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2.

Heia Safari!

Mittwoch, 14. Juli

Lodernd war die riesige Scheibe der Sonne Südafrikas über der Savanne eingetaucht in eine gleißende, weißgelbe Wolke. Dahinter schimmerte sie nur noch wie erlöschendes Feuer, färbte die Wolke blutrot und verschwand dann sehr schnell, schneller als die europäischen Safarigäste dies erwartet hatten, hinter dem Horizont. Die Akazienbäume ragten noch eine Weile schwarz gegen den Himmel, der sich jetzt rasch verdunkelte und die Silhouetten der Bäume verschluckte.

Auf einer sandigen Rasenfläche vor den Lodges hatten sich die Teilnehmer der Flugsafari im Kreis auf bequeme Klappstühle gesetzt. In der Mitte des Platzes kümmerte sich der Ranger um das Lagerfeuer. Er warf klobige Stämme in die Flammen, die prasselnd hochschossen. Sie sollten die Wildtiere fernhalten, in deren Territorium die Ferienanlage gebaut worden war.

Irmgard Karloff-Bardolino zog ihre perlweiße Stola enger um die Schultern. Es wurde geradezu schlagartig kühler. In ihrem leichten Safari-Kostüm aus sandfarbenem Leinen fröstelte sie. Ihr Reisebegleiter Thomas Wenger neigte sich zu ihr.

»Darf ich ihnen mein Jackett anbieten, gnädige Frau?«, fragte er, sprang behände auf und hielt ihr das Kleidungsstück hin.

»Zu freundlich, Herr Wenger. Aber ich werde dem Boy Anweisung geben, uns Decken zu holen«, antwortete sie und winkte den Ranger zu sich heran.

William Sutherland, der Ranger, war ein knochiger, gedrungener Mittsechziger, englischer Offizier alter Schule. Den Nationalpark kannte er wie seine Westentasche.

»Milady?« Er bewegte kaum seine steifen Lippen.

Frau Irmgard übermittelte ihm ihren Wunsch, den er umgehend an einen der schwarzen Boys weitergab, die sich stumm im Hintergrund hielten. Keine zwei Minuten später erschien der Boy mit einem Stapel Decken und reichte sie dem Ranger, der sie an seine Safarigäste verteilte.

Die Reisegruppe, die an dieser individuellen Flugsafari teilnahm, bestand nur aus fünf Personen. Neben Frau Irmgard und Herrn Thomas saßen ein älteres Ehepaar aus Düsseldorf und eine Witwe unbestimmbaren Alters aus Hamburg in der Runde. Eigentlich war die Zahl der Teilnehmer auf sechs Personen ausgelegt, aber diese sechste Person hatte kurzfristig abgesagt. Es war Josefine Karloff, die Tochter der Frau Irmgard, die sich geweigert hatte, ihre Mutter und ihren Bekannten aus dem Golfclub, Thomas Wenger, nach Südafrika zu begleiten.

Frau Irmgard ärgerte sich immer noch maßlos darüber, denn sie musste auch für ihre abwesende Tochter einen Großteil der Reisekosten bezahlen. Und sie hasste es, für etwas zu bezahlen, das ihr keinen Nutzen brachte.

Unterdessen loderten die Flammen des Lagerfeuers hoch auf und verströmten angenehme Wärme, allerdings nur von vorne. Für die innere Wärme sollte nun der südafrikanische Wein sorgen, den der Ranger jetzt aus dem Dekantiergefäß in bauchige Gläser goss. Er reichte jedem seiner Gäste ein Glas, dann hob er seines in die Höhe und blickte in die Runde.

»Cheers, Ladies and Gentlemen!«

Man trank einander zu. Der erlesene Tropfen kitzelte mit seinem fruchtigen Bouquet den Gaumen und erwärmte die Seele angenehm im Abgang.

»Nicht übel«, bemerkte Herr Thomas, spitzte die Lippen und ließ das Aroma aus dem Glas genüsslich in seine Nüstern steigen.

