninsel in Dalmatien zu verbringen. Dass er dortin den vergangenen Jahren jede Gelegenheit wahrgenommen hatte, hübsche Mädchen zu vernaschen, wusste sie. Diesmal aber hatte sie ihm die Suppe versalzen. Er sollte sich nur trauen, anderen Weiberröcken hinterher zu schauen!
»Heute geht kein Schiff mehr nach Hvar«, klärte sie Joseph auf.
»Tja, dann übernachten wir eben in Split«, antwortete er gelassen. »Ein Zimmer finden wir ganz leicht. Drüben am Bahnhof stehen immer Männer, die ihre Sobe anbieten.«
Sie gingen den Weg zurück über die Mole, vorbei an Halbwüchsigen, die auf der Hafenmauer hockten und fischten. Vor dem Bahnhof sahen sie schon einige ältere Männer mit Strohhüten, die den vorübereilenden Touristen »Soba, Soba Izvolite, Zimmer gefällig, wenn angenehm!« zuriefen.
Joseph sprach einen der Männer an, der ihm am vertrauenswürdigsten erschien.
»Zimmer? Gut, kommen sie mit mir, ich habe Zimmer«, sagte der Mann in fast akzentfreiem Deutsch.
»Weit vom Hafen?«, wollte Josefine wissen. Sie war schon recht erschöpft und hatte Sehnsucht nach einer erfrischenden Dusche und einem Bett, auf dem sie sich wenigstens eine Stunde lang ausstrecken konnte. Und sie hatte Sehnsucht nach Joseph, nach seiner Berührung, seinen Zärtlichkeiten. Noch keine Woche war es her, dass sie zum ersten Mal miteinander geschlafen hatten. Aber was heißt da »geschlafen«? Joseph vermochte ihr, die außer einem vorzeitig abgebrochenen Schäferstündchen mit ihrem Ex Barta noch keine körperliche Liebe kennengelernt hatte, eine ganz neue Welt zu erschließen. Und jetzt verspürte sie schon wieder dieses sehnsuchtsvolle Ziehen in ihrem Schoß.
»Nicht weit vom Hafen. Gleich um die Ecke«, beruhigte sie der Mann.
»Sie sprechen ja so gut Deutsch«, sagte Joseph zu ihm.
»Habe fünf Jahre in München gearbeitet«, antwortete er und stapfte rüstig voraus.
Joseph sah, dass Josefine schon recht mühsam vorankam. Er nahm ihr den Rollkoffer ab und schleppte nun beide Gepäckstücke. Der Mann bemerkte es und angelte sich einen davon. So ging es besser.
Aus der einen versprochenen Ecke wurden mehrere. Der Quartiergeber führte sie in ein schmales Gässchen, das steil hinter einem Festungsturm anstieg.
»Diokletian-Palazzo«, erklärte der Mann und wies auf die Mauern hin. »Von den alten Romani.«
Blaue Dämmerung senkte sich schon in die enge Gasse, nur die Dächer waren noch von der Sonne beschienen. Schwalben schwirrten schreiend um die Stützbalken der Balkone. Wäsche hing an Leinen quer über die Gasse. Lärmende Kinder tollten aus einer schwarzen Schlucht zwischen den Häusern hervor, wo kein ausgewachsener Mann mehr durchkam. Sie sangen einen englischen Gassenhauer. Der Refrain verhallte zwischen den hohen Steinmauern. Ein Hund bellte, eine dicke Frau steckte den Kopf aus einem Fenster zu ebener Erde und keifte dazwischen. »Drago! Drago!!« Gegenüber lehnte ein Mann mit Knollennase im Fenster und brummte im Bass dazu.
»Noch weit?«, fragte Josefine, jetzt schon etwas ungehalten.
»Sind schon da.« Der Mann wies auf ein schmales Haus, das sich zwischen zwei palastartigen Gebäuden duckte.
Ein kleines Mädchen sprang ihnen entgegen.
»Meine Tochter.«
Im Hintergrund liefen die Kinder wieder aus der Häuserschlucht hervor. Sie sangen immer noch ihren Gassenhauer.
Der Mann öffnete das verwitterte Tor seines Hauses und führte sie über den Flur in ein großes, sauberes Zimmer, in dem neben dem Doppelbett noch ein schmaleres Bettchen stand. Offensichtlich das Schlafzimmer der Familie, in der Saison an Gäste vermietet. Er zog die Vorhänge beiseite.
»Badezimmer ist am Ende vom Flur«, erklärte er. Dann fragte er, ob seine Gäste noch etwas benötigten und ging.
Josefine fiel mit einem Seufzer aufs Bett. »Geschafft, ich bin todmüde. Und ich schlafe rechts, mein Herr’, bestimmte sie und streifte im Liegen die Schuhe ab.
Joseph hievte ihren Rollkoffer auf eine Kommode. Sein Gepäck legte er auf den Fußboden, öffnete den Deckel und kramte sein Waschzeug hervor.
»Willst du zuerst ins Bad?«, fragte er auffordernd. »Ich hab Hunger.«
»Ich mag nichts essen, ich bin müde«, antwortete sie trotzig. »Aber gib mir auch meinen Kulturbeutel, dann mache ich mich frisch.«
»Oh Madame besitzen einen Kulturbeutel, wie vornehm«, frotzelte Joseph und reichte ihr das gewünschte Stück. »Wenn Madame erfrischt sind, hätte ich noch ein kleines intimes Kulturprogramm im Angebot.«
»Lüstling!«, sagte Josefine nur schmunzelnd und machte sich auf den Weg ins Bad. Die Aussicht, sein Angebot zu prüfen, beflügelte sie. Schon im Flugzeug, als sie ihn dicht neben sich spürte und seine männliche Ausstrahlung wahrnahm, hätte sie ihn am liebsten eng umschlungen und in ihren Schoß aufgenommen. Was hatte er nur mit ihr angestellt? Sie war doch früher immun gegen solche Versuchungen. Ihre Partner im Golfclub hatten bei ihr nie irgendwelche Gefühle erregt. Und dann kam dieser schlaksige Typ mit seinen schwarzen Haaren, seinen dunklen, verschatteten Augen und seiner melodischen Stimme und brachte ihre Sinne zum Vibrieren. Ängstlich war sie gewesen, vor dem ersten Mal mit ihm. Und dann ließ er alle ihre Dämme brechen, ließ ihre Weiblichkeit auferstehen aus ihrem Innersten und erweckte sie zu einer vollkommenen Frau. Dieser Hexenmeister!
