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Tag 2: Emotionen und Melodrama

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Der Leser erlebt eine Stelle dann als melodramatisch, wenn er von Emotionen liest, diese aber nicht nachvollziehen kann. Wenn der Autor Emotionen zwar behauptet, sie jedoch nicht beweist.

Melodramatik ist ein sehr ernstzunehmendes und nicht immer leicht zu lösendes Problem in vielen Romanen. Und: Oft nämlich fällt sie dem Autor nicht einmal auf.

Beispiel: Tanja unterhielt sich eine Stunde angeregt mit ihrer Nachbarin, dann lief sie die Treppe nach oben und sank niedergeschlagen und verzweifelt auf ihr Bett. Sie fühlte sich schlecht, denn Ben hatte sie verlassen. Eine halbe Stunde später zog sie sich um und ging mit Bea und Mila in ihr Stammcafé. Dort vertrödelten sie den Nachmittag und beschlossen, abends noch gemeinsam ins Kino zu gehen, um sich die neue Romantic-Comedy mit Matthias Schweighöfer anzusehen. Sie würde bestimmt nur heulen.

Das Gefühl der Niedergeschlagenheit und Verzweiflung wie auch die Furcht vor Tränen wird hier vermutlich nur behauptet. Denn Tanjas andere Handlungen wirken nicht wie die einer Untröstlichen. Als Leser haben wir nicht den Eindruck, Tanjas authentischem Gefühl beizuwohnen, sondern nur einem Melodrama.

Wann immer Sie eine Emotion direkt niederschreiben – was ab und an durchaus legitim ist, nicht alles muss durch Handlung gezeigt werden –, sollten Sie das Umfeld dieses Gefühls überprüfen. Zum Beispiel jetzt.

Wann haben Sie in Ihrem Roman eine Emotion direkt benannt? Spüren Sie solche Stellen auf. Dabei hilft Ihnen die Suchfunktion Ihres Schreibprogramms.

Ihre Aufgabe: Suchen Sie mindestens fünf der gängigen Emotionsadjektive – traurig, wütend, böse, verzweifelt usw. – und machen Sie den Melodrama-Check.

Diese Aufgabe enthüllt noch etwas anderes in Ihrem Roman: Die meisten Autoren haben so ihre Lieblingswörter, die wieder und wieder im Text auftauchen. Auch Sie. Wahrscheinlich finden sich Emotionsbeiwörter darunter. Achten Sie in Zukunft besonders auf diese Ihre speziellen »Freunde«.

Falls Sie Ihre Macken nicht kennen: Lernen Sie sie kennen. Sie könnten sich als wertvolles Kapital für weitere Werke erweisen.

Melodrama entsteht also dann besonders schnell, wenn Sie Abkürzungen nehmen, statt nach dem tatsächlichen, treffenden Gefühl des Charakters zu forschen und es nachzufühlen.

Als Faustregel merken Sie sich: Je wichtiger ein Gefühl für den Charakter oder für den Plot ist, desto mehr Raum oder Präzision sollten Sie ihm zukommen lassen, entweder über eine bessere Beschreibung oder über die Darstellung in Form von Handlung (Anna schlägt eine Tür so fest zu, dass die Klinke abfällt. Ja, sie ist wütend.). Gefühle leben, sie verändern, sie entwickeln sich, sie lassen sich selten so einfach in ein einziges, noch dazu sehr allgemeines Wort fassen.

Als guter Ausgangspunkt für die Suche nach wichtigen Gefühlen bieten sich die Meilensteine des Romans an, beispielsweise die Plotpoints, der Höhepunkt, der Schluss.

Also los, Sie Melodrama-Spürhund, schnüffeln Sie los, finden Sie die melodramatischen, die zu einfachen, die zu statischen Gefühle und ersetzen Sie sie mit dem aufrichtigen, dem authentischen Gefühl oder einer entsprechenden Handlung. Konzentrieren Sie sich dabei heute auf die Meilensteine in Ihrem Roman: Aufhänger, auslösendes Ereignis, Wendepunkt am Ende des ersten Akts, Mittelpunkt, Wendepunkt am Ende des zweiten Akts, Höhepunkt, Schluss.

Worauf warten Sie? Das ist ein Arbeitsbuch, kein Strand.

Um das Finden von präzisen Wörtern für Emotionen und wann einzelne Wörter, insbesondere Adjektive, nicht genug sind, darum geht es morgen.

Schreibcamp: Emotionen

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