»Na ja, wir haben ja dafür bezahlt. Und angemessen, wie ich finde«, antwortete Frau Irmgard. »Da darf man schon das Exklusivste erwarten.«

»Sehr richtig!«, pflichtete ihr der Düsseldorfer bei. Die Witwe aus Hamburg beließ es bei einer zustimmenden Geste, ohne ihre vornehmen Gesichtszüge zu bewegen.

»Die Leute hier in Afrika sind doch angewiesen auf uns Touristen«, ergänzte die Gattin des Düsseldorfers. »Sonst haben sie ja nichts.«

»Nur Diamanten«, warf Herr Thomas ein.

»Die kann man nicht essen«, meinte der Düsseldorfer scherzhaft und erntete Gelächter.

Der Ranger verzog keine Miene.

»Very funny«, versuchte Herr Thomas, ihm die Situation zu erklären. Keine Reaktion.

»Ach wissen sie, Herr Wenger«, raunte Frau Irmgard ihm zu »der englische Humor ist für uns Kontinentaleuropäer schwer zu verstehen. Und umgekehrt.« Thomas Wenger nickte.

»Darf ich mal so unhöflich sein und fragen, ob sie ein Ehepaar sind?«, wandte sich der Düsseldorfer an Frau Irmgard.

Die lachte vornehm, aber freundlich auf und verneinte. »Nein, nur flüchtige Bekannte. Wir golfen zusammen.«

Sie wandte sich wieder Herrn Thomas zu und senkte die Stimme. »Apropos flüchtig. Ich darf doch auch so unhöflich sein, Herr Wenger, und fragen, ob sie Neuigkeiten von ihrer gewesenen Frau Gemahlin haben?«

Thomas Wenger errötete. Da hatte Frau Irmgard einen ganz wunden Punkt getroffen. Aber sie hatte ihre Frage so dezent gestellt, so unausweichlich direkt, aber doch mit dem Charme einer geradezu mütterlich Vertrauten, dass er sich um die Antwort nicht drücken konnte.

»Ich vermute sie in Portugal«, murmelte er.

Hass stieg in ihm auf, denn die Scheidung hatte ihn viel Geld gekostet. Der Scheidungsrichterin, offenbar eine Emanze, war es ganz egal gewesen, dass seine Frau ihn böswillig verlassen hatte und mit einem jungen Musiker durchgebrannt war. Es lag kein Ehevertrag vor. Also hieß es zahlen, und nicht zu knapp. Die Ausweitung seines Kosmetikunternehmens auf internationale Ebene musste er vorerst auf Eis legen. Er war froh, den Betrieb überhaupt einigermaßen unbeschadet weiterführen zu können. Aber sein Kreditlimit war ausgeschöpft, wie sein Bankier ihn höflich und mit Bedauern in der Stimme, aber mit unerschütterlicher Bestimmtheit wissen ließ. Er müsste eine neue Geldquelle auftun, darüber war Herr Thomas sich im Klaren.

Und nun bohrte Frau Irmgard auch noch in dieser Wunde!

»Scheidungen können ja so unverschämt teuer sein«, sagte sie leichthin, ohne ihn direkt anzusehen. »Mir blieb dieses Schicksal ja gottlob erspart.«

»Nun ja, gnädige Frau, nicht jedem ist es vergönnt, seine Ehepartner zu überleben«, gab Herr Thomas ärgerlich zurück und hoffte, Frau Irmgard getroffen zu haben.

Die aber lachte glockenhell. »Drum prüfe, wer sich ewig bindet – das sagte schon unser Schiller so treffend, lieber Herr Wenger.« Und sie nahm kichernd einen Schluck Rotwein.

Darauf hatte Herr Thomas keine Antwort mehr. Zunächst jedenfalls. Aber halt! Drum prüfe, wer sich ewig bindet? Wie war das denn mit Frau Irmgards Tochter?