Josefine entkleidete sich, verstaute ihre langen, hellbraunen Haare unter einer Haube, die sie ihrem Kulturbeutel entnahm und trat unter die Dusche. Sie drehte den Wasserhahn auf und genoss das lau temperiert herabrieselnde Nass. Mit den Regenwald-Duschen in den Luxushotels, in denen sie bisher logierte, war dieses Getröpfel nicht zu vergleichen. Nach wenigen Minuten war der Vorrat an warmen Wasser erschöpft. Josefine drehte das Wasser ab und griff nach ihrem Duschgel, das eine feine Duftnote von Zitrusfrüchten verströmte. Sorgfältig säuberte sie Arme und Beine, auch ihre kleinen, festen Brüste und den flachen Bauch, der sich wie ein umgekehrtes Weinblatt nach innen wölbte. Dann stockte sie. Was hatte Joseph gesagt, als er zum ersten Mal den Duft und das Aroma ihrer Weiblichkeit erkundete? Er wollte sie, wie die Natur sie sein ließ. So verzichtete sie an dieser Stelle ihres Körpers auf das Duschgel und begnügte sich mit reinem Wasser. Sie wollte sich ihrem Joseph so darbieten, wie er sie wünschte. Sie war seine Frau. Aber ob sie auf Dauer so leidensfähig sein würde, ihm zuliebe auf den gewohnten Luxus zu verzichten, das wusste sie nicht.
Joseph lag unterdessen in Unterwäsche auf dem Bett und dachte nach. Es war das zehnte Mal, dass er seinen Urlaub in Dalmatien auf der Insel Hvar verbrachte. In den ersten Jahren war er natürlich mit seinen Eltern gekommen. Aber nach dem Abitur, als er mit Ferienjobs sein erstes eigenes Geld verdiente, fuhr er allein. Doch er blieb nie lang allein. Die Insel war ein Geheimtipp unter jungen Leuten. Aus allen Ecken Europas kamen sie angereist, aus Schweden, Dänemark, Holland, Deutschland, England, ja selbst aus Italien. Und es fand sich immer die eine oder andere junge Dame, die ihm den Urlaub versüßte und sich von ihm verwöhnen ließ. In diesem Jahr aber war alles anders. Er brachte seine Geliebte schon mit. War das, wie Eulen nach Athen tragen? Nein, denn über die flüchtigen Urlaubsaffären war er hinaus, versicherte er sich selbst. Er liebte seine Josefine, hatte lange um sie geworben, liebte sie von ganzem Herzen, auch wenn er einmal schwach geworden war. Ja, die Affäre mit der Traumfrau Charlotte Trenkhoff war über ihn hereingebrochen wie ein Tsunami. Sie hatte sich ihn genommen und er ließ es geschehen, zögerlich erst, dann mit vollem Genuss. Sie überrannte ihn einfach, wollte ihn sogar heiraten. Sie brannte wie eine Kerze, die an beiden Enden angezündet wurde. Jetzt war sie tot, hatte ihr Leben bei einem selbst verschuldeten Autounfall verloren. Joseph ahnte, dass er dieser Frau auf Dauer nicht gewachsen gewesen wäre. Sie hatte seine Sinne umnebelt, aber sein Herz hatte sie nicht gewonnen. Das gehörte Josefine. Und sie würde jeden Augenblick wieder ins Zimmer treten.
Er erhob sich vom Bett und stöberte in seinem Koffer. Er zog sein Badetuch hervor und breitete es über das Bettlaken.
Dann kam Josefine zurück ins Zimmer. Sie hatte nur ihr Sommerkleid übergeworfen und trug die Unterwäsche in der Hand. Sie stutzte einen Augenblick lang, als sie das mit Josephs Badetuch bedeckte Bett sah. Er stand, nur mit seinem Slip bekleidet, neben dem Bett.
»Ich denke, du hast Hunger«, sagte sie und zwinkerte ihm zu.
»Ja, nach dir«, antwortete er lächelnd und näherte sich ihr.
Josefine ließ Kulturbeutel und Unterwäsche fallen und streckte ihm einladend beide Hände entgegen. Endlich! Er nahm ihre Hände, zog sie an sich und umarmte sie stürmisch.
»Mehr als vierundzwanzig Stunden ohne deine Zärtlichkeiten, das ist zu viel. Ich brenne nach dir, mein Engel. Komm, entspann dich.«
Er küsste sie leidenschaftlich, dann zog er ihr das Kleid über den Kopf und führte sie zum Bett.
»Leg dich an den unteren Rand, lass die Beine auf den Boden baumeln.«
Sie folgte seinen Anweisungen. Von Anfang an hatte Joseph sie daran gewöhnt, tabulos über Sex zu reden und die Wünsche an den Partner auszusprechen. Von jenem, durch vorzeitigen Erguss beendeten Schäferstündchen mit ihrem Ex Barta einmal abgesehen, bei dem sie keinerlei Berührung verspürt hatte, war sie praktisch noch Jungfrau gewesen, als Joseph sie zum ersten Mal genommen hatte. Und er nutzte die Chance, aus ihr die Geliebte zu formen, die er sich wünschte.
Joseph kniete sich vor das Fußende des Bettes und legte sich Josefines Schenkel über seine Schultern. Er küsste die Innenseiten ihrer Oberschenkel, die er leicht auseinander drückte und erreichte schließlich ihren Schoß. Seine Zunge umspielte ihre Schamlippen, dann vergrub er seine Nase in ihrem Schamhaar, das sie zu einem winzigen Dreieck rasiert hatte. Aber jetzt, nach der Dusche, war da kein Dufthauch ihrer Weiblichkeit. So zog Joseph seinen Kopf ein Stück zurück und begann, die Außenseite ihres Lustzentrums mit dem Daumen seiner Rechten zu streicheln.
»Jaaa. Mach weiter«, stöhnte sie.
Er spürte, wie die erste Feuchtigkeit aus ihrer Spalte kam und drang mit einem Finger in sie ein. Die Wärme ihrer Höhle, die ihn begierig aufnahm, erregte ihn. Er ließ seinen Finger kreisen, drang weiter vor, suchte und fand die Stelle, an der er ihr die höchste Lust bereiten konnte.
»Ich hab dich so vermisst!«, stieß sich leise hervor.
Dann fühlte er das konvulsivische Zucken in ihrer Spalte, fühlte, wie sein Finger von ihrer urweiblichen Kraft umschlossen und festgehalten wurde. Sie kam, heiß, gewaltig und nass. Er ließ sie nicht zur Besinnung kommen, zog seinen Finger zurück und erkundete ihren Schoss nun mit seiner Zunge. Jetzt konnte er den Duft ihrer Weiblichkeit einatmen und sich daran berauschen. Und er kostete ihr leicht salziges Aroma. Wieder stöhnte sie, jetzt lauter und mit tiefer Stimme. Ihre Hand fasste in seinen Haarschopf und führte ihn an die richtige Stelle. Als sie kam, verkrampften sich ihre Finger. Er fühlte den Schmerz, aber es war ein süßer Schmerz.
»Du Teufel, das war gut! Jetzt komm ganz in mich«, flüsterte sie eindringlich, als sie wieder ihre volle Besinnung erlangte.
Sie rutschte auf dem Badetuch nach oben, lag nun auch mit ihren Beinen ganz auf dem Bett, immer noch auf dem Rücken. Joseph kniete sich zwischen ihre Schenkel, hob ihre Beine sanft an und legte sie sich abermals über seine Schultern. So konnte er von unten in sie eindringen und mit seinem Schwanz ihr Lustzentrum verwöhnen, während sie bequem lag, die Augen schloss und seine kraftvollen Stöße mit immer stärkerer Erregung genoss. Sie stützte sich mit ihren Händen an seinen Oberschenkeln ab und gab ihm den Takt vor, unbewusst, nur noch von ihrer Sinnlichkeit gesteuert.
»Oh mein Gott! Was hast du mit mir gemacht!«, stöhnte sie keuchend, nachdem ihre Erregung in einer Sturzwelle von lustvollem Gefühl den Höhepunkt erreicht hatte. Dass auch Joseph dabei nicht zu kurz gekommen war, hatte sie gar nicht gemerkt.
»Ich dachte, du bist müde«, flachste er nun, nachdem er sich von ihr löste und neben sie ausstreckte. »Du warst ganz schön munter, mein Engelchen.«
»Du bist ein Teufel. Aber warte nur, meine Rache wird dich treffen«, gab sie schmunzelnd zurück und zwickte ihn in die Seite.
»Und du bist eine wunderbare Frau Josefine, ich liebe dich. Du bist meine Frau«, sagte er und schaute ihr strahlend in die Augen.
»Irrtum, mein Lieber«, antwortete sie mit leichter Ironie in der Stimme. »Ich bin nur deine Affäre.«
»Du bist ja nachtragend!«
Oh ja, seine Behauptung, sie sei zu einer Affäre nicht fähig, die hatte sie nicht vergessen. Vor vier Monaten, als er um ihre Freundschaft warb und zu ihrer Beruhigung versicherte, ein Liebesverhältnis zwischen ihnen wäre gar nicht möglich, hatte er sie mit dieser frechen Behauptung provoziert. Zu einem Liebesverhältnis war sie damals auch noch nicht bereit, nach dem quälenden Ende der verletzenden Beziehung mit Barta. Zu einer oberflächlichen Affäre ohne eheliche Zukunft schon gar nicht. Seit jenem Tag arbeitete Josephs freche Behauptung unermüdlich in ihrem Inneren. War sie wirklich so altmodisch und spießbürgerlich, Liebe nur empfinden zu können, wenn sie unmittelbar in eine standesgemäße Ehe mündete? Und standesgemäß war der arme Schlucker Joseph nun wirklich nicht. Aber auch Josefine war noch abhängig von ihrer Mutter. Frau Irmgard verwaltete ihr Erbe. Erst mit 25 Jahren würde Josefine Zugriff auf ihre Millionen erhalten. Egal, sie hatte letztlich alle Bedenken beiseitegeschoben und war ihrem Herzen gefolgt, das sich längst für Joseph entschieden hatte. Ob Heirat oder Affäre, er war ihr Mann. Auch wenn ihr langsam Zweifel kamen, ob sie seinen einfachen Lebensstil wirklich auf Dauer ertragen könnte.
»Und du bist inkonsequent, vergisst deine eigenen Worte«, antwortete sie und bemühte sich, schnippisch zu klingen. Was sie dachte und fühlte, musste sie ihm ja nicht offen präsentieren.
»Man darf ja wohl noch dazulernen«, meinte er fröhlich und zog sie an sich. »Komm, wir kuscheln noch einen Augenblick.«
Das ließ sie sich nicht zweimal sagen und schmiegte sich schnurrend an seine Brust. So lagen sie noch eine gute Weile, bis Josephs Magen sich mit unüberhörbarem Knurren meldete.
»Jetzt habe ich wirklich Hunger, lass uns aufstehen«, sagte er.
Sie zogen sich an und traten auf die schmale Gasse hinaus. Unterdessen war es stockdunkel geworden, nur ein paar spärliche Straßenlaternen zeigten ihnen den Weg. An der Einmündung der Gasse in eine etwas breitere Straße entdeckten sie an einer Hausecke ein Straßenschild. Joseph fotografierte es mit seinem Handy, um den Rückweg zu finden.
Sie näherten sich dem Hafen. Die Luft roch salzig und nach fauligem Tang. Vor ihnen lag das dunkle, stumme Meer. Eine silbrige Lichtgasse führte zum Horizont, darüber stand der Vollmond, bleich, von hauchfeinen Schleiern umgeben. Lichter blinkten draußen bei der Hafeneinfahrt. Ein auslaufender Motorkutter zog Silberwellen hinter sich her.
Sie folgten der Uferstraße ein Stück und bogen dann in eine gut beleuchtete Gasse ein, die durch einen Torbogen in den Diokletian-Palast hineinführte. Musik drang ihnen entgegen.
»Hier gibt es sicher ein Restaurant«, meinte Joseph.
Es roch nach Wein, nach schwerem, süßen Dalmatinerwein, aus getrockneten Trauben gepresst, berauschend und dickflüssig wie Olivenöl. Proscheko. Und es roch nach scharfen Gewürzen, nach Rauch, nach rauchigen Rosten, nach Zwiebeln und gebratenem Fleisch und geräuchertem Fisch.
Eine Kneipe. Vielmehr nur ein Hof zwischen zwei Häusern. Oleanderbüsche überragten die Mauern. Fettiger Rauch quoll aus dem offenen Tor. Sie traten ein. Eine Küche unter freiem Himmel, lange Tische aus blankem Holz, Bänke, vollbesetzt mit Einheimischen. Der würzige Duft von Gegrilltem und der Geruch der Männer, die sie freundlich musterten. Ein ungemein hagerer Koch nickte ihnen grüßend zu.