»Das gnädige Fräulein Josefine, wenn ich nicht irre, verbringt ihren Urlaub gerade mit einem jungen Mann«, sagte er nach kurzer Pause. »Wie war doch der Name?«

»Doktor Hofstätter«, antwortete Frau Irmgard trocken. Das Lachen war aus ihrem Gesicht gewichen.

»Aus guter Familie?«, stieß er nach.

»Natürlich. Und Akademiker, Jurist«, antwortete sie, aber ihre Stimme klang eine Nuance zu schrill. Herr Thomas wusste Bescheid.

»Eine Jugendliebe muss ja nicht gleich vor das Standesamt führen«, meinte er beruhigend.

Jetzt war der Moment gekommen, in dem Frau Irmgard ihre klassische Bildung ins Spiel bringen konnte. »Wie sagt schon unser Goethe im Faust: Wenn sich der Most auch ganz absurd gebärdet, es gibt zuletzt doch einen ganz passablen Wein. Zum Wohl, Herr Wenger!« Und sie prostete ihm zu.

»Ja, aber man sollte den stürmischen Most besser im hölzernen Fass gären lassen, unsichtbar sozusagen, und nicht im gläsernen Krug«, gab Herr Thomas spitz zurück. »Der zukünftige Genießer könnte sonst abgeschreckt werden.«

Oh ja, Frau Irmgard verstand wohl, was er meinte. Ein guter Ruf ist schnell ruiniert. Doch sie beschwichtigte sich selbst. Josefine tobte sich weit weg aus, da unten in Dalmatien auf einer Insel. Und wenn sie wieder zurück nach Frankfurt kommt, dann wird Frau Irmgard aber ganz energisch einschreiten. Sie wusste nur noch nicht, wie. Auf keinen Fall durfte Josefines Zukunft an der Seite eines standesgemäßen Ehemannes gefährdet werden.

Der Düsseldorfer hob nun an, eine unendlich scheinende Reihe von Anekdoten von seiner letzten Kreuzfahrt zu erzählen. Frau Irmgard und Herr Thomas beendeten ihr Zwiegespräch und lauschten erleichtert seinen Ausführungen. Jedenfalls taten sie so, als ob.

In Wirklichkeit aber hing jeder seinen eigenen Gedanken nach.

Thomas Wenger dachte voll Grimm an dieses junge Ding, diese Josefine Karloff. Wieso wollte sie ihn eigentlich nicht? Wieso hatte sie seinen, doch so romantisch arrangierten Heiratsantrag auf Sylt abgelehnt? Eine ganze Etage des Strandlokals Wellenbrecher in Kampen hatte er gemietet, teuersten Champagner geordert und einen wertvollen Diamantring in ihrem Sektkelch platziert. Dann war er vor ihr auf die Knie gesunken. Wie peinlich! Sie hatte ihn ungerührt verschmäht, war sogar aus dem Lokal geflohen und Hals über Kopf zurück nach Frankfurt geflogen. Wahrscheinlich direkt in die Arme, wenn nicht ins Bett dieses Habenichts, ins Bett dieses schmierigen Typen aus Wien.

»Aber warte nur, meine liebe Josefine«, tröstete er sich, »Die Bäume wachsen nicht in den Himmel. Dein Honeymoon mit diesem Taugenichts wird schneller vorbei sein, als du denkst. Dann stehst du da mit leeren Händen.« Er stutzte eine Sekunde lang. »Mit leeren Händen? Leider nein, denn in 2 Jahren muss deine Frau Mama dir dein Erbe auszahlen. Aber was, wenn sie dieses Geld, nein sagen wir mal nicht veruntreut, sagen wir mal langfristig anlegt. Wieviel mag es wohl sein? Dein Vater war Rechtsanwalt und Notar. Das Vermögen der Familie Karloff ist nicht unbeträchtlich. Ich habe mich informiert. Die Villa in Bad Homburg, die Mietshäuser im Frankfurter Westend – da kommt schon was zusammen. Tja, mein Mädchen, du wärst schon die richtige Frau für mich gewesen. Hättest mich sanieren können. Da hätte mich auch deine zickige Art nicht gestört. Und deine Affäre mit diesem hergelaufenen Kerl? Geschenkt. Und sei mal ehrlich, Josefine: so schön bist du nun auch wieder nicht.«

Thomas Wenger blickte irritiert auf. Was labert der Düsseldorfer da? Ach ja, jetzt lachen alle, war wohl eine Pointe. Hahaha! Er stimmte meckernd ins Gelächter der Übrigen ein.