»Dobra Vetscher Signorina i Signore!«
An einem Tisch rückten die Männer zusammen, boten ihnen Platz an. Der Koch erschien, stellte ungefragt eine Karaffe mit Rotwein und zwei Gläser vor sie hin und deutete auf den Grill, fragte mit Gebärdensprache, ob sie essen wollten. Josefine nickte. Gleich darauf kam der Hagere mit zwei Tellern, voll beladen mit Cevapcici, einem Rasnici-Spieß und einem Stück Fisch zurück, dazu Djuvec-Reis und eine grünePeperoni.
»Dobar tek!« Guten Appetit.
Die Männer am Tisch prosteten ihnen zu, als sie den ersten Schluck Wein nahmen. Er schmeckte süß und schwer.
»Schiveli!«Und der Mann neben Josefine klärte sie auf. »Schivela – Signorina. Schivelo – Signore. Schiveli – Signorina i Signore.« Dazu schwenkte er sein volles Glas abwechselnd gegen Josefine und Joseph. Die Männer lachten. Die beiden Aufgeklärten stimmten mit ein.
Josefine lachte, aber sie musste auch ein wenig gegen die in ihr aufsteigende Übelkeit ankämpfen. Die Männer am Tisch rochen nach Schweiß und Alkohol. Das waren Menschen, mit denen sie in ihrem bisher so behüteten Leben nie in Berührung gekommen war. Und in dieser Welt fühlte sich ihr Geliebter so wohl? Sie griff nach ihrem Glas, nahm einen tiefen Schluck Rotwein. Vielleicht konnte der ja ihre Zweifel betäuben.
Joseph gegenüber saß ein alter Mann, der bedächtig an seiner Pfeife sog. »Sie noch blass, noch nicht lange hier?«, fragte er.
»Heute angekommen, aus Frankfurt«, gab Joseph zur Antwort.
»Ah, Frankfurt. Apfelwein, Sachsenhausen, Blauer Bock«, sagte der Alte. »Ich habe gearbeitet in Offenbach. Viel Arbeit. Bleiben sie in Split?«
»Bis morgen früh, dann weiter nach Hvar«, antwortete Joseph.
»Hvar dobro«, murmelte der Mann und klopfte seine Pfeife am Tischbein aus. Eine Katze huschte unter dem Tisch hervor, beäugte die Tabakreste, miaute enttäuscht und verschwand im Dunkeln.
Joseph hatte plötzlich ein seltsames Gefühl. Einen Herzschlag lang verspürte er Angst, Angst vor einer unbekannten Gefahr. War es die Katze, die ihn beunruhigte? Er vergewisserte sich mit einem raschen Seitenblick auf Josefine, ob alles in Ordnung sei. Aber welche Gefahr sollte hier drohen? Die Männer waren friedlich. Josefine ließ sich das Gegrillte schmecken und warf ihm einen liebevollen Blick zu. Joseph spülte den unerklärlichen Schrecken mit einem Schluck Rotwein weg.
Nachdem sie gegessen und für ihre Zeche bezahlt hatten, verließen sie das Lokal. Ein Junge mit schief sitzender Fischermütze zeigte ihnen noch seinen erhobenen Daumen und rief hinter ihnen her: »Ljubav, Amore!«
»Weißt du noch, aus welcher Richtung wir gekommen sind?«, fragte Joseph seine Begleiterin.
Die aber war leicht betrunken, müde und satt und schüttelte nur kichernd den Kopf. So stolperten sie durch die Dunkelheit. Die Straßenbeleuchtung war jetzt abgeschaltet. Sie bogen in eine Gasse ein, die leicht abwärts führte, also vermutlich in Richtung Hafen. Dort stand ja der Festungsturm, an dem Joseph sich orientieren konnte. Aber die Gasse endete bald an einer Mauer.Sie kehrten um, versuchten es bei einer schmalen Schlucht, die zwischen den Häusern hindurchführte. Dann standen sie am Hafen. Eine Turmuhr schlug in der Ferne. Der Mond hatte sich jetzt hinter dem Wolkenschleier verborgen, beleuchtete die Szenerie nur noch sehr matt.
»Ich will jetzt schlafen«, mauzte Josefine und lehnte sich an Josephs Schulter. »Trag mich!«
Sie wollte einen Gutenachtkuss. Daraus wurden mehrere.
»Mir wird kalt!«, sagte sie, dann ergriff Joseph ihre Hand und sie begannen, am Hafenbecken entlang zu laufen. Josefine verlor einen Schuh. Joseph suchte im Finstern, während sie nur noch kicherte.
»Zu trinken bekommst du nix mehr«, versprach er und zog ihr den verlorenen Schuh an.
»Spaßbremse!«, antwortete sie und küsste ihn wieder.
Irgendwie fanden sie dann doch zu ihrem Quartier und fielen erschöpft aufs Bett. Josefine schlief bald ein, er lag noch eine Weile wach und dachte nach. Wie einfach es doch war, dieses Mädchen, diese junge Dame aus bester Frankfurter Gesellschaft glücklich zu machen! Rücksicht, Feingefühl, zuvorkommende Aufmerksamkeit, Geduld, etwas Humor und viel Liebe. Das war alles. Ja, sie war reich, würde in 2 Jahren über ihre Millionenerbschaft verfügen können, aber sie war auch eine Frau. Ihr Geld interessierte ihn nicht. Er wollte die Frau. Diese faszinierende, so selbstsichere, lebenskluge und praktisch denkende Frau. Sie stand mit beiden Beinen auf dem Boden der Tatsachen, wenn es darauf ankam. Und hässlich war sie auch nicht, dazu eine gelehrige Schülerin in Sachen Liebe. Er war ein Träumer, fügte sich nur zwangsweise der Notwendigkeit, einen Brotberuf auszuüben. Lieber wäre er Schriftsteller geworden, aber davon hätte er nicht leben können, jedenfalls nicht ohne die Unterstützung durch seine Eltern. Aber im Hotel Mama in Wien war es ihm zu eng geworden. Er war seinem unbändigen Drang gefolgt, auf eigenen Füßen zu stehen und hatte die erstbeste Chance ergriffen, das Angebot eines Frankfurter Konzerns, um sich endlich frei zu fühlen und ein eigenständiges Leben zu führen. In dieses Leben war nun Josefine getreten. Nein, er hatte sie in dieses Leben geholt. Und sie war ihm gefolgt, in seine Welt der »normalen« Leute. Sie verzichtete für ihn auf den gewohnten Luxus ihrer wohlbehüteten Welt zwischen Nobelvilla, Golfplatz, Gourmettempel und Fünfsternehotel. Nun fühlte Joseph Verantwortung für sie. Auch wenn er ein romantischer Träumer war, er war der Mann und wollte sie beschützen.
Über diesen Gedanken schlief er schließlich ein.
Die Zweifel, die Josefine an diesem Abend geplagt hatten, ahnte er nicht.
Am nächsten Morgen wurde Joseph vom Schrillen einer Fahrradklingel vor dem Fenster geweckt. Er sah auf die Uhr – fast neun. Das Schiff nach Hvar wäre um acht Uhr gegangen. Nun war es ohne sie weggesegelt. Er drehte sich nach rechts. Josefine schlief noch. Er ließ sie schlafen. Doch der Radfahrer vor dem Fenster klingelte auf Leben und Tod. Josefine erwachte.
»Unser Schiff ist weg«, sagte Joseph.
Sie gähnte und blinzelte ihn an. »Und nun?«
»Nun kriegst du erst mal einen Morgenkuss, dann sehen wir weiter.«
Sie spitzte den Mund zu einer Herzkirsche und stupste damit gegen seinen Kussmund. Er verstand. Erst mal Zähneputzen. So angeheitert und müde, wie sie gestern Nacht waren, hatten sie darauf verzichtet.
Nach der Morgentoilette hätte er Josefine gerne noch mit Zärtlichkeiten verwöhnt, aber sie zog sich an, eine leichte Leinenhose und eine weitgeschnittene Bluse mit kurzen Ärmeln. So schlüpfte auch er in seine Jeans, stopfte sein Hemd in den Hosenbund und sie verließen das Zimmer. In der Küche, die den Gastgebern jetzt auch als Schlafraum diente, beglichen sie ihren Obolus, verabschiedeten sich dankend und zogen mit ihren Rollkoffern los zum Diokletian-Palast. Auf einem sonnigen Platz innerhalb der Mauern fanden sie ein Kaffeehaus, nahmen Platz unter einem Sonnenschirm.
Nach einem ausgiebigen Frühstück schlenderten sie zum Bahnhof, wo Joseph ein Touristikbüro wusste. Am Nachmittag um siebzehn Uhr würde noch ein Schiff nach Hvar gehen, erfuhren sie dort.
»Also wenn schon die Anreise auf deine Insel so viel Zeit kostet, wann bist du dann zu deinen amourösen Abenteuern gekommen?«, fragte sie schelmisch.
»Sag ich nicht. Das Thema ist tabu.«
»Vielleicht treffen wir ja eine von deinen Verflossenen?«
»Selbst wenn. Ich werde sie dir nicht vorstellen.«
»Schade. Hätte gerne Erfahrungen ausgetauscht.« Sie lachte über sein verlegenes Gesicht.
»Und ich würde jetzt gerne baden gehen«, sagte er, um sie abzulenken. »Vor dem Bahnhof fährt der Bus ab zur Badebucht.«
Sie brauchten nicht lange auf den Bus zu warten. Er brachte sie in eine benachbarte Bucht, in der die Badeanstalt mit aufgeschüttetem Sandstrand lag. Sie mieteten eine Kabine und schlüpften in ihre Badekleidung. Josefine zog einen einteiligen, dunkelblauen Badeanzug aus dem Koffer.
»Ich dachte, du wolltest mich mit einem süßen, knappen Bikini überraschen?«, fragte er und in seiner Stimme lag Enttäuschung.
»Den musst du dir erst verdienen«, meinte sie nur schnippisch.
»Ach ja, und womit?«
»Du musst selbst draufkommen, streng deine Fantasie an«, beschied sie ihn mit einem Funkeln in ihren Augen und ging hinunter zum Strand. Er folgte ihr nachdenklich.
Inmitten der Bucht erhob sich ein Felsenriff, auf dem sich Badegäste auf einer hölzernen Terrasse sonnten.
»Wer zuerst auf dem Riff ist!«, rief Josefine und spurtete ins Wasser. Sie war eine gute Schwimmerin und pflügte mit flottem Crawlstil durch die flachen Wellen. Joseph beherrschte nur Brustschwimmen und folgte ihr mit Mühe.
»Also bei deinen Schwimmkünsten ist noch Luft nach oben«, meinte sie lächelnd, als sie auf der Sonnenterrasse standen. »Da kannst du noch was von mir lernen.«
»Na ja, in irgendeiner Disziplin musst du ja auch mal besser sein als ich«, antwortete er und bemühte sich, kein verdrießliches Gesicht zu machen. Aber heimlich war er stolz, so eine sportliche Geliebte zu haben.
»Ach, habe ich deinen männlichen Stolz verletzt? Komm her, ich mach es wieder gut.« Sie zog ihn an sich, streichelte über sein triefnasses Haar und drückte ihm einen salzigen Kuss auf den Mund, den er leidenschaftlich erwiderte. Dann ließ sie sich wieder ins Wasser gleiten.
Joseph sprang kopfüber vom Steg hinter ihr her, tauchte mit offenen Augen und schwamm unter Wasser dem Ufer zu, ohne viel zu sehen, weil der Sand alles trüb und verschleiert erscheinen ließ. Das Wasser wurde flacher, hier konnte man schon stehen. Er sah vor sich zwei hübsche Beine, dachte, sie gehörten Josefine und zog sich daran hoch. Ein wildfremdes, recht appetitliches Mädchen sah ihn erstaunt an, ein zögerndes, vielleicht ermunterndes Lächeln auf den Lippen.
»Sorry«, murmelte er und sah sich nach Josefine um. Sie schwamm hinter ihm.
»Wenn du schon fremdgehst, dann bitte so, dass ich es nicht merke«, feixte sie.
Dann tauchte sie ab, packte seine Beine und brachte ihn zu Fall. Sie alberten und balgten eine Weile, schwammen abermals hinaus zum Riff und ließen sich auf der Terrasse von der Sonne trocknen. So verging der Vormittag. Als die Sonne am höchsten stand, fragte Josefine:
»Hast du eigentlich keinen Hunger?«
Sie aßen eine Kleinigkeit im Restaurant der Badeanstalt und legten sich dann in den Schatten einer Pinie. Sie dösten vor sich hin, tauschten träge ein paar Worte und nickten dann ein. Als sie nach fast zwei Stunden erwachten, zog sich der Himmel allmählich mit grauen Wolken zu. Es war schwül. Kein Lufthauch.