»So, mein liebes Josefinchen, da bin ich wieder. Es gibt schönere Bräute als dich, wollte ich dir nur sagen. Ich steh nicht auf intellektuelle Brillenschlangen. Und dein Busen liegt ja auch eher im Flachland. Da hat deine Mutter mehr aufzuweisen. Hmm.«

Herr Thomas wandte den Blick seitwärts auf Frau Irmgard. Tatsächlich, die gepflegte Mittvierzigerin ließ unter der malerisch um ihren Leib geschlungenen Decke einige recht ansehnliche Rundungen vermuten. Sie hatte sich gut gehalten. Dass sie zweifache Witwe war, sah man nur ihrem Konto an. Na schön, am Hals zeigten sich erste Falten, aber wer sieht schon auf den Hals, wenn es ums Ganze geht.

»Ja, liebe Irmgard«, dachte er, »So übel wäre das gar nicht mit uns beiden. Gut, ich bin um ein, zwei Jährchen jünger als du. Na und? Zsa Zsa Gabor amüsierte sich mit einem viel Jüngeren. Also, wie wäre es mit uns beiden Hübschen, liebes Irmchen? Wie lange hast du keinen Mann mehr angefasst? Drei Jahre? Fünf Jahre? Dein Zweiter war ja schon bei eurer Heirat nicht mehr ganz gesund. Hast ihn ja deshalb genommen, stimmt«s? Du Luder. Aber die Fabriken in Mailand waren wohl ein guter Ersatz für seine fehlende Potenz. Oder hattest du einen Liebhaber? Oder mehrere? Wenn ich dich so ansehe, liebes Irmchen, traue ich dir alles zu. Tu nur nicht so etepetete. Unter deiner eiskalten Oberfläche schlummert ein Vulkan. Glaubst du, das merke ich nicht? Wie du den Ranger ansiehst! Was willst du denn von diesem knochentrockenen Inselaffen? Hier spielt die Musik! Hier sitze ich! Und deine Mailänder Millionen, deine schöne Erbschaft, die wäre bei mir gut angelegt. Schöne Erbschaft, schöne Frau. Mal sehen, was der Abend noch so bringt.«

Und Thomas Wenger nahm als Abschluss seiner Gedanken noch einen genüsslichen Schluck Rotwein und sammelte seinen ganzen Mut, um seine Schlingen nach Frau Irmgard auszuwerfen.

Die aber war auch tief in Gedanken versunken. Dieser Doktor Joseph Hofstätter ging ihr nicht aus dem Sinn. Einerseits hasste sie ihn. Er hatte sich zwischen Josefine und sie gedrängelt, entzweite Mutter und Tochter.

Aber andererseits?

»Mein Gott, Töchterlein, so toll ist dieser Schlawiner im Bett?«, räsonierte sie. »Da kauf ich dir einen zehnmal Besseren. Wenn du dich schon austoben musst, warum dann nicht mit so einem Trottel wie dieser Barta einer gewesen ist? Mit dem wurde ich spielend fertig. Aber dieser Hofstätter ist schlau. Der weiß, wie er dich manipulieren kann. Du Dummerchen. Irgendwann kriegt er dich noch vors Standesamt. Und er muss nur noch zwei Jahre durchhalten, dann hast du Zugriff auf dein Erbe von deinem leiblichen Vater. Das kann ich kaum verhindern. Obwohl – ich hab ja Vollmacht, das Geld zu verwalten. Was wäre wohl, wenn in zwei Jahren nichts mehr davon da ist? Wie dumm guckst du dann aus der Wäsche? Und erst dein Joseph! Und glaub ja nicht, liebes Töchterlein, dass du auf meine Mailänder Erbschaft hoffen kannst! Wenn du nicht spurst, bist du ganz schnell enterbt. Auf den Pflichtteil hoffst du? Kannst lange hoffen. Ich will mein Leben genießen und das kostet. Bin ja erst fünfundvierzig. Wer weiß, was noch kommt, was mir noch so über den Weg läuft?«

Die um das Feuer versammelte Gesellschaft lachte laut auf. Das schrille Gejapse der blöden Düsseldorferin riss Irmgard aus ihren Gedanken. Zwangsweise lachte sie mit.

»Tja, Töchterlein, deine Mutter hat sich auch noch nicht ins Kloster zurückgezogen«, setzte sie ihre Gedanken fort. »Es muss nur der Richtige kommen. Dein Joseph ist ja ganz knusprig, das hab ich wohl gespürt. Wenn ich wollte, hätte ich ihn längst haben können. Freilich, so schamlos wie diese Charlotte Trenkhoff könnte ich nie sein. Die hat ihn sich einfach gegriffen. Vor allen Leuten im Golfclub! Schleppt ihn einfach ab! Im Clubhaus! Er hat sie ja bestens bedient, ihren Brunftschreien nach zu urteilen. Waren ja nicht zu überhören. Dieses Flittchen. Jetzt ist sie tot. Hat sie davon. Nein, solche Eskapaden liegen mir nicht. Mein Freund Dildo hilft mir über die ärgsten Trockenperioden hinweg. Der ist wenigstens diskret. Aber auf die Dauer?«

Sie sah ins flackernde Feuer, dann fiel ihr Blick auf den Ranger, der Holz nachlegte, dass die Funken stoben.

»Na ja, dieser William Sutherland ist ja auch schon recht alt. Obwohl, seine Männlichkeit konnte ich riechen, als er mir das Weinglas gereicht hat. Und sein Blick dabei? Very British. Und sonst? Das Angebot auf dieser Safari ist ja recht dürftig. Ein einziger Mann, dazu noch ein Schwätzer, dieser Düsseldorfer. Ein einziger Mann? Irmgard, wo hast du deine Augen? Da sitzt ja noch einer!«

Und sie lugte verstohlen nach Thomas Wenger. Der merkte nichts davon, war tief in Gedanken versunken.

»Thomas Wenger«, überlegte Frau Irmgard. »Mitte vierzig, geschieden, Kosmetikfabrikant. Die Frau ist ihm weggelaufen. Warum wohl? So schlecht sieht er doch gar nicht aus. Der Safarianzug steht ihm. Was steht ihm sonst noch?«

Sie versuchte, Herrn Wengers Körpermitte mit ihren Augen zu vermessen, doch er hielt die Hände über der Wolldecke gefaltet, gerade da, wo es interessant gewesen wäre.

»Dich bring ich schon auf Trab, wenn es sein muss«, dachte sie. »Mein Giorgio Bardolino konnte sich auch nicht beschweren, und der war zwanzig Jahre älter als du. Warum hat er mich wohl geheiratet? Der wusste, eine erfahrene und glutvolle Frau zu schätzen. Obwohl, lieber Thomas, bist du nicht zu jung für mich? Mein Motto war stets, überlebe deinen Mann. Am Ende überlebst du mich? Aber was soll’s? Ich muss sehen, aus meinen ererbten Millionen ordentlich Rendite herauszuschlagen. Und bei den gegenwärtigen Zinsen kommt da wenig rum. Ich muss investieren, Risiko eingehen. Kosmetik läuft immer. Und du, lieber Thomas, hast einige recht vielversprechende Marken im Sortiment. Soviel ich weiß, deckst du nur den inländischen Markt ab. Mit etwas Kapital und einer taffen Frau wie mich an deiner Seite rollen wir beide doch den ganzen internationalen Markt auf. Den Rubel bringen wir schon zum Rollen. Und wenn ich dann noch einen Mann aus Fleisch und Blut im Bett habe, umso besser. Dildo adieu!«