Sie kleideten sich wieder an und marschierten zur Bushaltestelle. Sie kamen an einem Denkmal vorbei, einer hohen, schwarzen Statue. Es war wohl ein Bischof mit einer reich verzierten Mitra, der mit seiner Linken ein Buch an seine Brust drückte, die Rechte schüttelte er drohend gegen unsichtbare Angreifer. Sein grimmiges Aussehen wurde noch durch einen wallenden Vollbart unterstrichen.
Joseph glaubte, die Gestalt einer jungen Frau erblickt zu haben, die Josefine und ihn beobachtet hatte und blitzartig hinter dem Denkmal verschwand, als sich ihre Blicke trafen. Ein blonder Schatten, mehr nicht. Und wieder verspürte Joseph für einen Herzschlag lang diese Angst vor einer unsichtbaren Gefahr. Er blickte sich scheu um, konnte aber nichts Auffälliges mehr erspähen. Vielleicht hatte er sich auch nur getäuscht. Josefine merkte nichts.
Der Bus rollte heran, sie stiegen ein und fuhren zurück zum Hafen. Bis zur Abfahrt des Schiffes waren noch fast zwei Stunden Zeit. Sie deponierten ihre Koffer in einem Schließfach am Bahnhof, flanierten entlang der Kaimauer und bogen wieder ein in die Altstadt. Nach einem Bummel durch die Andenken- und Modegeschäfte erfrischten sie sich mit einem Eiskaffee.
Joseph war glücklich. Ein Traum war in Erfüllung gegangen. Vor 4 Monaten noch hatte er zaghaft um Josefines Freundschaft geworben, wohl wissend, dass er für dieses millionenschwere Mädel aus der Oberschicht nichts weiter sein konnte, als eine flüchtige, eher exotische Bekanntschaft. Und nun hatte sie seinetwegen sogar auf eine luxuriöse Flugsafari durch Südafrika mit ihrer Mutter verzichtet. Auch die Aussicht, auf der Insel in Dalmatien nur sehr rustikal in einer Blockhütte zu wohnen, konnte sie nicht abschrecken. Dabei war sie doch den Komfort von Luxushotels gewohnt. Liebte sie ihn so sehr? Joseph gab sich ganz seinem wohligen Gefühl hin.
Das Klingeln seines Handys riss ihn aus seinen Gedanken. Er blickte auf das Display – seine Eltern aus Wien.
»Geh Joseph, wo steckst du denn?«, vernahm er die vorwurfsvolle Stimme seiner Mutter. Er verfiel augenblicklich in die Rolle des gehorsamen Sohnes.
»Wir sind in Split, Mama.«
»Geh, was machst denn in Split. Bist net allein?«
»Nein, mit meiner Freundin.«
»Ah, hast jetzt eine Freundin? Geh, könntest dich auch öfter melden. Der Papa macht sich schon Sorgen.«
Oh Gott, die ganze Enge und Bedrängnis kam wieder hoch, die er so gehasst hatte in den letzten Jahren. Eingesperrt hatte er sich gefühlt in der Wohnung in Wien, fürsorglich bevormundet von den Eltern. Nur raus, weg, Flucht, waren seine Gedanken gewesen. Aber die wenigen Monate, die seit seinem Auszug aus dem Elternhaus vergangen waren, reichten nicht aus, um die Atmosphäre der Unfreiheit und Unselbständigkeit ganz aus seinem Inneren zu tilgen. Schon sah er sie wieder vor sich, seine Eltern. Da war der Vater, hager, gebeugt, den Kopf raubvogelartig nach vorne gereckt. In seinen Augen der stechende, Gehorsam fordernde Blick. Da ließ der Gedanke an das asketische Wesen des alten Mannes wieder Josephs so junge Lebensfreude verdorren. Joseph durchschaute diese so demonstrativ zur Schau gestellteAblehnung aller sinnlichen Genüsse seines Vaters, der seine Befriedigung aus der Bescheidung auf Mineralwasser und Müsli bezog und sich in unbeobachtet geglaubten Momenten vor dem Spiegel an der jugendlich-schlanken Figur ergötzte. Und da war die Mutter. Hilflos den Launen des Vaters ausgesetzt, ihn aber doch mit weiblicher Hartnäckigkeit dominierend. Wieder sah Joseph sie vor sich, wie sie im letzten Jahr ihren unförmigen Persianermantel mit lästigem Raunzen und, wie man in Wien sagte, mit unablässigem Benzen durchgesetzt hatte. Er sah ihre leicht schräg nach oben gezogenen Mundwinkel, wie sie abschätzig mit »A ganz a primitive Person« über eine seiner Urlaubsbekanntschaften geurteilt hatte. Und Joseph hatte noch ihre schroffe Ermahnung »Lasst’s euch ja nicht von Weibern anreden!« im Ohr, die sie ihm und seinen Freunden mit auf den Weg gegeben hatte, als sie vor Jahren das soeben bestandene Abitur beim Heurigen feiern gingen.
Da saß er nun mit seiner geliebten Josefine im sonnendurchfluteten Dalmatien, weit weg von den Eltern. Und doch: der Anruf aus Wien schnürte ihm wieder die Luft ab.
»Geht’s euch gut?«, fragte er wie ein gehorsames Kind.
»Na jaaa, wie’s einem halt so geht, wenn der einzige Sohn sich in der Welt herumtreibt, statt dass er den Eltern a bisserl zur Hand geht. Das Einkaufen is halt schon mühsam, so ohne Auto. Der Papa holt ja immer seine Körndln vom Naschmarkt. Und zum Arzt muss ich auch wieder hin«, klagte die Mutter.
»Weißt was, Mama, in drei Wochen kommen wir euch besuchen, die Josefine und ich«, versprach er völlig entnervt. Josefine nickte ihm freundlich zu.
»Wird ja amal Zeit, dass’d dich um deine alten Eltern kümmerst«, raunzte es vorwurfsvoll aus dem Handy.
Joseph presste mit letzter Nervenkraft ein paar Abschiedsworte hervor, dann brach er die Verbindung ab. Auf die Information, dass er ihnen seine Freundin vorstellen wollte, hatte die Mutter gar nicht reagiert. Er spürte Beklemmung, wenn er sich vorstellte, wie diese Begegnung wohl ablaufen würde.
»Deine Frau Mama?«, fragte Josefine ganz arglos.
Er seufzte nur.