Und Irmgard Karloff-Bardolino nahm als Abschluss ihrer Gedanken noch einen genüsslichen Schluck Rotwein und sammelte ihre ganze weibliche List, um ihre Schlingen nach Thomas Wenger auszuwerfen.

Da ließ die bislang eher schweigsame Hamburger Witwe verlauten, dass sie jetzt müde sei und sich zu Bett begeben wolle. Das Düsseldorfer Ehepaar, der Mann erschöpft von seiner Erzählung, die Frau ausgepumpt von ihrem Gelächter, schloss sich an.

Nun waren sie alleine übrig am Lagerfeuer, Thomas und Irmgard. Der Ranger fühlte, dass hier ein Zwiegespräch in der Luft lag, bei dem er nicht stören sollte. Mit angeborener britischer Diskretion zog er sich zurück.

»Sie haben mir ja vorhin ganz ordentlich Kontra gegeben, Herr Wenger. Sie führen eine scharfe Klinge«, sagte Frau Irmgard nun in vertraulichem Ton.

»Ich hoffe, ich habe sie nicht verletzt«, antwortete er erschrocken.

»Wie könnten sie? Aber wissen sie, weißt du, lieber Thomas, ich finde, es ist an der Zeit, dass wir vom unpersönlichen Sie auf das vertrautere Du übergehen. Ich heiße Irmgard.«

Sie stießen mit dem letzten Rest an, der sich in ihren Gläsern befand. Thomas erhob sich aus seinem Klappstuhl, trat dicht vor sie hin und machte eine Verbeugung.

»Und ich heiße Thomas. Darf ich sie, ich meine, darf ich dich, liebe Irmgard, brüderlich umarmen?«

Irmgard erhob sich gleichfalls, warf die Decke auf die Erde und bot ihm ihren halb geöffneten Mund.

»Du darfst mich sogar küssen, Thomas«, gurrte sie. Er versuchte, sie auf die Wange zu küssen, doch sie verstand es, sich so zu drehen, dass seine Lippen auf ihren Lippen landeten.

»Oh!«, rief er erschrocken aus. »Verzeih meine Ungeschicklichkeit.«

»Sei nicht albern, Thomas’, sagte sie »wir sind doch erwachsene Leute.«

Und sie nahm seine Hand und zog ihn, der sich noch halbherzig sträubte, hinter sich her in ihre Lodge.

»Hast du nicht gemerkt, wie ich dich schon die ganze Zeit über angesehen habe?«, flüsterte sie und knöpfte seine Safariweste auf. »Du hast meine Sinne benebelt, du Schlimmer. Du hast mich schmoren lassen. Am ausgestreckten Arm verhungern. Aber ich bin eine Frau, eine leidenschaftliche Frau. Mich lässt man nicht so verhungern.«

Während sie so sprach und ihre Stimme immer lockender und sinnlicher wurde, entfernte sie seine Weste, sein Hemd und den Gürtel seiner Hose. Da stand er nun und versuchte, das über seine Hüften hinabrutschende Beinkleid mit einer Hand festzuhalten, während er sich mit der anderen Hand nervös durch den blonden Haarschopf strich. Aber Irmgard ließ sich nicht mehr bremsen. Mit einem beherzten Griff stieß sie seine störende Hand beiseite und öffnete den Reißverschluss seiner Hose.

»Du verstehst es, Frauen zu verführen«, raunte sie und vollendete die Entkleidung dieses zögerlichen Mannes.

Den Anblick, der sich ihr bot, konnte man selbst bei wohlwollender Beurteilung nicht gerade als vielversprechend bezeichnen. Das Wort Hängeregistratur kam Irmgard in den Sinn und sie biss sich auf die Lippen, um nicht zu lächeln. Aber nun gab es kein Zurück.

»Du willst mich doch nicht so angezogen ins Bett schicken?«, sagte sie mit tiefer Stimme und drängte sich an ihn.

Thomas Wenger geriet in Bedrängnis. Er musste jetzt seinen Mann stehen, das war ihm bewusst. Aber die Standhaftigkeit seiner Männlichkeit gehorchte leider nur unbewussten Regungen, und die hatten sich bisher noch nicht eingestellt. Er begann, Irmgards Safariweste aufzuknöpfen. Langsam, viel zu langsam. Sie assistierte ihm. Auch die Bluse wies zahlreiche Knöpfe auf, viel zu kleine Knöpfe. Auch hier war Irmgard ihm eine unverzichtbare Assistentin. Den BH öffnete sie selbst. Ihre Brüste, prall und lockend wie zwei Honigmelonen, wogten seinen vorsichtig tastenden Händen entgegen.

»Du Schlimmer, du Don Juan, du Casanova«, gurrte sie und stöhnte unter den Berührungen seiner kalten Finger.

Während Thomas sich noch mit der Fülle der dargebotenen Früchte beschäftigte, stieg Irmgard behände aus ihrem Safarirock und stand nun vor ihm, nur mit einem rosa Schlüpfer bekleidet. Sie ergriff seine Rechte und führte sie an ihr Delta.

»Verwöhn mich, du wilder Stier!«, wisperte sie und versetzte seine Hand in reibende Bewegung.

Er spürte die Wärme ihrer Haut unter der Seide ihres Slips. Und er spürte die Rundung ihres Venushügels, das zarte Rascheln ihres Haarflaums und das Zucken ihres Schoßes unter seinen Liebkosungen. Ihm schien, als fühlte sich der Stoff etwas feucht an.

»Nimm mich«, hauchte sie und veranlasste ihn, ihr den Slip abzustreifen.

Sie standen vor dem breiten Doppelbett, das aus dunklem Tropenholz im Kolonialstil gefertigt war. Irmgard zog ihn sanft hernieder, und während Thomas noch die störende Bettdecke beiseiteschob, griff sie rasch in die Schublade ihres Nachtschränkchens und holte zwei Gegenstände heraus, die ihr für den weiteren Verlauf der Geschehnisse dienlich sein sollten.

»Leg dich auf den Bauch!«, forderte sie ihn auf, nachdem sie festgestellt hatte, dass sich auf der Vorderseite nichts regte.

Er tat wie befohlen und schloss die Augen. Da spürte er, wie eine ölige Flüssigkeit zwischen seine Pobacken geträufelt wurde. Es fühlte sich ungewohnt an. Was hatte sie vor? Er brauchte nicht lange zu warten, bis er ihre Finger dort verspürte, wo er sonst nur seine mit saugfähigem Vierlagenpapier bewehrte Hand hinführte. Vorsichtig kreiste ihr Finger um das Zentrum ihres Zielgebietes. Ohh! Jetzt drang der Finger ein in ihn, schob sich langsam voran und vollführte sachte Bewegungen. Es fühlte sich nicht schlecht an. Und plötzlich – hui! – was war das? Ein scharfer Schmerz, der sogleich in Lustgefühl umschlug, durchzuckte seinen Unterleib. Wie gelähmt lag er still. Dann spannte er alle seine Muskeln an, streckte seinen Rücken, hob den Kopf.

»Lass dich verwöhnen, du starker Mann«, hörte er sie flüstern.

Dann sah er nur noch Sterne vor den Augen, und ein heißes Wogen durchflutete seinen Körper. Ein tiefer, wohliger Seufzer der Lust entrang sich seiner Brust. Er spürte, wie ihr Finger sich zurückzog. Langsam ließ er den wohligen Schauer abebben. Dann drehte er sich auf den Rücken und streckte seine Hände Irmgard entgegen.