»Ach, meine Mutter ist auch nicht besser. Die jettet jetzt mit Herrn Thomas durch Südafrika. Ich bin sicher, sie ist sauer auf mich, weil ich nicht mitgefahren bin auf Safari. Aber ich hab keine Lust, mich mit diesem Secondhand-Mann verkuppeln zu lassen.«
Immer wieder hatte Frau Irmgard Karloff-Bardolino versucht, ihre Tochter mit diesem Kosmetikfabrikanten zusammenzubringen. Er war ein langweiliger Schwätzer, wie sie fand. Gefühle konnte sie für ihn beim besten Willen nicht aufbringen. Sie empfand höchstens Mitleid mit diesem Mittvierziger, dem die Frau mit einem jungen Musiker durchgebrannt war. Aber Mitleid war für sie keine Basis für eine Ehe.
Dennoch verspürte Josefine ein schlechtes Gewissen und bedauerte es fast, dass sie es abgelehnt hatte, ihre Mutter auf dieser Safari zu begleiten. Interessant wäre diese Reise schon gewesen. Und sicher luxuriöser als dieser Urlaub mit Joseph. Aber sie hatte sich ja selbst entschieden, mit ihm zu fahren. Ferien an jenen angesagten Orten, die sie sonst mit ihrer Mutter aufzusuchen pflegte, konnte Joseph sich nicht leisten. Ihn zog es wie in jedem Jahr auf seine Insel in Dalmatien, wo amouröse Abenteuer lockten. »Aber deine Liebesabenteuer, mein lieber Joseph, wirst du ausschließlich mit mir erleben«, dachte sie, »sonst Gnade dir Gott!«
Joseph bemühte sich, seine eingetrübte Stimmung abzuschütteln. Der Anruf seiner Mutter hatte ihm gerade noch gefehlt. Josefine merkte sein Unbehagen und wollte ihn aufmuntern.
»Willst du gar nicht wissen, womit du meinen neuen Bikini verdienen kannst?«
»Nun?«
Sie rückte näher und flüsterte ihm etwas ins Ohr, das ihn überraschte. Jedenfalls aus ihrem Mund. Hui!!
»Josefine! Erbprinzessin von und zu Karloff! Ich darf doch um Contenance bitten«, lachte er los.
Sie zwinkerte ihm nur zu und stimmte ein in sein Lachen.
Es wurde langsam Zeit, die Koffer zu holen und zum Anlegeplatz des Schiffes zu gehen. Als sie über den Kai schlenderten, fiel ihr Blick auf das graue Karstgebirge, das sich hinter der Stadt steil erhob. Schwarze Wolken quollen jetzt über den Bergkamm und drängten aufs offene Meer hinaus. Es war unglaublich schwül. Kein Windhauch. Das Hafenbecken lag schon zum Großteil im Schatten der Wolken, obwohl die Sonne noch hoch stand. Schleimiger Dunst breitete sich über dem Wasser aus. Am Horizont wurde der schwefelgelbe Streifen des Tageslichts immer schmaler. Das Meer lag dumpf und dunkel in trügerischer, angespannter Ruhe.
Bei der Schiffsanlegestelle sammelten sich schon die Passagiere. Urlaubshungrige Touristen in lichter, luftiger Sommerkleidung mit schicken Koffern, und geduldige Einheimische, zumeist in dunklen Gewändern mit Stoffbündeln und abgeschabten Taschen. Dazwischen Jugendliche mit Rucksäcken, langhaarig, lässig, cool.
Joseph beobachtete diese Jungs und Mädchen, die nur unwesentlich jünger als er waren. In den letzten Jahren war er einer von ihnen gewesen, ebenso cool und in freudiger Erwartung spannender Urlaubsflirts auf der Insel. Wobei man nie wusste, ob sich ein brauchbarer Partner finden würde. Diese Sorge war er jetzt los. Neben ihm stand die heißeste Braut, die er sich nur wünschen konnte. Und sie hatte ihm Dinge zugeflüstert, die sein Innerstes zum Beben brachten! Hoffentlich würde er ihr gewachsen sein. War Josefine schon dabei, sich von seiner Schülerin in seine Lehrerin zu verwandeln?
Eigentlich hätte man ihr Schiff schon bei der Hafeneinfahrt sehen müssen. Aber dort regte sich nichts. Unterdessen hatten die schwarzen Wolken den Himmel bis zum Horizont ausgefüllt. Immer noch kein Lufthauch.
Sie setzten sich auf ihre Koffer und beobachteten die Leute rings um sie her. Ein nervöser Tourist im Khakianzug mit Strohhut brachte sie zum Lachen, wie er seine pummelige Frau anfauchte, die ihn gar nicht beachtete. Er hätte ja die Kreuzfahrt durch die Karibik buchen wollen, aber nein, Madame hatte Angst vor dem langen Flug, das hätten sie jetzt davon – und so fort. Einer der Jungs schälte eine Gitarre aus der Stoffhülle und schlug ein paar Akkorde an. Eine Gruppe Jugendlicher scharte sich um ihn. »We are the Champions«, stimmte er an, die Umstehenden stimmten mit ein.
Endlich tauchte aus dem Wolkenschleim bei der Hafeneinfahrt ein Schiff auf und steuerte allmählich auf die Mole zu. Jetzt kam Bewegung in die Wartenden. Der nervöse Tourist im Khakianzug rief nach seiner Frau, die sich unter die Jugendlichen gemischt hatte. Ein Hafenarbeiter näherte sich aus Richtung des Bahnhofs undzog einen Handwagen hinter sich her, auf dem ein Berg Koffer gestapelt war. Ein Angestellter der Schifffahrtslinie in Uniform begleitete ihn. Er bedeutete den Wartenden, eine Schlange zu bilden.
Das Schiff legte an. Die Schrauben arbeiteten im Rückwärtsgang, schäumten das träge Wasser auf, Dieselgeruch breitete sich aus, Trossen flogen an Land, der Uniformierte legte sie über die Poller am Kai, der Anker senkte sich langsam ins Wasser und das Fallreep rasselte von Bord. Eine Gruppe Reisender verließ das Schiff. Ein Offizier postierte sich am Fallreep, kontrollierte die Karten der Einsteigenden.
Das Schiff kam von Dubrovnik und war schon gut besetzt. Joseph bahnte sich den Weg zum Vorderdeck, Josefine folgte ihm. Sie fanden einen freien Sitzplatz an der Reling, sie setzte sich, er hockte sich vor ihr auf seinen Koffer.
Und wieder erspähte Joseph das flüchtige Schattenbild jener Blondine, von der er sich bereits bei dem Denkmal beobachtet gefühlt hatte. Wieder trafen sich die Blicke für einen Wimpernschlag, dann verschwand die Erscheinung hinter einer Gruppe von Passagieren. War es eine Sinnestäuschung? Er hatte das Gesicht nicht erkennen können, nur die hellen Augen, die Silhouette und den blonden Haarschopf. Wer war das? Er wusste es nicht.