»Hat es dir gefallen?«, fragte sie. Er konnte nur schwer atmend nicken.

Zwar hatte Irmgards Kunstgriff seinen Blutkreislauf in Schwung gebracht, doch das Blut fand seinen Weg nur langsam in jenen Körperteil, der in der aktuellen Situation im Mittelpunkt ihres Interesses stand. Und so griff sie zu dem zweiten Gegenstand, den sie ihrem Nachtschränkchen entnommen hatte.

»Verwöhn mich, du Lüstling, schone mich nicht!«, sirrte sie und drückte ihm ihren Freund Dildo in die Hand.

Er blickte den unbekannten Gegenstand etwas ratlos an. Geduldig zeigte sie ihm den Schalter der Fernbedienung und führte seine Hand, während sie sich entspannt auf den Rücken legte und die Schenkel öffnete. Mit geübten Griffen dirigierte sie ihn dahin, wo sie ihn spüren wollte. Leise surrte der Motor und versetzte den vorderen Teil ihres Freundes in rotierende Bewegung, währen die Spitze der seitlich angebrachten Ausbuchtung emsig vibrierte. Thomas staunte über dieses Wunderwerk der Technik. Langsam begriff er auch, wozu die einzelnen Teile dienten, diese Ersatzteile defekter Männlichkeit. Irmgards Atem ging stärker. In ihren Augen begann Feuchtigkeit zu schimmern, ihre Lippen öffneten sich und sie stöhnte immer lustvoller.

»Oh Thomas, wie stark du bist und wie raffiniert«, gurrte sie mit vibrierender Stimme.

Das erregte ihn schließlich so stark, dass er den Drang verspürte, das elektrische Ersatzteil durch sein Originalwerkzeug aus Fleisch und – jetzt endlich auch! – Blut zu ersetzen. Irmgard jubelte still. Sie hatte es geschafft. Sie hatte es bisher immer geschafft. Sie hatte ihn. Vorsichtig führte sie ihn, gab ihm Sicherheit und Mut, ermunterte ihn zu gewagteren Bewegungen und steigerte unmerklich das Tempo, indem sie ihr Becken rotieren ließ. Ahh. Wie lange, wie viele Jahre hatte sie auf diesen Genuss verzichten müssen! Jetzt kam Thomas in Fahrt. Unmerklich bremste sie ihn, wollte seine Glut noch länger lodern lassen. Und sie wusste, wie es ging. Nun stellte er sich gar nicht mehr so ungeschickt an. Er hatte, wie er es als Analytiker wohl ausdrücken würde, den Break-Even-Point überwunden. Jetzt konnte er den Return-Of-Investment auf seinem Konto verbuchen. Und auf ihrem Konto. Es war eine Win-Win-Situation.

Als sie beide ermattet, aber in höchstem Maße befriedigt nebeneinander lagen und dem Brüllen der Löwen draußen vor der Lodge lauschten, nahm Thomas sich ein Herz und fragte:

»Willst du meine Frau werden, Irmgard?«

»Bin ich das nicht schon, Thomas?«, gab sie zurück, richtete sich auf, näherte sich ihm und küsste ihn zum ersten Mal mit heißer Leidenschaft.

»Ich meine, ob du mich heiraten willst«, stellte er klar.

»Sofort. Sofort, wenn wir wieder daheim sind«, sagte sie lächelnd und streichelte sanft sein Haar.

Und sie dachte: Morgen schicke ich meinem Rechtsanwalt eine SMS, damit er schon mal den Ehevertrag aufsetzt.

Und er dachte: Die Investition ist gesichert, ich kann expandieren. Mein Banker wird staunen.

Danach nahmen sie sich fest in den Arm, sie kuschelte sich an seine Brust und sie schliefen ein, tief, traumlos und zufrieden.

Über der Savanne hing eisig und fahl der bleiche Mond.

Exentanz

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