Eine Glocke schlug an, eine Dieselwolke quoll aus dem Schornstein, der Kapitän beugte sich aus der Kommandobrücke, rief dem Uniformierten an Land etwas zu. Dieser löste die Trossen, das Fallreep wurde an Bord gezogen, der Anker rasselte hoch und das Schiff legte ab.
»Sitzt du einigermaßen bequem?«, fragte Joseph seine Begleiterin.
»Geht so. Wie lange dauert die Überfahrt?« Wohl fühlte Josefine sich nicht.
»Etwas mehr als eine Stunde«, antwortete er.
»Na, das geht ja’, sagte Josefine tapfer und hielt ihr Gesicht in den langsam aufkommenden Fahrtwind. Wenigstens etwas frische Luft!
Der Himmel war jetzt schwarz und das Meer bewegungslos und unsichtbar unter dem Schiffsrumpf. Nur am Stampfen der Motoren und an den Lichtern der Stadt, die kleiner wurden hinter ihnen, und an den Positionslichtern entlang des Hafenbeckens, an denen sie sachte vorüberglitten, merkte man, dass sich das Schiff bewegte.
Joseph betrachtete seine Geliebte, die mit weit aufgerissenen Augen in die Dunkelheit starrte, den Kopf auf ihren Arm geschmiegt. Wie schön sie war!
Das Schiff passierte die Leuchtfeuer an der Ausfahrt des Hafenbeckens. Die nahen Küsten warfen das Geräusch der Maschinen verstärkt zurück. Sie erreichten das offene Meer.
Plötzlich zuckte ein Blitz über den schwarzen Himmel, erleuchtete für einen Augenblick den schwefelgelben Spalt zwischen zwei Wolken. Es war kein Donner zu hören. Weitere Blitze folgten, ließen den dunklen Spiegel des bleiern daliegenden Meeres aufblinken. Dann klatschten die ersten Regentropfen aufs Deck und in ihre Gesichter. Die warmen, großen Tropfen waren lautlos gekommen, nun prasselten sie schnell und dicht herab. Ein Sturm heulte los, fegte über Bord, fing sich in ihren Haaren und Gewändern und peitschte die dicken Regenschnüre auf das Deck.
Josefine zog den Kopf ein. Joseph ergriff ihre Hand, half ihr auf die Beine, dann packte er beide Koffer und schloss sich den übrigen Passagieren an, die den Weg unter Deck suchten. Josefine hielt sich dicht hinter ihm. Sie stiegen die Treppe hinab ins Innere des Schiffes und kamen vor dem Eingang des Speisesaales zum Stehen. Hier ging nichts mehr weiter.
Jetzt erst kamen die Wellen. Das nicht übermäßig große Schiff hob sich, schlingerte und senkte sich in die wuchtig anrollenden Wogen.
»Geht’s dir gut?«, fragte er Josefine. Sie war so still. Er war ja seefest, aber sie?
»Es geht«, hauchte sie und schmiegte sich an ihn. Er nahm sie schützend in den Arm, drückte ihr einen Kuss auf die Stirn. Sie wollte ihm auf keinen Fall zeigen, wie sehr sie unter den Unbequemlichkeiten dieser Reise litt. War sie denn wirklich so ein verwöhntes Prinzesschen? Nein, sie wollte tapfer sein, auch wenn es ihr schwerfiel. Joseph zuliebe.
Der Tourist im Khakianzug drängelte rücksichtslos an ihnen vorbei zur Treppe nach oben ins Freie. Er war grün im Gesicht und hielt sich eine Hand vor den Mund.
»Wollte der nicht eine Kreuzfahrt ins Bermudadreieck machen?«, flüsterte Joseph ihr zu. Josefine lächelte gequält.
Allmählich beruhigte sich das Gewitter. Die schwarzen Wolken hatten ihren Inhalt verströmt, lichteten sich. Als sie in den Hafen von Hvar einliefen, blinkten auf den nassen Dächern schon wieder die Strahlen der allmählich untergehenden Sonne.
Das Schiff legte an, man ging von Bord. Und da war sie wieder, diese rätselhafte Blondine. Joseph sah jetzt nur ihren Rücken, als sie dicht vor ihnen über das Fallreep schritt. In der Hand hielt sie eine kleine Reisetasche. Die Unbekannte beachtete sie nicht. Vielleicht hatte Joseph sich ja doch geirrt, als er glaubte, von ihr beobachtet zu werden?
Auf einer Bank vor der Anlegestellte saß ein älterer, hochgewachsener, schlanker Mann, braungebranntes Gesicht mit weißer Löwenmähne. Branko, der Gastwirt von Sveta Marija, dem kleinen Fischerdorf, wo sie ihren Urlaub verbringen wollten. Er erhob sich, ging den Ankommenden ein paar Schritte entgegen und breitete die Arme aus.
»Djanna!«, rief er strahlend, schloss die Blondine in seine Arme und drückte ihr einen Kuss auf die Wange. Dann nahm er ihr die Reisetasche ab, und die beiden gingen ein Stück die Mole entlang.
»Unser Gastgeber«, erklärte Joseph seiner Freundin. »Branko. Er geht zu dem kleinen Motorboot da vorne, das bringt ihn nach Sveta Marija. Das ist unser Urlaubsort. Wir müssen ihn einholen. Wir wollen auch mitfahren.«
Sie beeilten sich und erreichten Branko und die Blondine. Sie war schon in ein kleines Boot geklettert, in dem ein stoppelbärtiger Seemann hockte und den Motor ankurbelte. Branko stand noch an Land.
»Branko!«, rief Joseph. »Nimm uns mit!«
Der Angesprochene drehte sich um, erkannte Joseph und breitete abermals seine Arme aus. Er setzte ein strahlendes Lächeln auf und schloss ihn in seine Arme.
»Willkommen Josip, bravo, bravo!«, rollte er im Bass hervor.
»Das istmeine Freundin Josefine«, sagte Joseph und trat zur Seite. Branko umarmte auch sie.
Dann kletterten sie in das kleine Boot. Ivo der Seemann hatte unterdessen den alten Diesel in Gang gebracht. Sie setzten sich auf eine Bank an der Reling. Branko nahm gegenüber Platz, neben ihm saß die Blondine. Sie würdigte die Fremden keines Blickes.
Sie tuckerten los. In einer halben Stunde würden sie Sveta Marija erreichen.